Das kurze Leben der Karoline von G.

Einmal sagte sie: »Darum wird die Erde alle Tage verfinstert, wie Käfige der Vögel, damit wir im Dunkeln die höheren Melodien vernehmen.«
Und ein andermal: »Das Leben ist ein Schlaf, ein gedrückter heißer Schlaf. Vampire sitzen auf ihm, Regen und Winde fallen auf den Schlafenden und vergeblich sucht er zu erwachen.« Und an Bettine schrieb sie: »Ist man allein am Rhein, so wird man ganz traurig.«
Vor einiger Zeit wurde ich auf das Schicksal einer jungen Frau aufmerksam, die vor etwas mehr als einhundertachtzig Jahren ihrem Leben in Winkel im Rheingau freiwillig ein Ende setzte. Bei weiteren Nachforschungen über das kurze Leben der Karoline von G. stieß ich auf Briefe aus einem Kreis junger Leute, denen das leidenschaftliche Verlangen anzumerken ist, sich aus den damals in der Gesellschaft gültigen Normen und Konventionen zu lösen, sofern diese sie an ihrer Selbstverwirklichung hinderten.
Am 26. Juli 1806 stirbt in Winkel am Rhein die sechsundzwanzig Jahre alte Stiftsdame, Karoline von Günderrode. Knapp einen Monat später schreibt Meline Brentano, eine Schwester von Clemens und Bettine, an ihren Schwager, Friedrich Carl von Savigny:

  • Frankfurt, den 23ten August 1806*
    (*Zu dieser Zeit gab es noch keine festgelegte, einheitliche Orthographie. Schreibweise und Kommasetzung können daher variieren, auch innerhalb eines Briefes)
    ...Was den Tod der Günderrod anbetrifft, so ist es ganz klar, daß sie sich des Creuzers willen ermordet hat. Die Sache ist so: sie sagte immer, wenn Creuzer sich von mir scheidet oder wenn er mir untreu so bringe ich mich ums Leben. Ehe sie ins Rheingau ging, ließ sie sich ihren Dolch schleifen; daraus ist zu vermuten, daß schon ein kleines Mißverständnis zwischen ihr und Creuzer herrschte. In Winkel erhielt sie lange keine Briefe von Creuzer und wurde deswegen unruhig. Creuzer schickte seine Briefe immer an die Heyden und diese unter Adresse der Lotte (Serviere) nach Winkel. Eines Samstags lief die Günderrod dem Briefträger entgegen, riß ihm die Briefe weg und erkannte der Heyden ihre Hand. Sie erbrach sogleich den Brief und lief damit auf ihre Stube. Eine Weile darauf kam sie wieder herunter und war ganz ausgelassen froh. Sie sagte der Serviere nur, Creuzer sei sehr krank gewesen, sei aber wieder besser. Sie setzten sich zum Essen und die Günderod und der l'ange* (*Spitzname für eine der Serviere-Schwestern) wollten ein wenig spazieren gehen. Kaum waren sie zwei Schritte vor der Tür, so lief Karoline zurück, um einen Schal zu holen und rief dem l'ange zu, er solle nur fortgehen, sie komme nach. Sie ging wieder aus und kam nicht zurück. Am Morgen fand man sie drei Schritte vom Rhein mit dem Dolch neben sich und im Schal viele Steine gebunden. Wahrscheinlich wollte sie tot durch der Steine Gewicht in den Rhein fallen. Den unglücklichen Brief, der von der Daub war, hat man nicht gefunden, aber das Couvert der Heyden, worin sie der Lotte Serviere schreibt: »Hüte die Günderod vor dem Rhein und dem Dolch.«
    Von Heidelberg hörte ich: Creuzer war krank, auf einmal erwacht er, läßt seine Freunde zu sich rufen und erzählt ihnen, es sei ihm ein Engel erschienen, der ihm gezeigt habe, wie sträflich sein Verhältnis mit der Günderod sei und wie unrecht er seiner Frau tue. Er wolle nun mit der G. brechen, möge es kosten, was es wolle. Wahrscheinlich hat sein Freund Daub der Günderod davon geschrieben und dadurch diesen Entschluß in ihr geweckt. Ob Creuzer um ihren Tod weiß, ist mir unbekannt...

Einige Tage nach dem Selbstmord der Karoline von Günderrode kommt Bettine Brentano, damals einundzwanzig Jahre, in das Landhaus ihrer Familie in Winkel. Bettine und Karoline sind eng befreundet gewesen. Erst vor ein paar Wochen hat die langjährige und leidenschaftliche Beziehung der beiden Mädchen ein jähes Ende gefunden.
Bettine hat über den Bruch an ihren Schwager, Friedrich Carl von Savigny berichtet. Bei ihm meint sie deshalb besondere Anteilnahme am Schicksal der Günderrode voraussetzen zu dürfen, weil vor einigen Jahren eine Liebesbeziehung zwischen Savigny und Karoline bestanden hat.

  • Frankfurt, nach dem 8.Juli 1806
    Mein lieber Alter!
    Was soll ich Dir sagen? Ich freue mich königlich auf den Brief, den Du mir versprochen hast. Mit der Günderrode ist es ganz aus, ich habe noch einmal bei ihr angepocht und hab ihr einen Brief geschrieben voll Einfalt und Gutmütigkeit. Ich habe ihr gesagt, wie daß es mich gar nicht traurig mache, daß sie keine Freude mehr an meinem Umgang habe, aber sie solle doch nicht so wütig verzweifelnd alles Verhältnis, das zwei honette Menschen haben können, in die Luft sprengen, ich sei ihr immer noch dankbar für vieles. Sie will nichts von mir wissen, auch nicht eine kleine 4tel Stunde, die ich von ihr begehrte, um das Ganze auseinanderzusetzen, hat sie mir erlaubt. Sie will mich nicht mehr sehen, und niemand hat Anteil an diesem Entschluß, er ist aus tiefstem Gefühl geflossen, daß ich ihr nichts bin, daß ich ihr nichts sein kann. Sie hoffte zwar ehemals sich einiges Verdienst um mich zu erwerben, es war aber grundfalsch und beruhe auf einer unrichtigen Ansicht ihres und meines Gemüts. Bedenk, bedenk, was das für Sachen sind, und frag einmal, was es für einen Eindruck auf mich gemacht hat.

Trotz alldem ist Bettine in diesen Juliwochen die Sorge um die Günderrode nicht losgeworden:

  • Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schlosser; er bat mich um ein paar Zeilen an die Günderrode, weil er in den Rheingau reisen werde und wolle gern ihre Bekanntschaft machen. Ich sagte, daß ich mit ihr broulliert* (*zerstritten) sei, ich bäte ihn aber, von mir zu sprechen und acht zu geben, was es für einen Eindruck auf sie machen werde. »Wann gehen Sie hin«, sagte ich, »morgen?« »Nein, in acht Tagen.« »Oh gehen Sie morgen, sonst treffen Sie sie nicht mehr; am Rhein ist's so melancholisch«, sagte ich scherzend, »da könnte sie sich ein Leids antun.« Schlosser sah mich ängstlich an. »Ja, ja«, sagte ich mutwillig, »sie stürzt sich ins Wasser oder sie ersticht sich aus bloßer Laune.«
    »Freveln Sie nicht«, sagte Schlosser, und nun frevelte ich erst recht: »Geben Sie acht, Schlosser, Sie finden sie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit zögern, und ich sage Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten Sie sie vor unzeitiger melancholischer Laune.« Und im Scherz beschrieb ich sie, wie sie sich umbringe, im roten Kleid, mit aufgelöstem Schnürband, dicht unter der Brust die Wunde; das nannte man tollen Übermut von mir, es war aber bewußtloser Überreiz, in dem ich die Wahrheit vollkommen beschrieb.

Die Bettine, die hier berichtet, schreibt rückblickend. Das Gespräch mit Schlosser, das immerhin eine zutreffende Vorstellung von ihrem bizarren Wesen vermittelt, muß sich nicht so abgespielt haben. Was sich wie eine Passage aus einer Novelle oder einem Märchen ihres Bruders Clemens ausnimmt, kann nachträgliche Stilisierung sein. Bettine berichtet weiter:

  • Da wir in Geisenheim ankamen, wo wir übernachteten, lag ich im Fenster und sah ins mondbespiegelte Wasser, meine Schwägerin Toni saß am Fenster; die Magd, die den Tisch deckte, sagte: »Gestern hat sich auch eine schöne junge Dame, die schon sechs Wochen hier sich aufhielt, bei Winkel umgebracht; sie ging am Rhein spazieren ganz lang, dann lief sie nach Haus, holte ein Handtuch; am Abend suchte man sie vergebens; am anderen Morgen fand man sie am Ufer unter Weidenbüschen, sie hatte das Handtuch voll Steine gesammelt und sich um den Hals gebunden, wahrscheinlich, weil sie sich in den Rhein versenken wollte, aberda sie sich ins Herz stach, fiel sie rückwärts, und so fand sie ein Bauer am Rhein liegen unter Weiden an einem Ort, wo es am tiefsten ist. Er riß ihr den Dolch aus dem Herzen, und schleuderte ihn voll Abscheu weg in den Rhein, die Schiffer sahen ihn fliegen - da kamen sie herbei und trugen sie in die Stadt.« Ich hatte im Anfang nicht zugehört, aber zuletzt hörte ich's mit an und rief: »Das ist die Günderrode!« Man redete mir's aus und sagte, es sei wohl eine andere, da so viel Frankfurter im Rheingau waren.

Am nächsten Morgen wird es für Bettine zur Gewißheit, daß es sich bei der Selbstmörderin um Karoline handelt. Mit ihrem Bruder Franz, dem Direktor eines Bankhauses und einer Gewürzgroßhandlung, und ihrer Schwägerin Toni fährt Bettine zu Schiff weiter:

  • Franz hatte befohlen, daß das Schiff Jenseits sich halten solle, um zu vermeiden, daß wir dem Platz zu nahe kämen, aber dort stand der Fritz Schlosser am Ufer und der Bauer, der sie gefunden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die Füße und daß das Gras noch niederliege - und der Schiffer lenkte unwillkürlich dorthin, und Franz bewußtlos (ohne es eigentlich zu wollen), sprach im Schiff alles dem Bauer nach, was er in der Ferne verstehen konnte. Und da mußte man denn mit anhören die schauderhaften Bruchstücke der Erzählung vom roten Kleid, das aufgeschnürt war, und der Dolch, den ich so gut kannte und das Tuch mit Steinen um ihren Hals, und die breite Wunde - aber ich weinte nicht, ich schwieg. Da kam mein Bruder zu mir und sagte: »Sei stark, Mädchen.« Wir landeten... Überall erzählte man die Geschichte; ich lief in Windeseile an allen vorüber, den Ostein hinauf, eine halbe Stunde bergan, ohne auszuruhen-oben war mir der Atem vergangen, mein Kopf brannte.

Man sagt, den Dolch habe ihr Clemens Brentano auf einer Messe in Frankfurt geschenkt. Sicher ist diese Mitteilung nicht. Clemens Brentano, 1778 im Haus der Großeltern in Ehrenbreitstein bei Koblenz geboren, hat eine unglückliche Kindheit hinter sich.
Schon mit sechs Jahren wird er zusammen mit seiner zwei Jahre älteren Schwester Sophie zu einer Tante mütterlicherseits in Pflege gegeben. Luise von Mohn lebt in einer zerrütteten Ehe mit einem, wie Clemens später in Briefen schreibt, »ganz verwilderten Mann«, »einem Ungeheur«.
Clemens weitere Kindheit und seine Jugend sind bestimmt von der Rebellion gegen den Vater, der aus ihm einen Kaufmann machen will, während Clemens seinen poetischen Interessen leben, ein Dichter werden möchte. Der Konflikt verschärft sich, als 1793 Clemens' Mutter stirbt.
Der Vater nimmt seinen Sohn ins eigene Kontor. Hier sorgt der neue Lehrling durch mutwillige Streiche, mit denen er gegen die Spießerwelt protestiert, für Ärger und Verwirrung, und es kommt zu lautstarken Auseinandersetzungen mit dem Vater. 1796 schickt der Vater den Sohn, der sich nicht zum Commerz bekehren lassen will, nach Langensalza in Thüringen. Er soll seine kaufmännische Lehre bei einem Geschäftsfreund fortsetzen. Clemens schockiert die »Damen- und Jungfrauenschaft« des Kreisstädtchens, indem er in papageiengrünem Rock, scharlachroter Weste und pfirsichblütenfarbenen Beinkleidern herumspaziert. Das Lehrverhältnis wird schon nach drei Monaten wieder beendet. Immerhin sieht die Familie nun endgültig ein, daß der Junge zum Kaufmann nicht taugen will. Man schickt ihn zu seinem Onkel, Carl la Roche, der in Schönenbeck bei Magdeburg eine königliche Saline leitet. Dort soll Clemens sich auf das Studium der Bergbauwissenschaften vorbereiten. Da stirbt der Vater. Jetzt ist Clemens plötzlich bereit, obwohl dies die »Zerstörung seiner schönsten Hoffnungen« bedeutet, seinen Lieblingsstudien zu entsagen und zum Wohl der Familie in der Handelsfirma in Frankfurt mitzuarbeiten:

  • Mein Vater, ich bin offenherzig, war wohl die Hauptursache, warum ich den Handel verließ, in Frankfurt seinem Pulte, seinen mürrischen Launen gegenüber an das Copierbuch angenagelt zu sein - ein scharmantes Leben. Unser ganzes Hauß... war ein traurigerer Aufenthalt für mich als der Kerker.

Aber sein Stiefbruder und Vormund, Franz, ist gewarnt. Er geht auf Clemens' Anerbieten nicht ein. Der fühlt sich mißverstanden, bevormundet, abgelehnt. Zum Studium hat er nun auch keine rechte Lust.

  • Es halten mich nur wenige Menschen für gut, und ich werde nie eine Geliebte finden, denn ich bin abschreckend geworden, durch die Jahre, die ich in der Despotie der Erziehung verseufzte.

Clemens Brentano: mit zwanzig ein Suchender, ein Verletzter, ein Zerrissener - ein Ausgeflippter. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Halle und einer gesundheitlichen und seelischen Krise, die ihn nach Frankfurt zurücktreibt, holt er sich dort die Zustimmung seines Stiefbruders für ein Medizinstudium in Jena. In Wirklichkeit findet man ihn dort weit häufiger in dem Salon von Karoline Schlegel als in der Anatomie. Der Goethe-Enthusiasmus der Jenaer Studenten und Professoren bestärkt ihn in seinem Wunsch, seinem literarischen Talent zu leben. Poetische Spiele hat er verfaßt, den ersten Teil seines »verwilderten Romans«, Godwi, fast abgeschlossen.
Ist schon das äußere Leben dieses jungen Mannes aus reichem Haus unruhig genug verlaufen, so spiegelt sich im ständigen Wechsel der Studienfächer auch eine innere Zerrissenheit. Seitdem er die Mutter verloren hat, ist er wie ein Besessener auf der Jagd nach Liebe. Eine enge Bindung hat - nicht zuletzt durch die gemeinsamen Kindheitserlebnisse - zwischen ihm und seiner um zwei Jahre älteren Schwester Sophie bestanden. Diese stirbt am 19.September 1800 in Oßmannstädt im Hause Wielands im Wahnsinn.
Im selben Jahr wird Clemens von Sophie Mereau, Schriftstellerin, in unglücklicher Ehe mit einem Professor der Rechtswissenschaften in Jena verheiratet, vorerst abgewiesen, wahrscheinlich, nachdem sie von seiner Werbung um Minna Reichenbach in Altenburg gehört hat. Zudem bemüht sich Friedrich Schlegel zu dieser Zeit um sie. Er schreibt ihr: »Mein süßes Kind, bleibe leicht, werde lustig und sei liederlich.«
Der Student und Dichter Clemens Brentano und der Literaturhistoriker und Kritiker Friedrich Schlegel waren nicht die einzigen Männer, die der recht bekannten Schriftstellerin schöne Augen machten. »Ja, ja, Meeräffchen (die Mereau) hat dem Angebrennten (Clemens Brentano) eclatanten Abschied gegeben, so daß er nicht angebrennt, sondern ganz abgebrennt ist« - so eine maliziöse Meldung aus den Kreisen der Jenaer Literaturmaffia. Clemens Brentano setzt 1800, nach dem Tod seiner Lieblingsschwester Sophie und dem Abschied von der Mereau, die 15jährige Bettine als seine Vertraute ein.
Ende Mai 1801 beginnt in Göttingen, wo Clemens sein Studium fortsetzt, seine Freundschaft mit dem sich mehr und mehr der Literatur zuwendenden, aus einer preußischen Landjunker-Familie stammenden Achim von Arnim, den er, wie schon zuvor erfolglos seinen Studienfreund Friedrich Carl von Savigny, ermuntert, sich in Bettine zu verlieben. Es ist bezeichnend für Clemens' Furcht vor Liebesverlust, daß er immer wieder bemüht ist, zwischen seinen Freunden und seinen Schwestern Ehen zu stiften.
Auch für die Günderrode ist Clemens mehrfach vorübergehend entflammt gewesen. Ihr scheinen Clemens' literarische Versuche gefallen zu haben. Im übrigen hat sie sich gegenüber seinen wilden, manchmal geradezu schamlos-exhibitionistischen Gefühlsausbrüchen unsicher-zögernd gezeigt. Die Beziehung zwischen der von G. und Bettine hat stark erotische Züge gehabt. Ihr ist eine Freundschaft mit Gundula Brentano vorausgegangen. Um diesen Strudel von Emotionen, Liebe und Eifersucht, Anziehungen und Abstoßungen in diesem Kreis junger Intellektueller der Frühromantik muß man wissen, will man den psychischen Zustand, in dem sich die von G. befunden haben muß, recht begreifen.
In die Trauer über den Tod der von G. und den Schauder über die Todesumstände mögen sich bei Bettine auch Fragen gemischt haben. Da gab es Geheimnisse, hinter die sie nicht gedrungen war, Reaktionen, die sie nicht verstand, wie eng sie auch mit Karoline befreundet gewesen sein mochte.
Die Geschichte des kurzen Lebens der Karoline von G. ist vor allem die Geschichte einer leidenschaftlich Liebenden. Die Unbedingtheit ihres Liebesanspruches, die Vorstellung, daß man, ohne heftig zu lieben, schon bei lebendigem Leibe gestorben sei, teilte sie mit Bettine, die einmal ausrief: »Alles aus Liebe, sonst geht die Welt unter!«
Es ist aber auch die Geschichte einer begabten jungen Frau, die dem Leben entzogen wurde und die sich mit aller Leidenschaft aus den Rollen zu befreien versuchte, die ihr nach den Normen der damaligen Gesellschaft zudiktiert waren.

Leicht über Thäler, über Hügel
Trug mich der kecken Wünsche Lauf
Und keines Hindernisses Zügel
Hielt den vermeßnen Schwärmer auf.
Die Spuren großer Männertaten,
Was Güte Himmlisches getan
Und was die Weisheit gut beraten,
Allmächtig zog mich alles an...

Dieses Zitat aus einem Gedicht der Karoline von G. bedarf der Übersetzung aus der zur Mythologisierung und zur Abstraktion neigenden lyrischen Kunstsprache von damals. In heutiger Sprache heißt das wohl: da ist jemand, der will sich in seiner Jugend allen nur möglichen Erfahrungen aussetzen, will es den großen Männern gleichtun, will seine Sensibilität schärfen, will denken lernen. Ein anspruchsvolles, aber kein unrealistisches Programm für einen jungen Mann, damals wie heute. Aber dies ist kein junger Mann. Dies ist eine junge Frau. Wohin dieser Anspruch Karoline von G. schließlich brachte, läßt ein Ausschnitt aus einem Brief an ihre Freundin Lisette Nees aus dem Juli 1806 ahnen:

  • Nach mir fragst Du? Ich bin eigentlich lebensmüde. Ich fühle, daß meine Zeit aus ist und daß ich fortlebe nur durch einen Irrtum der Natur; dies Gefühl ist zuweilen lebhafter in mir, zuweilen blässer. Das ist mein Lebenslauf.
    Adieu Lisette...

Wie konnte es dazu kommen?
Karoline Friederike Louise Maximiliane von G. wird am 1. Februar 1780 in Karlsruhe geboren, wo ihr Vater, Freiherr Hektor Wilhelm von Günderrode, markgräflicher Kammerherr war. Nach seinem Tod 1786 zieht seine Witwe Louise, die von Zeitgenossen als eine schöne und geistreiche Frau geschildert wird, mit ihren Kindern nach Hanau. Sie verkehrt dort am Hofe des Erbprinzen Wilhelm von Hessen-Kassel und seiner Frau Augusta, der Schwester Friedrich Wilhelms III. von Preußen. Karoline darf hin und wieder auch mit zu Hofe. Sie führt in diesen Jahren ein keineswegs freudloses Leben mit vielen geistigen Anregungen und Freundschaften zu jungen Leuten unterschiedlichen Standes.
In Hanau sterben 1794 und 1801 ihre Schwestern Luise und Charlotte, die eine an Auszehrung, die andere an Nervenfieber. Mit siebzehn Jahren wird Karoline auf das drängende Bittgesuch ihrer Mutter, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten zu sein scheint, am 24. Mai 1797 in das Cronstettische Adlige Damenstift in Frankfurt/Main aufgenommen.
»...ein Geschöpf voll Anmut und Würde, ungemein schön, sehr stattlich,   blauäugig,  dunkelhaarig,  zart,  oft  von  Kopf-  und Augenschmerzen geplagt«, so wird Karoline von G. geschildert. Zur Zeit ihres Eintritts sind die ursprünglich recht strengen Regeln des Stifts, z.B. dunkle Kleidung, kein Besuch, außer von Verwandten, Verzicht auf Tanzen und Reisen und Theaterbesuche, schon erheblich gelockert. Karoline trägt die Stiftstracht nur bei offiziellen Anlässen, empfängt in ihren beiden Kammern zu ebener Erde Besuch, geht ins Theater, nimmt an Festen teil, verreist häufig und oft auch für längere Zeit. Neben einer ausgedehnten Korrespondenz stehen lyrische und dramatische Versuche, die sie mit dem Pseudonym Tian zeichnet. Zwar gab es einzelne Frauen, die sich recht erfolgreich literarisch betätigten - man denke an Bettines Großmutter, Sophie la Roche, oder auch an Sophie Mereau -, aber man darf von solchen Ausnahmen her keine Rückschlüsse auf die allgemeine Konvention ziehen. Immer noch galt es als ungehörig und frivol, wenn eine Frau etwas drucken ließ - bei einer Stiftsdame allemal.
Gewiß,   in  der Romantik verändert sich das  überkommene Rollenbild von Mann und Frau. Vor allem Friedrich Schlegel wird durch seine Aktualisierung der antiken Frauengestalten auf die geschichtlichen Möglichkeiten der Frau aufmerksam machen. Aber wir stehen hier erst am Anfang der Frühromantik. Solche Gedanken, solche Wünsche, wie sie sich auch bei Karoline von G. geregt haben mögen, sind bisher noch etwas Unsanktioniertes. Intellektuelle Interessen einer Frau rufen Mißtrauen hervor. Bei jungen Männern häufiger Ablehnung denn Bewunderung.
In diese Zeit fällt wohl auch die erste Begegnung mit Bettine Brentano, die sie im Haus von Bettines Großmutter, Sophie la Roche, in Offenbach trifft. Die alte Dame, eine emanzipierte Frau, deren gefühlvolle Romane damals viel Anklang fanden, hatte die Enkelin, die 1793 die Mutter und 1796 den Vater verloren hatte, aus der Klosterschule in Fritzlar zu sich geholt. Sophie la Roche hat alle Mühe, das phantasievolle, vitale und über Konventionen spottende Mädchen Bettine zu zügeln, das beispielsweise bemerkt: »Meinungen von geistreichen Männern zu hören, was der Großmama ihre Passion ist, das scheint mir leeres Stroh, liebe Großmama.«
»Du kannst doch nicht leugnen, liebes Kind, daß sie die Welt verstehen und dazu berufen sind, sie zu leiten?«... »Nein, liebe Großmama, mir scheint vielmehr, daß ich dazu berufen bin.«
»Geh, schlaf aus, du bist e närrisch's Dingele.« Ein andermal las Bettine der Großmutter aus ihrem Tagebuch vor. Darin ist von Ängsten die Rede, von einem Fels abzustürzen. »Auch im Geist kann man sich versteigen, mein Kind«, antwortet Sophie la Roche und erzählt ihr die Geschichte des Kaiser Maximilian auf der Martinswand und daß ihn Engel da wieder heruntergetragen hätten, so sage man, aber nicht immer seien diese zu solcherlei Hilfeleistung bereit, wenn sich jemand mutwillig versteige.
»Was brauch' ich denn wieder herunter, liebe Großmama, wenn ich mich oben erhalten kann? Könnte ich nicht auch ein Wolkenschwimmer werden?«
»Kind meiner Maxe«, spricht la Roche, »was hast du doch für wunderliche Gedanken.«
Auch gegen die reglementierenden Briefe ihres Bruder Clemens setzt sich Bettine zur Wehr:

  • Das gelob ich Dir, daß ich nicht mich will zügeln lassen, ich will auf etwas vertrauen, was so jubelt in mir, denn am End' ist's nichts anderes, als das Gefühl der Eigenmacht.

Oder:

  • ... ich kann's nicht weiter ausdrücken, ich kann nur sagen, was auch in der Welt für Polizei der Seele herrscht, ich folg ihr nicht, ich stürze mich als brausender Lebensstrom in die Tiefe, wohin's mich lockt.

Über solchen Stimmungen, denen sich Bettine zumeist völlig überließ, während bei Karoline doch auch immer wieder ein ausgeprägtes Pflichtgefühl durchbricht, werden die beiden sich miteinander angefreundet haben.
Im Sommer 1799 verliebt sich Karoline in Friedrich Carl von Savigny. Der recht wohlhabende junge Mann ist früh Waise geworden und in Frankfurt im Haus seiner Großmutter aufgewachsen, durch die auch das Hofgut Träges bei Gelnhausen in den Besitz der Familie gekommen ist. Savigny, zu diesem Zeitpunkt zwanzig Jahre alt, studiert Jura.
Die Frankfurter Familie des Freiherrn von Leonardi besitzt in der Stadt ein großes Haus an der Zeil, in dem häufig Gesellschaften stattfinden. Außerdem gehört den Leonardis ein Gut in Lengfeld, unweit dem Otzberg im nördlichen Odenwald, mit großem Garten und altem Baumbestand, wohlgeeignet für Feste und Feiern, zu denen in diesen Jahren Frau von Leonardi, die Witwe des Kaiserlichen Rats Peter von Leonardi, mit ihren Söhnen und Töchtern befreundete junge Leute aus Adelsfamilien und dem gehobenen Bürgertum einlädt.
Auf einem dieser Feste sind sich Karoline G. und Savigny zum erstenmal begegnet.
Am 4. Juli 1799 spricht sich Karoline in einem Brief gegenüber ihrer mütterlichen Freundin, Frau von Barkhaus aus:

  • Zürnen möcht ich mir selbst, daß ich mein Herz so schnell an einen Mann hingab, dem ich wahrscheinlich ganz gleichgiltig bin, aber es ist nun so, und mein einziger Trost ist, bei Ihnen Beste, freundliche Teilnahme zu suchen...

Frau von Barkhaus antwortet:

  • Er ist gewiß ein Mann, der allgemeine Achtung verdient, und wer sich einstens das Weib dieses Mannes nennen kann, hat gewiß ein beneidenswertes Los... allein sein einsames Leben hat seine Gefühle sehr hoch gespannt, und er hat sich daher ein Ideal geschaffen, das er schwerlich in dieser Welt realisiert finden wird. Er sieht daher alles aus einem ganz anderen Gesichtspunkt an und über seine künftige Bestimmung ist er noch völlig unentschieden.

Karoline an Frau von Barkhaus:

  • Hanau d. 10ten Juli 1799
    Ich fühle es nur zu sehr wie weit ich von dem Ideal entfernt bin, daß sich ein S. erträumen kann als daß ich hoffen dürfte; gewis wird er ein Mädchen finden das seiner Liebe würdiger ist als ich, und beinahe liebe ich ihn zu sehr, zu uneigennützig um zu wünschen er möchte sein Ideal nicht finden; ich weis selbst nicht was im innern meines Herzens vorgeht, mit welcher Hoffnung ich mich trotz jenem traurigen Bewußtsein hin halte, aber doch ist's so, ich kann es nicht verbergen, ein leiser dunkler Glaube in mir... wie freute ich mich an jenem Morgen in Lengfeld wie wir Geschwister wurden*, (*wahrscheinlich: uns duzten) Bruder nannte ihn meine Seele mit einer heiteren Innigkeit die nicht größer, nicht reiner hätte sein können hätte ich ihn Geliebter genannt.

Karoline und Savigny begegnen sich, nicht zuletzt durch die gemeinsamen Bekannten, häufig: in Frankfurt, in Marburg, auf dem Landgut Träges, in Hanau, bei Hanau in Wilhelmsbad. Was ihn angeht, so ist das Verhältnis ein Flirt, Zuneigung, Freundschaft, mit Augenblicken, die dem Verliebtsein nahekommen, Bewunderung für eine schöne Seele.
Karoline von G. mag sich immer wieder Hoffnungen gemacht haben, daß mehr daraus werden könne als eine Seelenfreundschaft, ein Flirt. Aber gerade das, was Savigny an ihr schätzt, ihre Belesenheit, ihr Interesse an Philosophie und Dichtkunst, hält ihn davon  ab, sie als Ehefrau in Erwägung zu ziehen. Er, der angehende Rechtsgelehrte, will eine Frau für Küche und Kinderzimmer, um es ganz grob zu sagen, keine Schriftstellerin, keinen weiblichen Schöngeist, der sich mit den neuesten Werken der Belletristik und Philosophie auseinandersetzt. Karoline von G. am 17. Juli 1799 aus Hanau an Frau von Barkhaus:

  • ... bisher las ich auch sehr viel in Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, bei allen meinen Schmerzen ist mir dies Buch ein wahrer Trost, ich vergesse mich, meine Leiden und Freuden in dem Wohl und Wehe der ganzen Menschheit, und ich selbst scheine mir in solchen Augenblicken ein so kleiner unbedeutender Punkt in der Schöpfung, daß mir meine eigenen Angelegenheiten keiner Thräne, keiner bangen Minute werth scheinen. Nur schade, daß dies Gefühl nicht lange dauert, bald darauffordert mein eigner Kummer wieder alle die Theilnahme, die ich vorher nur der Menschheit geben konte und wollte. Es ist sehr traurig bemerken zu müssen, wie uns der Egoismus allenthalben nachschleigt, und uns oft da am nächsten ist wo wir ihn am fernsten von uns glauben.

Nachdem Savigny 1803 eine Professur in Marburg erhalten hat, verlobt er sich mit Gunda Brentano, Bettines älterer Schwester und Karolines gleichaltriger Freundin.
Daß Savigny, selbst noch, nachdem er sich für Gunda Brentano entschieden hat, es nicht lassen kann, seinerseits die Glut unter der Asche wieder anzufachen, beweist der folgende Brief an Karoline aus dem Dezember 1803:

  • Ich wollte Ihnen sagen, daß es entsetzlich unnatürlich zugehen müßte, wenn wir beide nicht sehr genaue Freunde werden sollten. Sie glauben nicht, mit welcher Klarheit und Gewißheit ich einsehe, daß die Natur diesen Plan mit uns hat... nur etwas ist schlimm. Ich stehe Ihnen gar nicht dafür, daß ich mich nicht zu Zeitenetwas in Sie verliebe, und das soll der Freundschaft Abbruch tun... Man spricht viel von den Leiden des jungen Werther, aber andere Leute haben auch ihre Leiden gehabt, sie sind nur nicht gedruckt worden.

Die Tragik dieser Vorgänge ist nicht zuletzt darin zu sehen, daß Karoline von G. nicht nur den geliebten Mann verlor, sondern daß dieser auch noch eine ihrer engsten Freundinnen heiratet.
Was Savigny, der durchaus sensibel genug ist, um diese Tragik wahrzunehmen, schließlich anbietet, ist eine Freundschaft aller zu jedem, orientiert an den idealistischen Freundschaftsbünden dieser Zeit. Savignys Rolle dabei erinnert allerdings sehr an die des Hahns im Korbe. Savigny an Karoline von G.:

  • Marburg den 18ten Dezember 1803
    Lieb Günderrödchen, es war doch sehr schön, daß Sie nach Träges gekommen sind. Vorallem deswegen, weil Sie jetzt gewiß nicht mehr blos mein Freund, sondern auch unser Freund sind. Nicht wahr, so ist es? Sie haben angefangen zu fühlen, was Sie sonst nur für einen Irrtum hielten, daß zwei unter uns dreyen eins sind. Das hätten Sie nun freylich auch in Zukunft gewiß empfunden, aber so ist es viel schöner. Erstens weil es freyer ist, und zweitens, weil Sie jetzt mehr und anders als vorher mit meinem Gundelchen zusammen sein werden. Seine jetzige Umgebung ist so unheimlich, und ich kann nichts dazu tun, sie heimlicher zu machen, aber Sie können es.

Zumindest nach außen hin scheint Karoline bereit gewesen zu sein, die ihr von Savigny zugedachte Rolle als >Hausfreundin< zu akzeptieren.
Am 17. April 1804 heiraten Savigny und Gunda in dem hessischen Städtchen Meerholz, fern von Freunden und Verwandtschaft. Am 1. Januar 1804 hat Karoline von G. an Savigny geschrieben:

  • Ja, lieber Savigny! Ich glaube an Gundelchens Vortrefflichkeit und will mir gern ein Recht auf Euch erwerben. Ich finde unser neues Verhältnis sehr schön und frei, aber ich wollte, daß irgend ein sichtbares Band mich an Euch bände, wenn ich doch Ihr Bruder wäre oder Gundelchens Schwester; ich würde es nicht schöner finden, aber sicherer. Die Verhältnisse der Verwandtschaft sind so unzerstörbar und kein Schicksal kann sie auflösen, das gefällt mir und könnte mich noch viel ruhiger und glücklicher machen als ich es jetzt bin.

Während sich Karoline endlich damit abfinden muß, dem geliebten Mann nur Freundin und Schwester zu sein, gewinnt die
Freundschaft mit der um fünf Jahre jüngeren Bettine Brentano zunehmend an Intensität. Bettine schreibt darüber:

  • Sie hat mich zuerst aufgesucht in Offenbach. Sie nahm mich bei der Hand und forderte, ich solle sie in der Stadt besuchen. Nachher waren wir alle Tage beisammen, bei ihr lernte ich die ersten Bücher mit Verstand lesen. Wir lasen vom Jupiter Olymp des Phidias, daß d ie Griechen von ihm sagten, der Sterbliche sei um das Herrlichste betrogen, der die Erde verlasse, ohne ihn gesehen zu haben. Die Günderrode sagte, wir müssen ihn sehen, wir wolln nicht zu den Unseligen gehören, die so die Erde verlassen. Wir machten ein Reiseprojekt, wir erdachten unsere Wege und Abenteuer, wir schrieben alles auf, wir malten alles aus, unsere Einbildung war so geschäftig, daß wirs in Wirklichkeit nicht besser hätten erleben können; oft lasen wir in dem erfundenen Reisejournal, und freuten uns der allerliebsten Abenteuer, die wir erlebt hatten, und die Erfindungen wurden gleichsam zur Erinnerung, deren Beziehung sich noch in der Gegenwart fortsetzte. Von dem, was sich in Wirklichkeit ereignete, machten wir uns keine Mitteilung.

Die temperamentvolle Bettine kam der älteren, gesetzteren und trotz aller Schüchternheit offenbar sichereren Freundin mit einer Leidenschaftlichkeit entgegen, die Karoline manchmal etwas erschreckt haben mag.
Bettine an Karoline: »Durch dich feuert der Geist wie Sonne durchs frische Laub feuert. Wenn du nicht wärst, was wäre mir die ganze Welt.«
Oder an anderer Stelle: »Kein Mensch vermag über mich aber Du... ich will nicht frei sein, ich will Wurzeln fassen in Dir.«
Der philosophische Anstrich, den sich die folgende Rollenphantasie gibt, verdeckt nur schwach die überschwänglich-pubertäre Erotik, die bei Bettine mit im Spiel war:

  • Weißt Du was, Du bist der Platon, und Du bist dort auf die Burg verbannt, und ich bin Dein bester Freund und Schüler Dion, wir lieben uns zärtlich und lassen das Leben für einander ...ja, so will ich Dich nennen künftig, Piaton! - Und einen Schmeichelnamen will ich Dir geben, Schwan will ich Dich rufen, wie Dich der Sokrates genannt hat, und Du ruf mich Dion.

Was die Frankfurter Bürger von dieser Mädchenfreundschaft dachten, geht aus dem folgenden Brief der Karoline von G. an Bettine hervor, den sie ihr schrieb, als diese sich mit den Verwandten in Schlangenbad aufhält:

  • Ich ging heute hinaus vors Gallustor, als der Sonnengott hinabstieg, weil Du meinst, es sei meine Zeit mit ihm; ich war auch da ganz durchdrungen von seiner Gegenwart, allein beim Nachhausegehen verdarben mir zwei Frankfurter Philister die Andacht, die hinter mir gingen und von Dir und mir sprachen; die Frau sagte zum Mann: Im Stift wird dem Mädchen noch ganz das Konzept verdorben, daß sie am End ganz närrisch wird; sie ist schon zu allen Torheiten aufgelegt, sie soll im Stiftsgarten immer aufs Dach steigen vom Gartenhaus oder auf einen Baum und von da herunterpredigen -und die lange Geiß, die G., steht unten und hört zu.-Jetzt gingen sie an mir vorüber, ich erkannte die Frau Euler mit ihrer Tochter Salome und den Doktor Lehr; der erkannte mich in der Dämmer und sagte es ihr; sie blieb stehen und sah mich an, bis ich wieder an ihr vorbeigegangen war, was doch gewiß noch dümmer war, als wenn ich unterm Baum stehen blieb, wo Du predigst.

Karoline reagiert auf Bettines Überschwang häufig mit liebevoller Zurechtweisung, die trotz des ironisch sich distanzierenden Tonfalls keinen Zweifel darüber läßt, was dieses phantasiesprühende, koboldhafte und gefühlsstarke Mädchenkind ihr bedeutet haben mag.
Während Bettines Abwesenheit sucht Karoline im Zimmer der Freundin zwei Bücher, die aus der Stadtbibliothek entliehen waren und zurückgegeben werden müssen:

  • In Deinem Zimmer sah es aus wie am Ufer, wo eine Flotte gestrandet... der Homer lag aufgeschlagen an der Erde, Dein Kanarienvogel hatte ihn nicht geschont. Deine schöne erfundene Reisekarte des Odysseus lag daneben und der Muschelkasten mit den umgeworfenen Sepianäpfen und alle Farbenmuscheln drum her, das hat einen braunen Fleck auf Deinen schönen Strohteppich gemacht... Dein Flageolet, was Du mitnehmen wolltest und vergeblich suchtest, rat, wo ich's gefunden habe? - Im Orangenkübel auf dem Altan war es bis ans Mundstück in die Erde vergraben. Du hofftest wahrscheinlich einen Flageoletbaum da bei Deiner Rückkehr aufkeimen zu sehen... Siegwart, ein Roman der Vergangenheit, fand ich auf dem Klavier, das Tintenfaß drauf liegend, ein Glück, daß es nur wenig Tinte mehr enthielt, doch wirst Du Deine Mondscheinkomposition, über die sich seine Flut ergoß, schwerlich mehr entziffern... Unter Deinem Bett fegte die Liesbet »Karl den Zwölften« und die Bibel hervor, und auch-einen Lederhandschuh, der an keiner Dame Hand gehört, mit einem französischen Gedicht darin... zwei Briefe habe ich auch unter den vielen beschriebenen Papieren gefunden, noch versiegelt... wie ist's möglich, wo Du so selten Briefe empfängst, daß Du nicht neugierig bist, oder vielmehr so zerstreut?

Die Erwähnung des Handschuhs verweist auf Achim von Arnims Besuch in Frankfurt, Offenbach und auf Trages während einer Woche im Juni 1802, wo er zum erstenmal Bettine und Karoline begegnet. Anschließend ist er mit Clemens den Rhein hinuntergefahren bis Koblenz, hat sich dort von ihm getrennt, reist allein nach Düsseldorf, trifft sich noch einmal in Koblenz auf der fliegenden Rheinbrücke mit dem Freund, hält sich darauf noch einmal kurz in Frankfurt auf, um dann für mehrere Jahre auf seine große Bildungsreise nach Italien, Frankreich und England zu gehen, von der er erst im August 1804 nach Deutschland zurückkehrte.
Über einen Ausflug zu dritt, wohl bei dem zweiten Besuch Achims, berichtet Bettine an Clemens:

  • Karoline und ich zankten miteinander; daß wir kein Vertrauen hätten und wollten nicht gestehen, daß wir ihn doch liebten, dann rechtfertigten wir uns, daß wir es nicht täten, weil jede geglaubt hatte, daß die andere ihn liebe, dann versöhnten wir uns, dann wollten wir großmütig einander ihn abtreten, dann zankten wir wieder, daß jede aus Großmut so eigensinnig war, ihn nicht haben zu wollen. Es schien ernst zu werden, denn ich sprang auf und wollte mein Bett von dem ihren wegrücken aus lauter Zorn, daß sie den Achim nicht wollte. Auf einmal hören wir husten und sich tief räuspern. Ach, der Achim war durch eine dünne Wand nur von uns geschieden, er konnte deutlich alles vernehmen, er mußte es gehört haben. Ich sprang ins Bett und deckte mich bis über die Ohren zu.
    Uns klopfte das Herz wohl eine halbe Stunde, keins muckste mehr die ganze Nacht. Am anderen Morgen... wir mußten zum Frühstück! Wir setzten uns mit dem Rücken gegen die Tür, um ihn nicht gleich sehen zu müssen, was half der eine Augenblick, wir mußten ihm ja doch die Sträußchen abnehmen, die er eben aus dem Feld mitbrachte, Vergißmeinnicht-Ach, nun war's gewiß, daß ers gehört hatte...

Und was den Handschuh betrifft - Bettine an Clemens:

  • Der Arnim gab mir seinen Handschuh und bat, den zerrissenen Daumen zu flicken. - Ich habs getan, demente. Ach aller Anfang ist schwer, der Handschuh duftete so fein, so vornehm. - Ein grauer Handschuh von Gemsleder, ich habe ihn mit Hexenstichen benäht, er zog ihn gleich an, den linken Handschuh aber ließ er liegen und promenierte mit seinem Stock neben uns. Ich warf seinen vergessenen Handschuh unter den Tisch, ich dachte, da mag er liegen, wenn er ihn zurückläßt, dann hebe ich ihn zum Andenken auf, denn er geht ja morgen fort... Der Arnim ist fort! - er hat den Handschuh zurückgelassen.

Achim erscheint die ganze Brentano-Familie »eine Verbindung aus Feuer und Magnetismus«, und Bettine ist eine »höhere Vereinigung von beiden«.
Nur Karoline hat dafür Verständnis, wenn Bettine, die inzwischen aus Offenbach endgültig in das >Haus zum Goldenen Kopf< und in die Familie ihres Vormundes und Stiefbruders Franz Brentano übersiedelt ist, den kranken Hölderlin in Bad Homburg besuchen will, was bei fast allen Verwandten Entsetzen bis Empörung hervorruft. Bettine an Karoline:

  • Aber wenn ich wüßte, wie ich's anfing, so ginge ich hin, wenn Du mitgingest, Karoline, und wir sagten's niemand, wir sagten, wir gingen nach Hanau. Der Großmutter dürften wir's sagen, die litt's. Ich hab heute auch mit ihr von ihm gesprochen und ihr erzählt, daß er dort an einem Bach in einer Bauernhütte wohnt, bei offenen Türen schläft, und daß er stundenlang beim Gemurmel des Baches griechische Oden hersagt. Die Prinzeß von Homburg hat ihm einen Flügel geschenkt, da hat er die Saiten entzwei geschnitten, aber nicht alle, so daß mehrere Klaves klappen, da phantasiert er drauf, ach, ich möcht wohl hin, mir kommt dieser Wahnsinn so mild und groß vor... Ich darf ihn (Hölderlin) hier in Frankfurt gar nicht nennen, da schreit man die fürchterlichsten Dinge über ihn aus, bloß weil er eine Frau geliebt hat, um die Hyperion zu schreiben, die Leute nennen hier lieben: heiraten.

Im Jahr 1978 erscheint ein Buch mit dem Titel Hölderlin, in dem der Franzose Pierre Bertaux unter anderem den Nachweis zu führen versucht, Hölderlin sei nicht geisteskrank gewesen, nur anders als jene, die sich für die Norm halten. Ob Bertaux' Beweisführung schlüssig ist oder nicht, darüber kann man gewiß streiten. Aber ausgehend von dem »Fall Hölderlin« fordert Bertaux, Anderssein müsse ein Menschenrecht werden, wenn es auch in keiner der bisherigen Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte proklamiert wurde.
Bettines Urteil über ihren Zeitgenossen Hölderlin entspricht recht genau der These und den Forderungen Bertaux'. Auch sie hält Hölderlin nicht für verrückt. Auch sie fordert das Recht, anders sein zu dürfen.
Bei vielen der Frühromantiker zeigt sich ein verändertes Bewußtsein, Bereitschaft zur Abweichung von dem, was allgemein verbindliche Norm war. Auch Karoline wird ähnlich gedacht haben. Manche Sätze Hölderlins müssen ihr wie Feststellungen über ihr eigenes Lebensgefühl vorgekommen sein: »Wer mit ganzer Seele wirkt, irrt nie.«
Es ist Karoline, die Bettine zum systematischen Lernen anhält und ihr eigene lyrische Versuche zu lesen gibt, die sie 1804 und 1805 unter ihrem Pseudonym Tian veröffentlicht. Die Intensität der Beziehungen zwischen Bettine und Karoline läßt wohl auch den Schluß zu, daß die von G. trotz zahlreicher Bekannter und Brieffreundschaften ziemlich isoliert gewesen ist, zumal es in diesen Jahren wegen Erbschaftsstreitigkeiten auch zu einer zunehmenden Entfremdung von der in Hanau lebenden Mutter gekommen ist. Karolines Verlangen, eine menschliche Beziehung zu jemandem herzustellen, der ihr auch in Hinblick auf ihre literarischen und intellektuellen Ambitionen ein gleichwertiger oder überlegener Partner war, muß groß gewesen sein.
Karoline ist schwierig. Gegenüber Gunda bekennt sie ihre Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen und über längere Zeit ohne Verstimmungen aufrecht zu erhalten. Sie kennt ihre Neigung, von ihren Freunden vor allem Selbstbestätigung zu erwarten:

  • Mir scheint es so süß, von ausgezeichneten Menschen geliebt zu sein; es  ist mit der schmeichelhafteste Beweis meines eigenen Werthes.
    Ich zeige mich nicht immer gern... doch wenn ich mich gezeigt habe, so liebe ich es unmäßig mich wieder in andern zu erblicken;
    denn ich hoffe der Andere wird mich ein schöneres Gemählde sehen lassen als ich selber erblikke.

Friedrich Carl von Savigny nennt das ihre »Narzißnatur«.
Bei Freunden und Bekannten vermißt Karoline »allzu oft... die Geduld und Kraft... mich zu ertragen wie ich bin«, fühlt sich selbst aber ihnen gegenüber zu dieser Haltung ebenso unfähig: »Ich habe für manche Fehler gar keine Geduld, am wenigsten an Menschen, die ich lieben mögte.«
Wenn man von Karolines »Schwierigkeiten« und den Reaktionen ihrer Freunde spricht, gilt es auch zu sagen, daß es Schwierigkeiten sind, die sich aus ihrer Isolation und aus ihrem Anderssein ergeben. Es sind Schwierigkeiten, wie sie Frauen, die sich um ihre Emanzipation bemühen, auch heute noch haben. Die Notwendigkeit, von einem »ausgezeichneten Menschen« schmeichelhafte Beweise des eigenen Wertes geliefert zu bekommen, ist die Folge der Erfahrung als Frau, eingeengt, diskriminiert, herabgewürdigt zu werden. Und so wenig Geduld zu haben - rührt das nicht vielleicht daher, daß die eigene Geduld, die Geduld des weiblichen Geschlechts zu oft auf die Probe gestellt worden ist?

Das Empfinden, innerlich abzusterben, quälte Karoline häufig.

  • So beschränkt in äußern so verstimmt im Innern... es freut mich nichts, es schmerzt mich nichts bestimmt, ich bin in dem elendesten Zustand, dem des Nichtfühlens, des dumpfen kalten Dahinschlep-pens. In diesem Zustand hasse ich mich selbst. Es ist ein häßlicher Fehler von mir, daß ich so leicht in einen Zustand des Nichtempfin-dens verfallen kann, und ich freue mich über jede Sache, die mich aus demselben reist.

Ende 1802 schreibt Clemens Brentano, der ein rastloses Leben führt, schreibt, reist, liebt, an seinen Bruder Christian, der in Jena studiert:

  • Nichts kann die Erinnerung an die Mereau in mir vernichten. Gott weiß es, ich liebe treu und sterbe treu, freudelos, leidenlos. Wenn Du sie siehst, so sehe sie recht an, betrachte sie, sie ist der einzige lebende Punkt meines Lebens; und so ist das Leben von mir getrennt.

Am 10. Dezember 1802 schickt Sophie Mereau Clemens ein Bild seiner Mutter zurück, das sie noch in Verwahrung hat. Clemens antwortet auf zwanzig Quartseiten und erzählt in diesem Erguß unter anderem:

  • Ich habe mich ein Vierteljahr in Düsseldorf aufgehalten, wo mich sowohl die Galerie als die Gestalt einer kleinen Frau festhielt, die Ihnen mehr ähnlich ist als irgendein Weib... morgens saß ich einsam in der Galerie, wo ich vergebens ein Bild suchte, das Sie aussprach. Ich fand nur Savigny in Rafaels Johannes, meine Mutter und Karoline von G. in Guido Renis und Dolcis Madonnen, mit denen ging ich ungestört um. Dann saß ich auf meinem einsamen Zimmer und arbeitete eine kleine Oper aus. Ich hätte mich mit der Schauspielerin recht ergötzen können, wäre ich nicht einstens von Ihnen geliebt worden. Werden Sie denn noch immer nicht alt? Ach, in wenigen Monaten bin ich 25 Jahre alt und der Besitzer meines Vermögens! Was wird aus mir werden? Sind Sie noch immer so reizend? Werden Sie ewig in Weimar sitzen bleiben? Und Majer, wird er Ihnen ewig von des Gottes verlorenen Hammer vordichten und von den indischen Göttern...

Die Mereau ist inzwischen geschieden.
Am 27. Mai 1803 - Clemens besucht dort seinen Freund Wrangel, der nach Rußland zurückkehren will - fährt er von Jena nach Weimar, zu Sophie.
Clemens richtet sich auf einen längeren Aufenthalt ein, wohnt in Weimar bei Friedrich Majer und berichtet an Savigny:

  • Um Sie von meiner Lage zu orientieren. Ich bin in diesem Augenblick in Jena, weil die Mereau auch hier und Wrangel übermorgen abreist. Bis Montag bin ich wieder in Weimar, wo ich bei dem indischen Majer Wohnung und Tisch und mit der Mereau das Bett- noch nicht, aber doch täglich Herz und Sopha teile. Unser erstes Zusammentreffen war für mich durchaus empörend und für sie drückend. Es hat sich alles gefügt. Sie scheint mich zu lieben, und ich bin ihr gut und gebe mich ihr gern. Sie sieht dem Weib, das ich liebte, doch ähnlicher als andere, ich bin täglich einige Stunden mit ihr recht vertraulich...

Im August wollen beide Weimar verlassen. Sophie will nach Dresden, Clemens nach Marburg zurück. Aber seine Abreise zögert sich hinaus:

  • Ich zeige Dir mit diesen Zeilen an, daß ich armer Schelm hier in Weimar gezwungen bin, Dich zu überleben denn der Lauf der Postwagen nimmt mich erst in der anderen Woche mit. Also gehst Du von mir, ich nicht von Dir, und Du kannst mich im Stiche lassen! 0 mein göttlicher Sophus, sei kein U nmensch, ich lieb Dich so sehr, so sehr, wie die Fische im Meer. Ich hab Dich so lieb so lieb, wie der Krämer den Dieb.

Offenbar hatten sich Clemens und Sophie darauf geeinigt, miteinander zu leben, aber nicht zu heiraten. Wie die Familien auf diese Mitteilung reagierten, geht aus einem Brief hervor, den Clemens noch aus Weimar an seinen im Ausland lebenden Freund Achim von Arnim schickt:

  • Meine ganze Familie, meine Großmutter ist in Alarm, denn w ir haben uns vier Wochen öffentlich eingebildet, wir würden uns heurathen.
    Das hat nun ein Lärmen hier im Lande gemacht, das bis Frankfurt erscholl, wie meine Freunde und Verwandten gegen sie, so die Ihren gegen mich mit einer Wuth, einem Fanatismus - und das Lustigste ist, beide Parteien kennen ihre Gegner nicht und so bin ich seit drei Monden das Gespräch der hiesigen schönen Welt und des Hofes, und jedes Wort, was ich öffentlich rede, wird vor den ennuierten Herzoginnen wiedergekäut. Meine Absicht war anfangs, mit Sophie nach Marburg zu ziehen und sie förmlich zu heurathen, unsere Vermögensverhältnisse sollten sich aber keineswegs vermischen. Sophie hatte gleich anfangs nach unserer Versöhnung erklärt, sie wolle mich nie besitzen. Sie fühle wohl, daß sie zu altsei, daß ich frei sein müsse, und machte sich anheischig sich zu jeder Art des Lebens mit mir zu entschließen. Ich würde sie nie ganz lieben können, der Gedanke an ihre unglückliche vorige Ehe werde mich wie sie zerreißen. Ich aber war fest entschlossen, sie zu heurathen. Sie willigte ungern mit Thränen ein, und so hatten wir diese Idee einige Wochen schwankend lieb. In diesen Wochen nun sind wir unendlich viel klüger geworden; meine Phantasie glaubte wirklich schon in dieser Ehe zu leben und fühlte sich gebunden und das Leben schwerfällig. Ich äußerte nichts davon. Aber neulich in der Nacht saß ich mit ihr auf einer Gartenbank, da trat der Mondschein und ein Apfelbaum mit in unser Consilium, und sie erklärte feierlich, sie könne mein Weib nicht werden. Sie fühle, wie sie nie den Gedanken ertragen könne, mich irgendwie zu unterdrücken; sie fühle sich unendlich glücklich, mir ein Opfer mit ihrem Ruf, ihrem Leben, ihrer Welt zu bringen. So wolle sie Alles an mir büßen, so mich verdienen, und es ist also beschlossen. In einigen Tagen gehe ich nach Marburg zurück, und Sophie wird auch bald dahinziehen, dort leben und lieben und arbeiten...

So sieht es Clemens. Ob Sophies Motive, nicht zu heiraten, wirklich nur altruistisches Verständnis für Clemens' Freiheitsbedürfnis gewesen ist oder ob nicht vielmehr auch das Beharren auf der eigenen Unabhängigkeit eine wichtige Rolle gespielt haben mag, steht dahin.
In Weimar brodelt unterdessen die Gerüchteküche. Man erzählt sich, Clemens habe Sophies Wunsch zu heiraten abgewiesen. Sophie,   die  Clemens seine  Unbesonnenheit und mangelnde Diskretion vorwirft, in einem Brief im September 1803:

  • Daß alles wahr ist, daran ist leider kein Zweifel. Du schriebst es Deiner Schwester, die es andern zeigte, die la Roche seh rieb es mit einem Anstrich gutmütiger Besorglichkeit für mich hierher, ihr Correspondent las es laut bei der Herzogin und so erfuhr ich es wieder, nebst tausend andern Deiner Äußerungen, weil man mein Verhältnis mit Dir für ganz getrennt ansieht und erschrickt, wenn ich vom Gegenteil spreche.

Besänftigend antwortet Clemens:

  • Heio popeio, sei ruhig, liebes Herz! Schlafe Kindchen schlafe, in Weimar gehn die Schafe, die schwarzen und die weißen, die wollen mein Kindchen beißen.

Und dann klagt er über die »miserable Weimarer Ziererei«:

  • Ich versichere Dich, ich kann mir keinen ekelhafteren Rahmen um ein Kunstleben denken, als das jämmerliche Nest, das sich zur Poesie wie das Hanswurst-Kleid zum komischen verhält; die Rührung rührt dort immer mit einer Empfindung zum Erbrechen, denn das gebildete Publikum besteht aus einigen verrückten Hofdamen etc.
    Wenn ich an Weimar denke, wird mir miserable. Ach, liebe Sophie, eile Dich dahinweg zu kommen, um wieder ganz gescheid und gesund zu werden. Ich bin gerade zur rechten Zeit mit einem blauen Auge davon gekommen.

Immer wieder dringt Clemens auf die Eheschließung. Argumente: Er sei seit dem 8. September nun volljährig und könne über sein ansehnliches Vermögen frei verfügen. Seine Mittel reichten hin, um auch eine Familie zu ernähren.
Sophie Mereaus Entgegnung gibt einen interessanten Einblick in die Klauseln eines Scheidungsvertrages zu dieser Zeit:

  • Mein Verhältnis mit Mereau* (*ihr geschiedener Mann) sind folgende. Als ich mich von ihm trennte, verlangte ich nichts von ihm und sprach ihn gern von der Zurückgabe des kleinen Eigentums frei, welches ich ihm zugebracht hatte.
    Doch als er kurz darauf, zum Theil durch meine Vermittlung, in eine bessre Lage kam, war er ehrlich genug, mir eine jährliche Einnahme von 200 Thalern zuzusichern, bis ich wieder heurathen würde, und in diesem Fall mir ein, seinen Umständen angemessnes Jahrgeld für Hulda zu geben, wobei er sich jedoch das Recht vorbehielt, diese von mir zu entfernen-was er aber, bei dergeringsten Rechtlichkeit, nie wollen kann und wird.

Was sie über ihre festen Einkünfte hinaus braucht, will sie selbst verdienen. Doch dann treten Umstände ein, die sie dazu zwingen, den Plan eines Zusammenlebens ohne Heirat fallen zu lassen. Sie ist schwanger. Ende Oktober schreibt sie an Clemens:

  • Clemens, ich werde Dein Weib sein-und zwar so bald als möglich. Die Natur gebietet es. Meine Gesundheit, Deine Jugend, meine jetzige Kränklichkeit-ich weiß nicht, warum es mir kostet, Dir es zu sagen, und doch kann ich nicht länger schweigen. Wärst Du bei mir, so wollt' ich Dir es sagen mit einem Kuß, dochwill die Feder nicht zu schreiben wagen den Götterschluß. Geheimnisvollstes Wunder, so auf Erden die Götter thun, was nie enthüllt, nie kann verborgen werden - so rathe nun! Denk Schmerz, Lust, Leben, Tod in Einem Wesen verschlungen ruhn, denk daß ein ahnungsvoller Sänger Du gewesen bist - erräthst Dus nun? Ich werde mit Dir glücklich sein, das weiß ich; ob ich es bleiben werde, das weiß ich nicht, aber was geht mich die Zukunft an...

Am 29. November 1803 heiraten Clemens Brentano und Sophie Mereau in Marburg. Getraut werden sie von dem Prediger an der lutherischen Pfarrkirche und Professor für Philosophie, Leonhard Creuzer, dessen Vetter, Friedrich Creuzer, eine Professur in Heidelberg innehat.
Am 11. Mai bringt Sophie einen Sohn zur Welt, der den Namen Joachim Ariel Tyll erhält. Das Kind stirbt in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1804.
Hier gilt es einen Augenblick innezuhalten. Durch das Gewirr von Ereignissen könnte einem leicht entgehen, was sich hier tatsächlich abgespielt hat:
Die dreiunddreißigjährige Sophie Mereau ist zunächst entschlossen gewesen, Clemens nicht zu heiraten. Sie durchschaut weit besser als er selbst, daß ihm eine Ehe nicht »gut tun« werde. Wenn Clemens auf Heirat drängt, so nicht aus dem Grund, aus dem die Familie Brentano zunächst gegen diese Verbindung gewesen ist. Anders als sein Klan kümmert er sich nicht darum, was die Leute schwätzen. Er will heiraten aus psychologischem Besitzdenken. Sophies Anspruch auf Selbständigkeit ist ihm unheimlich. Ist sie erst einmal seine angetraute Ehefrau, wird sich ihre Selbständigkeit eingrenzen lassen. Ohne die Sanktion ihrer Bindung durch Kirche und Staat kann er sie an vielem nicht hindern. Besitzdenken in der Liebe ist bei Clemens immer wieder zu beobachten. Mag er sonst den Lebensstil und die Werte der bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen, diese ihrer Eigenschaften hat er so weit verinnerlicht, daß er sie nicht mehr los wird. Und Clemens setzt seinen Willen durch. Nicht, weil er die besseren Argumente auf seiner Seite hätte. Nicht, weil es ihm gelingt, Sophie von seinem Standpunkt zu überzeugen, sondern weil sie von ihm schwanger ist. Offenbar war es damals für eine geschiedene Frau unmöglich, mit einem unehelichen Kind allein zu leben. Sophies geschiedener Mann hätte ihr in diesem Fall gewiß die Unterhaltszahlungen für ihre gemeinsame Tochter Hulda gestrichen, eventuell sogar darauf bestanden, daß ihr das Kind aufgrund ihres unmoralischen Lebenswandel weggenommen wird.
Was wir bedenken müssen, wenn wir Selbstzeugnisse von Karoline von G. lesen, ist dies: Sie hat von all dem gewußt. Sie war gescheit genug, um solche Situationen zu durchschauen und zu analysieren. Gerade am Fall der als Schriftstellerin sogar erfolgreichen und somit materiell wenigstens etwas gesicherten Sophie Mereau muß ihr klar geworden sein, wie leicht die Frau dennoch zur Verliererin wird.
»Biologically trapped« heißt das viel später in einem Roman von Hemingway. Können wir für unsere Zeit sagen, daß Schwängerung keine Form von Herrschaft mehr sei?
Am 8. Juli verlassen Clemens, Sophie und deren Tochter aus erster Ehe Marburg und gehen zunächst drei Wochen nach Frankfurt, wo Clemens Sophie seiner Familie vorstellen will. Anfang August siedelt Clemens mit seiner Frau nach Heidelberg über. Bei diesem Entschluß mag mitgespielt haben, daß Savigny mit seiner Frau zu einer Studienreise nach Italien und Frankreich aufgebrochen war. Zwar war das Verhältnis zu Schwester und Schwager in den letzten Monaten auch nicht ohne Spannungen gewesen, aber ohne sie fühlt sich Clemens in Marburg dennoch »vereinsamt«. Wie häufig, verspricht er sich von einem Ortswechsel Besserung seines psychischen Zustandes. Der Tod des Kindes hat ihn erschüttert.
Schon meint er die Fesseln zu spüren, die ihm durch die Ehe auferlegt sind. Kaum in Heidelberg seßhaft geworden, beschließt er, nach Berlin zu Achim von Arnim zu reisen, der von seiner Kavalierstour nach Deutschland zurückgekehrt ist.

  • Lieber Freund! Ich komme bald zu Dir! Da Dein Bild vor mir stand, da ich Dich wiedersah, mußte ich schrecklich weinen. Mein Kind ist nur fünf Wochen alt geworden, Gott hat es zu sich genommen. Du hast eine große Reise durch die Welt gemacht, ich durch mein Inneres; Du warst so krank, armer Junge, ich war ein unglücklicher Ehemann. Seit Achim todt ist, auf den ich meine Hoffnung ganz gelehnt hatte, ist alles Glück von mir gewichen: mein armes Weib kann nicht glücklich mit mir sein... seitdem ich weiß, daß Du wieder im Vaterlande bist, bin ich fröhlich. Lieberjunge, ich will zu Dirnach Berlin kommen, sobald Du es mir schreibst, und will mit Dir reden über das, was mir gut und würdig ist.
    Ich habe Vieles mit Dir zu besprechen, ich habe Dich um mein Leben zu bitten, welches Du selbst als in Deinen Händen erkennen wirst, sobald ich Dir meine Geschichte seit der Trennung zu Koblenz erzähle. Schreiben kann ich Dir's nicht, denn ich muß Dir dabei ins Auge sehen... Ich bin sehr unglücklich, hysterisch durch die schlechtesten Leiden; und doch singe ich in den Bergen, denke an Dich mit heißer Sehnsucht und verlange nach Dir. Dusollst, Du wirst mein Leben sein, gieb mir den Stock, daß ich wandeln kann hienieden, mein Geist muß einsam sonst zum Himmel dringen... Arnim, verdamme mich nicht, höre mich an, ich will zu Dir und mit Dir reden.

In diesem August des Jahres 1804 lernt Karoline von G. bei dem Besuch einer Jugendfreundin, der Frau des Theologen Daub, in Heidelberg den Philologen und Historiker Georg Friedrich Creuzer kennen. Es ist möglich, daß Clemens Brentano den Kontakt zu Creuzer hergestellt hat. Von Creuzers Freund, Karl Philipp Kayer, wissen wir über die näheren Umstände der Begegnung zwischen der von G. und Creuzer:

  • Die Dichterin Günderrode, welche eine Familie in die Neckargegend begleitete, war gestern morgen hier angekommen. Als wir unsern Spaziergang vornehmen wollten und deswegen zu Creuzern gegangen waren, fanden wir sie da, aber im Begriffe, mit Brentano und Daub spazieren zu gehen. Wir mußten also allein gehen. Doch kam gegen acht Uhr Brentano in den >Hecht<, wo wir bis tief in die Nacht zusammensaßen; heute nachmittag ward auch uns das Glück, ihre Gesellschaft zu genießen. In einer großen Gesellschaft, denn außer den Genannten kamen noch der Bruder der Dichterin, der Maler Kraft von Hanau, der Professor Posselt, Creuzers Frau und Tochter aus erster Ehe dazu, gingen wir nach dem Stifte, lagerten uns hinter demselben in dem Wäldchen, welches man passirt, wenn man nach dem Fürstenweiher gehet, und ließen uns durch Brentanos Gesang und Zitherspiel ergetzen.
    Fräulein Günderrode ist durch Anspruchslosigkeit und Einfachheit liebenswerth. Nach Brentanos Versicherung ist sie eine tiefe Denkerin und liest viel. Aber aus ihrem Umgang war dieses nicht abzunehmen, so wenig legte sie ihren Kram aus und zierte sich doch auch nicht...

Creuzer, schon vor dieser Begegnung mit Karoline in seiner Ehe mit der um dreizehn Jahre älteren Sophie Leske unglücklich, verliebt sich in die junge Frau, die für die Antike schwärmt, während sich Karoline für Creuzers wissenschaftliche Arbeiten über Mythologie interessiert.
Gegenüber Creuzers Liebeserklärung scheint sie sich zunächst abweisend verhalten zu haben, vor allem, weil sie wegen seiner Ehe Konflikte voraussah.

Du innig Roth
Bis an den Tod
Soll mein Lieb Dir gleichen,
Soll nimmer bleichen,
Bis an den Tod,
Du glühend Roth,
Soll sie Dir gleichen.

Anfang Oktober 1804 ist Karolire dennoch wieder nach Heidelberg gekommen. Aus diesen Tagen stammt der folgende Brief Creuzers an sie:

  • Wie habe ich die Tage gezählt bis zum Empfang Ihres Briefes! Den Zweifelmut hielt ich ferne, aber das Entbehren Ihres Zuspruchs machte mich traurig. Ich beneidete jedermann, den ich im Besitz eines Briefes von Ihnen wähnte.
    Der Mereau, die ich einmal in Schwetzingen sah, klagte ich mein Herzleide. Ich muß in dem Element, das mich hier umgibt, erkranken - wenn Sie nicht zuweilen frische Lebensluft senden...

Um den 15. Oktober besucht Creuzer Karoline in Frankfurt:

  • ... ein sinnliches Symbol trage ich schon auf meinem Herzen - ein goldenes Medaillon. Jacta est alea-einen Mittelweg gibt es nicht-Himmel oder Tod. Bedenke, was ich Dir vertraue. Niemand in der Welt außer Dir und Deiner Lotte wisse davon... mein Lager ist seit meiner Rückkehr in einem von meiner Frau entfernten Teil des Hauses.

Die Situation der beiden Liebenden ist insofern besonders kompliziert, als Creuzer es seiner Frau Sophie, die in den Briefen zwischen ihm und Karoline gewöhnlich unter dem Tarnnamen »die Gutmütige« figuriert, verdankt, daß er sein Studium abschließen, promovieren und sich habilitieren konnte. Sophie Creuzer war in erster Ehe mit einem Professor Leske verheiratet gewesen. Verwitwet, hat sie den mittellosen Creuzer mit ihrer Pension bis zur Erlangung einer Professur über Wasser gehalten. Eine Scheidung ist also, abgesehen von dem gesellschaftlichen Eklat, den vor allem Creuzer fürchtet, auch insofern problematisch, weil Sophie dann nahezu mittellos dastünde. Ihre Pension nämlich hat sie eben durch die Wiederverheiratung verloren. Um für zwei Haushalte aufzukommen, reicht Creuzers Professorengehalt nicht aus.
Creuzer zieht, in dem Bedürfnis sich auszusprechen und auch, um von Sophie unbemerkt Post von Karoline erhalten zu können, seinen Vetter Leonard Creuzer und die Kollegen Carl Daub und Schwarz ins Vertrauen. Später wird als juristischer Ratgeber auch noch Savigny bemüht werden, zumal dieser »die arme Sophie« gut kennt.
Was die Affäre zwischen Karoline von G. und Creuzer so unerfreulich macht, ist ja nicht die Tatsache, daß ein verheirateter Mann eine ledige junge Frau liebt, sondern das Maß an Illusionen, Täuschungen, Eitelkeiten und Egoismus, mit dem diese Liebe belastet ist.
Für Karoline ist es ein Wunder, endlich einmal einem Mann begegnet zu sein, mit dem sie philosophische und literarische Fragen besprechen kann. Creuzer, ohnehin von schwachem Selbstwertgefühl, schmeichelt vor allem die Bewunderung durch ein junges Mädchen. Sie als gleichwertigen intellektuellen Partner zu akzeptieren, ihr bei der Entwicklung ihrer literarischen Begabung beizustehen, empfindet er auf die Dauer eher als lästig. Wer die Briefe liest - und es ist auch wiederum bezeichnend, daß fast alle Briefe des Mannes, aber nur einige wenige der Frau erhalten geblieben sind -, spürt: er sieht ihre Rolle vor allem darin, ihn über seinen Ärger daheim oder im Beruf hinwegzutrösten, ihn aufzumuntern. Er ist seine Alte leid, an die er gefesselt ist. Er hat Ärger an der Universität, den üblichen Ärger eines Mannes in seinem Amt, vielleicht den zusätzlichen Ärger des Emporkömmlings. Das soll sie ausgleichen. Aber was bringt eigentlich er in diese Beziehung ein? Was mehr als das Bedürfnis, bewundert und gestreichelt zu werden?
Wir müßten Karolines Briefe kennen, dann fiele unser Urteil über Creuzer vielleicht nicht ganz so negativ aus. Sicher ist das jedoch nicht. Hingegen gibt es für seinen immer wieder dominierenden Egoismus zahlreiche Belege. Daß er Angst davor hatte, ein Skandal werde seine Universitätskarriere gefährden - nun gut. In Grenzen ist das verständlich. Welch hohes Risiko Karoline einging — was wäre eigentlich geworden, wenn man sie wegen ehebrecherischer Beziehungen aus dem Stift hinausgeworfen hätte? -, scheint nie bedacht worden zu sein. Man kann einwenden, daß Liebende an derlei eben nicht denken. Nun, Creuzer hat, wo seine Karriere, seine Zukunft auf dem Spiel stand, sehr wohl immer wieder an derlei gedacht und hat Karoline damit mehr als einmal in den Ohren gelegen.
Eine Frau, wenn sie sich auf ein solch gewagtes Verhältnis einläßt, hat mit den Risiken allein fertig zu werden. Gegen Ende des Jahres 1804 unternimmt Karoline einen Versuch, der unglücklichen Affäre ein Ende zu setzen, da ihr klar geworden ist, daß Creuzer den Gewissenskonflikt nicht aushält und, selbst wenn er sich für sie entscheiden würde, von Schuldgefühlen gegenüber Sophie geplagt bliebe. Sie ahnt, daß bei einem ichschwachen und pflichtgläubigen Menschen, wie es der geliebte Mann nun einmal ist, der Schatten der »armen Sophie« immer zwischen ihnen stehen wird. An Creuzer schreibt sie:

  • Meine Briefe waren Ihnen das Liebste und Erfreulichste, Sie geben Sie auf, nicht gegen was Großes und Vortreffliches, nein, wie Sie selbst gestehen, wegen eitler Besorgnis. Es ist hier nichts Verdamli-ches, es ist nur schlimm, daß Sie sich für selbständiger halten als Sie sind und daß Sie sich nicht eingestehen wollen, daß Sie eigentlich Ihrer Frau in vielem Sinn angehören. Warum sollte das auch nicht sein. Sie ist gut und liebt sie, und tadellos ist Niemand. Kehren Sie ganz und mit Bewußtsein zu ihr zurük dann haben Sie doch Etwas für Ihre Opfer.
    Wenn Sie aber ihr zu lieb immer das Liebste aufgeben und sie doch dafür nicht besitzen und festhalten mögen, so verarmen Sie unausbleiblich. Sie haben Ihre Frau zu Ihrem Schiksal heranwachsen lassen, aber man soll sich kein Schiksal geben oder es ehren und nicht dawider murren...

Offenbar sind diesem Brief wehleidige Klagen von Seiten Creuzers über sein schlechtes Gewissen vorausgegangen. Dem will Karoline ein Ende setzen. Doch dann haben Creuzers Bitten und die eigene Neigung sie dazu bewogen, die Beziehung fortzusetzen. Sie ist in diesem Verhältnis der stärkere, willenskräftigere und härtere Teil. Und doch finden sich im Januar 1805 in einem ihrer Briefe die folgenden Todesphantasien:

  • Wenn ich einst sterbe, mein Freund, so werde ich Dir erscheinen, wenn Du nachts allein bist. Dann trete ich leise an Dein Bett und drücke Dir einen Kuß auf Deine Stirn. Wenn du stirbst, so komme auch zu mir. Versprich es...

Unterdessen ist zwischen den Liebenden, die, um intime Mitteilungen vor Creuzers Frau geheimzuhalten, auf griechisch miteinander korrespondieren, jeder auch nur erdenkliche Ausweg aus der hoffnungslosen Lage erörtert worden. Da ist von einem Zusammenleben zu dritt die Rede, über das Creuzer an Karoline schreibt: »...meine Frau sollte bei uns zu bleiben wünschen, als Mutter, als Führerin unseres Hauswesens.« Ein andermal, Creuzer hat Aussicht auf eine Professur in Rußland, überlegt Karoline, ob sie ihm nicht als Mann verkleidet folgen könne. Und auch als sich diese Möglichkeit zerschlägt, erwägt sie immer noch ganz ernsthaft, in Männerkleidern in Heidelberg in der Nähe des geliebten Mannes zu leben, an dessen Ehestatus sich nach außen hin ja nichts ändern müsse.

Da sind nun zwei, die nicht glücklich werden können, weil eine Heirat unmöglich ist - Karoline und Creuzer. Da sind zwei andere, die haben nach langen Zweifeln und großen Schwierigkeiten endlich doch geheiratet und sind ebenfalls unglücklich: Clemens Brentano und Sophie Mereau. Heinrich Vormweg urteilt:

  • Sophies Nähe konnte Brentano nicht die Sehnsucht nach einer fernen Geliebten aufwiegen, die sich so reizvoll mit der Werbung um andere hübsche Mädchen vertragen hatte und ein unerschöpfliches Stimulanz für seine lyrische Produktion gewesen war.

Sehr bald wird Clemens in einem Brief an Achim von Arnim seufzen:

  • Ein Jahr, lieber Arnim, ist es nun her, daß ich keine Zeile gedichtet... ohne Umgang, ohne Liebe in stetem häuslichen Leiden fühle ich meine Kraft erlahmen.

Die Mereau hat diese Mischung aus Egozentrik, Unrast, Lust an Selbstbespiegelung, in die sich aber auch wieder schärfste psychologische Einfühlungs- und Beobachtungsgabe mischen, wohl recht früh erkannt. Bereits aus Weimar kann sie, sich selbst, den Geliebten und das Zeitgefühl persiflierend, darüber schreiben:

  • Oh! Du Ungeheuer, Genie, Bösewicht, Lügner, Verläumder, Räuber, Schriftsteller, Comediant - ach! Du Teufel! - ich bin außer mir, ich sterbe, ich bin schon todt. Betraure mich, weine ein paar verführerische Tränen, um damit das Lächeln eines weichfühlenden Mädchens zu gewinnen, schreibe die rührendsten Trauerlieder auf Deine arme Geliebte, um Dir neue Freude damit zu erkaufen - ach! wie interessant wirst Du sein in Deinem heuchlerischen Schmerz. Deine Coquetterie lockt mich von den Todten zurück, ich kehre noch einmal ins Leben, um mich von neuem in Dich zu verlieben -Doch, nein! ich nehme mich zusammen, wir sind getrennt, und ich sage Dir ein ewiges Lebewohl.

Im Herbst 1804 ist Clemens zu Achim gereist. In Berlin bearbeiten die Freunde Clemens' Lustspiel Ponce de Leon und spinnen Pläne zu einer Liedsammlung, die später den Titel Des Knaben Wunderhorn tragen wird.
Sophie ist in Heidelberg zurückgeblieben. Sie ist wieder schwanger. Clemens quält sie mit wilden Ausbrüchen von Eifersucht. Sie antwortet am 17. November 1804:

  • Soll ich weinend oder lachend auf Deinen lezten Brief antworten? -einen größeren Don Quichote wie Dich, trug gewis nie die prosaische Erde! Zuhause sizt sein treues Weib, liebt ihn, lebt eingezogen, arbeitssam, trägt ihn in und unter dem Herzen, und ist ganz zufrieden - er reißt ganz lustig durch die Welt, zu einem geliebten, wunderholden, einzigen Freund, er könnte ganz ruhig und glücklich sein, aber weil er nun gar nichts weis, ihm gar nichts fehlt, so kämpft er gegen Windmühlen, und trägt sich mit den unwesentlichsten Grillen! - Ich bitte Dich, nimm doch das Gute wahr, das Dein ist, es nicht genießen, ist auch eine Sünde, und bekämpfe diesen unbeschreiblichen Hang, stets nach dem Fernen Dich zu sehnen. Diese ewige Sehnsucht gehört nur Gott. - Meine Liebe, meine ich, müßte dich umgeben wie ein warmes, weiches Kleid, das du überall mit Dir trägst und in dem Du Dich wohl befindest, aber es scheint, als bedürfe Dein Gefühl, um zu fühlen, öfters einen Reiz, der wie spanische Fliegen, Blasen zieht. Du bist es, nicht ich, der ewig nach der Fremde trachtet. Deine Begierde nach mir ist eben das, was Du oft bei mir empfunden, was Dich jezt zu mir zieht, zog Dich oft von mir weg, es ist ein allgemeines Gefühl, ein stetes Sehnen nach dem entfernten, das mich eigentlich ins besondere gar nichts angeht. Ich bitte Dich, lieber Fremdling, kom doch endlich einmal nachhause, Du bist stets nicht bei Dir, und es ist so hübsch bei Dir; versuche es nur, und kom zu Dir selbst, Du wirst die Heimath finden, sie lieben und dann immer mit Dir zu tragen!
    Es ist wahr, ein Gefühl ist in mir, ein einziges, welches nicht Dein gehört. Es ist das Gefühl der Freiheit. Was es ist, weis ich nicht.es ist mir angebohren, und Du verletzest es zuweilen. Verteidigen kann ich es nicht, denn wer verteidigen muß, ist nicht frei, betrügen kann ich nicht, denn Betrug ist Zwang, kannst Du es also mehr schonen, wie bisher, so bin ich zufrieden...

Zum Jahreswechsel 1804/05 ist Clemens wieder in Heidelberg.
Eine Weile herrscht Wiedersehensfrieden zwischen Sophie und ihm. Aber diese Stimmung kann nicht lang angehalten haben.
Achim ist fern, Sophie hochschwanger, also wählt sich Clemens jetzt Karoline von G. als Adressat für seine seelischen Eruptionen. Ein loser Briefwechsel mit Karoline besteht bereits seit Mai 1804.
Einer dieser Briefe von Clemens an Karoline von G. wirft ein bezeichnendes Licht auf die Einstellung eines Mannes einer Frau gegenüber, die schreibt und es wagt, drucken zu lassen, sich gar selbst einen Verleger zu suchen.
Schriftstellerische Arbeiten einer Frau - das kann sich Clemens nur unter Aufsicht und Führung durch ein männliches Wesen vorstellen:

  • Ich  bin  gestern Ihretwegen etwas erschrocken, da mir in der Buchhandlung Kotzebues Freimütiger in die Hand fiel, und ich im zehnten Maistück in einem Aufsatz aus Frankfurt Ihren Namen als Verfasserin des Tian mit breitem läppischem Lobe und eben so gemeiner, sanfter Rüge ausgeplaudert sehe. Ich kenne Sie zu gut, als daß diese Anzeige etwas anderes als Ekel in Ihnen hervorbringen könnte, denn der Schreiber des Aufsatzes muß ein undelikater Mensch sein, daß er Ihre Namensverschweigung ohne Erlaubnis entweihte, und zwar in einem Blatte, welches jeder Ladenbursche liest, besonders da er ein Mensch ohne Autorität ist, welches ersein muß, da er ein Schmierer ist, und Ihre Lieder lobt, welche eigentlich nur ein Mensch loben kann, der Sie selbst liebt und Ihre Geschichte kennt, aber er sagte, er kenne Sie nicht. Überhaupt bin ich sehr neugierig, von Ihnen selbst zu hören, warum Sie sich entschlossen haben, Ihre Lieder drucken zu lassen, und wie Sie die Berührung mit dem Buchhändler vermittelt haben. Das muß eine Epoche in Ihrem Leben sein, Sie können nicht gut zurücktreten. Sie haben die Welt zu Forderungen an Sie berechtigt, und Sie müssen verstummen oder beweisen, daß Sie selbst über der Welt stehen, weil Sie sich erkühnt haben, ihr das Ihrige anzuvertrauen... Liebe Karoline, wenn ich Ihnen wieder näher komme, sollen Sie mich um eines willen lieb gewinnen; ich werde Ihnen beweisen, wie man schreiben soll und muß, um es mit Ruhe zu können und sich selbst von dem Leserund dem Kritiker rein zu erhalten... Liebe Karoline, hätten keine anderen Menschen zwischen uns gestanden, hätten Sie sich mir ganz erklärt, es würde nie eine tote Epoche in unserer Bekanntschaft gewesen sein!

Sofern Creuzer diesen Brief gekannt hat - er stammt von Anfang Juni 1804 -, dürfte er seinen geistigen Einfluß auf Karoline von G. durch Clemens bedroht gesehen haben.
Man kann nur hoffen, daß er die folgenden Herzensergießungen von Clemens aus dem Frühjahr 1805 (also kurz vor der Geburt des zweiten Kindes!) an Karoline nicht zu Gesicht bekam:

  • Gute Nacht! Du lieber Engel! Ach, bist Du es, bist Du es nicht, so öffne alle Adern Deines weißen Leibes, daß das heiße, schäumende Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen spritze, so will ich Dich sehen und trinken aus den tausend Quellen trinken, bis ich berauscht bin... lägest Du nur eine Nacht in meinen Armen, so solltest Du Dir meine Liebe an Deinen warmen Brüsten ausbrühen, und Du wüßtest alles, was ich weiß, und brauchtest nicht mehr zu erschrecken, über alles, was ich sagen darf, weil ich will. Wahrhaftig liebes Kind, die Tugend ist zart und man kann nicht mir ihr sprechen, die Jugend soll vom Leben lernen, O Du liebe Jugend, warum darf ich Dich nicht lehren, nicht wahr?
    O ihr armen lieben zweibeinigen Engel in der Hölle und Du, Günderrödchen im Fräuleinstift, was habe ich euch so lieb, ihr Teufel und ihr Engel, mein Herz ist keine arme Seele. Alles das schreibe ich in einem süßen, drehenden Rausch, die Mondnacht und der Frühling haben sich nicht gescheut, vor meinen Augen das süße heilige Liebeswerk zu vollbringen und damit das Bewußtsein solcher Wollust nicht verloren gehe, haben sie das Seufzen ihrer Liebe an dem Echo meines Busens gebrochen, und wie sie sich umarmten, verwandelten sie sich in eine goldene, süße, bittere, wollüstige Schlange, die mich mit den lebendigen, drückenden, zuckenden Fesseln ihres Leibes umwand. So saß ich am Berg, und sah ins weite Thal, daß sich wie ein leichter Berg auf mein Herz warf und da riß ich die Kleider von mir, daß die Umarmung keuscher sei wie der Blitzschnell und elektrisch, bis mirdie goldene Schlange ins Herz, und ringelte wie in gewundener Lust an mir heraus, sie vergiftete mich mit göttlichem Leben und in mir war ein anderes Leben, es zieht mir mit ergebendem Widerstand durch Adern und Mark, und die Schlange zog durch die Wunde nach, und ringelte sich jetzt freudig und liebend um mein Herz, es istviel, was ich habe. Drum beiße ich mir die Adern auf und will Dir es geben, aber Du hättest es thun sollen und saugen müssen.
    Öffne Deine Adern nicht, Günderrödchen, ich will Dir sie aufbeißen. O ich bin ein arabisches Roß, warum nicht, wenn ich Dich hier hätte und Du solche Hochzeiten feiern sähest neben mir, so sollte Mondnacht und Frühling uns das Echo sein, das ich ihnen war...

Clemens Brief an Karoline ist als Auskunft über seine Beziehungen zu zwei Frauen zu verstehen. Während der zweiten Schwangerschaft seiner Frau versucht er es mal bei einer anderen, bei Karoline. Sie, die Stiftsdame, die von Savigny nicht Geheiratete, müßte doch für solche Eskapaden Verständnis haben. Sie hat Vorstellungsvermögen genug, um zu begreifen, wie unbequem für einen Mann die Ehe ist. Ein Mann braucht seine Freiheit.
Es ist  Frühling. Ich bin ein Dichter. Du bist meine Muse.
Einverstanden? Sich in einen Hengst verwandeln (»O ich bin ein arabisches Roß«) und die Stute bespringen! Eine Zumutung für Karoline.
Eine Zumutung für Sophie, die wahrscheinlich von diesem Brief nie etwas erfahren hat.
Dichter, Männer - sie dürfen ausbrechen. So entstehen unsterbliche Werke. Die Frau, unterdessen in den Wehen, soll nicht so ein Geschrei machen.
Karoline hat hier eine kluge Beraterin, ihre Freundin Lisette Nees, die ihr am 23. Mai 1804 einsichtsvoll-warnend schreibt:

  • Ernstlich, liebe Lina nehme Clemenz nicht anders wie er ist, vertraue diesem ungetreuem Schiff nicht! Sein Brief an Dich ist nichts änderst wie eine verdiente Würdigung Deiner Gedichte, seiner natur gemäß ausgedrückt, Clemenz ist ein Künstler, aber ein reiner Enthusiasmus lebt doch nicht in seiner Seele, denn er liebt es, daß man seine Originalität in ihm anstaune wobey es ihm gleichviel ist ob die Sache wofür er spricht Eingang gewinnt; Savigny sagt: er ließt gottlos und hiermit ist eine Haupttendenz seines Lebens ausgedrückt; Clemenz ist zu eitel um ein Apostel der Wahrheit zu sein. Sein Brief ist eigentlich so wenig die Meinung seiner Seele, daß Du Dich nicht schlimmer täuschen könntest als wenn Du glaubtest es sey wirklich sein Streben in innige Berührung zu Dir zu gelangen...

Lisette Nees von Esenbeck ist die am 22. September 1783 geborene Tochter eines Erbacher Hofrates. Schon als junges Mädchen zeigt sie ausgeprägte literarische und linguistische Neigungen. Sie war in der zeitgenössischen französischen und englischen Literatur belesen, übersetzte italienische Gedichte ins Deutsche und trieb naturwissenschaftliche Studien. Am 5. März 1804 heiratet sie Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck, der in Jena zuerst lutherische Theologie und Philosophie studierte und 1800 in Gießen zum Doktor der Medizin promovierte. Seine erste Frau, die das Landgut Sickershausen in Franken mit in die Ehe bringt, stirbt im Wochenbett. In den ersten Jahren der Ehe mit Lisette scheint Dr. Nees, der Karoline nicht nur in literarischen Fragen, wie beispielsweise bei ihrer dramatischen Dichtung
Mahomed, der Prophet von Mekka beriet, sondern auch ihr Augenleiden behandelte, unter starken Depressionen gelitten zu haben.
Im August 1805 ist Karoline mit Frau von Heyden nach Franken zu Lisette gereist. Creuzer soll auch dorthin kommen. Er kommt aber nicht. Unter Umständen hat ihn aber Karoline von Sickershausen aus in Heidelberg besucht, nachdem für einen Augenblick gewisse Zugeständnisse von Creuzers Frau eine Ehe zu dritt möglich erscheinen ließen.
Wie kompliziert es für Karoline und Creuzer war, ein Treffen zu arrangieren, geht aus dem Brief einer anderen Freundin, Susanne von Heyden, an Karoline vom Oktober 1806 hervor:

  • Wahrscheinlich sind es die Ferien, wo Cr. herkommen soll. Um diese Zeit bin ich noch hier am Ort. Dann kann ich Dir meinen Saalschlüssel geben und ihr gehet von eins bis vier Uhr dahin. Dies ist die Zeit, wo ich beinahe gewiß sein kann, daß niemand von den Meinen da ist, wenn ihr nur ohngef ragt von den... Mägden vorbeikommet, so sehe ich kein anderes Hindernis.

Bettine Brentano scheint nur recht vage von dem Verhältnis zwischen Creuzer und Karoline gewußt zu haben. Später schreibt Bettine darüber:

  • Sie (Karoline) hatte zwar von Daub in Heidelberg gesprochen und auch von Creuzer, aber ich wußte von keinem, ob er ihr lieber sei als der andere.

Die sich nun häufenden Depressionen aber, bei denen die Verschlimmerung von Karolines Augenleiden gewiß auch eine Rolle spielte, konnten Bettine nicht verborgen bleiben. Sie notiert, allerdings Jahre später, eine gespenstische Episode, von der man nicht annehmen kann, daß sie völlig frei erfunden sein soll:

  • Einmal kam mir Karoline freundig entgegen und sagte: »Gestern habe ich einen Chirurgen gesprochen, der hat mir gesagt, daß es sehr leicht ist, sich umzubringen.« Sie öffnete hastig ihr Kleid und zeigte mir unter der schönen Brust den Fleck. Ihre Augen funkelten freudig. Ich starrte sie an. Es ward mir zum ersten Mal unheimlich... ich fiel ihr um den Hals und riß sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre Knie und weinte viele Tränen und küßte sie zum erstenmal an ihren Mund und riß ihr das Kleid auf und küßte sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte das Herz zu treffen.

Ende April 1805 ist Clemens zur Regelung von Familienangelegenheiten in Frankfurt. An Sophie schreibt er:

  • Die Günderrode, die Vertraute Bettinens, welche einige mir unbekannte Liebesverhältnisse hier hat, hat dieser im Winter Geschichte gelehrt, ihr Mahomet wird jetzt bei Wilmans gedruckt, sie ist nichts weniger als unglücklich oder traurig, sie ist recht ernsthaft und hat an Bestimmtheit gewonnen, ich sah sie einmal, sie geht ungern in unser Haus...

Am 11. April meldet Savigny aus Paris die Geburt einer Tochter, er wird bald nach Deutschland zurückkehren, dann soll das Neugeborene bei einem großen Fest, zu dem er alle Freunde auf dem Gut Träges versammeln will, getauft werden. Am 13. Mai 1805 bringt Sophie Brentano eine Tochter zur Welt, die auf die Namen Joachime Elisabetha Claudia Karolina Johanna getauft wird. Sechs Wochen nach der Geburt stirbt das Kind an Scharlach.
Im Frühsommer 1805 kommt Achim von Arnim von Berlin nach Heidelberg, um mit Clemens die seit geraumer Zeit geplante Volksliedersammlung druckfertig zu machen. Im Juli ist Achim in Frankfurt, um dort die Drucklegung zu überwachen. Clemens hält sich zu einer Kur in Wiesbaden auf. Gesundheitlich geht es ihm bald besser. Achim teilt er mit:

  • Der Rhein, der Himmel, das Schloß*, (*in Biebrich) alles hat mich innig erquickt, und ich habe sogleich an Sophie geschrieben, daß sie hierherkommen soll. Es tuth mir leid, daß der arme Schelm das nicht sehen soll...

Als Savigny mit Frau und Kind Ende September in Träges eintrifft, reist Clemens schnell zu den Geschwistern. Sophie ist in Heidelberg zurückgeblieben. Ihr berichtet er:

  • Wir tun hier nichts weiter als den ganzen Tag auf dem Feld mit der Flinte hin und hergehn und gar nicht schießen. Die Unterhaltung besteht einzig darin, daß man sich lieb hat; ich schlafe wieder in dem kleinen Häuschen. Unter allen Jägern ist Arnim der unermüdlichste, er läuft nach einem Vogel 6-7 Stunden. Ich melde weiter, Savigny geht den Winter nach Marburg, weil es dort ruhig ist und er in seiner Bibliothek arbeiten kann. Vorher aber kömmt Savigny allein nach Heidelberg auf ein paar Tage. Im Vertrauen sage ich Dir, daß er die >Studien< für sehr schlecht hält und besonders Creuzers und Beises Aufsätze...

Erst nach seiner Rückkehr aus Frankreich erfährt Savigny von Karoline Genaueres über ihr Verhältnis zu Creuzer. Karoline schreibt ihm:

  • ...Sie kennen Creuzers Frau und haben Einfluß auf ihre Entscheidungen, wenn Sie Creuzer jemals gut waren oder mir, so bitte ich Sie herzlich, wenn Sie können, thun Sie etwas für unsere Wünsche; so wie es ist, kann es nicht bleiben, und aufhören zu lieben kann ich nicht, und er kann es nicht, auch in ein entfernteres Verhältnis zu einander können wir nicht treten.

Zu der Tauffeier von Friedrich Carl und Gundula Savignys Tochter, mit der Bettine bei dem Fest über Tische und Bänke gesprungen sein soll, ist Karoline von G. nicht nach Träges gefahren.
Savigny rät Karoline Verzicht, rät weiter dazu, den Theologieprofessor Daub, einen engen Freund Creuzers, um Rat zu fragen. Karoline muß nicht weniger als dreimal an Daub schreiben, ehe er eindeutig Stellung nimmt. Als Theologe kann er kaum anders, als Karoline zu empfehlen, das Sakrament der Ehe zu achten und einem Zusammenleben mit Creuzer zu entsagen. Noch immer hat Karoline Argumente:

  • Ihr Brief, lieber Daub, hat mir mehrere Stunden des peinlichsten Kampfes bereitet, aber verzeihen Sie mir, aus diesem ist die der Ihren entgegengesetzte Ansicht wieder neu und kräftig hervorgegangen. Können Sie glauben, die Frau* (*Sophie Creuzer) würde nun glücklich sein, wenn ich entsagt hätte? Wahrlich es kann ihr nicht wohl sein im Bewußtsein, daß sie einen Mann zwinge ihr zu bleiben, dessen ganzes Wesen sich weg von ihr sehnt und selbst dann, wenn sie ihn so behaupten wolle, besäße sie ihn nicht, denn man besitzt nur, von dem man geliebt wird.

Savigny versucht sich als Vermittler zwischen Creuzer, Sophie und Karoline - eine undankbare Aufgabe, die schließlich nur dazu führt, daß es nahezu zum Bruch zwischen Karoline und ihm kommt, da sie erwartet, er werde ausschließlich Fürsprecher ihrer Wünsche sein, während er andererseits darüber enttäuscht ist, daß sie ihm gewisse Fakten verschwiegen hat.
In seinem Brief vom 29. November 1805 aus Marburg zeigt Savigny kritische Einsicht in Karolines Charakter, er legt die Wurzeln jener Eigenschaften bloß, die ihr schließlich zum Verhängnis werden:

  • ...sobald in einem Menschen das Bewußtsein seiner Kräfte erwacht, entscheidet sich die Richtung, die er nach der Eigenheit seiner Natur notwendig nehmen muß. Den passiven Naturen ist dann das Höchste, ja das einzig Wichtige die Tiefe und Eigentümlichkeit ihrer Empfindungen, und das ist an sich so wenig zu tadeln als die Verschiedenheit der Gestalten oder der Anlagen. Aber die meisten Menschen dieser Natur sind in Gefahr, das Tiefe und Bedeutende mit dem Außerordentlichen zu verwechseln, und bei vielen bleibt und wächst dieser Irrtum immerfort. Flache Menschen werden dann ganz geschmacklos, und selbst der Pöpel thut ihnen nicht unrecht, indem er sie überspannt und romanhaft nennt. Bei bedeutenderen Menschen ist derselbe Irrtum fast noch gefährlicher, indem er sich bei ihnen mit der wahren Empfindung, die sie haben, vermengt und so unergründlich wird. So bist Du, und daß Du so bist und bleibst, kommt von einer Gottlosigkeit her, die Deine gute, wahrhafte Natur gewiß schon ausgestoßen hätte, wenn es die sinnliche Schwäche Deines Gemüts zuließe. Alles nämlich, was Deine Seele augenblicklich reizt, unterhält und erregt, hat einen solchen absoluten Wert für Dich, daß Du ihm auch die schlechteste Herkunft leicht verzeihst.
    Etwas recht von Herzen lieben, ist göttlich, und jede Gestalt in der sich uns dieses Göttliche offenbart, ist heilig. Aber daran künsteln, diese Empfindung durch Phantasie höher spannen, als ihre natürliche Kraft reicht, ist sehr unheilig...
    Ich wiederhole es, Dein Geschmack an Schriftstellern, zum Beispiel an Schiller, hängt damit zusammen. Denn was ist das charakteristische an diesem, als der Effekt durch eine deklamatorische Sprache, welcher keine korrespondierende Tiefe der Empfindungen zu Grunde liegt und ist nicht jene Manier des Lebens wie diese des Dichters einem Mann zu vergleichen, der sich und die Seinigen zu Grunde richtet, weil er einen Aufwand treibt, den er nach seinem Vermögen nicht bestreiten kann?

Karoline von G. sieht sich im Kern ihrer Existenz von jenem Mann in Frage gestellt, dessen besonnenes Urteil die meisten Angehörigen dieses Freundeskreises gern suchten und akzeptierten. Die Frage ist nur, ob gerade in diesem Fall Savignys Urteil und Analyse so ganz frei von ambivalenten Emotionen gegenüber derjenigen war, die ihn da als eine Art moralisches Orakel benutzt hatte.
Welcher Mann sieht es gern, wenn die Frau, die ihn einst geliebt hat, für die bei ihm lange gewisse Reste von mehr als nur freundschaftlicher Zuneigung vorhanden gewesen sind, eine, wie es Savigny wohl sah, unwürdige Affäre mit einem anderen hat!

Alles drängt nun einer Krise entgegen. Plötzlich besteht Creuzer darauf, daß Karoline jeglichen Kontakt zu Bettine abbricht.
Er ist Bettine und Clemens entweder Ende 1805 oder Anfang 1806 in Marburg begegnet, wo Savigny inzwischen seine Professur angetreten hat. Er hat an diesem Tag eine rote Perücke getragen. Bettine hat ihn ausgelacht. Creuzer aber ist, was seine äußere Erscheinung angeht, ohnehin von Minderwertigkeitskomplexen geplagt.
Im Hintergrund steht ein Gefühl der Eifersucht - auf Clemens wie auf Bettine. Hat ihm Karoline gewisse Briefe beider gezeigt, so dürfte ihn das, was er da las, aufgestachelt haben. Für seine Forderung, Karoline müsse mit Bettine »Schluß machen«, hat er eine plausible Erklärung: Schwatzsüchtig, wie Bettine ist, wird sie alles, was sie über seine Beziehungen zu Karoline erfährt, herumerzählen und ihn kompromittieren. Und Karoline gehorcht. Bettine kommt eines Tages an die Pforte des Stifts und erfährt dort, das Fräulein von G. wünsche sie in Zukunft nicht mehr zu empfangen. Sie antwortet mit dem folgenden Billet:

  • Ich hätte gern, daß Du der Gerechtigkeit und unserer alten Anhänglichkeit zulieb mir noch eine Viertelstunde gönntest, heute oder morgen, es ist nicht, um zu klagen, noch um wieder einzulenken. Beides würde Dir gewiß zuwider sein, und von mir ist es auch weit entfernt. Denn ich fühle deutlich, daß nach diesem verletzten Vertrauen bei mir die Freude meines Lebens nicht mehr auf Dich ankommen wird wie ehemals, und was nicht aus Herzensgrund, was nicht ganz werden kann, soll gar nicht sein.

Wenn eine Frau einen Mann liebt und ein Mädchen, so erscheint es uns ganz selbstverständlich, daß sie die Liebe zu dem Mädchen opfert, um die Liebe des Mannes nicht zu verlieren.
Warum eigentlich? Ist nicht beides Liebe? Auch Savigny, der Rolle des treuen Eckehardt nach schlechten Erfahrungen mehr als überdrüssig, wendet sich von Karoline ab:

  • Marburg, den 19ten Mai 1806
    Ich will es Dir ehrlich sagen, warum ich Dir nicht wieder schrieb. Dein voriger Brief kam mir nach der herzlichen Aufrichtigkeit des meinigen außerordentlich kalt und vertrauenslos vor. Zur gleichen Zeit erfuhr ich, daß Du in jener Sache mancherlei Dinge sehr sorgfältig vor mir zu verbergen gesucht hattest...

Die treue Lisette in Sickershausen hat ihre eigenen Sorgen. Nach einer Fehlgeburt im Dezember 1804 ist sie wieder schwanger. Sie hat Probleme mit einem schwierigen Ehemann, der offenbar über den Tod seiner ersten Frau nicht hinwegkommt. Lisette schreibt an Karoline:

  • Es ist nicht wahr, daß in der Ehe die Widerwärtigkeiten und Schmerzen des bürgerlichen Lebens leichter getragen werden, denn die Ursache, daß man sie gemeinschaftlich trage, ist gerade, was sie doppelt schmerzhaft macht.
    Keine Entbehrung, kein harter Eingriff der äußeren Welt würde so treffen, wenn wir nicht durch ihn auch das geliebte Wesen getroffen sähen; und wo bange Aussichten für seine Gesundheit und Leben sich als Folge anknüpfen, erreicht der Schmerz eine Schärfe, die niemand versteht, weil sie niemand fühlt.-Laßsolchen Betrachtungen in Deinen einsamen Stunden auch zuweilen eine Stelle, vielleicht würken sie wie oft Gifte, als Gegengifte. Leb wohl, liebste Lina, vielleicht hörst Du lange, lange nichts von mir! Denke an mich!

Auch Sophie Brentano ist schwanger.
Creuzer, der angesichts von Karolines zunehmender Vereinsamung nur seine Eifersucht auslebt und sich als unzuverlässig erweist, bringt wenig Verständnis dafür auf, als Karoline ihm in Briefen eingesteht, der Bruch mit Bettine sei ihr schwer geworden, gehe ihr nach.

  • Daß das Weinen der Bettine Dir schmerzlich war, begreife ich, und ich fühle wie ich Veranlassung bin. Aber in sich verstehe ich dies Weinen nicht. Zum Weinen hätte freilich sie Ursache genug. Sie könnte darüber weinen, sollte es sogar, daß sie eine Brentano geboren ist, ferner, daß Clemens ihren ersten Informator gemacht, ingleichen und folglich, daß sie egoistisch ist und kokett und faul und entfremdet von allem, was liebenswürdig heißt. Seit ich sie einmal in Marburg in Savignys Stube hereintreten sah, seitdem ist es aus zwischen uns. Schenk Du ihr in diesem Sinn Tränen, so tadle ichs nicht, in jedem anderen ists nicht der Mühe wert.

Aus Briefen der Karoline von G. an Friedrich Creuzer:

  • Ich fasse die Änderung deiner Gesinnung nicht. Wie oft hast du mir gesagt, meine Liebe erhelle, erhebe dein ganzes Leben, und nun findest du unser Verhältnis schädlich. Wieviel hättest du ehemals gegeben, dir dies schädliche zu erringen. Aber so seid ihr, das Errungene hat euch immer Mängel. Wenn Sie weiter nichts meinten, so sind Sie ganz irre an mir und ich an Ihnen, denn als dann sind Sie gar nicht der, den ich meine... die Freundschaft wie ich sie meine... die Freundschaft, wie ich sie mit Ihnen meinte, war ein Bund auf Leben und Tod. Ihr Brief ist so vernünftig, so voll nützlicher Tatlust. Ich aber habe schon viele Tage im Orkus gelebt...

Karoline steht Ende Mai 1806 im Begriff, nach Winkel zu reisen, um mit ihren Freundinnen, den Zwillingsschwestern Pauline und Charlotte Serviere, Töchter eines Frankfurter Likör- und Parfümfabrikanten, im Landhaus des Kaufmanns Joseph Mertens, das unweit dem Haus der Brentanos steht, ein paar Ferienwochen zu verbringen.
Creuzer löst sein Versprechen, Karoline zu Pfingsten dort zu besuchen, nicht ein.
Am 4. Juni 1806 schreibt er an sie: ».. .statt meiner muß dieser Brief kommen. Es war nicht möglich zu machen.« Es folgt eine Aufzählung mannigfacher Schwierigkeiten, auch sei es für Karolines »Ruhe« nicht ratsam, mit ihm in Winkel, wo im Sommer viele Frankfurter Familien leben, zusammenzutreffen. Stattdessen wolle er zwischen dem 29. Juni und 6. Juli nach Frankfurt kommen. Sie möge sich aber darauf einstellen, daß bei einem Treffen er des Trostes durch sie dringend bedürftig sei. Savignys Äußerung in dessen letzten Brief solle sie nicht »sentimental« nehmen:

  • Er wird gegen Dich zu sein fortfahren, wie er gegen mich und die meisten Menschen, die er nicht für ganz schlecht hält, ist, das heißt voller allgemeiner Menschenliebe.

Und dann jener letzte Brief, in dem er verspricht, er könne nun den 28. oder aber jedenfalls den 29. Juni abreisen nach Frankfurt.

  • Das Haus ist gleich schwer zu bestimmen. Oft findet man besetzt, worauf man rechnet.
    Schreib Du nur, ob jenen Tag noch die alten Stunden zehn oder halb drei bleiben.
    Bedenke auch, daß Clemens in Frankfurt ist und triff Anstalten gegen ihn. Was ich lange wußte, beweiset nun Dein heutiger Brief: Du kannst Dich nicht in mein bedingtes Leben hineindenken...laß mich nur erst in Dein blaues Auge sehen, so wird sich auflösen, was Dich an mir befremdet... Adieu, liebe, liebe Peinigerin. Sorge nur, daß wir recht ungestört sind.

Was bei dem letzten Treffen zwischen Karoline und Creuzer, zu dem sie offenbar nach Frankfurt gekommen ist, um danach auch noch Lisette in Sickershausen kurz zu besuchen, vorfiel, bleibt im Dunkeln.
Mitte Juli, Karoline ist wieder in Winkel zu den Serviere-Schwestern zurückgekehrt und wartet unruhig auf ein Lebenszeichen von Creuzer, tritt in Heidelberg eine Wende ein. Professor Schwarz schreibt darüber an Leonhard Creuzer in Marburg:

  • Heidelberg, den 18ten Juli 1806
    Unser Creuzer ist tötlich krank. Aber freue Dich, es ist nicht eine Krankheit zum Tod, sondern zum Leben! Ich habe das feste Zutrauen, er wird auch leiblich genesen, geistig ist er es schon. Es mußte zu dieser Krise kommen... Vorigen Sonntag, den 13. Juli machte er mit Kaiser eine Reise nach Mannheim, er kam krank wieder, las dennoch zwei Tage Collegia, bis er vorgestern nicht mehr konnte, in eine gänzliche Erschöpfung und Schlafsucht verfiel...

Es folgen Angaben über die Behandlungsmethoden des Arztes. Dann fährt Schwarz fort:

  • Diesen Morgen ließ er mich rufen, noch ehe ich kam, und tat er dann mir die rührendste Erklärung... Er, Creuzer, entsagte feierlich seinen bisherigen Verhältnissen, und Daub mußte es übernehmen, dieses alsobald der G. zu schreiben. Seine Seele war vor Gott und wird göttlich zu leben zurückkehren.

Daub ist immerhin verständig genug, um die Nachricht von Creuzers Entschluß, seine Beziehung zu der von G. zu beenden, nicht direkt an Karoline, sondern an deren Freundin, Frau von Heyden, zu übermitteln. Diese schickt Daubs Brief nach Winkel, eingeschlossen in einem Brief an Charlotte Serviere mit der Bitte, Karoline schonend vorzubereiten.
Aber:

  • ...Karoline, die seit langer Zeit auf Briefe gewartet, eilte dem Boten entgegen, nahm ihm den an Charlotte Serviere adressierten Brief ab, erbrach ihn auf ihrem Zimmer und las - ihr Todesurteil.

Der Rest der Geschichte ist bekannt, er braucht hier nur noch einmal, aus anderer Sicht, erinnert werden:

  • ...Karoline kam bald wieder aus ihrem Zimmer heraus, nahm scheinbar ganz heiter von der Freundin Abschied zu einem kurzen Abendspaziergang am Rhein, kam aber nicht wieder. Man suchte auf ihrem Zimmer, fand dort den verhängnisvollen Brief erbrochen, suchte angstvoll nach der Vermißten und fand erst am Morgen ihre Leiche am Ufer des Rheins, von dem Dolch, den sie seit längerer Zeit bei sich zu tragen pflegte durchbohrt.

Creuzer gesundet langsam.

Als er mit seinen Vorlesungen wieder beginnt, erhält er von seinen Studenten viele Beweise herzlicher Teilnahme. Von Karolines Tod hört er erst Wochen später. Freilich ist er betroffen. Er scheut die Öffentlichkeit, wünscht, in Heidelberg pensioniert zu werden, will nach Weinheim übersiedeln oder in Marburg eine neue Tätigkeit ausüben. Aber solche Pläne, die er noch im Oktober 1806 mit seinem Vetter erörtert, werden schließlich nicht weiter verfolgt. Die Freunde übernehmen es, Karolines Briefe zu vernichten.
Mit Beginn des Wintersemesters steht Creuzer wieder vor seinen Studenten. Er wird sein Leben als angesehener Wissenschaftler beschließen.

Als Selbstmörderin kann Karoline von G. nicht auf dem Friedhof beigesetzt werden. Ein Gedenkstein an der Friedhofsmauer trägt als Inschrift einen Vers, den sie sich bei der Lektüre von Herders Stimmen der Völker exzerpiert hatte:

Erde, du meine Mutter, du mein Ernährer, der
Lufthauch,
heiliges Feuer, mir Freund, und du, o Bruder der
Bergstrom,
und mein Vater der Äther, ich sag euch allen mit
Ehrfurcht
freundlichen Dank, mit euch hab' ich hienieden
gelebt,
und ich gehe zur anderen Welt, euch gern verlassend;
lebt wohl denn, Bruder und Freund, Vater und Mutter,
lebt wohl.

Am 10. August 1806 mobilisiert Preußen gegen Napoleon. Arnim, der dazu ausersehen ist, Taufpate des Kindes zu sein, das Sophie Brentano erwartet, versucht nach Heidelberg zu reisen, gerät aber nach der Schlacht von Jena bei Duderstadt unter versprengte Truppen. Mit verwundeten Soldaten im Wagen erreicht er am 18. Oktober Braunschweig. Von dort fährt er auf sein Gut in die Uckermark. Er wartet auf die Befehle seines Königs, erfährt aber vom Landrat, es sei nichts befohlen als Hafer zu dreschen. Er erlebt, wie der Krieg näherkommt.

  • Noch am Tag vor der Schlacht wurde in Prenzlau getanzt; und während bereits die Verwundeten hereinkamen und erzählten, wie es in der Umgegend draußen zuginge: man war in dem schlechtesten Fusel des abgetriebenen menschlichen Geistes lustig.

In Stettin war Arnim Zeuge, wie der feindliche Offizier und Trompeter in die Festung einritten und die Übergabe forderten: »Der Gouverneur übergab es ohne Widerstand, wurde von den Offizieren vom Pferd gerissen und ausgeprügelt.« Mit den Resten einzelner Regimenter, oft zwei Standarten bei drei Leuten, drängte sich Arnim den Damm zur Stadt hinaus.

  • Man zog durch die pommerschen Haiden in stetem grauen, tropfenden Regen. Die Städte waren angefüllt von Frauen, die nach ihren Männern schrien. Überall ein gänzliches Verzweifeln an dem Bestehen aller menschlichen Dinge...

Aus einem Totenbuch:

  • Im Jahre Christi 1806 starb in hiesiger Stadtpfarrei Heidelberg den 30. Oktober nachts 1 Uhr (gemeint ist der 31. morgens 1 Uhr) und
 wurde den Nachmittag 2 Uhr (auf dem St. Annenkirchhof) begraben:
 Frau Sophia Brentano geb. Schubart aus Altenburg in Sachsen, alt
 33 (tatsächlich 36) Jahre. Krankheit: Im Wochenbett. Nebst einem
 totgeborenen Kind, einem Mädchen.

Friedrich Creuzer in einem Brief an seinen Vetter Leonhard am
31. Oktober:

  • ... es ist ein ergreifender Anblick, eine Mutter hingestreckt zu sehen vom Tode mit ihrem Säugling, auf einem Bette, festlich geschmückt wie ein Brautbett. Ich verweilte gern bei der Leiche, da ihr Anblick ganz den Frieden des Todes zeigt. Sie ist sanft gestorben und ruht unentstellt und lieblich. Brentano aber ist fürchterlich in seinem Schmerz und fast einem Wahnsinnigen ähnlich. Man wird ihn morgen nach Frankfurt bringen.

Vor der Beisetzung Karoline von G.s hat man die Leiche der Selbstmörderin obduziert. Dazu Achim von Arnim:

  • Schauderhaft ist mir die Sektion des Arztes gewesen, der ihren Tod aus dem Rückenmark gelesen, so etwas ist doch nur zu sagen möglich bei dem versunkenen Zustand dieser Wissenschaft, zu der kein Arzt und kein Kranker zum Arzt mehr Zutrauen hat. Mit der weichen schwachen Hand solcher Gewalt, um einem drückenden Lebensverhältnisse zu entgehen, das wohl einem vereinsamten gereizten Gemüte im Augenblick unendlich hoffnungslos scheinen mochte, das ist mehr Lebenskraft, als der vortreffliche Arzt verstehen wird, wenn er auch hundert Jahre darüber würde.

Welch tiefe, in ihr Wesen und ihre menschliche Entwicklung einschneidende Wirkung der Tod der Freundin für Bettine gehabt hat, geht aus einem Brief an ihren späteren Mann, Achim von Arnim, hervor:

  • Ich werde Schmerz in meinem Leben mit mir führen, und er wird in vielen Dingen mit einwirken, es weiß keiner, wie nahe es mich angeht, wie viel ich dabei gewonnen und wie viel ich verloren habe. Ich habe Mut dabei gewonnen und Wahrheit, vieles zu ertragen und vieles zu erkennen.

Auch Achim von Arnim muß der Tod der Karoline von G. sehr betroffen haben. Noch in seinem Text Melück Maria Blainville, die Hausprophetin aus Arabien taucht eine Reflexion über die von G. auf:

  • ... arme Sängerin, können die Deutschen unsererZeit nichts, als das Schöne verschweigen, das Ausgezeichnete vergessen, entheiligen? Wo sind Deine Freunde? Keiner hatderNachweltdieSpuren Deines Lebens und Deiner Begeisterung gesammelt.

Was die Überlebenden so beunruhigt, mag - wenigstens als Gedanke und Vorstellung - für Karoline selbst seinen Schrecken schon verloren gehabt zu haben. Häufig genug hatte sie sich mit dem Tod in ihrem Denken und ihrer Phantasie auseinandergesetzt:

  • Da war mir plötzlich in einer Offenbarung alles deutlich und wird es mir ewig bleiben. Zwar weiß ich, das Leben ist nur das Produkt der innigsten Berührung und Anziehung der Elemente; weiß, daß alle seine Blüten und Blätter, die wir Gedanken und Empfindungen nennen, verwelken müssen, wenn jene Berührung aufgelöst wird, und daß das einzelne Leben dem Gesetz der Sterblichkeit dahinge-geben ist, aber so gewiß mir auch dieses ist, ebenso über allen Zweifel ist mir auch das andere, die Unsterblichkeit des Lebens im Ganzen, denn dieses Ganze ist eben das Leben, und es wogt auf und nieder in seinen Gliedern, den Elementen, und was es auch sei, das durch Auflösung (die wir zuweilen Tod nennen) zu denselben zurückgegangen ist, das vermischt sich mit ihnen nach Gesetzen der Verwandtschaft d. h. das Ähnliche zu dem Ähnlichen. Aber anders sind diese Elemente geworden, nachdem sie einmal im Organismus zum Leben hinaufgetrieben gewesen, sind sie lebendiger geworden, wie zwei, die sich in langem Kampf übten, stärker sind, wenn er geendet hat, als ehe sie kämpften...
  • So gibt jeder Sterbende der Erde ein erhöhtes, entwickeltes Elementarleben zurück, welches sie in aufsteigenden Formen fortbildet; und der Organismus, indem er immer entwickeltere Elemente in sich aufnimmt, muß dadurch immer vollkommener und allgemeiner werden.

Nach einer Reise mit seinem Bruder Georg mildert sich bei Clemens Brentano der Schmerz über den Verlust von Sophie. Seine Schwester Meline meldet am 14. Juli 1807: »Clemens ist seit er von Holland zurück ist, ungemein lustig und artig. Mit der Auguste Bußmann unterhält er sich gerne, findet sie die gescheuteste Frau, die er je gesehen hat.« Und zehn Tage später: »Clemens ist wütend in die Auguste Bußmann verliebt, und sie auch in ihn, vergißt ihren Offizier. Dies gibt auch eine Geschichte.«
Auguste Bußmann, geboren zu Frankfurt am 1. Januar 1791, ist das einzige Kind von Johann Jakob Bußmann aus Colmar, dem Sozius des Bankiers Simon Moritz Bethmann, dessen Schwester Maria Elisabeth er 1790 heiratete. Nachdem er 1791 gestorben ist, heiratet sie 1797 den Genfer Vicomte Alexandre de Flavigny. Am 24. Juli 1807 geben die deutschen Fürsten im Frankfurter Palais Taxis Napoleon, der aus Tilsit zurückkommt, einen Empfang.
Was bei dieser Gelegenheit und kurz danach geschieht, spiegelt sich in einem Brief, den Clemens aus Kassel an Achim von Arnim schreibt, der sich zu dieser Zeit in Königsberg aufhält.

  • Oh mein lieber Bruder! Es ist so frischer, heller Sonnenschein vor mir auf dem Königsplatz! Könnte ich doch auf der Stelle zu Dir hinrollen! Dein Brief vom 8ten ist heute hier. Daß ich Dir bis jetzt nicht geschrieben, daran ist blos tiefer Verdruß und Scham über meine Lage schuld. Man könnt des Teufels werden! Ohne es selbst zu wollen, wider den Willen der ganzen Bethmännischen Familie, die mich noch verflucht, ohne daß ich es verdiene, nachdem ich das Mädchen fünfmal gesehen, die sich mit einem Adjudanten des Königs von Holland einJahrvorherebenso gewaltsam versprochen, daß sie die Bewilligung der Eltern durch einen Fußfall vor der Königin auf dem Riedhof bewürke, in der ganzen Stadt bekannt als dessen Braut, äußerlich ganz still, sanft und sinnig, ja tiefsinnig erscheinend, entsetzlich verständig sprechend, entschlossen wie ein Mann, jungfräulich schüchtern wie eine Nonne - wirft sich mir Auguste Bußmann mit erschrecklicher Gewalt, nach einigen poetischen Galanterien, die ich ihr von allen ihren Umständen unterrichtet gemacht hatte, an den Hals. Geängstet von ihren so öffentlichen Schritten zur Erlangung ihres vorigen Bräutigams ist sie wie eine Person, die in den Tod geht.
    Ich stehe neben ihr im Taxischen Hof auf der Treppe, da Napoleon und die anderen Fürsten auf und ablaufen, in einer Nische mit Claudine und Bettine wie eine Bildsäulengruppe vor den Augen aller Frankfurter. Ihr Betragen ist so toll zärtlich und Aufsehen erregend, daß alles auf uns sieht; ich stehe wie am Pranger. Mit unaussprechlicher Angst und trauriger Empfindung war mir es nur eine dunkle Ahnung, daß die Arme, die mich öffentlich umschlangen, mir wirklich ein Halseisen werden könnten. Hier kömmt sie endl ich ganz außer sich; sie sagt mir, daß sie versprochen sei, daß die Königin darein verwickelt sei; mit Mühe halte ich sie zurück, daß sie nicht Bonaparte gar zu Füßen fällt und meine arme Person in die Weltgeschichte hineinflicht. Alles ringsum flieht mich mitschrecklicher Trauer, ich bin meiner nicht mehr mächtig, die ganze Stadt redet von mir, und ich liebe eigentlich nicht, sondern ehre nur den Muth und entsetzlichen Charakter des Mädchens, der sich mit solcher Gewalt liebend zeigt. Und wie ich immer nur das Herrlichste glaube, scheint mir blos Liebe und herrlicher Enthusiasmus in einem durchaus scheuen, züchtigen Mädchen, was Fanatismus in einer eigensinnigen, von Jugend auf intriguanten, heimlichen, romanhaften Dame war. Ohne zu lieben, falle ich in eine Art von Fieber, das mich wie eine feurige Wolke umgiebt. Tief traurig besuche ich alle Winkelchen, wo ich mich bei der höchsten Wachsamkeit der Ihrigen mit der künftigen Hehlerei zu sehen weiß. Während sie aus Liebe zu vergehen droht, erfüllt mich Verachtung gegen solche Dinge. Ich gehe ruhig Nachts 1 Uhr zu Moritz auf den Riedhof, erzähle ihm im Bett die ganze Sache und begehre seinen Rath. Er ist freundlich, versichert mich, nichts gegen uns in der Sache zu thun, spricht weitläufig über die Intriguen und den Charakter dieses seltsamen Geschöpfs; ich verspreche ihm, zu Dir zu reisen und der Zeit die Bewährung dieses Verhältnisses zu überlassen. Ich bin von seiner Freundlichkeit recht gerührt, er erzählt mir seinen ganzen Lebenslauf, und wir scheiden uns augenscheinlich viel näher. Nun dachte ich zu Dir zu reisen, ach Gott, immer auf dem Weg zu Dir packt mich das Schicksal!
    Aber Moritz war nur freundlich, mich auszulocken. Auguste dringt nun trotz aller Hindernisse mit Gewalt auf mich ein, sie macht mir Vorwürfe. Sie spricht man sei auf dem Punkt, sie ins Kloster zu sperren. Man stößt ihr die größten Schändlichkeiten gegen mich ins Gesicht, und nachdem ich mich stets gewehrt und immer den Weg der Ausdauer vorgeschlagen, läßt sie mich plötzlich durch eine Magd bescheiden, abends um 10 Uhr bei Tisch auf den Paradeplatz an ihr Haus zu kommen. Ich gehe hin, wie ich stehe und gehe, und siehe! das siebzehnjährige Mädchen mit dem Bündelchen unter dem Arm, lauft mit mir, dem es ganz ordinair dabei zu Muthe wird, dem Thor hinaus. Christian der bei mir war, bestellt eine Postchaise, die uns einholt. So fliehen wir nach Cassel zu Jordis, den ich mitLulu zu Frankfurt am Tische hatte sitzen lassen.
    Nach vielen Drohungen und leeren Impertinenzen, nachdem die ganze dummstolze Familie mich, der sie so oft durch seine Verachtung geneckt, nun alles hatte empfinden lassen, geschimpft und gehudelt, ein Lump Vagabund genannt, durch die Ängstlichkeit meiner Brüder, mit denen Bethmanns brechen wollen, auch von den Meinigen verschmäht, zugleich täglich mehr und mit bitterm Kummer entdeckend, daß ich ein ganz anders Geschöpf entführt hatte oder vielmehr von ihm entführt worden, als welches mich einigermaßen interessirte, und alle die starken Handlungen, die ich dem Heldenmuth und der liebenden Gewalt zuschrieb, aus ungewöhnlichem gewöhnlichem Starrsinn entsprungen sehend, im Wesen ohne alle ideale Natur verwöhnt, plump, heftig mit Entschlossenheit, ohne Reiz des Leibes und der Seele neben mir-so war ich zwar noch unkopulirt, doch honoris causa dafür erklärt, innerlich aber schon getrennt.
    Endlich ward ich unter der größten Verfluchung der Familie, mit ihren Consensen versehen und förmlich in Frankfurt aufgerufen und in Fritzlar, sieben Stunden von hier, im Beisein von Jordis und Lulu, wie die Familie begehrte, von einem katholischen Priester, nachdem ich ihm gebeichtet und communizirt, getraut.
    Die ganze Handlung war so läppisch, so elend, die Kirche schien über mir einzustürzen, und eine innere Trauer vernichtete mich, daß ich ohne Würde, ohne Rührung drei Sakramente empfing, Gott verzeihe mir meine Schuld. Nun bin ich verheurathet. Die Familie Bethmann dringt in mich, einen Stand zu ergreifen, sie will mich rekommandiren*, (*empfehlen) aber ich kann nicht und will nicht! Das wäre noch die letzte Höhe! So halte ich es doch in meiner Bibliothek aus und denke an Sophie und Dich und weine, liebe und lese...

Nicht ohne Ironie ist es, daß Clemens Brentano, der Sophie Mereau zur Eheschließung nötigte, indem er ihr ein Kind machte, nun durch ein nymphomanisches Mädchen in die Ehefalle gelockt wird.
Zu welchen Katastrophen es in dieser zweiten Ehe in der bayrischen Kleinstadt Landshut kommt, wohin Clemens seinem Freund Savigny, der an der dortigen Universität einen Lehrstuhl bekommen hat, folgt, schildert ein Brief an Achim von Arnim. Die ihm angetraute Auguste hatte Clemens nach Landshut nachkommen lassen:

  • Da nun meine Dame bloß für die Langweile plötzlich Gift eingenommen haben wollte, zu sterben vorgab, keine Gegenmittel einnehmen wollte, und in meiner, Savignys, Gundel und der Ärzte Gegenwart mit verstelltem Kotzen, Testamentmachen ec. einen ganzen Tag zubrachte, sich aber sehr wohl befand, reiste ich den andern Tag nach München mich bei Bettinen zu erholen, kaum war ich zwei Tage dort, als mir Savigny einen Freund extrapost schickte, der Morgen mich um 7 Uhr aus dem Schlaf rief. »Auf! machen Sie sich fort, Ihre Frau ist heute Nacht hierhergereist, und vor einer Stunde gekommen, sie hat in Landshut verkündigt, daß sie sich im Wirtshaus in Ihrer Gegenwart vergiften wollte.« Ich zog mich schnell an, raffte nur meine Papiere zusammen, und eilte zu Bettinen, und darauf mit dem Boten (es ist der Poet Low) extra nach Landshut zurück. Auf der Straße in München mußte ich zweimal meiner Dame ausweichen, die aus einer Apotheke in die andere lief. In Landshut blieb ich incognito die Nacht und logierte bei Low im Gebährhaus. Savigny und ein anderer trefflicher Freund mittelten mir eine heimliche Zuflucht im Gebirg zwei Stunden von Landshut sehr einsam und abgelegen bei einem Ex-Benediktiner aus, der auf einem adligen Geschlößl, das so groß ist wie eine Laterne wohnt. Ich lebe hier unter dem Namen Bennone, welches ein Mann des Schmerzes heißen soll, wie mir mein Taufpathe gesagt.

Clemens flieht vor Auguste zu Freund Achim nach Berlin. 1812 wird die Ehe endlich geschieden.

Zwei Jahre nach Karolines Tod schreibt Bettine aus Winkel dies:

  • Am Abend spazieren wir an den Ufern des Rheines entlang, da lagern wir uns auf dem Zimmerplatz, ich lese den Homer vor. Die Bauern kommen alle heran und hören zu: der Mond steigt zwischen den Bergen herauf und leuchtet statt der Sonne. Wenn wir nach Hause kommen, so steigt einer nach dem anderen, wenn er müde ist, zu Bett. Ich sitze dann noch am Klavier, und da fallen mir Melodien ein, auf denen ich die Lieder, die mir lieb sind, zum Himmel trage.

Bettine und Achim von Arnim: das ist das Glück zweier Schwieriger. Es dauert lange und bedarf vieler Anziehungen und Abstoßungen, Aussprachen, Entfernungen und Wiederbegegnungen, bis die beiden beschließen zu heiraten. Sowohl bei Achim als auch bei Bettine hat es in den neun ereignisreichen Jahren ihrer Freundschaft und Liebe intensive Beziehungen mit anderen Partnern gegeben, die sie einander nicht verschwiegen, sondern mit großer Offenheit dargelegt haben. Daß dabei manchmal auf dieser wie auf jener Seite der Versuch eine Rolle gespielt hat, den anderen zu einer endgültigen Bindung zu drängen, ist anzunehmen.
Besonders wichtig war für Bettine die Beziehung zu Goethe. Man muß nicht alles, was sie über sich selbst und den alten Herrn schreibt, für bare Münze nehmen. Trotzdem: diese Begegnung hat sie entscheidend geprägt.
Bezeichnenderweise verlangt Bettine von Achim von Arnim, als dieser sie drängte, ihn zu heiraten, bei ihrer Zusage nur dieses eine: er dürfe nie eifersüchtig auf Goethe sein. Und der Brief, mit dem Bettine Goethe ihre Verlobung mitteilt, endet mit dem Satz:

  • Du einziger, der mir den Tod bitter macht... Adieu Magnetberg! wollt ich auch da und dorthin die Fahrt lenken, an Dir würden alle Schiffe scheitern.

Gewarnt durch Beobachtungen und Erfahrungen in ihrem engsten Freundeskreis, hat sich Bettine lange gegen eine Heirat gesträubt.
Am 10. März 1811 lassen sich Achim und Bettine in Berlin heimlich trauen...
Im Sommer 1814 hält sich Goethe im Haus der Brentanos in Winkel auf. Von dem Kabinett im ersten Stock mit den Fenstern nach Süden und Westen sieht man den Fluß hinter Weingärten. Goethe ist fünfundsechzig Jahre alt. Er hat kurz zuvor die dreißigjährige Demoiselle Jung, Tochter einer Schauspielerin und Pflegekind des Bankier Willemer kennengelernt - Marianne. Der alte Herr wird ihr am 22. Dezember 1820 einen schön umrandeten Briefbogen senden, auf dem nur dies steht:

Du! Schweige künftig
nicht so lange,
Tritt freundlich oft
zu mir herein;
Und soll bey jedem
frommen Sange
Dir Glänzendes zur
Seite sein.

In diesem Sommer aber hält Jupiter sich noch zurück, denn eben hat Willemer, Senator, zweimaliger Witwer, Finanzagent der preußischen Regierung und Geheirnrat, seinen Schützling, den er einst für 200 Gulden der Mutter einfach abkaufte, geehelicht. Goethe, wohl schon entflammt, aber sich zur Vorsicht ratend, genießt in Winkel den Ausblick auf den Rhein und den Wein. Dabei notiert er:

  • Man zeigte mir am Rheine zwischen einem Weidendickicht den Ort, wo Fräulein von G. sich entleibte. Die Erzählung dieser Katastrophe an Ort und Stelle, von Personen, welche in der Nähe gewesen und teilgenommen, gab das unangenehme Gefühl, was ein tragisch Lokal jederzeit erregt...