Vorwort

Zumindest auf den ersten Blick handelt Djuna Barnes zuwider, wer versucht, sich ihr über ihre Biographie zu nähern, das heißt, Fakte ihres Lebens und private Äußerungen heranzuziehen, um sie als Schreibende und das, was sie geschrieben hat, zu verdeutlichen oder gar zu >erklären<. Sie wollte einzig aus ihren literarischen Arbeiten verstanden und gedeutet werden. Interviews und Fragen nach ihrer privaten Existenz lehnte sie ab. Das Geschriebene sei allemal - und in ihrem Fall besonders - verarbeiteter Lebensstoff, enthielte die eigentliche Antwort, die sie auf die Herausforderung des Lebens zu geben hatte. Auf das >Rohmaterial, zurückzugreifen, erschien ihr so müßig wie Penelopes Aufräufeln der von ihr gewebten Gewänder. Es gibt mehrfache autentische Zornesäußerungen über den Versuch solcher Rückgriffe und Rückfragen. »Why stir it all up again...?« Warum die schlafenden Hunde wecken, die in der literarischen Form gebannten Erfahrungen und schlimmen Verletzungen aus dieser - ihnen einzig angemessenen - Existenz wieder herausbrechen? Andererseits: Djuna Barnes hat 1913 - nach einigem Zögern - ihren Nachlaß der McKeldin Library der University of Maryland übertragen und ihn damit fremden Augen und künftigen Deuttungen ausgesetzt. Dieser Nachlaß, der, vor allem durch die Verluste in Paris und nach dem Zweiten Weltkrieg, Lücken aufweist, besteht zum größeren Teil nicht aus unveröffentlichten oder bereits publizierten - Manuskripten, Werkstattnotizen und Werkvarianten, auch nicht aus kontinuierlich geführten Tagebüchern, sondern aus Korrespondenzen - einigen professionellen und überwiegend privaten - die, oft in erstaunlicher Dichte und Kontinuität, fast durch die ganze Lebenszeit der Autorin führen.
Briefe sind ein authentisches und hervorragendes biographisches und zeitgeschichtliches Material. Duja Barnes hat nicht verhindert, daß Spätere, Berufene und Unberufene, Einblick in sie nahmen.Aber sie war sich der Gefahr der Mißdeutung und gar der Ausbeutung ihres privaten Lebens bewußt und hat sich gelegentlich besorgt gefragt, was spätere Leser wohl daraus machen, welche Schlüsse sie ziehen würden. Ehe die Korrespondenzen, zumindest in einer sinnvollen Auswahl, sorgfältig ediert vorliegen, kann man sie nur mit großer Vorsicht zur Interpretation von Leben und Werk verwenden.
Im übrigen kann für Djuna Barnes und ihr CEuvre Goethes Erkenntnis aus dem Westöstlichen Divan gelten: »... Dichter ist umsonst verschwiegen / Dichten selbst ist schon Verrat.« Sie >verrät< sich trotz ihrer Verschwiegenheit, trotz aller Verfremdung des Lebensrohstoffs in ihrer poetisch weit ausgreifenden, in alte Sprachschichten und Dichtungsformen parodistisch zurückgreifenden Sprache - der Sprache ihrer Figuren. Ihre Kindheit und Jugend - so oft das unerschöpfliche Reservoir für den Dichter, den Schriftsteller - läßt sie nicht los: frühe Erfahrungen in der Familie auf dem Lande liegen ihrem ersten Roman Ryder (englisch 1928, deutsch 1986), spätere in New York und Paris ihrem Opus magnum Nightwood (englisch 1936, deutsch Nachtgewächs 1959) und vielen ihrer Erzählungen zugrunde. Ihr Alterswerk, das Drama The Antiphon (englisch 1958, deutsch Antiphon 1972), verdichtet das Kernerlebnis ihrer Jugend zur Mutter-Tochter-Tragödie. Man erläge allerdings einem fatalen Irrtum, wollte man aus den Figuren und den Handlungsabläufen dieser Werke das >wirkliche Leben< der Djuna Barnes rekonstruieren. Der verfremdende und befreiende Vorgang der Dichtung ist nicht reversibel. Es ist immer die Frage, wie mit biographischem Material umgegangen wird: ob der Biograph darauf aus ist, den Autor eines Schlechteren zu überführen, ihn >auch nur als Mensch< zu zeigen, ihm vor allem seine (Selbst-)Täuschung, sein make-believe nachzuweisen, oder ob er - der Lebensspur aufmerksam folgend und die Diskrepanz zwischen Leben und Werk wahrnehmend - davon überzeugt ist, daß das >Gedichtete< so oder so, das letzte Wort haben muß. Es kann durchaus geschehen, daß bei diesem Verfahren Fragen entstehen oder offenbleiben, die auch die private Lebensnotiz nicht beantworten kann.
Ich war bei diesem Versuch einer biographischen Annäherung, der nicht den Anspruch stellt, das Leben der Djuna Barnes lückenlos auszubreiten, auf Werk und Nachlaß, auf die Äußerungen der Zeitgenossen und Sekundärliteratur angewiesen.Was die Wiederentdecker der >berühmtesten Unbekannten ihrer Zeit< aus unmittelbarer Kenntnis zu Djuna Barnes eingebracht und notiert haben - ihr Abbild also als sehr Alte in den sehr viel jüngeren - ist für die Weiterwirkung der Dichterin zweifellos ein stimulierender Beitrag. Für die Annahme ihres Werkes ist, zumindest was Inhalt und Problematik angeht, heute eine größere Bereitschaft zu erwarten: Vieles, was bei dessen Erscheinen noch >extravagant< war, ist heute, wenn nicht die Norm, so doch weitaus selbstverständlicher. Allerdings ist der literarische Anspruch, besonders ihrer reifen und späten Arbeiten, kaum geringer geworden.
Bei allem Bemühen um genaue Information bleibt dieser Annäherungsversuch an Djuna Barnes eine subjektive Aussage. Sie ist auch bestimmt durch die Zugehörigkeit der Verfasserin zu der zwischen den Kriegen aufgewachsenen Generation: durch die zeitliche Nähe, die noch nicht historische, aber Erlebnis-Distanz zum Auf- und Ausbruchsversuch der zwanziger Jahre aus den >bürgerlichen< Überhängen und Zwängen der Vorkriegszeit und der Desillusion des ersten großen Krieges. Unsere Jugend war durch das Gegenteil geprägt: den Einbruch in die >Moderne<, den Abbruch internationaler Entwicklungen im Nationalsozialismus und durch den diese Zäsur festschreibenden Zweiten Weltkrieg. Das charakterisiert gewiß Standort, Blickpunkt und Interpretation. Ich habe mich bemüht, allen aufmerksam zuzuhören: den Freunden und Zeitgenossen der Dichterin (von den zwanziger bis in die vierziger Jahre und später), die uns gerade in neuester Zeit eine überraschende Fülle autobiographischer Mitteilungen und Erinnerungen von allerdings unterschiedlichem Wert beschert haben, den Analysen und Deutungen ihres Werkes. Den Beobachtungen, Erfahrungen und Darstellungen der Jüngeren. Ihr selbst vor allem.

Ich danke allen, die dazu beigetragen haben, dieser Lebens-Skizze von einer noch weithin Unbekannten authentische und glaubhafte Züge zu geben: vor allem der Leiterin der Abteilung >Manuscripts and Rare Books, in der McKeldin Library der University of Maryland, Mrs. Blanche Ebeling-Koning, und ihren Mitarbeitern, die mir bei Auswahl und Reproduktion des Nachlaßmaterials wochenlang geduldig halfen, und dem Verlag Klaus Wagenbach, der mir viele Zugänge zu der dem Thema benachbarten Literatur erleichterte.
Ausdrücklich zu danken ist an dieser Stelle auch den Übersetzern: Karin Kersten für die meisten im Verlag Klaus Wagenbach erschienenen erzählerischen und journalistischen Arbeiten, einschließlich Ladies Almanack, Henriette Beese für den Roman Ryder, Wolfgang Hildesheimer für den Roman Nightwood, Christine Koschel und Inge von Weidenbaum für das Schauspiel Antiphon (die letzten drei Titel erschienen im Suhrkamp Verlag) und weitere erzählerische und journalistische Texte. Ihre immer einfühlende, oft kongeniale Übertragung der Werke von Djuna Barnes ins Deutsche macht diesen biographischen Versuch erst sinnvoll.
Kyra Stromberg

VORWORT ZUR ÜBERARBEITETEN NEUAUFLAGE

»... wenn ein Leben phantastischer ist als das meiste an fiktiver Literatur ... so ist dies eine Herausforderung für das biographische Genre als solches. Braucht ein avantgardistischer Autor unbedingt eine avantgardistische Biographie? Muß eine Biographie, die konventionellen Mustern folgt, dem darstellerischen Impetus, - dem Leben und Werk Djuna Barnes offenbar gehorchten, - unvermeidlich Gewalt antun? Sollte der Biograph (die Biographin) äußerst bedrückende, gewisse Grenzen verletzende Lebensmaterialien aufs Neue hervorholen und bekannt machen oder sie auf sich beruhen lassen?« so fragt Margot Norris, die, Verfasserin eines kritischen Essays [1] zu den anfangs heftigen Auseinandersetzungen um die Djuna-Barnes-Biographie von Phillip Herring, die 1995 in Amerika erschien. Sie attestiert ihm eine vorsichtige und diskrete Auswahl aus dem ihm zugänglichen Material und fügt hinzu: »All diese Fragen haben auch eine ethische Dimension.«
Alle diese Fragen sind nicht neu. jede biographische Arbeit wird mit ihnen konfrontiert. Aber selten mit der gleichen Dringlichkeit wie im Falle von Djuna  Barnes, einer - wie sich kaum mehr bezweifeln läßt bedeutenden avantgardistischen Autorin der inzwischen klassischen Moderne mit einem überaus komplizierten Lebenshintergrund.
Abgesehen von der kritischen Ausgabe der ersten Version von Nightwood, hat es im letzten Jahrzehnt keine neuen Originalpublikationen gegeben, sieht man von der Sammlung der kurzen Theaterstücke und den gesammelten Erzählungen ab. Die an ihr interessierten deutschen Leser können sich immerhin über einige kleinere Ausgaben journalistischer und erzählender Texte freuen. Um so üppiger ist in diesem Zeitraum die Sekundärliteratur gediehen, vor allem in Form essayistischer Beiträge zu universitären Zeitschriften und auch zu Sammelbänden, und das deutlich auf dem Boden der feministischen Literaturwissenschaft, der Frauenforschung und der Geder studies, denen die anhaltende Aufmerksamkeit für die amerikanische Autorin kräftige Anstöße verdankt. Die Diskussion ist also lebhaft, kontrovers - und nicht ohne Agression - in Gang gekommen. Nach wie vor geht es vielen Verfasser(inne)n darum, in Djuna Barnes eine lesbische Schriftstellerin zu sehen und alles, was sie geschrieben hat, unter dieser Voraussetzung zu diskutieren. Ich bleibe bei meinem Widerspruch, der sich auf dokumentierte Außerungen von und über Djuna Barnes und auf ihre umfangreiche Korrespondenz stützt, aber auch auf ihr Verhalten Frauen und Männern gegenüber, auf ihre Freundschaften und Liebesverhältnisse. Daß Letztere, ob mit einem Mann oder einer Frau, nie von langem Bestand waren, ist ein persönliches Charakteristikum und hat mit ihrer sexuellen Orientierung nichts zu tun. Sie hat die Möglichkeiten des Weiblichen wie des Männlichen - zumindest für sich selbst neu interpretiert. Es scheint aber so, daß gerade diese freie Selbstinterpretation sie für die nachfolgenden Generationen so attraktiv und schließlich zur >Kultfigur< gemacht hat. Sicherlich sind ihre lesbischen Erfahrungen eine Quelle für ihre genaue Kenntnis der psychologischen Komplexität in Beziehungen zwischen Frauen: der mannigfaltigen Rollenmischung von Mann und Frau und zugleich Mutter und Kind, wie sie sie am dramatischsten in ihrem Verhältnis mit Thelma Wood auslebte und dann in Nightwood im zentralen Figurenpaar Nora und Robin verdichtete. Das andere, den neueren Diskurs zu Djuna Barnes dominierende Thema ist das Jugendtrauma der Vergewaltigung, das Stück ihres bizarren Lebens, das sogar mit ihrer eigenen literarischen Potenz konkurriert, sie immer wieder herausfordert. Ich finde mich von der maßvollen und gut begründeten Darlegung Phillip Herrings bestärkt in meiner Überzeugung, daß nur die authentische und eindeutige Äußerung es erlaubt, eindeutige Schlüsse zu ziehen. Djuna Barnes' eigene Äußerungen gerade zu diesem Thema widersprechen einander, und dieser Widerspruch sollte erkennbar bleiben, was in der feministischen Deutungspraxis, wie mir scheint, nicht immer der Fall ist. Bleibt in diesem Zusammenhang noch die Frage der Diskretion: Soll der Biograph alles an persönlichen Auskünften über seinen Gegenstand hervorholen, heranziehen und bekannt machen, was erreichbar ist, oder darf er einiges auf sich beruhen lassen? Das ist, scheint mir, eine von Fall zu Fall und von Fakt zu Fakt, neu zu treffende Entscheidung, und sie ist abhängig davon, was ihn dazu führt, gerade diesem Leben nachzugehen. Sympathie, jedenfalls Empathie ist dabei unerläßlich, eine Identifikation mit der oder dem Dargestellten aber unerlaubt. Der Gegenstand einer Biographie ist immer ein >anderer<, >eine andere<. Diese Distanz ist nicht aufhebbar. Diskretion heißt ja nicht: Peinliches unter den Teppich kehren, Schwächen verschweigen, Unerfreuliches wegglätten, Zukurzgekommenes überhöhen, Widriges beschönigen. Eine Biographie ist zum Glück keine Hagiographie. Und Diskretion ist nichts anderes als der behutsame Umgang mit dem Persönlichsten der Person, worin immer es besteht. Diese Behutsamkeit muß der Wahrheitsfindung nicht im Wege sein. Die ungebremste Lust an Enthüllung, an Bloßlegung und -stellung, an hämischer Besserwisserei führt kaum zur Wahrheit über eine Person, sondern zu ihrem Zerrbild. Es hat sich gezeigt, daß Djuna Barnes, die facettenreiche Zeitgenossin einer aufgebrachten Epoche, nachhaltig auf das weibliche Selbstverständnis gewirkthbat, obwohl sie keine engagierte Frauenrechtlerin war und jede Gruppierung mied. Sie blieb zeitlebens eine manchmal - und immer seltener - gesellige Einzelgängerin und kannte die Einsamkeit. Sie durchschaute die Absurdität des Menschlichen und begegnete ihr mit Witz und Ironie. Sie konnte hassen und schloß lebenslange Freundschaften. Und sie besaß eine Liebesfähigkeit, die über alle tradierten Geschlechtergrenzen hinausging. Das etwa ist das Bild der großen amerikanischen Schriftstellerin, das diese neuerliche biographische Annäherung zu begründen versucht.
Kyra Stromberg, Berlin 1998/99
Die im Text erscheinenden Zitate wurden - sofern sie nicht in deutscher Übersetzung vorlagen, wie zum Beispiel alle Stellen aus den noch unveröffentlichten Briefen - von der Verfasserin übersetzt. Wo keine Quellen angegeben sind, handelt es sich um unedierte Briefe oder Notizen aus dem Nachlaß.

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