Absatz 1 bis 5

Absatz 1

Zweimal schon habe ich über jene Zeit zu schreiben versucht, die unter dem Namen McCarthy-Ära bekannt geworden ist, aber was ich geschrieben habe, gefiel mir nicht. Dass ich über meine Rolle in dieser traurigen, komischen, elenden Zeit unserer Geschichte nicht schreiben konnte, erschien mir selbst naheliegend, während manche Leute dachten, ich hätte es aus geheimnisvollen Gründen vermieden. Es gab aber kein Geheimnis. Ich hatte eigenartige Hemmungen. So etwas kann man immer schwer erklären. Doch wenn ich den Dingen nun wirklich ins Auge sehe, werde ich es diesmal vielleicht schaffen.
Meine Hemmungen waren und sind dabei beherrscht von meiner Unfähigkeit, viel gegenüber den entscheidenden Figuren dieser Ära zu empfinden, also gegenüber jenen Männern, die mir so übel mitgespielt haben. Die Senatoren McCarthy und McCarran, die Abgeordneten Nixon, Walter und Wood - sie alle waren, was sie waren: Männer, die, wenn nötig, Unwahrheiten erfanden, und die verleumdeten, selbst wenn es nicht nötig war. Ich glaube nicht, dass sie viel von dem glaubten, was sie sagten. I Iöchstens glaubten sie daran, dass die Zeit reif sei für eine neue Welle in Amerika, und sie ergriffen ihre politische Chance, das Land nach ihrem Gutdünken am Gängelband zu führen und dabei alles und jeden, der in Sicht kam, mit ihren gekauten Papierkügelchen zu bespucken.
Aber die neue Welle war gar nicht so neu. Genauer gesagt begann sie mit der Russischen Revolution von 1917. Der Sieg der Revolution und die damit verbundene Bedrohung hatte den Amerikanern in den folgenden Jahren wie ein Albdruck auf der Seele gelegen, und dann wurde die Geschichte auf den Kopf gestellt, als Russland im Zweiten Weltkrieg unser Alliierter wurde. Gerade weil das eine so unnatürliche Verbindung war, kehrten die Ängste nach dem Krieg mit verstärkter Kraft zurück. Für viele Leute sah es so aus, als würde Russland Westeuropa überrennen. Dann rief die Revolution in China eine weitere enorme Erschütterung in den kapitalistischen Ländern hervor. Auf diffuse Weise waren wir davon überzeugt, dass wir diese hätten verhindern können. Diese »diffuse Weise« wurde nie vernünftig konkretisiert, aber in der damaligen Zeit hatte man ohnehin sehr wenig Bedarf an Vernunft.
Die Angst vor dem Kommunismus begann natürlich nicht erst in jenem Jahr, aber das neue China, damals noch mit Russland verbündet, bot eine breitere Basis für diese Angst, und so fürchteten viele aufrichtige Männer und Frauen verständlicherweise, ihr angenehmes Leben könne von einem Tag auf den anderen ein Ende finden.
Es war nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Verwirrung ehrlicher Leute mutwillig von niederträchtigen Leuten aufgegriffen wurde, die aus den Takten einer volkstümlichen Melodie eine Oper allgemeiner Unordnung komponierten, inszeniert und gesungen, wie ein großer Teil der Zeugenaussagen im Kongress bezeugt, auf den Stationen eines Irrenhauses.
Ein schlichtes Motiv wird dabei immer wieder eingesetzt, um die Unwissenden zu verwirren. So wurde auch hier das altbekannte Lied von den bösen Roten aus der Mottenkiste gezogen, nicht nur aus Angst vor dem Sozialismus, sondern hauptsächlich, glaube ich, um das zu vernichten, was von Roosevelt und seinem in Ansätzen fortschrittlichen Werk übriggeblieben war. Die McCarthy-Gruppe - eine ungenaue Bezeichnung für all die Jungs, Lobbyisten,   Abgeordneten,  Bürokraten,  Mitglieder  des Außenministeriums, CIA-Agenten - setzte auf die Furcht vor den Roten aus Zynismus. In dem berauschten Gesicht von McCarthy blitzte oftmals eine Art boshafter Schadenfreude auf, als mache er sich lustig über diejenigen, die ihn ernst nahmen. Wenn man daran denkt, verliert man den Glauben daran, dass er selbst noch irgendetwas anderes als seine im Suff entstandenen Schreckgespenster ernst nehmen konnte. Gerüchteweise mag es sich bei diesen Schreckgespenstern um mehr gehandelt haben als um die Angst vor einem sowjetischen Panzer auf der Pennsylvania Avenue - wenngleich ein Panzer ihn wohl erst richtig in Schwung gebracht hätte. Mister Nixons Überzeugungen - falls er je welche hatte - überlässt man am besten so netten Hintertreppen-Historikern wie Theodore White.
Keiner von ihnen hat mich je, nicht einmal an jenem schlimmen  Vormittag meiner Anhörung vor dem Ausschluss gegen unamerikanische Umtriebe, ernsthaft interessiert oder beunruhigt. Weder damals noch heute. Sie sind, was sie sind oder waren, und nichts verbindet mich mit ihnen, weder Herkunft noch Lebensgeschichte.
(Meine eigene Familie hat interessantere Schurken von anderer, humorvollerer Qualität aufzuweisen.)
Ich habe auch schon früher geschrieben, dass ich vielmehr über diejenigen schockiert und zornig war, die ich für Menschen meiner Welt gehalten hatte, wenn ich natürlich auch in vielen Fällen die Männer und Frauen dieser Welt häufig nur dem Namen nach kannte. Bis in die späten vierziger Jahre hatte ich geglaubt, dass die Gebildeten, die Intellektuellen nach dem lebten, woran sie zu glauben behaupteten: Freiheit der Gedanken und der Rede, das Recht eines jeden Menschen auf seine eigenen Überzeugungen und das darin mehr als nur stillschweigend eingeschlossene Versprechen, denen zu helfen, die verfolgt werden. Doch nur sehr wenige hoben auch nur einen Finger, als McCarthy und seine Gefolgsleute auf der Bildfläche erschienen. So trugen fast alle durch das, was sie taten oder unterließen, zu der McCarthy-Welle bei. Sie rannten hinter einer erfolgreichen politischen Bewegung wie hinter einem fahrenden Zug her, der nicht stehengeblieben war, um sie einsteigen zu lassen.
Schlicht gesagt, ich fühle mich heute wie damals betrogen von dem Unsinn, den ich geglaubt hatte. Ich hatte kein Recht zu der Annahme, amerikanische Intellektuelle seien Leute, die auch dann um etwas kämpfen würden, wenn sie sich dabei verletzen könnten; kaum etwas in ihrer Geschichte legt einen solchen Schluss nahe. Viele von ihnen fanden in den Sünden des Stalinkommunismus - und es gab viele solche Sünden, sehr viele, die ich lange Zeit irrtümlicherweise leugnete - die Entschuldigung, sich denen anzuschließen, die eigentlich ihre Erbfeinde sein sollten. Vielleicht war das zum Teil der Fluch der Einwanderung im neunzehnten Jahrhundert. Die Kinder von furchtsamen Immigranten sind oft bemerkenswerte Menschen: energisch, intelligent, arbeitsam; und oft erreichen sie dabei so viel, dass sie entschlossen sind, das alles um jeden Preis zu bewahren. Die alteingesessenen Mächtigen waren natürlich froh, Gefährten auf ihrem konservativen Schiff begrüßen zu können, die besser Englisch schrieben, mehr Bücher gelesen hatten und lauter und fließender reden konnten.
Doch es ist nicht meine Absicht, über meine historischen Schlussfolgerungen schreiben. Ich sage mir, wenn ich diesmal nur bei dem bleibe, was ich darüber weiß, was mir und einigen anderen zugestoßen ist, habe ich eine Chance, meine eigene Geschichte jener Zeit zu schreiben.

Absatz 2

Ich bin schon immer eine Art Rebell ohne Ziel gewesen - nicht nur im Sinne wie die meisten meiner Generation, sondern weil ich gesehen hatte, wie die Familie meiner Mutter sich auf Kosten armer Schwarzer bereicherte. Das Jahr, in dem ich bemerkte, dass meine Auflehnung ein paar junge politische Wurzeln zu treiben begann, kann ich nicht mehr genau benennen. Ich glaube, es fing mit meinen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus an, als ich mich in Bonn an der Universität zum Studium einschreiben wollte. Ich brauchte Monate, um zu verstehen, was ich da hörte. Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich darüber nachzudenken, was es für mich bedeutete, Jüdin zu sein. Doch ich hörte nicht nur die Verkündigungen des Antisemitismus. Ich hörte von Leuten meines Alters die Angebereien hoffnungsvoller Eroberer, die Geräusche des Krieges.
Als ich nach Hause kam, herrschte eine wirtschaftliche Depression, die meinen Vater zugrunde richten sollte, während sie meinen damaligen Ehemann Arthur Kober mit seinem Job als Drehbuchschreiber in Hollywood noch ganz gut behandelte. Aber selbst sein gutes Gehalt bedeutete nicht allzu viel, denn die Umwälzungen in der Filmindustrie waren so groß, dass man das Glück des Augenblicks nicht überbewerten durfte.
Ohnehin spielte Arthurs guter Job insofern nicht mehr lange eine Rolle für mich, da ich mich 1931 scheiden ließ. Ich konnte keine Arbeit finden, war allerdings auch nicht unbedingt darauf angewiesen, denn zu jener Zeit lebte ich schon mit dem Schriftsteller Dashiell Hammett zusammen, der nicht nur sehr gut verdiente, sondern diesen Verdienst auch mit mir oder jedem, der daherkam, bereitwillig teilte. Aber wenn man einmal selbst gearbeitet und Geld verdient hat, kann man nicht mehr einfach auf Kosten anderer Leute leben. Drei oder vier Jahre lang fand ich keine Lösung für dieses Dilemma, wenngleich die Wahl Roosevelts in mir wie in vielen Leuten die Hoffnung weckte, dass wir vielleicht durch diese Regierung erstmals Einfluss auf unsere eigene Zukunft nehmen könnten. (Offensichtlich wollte niemand etwas mit den Regierungen von Coolidge oder Hoover zu schaffen haben.)
Gegen Ende 1934 hatte mein erstes Bühnenstück, The Children's Hour (Die Kinderstunde), großen Erfolg. Die Zeit des Lebens auf Kosten anderer Leute war vorbei, und ich genoss eine in vielerlei Hinsicht schöne Zeit. Aber der Erfolg erzeugte auch eine Art Schuldgefühl. Ich misstraue sowohl meinen eigenen Schuldgefühlen wie denen anderer Leute: Sie dienen gewöhnlich nur dem Zweck, nicht nachdenken zu müssen, oder sein besonderes Feingefühl zur Schau zu stellen, um es dann so schnell wie möglich loszuwerden. Doch über dieses Schuldgefühl, das meinem persönlichen Glück entsprang, bin ich heute noch froh, weil es mich weiterbrachte. Ich bin deshalb auch nicht unglücklich über die Unannehmlichkeiten, die es gleichzeitig verursachte.
Ich habe schon früher über Dashiell Hammett geschrieben und muss das nun wieder tun, weil er in den dreißiger und vierziger Jahren einen so großen Teil meines Lebens ausmachte (und natürlich auch lange darüber hinaus, aber das ist eine andere Geschichte). Die mittleren und späten dreißiger Jahre waren eine Zeit, in der sich viele Leute radikalen politischen Lösungen zuwandten, und er war einer von ihnen, mit mir im Schlepptau, oft besorgt über Dinge, um die er sich keine Sorgen machte, gehemmt von Dingen, die er ignorierte. Wahrscheinlich trat Hammett 1937 oder 1938 der Kommunistischen Partei bei. Ich weiß es nicht genau, weil ich ihn nie fragte, und wenn ich gefragt hätte, hätte ich keine Antwort bekommen. Dass ich also gar nicht erst fragte, weil ich wusste, dass ich keine Antwort bekommen würde, war typisch für unsere Beziehung. Ich trat der Partei nicht bei, obgleich Earl Browder[1] und der Parteitheoretiker V. J. Jerome mich sanft dazu drängten.
Ich ging drei- oder viermal mit Hammett zu Versammlungen: zu zwei in einem hässlichen spanischen Haus in Hollywood; zu einer oder zwei in einem Apartment in New York, an das ich mich nicht erinnere, und mit Leuten, an die ich mich nicht erinnere, vielleicht weil ich die Zusammenkunft schon nach kurzer Zeit wieder verließ. Zu den Versammlungen in Hollywood kamen sieben oder acht Leute, von denen ich drei flüchtig kannte; die anderen gehörten zu einem Menschenschlag, den ich damals »unästhetisch« nannte. Bestimmt hat auch die Tatsache, dass der vermutliche Vorsitzende oder Versammlungsleiter die Angewohnheit hatte, seine Schnürsenkel dauernd auf- und zuzubinden und sonderbare Figuren aus gelbem Notizpapier zu schneiden und auf den Fußboden zu streuen, meine Aufmerksamkeit von der ansonsten ernsthaften Diskussion abgelenkt. Ein anderer Mann benutzte immer wieder die Phrase »Das Gesicht der Partei«; und da mich Phrasen von Experten immer interessierten, wollte ich unbedingt herausbekommen, was er damit meinte. Zwei Damen, die eine noch ziemlich jung, die andere mittleren Alters, redeten sehr viel, meistens miteinander und in gereiztem Ton. Der Dame mittleren Alters gehörte, wie ich später herausfand, ein Modegeschäft, und ich war von der Tiefe ihrer Überzeugung beeindruckt, wegen der sie sich einer radikalen Gruppe angeschlossen hatte, wo doch schon der geringste Klatsch darüber sie ihr gutes Einkommen hätte kosten können. (Ich hätte mir aber keine Sorgen zu machen brauchen: Als die Zeit der wirklichen Jagd auf die Roten begann, verlegte sie ihr Geschäft nach Santa Barbara und redete nie wieder mit ihrem Bruder, der wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei ins Gefängnis musste.) Bei einer dieser beiden Zusammenkünfte in Hollywood diskutierte man über den Spanischen Bürgerkrieg. Ich war überrascht, dass niemand mir widersprach oder die Sowjetunion verteidigte, als ich die Russen anklagte, weil sie nicht genügend Nachschub gesandt hatten - ich war gerade, im Herbst 1937, aus Spanien zurückgekommen -, sondern nur so viel, um die Spanier weiterkämpfen und für eine Sache sterben zu lassen, die so nicht zu gewinnen war. Vielleicht stimmten sie zu, vielleicht dachten sie auch, es lohne sich nicht, sich mit mir zu streiten.
Auf jeden Fall war es für mich von untergeordneter Bedeutung, ob ich einen Mitgliedsausweis der Partei besaß. Ich konnte ja damals noch nicht wissen, was für eine Bedeutung man diesem Umstand ein paar Jahre später beimessen würde. Die Furcht vor etwaigen Folgen hatte somit nichts mit meiner Entscheidung zu tun. Was man auch immer gegen die Südstaatler haben mag - arme Bauern, die nur noch die Schwarzen zum Hassen hatten -, wir wurden in dem Glauben erzogen, dass wir ein Recht auf eigenständiges Denken hatten und unsere eigenen, möglicherweise sonderbaren Wege gehen durften. Und da wenige im New Orleans dieser Tage viel Geld besaßen, spielten derartige Mittelstandserwägungen auch kaum eine Rolle. Anders sah es bei der reichen Mittelstandsfamilie meiner Mutter in Alabama aus, aber gegen die hatte ich mich schon früh aufgelehnt. Insgesamt war ich mehr nach der Familie meines Vaters geraten, einem Haufen ziemlich konfuser Sonderlinge, die beispielsweise genauso fest an die Gleichheit der Schwarzen glaubten wie an die Idee, dass diese alle einen strengen Körpergeruch hätten, der ihrer Meinung nach »mit den Drüsen« zu tun haben musste.
Doch so konfus sie auch dachten, es herrschte bei ihnen eine finanzielle und geistige Großzügigkeit sowie eine Unabhängigkeit des Denkens, die auf ein rebellisches Kind anziehend wirkten.
Meine persönliche Sympathie für Schwarze begann vermutlich ein paar Tage nach meiner Geburt, als man mich an die Brust einer Amme legte, Sophronia, einer außergewöhnlichen Frau, die jahrelang bei uns blieb. Sie war es, die mich Mitgefühl für die mittellosen Schwarzen lehrte; und als sie das erreicht sah, drang sie weiter in mich und sagte, es sei nicht genug, um arme Schwarze zu weinen, man müsse auch Augen für das Elend der armen Weißen haben. Sie war von Zorn über das Versagen unserer Generation erfüllt und gab diesen Zorn an mich weiter, ein unbequemes, gefährliches, aber oft auch nützliches Geschenk. Doch die Suche nach Verbindungslinien zwischen der eigenen Vergangenheit und dem, was man geworden ist, erweist sich immer als zu ungenau und zu einfach. Besonders wenn man nach den Ursachen eines rebellischen Wesens forscht, das natürlich ein Mischmasch aus Einflüssen in Kindheit und Jugend ist, daraus, welche Bücher man gelesen, welcher Lehrer einen was und wann gelehrt und sogar, wie man damals ausgesehen hat. Was man über sich selbst nicht weiß oder nicht erinnert, ist dagegen vielleicht von größter Bedeutung. Wenn ich versuchen müsste, eine solche Vergangenheit für mich selbst von der Kindheit bis zu jenen Versammlungsabenden zu rekonstruieren, würde ich mich als beflissene Studentin beschreiben, die ich gar nicht war. Zwar gab es durchaus Zeiten, in denen ich als eine Art literarischer Blaustrumpf agierte, was allerdings etwas ganz anderes ist: Solch ein Mensch interessiert sich selten für irgend etwas anderes als Theorie, sehr selten für die Welt um sich herum, es sei denn, die Theorie passt zufällig zu dieser Welt.
In den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren war ich überzeugt, dass ich in keine politische Partei passen würde, bewunderte aber gleichzeitig oft Radikale im In-und Ausland. Vielleicht hielt ich sie gerade deshalb für Leute von besonderer Hingabe und Ernsthaftigkeit, weil ich selbst diese Eigenschaften nicht besaß. Die hektischen Thesen, die über Diktatur und Unterdrückung gesagt und geschrieben wurden,  verwirrten mich:  Ich konnte  mir nicht vorstellen, dass solche Zustände in den Vereinigten Staaten jemals geduldet würden, und ging davon aus, dass Russland nach Aufbau eines Staatssozialismus seine Eingriffe in die persönliche Freiheit einstellen würde. Ich hatte mich geirrt. Doch es irrten sich auch viele, die zwar in Bezug auf Russland Recht behielten, aber dann Gebrauch von ihrem Antikommunismus machten, um mit den falschen Leuten zusammenzuarbeiten, einge davon bis heute.
Natürlich vereinfache ich meine politische Vergangenheit zu sehr: persönliche Konflikte, Arbeitsprobleme, Whiskey, zu viel Geld nach The Children's Hour, die Zeit, in der ich lebte, Hammett - all das hatte mit dem zu tun, was ich glaubte.
Es ist wahr, dass Hammett im Gegensatz zu mir ein kompromissloser Radikaler wurde; aber seltsamerweise glaubte ich bei unserer ersten Begegnung, nicht er, sondern ich wäre in dieser Hinsicht zu unumstößlichen Überzeugungen gekommen. Ich erinnere mich, wie ich in den ersten Monaten unserer Bekanntschaft einmal neben ihm auf dem Bett saß und zuhörte, wie er mir aus seiner Zeit bei Pinkerton erzählte, als ein hoher Funktionär der Anaconda Copper Company (Anaconda Kupfergesellschaft) ihm fünftausend Dollar für die Ermordung von Frank Little, dem Organisator der Gewerkschaft, angeboten hatte. Ich kannte Hammett noch nicht gut genug, um den Zorn in seiner Stimme herauszuhören, die Bitterkeit in seinem Lachen zu erkennen, und sagte deshalb: »Er hätte dir ein solches Angebot nicht machen können, wenn du nicht als Streikbrecher für Pinkerton gearbeitet hättest.« »Das stimmt wohl«, erwiderte er. Ich ging in sein Wohnzimmer hinüber und dachte, ich will nicht hier sein, ich will nicht mit diesem Mann zusammen sein. Dann kehrte ich zur Schlafzimmertür zurück, um ihm dies mitzuteilen.
Auf den Ellbogen gestützt, sah er mir entgegen, als erwartete er mich. »Ja, meine Gnädigste«, sagte er, »was glaubst du wohl, warum ich dir das erzählt habe?«
Er sprach selten über die Vergangenheit und nur, wenn ich ihn nicht danach fragte; doch dieses Bestechungsangebot sollte er im Lauf der Jahre noch so oft erwähnen, bis ich endlich begriff, dass es eine Art Schlüssel zu seinem Leben ist. Er hatte einem Mann das Recht gegeben zu glauben, er könnte einen Mord begehen - und die Tatsache, dass Frank Little zusammen mit drei anderen Männern in dem sogenannten Everett-Massaker tatsächlich gelyncht wurde, muss für Hammert ein unauslöschliches Grauen gewesen sein.[2] Ich glaube, Hammetts Überzeugung, in einer korrupten Gesellschaft zu leben, begann nach Littles Ermordung. Mit der Zeit kam er zu dem Schluss, dass nur noch eine Revolution diese Korruption auslöschen könnte. Ich will damit nicht sagen, dass seine Wandlung zum Radikalen auf nur einem Erlebnis basierte, aber bei komplizierten Menschen ist es manchmal das eindeutigste Erlebnis, das die Räder beschleunigt, die ins Rollen gekommen sind.
Ich muss hier wiederholen, was ich schon mal geschrieben habe. Zwischen der Zeit, da ich zum ersten Mal von Frank Little hörte, und Hammetts Gefängnisstrafe im Jahre 1951 liegen vielleicht zwanzig Jahre. Während dieser zwanzig Jahre lebten wir nicht immer zusammen, teilten nicht immer dasselbe Haus oder dieselbe Stadt, und selbst wenn wir zusammen waren, hatten wir unausgesprochene, aber strikte Regeln in Bezug auf unser Privatleben. Und so besitze ich über seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei kein Wissen aus erster Hand. Er ging 1951 ins Gefängnis, weil er sich weigerte, die Namen der Geldgeber für den Bürgerschaftsfonds des Civil Rights Congress (Bürgerrechtskongress) bekanntzugeben, den unter anderem er verwaltete. Soweit ich mich erinnere, habe ich den Namen dieser Organisation, in deren Büroräumen er nie gewesen war, erst etwa einen Monat vor seiner Verhaftung zum ersten Mal gehört. Man steckte ihn in das schmutzige Gefängnis der West Street in New York, nach einem Urteil ohne Präzedenzfall, das keine Kaution gestattete, und verlegte ihn dann in das Bundesgefängnis in Ashland, Kentucky.
Er war schon krank, als er ins Gefängnis musste, und wurde dort noch kränker; aber er ertrug alles in nobler Haltung, offensichtlich sehr zufrieden mit seiner Fähigkeit, mit jeder groben Behandlung fertigwerden zu können. Aber ich besaß nicht sein Naturell. Er hatte erkannt, dass die Gesellschaft einen, wenn man anders ist, dafür bestraft, dass man sie aufgestört hat, wie viel Religiosität und Frömmelei sie auch immer vorschützen mag. Ein solcher Gedanke war mir nie gekommen: Wenn ich anderer Meinung war, übte ich meine ererbten Rechte aus, und gewiss durfte es keine Strafe für etwas geben, das zu tun mich Lehrer, Bücher oder die amerikanische Geschichte gelehrt hatten. Es war nicht nur mein Recht, es war meine Pflicht, gegen etwas zu sprechen oder zu handeln, was ich für falsch oder gefährlich hielt. Es mutet lächerlich an, wenn ich eingestehe, mit wie viel Verspätung ich die heftigen, weitreichenden, gewalttätigen, sinnlosen Tragödien zur Kenntnis nahm, die sich regelmäßig in Amerika ereignen, so wie auch diejenige, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte. Hammetts Reaktion auf das Gefängnis war merkwürdig und oft irritierend: Er redete von seiner Zeit dort, wie ich junge Leute von einer strengen Vorbereitungsschule auf das College oder einem harten Footballspiel hatte reden hören. Er war froh darüber, dass er sich an jede Notwendigkeit anpassen konnte. Er hatte während des Krieges nahezu drei Jahre lang die Widrigkeiten des Aleuten-Alaska-Wetters durchgestanden und mir mehrere Male ganz ernsthaft vorgeschlagen, für immer mit ihm dorthin zu ziehen. Ich fand diese Reaktionen mysteriös. Heute, nach so vielen Jahren, weiß ich, dass sie von einfacher, altmodischer Selbstdisziplin herrührten, gemischt mit ebenso einfachem, altmodischem Stolz.
Auf jeden Fall nützte mir seine Haltung gegenüber dem Gefängnis  nichts,  als  mir selbst Gefängnis  drohte. Ich wusste, dass ich nicht aushalten würde, was er aushalten konnte. Ich besitze ein Temperament, das bei den sonderbarsten Gelegenheiten außer Kontrolle gerät: wenn man mich warten lässt, und ich halte das für unnötig, wenn ich in einen Bus oder eine U-Bahn geschoben werde und finde, dass man mich oder jemand anderen respektlos behandelt, wenn man mich zu Unrecht einer Sache beschuldigt, selbst wenn es sich bei dieser Beschuldigung um etwas ganz Belangloses handelt - löst das bei mir eine Lawine von Reaktionen aus, die ich im Augenblick meines Zornesausbruchs nicht als  kindisch zu erkennen imstande bin. Hammett wusste alles über mich, all diese Dinge, und als mir nun das Gefängnis drohte, setzte er sein ganzes Wissen daran, mich davor zu bewahren, denn er glaubte nicht, dass ich es unbeschadet überstehen würde. Vielleicht hätte er Recht behalten, vielleicht auch nicht. Ich konnte das damals ebenso wenig wissen wie heute, denn wir beide haben nie »eine Neurose für zwei« erlebt, wie die Franzosen sagen. Wir hatten beide unsere Sorgen, doch sie vermischten sich
nie, begegneten sich nicht und schliffen sich nicht aneinander ab. Seine Angst um mich begann am 21. Februar 1952.

Absatz 3

Mir gehörte ein wunderhübsches neo-georgianisches Haus an der East 82nd Street, in dem ich mit einer Mieterin wohnte. Wie in den meisten solcher Häuser drückten die Besucher unten auf eine Klingel und wurden dann aufgefordert, sich über einen daneben angebrachten Apparat zu erkennen zu geben. Da man über diese Anlage aber immer nur verstümmelte Wortfetzen hören konnte, war ich ihrer überdrüssig geworden und hatte mir schon lange angewöhnt, einfach den Summerknopf zu drücken, wenn unten jemand läutete, und auf den kleinen Fahrstuhl zu warten, der zu meinem Stockwerk heraufkam. Ein übertrieben respektabel aussehender schwarzer Mann, ein Sonntagsdiakon in einem so korrekt-inkorrekten Anzug, wie er nur von einem Mann getragen werden konnte, der nicht auffallen wollte, stand im Fahrstuhl, den Hut höflich in der Hand. Er fragte mich, ob ich Lillian Hellman sei. Ich bestätigte das und fragte ihn, wer er sei. Er händigte mir einen Umschlag aus und erwiderte, er sei dienstlich hier, um mir eine Vorladung unter Strafandrohung vom Ausschluss gegen unamerikanische Umtriebe[3] zu überreichen. Ich öffnete den Umschlag und las die Vorladung. Dann sagte ich: »Sehr passend, einen Schwarzen für diesen Job zu nehmen! Gefällt er Ihnen?«, und knallte die Tür zu. Ich blieb wohl eine Stunde allein mit der Vorladung zuhause sitzen und wollte mit niemandem sprechen. Da lag sie nun, und irgendwie schien mir keine Eile mehr geboten. Ich sah mir die Post der letzten Tage an. Teilweise hatte ich die Antworten bereits einer Sekretärin diktiert, die zweimal die Woche kam, der Rest musste noch bearbeitet werden. Ein Formular, das ich schon vor ein paar Tagen ausgefüllt hatte, war der übliche Fragebogen von Who's Who in America. Ich fand es ganz amüsant, ihn noch einmal durchzulesen. Mein Werk umfasste bis zu jenem Tag: The Children's Hour, Days to Come, The Lade Foxes, Watch on the Rhine, The Searching Wind, Another Part of the Forest und The Autumn Garden. Daneben hatte ich einen Band mit Briefen von Tschechow zusammengestellt und eine Einleitung dazu verfasst, Filmdrehbücher geschrieben und andere bearbeitet. Außerdem gehörte ich verschiedenen Organisationen und Vereinigungen an - all dies muss ich jedes Mal im Who's Who nachschlagen, weil ich die Daten nicht behalten kann.
Dann machte ich ein Nickerchen und wachte in Schweiß gebadet, voller Bestürzung über mich selbst, auf. Ich rief sofort Hammett an, der mir sagte, dass er den nächsten Zug von Katonah nehmen werde und ich ruhig sitzen bleiben und bis zu seiner Ankunft nichts unternehmen solle. Aber meine Ruhe war jetzt dahin, und ich konnte seiner Anweisung nicht folgen. Ich ging unverzüglich zu Stanley Isaacs, dem früheren Bezirksbürgermeister von Manhattan, der unter einer von Robert Moses angeführten Kampagne dafür hatte büßen müssen,  dass einer seiner unbedeutenderen Mitarbeiter Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war. Stanley hatte währenddessen eine gute Figur gemacht, wenngleich diese Episode natürlich seiner Karriere bei den Republikanern geschadet hatte. (Ich war als unbeteiligte Bewunderin zu ihm gegangen, sobald er seine Anwaltstätigkeit wieder aufgenommen hatte, und hatte ihm in den folgenden Jahren etliche Mandanten zugeführt, die ihn ebenfalls mochten und bewunderten.) Isaacs war tatsächlich ein achtenswerter Mann, aber ich glaube, zu der Zeit meiner Vorladung hatte er mehr Sorgen, als er zugeben wollte. Er ahnte wohl, dass sein Weg zurück in die Politik - den er nie mehr mit Erfolg beschritten hat - nur mit größter Vorsicht geebnet werden tonnte. Isaacs und ich mochten einander sehr, und er machte ein sehr gequältes Gesicht, als er mir sagte, dass er meinen Fall nicht übernehmen sollte, weil er sich auf diesem Gebiet zu schlecht auskenne. Stattdessen würde er mir helfen, den richtigen Anwalt zu finden.
Wir konnten uns jedoch auf keinen einigen. Stanley machte in den nächsten Tagen einige Vorschläge, die mir alle nicht zusagten. Wie ich auf die Idee kam, aus eigener Initiative Abe Fortas anzurufen, fällt mir sonderbarerweise nicht mehr ein. Ich hatte Fortas bisher nicht persönlich kennengelernt, aber natürlich von ihm und seinem Anwaltsbüro Arnold, Fortas & Porter gehört. Mister Fortas sagte, er würde am nächsten Tag nach New York kommen und mich dann aufsuchen.
An alle Einzelheiten unserer Begegnung erinnere ich mich genau: das ekelhafte Wetter draußen vor den hohen Fenstern; sein schmales, intelligentes Gesicht mir gegenüber in einem Empirestuhl, der so gar nicht zu ihm passte; vor allem an seine Augen, die mich prüfend musterten, wodurch ich immer aufgeregt werde, an diesem nervösen Tag aber ganz besonders. Ich berichtete ihm von der Vorladung, er stellte ein paar unwesentliche Fragen nach meiner Vergangenheit, bewunderte die Porzellanvögel auf dem Kaminsims, klimperte ein paar Töne auf dem Klavier, runzelte die Stirn über den Klang, drehte sich zu mir um und erklärte, er habe eine Idee, die er mir gern mitteilen wolle, die aber nicht als juristischer Rat aufzufassen sei.
Ihm schwebte vor, dass die Zeit gekommen sei, um vor den entehrenden Ausschüssen des Kongresses eine moralische Position zu beziehen und sich nicht auf die strenge Einhaltung des Fifth Amendment (5. Verfassungsänderndes Gesetz)[4] zu verlassen. Für Fortas bestand diese moralische Position im Wesentlichen darin, dass ich zwar über mich selbst aussagen und alle ihre Fragen über mein eigenes Leben beantworten würde, aber ihnen nichts über irgendjemand anders berichten würde, egal ob er mir unbekannt oder ein Freund sei. Fortas meinte, ich sei für einen solchen Standpunkt gut geeignet, da ich auch in Wahrheit gar nicht viel über die Beziehungen von anderen Leute zum Kommunismus wüsste. Der Ausschuss würde das allerdings nicht glauben, wodurch meine gesetzlichen Rechte gefährdet sein könnten, weil ich mich des Schutzes des Fifth Amendment beraube.  Ich hätte ihm gern beschrieben, wie sich eine moralische Position nach meinem Geschmack angehört hätte: »Ihr schlachtet das Leben anderer Menschen zum persönlichen Nutzen aus, um Schlagzeilen zu machen. Dabei wisst ihr so gut wie ich, dass die bisher vorgeladenen Menschen niemals etwas Besonderes angestellt haben. Trotzdem habt ihr viele von ihnen so lange tyrannisiert und eingeschüchtert, bis sie aus lauter Angst von A bis Z erfundene Dinge beichteten. Schert euch zur Hölle und tut mit mir, was ihr wollt!« Doch ich sagte nichts dergleichen zu Fortas, weil ich wusste, ich würde mich sowieso niemals trauen, so etwas zu sagen.
(Aber noch fünf oder sechs Jahre nach meinem Erscheinen vor dem Ausschuss stand ich, wenn andere Sorgen mich nicht schlafen ließen, in den grauen Stunden zwischen Mitternacht und Morgen auf und schrieb immer neue Versionen von Aussagen nieder, die ich hätte machen können. Ich war überzeugt, dass die Folgen eines Gefängnisaufenthaltes nicht so schlimm gewesen wären, wie ich sie mir in jenen Tagen vorgestellt hatte. Wieder im Bett las ich dann meine neuen und immer noch phantastischeren Versionen durch und dachte mir, es sei eigentlich lächerlich, sich hinterher so etwas auszudenken, wenn die Ängste vorüber sind. Lieber sollte man darüber nachdenken, wie man sich verhalten würde, falls der Ärger von neuem beginnen sollte.)
An jenem Nachmittag, als Mr. Fortas mich besuchte, sagte ich lediglich, dass ich seiner Meinung sei und seine Idee gut finde. Er meinte aber, ich müsste mir ein paar Tage Zeit nehmen und meine Stellungnahme sorgfältig bedenken, bevor ich ihn wieder anrufe. Auch als ich entgegnete, diese Zeit brauchte ich nicht, meinte er, dass er aber so lange seinen Vorschlag überdenken müsste. Dann erklärte er mir noch, dass weder er noch ein Kollege aus seinem Büro meinen Fall übernehmen könnten, weil sie
schon Owen Lattimore[5] vertreten würden, und Lattimore und ich   uns gegenseitig schaden könnten.   Bei unserer nächsten Zusammenkunft könnten wir über einen alternativen, guten und jungen, Rechtsanwalt reden.
Ich bin von Natur aus oft gereizt. Wenn bestellte Lebensmittel nicht rechtzeitig geliefert werden, wenn der Mais verkümmert oder das Telefon zu oft läutet - selbst bei guten Nachrichten -, verliere ich, wie ich schon sagte, manchmal die Selbstkontrolle. Doch bei echten Sorgen bin ich weniger nervös und stattdessen ganz ruhig; und während ich noch unter einem Unglück leiden kann, selbst wenn es schon lange vorüber ist, bin ich auf der anderen Seite nicht sicher, ob ich Schwierigkeiten sofort erkennen kann, wenn sie eintreten. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber ich verfüge wohl über genügend Einsicht, um zu verstehen, dass man richtige Probleme nur mit ge-zügeltem Temperament überwinden kann, und dass jede Anwandlung von Übermut mir dann nur schaden kann. Das beschreibt meine Lage während der nächsten Monate - vor allem während der folgenden, schlimmen Woche.
Am Tage nach Fortas Besuch erzählte ich Hammett von meinem Plan. Dash drückte selten seinen Ärger aus, und wenn, dann zeigte er ihn, indem er mich anstarrte. Er konnte mich oft über längere Zeit fixieren, als überlege er sich, was er mit so einer verrückten Frau anfangen und wie er am besten mit ihr umgehen sollte. Ich kannte dieses Anstarren also schon aus der Vergangenheit, doch an dem Tage dauerte es länger, als ich es aushalten konnte, und ich wurde so unruhig, dass ich spazieren ging. Nach meiner Rückkehr unterhielten wir uns nur darüber, was ich kochen würde, und ich dachte fälschlicherweise, dass er beschlossen hatte, nichts zu sagen und sich stattdessen seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, wie er das gewöhnlich tat, wenn sein Zorn verraucht war. Doch ich hatte mich geirrt: Während des Abendessens schob er plötzlich seinen Teller beiseite und sagte: »Das ist Scheiße. Ganz normale liberale Scheiße. Sie werden dich ins Gefängnis stecken, und zwar für länger als üblich. Mir ist egal, was Mister Fortas denkt, aber mir ist nicht egal, dass du so blöd bist, zu glauben, diese Dummköpfe würden deiner edlen Moral irgendwie Beachtung schenken. Es ist schwer für mich zu verdauen, dass du immer noch an solchen Blödsinn glaubst.«
»Welche Dummköpfe? Der Ausschuss?«
»Nicht nur«, entgegnete er. »Du weißt sehr gut, wovon ich spreche. Der Ausschuss, die Presse, Leute, die du für deine Freunde hältst, alle. Aber ich scheiß drauf, dich mit Vernunftgründen zu überzeugen. Denk bloß an die Ratten im Gefängnis, an die harten Mädchen, an Leute, die dich rücksichtslos behandeln, nur weil es ihnen Spaß macht, an die Aufseherinnen, die dich nicht gerade bewundern, und an das Essen, das du nicht herunterkriegst, und wenn du's dann nicht isst, stecken sie dich in Einzelhaft. Einen ausgewachsenen Nervenzusammenbruch wirst du kriegen, wenn nicht Schlimmeres.«
Diese Unterhaltung, so kann man in meinem Tagebuch nachlesen, sollte sich in Variationen noch viele Male während der folgenden Woche wiederholen. Am schwersten aber waren die nächsten beiden Tage für mich; ich war nicht gewohnt, etwas zu tun, was Hammett nicht gut fand, das wusste er und rechnete damit. Am dritten Tag, von meiner Schlaflosigkeit erschöpft, sagte ich jedoch: »Es tut mir leid. Diesmal muss ich meinen eigenen Weg gehen.«
Ich bekam keine Antwort, womit ich eigentlich hätte rechnen müssen, und fuhr fort: »Und es gibt noch weitere schlechte Neuigkeiten. Der Fiskus wird dir kein Geld lassen, und ich werde in ein paar Jahren auch keins mehr haben, also werden wir die Farm verkaufen müssen.«
»Na dann«, meinte er fröhlich, »wirst du dir irgendwann mal eine neue zulegen können.« (Bis jetzt hat sich das nicht erfüllt, und ich glaube, um eine Farm zu leiten, bin ich mittlerweile zu alt.)
An jenem Tag gab es allerhand zu tun. Ich rief Fortas an und teilte ihm mit, dass ich nach sorgfältigen Überlegungen zu dem Schluss gekommen sei, dass sein Vorschlag für mich richtig sei. Er antwortete, nun sei er allerdings nicht mehr so recht überzeugt, denn sein Partner halte die ganze Idee für blödsinnig und geeignet, mich auf schnellstem Wege ins Gefängnis zu schicken. Ich lachte. »Hat er gesagt, es ist liberale Scheiße?« -»Nein«, antwortete Fortas, »er hält es lediglich für juristische Scheiße.« »Ich würde gern so schnell wie möglich nach Washington kommen und mit dem Anwalt reden, von dem Sie eben gesprochen haben.«
Fortas arrangierte für mich eine Begegnung mit Joseph Rauh für den folgenden Tag. Ich nahm einen Nachtzug nach Washington, was keine gute Idee war; ich habe heute noch allerlei Notizen von meinen Gedanken in jener holpernd verbrachten, schlaflosen Nacht. Wahrscheinlich hätte ich lieber an den Ausschuss denken oder mir Sorgen über meine Begegnung mit Rauh machen sollen. Statt dessen dachte ich an die Farm und wie schwierig es sein würde, dem Hausmädchen Kitty sowie Betty und Gus Benson, dem Verwalterehepaar, klarzumachen, dass ich die Farm nicht mehr halten könnte, und dass sie sich wohl nach neuen Jobs umsehen sollten. Sie standen mir alle drei nahe, und ich erinnerte mich an eine Szene vor acht oder neun Monaten, die mir bewusst gemacht hatte, was für gute Freunde sie waren.
Am Tage, nach dem Dash ins Gefängnis gehen musste, rief ich auf der Farm an und fragte, ob sich dort Reporter herumtrieben. Ja, die Veranda und der Rasen wimmelten nur so von ihnen. Ich erklärte, dass ich nicht nach Hause kommen würde, aber hoffe, dass sie sich nicht zu sehr bedrängt fühlten. Ich ging für drei Tage in ein Hotel und rief dann wieder an. Weil keine Reporter mehr da waren und auch sonst niemand, fuhr ich von New York mit dem Auto hin und bat die drei, sich zu mir ins Zimmer zu setzen.
Ich sagte: »Sie wissen, dass Mister Hammett im Gefängnis ist. Das bedeutet, dass es hier für Sie unangenehm werden wird, vielleicht mehr als unangenehm. Niemand weiß, was das FBI oder andere Regierungsbehörden beschließen werden, und selbst wenn sie nichts unternehmen, werden Sie ein spießiges, aufgebrachtes Dorf gegen sich haben.«
Gus unterbrach mich, um mir zu erklären, dass bereits drei Leute vom FBI da gewesen seien und ihm einige Fragen gestellt hätten. Ich hätte sehr gern erfahren, was für Fragen sie ihm gestellt hatten; aber ich kannte Gus gut genug, um zu wissen, dass er mir nichts davon erzählen wollte, weil er peinlich berührt war und mich nicht verletzen wollte. Deshalb fügte ich nur noch hinzu, so abstoßend sei wahrscheinlich von jetzt an die Lage der Dinge, wenn nicht gar gefährlich für sie. Ehe ich sagen konnte, dass ich es für besser für sie hielte, wenn sie sich nach anderen Jobs umschauten, unterbrach Kitty mich mit einem Lachen und forderte Betty auf: »Sagen Sie's Miss Hellman.«
Betty erzählte mir, sie hätten Hammett ein Telegramm mit ihren Glückwünschen und herzlichen Grüßen ins West-Street-Gefängnis geschickt. Dann kicherte Kitty und sagte, dass Betty und sie in den nächsten Tagen einen Kuchen backen und ihm bringen wollten, aber sie seien sich nicht einig, was für einen Kuchen, und ob ich wüsste, welchen er am liebsten möge? Ich war so gerührt von diesen reizenden Leuten, die etwas getan hatten, was so viele andere - einschließlich der vielen, die Hammett Geld schuldeten - sich nicht getraut hatten, dass ich mir die Hand über die Augen halten musste. Kitty erklärte: »Wir sind Iren, Miss Hellman. Gefängnis bedeutet nichts für uns.« Nach ein paar Minuten schüttelten wir uns alle höchst formell die Hände, und noch einige Zeit danach hörte ich, wie Betty und Kitty sich in der Küche darüber auseinandersetzten, was für einen Kuchen sie nun für Hammett backen sollten. In der folgenden Woche schlugen sie meine Warnung, sich besser aus der Sache herauszuhalten, in den Wind und nahmen den Zug nach New York, um ihren Kokoskuchen im West-Street-Gefängnis abzuliefern. Nach ihrer Rückkehr erzählten sie mir, dass man ihnen nicht gestattet hätte, Dash zu sehen; aber zwei Männer hätten versprochen, ihm den Kuchen auszuhändigen. Dass sie ihr Versprechen nicht einlösten, habe ich ihnen nie erzählt.

Absatz 4

aRauh gefiel mir. Gewitztheit paart sich selten mit Offenheit, doch bei ihm war das so, und sein freundliches, kantiges, faltiges, nicht hübsches Gesicht schuf Vertrauen, dass sich Verstand dahinter verbarg. Unsere ersten Besprechungen verliefen gut. Ungefähr beim dritten Mal hatte Joe offensichtlich vorher einige Erkundigungen eingezogen; er legte dar, dass die Kommunistische Partei mich einige Male im Daily Worker und in anderen Publikationen angegriffen hätte. Da wäre zum Beispiel der Unsinn über Watch on the Rhine (Die Wacht am Rhein). Das Stück hatte Premiere, noch ehe die Sowjetunion von Deutschland angegriffen wurde, und es wurde in einer Rezension als Kriegstreiberei bezeichnet. Die Verfilmung lief etwas später an, als sich die Sowjetunion schon mit Deutschland im Krieg befand, und alle fanden ihn wunderbar. Als Tito dann 1948 mit Russland brach, fuhr ich nach Belgrad und veröffentlichte eine Reihe von Interviews mit Tito, in denen meine Sympathie zum Ausdruck kam. Das wurde wiederum von den hiesigen Kommunisten nicht gerade freundlich aufgenommen. Joe glaubte, dass es gegenüber dem Ausschuss und der Presse nützlich sein würde, diese kommunistischen Kritiken gegen mich offenzulegen, weil sie meine unabhängige Vergangenheit demonstrierten. Ich entgegnete, dass ich diese Texte nicht für meine Verteidigung benutzen wollte, weil das Ausnutzen der kommunistischen Angriffe gegen mich wie ein Angriff meinerseits gegen sie wäre, zu einer Zeit, da sie selbst verfolgt wurden, was wiederum bedeuten würde, dass ich dem Feind in die Hände arbeitete. Dieser Einwand schien mir klar verständlich zu sein, und ich hatte gedacht, er würde die Diskussion darüber zwischen uns beenden. Aber jedes Mal, wenn ich Joe aufsuchte, kam er darauf zurück, als ob irgendetwas ihm so sehr zusetze, dass er es einfach nicht bleiben lassen konnte. Über diese Angelegenheit sollten wir unsere erste und letzte scharfe Auseinandersetzung haben: Ich sagte, wir verschwendeten nur unsere Zeit, denn ich würde meine Ansicht nicht ändern. Er erklärte, dass James Wechsler von der New York Post ein guter alter Freund von ihm sei, mit dem er über meinen Fall gesprochen hätte. Ich unterbrach ihn viel zu scharf mit den Worten, dass ich Wechsler noch nie begegnet sei, dass ich seine Schreiberei nicht möge und keinen Rat von ihm haben wolle. Wir diskutierten darüber so lange, bis ich sagte, Joe sollte endlich aufhören, mich zu analysieren, ich brauchte keinen zweiten Analytiker, sondern einen Rechtsanwalt. (Nach meiner Erfahrung verhalten sich heutzutage die meisten Rechtsanwälte wie Psychoanalytiker, was sie lieber unterlassen sollten.) Rauh gefiel meine Attacke gegen seinen Freund Wechsler nicht, aber als Wechsler später vor den Ausschuss zitiert wurde, wird Joe auch nicht gefallen haben, dass sein Freund nicht nur ein freundlicher Zeuge war, sondern auch noch gewichtige religiöse Gründe für sein Tun anführte.
Rauh bat um Aufschub für mein Erscheinen vor dem Ausschuss, der auch gewährt wurde. Während dieser Zeit bot ich die Farm zum Kauf an. Das tat Hammett und mir natürlich sehr weh, aber wir redeten nicht mehr darüber, nachdem wir einmal den Entschluss gefasst hatten. Während ich im Hause umherging und die Dinge markierte, die verkauft oder eingelagert werden sollten, schmiedete Dash Pläne für die Zukunft - also für die Zeit nach Verbüßen meiner Gefängnisstrafe. Manchmal planten wir Ferien auf einem Segelboot, manchmal eine dreimonatige Angeltour, oft dachten wir an eine billige Hütte an der Küste von Maryland, von wo er herkam, die wir vielleicht nach einer Weile würden kaufen können. Einmal, als es mir zu gut ging, versprach ich ihm sogar, mir die Aleuten anzusehen, wenn er im Gegensatz einwillige, eine Flusskrebsfarm in den Louisiana Bayous, den sumpfigen Altwassergebieten in Louisiana, nicht von vornherein abzulehnen.

Absatz 5

Clifford Odets und ich hatten unser Theaterdebüt ungefähr um dieselbe Zeit. In den Jahren zwischen 1935 und 1952 hatten wir uns wohl vier- oder fünfmal getroffen, aber nachdem er nach Hollywood gezogen war, hatte ich ihn nicht mehr gesehen. In der ersten Märzwoche rief er mich aus New York an, um zu fragen, ob wir nicht zusammen Abend essen könnten. Das kam mir merkwürdig vor, da er mich noch nie angerufen hatte. Ich hatte keine große Lust, aber nach seiner dritten und ziemlich eindringlichen Einladung trafen wir eine Verabredung. Der Abend war so seltsam, dass ich in meinem Tagebuch im März 1952 eine lange Eintragung machte. Ich gebe sie hier wieder:
Wir trafen uns bei Barbetta; bestellten ein Abendessen, das genau so lausig war, wie ich es erwartet hatte, und einen schlechten italienischen Wein. Es dauerte nicht lange, bis ich den Grund für die Verabredung erfuhr. Clifford sagte: »Hast du dir überlegt, was du tun wirst, wenn du vor den Ausschuss geladen wirst?«
Ich hatte nicht die Absicht, ihm zu erzählen, dass ich die Vorladung schon bekommen hatte. Deshalb entgegnete ich: »Ich denke schon. Aber man macht immer Pläne und hofft dann, dass man sie auch ausführt, manchmal macht man das auch, manchmal nicht.«
Cliffords Erwiderung konnte ich nicht verstehen, weil der Mann am Nebentisch gerade zu zwei anderen Männern und einer Frau sagte: »Ich rasierte mich. Und wisst ihr was? Sie war so betrunken, dass sie ihre Brustwarze für eine Narbe auf ihrem Bauch hielt!«
»Ich habe sie noch nie gesehen«, sagte einer seiner Gefährten.
»Das lässt sich leicht arrangieren, wenn du nichts gegen Frauen mit Brustwarzen auf dem Bauch hast«, entgegnete der erste Mann.
Ich musste lachen. Worüber Clifford sich anscheinend ärgerte, denn er sagte scharf: »Du hast wohl nicht zugehört.« - »Nein. Tut mir leid.«
»Ich habe gesagt, dass es gefährlich ist, so zu denken. Man sollte gut wissen, was man sagen und tun wird, bevor man dort hin muss.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, aber der Kellner kam gerade mit unserem Essen. Clifford legte den Finger auf die Lippen, damit ich nichts sagte, und begann zu pfeifen, bis der Kellner fortging.
»Was hast du gemeint?«
»Wozu?«, wich ich aus. Ich mochte diese Unterhaltung nicht.
»Dass du nicht weißt, was du tun wirst, wenn der Ausschuss dich vorlädt.«
Ich entgegnete, das hätte ich gar nicht gesagt, man könne durchaus wissen, was man tun will, aber eben nicht sicher sein, wie man sich dann real unter Druck verhalten wird.
»Das ist eine sonderbare Einstellung«, sagte Clifford, »vielleicht, weil man dich noch nie unter Druck gesetzt hat.«
»Das stimmt nicht. Ich war während des Bürgerkriegs in Spanien, in Russland an der Front, in London während der V2-Angriffe...«
»Hast du damals auch nicht gewusst, wie du dich verhalten sollst?«
»Manchmal ja, manchmal nicht. Einmal habe ich gut zwei Minuten lang bei einem V2-Angriff geschrien und konnte mich nicht beruhigen. Und einmal in Russland gab man mir ein Fernglas, damit ich mir durch den Ausblick eines Unterstandes die Deutschen anschauen konnte, die nur ein paar hundert Meter entfernt waren, und ich hielt das Glas genau ins Licht und löste damit ein Sperrfeuer der Deutschen aus.«
»Das war nicht besonders klug«, sagte Clifford.
»Genau das habe ich damit gemeint. Ich war ungeschickt, und das hätte um ein Haar sechs von uns das Leben gekostet. Das wollte ich damit ausdrücken: Wie kann man vorher wissen, wie dämlich man sich anstellen wird?«
Er klopfte mit den Fingern auf den Tisch. Es lief nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. »Das meine ich ja gar nicht. Ich spreche von politischen und moralischen Überzeugungen.«
»Ich spreche nicht gern über Überzeugungen«, erklärte ich. »Ich bin nie sicher, ob ich auch die Wahrheit sage.«
»Aber Hammett hat Überzeugungen«, entgegnete er. »Ich weiß nicht viel über ihn, aber ich bewundere ihn.«
Wie nett, hätte ich ihm gern geantwortet, aber Hammett bewundert dich nicht. Ich erinnerte mich an einen Abend vor langer Zeit, als wir uns Awake and Sing (Wach auf und singe) ansahen und Hammett, ziemlich betrunken, mich dauernd zum Gehen drängte. Als wir draußen waren, sagte ich, mir hätte das Stück gefallen, warum ihm nicht, und er antwortete: »Weil ich nicht glaube, dass Schriftsteller, die darüber jammern, dass sie als Kind kein Fahrrad hatten, es je zu irgendeiner Bedeutung bringen werden.«
Aber das erwähnte ich nicht, und Odets und ich unterhielten uns eine Weile über seine Kunstsammlung, bis er mich plötzlich zu Tode erschreckte. Er schlug so fest auf den Tisch, dass sein Weinglas überschwappte, und schrie: »Also ich kann dir sagen, was ich diesen Hurensöhnen vom Ausschuss erzählen werde! Ich werde ihnen das Gesicht eines radikalen Mannes zeigen und ihnen sagen, sie sollen sich doch einen abwichsen!« Ich weiß nicht, was mich am meisten beeindruckte: sein heftiger Schlag auf den Tisch oder der mutige Aufschrei, nach dem sich die Köpfe an den Nebentischen zu uns wandten.
Ich besitze keine weiteren Tagebucheintragungen über diesen Abend. Doch die Geschichte hat ein unerfreuliches, rätselhaftes Ende: Odets, der einen Tag vor mir vor dem Ausschuss erscheinen musste, entschuldigte sich für seine alten Überzeugungen und bezeichnete viele seiner alten Freunde als Kommunisten. Daher verstehe ich bis heute den Sinn jener Unterhaltung bei Barbetta nicht. Vielleicht glaubte er an jenem Abend selbst, was er mir erzählte. Man kann nur vermuten, dass er angesichts des drohenden Endes seiner Hollywood-Karriere ein paar Wochen später seine Ansicht änderte. Die alten Klischees wurden zunehmend Wirklichkeit; der Verlust eines Swimmingpools, eines Tennisplatzes, einer Gemäldesammlung und andere künftige Entbehrungen waren eine mächtige Bedrohung für viele. Die Bosse der Filmstudios wussten das und spielten es schamlos aus.
Ein paar Wochen nach meinem Essen mit Odets erzählte mir Elia Kazan, den alle »Gadge« nannten, Spyros
Skouras[6] habe ihm gesagt, dass er, Kazan, nie mehr einen Film in Hollywood machen könne, wenn er nicht das werde, was man einen »freundlichen Zeugen« für den Ausschuss nannte. Aber bevor er mir das sagte, hatten wir eine eigenartige halbe Stunde im Oak Room des Plaza verbracht. Ich konnte nicht verstehen, um was sich Gadge herumdrückte - er war sonst nicht so zurückhaltend -, und deshalb stand ich unter dem Vorwand auf, dass ich zu telefonieren hätte, und rief meinen Theaterproduzenten Ker-mit Bloomgarden an, der auch den Tod des Handlungsreisenden mit Kazan als Regisseur aufgeführt hatte. (Kermit und Gadge kannten sich seit ihrer Jugend, während ich Kazan nie besonders gut kannte.) Ich erklärte Kermit am Telefon, ich verstünde nicht, warum Kazan mich zu einem Drink eingeladen habe und was er mir beizubringen versuche.
»Er will dir bestimmt erklären, dass er ein freundlicher Zeuge werden wird. Er hat es mir heute Morgen auch zu verstehen gegeben.«
Als ich vom Telefon zurückkam, plauderten wir ein paar Minuten, und dann schützte ich eine dringende Verabredung vor. Wir standen im Regen vor dem Plaza und warteten auf ein Taxi. Da ich nicht mehr reden wollte, standen wir schweigend da, bis Kazan sagte: »Du kannst es dir sicher leisten, zu tun, was du willst. Wahrscheinlich hast du alles ausgegeben, was du bisher verdient hast.«
Noch Wochen danach zerbrach ich mir über diese Bemerkung den Kopf. Wahrscheinlich drückte er damit nur aus, was meine reiche  Großmutter ihren weniger betuchten Freunden oder Verwandten zu verstehen gab, und was ich sie einmal zu ihrem Chauffeur sagen hörte, dessen Namen sie von Fritz in Hai umgeändert hatte: »Sie brauchen sich um nichts Sorgen zu machen. Geld ist keine Bürde für Leute, die keins haben.«
Die Angstpsychose der Filmbosse war schon ein alter Hut, als Kazan und ich uns im Frühjahr 1952 trafen. Sie hatte bereits vor ihrem berühmten Treffen im Jahre 1947 im Hotel Waldorf-Astoria angefangen. Damals kamen sie, in einer Art schläfrigen Hysterie zusammengerufen, auf Initiative von Kräften, die sich heute nicht mehr mit Sicherheit ausmachen lassen, um der Öffentlichkeit in einer äußerst konfusen Verlautbarung zu versichern, dass sie wohl fest an das Recht des Amerikaners auf eine abweichende Meinung glaubten, dass sie jedoch eine abweichende Meinung, die ihnen nicht passte, nicht dulden würden.[7] Man sagte damals, abgesehen von einem Studioanwalt sei niemand gerissener als ein anderer Studioanwalt.
(Wahrscheinlich wurde bei dieser Waldorf-Konferenz beschlossen, was später in Hollywood als der Eid der American Legion[8] bekannt wurde. Dieser Eid sollte den Studioangestellten abverlangt werden. Aus der Bezeichnung geht hervor, dass Vertreter der American Legion in irgendeiner Form beteiligt gewesen sein müssen, entweder durch ihre Anwesenheit während, wahrscheinlich aber eher durch Besuche vor und nach der Waldorf-Konferenz, ich habe vierzehnmal versucht, ein Exemplar dieser berühmten Erklärungen aufzutreiben, von denen ich weiß, dass sie existieren, weil ich auch aufgefordert wurde, eine zu unterschreiben. Keine der vierzehn Personen, die ich gefragt habe, hat abgestritten, dass eine derartige Erklärung von ihnen verlangt und ausgefertigt wurde. Aber auch die umfangreichste Nachforschung hat keine solche Erklärung zu Tage gefördert, vielleicht weil kein Verfasser das öffentlich zugeben will oder auch weil die gegenwärtigen Rechtsabteilungen der Studios heute keinen besonderen Wert mehr darauf legen, vielleicht sogar ihre Legalität anzweifeln. Ich kann nur eines sicher sagen: Jedes Studio verlangte von seinen Angestellten, eine Erklärung zu schreiben, in der sie an Eides statt versichern mussten, dass sie keine Kommunisten seien, keine Verbindung zu Radikalen unterhielten und dass sie, falls sie in der Vergangenheit gewisse Organisationen - Hilfe für spanische Flüchtlinge usw. - finanziell unterstützt hätten, dies jetzt bedauerten und diesen Fehler nicht wiederholen würden.) Ich glaube nicht, dass die Leiter der Filmgesellschaften und die von ihnen ernannten Studiobosse sich jemals vorher als amerikanische Staatsbürger mit ererbten Rechten und Pflichten gefühlt haben. Viele von ihnen waren in fremden Ländern geboren und hatten fremde Ängste geerbt. In Russland oder Polen wäre es nicht möglich gewesen, den Kosaken einen Teller Hühnersuppe anzubieten, doch hier ging das. Allerdings ritten die Kosaken in Washington mittlerweile so schnell und rücksichtslos, dass die Suppe schon sehr kräftig sein und von eilfertigen Millionärs-Kellnern serviert werden musste.
Doch   schon lange  bevor die Studios von Politikern und von der American Legion unter Druck gesetzt wurden, rissen Autoren und Regisseure Witze über die dort herrschende Ängstlichkeit und erzählten einander nette Geschichten, in denen Drehbücher oder Rohschnitte geändert werden mussten, weil einem zwölfjährigen Sohn oder einer achtzehnjährigen Geliebten irgendein Drehbuch oder Rohschnitt eines Films nicht gefallen hatten. Da gab es zum Beispiel Ende der dreißiger Jahre einen berühmten Krisenfall bei Metro-Goldwyn-Mayer. Sie hatten eines ihrer großen Musicals in San Francisco in einer Vorpremiere gezeigt. Es war damals wie heute üblich, an die Zuschauer Postkarten zum Ausfüllen zu verteilen, um sie über ihre Meinung zu dem gerade gezeigten Film zu befragen. Eine der Befragten schrieb, sie fände den Film zwar wunderschön, sei aber entsetzt, dass bei einem der Auftritte des Schauspielers Frank Morgan sein Hosenschlitz weit offen gestanden habe. Diese Postkarte bewirkte eine derartige Bestürzung, dass die Premiere des Films verschoben wurde und sich alle Mitarbeiter des Studios, in Berufsgruppen aufgeteilt, den Streifen eine Woche lang mehrmals täglich im Vorführraum ansehen mussten. Jedem, der Mr. Morgans offenen Hosenschlitz entdecken könne, wurde eine Belohnung versprochen. Später stellte sich heraus, offenbar weil diese große Heldin ihren Mund nicht halten konnte, dass die abgelegte Geliebte eines leitenden Angestellten der Metro diese Postkarte geschrieben hatte.
Man sollte sich gelegentlich daran erinnern, wie diese schwerreichen Filmleute damals waren, denn ich zweifle daran, dass sich in dieser Beziehung etwas geändert hat. (Nur ihre Zahl hat sich vergrößert, da heute die Agenten sie oft an Geld und Macht sogar noch übertreffen.) Hollywood lebte damals so, wie die arabische Welt es heute anstrebt; und während nichts sonderbar ist an Leuten, die einander im Erwerb großen Landbesitzes zu übertreffen versuchen, ist doch manches befremdlich an Leuten, die miteinander um den Besitz des schönsten Badezimmers wetteifern. Es ist kaum anzunehmen, dass solcher Luxus etwas mit den normalen Vorgängen der Darmentleerung oder des Badens zu tun hat. Es ist sogar möglich, dass die Exkremente es gar nicht schön finden, auf so bombastische Art abgeführt zu werden, und es daher vorziehen, sich in der Seele einzunisten.
In jenen Tagen war es geradezu berauschend, William Faulkner oder Nathanael West oder Aldous Huxley herumzukommandieren. Gatsby und seine Ambitionen waren kleine Fische im Vergleich mit jenen noch größeren Gatsbys; sie verlangten nicht nach Liebe oder Daisy, sie verlangten Macht und jede Woche eine neue Daisy. Aber Naturen wie Samuel Goldwyn, Louis Mayer, Harry Cohn und dergleichen, ihre Ratgeber und Rechtsanwälte, sind wirklich nicht besonders interessant; in Wirklichkeit sind sie alle der gleiche Typ mit geringen Abweichungen und Eigenarten. Gewiss besaßen sie Kraft und Mut, aber zur Zeit McCarthys waren sie älter und müder geworden. Drohungen, über die sie früher vielleicht beim Rommespiel gelacht hätten, erschienen ihnen jetzt als Gefahr für ihr Vermögen. Die Filmproduzenten wussten sehr wohl, dass die Kommunisten in Hollywood niemals auch nur einen einzigen kommunistischen Film gedreht hatten, aber sie waren bereit, den Betrüger für jene zu spielen, die diese Gefahr als existent hinstellten. Tausende von Protestbriefen gegen den Hollywood-Radikalismus überfluteten Hollywood; in den Studios wusste man zwar, dass sie fast alle gefälscht oder auf Befehl geschrieben worden waren. Aber man redete sich ein, dass da die Stimme Amerikas sprach, und bis zu einem gewissen Grad stimmte das ja auch. Natürlich waren die finanzstarken Bosse nicht die einzigen, die sich vor Drohungen duckten, statt sie zu prüfen und zu vergessen. Harry Cohn erzählte mir, er freue sich darüber, wie viele Autoren, Regisseure und Schauspieler freiwillig ihre Hilfe angeboten hätten. Und er sagte die Wahrheit: Man drängte sich förmlich, als hilfreicher Zeuge gegen seine Kollegen auszusagen, in den Dramen mitzuspielen, die der Kongressausschuss sehen wollte.
Auf jeden Fall war die Schwarze Liste 1947 noch nicht voll wirksam, denn Harry Cohn von der Columbia-Filmgesellschaft bot mir den Vertrag an, den ich mir immer gewünscht hatte: Ich durfte vier Filme schreiben und produzieren, wann immer ich eine mir passende Geschichte fände, und dabei die Kontrolle über die endgültige Fassung haben. (Das war damals fast unerhört, und auch heute wird einem das nur selten gestattet.) Es war wirklich ein ausgezeichneter Vertrag, ohne Einmischung jederzeit innerhalb von acht Jahren jeden Stoff, der mir zusagte, verarbeiten und produzieren zu dürfen! Mir wurde fast eine Million Dollar zugesagt, ich durfte daneben Theaterstücke oder etwas anderes schreiben und zwischendurch umher-reisen, ohne dass mir jemand Fragen stellen würde. Harry und ich hatten denselben Rechtsanwalt, Charles Schwartz, aber das war in Ordnung, denn Charlie war ein anständiger Mann. Als der Vertrag fertig war, rief Charlie mich an, erklärte, dass er die Kopien jetzt zu Harry hinaufschicken würde, und ob ich rübergehen und sie mit Harry durchsehen wollte?
»Ich sollte dich warnen«, fügte Charlie hinzu. »Harry könnte dir einen Zusatzparagraphen vorlegen. Er muss das tun, und ich rate dir, keinen Aufstand deswegen zu machen. Neuerdings verlangt man das von jedem.«
Ich nahm an, dass die neue Klausel etwas mit Geld zu tun haben müsse, und dachte nicht weiter darüber nach.
Als ich Harrys Waldorf-Towers-Apartment betrat, sagte mir seine Sekretärin, er würde in ein paar Minuten wieder oben sein, da sie gerade ihre Konferenz unten beendeten. Ich wusste zwar nicht, was für eine Konferenz sie meinte; aber man wartet praktisch immer auf Filmleute, die gerade von einer Konferenz kommen. Harry erschien nach ungefähr einer halben Stunde, begrüßte mich herzlich und ging sofort ans Telefon. Er telefonierte immer noch, als ich auf einen Paragraphen stieß, der dem Vertrag beigefügt war. Ich überflog ihn ungläubig, las weiter, blätterte zurück und las ihn noch einmal. Harry führte ein neues Telefongespräch, als ich anfing, im Zimmer auf und ab zu gehen. Dabei beobachtete er mich, und ich bekam das Gefühl, dass er telefonierte, um nicht mit mir reden zu müssen, denn er deutete auf einen Tisch, hielt einen Stift hoch, machte eine Geste des Unterschreibens und telefonierte weiter. Als er endlich fertig war, sagte ich: »Die Bedingungen sind gut, Harry, genauso, wie wir's besprochen haben, aber was soll dieser neue Mischmasch-Zusatz bedeuten?«
»Hör zu«, sagte er, »glaubst du, mir haben die zwei Tage Spaß gemacht, die ich unten verschwenden musste? Ich bin ein Einzelgänger. Ich mag keine Diktatur. Also lass mich in Ruhe, ja?«
Ich entgegnete, ich wüsste nicht, wovon er rede, von welcher Konferenz da unten, aber wir wurden von einem neuen Telefonanruf unterbrochen und dann von einem Kellner, der eine Thermosflasche mit heißer Milch und ein Hühnersandwich brachte - ich kann mich nicht an Harry Cohn ohne Hühnersandwich erinnern -, und dann erzählte er mir eine Menge Anekdoten aus seiner Vergangenheit, wohl in dem Bestreben, der Gegenwart auszuweichen. Die Gegenwart gefiel Harry nicht besonders: Wie er mir erzählte, waren zur Konferenz unten sämtliche Studiobosse aus Hollywood gekommen, um zu beschließen, dass jeder von ihnen Beschäftigte etwas im Sinne jener Klausel, die ich gerade gelesen hatte, abzufassen und zu unterschreiben habe. In gereizten, wirren Worten erwähnte Harry an jenem Tag die American Legion und »Männer« aus Washington, Leute mit irgendwelchen Dokumenten, Banker und deren Anwälte, die Anwälte des »Ausschusses« und viele andere, die er vielleicht richtig erkannte, vielleicht aber auch nicht in seiner hochgradigen Verärgerung darüber, dass man ihm Vorschriften machte und ihn belästigte. (Später hörte ich dann, dass er auf der Konferenz selbst keine Einwände erhoben hätte. Samuel Goldwyn war der einzige Produzent, der sich weigerte, seinen Kollegen zuzustimmen. Man könnte annehmen, dass dies ein Votum für die Freiheit gewesen sei; doch die meisten Leute, die ihn gut kannten und zu denen auch ich gehöre, wussten, dass er grundsätzlich gegen Gruppenbeschlüsse stimmte.) Während Cohn redete, las ich wieder und wieder das beigefügte Papier durch. Darin wurde ich aufgefordert, mit eigenen Worten eine Erklärung abzugeben und zwar, so »schlug man mir vor«, in Form der alten Moralklausel: dass meine Handlungsweise und meine Lebensführung dem Studio keine Unannehmlichkeiten bereiten dürften - aber diesmal waren damit nicht Trunkenheit, Schlägereien oder Mord gemeint, sondern einfach die Tatsache, dass mein politisches Verhalten sie nicht in Verlegenheit bringen oder ihnen Ärger oder Proteste von irgendwelcher Seite einhandeln durfte. (Ich drücke das hier milder aus, als es war; in Wirklichkeit war es das strikte Verlangen, dass nichts, woran man glaubte, wofür man handelte, was man unterstützte oder dem man sich anschlösse, von dem abweichen dürfe, was das Studio gestattete.) Ich begann eine Rede über die Verfassungsrechte und fragte, für wen sie sich eigentlich hielten, aber Harrys Sorgen verschlugen mir bald die Sprache: Er rief den Zimmerservice an und beschwerte sich, dass das Hühnersandwich vor Trockenheit stinke, ließ sich zwei offenkundig unwichtige Telefongespräche durchstellen, und für fünf Minuten erschien ein hübsches Mädchen aus dem Nichts und hatte nichts zu sagen. Ich war erschöpft.
»Harry«, sagte ich, »wie du weißt, lebe ich mit Dashiell Hammert zusammen. Ich glaube nicht, dass er beabsichtigt, auf dem Dachboden zu leben und nachts an der Kette ausgeführt zu werden.«
»Guter Schreiber«, meinte Harry, »wollte ihn schon seit Jahren anstellen.«
»Ruf ihn an«, entgegnete ich, »spar dir die Schleimerei vom guten Schreiber und erzähl ihm vom Dachboden.«
»Ach«, sagte er, »du suchst doch nur Schwierigkeiten.«
»Und ich kenne viele Leute, die ich auch in Zukunft kennen und mit denen ich essen gehen möchte...«
»Dann geh doch mit ihnen in ein kleines, nettes Lokal in Santa Monica essen. Ist sowieso besser und billiger als im Romanoff oder'im Chasen...«
»Harry«, sagte ich, »ich werde keine solche Erklärung schreiben. Bitte hör auf, das zu verlangen.«
»Das kann ich nicht. Dann war' ich dran. Schreib es, unterzeichne den Vertrag und vergiss es.«
»Ich werde nicht unterschreiben«, entgegnete ich, »und du hast schon gewusst, dass ich es nicht tun würde, als ich herkam. Es ist eine Schande.«
Als ich zur Tür ging, sagte Harry: »Du nimmst die Dinge zu ernst. Ruf mich morgen Vormittag an, Kindchen.«
Ich sollte Harry Cohn neun oder zehn Jahre lang nicht wiedersehen, bis wir uns auf einem Flug von Los Angeles nach New York begegneten. Er bestieg natürlich als erster das Flugzeug, sechs oder sieben Männer folgten ihm. Als ich an ihm vorbei zu meinem Platz ging, schüttelten wir uns die Hand, murmelten etwas über die vielen Jahre, und er meinte, ich würde immer jünger und er immer älter und was man alles bei so einer Gelegenheit sagt. Zur Essenszeit schickte er jemanden mit der Einladung zu mir nach hinten, ich möchte ihm doch Gesellschaft leisten, er hätte sein eigenes Essen mitgebracht, das sei viel gesünder als der Dreck hier im Flugzeug. Zwei seiner jüngeren Angestellten hoben den größten Picknickkorb von der Gepäckablage herunter, den ich je gesehen hatte. Er war gefüllt mit vierzig oder fünfzig feinen, dünnen Hühnersandwiches, gekühltem Weißwein, Vollreifen Melonenschnitzen, umwickelt mit Prosciutto, selbst eingelegtem Essiggemüse, großen Pfirsichen und wunderbaren Walnussplätzchen. Der Korb enthielt genug für zwanzig Leute, und Harry und ich machten kein auffälliges Loch in den Vorrat. Harry rief einem Lou zu, dass er jetzt die Teeflaschen bringen solle, und als Lou erschien, um unseren Korb zu schließen und einen anderen hinzustellen, beugte er sich vor, um sich eines der vielen Hühnersandwiches zu nehmen. Aber Harry machte eine Faust und ließ sie heftig auf Lous Hand niedersausen.
»So eine Chuzpe«, sagte er zu mir, und zu Lou meinte er: »Fall nicht aus der Rolle, Freundchen.«
Ich weiß nicht, ob Freundchen je wieder aus der Rolle gefallen ist, denn bei dieser Gelegenheit habe ich Cohn zum letzten Mal gesehen. Wann er gestorben ist, weiß ich nicht mehr genau, aber man erzählte sich damals eine nette Geschichte, die dem Regisseur George Jessel zugeschrieben wird. Jessel und ein Freund standen vor der Leichenhalle. Die Reihe der Trauernden war lang.
Der Freund sagte: »Ich hab' noch nie ein solches Gedränge bei einer Beerdigung erlebt.«
Jessel meinte: »Die alte Geschichte: Zeig den Leuten, was sie sehen wollen, und das Theater ist voll.«