Die so reizende, so irische und so begabte Djuna Barnes kam in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre nach Paris. Sie war ganz entschieden eine der talentiertesten und meiner Meinung nach eine der faszinierendsten Gestalten der literarischen Welt im Paris der zwanziger Jahre.« So erinnert sich die Amerikanerin Sylvia Beach,[1] , mutige Gründerin von Shakespeare and Company in Paris und erste Verlegerin des Olysses von James Joyce, deren Buchhandlung zum Treffpunkt der Literaten und Literaturen wurde. »Djuna war hübsch anzusehen und zugleich sehr damenhaft«, meint ihr Schriftstellerkollege und enger Freund, der Verleger Robert McAllmon, und zählt sie zu den eleganten, geistreichen und schönen Frauen der damaligen Pariser Szene, die es durchaus mit den großen Bühnen- und Revuestars der Epoche aufnehmen könnten. Später mokiert er sich milde über ihre Selbstinszenierung, »ihre capeschwingenden großen Gesten«. »Unberührt, unverdorben und ungelenk« erscheint sie der literarischen >Amazone< Natalie Barney bei einer Lesung ihrer Arbeiten in ihrem Salon, rue Jacob 20. »... ich habe niemals zuvor eine so linkische Autorin vorgestellt, eine, die weniger fähig war, ihrer eigenen Sache zu dienen«, schreibt sie in ihren Aufzeichnungen Aventures de l'esprit.[2] Hingegen preist sie ihren Rabelais'schen Witz, ihre vollkommene Offenheit im Umgang. Auch ihre Physiognomie sei unverwechselbar: »Eine Nase wie ein sharf zugespitzter Bleistift, ein Mund, der unwiderstehlich ist, wenn er lacht; kastanienbraunes Haar, das sie in einen Hut à la Manet stopft, wie sie überhaupt eine seiner gelungensten Zeichnungen sein könnte. Man sieht ihren großen, knochigen Händen an, daß sie Pferde gelenkt haben, und niemand außer ihr - und Degas - kann Pferde besser darstellen. Sie ist groß und schlank, und ihre Kleidersäume brechen sich hart an ihren kräftigen Beinen ... Ihre Gedanken gelangen nie bis zum eigentlichen Denken. Es sind Brocken von Empfindungen, zersprungene Spiegel der Lebensfreude, an denen man sich schneidet... Nur wenige Frauen haben mit solcher Unabhängigkeit geschrieben. Und dennoch behauptet Djuna Barnes, sie habe >a mid-victorian heart< - ein altmodisch fühlendes Herz.«[3]
Sie sagte auch von sich, sie sei von Natur extrem schüchtern. Andere hielten sie für arrogarit und hochfahrend. Eleganz, schnellei- Witz, abweisender Stolz, schweigsamer Hochmut - die bewährte Tarnung der Verletzbaren und Scheuen. Es geht - plakativ inzwischen - die Wendung um von >der berühmtesten Unbekannten ihrer Zeit<. Sie selbst hat sie in die Welt gesetzt und wie eine Beschwörungsformel wiederholt: ihrer eigenen Bedeutung bewußt, selbstironisch, voller Verachtung für eine Zeit und Zeitgenossen, die sich an kurzfristige Sensationen hielten, statt nach literarischer Qualität zu fragen. Es gibt eine Tuschzeichnung von ihr aus ihren jüngeren Jahren: ein Selbstportrait, das, uneitel bis zur Karikatur, die Charakteristika ihres Gesichts hervorhebt. Und es gibt schließlich die zahlreichen Bilder anderer von ihr: die Schnappschüsse und Zufallsfotos befreundeter Amateure und die absichtsvollen Abbilder der Professionellen wie die von Man Ray oder seiner begabten Schülerin Berenice Abbott. Sie zeigen die Djuna Barnes der zwanziger und dreißiger Jahre: die elegante Aufmachung, die sichere Allüre, die kräftigen, langen Hände, das präzis konturierte Oval des Gesichts, die >russischen< hoben Backenknochen, die >zugespitzte< Nase, den schön gezeichneten, vollen, stark geschminkten Mund mit der Andeutung eines halb traurigen, halb mokanten Lächelns in den Winkeln, das der Blick reflektiert. Aber die Augen verraten sie: in der Verkleidung der Mondänen steckt eine, die den ganzen Schrecken des Lebens kennt. Das »alte, nun modern weltstädtisch geschminkte Gesicht der Meduse« - wie Wolfgang Koeppen es gesehen hat. Oder hatte sie vielleicht selbst tollkühn in das versteinernde Antlitz der modernen Gorgo geblickt? Ein - nicht eben wohlwollendes - Abbild der damals Zweiunddreißigjährigen in The Chicago Literary Times< läßt beide Deutungen zu: »Ein Gesicht, dessen hohe Wangenknochen an versteckte Fäuste unter dem betäubenden Mitgefühl der großen Augen denken lassen: Ein Gesicht, kalkweiß wie vor Entsetzen, mit Ausnahme des scharlachroten Martyriums ihrer vollen Lippen, die sich nie an das Leben gewöhnt haben. Djuna Barnes' Gesicht ist auf eine chinesisch anmutende Weise abgezehrt, die dem letzten Kampf ihrer Jugend etwas Unwirkliches verleiht und wirkt gezeichnet von allzu vielen Kämpfen mit abendländischer Weltlichkeit.«[4]
Die späten Bilder sind unbarmherzig. Wie fast alle Altersbilder verschärfen und verzerren sie die geprägten Gesichtszüge: Die Augen verlieren Größe und Glanz, die einst bewegliche Skepsis gräbt sich in tiefen, von der Nase zum Mund abwärtsweisenden Falten fest. Im Augenwinkel verbirgt sich der Abglanz eines spöttischen Lächelns. Die hohe, nun freigelegte Stirn bietet den unumgänglichen Erkenntnissen und Widrigkeiten Trotz. Djuna Barnes hat die Schreckensformel >alt, arm und vergessen< ausgiebig erfahren, sie mit bemerkenswerter Contenance zur Kenntnis genommen oder auch souverän ignoriert.