Die Ehefrau eines Schwarzen Panthers

Eine Frau liebt einen Mann.
Eine Frau liebt einen Mann mit einer Hingabe, Ausschließlichkeit und Loyalität, die staunen macht.
Was mich an dieser Geschichte interessiert, ist der Versuch einer Frau, die im viktorianischen Zeitalter herrschenden Vorstellungen von den Pflichten einer Ehefrau zur Mythe von Liebe und Selbstaufopferung zu stilisieren.
Da es sich um eine außergewöhnliche Frau handelt, ist auch ihr Aufwand außergewöhnlich. Ihre Anstrengungen steigern sich in dem Maße, in dem die Gesellschaft den ungewöhnlichen Mann, dem ihre Liebe gilt, wegen seiner Verstöße wider Sitte und Moral bestraft.
Was einmal bei dieser Frau Wille zur Selbstverwirklichung gewesen ist, geht nun in ihre Anstrengung ein, die Mythe Wirklichkeit werden zu lassen, und sie verwandelt sich in ein Geschöpf dieser Mythe.

Isabel Arundell, geboren am 20. März 1831.
Die Arundells gehören zum katholischen Adel Englands. Ihre Ahnenreihe läßt sich bis in die Zeit Wilhelms des Eroberers zurückverfolgen. Isabels Vater besitzt kein Vermögen. Er verdient sein Geld als Weinkaufmann. Sein reicher Cousin, Isabels Taufpate, hat ihm und seiner Familie einen Flügel von Wardour Castle als Wohnsitz zur Verfügung gestellt. Damit ist es nach dem Tod des Lords vorbei.
Die Zeit zwischen ihrem zehnten und sechzehnten Lebensjahr verbringt Isabel in einer Klosterschule. Danach wohnt sie mit ihren Eltern in Furze Hall, nahe Ingateston in Essex: ein altmodisches Gebäude, halb Cottage, halb Farmhaus. Ein paar hundert Meter von der Straße entfernt, ganz von Wald umgeben, zugewachsen mit Büschen, Efeu und Blumen.
Als Mädchen eine etwas üppige Blondine mit, wie es in ihrem Tagebuch heißt, »einer Vorliebe für Zigeuner, Beduinen und Araber, den Osten, Mystik und ein wildes, gesetzloses Leben.« Wie damals üblich, wird sie mit achtzehn Jahren in die Gesellschaft eingeführt. Sie hat ihr Debüt, macht ein, zwei Ball->seasons< in London mit. Das ist der Heiratsmarkt der viktorianischen Gesellschaft für bessere Kreise. Ein Gesellschaftsspiel mit dem Anstrich von Vergnügen, aber mit einem ernsten Anliegen. Nach spätestens zwei >seasons< muß es geklappt haben, muß ein Mädchen verlobt sein. Als Erfolg gilt, wenn sie dank ihres persönlichen Charmes oder ihrer erotischen Anziehungskraft einen Mann angelt, dessen Position in der sozialen Rangordnung höher ist als die der Familie, aus der sie kommt. >Puss<, wie Isabel in der Familie genannt wird, hat keine Mitgift. Trotzdem wird sie beachtet, könnte viele gute Partien machen. Sehr zur Bestürzung ihrer Mutter, ihrer Tanten scheint sie wenig daran interessiert zu heiraten. Vorhaltungen, Auftritte, Tränen. Die season geht vorüber, ohne daß ein Heiratskandidat in Sicht ist. Die Familie siedelt für zwei Jahre nach Boulogne über. Ein französisches Seebad für Vornehme, die sparen müssen. Langeweile. Handarbeiten unter dem wachsamen Mutterauge. Spaziergänge über die Promenade. Ein großes Abenteuer: trotz des strengen Regiments von Mama gelingt es Isabel und ihrer Schwester ab und zu einmal, eine von Papas Zigarren zu entwenden und diese heimlich zu rauchen. Freilich hat man unter solchen Umständen Träume:

  • Mein Ideal ist ungefähr sechs Fuß groß. Ersollte nichteine Unze Fett auf den Rippen haben. Er hat breite muskulöse Schultern, einen mächtigen Brustkasten. Er ist ein Herkules männlicher Stärke. Er hat schwarzes Haar, braune Haut, eine kluge Stirn, dichte Augenbrauen und große schwarze Augen-so seltsame Augen,daß man es nicht wagt, wegzuschauen, mit langen Wimpern. Er ist ein Soldat und jemand, der gewohnt ist zu befehlen und zu gehorchen... Seine Religion ist die meine, sonst ist er frei, liberal und großzügig. Er ist kein kleinlicher, zugeknöpfter Bursche, der nur darauf lauert, daß man einen Fehler macht. Er ist einer jener starken Männer, die führen, die denken, die die Fäden in der Hand halten...

Sonst noch was?
Ja. Noch dies:

  • Solch einen Mann würde ich nicht nur heiraten. Ich liebe diese Mythe, denn natürlich ist es eine Mythe, fast so sehr wie ich Gott liebe.

Ach so...

Auf dem Hafenbollwerk, beim Spaziergang mit ihrer Schwester, hat Isabel ein Erlebnis:

  • Eines Tages kam die Vision meines erwachenden Denkens auf uns zu. Er war fünf Fuß elf Inchs groß, sehr breitschultrig, dünn und muskulös. Er hatte sehr dunkles Haar, schwarz. Sehr klar gezeichnete Augenbrauen, einen braunen, wettergegerbten Teint, gerade arabische Gesichtszüge, einen entschlossen aussehenden Mund, das Kinn fast völlig bedeckt mit einem enormen Schnurrbart. Ich habe seither gescheite Freunde sagen hören: Er hat die Braue eines Gottes und das Kinn eines Teufels. Aber das Bemerkenswerteste an seiner Erscheinung sind ein paar große, schwarz blitzende Augen mit langen Wimpern, mit einem Blicke, der einem durch und durch geht. Er macht einen wilden, stolzen, melancholischen Eindruck. Wenn er lächelt, sieht das so aus, als bereite es ihm Schmerzen zu lächeln. Gewöhnlich schaut er mit ungeduldiger Verachtung auf alle Dinge. Er war gekleidet in einen schwarzen, kurzen schäbigen Mantel und trug einen kurzen dicken Stock geschultert, als ginge er auf Wache... Ich war völlig hypnotisiert, und als wir uns etwas entfernt hatten von ihm, wandte ich mich zu meiner Schwester und flüsterte ihr zu: »Diesen Mann werde ich heiraten.«

Am nächsten Tag, etwa zur selben Stunde, traf man sich wieder auf der Promenade. Sehr zur Verblüffung der beiden Schwestern zog diesmal der schöne wilde Mann ein Stück Kreide aus seiner Rocktasche und schrieb an eine Mauer: Darf ich mit Ihnen sprechen ? Er läßt das Stück Kreide liegen und geht weiter, Isabel nimmt es auf und schreibt unter seinen Satz: Nein, Mutter wird sonst böse.
Tatsächlich hört die Mutter von der romantischen Begegnung, was zu Folge hat, daß die Mädchen noch strikter bewacht werden als zuvor. Isabel wird krank. Sie ist abwechselnd hitzig, blaß, aufgedreht und einer Ohnmacht nahe. Ihre Eltern bestellen einen Arzt, der eine Magenverstimmung feststellt. Die Pillen, die ihr der Doktor verschreibt, wirft sie ins Feuer.

Dieser Mann - er heißt Richard Burton - ist Soldat, Linguist, Entdeckungsreisender, Abenteurer. Er hat Bücher geschrieben.
Sie liest jede Zeile von ihm. Sie sieht ihn noch einmal und dann vier Jahre lang nicht mehr.

  • Ein Tag machte eine Ausnahme in unserem sonst sich so langweilig dahinschleppenden Leben. Mein Cousin gab eine Tee-Gesellschaft mit Tanz. Viele Leute kamen, unter ihnen auch er - wie ein Stern unter all dem Binsenlicht. Das war die Nacht der Nächte. Einmal tanzte er mit mir einen Walzer. Mehrmals sprach er mit mir, und ich behielt die Schärpe, auf der beim Tanz seine Hand auf meiner Hüfte gelegen hatte, die Handschuhe, deren Stoff er berührt hatte. Ich habe sie nie wieder getragen...

Nach dieser Begegnung reisen die Arundells nach London zurück. Isabel wird wieder auf den Bällen ausgestellt und fährt fort, günstige Partien auszuschlagen. Sie ist nun einundzwanzig, ihr Verhalten ist der Mutter ein Rätsel. Isabel ist völlig auf ihren Richard fixiert:

  • Werde ich nie Ruhe haben, um ihn zu lieben und zu verstehen und ihm jedes meiner Gefühle, jeden meiner Gedanken mitzuteilen?

Vor einem Ölgemälde von Rangoon

  • Wenn Richard und ich uns nicht heiraten, wird Gott es einrichten, daß wir uns in der nächsten Welt treffen. Wir können nicht getrennt werden, wir gehören zueinander.

Häufig finden sich in ihren Tagebüchern Hinweise auf Richards Vagabondage, um die sie ihn beneidet, und Kommentare, daß sie selbst auch für ein solches Leben geschaffen sei: »Eine trockne Kruste Brot, Entbehrungen, Schmerzen, Gefahren würde ich gern auf mich nehmen.« Eine große, kräftige junge Frau mit einer immer gut durchbluteten Haut, einem großen Busen und blauen Augen. Ovaler Gesichtsschnitt. Ziemlich schweres Kinn. Eine Hakennase. Die Lippen fest zusammengekniffen. Von den Zeitgenossen nennen sie einige in ihren Memoiren »schön« oder »hübsch«, andere »ausgezeichnet gekleidet«, »faszinierend«, »strahlend«, »elegant«. Sie findet Anerkennung, aber glücklich ist sie nicht:

  • Ich glaube, meine Schwester und ich haben hier so viel Aufregung und Unterhaltung wie die meisten Mädchen, und doch kommt mir alles so langweilig vor. Mich verlangt es danach, die Welt im Express zu durchrasen. Es ist mir, als müsse ich verrückt werden, wenn ich weiter hier daheim herumsitzen muß.

Unterdessen ist der Mann, den sie im stillen, aber mit einer Intensität und einem Absolutheitsanspruch liebt, dem kein menschliches Wesen gerecht zu werden vermag, nach Mekka unterwegs, verkleidet als persischer Bettler. Er wird später über seine Pilgerfahrt eines der großartigsten Bücher der Reiseliteratur schreiben, in dem sich die Wahlverwandtschaft dieses Mannes mit den Orientalen andeutet: Da ist von Streitigkeiten die Rede, die statt mit Duellen mit Saufgelagen beigelegt werden, von Besuchen im Harem (in wieder anderer Verkleidung, beispielsweise als Arzt), vom Marsch unter einem Himmel, schrecklich in seiner makellosen Schönheit. Um ihn ein Ödland, das einen flammenden Atem hat, wo das Bersten eines Wasserschlauches oder die Hufverletzung bei einem Kamel mit Sicherheit ein qualvolles Sterben nach sich ziehen. Er erlebt tatsächlich die Abenteuer, von denen Isabel geträumt hat und die ihr verwehrt sind.

Richard Francis Burton wird 1821 in Ferfordshire geboren. Der Vater, Oberst Joseph Netterville Burton, ist Ire, die Mutter
Engländerin. Der Großvater mütterlicherseits will Richard Francis ein Vermögen von einer halben Million Pfund hinterlassen, aber Burtons Mutter scheint eine Affenliebe für ihren Halbbruder, einen nichtsnutzigen Rechtsanwalt gehabt zu haben. Sie lehnt die Erbschaft für das Kind ab und bemüht sich darum, daß der Halbbruder sie erhalten soll. Aber der Großvater ist entschlossen, seinen Willen durchzusetzen. Auf der Fahrt zu seinem Rechtsanwalt, mit dem er sich über das Testament beraten will, stirbt er an einem Herzanfall. Seine Kindheit verbringt Richard teils in England, teils auf dem Kontinent, wo der Vater in Südfrankreich sein Asthma zu kurieren versucht. Richard, der Älteste, und sein Bruder Edward sind wahre enf ants terribles. Beide können gut mit Waffen umgehen. Sie rauchen, beteiligen sich an Glücksspielen und erwerben Erfahrungen in jeder Art von Laster. Es gibt eine Serie von unglücklichen Hauslehrern. Keiner von ihnen hält es bei den Burtons lange aus.
Mit neunzehn kommt Richard nach Oxford. Er schimpft über das feuchte Klima, das schlechte Essen, die ewig bimmelnden Glocken. Die Studenten kommen ihm so langweilig vor. »Ich bin unter die Krämer gefallen«, stöhnt er. Er liest zwölf Stunden am Tag, möchte arabisch lernen. Sein Professor schneidet ihn, sagt, er sei dazu da, Klassen zu unterrichten, nicht Individuen. Er will in die Armee eintreten. Der Vater besteht darauf, daß er Pfarrer wird. Burton legt es darauf an, von der Universität relegiert zu werden. Er geht- obwohl Glücksspiele den Studenten strikt untersagt sind - mit Kommilitonen auf einen Rennkurs, wo der irische Wunderreiter Oliver antritt, und sie setzen auf Pferde. Das reicht als Delikt für einen Hinauswurf aus. Er versucht, seinen Vater dazu zu überreden, ihm eine Offiziersstelle in einem der vornehmen Regimenter zu kaufen, muß sich aber schließlich mit einem Posten in jenen Verbänden begnügen, die der Britisch Ostindischen Companie unterstehen. Er büffelt hindustani und sticht im Juni 1842 nach Bombay in See. Das Soldatenleben in Indien stellt sich als alles andere als abenteuerlich heraus. Ein Feldzug ist nicht in Sicht. Die einzige Möglichkeit, rasch aufzusteigen, bietet der Stabsdienst. Dazu muß man Sprachen können oder Beziehungen haben.
Während der nächsten zwei Jahre lernt Burton persisch, punjab, pushta, sindhi und maruthi. Er ist gierig nach neuen Erfahrungen. Von seinen Sepoy-Soldaten lernt er ringkämpfen, indische Schwerttechnik, den Umgang mit der Reiterlanze. Verkleidet als Balochi geht er mit den Eingeborenen in die Berge, um die Falknerei zu studieren. Dann wird er Agent des Secret Service. Er läßt sich Haare und Bart wachsen, färbt sich die Haut noch einen Ton dunkler und lebt unter den Eingeborenen, die ihn für einen Perser oder einen indischen Zigeuner halten. Seine Lieblingsmaske ist die des Mirza Abdullah, ein Bettler, der vorgibt, halb Araber, halb Perser zu sein. Damit kann er seinen Akzent erklären. Bei Tage sitzt er als Straßenhändler dösend im Basaar, hört, beobachtet, notiert. In der Nacht sucht er das britische Lager auf, liefert seine Meldungen ab und stiehlt sich wieder davon.
Dieser Mirza ist ein gesprächiger Bursche, dem schönen Geschlecht zugetan. Von seinen Freundinnen hört er viel. Lange bevor die große Meuterei der indischen Truppen ausbricht, weiß er davon, macht seinem Vorgesetzten davon Meldung. Doch seine Warnungen werden in den Wind geschlagen. Schon in Indien - und es sind dies Interessen, die er sein ganzes Leben über beibehält - interessieren ihn neben anthropolgischen, geographischen und physiologischen Daten die sexuellen Praktiken der Völker, unter denen er lebt: Ursachen und Erscheinungsformen von Nymphomanie, Tabus, Methoden der Kastration, Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. Im prüden viktorianischen Zeitalter eine Ungeheuerlichkeit. Zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr macht Burton so ziemlich jede sexuelle Erfahrung, die denkbar ist. Diese Zeit prägt aber auch entscheidend seine Einstellung zu Frauen überhaupt. Es ist naheliegend, daß sein männliches Rollenverständnis, Herr und Gebieter zu sein, durch seine Abenteuer und Erlebnisse in Indien noch verstärkt wurde: Die Frau ist da zur Lustbefriedigung und um alle jene Dinge zu erledigen, die von den eigentlichen Aufgaben abhalten.
Zu Burtons Geheimmissionen gehört auch die Überwachung und Ausspähung des Bordellwesens in Scinde. »Er begab sich in die unvorstellbarsten Spelunken des persischen Lasters«, schreibt einer seiner Biographen scheinheilig, »es war die vielleicht 
abstoßendste Aufgabe, die je einem Offizier oder Gentleman 
übertragen wurde.« Man kann jedoch sicher sein, daß Burton dieses Eintauchen in eine exotische Volkswelt außerordentlich gut gefiel. Es machte ihm ganz offensichtlich großen Spaß, Informationen aus der Realität des Orients zu sammeln. 
In seinem Schlußaufsatz zu seiner Übersetzung von Tausend
undeine Nacht deutet Burton an, welche Auswirkungen die
 Päderastie der Perser auf die britische Eroberung Indiens gehabt
 hat. Er schildert die homophilen Vorlieben der Afghanen und
 Perser und erklärt, welche Katastrophen die Vernachlässigung
 ihrer Frauen nach sich zog. Die Afghanen waren nicht selten Handelsreisende. Jede ihrer Karawanen wurde von einer Anzahl Knaben begleitet, die kuchisafari hießen, >Reisende Weiber<.
Diese Jungen waren wie Frauen gekleidet, färbten sich mit Henna, trugen Schmuck. Sie ritten auf Kamelen, während ihre >Ehemänner< zu Fuß liefen. »Die afghanischen Frauen mußten ständig auf päderastische Eskapaden ihrer Männer gefaßt sein«, notiert Burton und behauptet, daß einer der Gründe für den Kabul-Aufstand des Jahres 1841, bei dem eine Anzahl britischer Offiziere hingemetzelt wurden, in exzessiven Ausschweifungen der vernachlässigten Frauen mit Weißen zu suchen sei. Als er nach vier Monaten von seinem Geheimauftrag auftaucht und einen Bericht über seine Nachforschungen abliefert, behält sein Vorgesetzter, General Napier, dieses Schriftstück zurück, wohl weil er den Inhalt für zu skandalös hält. Kurz darauf wird Napier abberufen. Burtons Bericht wird nicht ausgewertet, aber er blockiert seine weitere Karriere, weil man ihn selbst für homosexuell hält. Unerfahrene junge Leutnants, die frisch aus England kommen, werden ihm vorgezogen, er sieht sie sogar zu seinen Vorgesetzten werden.
Er tröstet sich mit Studien islamischer Mystik und Theologie und erwirbt den Grad eines Meister-Sufi. Freilich trägt er selbst auch nicht wenig dazu bei, daß er im Offizierskorps geschnitten und isoliert wird. Er hält sich beispielsweise in seinem Haus vierzig Affen aller Arten und versucht deren Sprache zu ergründen. Er nennt die einzelnen Tiere >Doktor<, >Kaplan<, >Adjudant<, bis hin zu einem kleinen Äffchen, das er als seine Ehefrau vorzustellen pflegt.
Er wird krank und schreibt sein erstes Manuskript Goa und die Blauen Berge oder Sechs Monate Krankenurlaub, aber das erste Buch, das gedruckt wird und auch in die Buchhandlungen gelangt, ist Schande oder das unglückliche Tal.
Schon nach diesen beiden Schriften läßt sich Burtons Eigenart als Schriftsteller erkennen. Seine Stärke sind die anthropologischen Daten. Meist nimmt er sich gar nicht erst die Mühe, seine Originaltagebücher und Feldstudien noch einmal zu glätten, ihnen eine verbindliche Form zu geben. Was ihm wirklich wichtig ist, findet sich jeweils in den Fußnoten, die oft mehr Platz einnehmen als der Haupttext, der lediglich den Verlauf einer Reise oder Expedition trocken referiert. Fast immer liefert er zwei Bücher in einem. Und während die Detailinformationen zu barocken Wucherungen aufgebläht werden, sind die Titelthemen wie leidige Pflichtaufgaben lieblos abgehandelt. Das viktorianische Publikum und auch die Kritik waren auf eine solch unorthodoxe Art von Informationsübermittlung nicht vorbereitet. Außerdem war es üblich, daß der Verfasser bei der Veröffentlichung eines solchen Reisebuches sich selbst in Vorträgen der gelehrten und gebildeten Welt vorstellte. Burton aber, immer noch auf Krankenurlaub, vergrub sich in Boulogne, wo er seine rheumatische Augenentzündung auszukurieren versucht und das nunmehr schon vierte Buch über seine indischen Erfahrungen zu Papier bringt: Die Falknerei im Tal des Indus. Außer Informationen über das im Titel angegebene Thema bietet er darin auch noch eine Auseinandersetzung mit seinen englischen Kritikern, denen er vorwirft, sein wahres Talent nicht erkannt zu haben. In Boulogne, an einem warmen Septembertag, will es das Schicksal, der Zufall oder Allah, daß er Isabel Arundell begegnet, einer großgewachsenen jungen Frau mit blauen Augen und einer kantigen Kinnpartie. Er selbst ist siebenundzwanzig Jahre alt. Boulogne hat er unter verschiedenen in Frage kommenden französischen Badeorten ausgewählt, weil sich hier auch der berühmte Fechtmeister Constantine aufhält, in dessen Schule er ein ganzes System neuer Attacken und Finten entwickelt. Um diese Zeit verfaßt er auch eine kleine Schrift mit dem hübschen Titel Ein komplettes System für das Exerzieren mit dem Bajonett.
Die Begegnung mit Isabel Arundell scheint auf ihn keineswegs einen ebenso starken Eindruck gemacht zu haben wie umgekehrt bei ihr. Er träumte andere Träume.
Als Entdecker hatte man auch als Außenseiter die Möglichkeit, zu Ansehen und Ruhm zu gelangen. Wer als Reisender bis ans Ende der Welt kommt, wer den Lauf eines der größten Flüsse in Afrika oder Asien vermißt, wer als erster zum Nordpol oder Südpol vorstößt - der gilt als Held, dem liegt in einem Land wie Großbritannien die Gesellschaft zu Füßen. Also reist Burton nach Mekka, in die Heilige Stadt des Islam, ins Heiligste des Heiligen. Die Königlich Geographische Gesellschaft gibt ihm zu dieser Reise einen offiziellen, freilich geheimgehaltenen Auftrag, setzt bei der East Indian Company durch, daß ihm ein Jahr Sonderurlaub gewährt wird.
Natürlich riskiert er bei seiner Entdeckung den Tod, und die Strapazen sind mörderisch. Etwas anderes aber ist es, was diese Reise so bemerkenswert macht, was sie von ähnlichen Reisen anderer Europäer abhebt, die später in die Verbotenen Städte des Islam gelangen: Eigentlich verkleidet sich Richard Burton nicht. Er gibt seine europäische Existenz mit seinen Kleidern bei einer Vertrauensperson ab. Er wird zu einem Moslem, einem Araber. Die Identifikation mit allen Aspekten des moslemischen Lebens und Glaubens, eine Art Doppelexistenz als Europäer und Orientale, ist von nun an bezeichnend für ihn. Beispielsweise schreibt er:

  • Ich war viel zu sehr Araber, als daß mich die endlosen Vorbereitungen bei der Zusammenstellung der Pilgerkarawane gestört oder ermüdet hätten... Arabisch ist meine Muttersprache.

Nach seiner Rückkehr aus Mekka und Medina hält sich Burton in Kairo auf, schreibt seine Erlebnisse nieder, macht Studien in arabischer Poesie und Märchenkunde. Er tritt in einen Orden der Derwische ein und schreibt selbst ein großes Gedicht in orientalischer Tradition Kasdah oder Lay vom höheren Gesetz. Er kehrt nach Bombay zurück, unternimmt mit drei Kollegen eine Expedition in ein anderes verbotenes Land, nach Somalia. Er kommt, gewissermaßen im Handstreich, bis in eines der Zentren des ostafrikanischen Sklavenhandels, nach Harar - diesmal hat er sich als mohammedanischer Kaufmann verkleidet. Er wird vom Emir empfangen, der ihn allerdings mit Mißtrauen betrachtet. Er fälscht einen offiziellen Legitimationsbrief, um den sich zusammenbrauenden Zorn des Emirs abzuwiegeln, und kehrt zu seinen Freunden zurück, die in einem Basislager in Küstennähe auf ihn warten.
Dann aber kommt eines jener Ereignisse, die das tatsächliche Risiko solcher Reisen deutlich machen. 350 Eingeborene überfallen das kleine Lager. Stroyan, einer der Weißen, fällt. Während die Somali-Krieger ihre Straußenfedern in sein Blut tauchen, offenbar ein Mächtigkeitsritual, können Speke und Burton schwer verwundet entkommen. Burton hackt sich trotz seiner Verwundungen den Weg mit dem Schwert frei. In England kommt es später zu einem Untersuchungsverfahren. Hat Burton seine Sorgepflicht als Expeditionsleiter verletzt? Trifft ihn eine Mitschuld am Tod Stroyans? Er wird mit Glanz und Glorie freigesprochen.

Und Isabel?
Sie muß weiter warten, denn nun zieht Richard Burton in den Krim-Krieg. Er hat darauf gehofft, an die Front zu kommen, statt dessen soll er sich um die Organisation eines Korps von Balkansöldnern kümmern, die mit ihrer Disziplinlosigkeit ihre englischen Offiziere zur Verzweiflung gebracht haben. Burton wird auch mit ihnen fertig. Er lehrt sie fechten, Kavallerie-Angriffe reiten und verhindert Duelle, eine Pistole in der einen, ein Glas raki in der anderen Hand.
Isabels Leben verläuft sehr viel eintöniger, obwohl sie all ihre Möglichkeiten ausschöpft. Sie setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um auf die Krim geschickt zu werden. Sie bietet sich Miss Florence Nightingale für deren Frauenhilfskorps an und wird abgelehnt. Darauf stürzt sie sich, inzwischen mit ihren Eltern nach London zurückgekehrt, in die Sozialarbeit und kümmert sich um die Prostituierten in den Slums.
Was Richard Burton von dem Krankenpflege- und Seelsorge komplex so vieler Frauen im viktorianischen Zeitalter hält, macht das folgende Zitat klar:

  • Wenn ich mir dieses Schwärmen der Frauen betrachte, die offenbar ein morbides Vergnügen dabei empfinden, sich um Verwundete und Sterbende zu kümmern, so kann ich nicht umhin, darin einenTribut an die Sexualität zu sehen, die sie auf gewöhnliche Weise nicht befriedigen können oder über die sie die Nase rümpfen.

In London wird über Burton geklatscht. Auch Isabel kommen Gerüchte zu Ohren, Gerüchte, die sie außerordentlich beunruhigen. Da ist von Tscherkessen-Harems die Rede und von Streifzügen durch Viertel, in denen er nach seltenen Pornographika der türkischen und arabischen Literatur fahndet. Sein ganzes Leben lang werden Burton solche Gerüchte begleiten. Daß er einer Frau gegenüber dazu Stellung bezogen, mit seiner Ehefrau über seine sexuellen Erlebnisse gesprochen hätte, ist unvorstellbar. In der viktorianischen Gesellschaft tauschen nur Männer untereinander ihre sexuellen Erfahrungen aus, und über Burtons Erlebnisse sind selbst seine Kameraden entsetzt. Einer christlich erzogenen Frau, einer Dame aus gutem Haus kann man so etwas nicht zumuten.
Im August 1856 gehen Isabel und ihre Schwester Blanche im Botanischen Garten in Kew bei London spazieren. Sie begegnen Richard Burton. Er erkennt Isabel sofort wieder. Über vierzehn Tage hin treffen sie sich jeden Tag. Sie kennt all seine Bücher. Er stellt fest, daß sie ihn auf keinem seiner Schritte während der letzten zwei Jahre aus den Augen verloren hat.

  • Etwa ab dem dritten Tag veränderte sich sein Verhalten mir gegenüber allmählich. Wir hatten angefangen einander kennen zu lernen, und was zuvor Ideal gewesen sein mochte, war nun Realität. So ging das etwa vierzehn Tage. Ich schwebte auf Wolken.
    Am Ende jener vierzehn Tage legte er verstohlen seinen Arm um meine Hüfte und seine Wange berührte die meine und er fragte mich: »Könnten Sie sich etwas so Krankhaftes vorstellen wie die Zivilisation aufzugeben. Wenn ich den Konsulatsposten in Damaskus bekäme - würden Sie mich heiraten, mit mir kommen und mit mir dort leben?«
    Er sagte: »Antworten Sie mir jetzt nicht, denn das bedeutet einen sehr entscheidenden Schritt in Ihrem Leben. Sie werden Ihre Familie aufgeben müssen und das Leben einer Außenseiterin führen. Ich glaube sehr wohl, daß Sie dazu fähig sind, aber Sie sollten es bedenken.«
    Ich war lange still vor Erregung, es war, als sei der Mond auf die Erde gestürzt und würde sagen: >Du hast so lange um mich gebettelt, jetzt bin ich gekommen.< Aber er, der ja nicht wußte, wie lange ich ihn schon liebte, meinte, ich hätte weltliche Gedanken und sagte: »Vergeben Sie mir, ich habe zuviel verlangt.« Ich fand endlich meine Stimme wieder und sagte: »Ich will nichts überdenken... ich habe sechs Jahre darüber nachgedacht, seit ich Sie damals in Boulogne zum erstenmal sah. Ich habe jeden Morgen und jeden Abend für Sie gebetet. Ich habe Ihre Karriere genau verfolgt. Ich habe jedes Wort gelesen, das Sie geschrieben haben und würde lieber trocknes Brot essen und in einem Zelt mit Ihnen leben als ohne Sie Königin der ganzen Welt zu sein, und deshalb sage ich jetzt: Ja, ja, ja!«
    Dann sagte er: »Deine Eltern werden nicht einverstanden sein.« Ich antwortete: »Das weiß ich schon, aber ich gehöre mir selbst. Ich entscheide selbst, wen ich heirate und wen nicht.« »Dann ist es ja recht«, sagte er, »sei fest, und ich werde es auch sein.«

Kurz darauf verläßt Richard sie abermals für drei Jahre. Er haßt Abschiede, deshalb schreibt er an ihre Schwester einen Brief, sie möge Isabel vorsichtig beibringen, daß er eine Forschungsreise angetreten habe.
Mit erstaunlicher Gelassenheit erträgt sie nun, da er ihr seinen Antrag gemacht hat, die lange Trennung. Sie glaubt daran, daß zwischen Menschen, die sich sehr nahe stehen, psychische Kontakte auch über weite Entfernungen hin möglich sind. Ihre Verbindung mit Richard ist ein Brief von ihm, den sie in einem kleinen Beutel um den Hals trägt. Sie ist nun achtundzwanzig Jahre alt, nach viktorianischem Maßstab weit über das Heiratsalter hinaus, und schreibt in ihr Tagebuch:

  • Ich liebe und werde geliebt. Was an Härten die Zukunft auch immer bringen mag, er hat mich geliebt. Meine Zukunft ist mit der seinen verbunden in allen Konsequenzen. Mein eifersüchtiges Herz verwirft jeden Kompromiß. Es will seinen Willen haben, oder es wird brechen.

Sie denkt über die Gefahren nach, die ihm drohen, unbekannte Gefahren. Was etwa ein Dutzend potentieller weiblicher Rivalen angeht, so ist sie ziemlich zuversichtlich. Aber Afrika, das dunkelste Afrika! Oft vergehen mehrere Monate ohne eine Nachricht. Im Januar ist Richard von Bombay nach Sansibar gereist. Mit seinem Kollegen Speke will er von der Küste landeinwärts vordringen und die Nilquellen suchen.
1857 in Europa. Isabels Schwester hat geheiratet. Isabel begleitet das junge Paar auf seiner Hochzeitsreise. Was immer sie sieht, wo immer sie ist - alles wird auf Richard bezogen: die Alpen, Venedig, die Bäume im Park von Nizza.
In Genf gehen sie auf die Bälle des diplomatischen Korps. Ein amerikanischer Witwer mit 300 000 Dollar Vermögen aus Goldgruben in Kalifornien macht Isabel einen Antrag, aber:

  • ...es gibt nur einen Mann auf dieser Welt, der ein solches Gefühl in mir zu erzeugen vermöchte. Die Leute mögen sich, wie man so sagt, tausendmal verlieben, aber das wahre >feusacre< brennt nur einmal im Leben.

Die Mythe in Reinkultur.
In Genf bemüht sich auch ein russischer General um sie. Er hat Orden, Geld, einen bekannten Namen, neun Schlösser. Er hat Isabel zum erstenmal in einer Kirche in Genua gesehen und ist ihr nach Genf gefolgt. Die Bestätigung der Mythe von der einen, großen, alle Schwierigkeiten überwindenden Liebe: auch andere sind so, empfinden so, handeln so. (Natürlich muß man es sich leisten können.)
Er bombardiert sie mit Blumensträußen, läßt Geiger vor ihrem Fenster fiedeln. Isabel zeigt sich völlig unbeeindruckt. Statt dessen geht sie - Vorbereitung auf ein Leben mit Richard - angetan mit dicken Schuhen und roten Unterröcken mit ihrer Schwester bergsteigen. Rheumaanfälle werden mit Kirschwasser bekämpft. Schließlich gönnt sie den Jungvermählten doch noch ein paar Tage allein. Sie reist vorzeitig heim. Unterwegs verliert sie ihr gesamtes Geld und ihr Gepäck und betreut einen Epileptiker, der in einem Eisenbahnabteil dritter Klasse einen Anfall erleidet.

Unterdessen ist es Richard Burton und John Hanning Speke gelungen, bis zum Tanganjika See vorzudringen. Auf der Rückreise macht Speke einen Abstecher zu jenem großen Inland-Meer, das heute Victoria See heißt. Er stellt fest, daß der See eine weit größere Ausdehnung hat als ursprünglich angenommen. Er hat plausible Gründe dafür, anzunehmen, daß dort der Nil entspringt. Einsam unter Eingeborenen und arabischen Sklavenhändlern haben sich die beiden Männer in einen erbitterten Streit verrannt, der sich durch ihren elenden Gesundheitszustand und die damit verbundene Gereiztheit mehr und mehr steigert. Burton hat einundzwanzig Malariaanfälle gehabt. Speke leidet unter der gespenstischen Kichyomachyoma, einer Mischung aus Wassersucht, Epilepsie und Delirium tremens. Als sie im März 1859 Sansibar wieder erreichen, sind die Streitigkeiten zwischen ihnen nur oberflächlich beigelegt. Speke reist sofort nach England zurück. Burton muß in ein Krankenhaus, um sich auskurieren zu lassen. Dabei will er seine Aufzeichnungen ordnen. Trotz eindeutiger Absprachen zwischen den beiden, man werde die Ergebnisse der Expedition gemeinsam der Öffentlichkeit bekanntgeben, sobald auch Burton nach England zurückgekehrt ist, fährt Speke, sowie er in London eingetroffen ist, zur Royal Geographie Society und behauptet, er und nur er habe die Nilquellen entdeckt. Mehr noch, er setzt durch, zum Leiter einer neuen Expedition ernannt zu werden, einer Expedition ohne Burton.
Als Richard Burton in London eintrifft, ist Speke der Held des Tages. Nach ihm kräht kein Hahn.
In  ihrem  Tagebuch  beschreibt  Isabel  ihr Wiedersehen  mit Richard:

  • Am 22. Mai machte ich einen Besuch bei Bekannten. Man sagte mir, daß meine Freundin ausgegangen sei... Ich bestand darauf, auf sie zu warten. Nach ein paar Minuten klingelte es wieder an der Tür. Es war ein weiterer Besucher, der ebenfalls warten wollte. Die Stimme, die ich da sagen hörte: »Ich wollte mich nach der Adresse von Miss Arundell erkundigen«, elektrisierte mich. Die Tür ging auf. Kann man sich meine Empfindungen vorstellen, als ich Richard vor mir sah. Einen Augenblick standen wir beide wie betäubt... dann fielen wir uns in die Arme.

Burtons Gesundheitszustand ist immer noch miserabel:

  • Er glich einem Skelett, seine gelbliche Haut hing in Falten herunter. Die Augen traten vor. Seine Lippen bogen sich von den Zähnen fort.

Wieder treffen sie sich jeden Tag. Isabel schleppt Richard nun auch mit zu ihrer Familie. Ihre Mutter ist entschieden gegen die Heirat. Richard Burton ist nicht katholisch, er hat kein Vermögen, aber dafür einen schlechten Ruf.
Gegenüber ihrer Mutter benimmt sich Isabel denn doch recht unterwürfig. Unter Umständen sind die Hindernisse, die der Eheschließung im Weg stehen, Burton so unlieb nicht gewesen. Gewiß liebt er Isabel. Aber auf seine Art, und wie das zu verstehen ist, davon wird sie noch so manche Kostprobe bekommen. Andererseits darf sie ihn trösten, pflegen, ihn aufrichten, wenn er von seinen Scharmützeln in der bösen Welt heimkehrt. Das hat sie sich immer gewünscht.
Isabels Aufzeichnungen stehen bei ihrem Überschwang immer in Gefahr, in ärgsten Kitsch umzukippen:

  • Ich pflegte dann still dazusitzen, ihn anzusehen und mir zu überlegen: Du bist mein und es gibt keinen Mann auf Erden, der auch nur im geringsten so wäre wie du.

Du bist mein. Das ist der Lohn für die Opfer, die Isabel bringt. Daß man ein Recht darauf hat, einen Menschen zu besitzen, ist Lehre jener zur Institution gewordenen Glaubensgemeinschaft, der Isabel angehört, ist Teil der Moral der Gesellschaft, in der sie lebt, wird verbürgt vom Staat, damit Ordnung sei in dieser Gesellschaft. Der Besitzanspruch gehört zur Mythe.
Neun  Monate  geht Richard  auf eine Reise nach Amerika. Ausgerechnet zu den Mormonen, denen ja bekanntlich die
Vielweiberei gestattet ist. Ehe er gefahren ist, hat er zu Isabel gesagt, wenn er zurückkomme, werde sie wählen müssen zwischen ihm und ihrer Mutter. Wenn sie ihn nicht heirate, werde er nach Indien zurückkehren und sie würden sich nie wiedersehen.
Ihre Entscheidung ist klar, und sie beginnt, sich auf ihre Rolle als Richards Ehefrau gezielt vorzubereiten. Unter dem Vorwand, sie brauche Luftveränderung, zieht sie sich aufs Land zurück. Sie lernt melken, reiten, ein Gespann fahren, einen Garten anlegen, kochen, fischen. In London nimmt sie Unterricht bei einem guten Fechtmeister. Als der sie fragt: »Aber warum, Miss?«, antwortet sie: »Damit ich Richard verteidigen kann, wenn er angegriffen wird.«
In Briefen soll der Bräutigam der Mutter schmackhaft gemacht werden:

  • In dem Augenblick, als ich seinen brigantenhaften, dem Teufel trotzenden Blick sah, erhob ich ihn zu meinem Idol und beschloß, daß er der einzige Mann sei, der für mich als Ehemann in Frage komme.

Die Epistel endet mit einem Satz, der Isabel darstellt wie kein anderer ihrer Sätze, der den Kern des Konflikts deutlich macht, der sich durch die Spannung zwischen viktorianischer Konvention und individueller Vitalität in ihr abspielt:

  • Ich wünschte, ich wäre ein Mann. Wäre ich einer, so möchte ich am liebsten Richard Burton sein, aber da ich nur eine Frau bin, will ich wenigstens Richard Burtons Ehefrau sein.

Dieser Satz bedeutet ihre endgültige Kapitulation in punkto Selbstverwirklichung. Etwa um dieselbe Zeit schreibt eine andere junge Frau, die sich zu emanzipieren versucht, in ihr Tagebuch:

  • Frauen scheinen dazu geschaffen, entweder zu bewundern oder sich zu opfern. Ich als Frau verlange nach dem Recht, daß die Natur mir etwas gibt, wofür es sich lohnt zu leben, wofür es sich lohnt zu sterben...

Isabel gibt, nachdem alle ihre Bestrebungen und Bemühungen zum Scheitern verurteilt waren, den Anspruch auf ein eigenes Leben auf. Als Ehefrau von Richard Burton will sie nur noch durch ihn leben.
Heikle Punkte selbst für Isabels Opferbereitschaft bleiben Religion und Finanzen. Burton ist praktisch mittellos. Sein Vater hat ihm vor ein paar Jahren 15 000 Pfund hinterlassen, aber das Geld ist bei seinen Expeditionen aufgezehrt worden. Daß er kein Katholik ist, daß man über seinen Glauben oder Unglauben schwer etwas in Erfahrung bringen kann, bedauert lsabel sehr. Aber davon steht im Brief an die Mutter kein Wort. Hingegen heißt es dort:

  • Du schreibst mir, man wisse nicht, wer er ist, und daß Du ihm nirgends in Gesellschaft begegnest. Das erste will ich nicht hören, weil man denken könnte, Du seist ungebildet, und Du weißt selbst ganz genau, wie gescheit Du bist. Aber was Deine Bemerkung angeht, Du sähest ihn nirgends, so meinst Du doch damit jene besondere Art von Gesellschaft, die Dir für Deine Töchter so recht wäre. Dort wirst Du ihn freilich nicht treffen, weil er sich dort langweilt, und das ist ihm verhaßt. Er ist ein weltoffener Mann, und seine Lebensart und seine Talente öffnen ihm jede Tür... Im Osten ist er überall angesehen, auch in den literarischen Zirkeln Londons und auf den großen Parties, auf denen Du und ich nur zum Fußvolk gehören würden, fällt er auf...

Zur Vermittlung zwischen Mutter und Tochter - Mr Arundell nimmt eine eher indifferente Haltung ein - wird kein geringerer als ein Kardinal bemüht. Er trifft sich mit Burton, nimmt ihm das Versprechen ab, Isabel müsse ihre Religion ungehindert ausüben dürfen. Kinder seien im katholischen Glauben zu erziehen, die Heirat müsse in einer katholischen Kirche stattfinden. Mit all dem ist Burton einverstanden. »Natürlich muß sie ihre Religion ausüben«, sagt er, »sie sollte nicht nur, sie wird. Ein Mann ohne Religion, das mag vielleicht noch angehen, aber eine Frau ohne Religion, das ist keine Frau für mich.«
Der Kardinal holt Dispens aus Rom ein. Es wird beschlossen, daß die Hochzeit ohne Wissen von Mrs Arundell stattfinden solle, da diese krank ist und sich unter Umständen zu sehr aufregen könnte. Vor ihrer Eheschließung hat Isabel für sich Regeln für mein Verhalten als Ehefrau aufgestellt. Hier sind einige dieser siebzehn Regeln:

  • Dein Ehemann soll in dir einen Gefährten, Freund, Ratgeber und conf idant finden, so daß er daheim nichts vermißt. Laß ihn bei dir als Frau all das finden, was, wie er und so viele andere meinen, ein Mann nur bei seiner Geliebten findet, dann wird er sich nicht außer Haus umtun müssen.
  • Sei ihm eine aufopfernde Krankenschwester.
  • Mach es ihm daheim gemütlich. Selbst wenn das Heim klein und ärmlich ist, sollte es einen gewissen Chic haben. Männer schämen sich immer eines ärmlichen Zuhauses und gehen dann in den Club.
  • Lasse ihm alle Bequemlichkeit angedeihen, erlaube ihm, daß er raucht oder was sonst er tun will. Gib dich optimistisch und sei attraktiv. Lade Leute ein, die für ihn wichtig sein könnten, pflege den Stil von Gesellschaft, der zu ihm paßt (Literaten). Mach ihm klar, wer seine wirklichen Freunde sind und wer nicht.
  • Bilde dich in jeder Weise, damit du dich an seinen Unternehmungen beteiligen kannst, damit du mit ihm Schritt hältst und er deiner nicht überdrüssig wird.
  • Sei bereit, ihm zu jedem Augenblick irgendwohin zu folgen und stehe solche Schwierigkeiten durch wie ein Mann.
  • Schlage ihm nie etwas ab, worum er dich bittet. Bewahre ihm gegenüber immer eine gewisse Reserviertheit und Zartgefühl. Erhalte jene Atmosphäre der Flitterwochen, ob nun daheim oder in der Wüste. Zier dich nicht, sei nicht prüde. Mach nicht den Fehler, dein Aussehen zu vernachlässigen, sondern kleide dich so, wie es ihm gefällt.
  • Er muß wissen: wenn er fortgeht, bleibt sein zweites Selbst daheim und regelt alles aufs Beste. Interessiere dich für alles, was auch ihn interessiert. Um eine gute Gefährtin zu sein, muß eine Frau lernen, sich mit dem voll und ganz zu identifizieren, was ihren Mann interessiert. Sei es, daß er Rüben züchtet, so muß sie sich eben für Rüben interessieren.
  • Vertraue dich niemals mit deinen häuslichen Sorgen Freundinnen an.
  • Verbirg seine Fehler vor jedem, gib ihm bei Schwierigkeiten und Ärger recht.
  • Nimm es nie hin, daß jemand in deiner Gegenwart respektlos über ihn redet. Geschieht dies, so verlasse den Raum. Erlaube niemandem, dir etwas über ihn zu erzählen, besonders nicht über sein Verhalten gegenüber anderen Frauen. Verletze nie seine Gefühle, indem du ungezogene Bemerkungen machst oder ihn auslachst.
  • Bringe ihn nicht mit religiösen Gesprächen gegen dich auf, sei religiös und gib ein gutes Beispiel, nimm das Leben ernst, bete für ihn und tu alles, was du kannst für ihn, aber laß es ihn nicht merken... Du kannst versuchen, daß er jeden Abend mit dir ein kleines Gebet spricht, ehe ihr zu Bett geht, bestimme ihn langsam und vorsichtig dazu, gut gegenüber den Armen und vergebungsvoll gegenüber anderen zu sein.
  • Achte darauf, daß du stets gesund bist, bei guter Laune und deine Nerven intakt sind, um seiner natürlichen Melancholie entgegenwirken zu können und in der Lage zu sein, deine Mission zu erfüllen.
  • Sorge dafür, daß alles läuft, nie in etwas ein Stillstand eintritt, denn nichts ist für ihn schwieriger zu ertragen als Stagnation.

Eine gewisse Ähnlichkeit mit religiösen Vorschriften und Geboten ist bei diesem Schriftstück nicht zu übersehen. Aus der Liebe zu einem Menschen wird Dienst am Mann, und dieser Dienst wird für Isabel zu einem religiösen Akt. Wie sehr sich diese Ehe als eine Art Gottes-Dienst vollzieht, wird sich später noch unverhüllter zeigen.
Am Dienstag, den 22. Januar 1861 verläßt Isabel die Londoner Wohnung ihrer Eltern. Sie trägt eine hellbraune Seidenkrinoline, einen schwarzen Spitzenmantel und eine weiße Haube. Sie fährt zur Bayrischen Kirche in der Warwick Street, wo Burton auf den Eingangsstufen auf sie wartet.
Nach der Zeremonie findet ein Lunch mit alten Freunden Richards statt, die offenbar alle bestrebt sind zu überprüfen, wie gut es um die Nerven der jungen Frau bestellt ist. Die Gespräche sind für eine Hochzeitsfeier reichlich ungewöhnlich. Dr. Bird beispielsweise fragt Burton, wie er sich gefühlt habe, als er sich in Indien gezwungen sah, einen Mann zu erschießen. Burton antwortet: »Ganz prächtig, Doktor, und Sie?« Später sagt Robert zu Isabel: »Laß uns so tun, als seien wir schon seit Jahren verheiratet.« In der Dämmerung des Wintertages laufen sie beide zu Fuß zu Burtons Wohnung in St. James. Am Abend schaut unerwartet noch ein Freund Richards herein, der sich offenbar nicht darüber im klaren ist, ein eben verheiratetes Paar vor sich zu haben. Burton drängt ihn, doch noch auf eine Zigarre zu bleiben. Isabel unterstützt ihren Mann lebhaft. Zu dritt verbringen sie den Abend.
Am Morgen des folgenden Tages schreibt Burton an Isabels Vater den folgenden Brief:

St. James's, 23. Januar 1861
Mein lieber Vater:
Indem ich Deine Tochter Isabel in der Warwick Street Kapelle und
zuvor auf dem Standesamt geehelicht habe, habe ich mich des
Verbrechens des Straßenraubes schuldig gemacht. Die Einzelheiten
wird sie in einem Brief an ihre Mutter mitteilen. Mir bleibt nur zu
sagen, daß ich keine Bindungen oder Liaisons irgendwelcher Art
habe,  daß  die  Hochzeit völlig   legal und geziemend  vor sich
gegangen ist. Auf eine Mitgift für Isabel verzichte ich. Ich kann
arbeiten und ich werde Sorge tragen, daß die Zeit erweist, daß Du
diesen Schritt nicht bereuen mußt.
Ich bin
hochachtungsvoll Dein
Richard F. Burton

Isabels Vater, als ihm zugetragen wird, seine Tochter sei Burton in dessen Junggesellenwohnung in St. James gefolgt: »Sie hat Dick Burton geheiratet und dem Himmel sei Dank dafür.« Die Mutter wird gegen die Ehe ihrer Tochter bis an ihr Sterbebett protestieren: »Dick Burton ist kein Verwandter von mir.« Eine zeitgenössische Unterhaltungsschriftstellerin über Richard Burton: »Es sieht aus wie Othello und lebt wie die Drei Musketiere.«
Isabel ist hochgestimmt und dabei, wie häufig, etwas verschroben: »Ich habe es unternommen, einen sehr besonderen Mann zu heiraten.«
Aber auch sehr besondere Männer müssen von etwas leben. In der Indienarmee ist Richard nach Einsparungsmaßnahmen auf halben Sold gesetzt worden und wird bald endgültig entlassen werden. Die britische Regierung bietet ihm einen reichlich obskuren Konsulatsposten in San Fernando Po, an der Westküste Afrikas an. Das Klima dort ist mörderisch. Die Stelle wird allgemein »das Grab des Auswärtigen Amtes« genannt. Eine weiße Frau dorthin mitzunehmen, scheint völlig ausgeschlossen. Im stillen mag Isabel revoltiert haben. Sie weiß, daß sie gesundheitlich weit widerstandsfähiger ist als Richard. Aber sie hat sich dazu entschlossen, eine gute Ehefrau zu sein, und deren Aufgabe ist es, daheim zu warten, zu beten und darauf zu hoffen, daß der Mann irgendwann einmal ruhmbedeckt heimkehren wird. Sie fügt sich, schlüpft bei ihren Eltern unter, spart, betätigt sich als Richards Sprachrohr in der Londoner Gesellschaft. Was er aus San Fernando schreibt, zeigt, daß seine schlimmsten Erwartungen noch übertroffen worden sind: »Sie haben mich hierhergeschickt, damit ich ins Gras beiße, aber ich habe vor zu überleben... trotz alledem.«
Isabel antichambriert beim Auswärtigen Amt, setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um ihrem Mann einen anderen Posten zu verschaffen. Als sein Buch über die Reise zu den Mormonen erscheint, gibt es einen Skandal. In dieser Schrift bricht Burton eine Lanze für die Polygamie. Polygamie, so sein Argument, und es gibt keine alten Jungfern mehr. Isabel verteidigt ihren Mann auch hier und setzt sich unbeirrt weiter für ihn ein:

  • Sie (die Regierung) versucht, ein Schreckgespenst aus ihm zu machen, und er kann sich nicht wehren, aber er ist nur mit einer Frau verheiratet. Er ist ein häuslicher Mensch, und er hat Heimweh.

Zwei Jahre vergehen mit langen Perioden der Trennung und kurzen Treffen auf Madeira. Burton stöhnt über seinen Posten, erfüllt aber seine Pflichten als Konsul mit strikter Disziplin. Wenn ihn Langeweile und Einsamkeit gar zu sehr schütteln, nimmt er Zuflucht zur Flasche. Der einzige einigermaßen interessante Auftrag führt ihn nach Dahomey. Er soll den dortigen König für England einnehmen, über Land und Leute berichten, wohl weil man sich in London darüber klar werden will, ob es sich lohnt, dieses Land zu annektieren.
Isabel bietet an, ihn zu begleiten. Sie möchte sich missionarisch betätigen, den Negern mit Vorträgen zu Laterna-magica-Bildern die frohe Botschaft des Christentums bringen, von der sie sich einen mildernden Einfluß auf die >barbarischen< Sitten erhofft. Einmal mehr sind seine Vorgesetzten schockiert und wahrscheinlich auch Isabel. Was er liefert, ist nämlich eine anthropologische Studie mit Ausführungen über die Psychologie von Amazonen, Daten über Aphrodisiaka, Prostitution, Beschreibungen über die Methoden der Abtreibung, Beschneidung, Entbindung. Obwohl die Amazonentruppe zur Keuschheit verpflichtet ist, sind zur Zeit seines Besuchs die meisten der 150 weiblichen Soldaten schwanger, was er als Beweis dafür anführt, daß Keuschheit in den Tropen kaum zu praktizieren sei.
Das alles liest Isabel erst später. Aber noch von unterwegs meldet ihr Ehemann, daß ihm als Adjudant eine dieser Amazonen beigegeben worden ist. Ihre Eifersucht beruhigt sich erst, als ihr Richard eine Skizze besagter Adjudantin schickt, die sich als ein fettes, wildes, abstoßend aussehendes Geschöpf entpuppt.

1864, während Burton einen Urlaub in England verbringt, kommt es zu einem unheimlichen Zwischenfall. Sein Streit mit Speke um den Ursprung des Nils hat in all den Jahren an Heftigkeit nur noch zugenommen. Nun will die British Association for the Advance-ment of Sciences in Bath ein Streitgespräch zwischen den beiden Männern veranstalten. Alles ist vorbereitet. Burton steht auf der Bühne, vor dem Auditorium, wild entschlossen. Isabel, wie die Assistentin des Zauberers, ein paar Schritte hinter ihm. Endlich wird er vor der wissenschaftlichen Welt klarstellen können, wie schurkisch Speke von jeher an ihm gehandelt hat. Plötzlich betritt ein Bote den Saal. Er kommt auf die Bühne und drückt Burton einen Zettel in die Hand. Burton wird bleich und geht ohne ein Wort der Erklärung hinaus. Speke ist das Opfer eines Jagdunfalls geworden. Aber das Getuschel will nicht verstummen, es sei Selbstmord gewesen, ein Selbstmord, für den man in gewissem Sinn Burton mit seinen Rachegelüsten die Schuld gibt.
Isabels Bemühungen zeitigen endlich einen gewissen Erfolg. 1865 wird Burton zum britischen Konsul in Santos ernannt, ein Posten, auf den ihm Isabel folgen kann. Es ist nicht die Wüste, nicht der Orient. Aber Isabel würgt ihre Frustrationen herunter und ist entschlossen, aus allem das Beste zu machen. Sie ist eifrig damit beschäftigt, portugiesisch zu lernen. In weiser Voraussicht der Insektenplage in Brasilien hat sie eiserne Betten gekauft. In Lissabon ist ihr einmal vor einer Küchenschabe von sechs Zentimetern Länge angst und bange geworden. Richard hat zynisch zu ihr gesagt: »Du siehst reizend aus, wie du da auf dem Stuhl stehst und dieses unschuldige Geschöpf anheulst.« Verglichen mit der Insektenplage in Brasilien ist das, was sie in Portugal erlebt hat, eine Lappalie. Es gibt Spinnen von der Größe eines Suppentellers, und was die Tropenkrankheiten angeht, gegen die man sich zu dieser Zeit ja kaum durch Medikamente oder Impfungen schützen kann, so sind die Verhältnisse eher noch schlimmer als in Afrika.
Ihre neue Heimat ist eine dampfende, blitzende Landschaft, wo zankende Papageien durch einen alles überwuchernden Wald flattern. Es ist eine sich auflösende Gesellschaft, in der viele schon zum Frühstück Schnaps trinken, in der sich niemand darüber aufregt, wenn man einen aufsässigen Sklaven auf dem Hausdach festbindet oder ihn gefesselt in einen Ameisenhaufen wirft. Isabel wird die Anpassung nicht leicht. Es gibt Cholera und die weniger gefährlichen, aber doch unangenehmen Fieberanfälle. Sie übersteht sie, indem sie braunes Bier trinkt. Sie packt die zahllosen Gepäckstücke, die sie aus England mitgebracht haben, aus, bringt das Haus in Ordnung und gibt mit großem Erfolg ihre erste Dinner-Party.
Der Kaiser von Brasilien sieht in dem britischen Konsul und seiner Frau eine ausgesprochene Bereicherung der gesellschaftlichen Szene. Richard begeistert die Leute durch seine zynisch-witzige Art, Konversation zu machen. Die brasilianischen Frauen staunen, wie die elegant gekleidete Engländerin ihre Röcke rafft und barfuß durch die Bäche watet, wie sie Schlangen in Flaschen fängt, eine halbverfallene Ruine wieder herrichtet und ausmalt. Sie bringt sich selbst das Fechten bei, macht Gymnastik, nimmt kalte Bäder, geht zur Messe und auf den Markt. Sie hilft Richard bei den Fahnenkorrekturen seiner Bücher oder bei den unvermeidlichen Berichten an das Foreign Office, die sie ins Reine schreibt. »Zweiunddreißig Seiten Bericht über den Baumwollmarkt, einhundertfünfundzwanzig Seiten Geographischer Bericht, achtzig Seiten Allgemeiner Handelsbericht ... dies ist für Lord Stanley, deshalb tue ich es auch gern«, schreibt sie heim. In Wirklichkeit ist alles, was sie tut, für Richard.
Ein Gedanke, der weder im Tagebuch noch in Briefen auftaucht, muß ihr dennoch hin und wieder gekommen sein. Der Gedanke, daß in Wahrheit das Amt eines Konsuls von ihr ausgeübt wird. Gut ausgeübt. Wenn eine Frau heimlich all diese Arbeit machen kann - warum kann sie dann nicht auch tatsächlich Konsul werden? Allmählich schleicht sich Traurigkeit in die Briefe nach Hause. Es wird etwas spürbar von der gewaltigen Einsamkeit hinter all dem Mut und der Entschlossenheit, mit der sie dem Leben immer ins Gesicht sieht.
Richard betätigt sich wieder einmal als Abenteurer und Entdek-ker. Er entwindet sich den bürokratischen Arbeiten, die sein Amt mit sich bringt, verschwindet auf Forschungsreise. Auf Isabels Kosten. Sie sorgt dafür, daß die Fassade gewahrt bleibt, sowohl gegenüber dem Auswärtigen Amt wie auch gegenüber den Mitgliedern der >besseren Kreise<, deren Ehrenkodex und Snobismus sie reizen.

  • Ich denke oft, eine Parvenue- oder eine Halbblutfrau würde explodieren, wenn sie so leben müßte, wie ich lebe... das Gesicht wahren, gegen die Fieberanfälle ankämpfen, mit den Insekten fertig werden, mit Richard, mit allem...

Oder auch:

  • Ich hasse Santos, das Klima ist viehisch, die Leute sind Waschlappen, der Gestank, das Ungeziefer, das Essen, die Nigger- das gehört alles zusammen. Nicht mal spazieren gehen kann ich. Wenn ich in die eine Richtung gehe, versinke ich in knietiefen Mangroven-Sümpfen, geht man in die andere Richtung, kommt man über und über bedeckt mit Sandflöhen heim.

Richard reagiert auf alle Schwierigkeiten, indem er sich zurückzieht, absondert oder in die Ferne flieht. Er speist mit Kapuzinermönchen und diskutiert mit ihnen Metaphysik und Astronomie. Er studiert systematisch Astronomie und Mathematik. All die Enttäuschungen der zurückliegenden Jahre haben seine Nerven ruiniert. Seine Gesundheit ist nicht mehr die beste. Zwanzig Jahre hat er mit seiner Physis Raubbau getrieben. Nun werden die Folgen sichtbar. Dennoch veschwindet er immer wieder in die Pampas, in die Gebirge, in den Urwald, und Isabel muß sich mit kleineren Expeditionen trösten. Obwohl von unerschrockenem Wesen, gibt es Schrecken, die ihr solche Abwechslungen verderben können. Die riesigen, behaarten Spinnen. Giftschlangen. Die Gefahr, sich mit Lepra zu infizieren. In einem Gasthaus wagt sie es nie, in einem Bett zu schlafen, sondern legt sich auf den Boden oder in ihre mitgebrachte Hängematte. Das alles nimmt sie in Kauf. Obwohl Richard sich kaum um sie kümmert, wäre ohne ihn ein so abenteuerliches Leben für sie kaum denkbar gewesen. Aber wäre irgendeine andere Frau dazu bereit gewesen, Burton jenes Maß an Loyalität entgegenzubringen, das Isabel aufbrachte? Sie muß sich damit zufrieden geben, am Rand seines Lebens zu existieren. Sie lebt für ihn, aber eT nicht für sie. Sie ist dazu da, die praktische Seite ihrer beider Leben zu balanzieren. Allmählich nimmt sie die schattenhafte Unterwürfigkeit einer orientalischen Frau an. Richards Ideal. Von ihrem eigenen Temperament her liegt ihr das ganz und gar nicht. Sie ist stolz, unabhängig, selbständig. Während sie sich früher um diese Eigenschaften bemühte und sie jetzt, zur Bewältigung ihrer Lebensbedingungen, gut gebrauchen kann, geht sie gleichzeitig dagegen an: für eine Frau kommen sie nicht in Frage. Ihre Aufgabe ist es, geduldig dienend dazu beizutragen, daß sich der Mann den Luxus solcher Ideale leisten kann.
Im Herbst 1867 ergibt sich durch Burtons unbezwingbare Wanderlust und seinen rücksichtslosen Egoismus eine nahezu unglaubliche Situation. Mehr als vier Monate ist er fort, ohne Isabel irgendeine Nachricht zukommen zu lassen. Getreu der von ihr selbst aufgestellten Regel, ein Mann müsse sich darauf verlassen können, daß bei längerer Abwesenheit zu Haus sein anderes Ich walte, ist sie in dieser Zeit der Konsul Ihrer Majestät in Santos.
Kein Wort der Klage über die Schwierigkeiten und Belastungen geht später in ihre Memoiren ein. Keine Kunde über die tatsächlichen Zustände auf dem Konsulat in Santos dringt bis ins Auswärtige Amt. Schwieriger zu täuschen als Ministerialbeamte im fernen London ist die weiße Kolonie von Santos, aber auch das schafft Isabel.
I n diesen Jahren trifft Wilfred Blunt, selbst Konsul und literarisch tätig, mit Burton in Südamerika zusammen. Blunt ist zwanzig Jahre jünger als Burton, und unter seiner Generation ist »ruffian Dick«, wie Richard genannt wird, schon zur Legende geworden. Um so größer ist Blunts Bestürzung, nun einem ausgebrannten, ständig Brandy trinkenden Mann zu begegnen:

  • Burton war zu dieser Zeit auf einem Tiefpunkt. In Kleidung und äußerer Erscheinung kam er mir vor wie ein entlassener Sträfling. Ein andermal erinnerte er mich an einen schwarzen Panther, den man eingesperrt hat und der dennoch ungezähmt geblieben ist, wieder andermal mußte ich an diese wundervollste Schöpfung Balsacs denken, an Vautrin, der seine grimmige Identität als Exgaleerensträfling unter der Kutte eines Abbe verbirgt. Er trug gewöhnlich einen schmutzigen schwarzen Anzug, zerknitterte schwarze Hosen und um den Hals keinen Kragen, ein Kostüm, das bei seinen Muskeln und seinem gewaltigen Brustkorb einzigartig komisch wirkte. Ich habe nie jemanden mit einem so düsteren Gesicht gesehen, dunkel, grausam, mißtrauisch, mit Augen wie die eines wilden Tieres. Aber dieser wildwütige Gesichtsausdruck wich manchmal etwas anderem. Und ich kann die schon überschwengliche Vorliebe seiner Frau verstehen. Trotz seiner Häßlichkeit war er einer der schönsten Männer, die es gibt.

Als Richard länger als gewöhnlich ausbleibt, wird Isabel nun doch unruhig. Sie fährt hinunter an die Küste und paßt die wenigen Dampfer ab, die von Bahia herüberkommen. Burton ist nie unter den Passagieren. Sie fürchtet das Schlimmste. Ist er krank? Hält man ihn gefangen, um ein Lösegeld zu erpressen? Er trägt immer gigantische Summen lose in der Tasche mit sich herum, und meist hängen die Scheine bei ihm auch noch aus der Hosentasche heraus. Sie ist entschlossen, in die Wildnis aufzubrechen und nach ihm zu suchen.

  • Angst habe ich höchsten vor wilden Indianern, Fieber, Schmerzen und tückischen Fischen. Aber denen kann man ja aus dem Weg gehen. Andere Gefahren gibt es nicht.

Endlich taucht Richard auf. Er ist an Bord des einzigen Trampdampfers gewesen, zu dessen Ankunft sie einmal nicht zum Hafen gegangen ist. Er ist tief beleidigt, daß sie ihn nicht abgeholt hat. Einige Wochen später bricht er mit einer gefährlichen Lebererkrankung zusammen. Er hat hohes Fieber, phantasiert. Isabel pflegt ihn hingebungsvoll. Nach Hause schreibt sie:

  • Solange man in diesem Land gesund bleibt, ist alles in Ordnung, aber wehe, man wird krank. Sobald man länger zum Liegen kommt, ist man auch schon gestorben. Ich habe Richard durchgebracht, indem ich ihn acht Wochen nicht aus den Augen ließ... Er sieht jetzt aus wie ein Sechzigjähriger, und ich fürchte, seine Lungen kommen nie mehr ganz in Ordnung.

Daß es ihr selbst gesundheitlich schlecht geht, verschweigt sie und hält das auch vor Richard geheim. Sie hofft, er werde nun das Reisen endlich aufgeben. Er verspricht es, aber solche Versprechungen sind bei ihm null und nichtig. Noch im Delirium plant er schon wieder eine Reise, den Rio de la Plata hinunter, durch Paraguay. Kaum ist er wieder einigermaßen auf den Beinen, da terrorisiert er Isabel mit einem neuen Plan. Dieser Posten ist ein totes Gleis, er kommt hier ohnehin nicht weiter und könnte doch seinen Abschied nehmen. Nein? Dann vielleicht wenigstens um Krankenurlaub einkommen und in dieser Zeit eine Reise quer durch die Anden machen, nach Chile und Peru. Von unterwegs einen Bericht über den Krieg in Paraguay schicken. Isabel kann ihm seine Reisepläne nicht ausreden. Sie wird nach London zurückkehren. Sie wird antichambrieren, damit er einen besseren Posten bekommt.
Diesmal hat Richard Burton Glück. Es gibt Menschen, die immer Pech haben. Eigentlich gehört er mehr zu dieser Sorte. Und halb hat er sich schon damit abgefunden. Aber Isabels Auftritt auf gewissen Gesellschaften, in gewissen Büros des Foreign Office haben das Wunder bewirkt. Er bekommt den Konsulatsposten in Damaskus. Ein Traumjob für einen Orientalisten. Aber kaum, daß Isabel und er die erste elektrisierende Freude über diese Nachricht recht genossen haben, folgen auch schon die ersten »wenn« und »aber« nach. Es gibt Leute, die seine Sünden aus der Vergangenheit hervorkramen. Wie war das mit dem Bericht über die Bordells in Indien, wie war das mit der Adjutantin aus dem Amazonenheer, wie war das mit seinem Eintreten für die Vielweiberei? Andere Leute gehen sachlicher vor. Sie kritisieren, daß man ausgerechnet einen Agnostiker ins Heilige Land schicken will.
Kaum ist die Ernennung ausgesprochen, da tritt die Regierung zurück. Der neue Außenminister, Lord Clarendon, gehört zu den Leuten, die Burton ablehnen. Er erklärt Burton ins Gesicht, daß er die Entscheidung seines Vorgängers für unklug findet. Damit er sie nicht widerruft, muß Burton versprechen, besonders vorsichtig zu sein.

Es ist immer dasselbe: Puritaner, Heuchler, Neider, Dummköpfe.

They eat and drink and scheme and plod
They go to church on sunday
And many are afraid of God
And more of Mrs. Grundy*

(* Übersetzung dieses Gedichts von Burton in etwa: Sie essen und trinken, intrigieren und rackern sich ab. Sie gehen am Sonntag zur Kirche. Sie fürchten Gott, aber mehr noch Mrs. Grundy (die Burton als die Personifizierung viktorianischer »Moral« und Engstirnigkeit hinstellt.)

Im Sommer 1869 kommen die Burtons schließlich doch nach Syrien, das damals zum osmanischen Reich gehörte. Richard lebt auf. Endlich ist er wieder im Osten, den er bewundert, dem er sich zugehörig fühlt.

  • Er war das einzigartige Beispiel eines Menschen, der nicht als Moslem geboren wurde, die Pilgerreise nach Mekka unternahm und danach mit den Moslems in Freundschaft lebte. Sie betrachteten ihn als persona grata, als jemand, der zivilisierter war als die meisten »Franken«, die sie kannten. Sie nannten ihn Haji Abdullah und behandelten ihn als einen der ihren.

Die Burtons finden ein Haus außerhalb der Stadt im kurdischen Bergdorf von Salahiyyeh. An den Mauern Kaskaden von Rosen und wildem Wein. In einem Innenhof sprudelt eine Quelle. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt eine Moschee, und mit der leisen Brise vom Gebirge wehen die Gesänge des Muezzin durch die Fenster herein. Bald stehen zwölf Pferde im Stall. Es gibt eine große Anzahl ziemlich verwöhnter arabischer Diener und eine Sammlung adoptierter Haustiere, die von einem Leoparden bis zu Lämmern reichte. Isabel kann es einfach nicht mit ansehen, wieviele Tiere im Orient dem Verhungern und elenden Dahinsiechen überlassen bleiben. Sie nimmt sie mit heim, füttert sie, pflegt sie.
Richard und Isabel stürzen sich in das gesellschaftliche Leben von Damaskus, geben einen Begrüßungsempfang, bei dem jede Nation und Rasse willkommen ist. Tag und Nacht sind sie zu Ausflügen in die Wüste unterwegs. Sie erforschen das Land, besuchen Wüstenscheichs, die Ruinen von Palmyra oder die Kirchen von Jerusalem.
Zu ihren engsten Freunden gehört bald der alte algerische Krieger Abd El Kadir, der nun nach Jahren der Ehrenhaft frei in Damaskus lebt. Er hat in seinen großen Zeiten ein halbes Dutzend französischer Generäle in Schach gehalten. Als er schließlich besiegt worden ist, hat man ihn großzügig behandelt. 1857 hat Napoleon ihn freigelassen und eine Jahresrente von viertausend Pfund ausgesetzt, von der er in Damaskus im Exil lebt. Im Laufe der Zeit beginnt er sich in einen zuverlässigen Bundesgenossen der Franzosen zu verwandeln. Nach seinem Eintreten für die christlichen Maronniten erhält er 1860 das Großkreuz der Ehrenlegion. Als er während des Deutsch-Französischen Krieges hört, daß sein Sohn einen Aufstand in Algerien plant, pfeift er ihn zurück.
Zu dem Zeitpunkt, da die Burtons ihn kennenlernen, ist er vierundsechzig Jahre alt. Sein Bart und seine Augenbrauen sind geschwärzt, die Wangen mit Rouge bestrichen. Er studiert Magie und unterbricht seine Studien, um Isabel und Richard, wenn sie ihn besuchen kommen, ein Glas Tee servieren zu lassen. Endlose Nachtgespräche führen Isabel und Richard mit Abd El Kadir und seiner aus England stammenden Frau, Lady Ellenbo-rough. Es ist wahrscheinlich, daß Burton seine besonders intimen Kenntnisse des Haremslebens, die später in seine Notizen zu Tausendundeine Nacht eingehen, in diesen Gesprächen erwirbt. Isabel, die arabisch erst lernt, hängt an den Lippen dieser Besucher, kocht Kaffee, füllt die Wasserpfeifen. In ihrem Tagebuch steht: »Unser Leben war heilig, ernst und wild.«
Wild ist vor allem Richards Leben, denn er kehrt nun wieder zu seinen alten Gewohnheiten zurück, sich zu verkleiden und durch die Basaars und Moscheen zu schlendern. Immer mehr verwandelt er sich in einen Orientalen, ergreift Partei gegen die Europäer. Manchmal geht auch Isabel in orientalischen Kleidern hinunter nach Damaskus. Sie ist jetzt vierzig, wirkt schon ziemlich matronenhaft. Wenn sie in die Wüste reist, trägt sie syrische Männerkleidung: Pluderhosen und Burnus. Manchmal hält man sie für Richards Sohn. Die zwei Jahre in Damaskus sind für die beiden die Zeit ihres größten Glücks. Aber leicht hat es Isabel auch hier nicht.

  • Ich will es alles freudig tragen, als eine Sühne, um Richard zu retten... Ich muß Schwierigkeiten und Schmerz mit Mut, ja sogar begierig aushalten. Da ich mich so sehr nach dieser Mission gedrängt habe, nämlich nichts anderes zu sein als Richards Frau, darf ich nie vergessen, um Demut zu bitten, all die Anforderungen, die sich daraus ergeben, geduldig zu ertragen.

Richard und Isabel haben keine Kinder. In ihrem Buch Lamed schreibt sie 1864: »Alles ist mit Gottes Hilfe so gekommen« (wie sie es sich vor ihrer Eheschließung vorgenommen hat) »mit der einen Ausnahme, daß Er es als nicht gut ansah, uns mit Kindern zu segnen, wofür wir ihm nun äußerst dankbar sind.« Gegenüber Freunden äußert sie:

  • Ich habe zwölf Neffen und Nichten, fünf Jungen und sieben Mädchen. Das reicht doch wohl hin. Gott sei Dank haben wir keine Kinder.

Was Richard angeht, so kann man nicht so sicher sein, ob er diesen Standpunkt geteilt hat. Es gibt Biografen, die berichten, er habe bedauert, daß seine Ehe ohne Kinder geblieben sei. Er liebte Kinder, und da er sicher sein konnte, daß er von allen Mühen und Schwierigkeiten der Kinderaufzucht unbehelligt bleiben würde, hat er sich gewiß auch eigene Kinder gewünscht. Ihre Kinderlosigkeit bezieht sie, ob sie sich dieser Tatsache bewußt gewesen sind oder nicht, nur noch stärker aufeinander. Von daher sind Isabels Äußerungen durchaus glaubwürdig. Richard hat die Hätschelliebe, in die sich Isabels bewundernde Zuneigung nun mehr und mehr verwandelt, gerne hingenommen. Natürlich kann man sagen, er habe Isabel ausgenutzt. Aber die Stilisierung, die Isabel ihrer Liebe gibt, die Überhöhung und Steigerung zu einer Supermythe der Ehe, der sie gerecht zu werden versucht, lädt zu einem solchen Verhalten geradezu ein.
Burtons Abenteuerlust, sein Unwille sich anzupassen, die Normen und Umgangsformen der viktorianischen Gesellschaft zu akzeptieren, haben über Jahre hin für Isabel die Konsequenz gehabt, daß sie entweder von dem geliebten Mann getrennt war oder sie Schmähungen über Richard mit anhören mußte. Da sie für ihn werben, ihn verteidigen mußte, konnte sie nicht auf der Stelle das Zimmer verlassen, wenn ein böses Wort gegen ihn fiel, wie sie sich das vorgenommen hatte. All dies ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Langsam wächst ihr Widerstand gegenüber neuen Abenteuern, realen wie geistigen, die für Richard Lebenselixier sind.
Einmal schreibt sie: »Ich habe Richard ein bißchen gezähmt!« Stimmt das tatsächlich? Ist es nicht vielmehr so, daß ihn seine Enttäuschungen zähmten? Den großen Traum seines Lebens, sich in einen Orientalen zu verwandeln, hat er nicht verwirklichen können. Isabel aber spürt immer häufiger eine Furcht in sich aufsteigen. Alle Opfer, alle Anstrengungen, eine musterhafte Ehefrau zu sein, sind umsonst gewesen, wenn ihr eines nicht gelingt: den geliebten Mann zum Katholizismus zu bekehren. Ob und was Richard glaubt, darüber verweigert er selbst gegenüber seiner Ehefrau die Auskunft. Er verbirgt seine Meinung hinter zynischen Bemerkungen, läßt sich höchstens einmal zu dem Eingeständnis verleiten, daß ihm dies oder jenes am Ritual des katholischen Gottesdienstes ästhetisch eindrucksvoll erscheine. Dies sind seine einzigen Zugeständnisse gegenüber den immer dringlicher werdenden Werbungsversuchen Isabels, er möge sich doch offiziell zum Katholizismus bekehren. Sehr direkt und in einer naiven Gläubigkeit, die auch für einen Ungläubigen etwas Rührendes hat, fürchtet sie, über Richards Seele könne nach dem Tod »Er ist gerichtet« statt »Er ist gerettet« gesprochen werden.
Ein Leben nach dem Tod ist für Isabel Realität. Ein ewiges Leben in Himmel oder Hölle. Sie muß ihren Mann vor der ewigen Verdammnis bewahren - und sie will nicht allein sein in diesem nachirdischen Raum. Sie will Richard bei sich wissen, über den Tod hinaus.
Obwohl sich in Isabels Schriften - außer einer Biografie über ihren Mann hat sie zwei recht ungewöhnliche Reisebücher veröffentlicht - gewisse Sticheleien gegen die Feministinnen ihrer Zeit finden, hat sie in ihrem privaten Bereich dennoch Vorstöße zu einer Gleichberechtigung von Mann und Frau unternommen. So, wenn sie sah, daß die Araber, die in ihr Haus zu Gast kamen, ihre Frauen wie Luft, bestenfalls noch wie Sklavinnen behandelten. Sie bot den Frauen einen Stuhl an und erwartete von den arabischen Männern, daß sie Kaffee und Kuchen auch an sie weiterreichten, was unter Arabern nicht üblich war. »Bitte, bringen Sie unseren Frauen nicht Dinge bei, die sie nicht kennen und sie nur verwirren«, soll ein Scheich ihr gesagt haben, worauf er, gefolgt von seinem Harem, das Haus der Burtons verließ. Sie hat es durchgesetzt, bei den Divans, den Abendgesellschaften der Männer, bei denen sonst nie eine andere Frau zugelassen war, mit dabei zu sein. »Dieses Privileg wurde mir eingeräumt«, schreibt sie, »weil mein Ehemann von den Moslems als einer der ihren betrachtet wird.«
Während ihres Aufenthalts in Damaskus schreibt Isabel das Buch The Inner Life ofSyria, Palestine and the HolyLand, das 1875 in London verlegt wird. Es ist, ganz wie der Titel verheißt, der Reisebericht eines >insiders<. Bis dann im 17. Kapitel ein Traum geschildert wird, der deutlich macht, wie sehr sich das Zusammenleben mit Richard auf Isabels Seite in einen religiösen Akt verwandelt hat und wie sie, in diesem Sinne, mit Hilfe Gottes und der Königin die Welt zu ordnen gedenkt: Sie befindet sich auf einem Ausflug zu den Höhlen von Magharat el Kotn. Es ist die Fastenzeit vor Ostern. Hinabschauend auf die heilige Stadt Jerusalem schläft Isabel ein. Im Traum begegnet sie ihrem Schutzengel, der sie vor Gottes Thron führt. Gleich einem Märchenfürsten ist Gott, der Allmächtige, bereit, ihr einen Wunsch zu erfüllen.
Geleitet von einem anderen Engel gelangt sie in den Thronsaal der Königin Victoria, die ihrerseits etwas erhöht über der restlichen königlichen Familie thront. Unter den Kronjuwelen, die Victoria trägt, funkelt auch der berühmt-berüchtigte Koh-i-noor. Ihn ersetzt Isabel durch einen Stern. Doch da der Stern metaphysischer Machart ist, kann ihn die Königin nicht sehen. Sie fragt Isabel sehr irdisch: »Warum hast du meine Krone des schönsten Kleinods beraubt?« Worauf Isabel ihr erklärt, der aus Indien stammende Stein werde ihr und ihren Nachfolgern doch nur Unglück bringen. Auf die Frage, was denn Isabel mit dem Koh-i-noor nun vorhabe, antwortet diese: »Madame, den werde ich dem mächtigsten Rivalen Eurer Majestät schenken.« Aber es kommt noch besser.
Nach einigen Nadelstichen gegen die müßiggängerische Aristokratie, Avancen gegenüber der Konservativen Partei, der Empfehlung, Tierquälern mit strengen Gesetzen das Handwerk zu legen, nach einer Kritik an Mrs. Grundy, der Inkarnation englischen Spießertums - Isabel läßt sie mit näselnder Stimme Bibelsprüche rezitieren und sich dabei selbstgefällig die Hände reiben —, nach Nasenstübern, die sie an kleine und große Feinde austeilt, kommt Isabel direkt auf Richard zu sprechen. »Madame«, bekennt sie, »das ist nicht ein Mann wie andere Männer... ich bin es nicht wert, ihm auch nur die Schuhe zu binden. 32 Jahre ist er rastlos Minute für Minute für England und für Eure Majestät tätig gewesen... andere stehen oben auf der Leiter des Erfolgs, werden geehrt, ihn aber hat ein widriges Geschick um den Lohn für all seine Verdienste betrogen. Nie ist er aufgerückt. Nie ist er geehrt worden.«
So über die Mißstände im Laufbahnwesen ihres Auswärtigen Amtes ins Bild gesetzt, kann die Königin, die ja eine gute und gnädige Königin ist, nun nicht umhin, Isabel aufzufordern: »Erzähl mir von der Karriere deines Ehemannes.« Und nun wird ausgepackt. Das Denkmal eines Halbgottes wird enthüllt. Sechzig Jahre seiner Zeit voraus. Grundehrlich. So gescheit. Weitschauend. Allseitig begabt. Von echtem Schrot und Korn. Verkannt im eigenen Land. Geehrt, berühmt, gerecht eingeschätzt nur in der Fremde. Und der Wunsch, die Bitte?
Ehre wem Ehre gebührt! Das Amt eines Sonderbotschafters für den Nahen Osten, ein Ehrenrang in der Armee. »Bewilligt, meine Beste, bewilligt.« Aber noch ist der Traum nicht aus. Von der Königin Victoria reist Isabel mit ihrem Schutzengel weiter nach Rom, zum Heiligen Stuhl. Der Papst braucht nicht erst ins Bild gesetzt zu werden, was Richards Verdienste angeht. Er weiß Bescheid und spendet sofort für den Abwesenden seinen Segen, nennt Richard »einen, den Gott erwählt hat!« Auch für Isabel hat der Heilige Vater einen Trost bereit: »Meine Tochter, warum grämst du dich, daß dein Mann übergangen wird, wenn irdische Ehren vergeben werden. So ist es Gottes Wille. Er hat noch Großes mit ihm vor.« Wo, wird nicht gesagt, aber da der Papst Isabel ja nahelegt, über mangelnden Ruhm in dieser Welt sich einfach hinwegzusetzen, kann plausiblerweise nur das Jenseits gemeint sein. Der Kitsch dieses Traums, dieses selbstgeschaffenen Märchens ist fast unerträglich, und doch zeigt sich auch hier die Energie und Courage Isabels, mit der sie sich für Richard einsetzt. Und auch ihre Selbstaufgabe. Eigene Wünsche hat sie nicht mehr, nicht einmal im Traum. Fixiert auf ihren Richard, ist es ihr einziger Wunsch, ihm jene Anerkennung zu verschaffen, die ihm ihrer Meinung nach zusteht, ihn vor Gott und der Welt auserwählt zu wissen.

Bei Juden und Christen spricht sich herum, daß Richard Burtons Sympathien den Arabern gelten. Aber auch den Türken wird er suspekt. Schuld daran sind seine Integrität und eine fatale Schwäche dafür, sich in Angelegenheiten der lokalen Verwaltung einzumischen. Vor allem nimmt es ihm der höchste türkische Verwaltungsbeamte, Generalgouverneur Wali Rashid Oascha übel, daß er sich gegen jegliche Art von Bestechung als immun erweist.
Ein anderer kritischer Punkt ist sein Vorgehen gegen jüdische Bankiers, die von syrischen Arabern mehr als 60 Prozent Zinsen verlangen und die versuchen, ihn, als den englischen Konsul, dazu einzuspannen, Forderungen für sie eintreiben zu lassen. Burton weigert sich, schreibt einen Beschwerdebrief nach London und verlangt, das Auswärtige Amt solle seine Haltung unterstützen. Aber der Einfluß syrischer Bankiers und ihre Kontakte zu den großen jüdischen Bankhäusern in Europa erweisen sich als stärker.
Burton läßt zwei jüdische Jugendliche einsperren, weil sie Kreuze auf die Stadtmauer gemalt haben. Er rechtfertigt diese Entscheidung damit, daß solche Kritzeleien oft zum Ausbruch einer Christenverfolgung geführt haben. Er legt sich aber auch mit den Drusen an und verhängt, weil zwei englische Missionare, die durch drusisches Territorium gereist sind, angegriffen werden, eine Strafe, die der Generalkonsul in Beirut eintreiben soll. Daß sich Richard Burton aus Gerechtigkeitssinn zu wenig diplomatischen Entscheidungen verleiten läßt, ohne Ansehen, welche nationale oder konfessionelle Gruppe davon betroffen ist, ergibt immer neue Konflikte. Kaum hat er die Mohammedaner gegen sich aufgebracht, weil er sich für christliche Missionare einsetzte, da meinen eben diese Missionare, Grund zu Klagen über ihn zu haben: Er verwarnt einen Pfarrer Mott und dessen Frau Augusta, die als Inspektorin aller britischen Schulen in Syrien tätig ist. Er fordert sie auf, bei ihrer Missionstätigkeit in Zukunft taktvoller zu verfahren und zwingt sie endlich, aus der explosiven Atmosphäre in Damaskus nach Beirut überzusiedeln. »Wollen Sie hier umkommen?« fährt er Mott an, worauf dieser erwidert: »Ich würde mit Freuden das Martyrium erleiden.« Und dann der Zwischenfall bei Nazareth.
Die Burtons kampieren nicht weit von der griechisch-orthodoxen Kirche entfernt. Bei Einbruch der Dunkelheit überraschen ihre Diener einen Kopten, der offensichtlich danach Ausschau hält, ob er nicht aus Isabels Zelt etwas mitgehen lassen könne. Der Dragoman befiehlt dem Kopten, sich zum Teufel zu scheren. Der Mann gibt Widerrede und beginnt mit Steinen zu werfen. Der Dragoman schickt sich an, ihn zu verprügeln. In diesem Moment kommt eine Gruppe von Griechen aus der Kirche. Sie ergreifen die Partei des Kopten. Richard Burton und ein anderer Weißer werden auf den Tumult aufmerksam. Sie kommen angelaufen und versuchen, die Griechen zu beruhigen. Aber die heben Steine auf, und ein reicher Grieche ruft: »Schlagt sie alle tot. Ich zahle das Blutgeld gern.«
Einer von Burtons Reitknechten antwortet: »Schande über euch! Dies ist der britische Konsul von Damaskus.« Darauf wieder der Grieche: »Um so besser.«
Isabel kommt aus dem Zelt und sieht Burton ruhig dastehen. Er läßt sich nicht provozieren, obwohl er mehrfach von Steinen getroffen wird. Sie rennt ins Zelt zurück und kommt mit mehreren geladenen Revolvern wieder. »Ich blieb nahe bei ihm, um ihn fortzutragen, falls er verwundet werden sollte«, heißt es mit der ihr eigenen Naivität im Tagebuch. Und weiter: »Ich steckte die Revolver in meinen Gürtel und war entschlossen, zwölf Leben zu nehmen, falls er getötet werden sollte.«
Die Lage spitzt sich weiter zu. Immer mehr Griechen laufen zusammen, Burton zieht seinen Revolver und gibt einen Warnschuß in die Luft ab. Isabel rennt zu einem nahegelegenen Lagerplatz anderer Europäer, um Unterstützung zu holen. Als die Griechen bemerken, daß Verstärkung im Anmarsch ist, fliehen sie.
Isabel führt als Ursache für die feindselige Haltung der Griechen an, der griechisch-orthodoxe Bischof von Nazareth, der den Juden einen Friedhof und eine Synagoge fortgenommen hat, habe einen Groll gegen ihren Ehemann gehabt, weil er gegen diese Behandlung der Juden protestierte.
Das mag stimmen. Aber nicht ihrer Version glaubt man, sondern der des Bischofs, dessen Protest bei der britischen Regierung vor Richard Burtons Bericht beim Auswärtigen Amt eingeht. Schließlich jenes Ereignis, das das Faß zum Überlaufen bringt: Die Shazlis sind eine islamische Sekte. Ihre mystischen Erfahrungen und Rituale haben Richard angelockt. Er hat an ihren Versammlungen verkleidet teilgenommen. Dies wiederum ist den Spionen des türkischen Generalgouverneurs Wali Pascha nicht verborgen geblieben. Sie vermuten politische Agitation. Wollen die Briten, indem sie Unruheherde schaffen, etwa Syrien an sich bringen?
Während einer der Zusammenkünfte hat ein Mitglied der Sekte eine Vision. Er behauptet, einen Mann zu sehen, der ihn und seine Glaubensbrüder auf den wahren Pfad der Erleuchtung und in den Himmel führen wird. Der in der Vision sich Ankündigende wird bald darauf als der Mönch Emanuel Forner, der in einem nahegelegenen Kloster wohnt, identifiziert. Forner ist der Beichtvater Isabels.
Isabel glaubt an Wunder. Sie überhäuft die Shazlis mit Kruzifixen und Rosenkränzen und erklärt, sie wolle Taufpatin der 2000 Sektenmitglieder werden, die im Begriff stehen, zum Christentum überzutreten. Burton, den mystische Vorgänge von jeher als Beobachtungsgegenstand interessiert haben, verbringt viel Zeit bei der Sekte. Die Moslems fürchten, das Verhalten der Shazlis könne Schule machen. Wali Pascha wiederum befürchtet politische Konsequenzen. Er läßt kurzerhand eine ganze Anzahl Anhänger der Sekte einsperren und konfisziert ihren Besitz. Jetzt wird wieder Burtons ausgeprägter Gerechtigkeitssinn wach. Immer während seiner Amtszeit in Damaskus hat er sich für verfolgte und bedrängte Außenseiter oder Minderheiten eingesetzt.
Die Boten des Pascha, die ihn mit Bestechungsgeldern veranlassen wollen, sich den Standpunkt ihres Herrn zu eigen zu machen, setzt er vor die Tür und stellt sich mit der Autorität als Konsul Ihrer Majestät vor die verfolgten Sektenmitglieder. Seine Handlungsweise verdient Achtung, aber als Vertreter der britischen Interessen war sein Vorgehen, gelinde gesagt, ungeschickt. Diesmal fackelt das Foreign Office in London nicht lange. Es forderte den britischen Gesandten in Konstantinopel, Sir Henry Elliot auf, der türkischen Regierung mitzuteilen, daß man den englischen Konsul in Damaskus abberufen werde. Zum neuen Konsul wird der bisherige Vizekonsul in Beirut, Thomas Jago, ernannt, der sich sofort zu seinem neuen Amtssitze auf den Weg macht. Am 16. August - die Burtons verbringen einen kurzen Urlaub in dem Gebirgsort Bludan - trifft in ihrem Haus im Antilibanon ein Bote von Jago ein. Jago läßt ausrichten, daß er vor 48 Stunden auf Weisung des Generalkonsuls in Beirut die Amtsgeschäfte in Damaskus aufgenommen habe. Burton jagt wütend hinunter in die Stadt. Am anderen Morgen erhält Isabel von ihm folgende Nachricht: »Reg Dich nicht auf. Bin abberufen. Zahle, packe und komme nach, ohne Dich zu eilen!« Es ist keineswegs so, daß alle Araber über Richards Entlassung Schadenfreude empfinden. Viele einflußreiche Freunde kommen zu Isabel und bieten ihr an, gegen Burtons Feinde loszuschlagen. Auch ein Jude erscheint und erklärt, er sei bereit, jeden beseitigen zu lassen, dessen Namen sie ihm als Drahtzieher nennt. In ihrem Tagebuch wird deutlich, daß sie es eigentlich bedauert, als gute Christin auf solche Vorschläge nicht eingehen zu können. Richard bricht nach Beirut auf. Vierundzwanzig Stunden nach seiner Abreise von Damaskus hat Isabel eine ihrer Visionen: »Jemand faßte mich am Arm. >Warum liegst du hier? Dein Mann braucht dich. Steh auf und geh zu ihm.<«
Sie rennt in den Stall, sattelt ein Pferd und reitet in die Nacht. Nach fünfstündigem Ritt durch schwieriges Gelände erreicht sie die Poststation von Shtota. Sie läßt das völlig erschöpfte Pferd zurück, und es gelingt ihr noch, auf die Beiruter Kutsche aufzuspringen, die gerade im Begriff steht, abzufahren. Sie trifft Richard in Beirut noch an. Erscheint überrascht, erfreut. Aber er sagt nur: »Danke, daß du gekommen bist... bon sang ne peut mentir.« Es bleiben ihr vierundzwanzig Stunden, sich mit ihm zu beraten, ihn zu trösten. Vierundzwanzig Stunden, deren Bitternis auch durch die Gastfreundschaft des französischen Konsuls nicht wettgemacht wird.
Isabel begleitet ihren Mann auf das Schiff, kehrt aber dann wieder an Land zurück, um die Auflösung des Haushalts zu überwachen. Als sie wieder in Bludan ankommt, gleicht die Gegend in und um ihr Haus einem Nomaden-Lager. Aus allen Teilen Syriens sind Araber herbeigekommen, um bei der Frau jenes Mannes, den sie geliebt und verehrt haben, eine Art Ehrenwache zu halten. Es fehlt nicht an schriftlichen Vertrauensbeweisen für Burton. So schreibt der Scheich Mejuel El Mezrab, das Oberhaut der Großen Moschee von Damaskus:

  • Die Liebe dieses Eures Dieners ist zu groß, als daß ich sie mit der Feder auszudrücken vermöchte... Wir beten alle für Eure Rückkehr in dieses Land, verfluchen jenen Mann, der die Schuld an Eurer Entlassung trägt und wünschen seinen Untergang. Allah ist gnädig.

Kein Wunder, daß solche Sympathiebeweise beim britischen Generalkonsulat in Beirut mit sehr gemischten Gefühlen aufgenommen werden. So beliebt und wohlinformiert wie Burton ist der Generalkonsul nie gewesen.

Während Richard nach England zurückkehrt und stoisch erklärt, wenn das Auswärtige Amt mit ihm fertig sei - er sei längst schon mit dem Auswärtigen Amt fertig, erledigt Isabel die Auflösung des Hausstandes. Am 13. September verläßt sie Damaskus für immer. »Wie werde ich mir den Osten aus meinem Herz reißen können?« heißt es in ihrem Tagebuch.
In England ziehen die Burtons in ein billiges Hotel in London. Isabel ist es, die sich anschickt, sich gegen das Unrecht, das man Richard in ihren Augen angetan hat, zur Wehr zu setzen. Sie geht aufs Foreign Office. Sie mobilisiert die Presse, stellt den Außenminister zur Rede und erzwingt von ihm eine öffentliche Erklärung, in der überhaupt erst einmal die Gründe für Richards Abberufung genannt werden.
Das nächste Gefecht, in das Isabel sich unverdrossen stürzt, trägt sie mit Richard aus. Sie muß ihn aus seiner Passivität aufrütteln. Da sie es schwierig findet, mit ihm zu reden, schreibt sie ihm einen langen Brief, den sie taktvoll zwischen die Seiten eines Buches schmuggelt, von dem sie weiß, daß er gerade darin liest. Sie spürt, daß es in der Londoner Gesellschaft nicht wenig Leute gibt, die der Meinung sind, die Regierung habe sich im >Fall Burton< schäbig verhalten. Diese Leute muß man mobilisieren, sie ermutigen, ihre Meinung laut und deutlich kund zu tun. Die finanzielle Lage, in der Isabel und Burton sich befinden, ist düster. Auf einer Fahrt nach Gaworod, dem Besitz von Isabels Onkel, fallen ihr die letzten fünfzehn Gold-Sovereigns, die sie besitzt, herunter und rollen durch eine Spalte in eine Verschalung unter dem Fußboden des Eisenbahnwaggons, aus der man sie nicht mehr herausholen kann. Isabel, die auf dem Boden gesucht hat, bekommt einen Weinkrampf. Richard kniet sich neben sie, tröstet sie mit einer für ihn ganz ungewöhnlichen Zärtlichkeit. Richard Burton hat die Genugtuung zu erleben, wie sein Erzfeind, der Wali Rashid Pascha, bei der Hohen Pforte in Ungnade fällt und abberufen wird, wie in Syrien Reformen durchgeführt werden, die er gefordert hatte. Aber daran erinnert sich weder das Foreign Office noch die britische Botschaft in Konstantinopel. Burton kann froh sein, damit etwas Geld verdienen zu können, daß ihm ein privates Unternehmen den Auftrag erteilt, nach Island zu reisen, um an Ort und Stelle zu untersuchen, ob sich die Ausbeutung der dortigen Schwefelvorkommen lohnen würde. Isabel bleibt in London zurück und setzt die Belagerung des Foreign Office weiter fort. Dann endlich bietet der englische Außenminister, Lord Grangeville, Burton einen Konsulatsposten in Triest an. Nun hat sie wieder alle Mühe, Richard davon abzuhalten, den Posten abzulehnen.
Triest ist ein kleines Handelskonsulat, ohne politische Bedeutung, mehr oder minder ein Ehrenposten, dotiert mit 700 Pfund gegenüber den 1000, die Richard in Damaskus bezogen hat. Und hinter diesem Angebot steht die Haltung, in Triest werde >ruffian Dick< unmöglich Schaden anrichten können. Richard Burton nimmt an.
Isabel hat Triest sogleich gefallen, Richard haßt diesen Ort. Er hat nie aufgehört, ihn zu hassen. Im Dezember 1883 schreibt er in sein Tagebuch: »Jetzt sind es auf den Tag elf Jahre her, daß wir hier leben. Welch eine Schande!«
Triest, so sagt Isabel, Triest - das ist eine Stadt in drei Städten. Es gibt drei Nationalitäten: Italiener, Österreicher und Slawen. Es gibt drei Stadtviertel: Das alte Triest, die Neustadt und den Hafen. Wenn die Stadt in der internationalen Politik kaum eine Rolle spielte, so gab es hier um so mehr Gesellschaftsintrigen. Die Slawen schlössen sich gegen alle anderen ab. Die Italiener belächelten und verhöhnten hinter deren Rücken ihre österreichischen Herren. Die Snobs drängten in den Glanz des österreichischen Hofes. Der Handel war in den Händen von Juden und Griechen.
Die Burtons beziehen vorerst - immer noch in der Hoffnung, Triest sei nur eine Durchgangsstation für sie - eine Dachwohnung mit sechsundzwanzig Zimmern und einer großartigen Aussicht auf die Adria und das Felsennest Karso. »Wir wohnen im vierten Stock, weil es darüber keinen fünften gibt«, erklärt Burton. Richard beginnt zu schreiben: Übersetzungen arabischer Literatur, Kommentare. Er arbeitet an mehreren Kartentischen, die Isabel für ihn entworfen hat. Auf ihnen liegen Unterlagen, Hilfsmittel und die verschiedenen Lexika, die er für seine Übersetzungen zu Rate zieht. Seine Arbeitsweise gleicht der eines Simultanschachspielers. Isabel arbeitet im Nebenzimmer. Sie trägt dabei einen Morgenmantel aus Kamelwolle, hat eine arabische Rauchermütze auf.
Es gibt in den Zimmern orientalische Diwans und persische Gebetsteppiche, eingelegte Kaffeetische, aus Wüstenzelten hierhergebracht, Kruzifixe und Reliquien, sowie Hunderte von Fotos.
Der Tagesplan ist streng. Burton steht um vier Uhr auf und nimmt zum Frühstück nur Tee und Früchte. Die Vormittage sind den Übersetzungen gewidmet. Nach dem Lunch geht er eine Stunde spazieren oder schwimmen. Darauf erledigt er seine Konsulatsarbeit. Am Abend lädt man ein oder ist eingeladen. Isabel und Richard nehmen Fechtstunden bei dem berühmten Fechtmeister Reich. Im Laufe der Zeit hat Isabel recht gut Fechten gelernt. Von einer ihrer Stunden bei Reich berichtet sie:

  • Er sagte mir, ich solle ganz still stehen, er werde jetzt eine molinet gegen mich ausführen. Man konnte den Degen durch die Luft flitzen hören, und er berührte dabei mein Gesicht wie eine vorbeisummende Fliege. Reich pflegte zu sagen, er mache das bei keinem seiner männlichen Schüler. Sie würden zusammenzucken, und dann würde er ihnen unweigerlich das Gesicht zerschneiden. Aber bei mir wußte er, ich hielt still. Das gefiel mir.

Isabel nimmt Stunden in Italienisch und Deutsch, betätigt sich in der Sozialarbeit. Einmal in der Woche steht die Wohnung der Burtons allen Rassen und Nationalitäten offen. Isabel braucht Geselligkeit. Zu ihrem engeren Bekanntenkreis zählt sie allein fünfzig bis sechzig Menschen.
Richard fällt schon diese kleinere Clique auf die Nerven. Bei einem Tee, als sich die vornehme Gesellschaft von Triest in der Wohnung der Burtons versammelt hat, kommt Richard aus seinem Zimmer. Lässig legt er ein Manuskript, an dem er offenbar bis gerade eben gearbeitet hat, zwischen den Blumenkübeln ab. Natürlich wollen die Damen und Herren sehen, was er da gerade wieder schreibt. Hat er etwas dagegen, wenn sie einmal einen Blick hineinwerfen?
»Aber nicht im geringsten, Madame, wenn Sie so etwas interessiert? Bitte...!«
»Oh, ich schwärme für Literatur.« Die korpulente Österreicherin nimmt das Manuskript in die Hand, schlägt es auf und läßt es sofort wieder fallen. Auf der Titelseite stand Eine Geschichte des Furzens.
Wenn man auch Burton keinen wichtigen Konsulatsposten mehr überträgt, seinen Rat als Kenner der orientalischen Mentalität sucht das Auswärtige Amt hin und wieder. Da ist die Frage, welche Politik man in Ägypten einschlagen soll. Bei einem Besuch in Hatfield House stellt der britische Außenminister Lord Salisbury Richard Burton diese Frage. Burton geht, um sich über seine Antwort schlüssig zu werden, auf sein Zimmer, kommt aber fast augenblicklich wieder zurück, in der Hand einen Zettel.
»Sie haben sich aber rasch entschieden«, sagt Lord Salisbury erstaunt und faltet den Zettel auf. Da steht nur ein Wort. Es lautet: Annektieren.
Was die englische Außenpolitik im allgemeinen angeht, so ist Burton der Ansicht: »Wenn wir nur wie Menschen verfahren würden, nicht immer wie Philanthropen oder Samariter.« Die Chinesen sind in seinen Augen das Volk der Zukunft, und er prophezeit eine Auseinandersetzung zwischen Rußland und China um die Vorherrschaft in Asien.
1875 bereisen Isabel und Richard noch einmal den Orient -allerdings nun als Touristen. Sie sind beide noch einmal in Boulogne gewesen, an dem Ort, an dem sie sich zum erstenmal getroffen haben. Auch in Paris halten sich die Burtons auf, und Isabel schreibt:

  • Ich fand Paris schrecklich verändert seit dem Deutsch-Französischen Krieg. Die Zeichen der schrecklichen Belagerung waren seinem Gesicht immer noch eingebrannt. Die radikalen Veränderungen der letzten fünf Jahre, der Krieg und die Commune hatten eine neue Welt aus Paris gemacht. Der leichtlebige freundliche Charakter der Franzosen lebte vielleicht unter der Oberfläche weiter, aber darüber lagen (jedenfalls war dies mein Eindruck) mürrische Stimmung, Schweigen, Gier nach Geld und nach Rache... Die Frauen schienen ihre hübschen Kleider aufgegeben zu haben, wenngleich ich einige freilich schon zu sehen bekam. Aber tatsächlich war alles nun anders als in der Pracht des Zweiten Kaiserreichs, dieses Reiches, das dahingesunken war wie ein Traum in der Nacht. Die Frauen schienen gleichgültig geworden zu sein, etwas Ungewöhnliches für Pariserinnen, sie schminkten sich sogar schlecht, und es ist eine Sünde, sich zu schminken... ich meine schlecht. Es tut mir leid, aber ich bin wohl eine der wenigen Frauen, die Paris nicht mögen. Ich habe es nie gemocht, selbst nicht in den Tagen seines Glanzes, und jetzt gefiel es mir weniger denn je. Ich war so froh, als wir Ende der Woche abfuhren und aus dem rohen weißen Nebel sonnenwärts fuhren...

Über Port Said reisen sie nach Jeddah, dem Hafen von Mekka. Als sich die gelbliche Silhouette der arabischen Stadt aus der glasigen Luft erhebt, stehen sie an der Reling und genießen jeden Augenblick, in dem sie Wüstenluft atmen, geradezu süchtig. Isabel liest Moores Verschleierter Prophet von Khorassan und Das Licht des Harim. Sie erinnert sich an die Legende von Abu Zulajman, dem Schutzpatron dieser Gewässer, der, wie es heißt, in einer Höhle in den Uferfelsen sitzt und sich von Kaffee ernährt, den die Engel brauen und den grüne Vögel von Mekka herbeitransportieren.
Sowohl die türkischen Behörden wie auch die fanatischen Jeddähwis behandeln Burton wie einen Moslem, aber an eine Reise nach Mekka zusammen mit Isabel ist nicht zu denken. Isabel tröstet sich damit, einmal durch das Mekkator zu reiten und über den Wüstenstrich in Richtung auf die heilige Stadt hin zu schauen.
Sie geht in die Bazars mit Richard, wo Gewürze, Parfüms, Schildpatt, Perlen und Sklaven gehandelt werden. »Wir fühlten uns glücklich in dieser Atmosphäre, und die arabischen Laute schienen uns wohlklingend und vertraut«, heißt es in ihrem Tagebuch.
Sie holt ein Kapitel aus Burtons Leben nach, das sie immer mit einem gewissen Neid betrachtet hat. Burton aber fühlt sich, als begegne er seinem eigenen Gespenst. Als er vor zwanzig Jahren hier gereist ist, war da Aktion, Abenteuer, Risiko. Damals - das grüne Banner des Propheten, heute - Isabels Sonnenschirm. Über ihre Reise an Bord eines Pilgerschiffes nach Bombay berichtet Isabel:

  • Ich kann kaum ausdrücken, was ich während dieser vierzehn Tage gelitten habe... Man stelle sich 800 Moslems vor, in der Hautfarbe jeder Schattierung zwischen zitronengelb und milchkaffeebraun. Leute aus allen Teilen der Welt, die jeden Zentimeter des Decks besetzt halten. Männer, Frauen, Babies - alle stinkend von Kokosnußöl.
    Es war eine Schreckensreise. Ich werde nie ihre ungewaschenen Körper, ihren Zustand durch die Seekrankheit und ihre Wunden vergessen, die Toten und Sterbenden in ihren Lumpen, ihre Mahlzeiten. Außer um zu kochen, Wasser zu holen oder zu beten, bewegte sich keiner von ihnen vom Fleck oder gab die Haltung auf, die er zu Beginn der Reise eingenommen hatte. Jene, die starben, kamen nicht durch Krankheit um, sondern durch Erschöpfung, Hunger oder Durst. Sie krepierten elend. Mir schmeckt schon mein Mittagessen nicht, wenn mich ein Hund gierig anschaut. Deswegen verbrachte ich den ganzen Tag damit, auf dem schwankenden Schiff umherzugehen und Eiswasser, Nahrungsmittel und Medikamente auszuteilen.

Die Zofe Isabels, die die Reise mitmacht, weigert sich glattweg, ihr bei der Pflege der Kranken zu helfen: »Ich habe die Nase einer Prinzessin. So etwas kann ich nicht machen.« Dann kommt ein Sturm auf. Pilger werden über Bord gerissen. Was tut's. Es ist Allahs Wille. In Aden kommen zwei Russen an Bord, die ständig betrunken sind. Isabel wird beschuldigt, Pilger, die gestorben sind, vergiftet zu haben. Aber:

  • Es gab immer noch eine Menge Leidender, die täglich zu mir kamen und verlangten, ich solle sie waschen, säubern, salben und ihre Füße einbinden, die von Schwären und Würmern bedeckt waren.

Indien. Richard scheint aufzuleben. Isabel und Richard besuchen ein mohammedanisches Wunderspiel.

  • Weil Richard es früher einmal gesehen hatte und keiner der anderen Europäer es sehen wollte... Die religiösen Emotionen waren so intensiv dargestellt, daß, obwohl ich kein Wort verstand, zusammen mit allen anderen weinte.

Sie besuchen den Perser Mirza, der 1848 Burtons Lehrer gewesen ist. Sie nehmen an einer Dinnerparty und an einem Ball im Regierungsgebäude teil, aber bei Sonnenuntergang kommt wieder das traurige Geräusch der Trommel, der Kesselpauken, Zimbeln und Flöten auf.

  • Ich brauchte nur meine Augen zu schließen, und ich war wieder in einem Wüstenlager, unter Arabern, die einen wilden Schwerttanz aufführten.

Isabel mag die Araber lieber als die Hindus. Von Indien reisen sie weiter nach Goa. Isabel verlockt die Erinnerung an die Jesuiten, die an der Gründung dieser portugiesischen Kolonie entscheidenden Anteil hatten. Sie hofft, vielleicht werde die Atmosphäre dazu beitragen, daß sich Richard zum Katholizismus bekehrt. Was sie tun kann, tut sie: »Bete, bete. Laß nicht nach zu beten.« Aber ihre Gebete werden nicht erhört.
Der siebzig Meilen lange Küstenstrich von Portugiesisch-Indien entsetzt Isabel in seiner Einsamkeit, seiner Armut, seiner ungesund wirkenden Vegetation und durch die sengende Hitze. Der Dschungel frißt die Barockbauten auf. Sie erinnert das sogleich wieder an eine arabische Stadt,

  • mit unüberwindbaren Toren, noch ohne Stimmen oder Einwohner, die Eule ruft, Nachtvögel schwirren und Raben krächzen in den großen Tordurchfahrten.

Es gibt Picknicks und frische Kokosnüsse, Affen und die Musik der Eingeborenen, die ihr gefällt. Sie ähnelt den portugiesischen fados, die sie aus Brasilien her kennt. Nur mit dem Elend der Tiere kann sie sich nie abfinden. Richard muß immer wieder Eingeborene beschwichtigen, die sie wegen ihrer Brutalität gegenüber Tieren anspricht oder gar angreift. Auf dem Heimweg kommt es zu einem Vorfall, der einmal mehr das  unterschiedliche  Temperament  von Isabel  und   Richard deutlich werden läßt.
Ein kleines Boot hat sie über acht Meilen zur Einmündung des Flusses in die Bucht geschafft, wo der Dampfer nach Bombay vorbeikommt.

  • Endlich erreichten wir die Einfahrt zur Bucht, wo das Fort liegt. Wir blieben auf offener See, durchgeschüttelt von großen Wellen. Ein Regensturm mit Gewitter kam auf, also ruderten wir zum Fort und krochen unter den Bögen unter. Wir legten uns schlafen und ließen einen wälä* (*Ruderer) zurück, um nach dem Dampfer Ausschau zu halten. Um 1.30 Uhr erwachte ich vom Geräusch eines Gewehrschusses, das über das Wasser drang. Ich sprang auf und weckte die anderen, aber wir konnten keine Lichter eines Dampfers ausmachen, also legten wir uns wieder schlafen. Ein Offizier kam aus dem Fort, und ich bildete mir ein, er habe zu einem anderen Mann gesagt, das Schiff sei nun da. Sofort wurde ich zappelig, formte die Handflächen zu einem Trichter und rief den Sekretär an. Er antwortete, ja, das Schiff sei da. Es sei jetzt eine Dreiviertelstunde von uns entfernt und wir hätten aufbrechen sollen, als der Schuß fiel. Die Leute werden so faul und gleichgültig durch das Klima. Er hatte sich nicht die Mühe genommen, uns zu verständigen, obwohl er doch ausdrücklich deswegen zurückgeblieben war. Wenn wir nicht die Post und den Agenten bei uns gehabt hätten, wäre das Schiff wahrscheinlich ohne uns abgefahren. So rüttelte ich alle munter, und bald ruderten wir auf hoher See. Nach und nach konnte ich die Lichter des Dampfersausmachen. Es sah so aus, als sei er etwa drei Meilen entfernt. Da ich die Unabhängigkeit dieser Kapitäne und die Nutzlosigkeit von Klagen in solchen Fällen kenne, zitterte ich, daß der Dampfer noch weiter auf See hinausfahren könne, und war entschlossen, alles, was in meinen Kräften stand, zu tun, um das zu verhindern.
    Richard schlief oder gab vor zu schlafen, und so war es auch bei einigen der anderen. Aber ich griff mir den Schiffshaken, drohte ihnen damit und versetzte auch diesem und jenem einen Stich damit. Ich stachelte den Bootsführer an, indem ich ihm bakshish versprach. Jeder außer mir zeigte orientalische Gelassenheit und überließ den Ausgang dem Kismet. Es hatte gar keinen Zweck, zu Richard etwas zu sagen, also wandte ich mich an den Sekretär, der noch am freundlichsten gewesen war.
    »Rufen Sie doch mal >Post<!«, brüllte ich ihn an, als wir näher kamen. »Man kann noch so laut rufen, wenn sie nicht hören wollen.« Schließlich, nach einer Stunde voller Ängste, erreichten wir das Schiff, aber die See ging so schwer, daß wir nicht an die Strickleiter herankamen. Niemand hatte noch genug Kraft, sich an dem Seil festzuhalten oder den Bootshaken einzuhängen, um unser kleines Boot nahe an der Schiffswand zu halten. Schließlich tat ich es selbst. Richard lachte die ganze Zeit über ihre Trägheit und meine Betriebsamkeit und energisches Auftreten. Aber es war absolut notwendig.

In Suez gehen sie noch einmal an Land und machen einen Ausflug in die Wüste:

  • Es war ein goldener Abend. Die Gebirge und die Dünen flössen zusammen im Sonnenuntergang. Der romantischste Platz war eine kleine Quelle unter einer isoliert dastehenden Palme. Ganz allein stand der Baum auf einem Sandhügel in der Wüste. Ich sagte zu Richard: »Dieser Baum und diese Quelle sind für einander geschaffen worden wie du und ich.

Es gibt Zeichen dafür, daß sie von nun an kapituliert, sich abgefunden haben mit Triest. Sie vertauschen die Wohnung im vierten Stock mit einem Palazzo, umgeben von hohen Bäumen, hoch in den Hügeln.
Ein Angebot General Gordons an Richard, als Generalgouverneur von Darfur nach Afrika zu kommen, beantwortet Burton mit dem Satz: »Ich könnte nicht unter Ihnen dienen. Sie nicht unter mir.«
Es gibt neue Niederlagen einzustecken. Beispielsweise hat sich 1877 durch die Reise Stanleys rund um den Viktoria See endgültig herausgestellt, daß Burtons Theorie über die Nilquellen falsch, hingegen Speke zumindest auf der richtigen Spur gewesen ist.
1882/83 reist Richard Burton allein auf die Sinai-Halbinsel. Ein Gelehrter und Freund, Professor Palmer, der zu Verhandlungen mit eigensinnigen arabischen Häuptlingen gefahren ist, scheint verschwunden. Richard soll ihn aufspüren. Isabel ist allein in Triest:

  • Wie Sie sich denken können, bin ich furchtbar traurig. Ich bin nirgends gewesen. Ich habe keine Besuche gemacht, noch welche empfangen. Männer trinken, wenn sie traurig sind, Frauen fliehen in Gesellschaft, aber ich muß die Schlacht in meinem Herzen austragen. Ich muß lernen, allein zu leben und zu arbeiten, und wenn ich das geschafft habe, werde ich mir erlauben, einige meiner Freunde wieder zu besuchen.

Als er zurückkommt, ist Richard des Trostes und der Fürsorge bedürftig. Wieder einmal ist er verbittert. Er hat Palmer gefunden, tot, ermordet. Aber dann hat das Auswärtige Amt es für besser erachtet, ihn durch einen strengen Zuchtmeister zu ersetzen. Burton durfte wieder gehen.
1886 wird Richard Burton für seine 45 jährigen Verdienste für die Krone geadelt. Das Ehepaar ist -viel unterwegs: an die Riviera, in die Schweiz, nach Florenz, zu den Arsenfressern in Syrien, nach Gibraltar, nach Tanger. Acht Monate ist Richard schwer krank gewesen. Isabel hat ihn gepflegt. Nachts hat sie auf einer Matratze auf dem Fußboden neben seinem Bett geschlafen. Immer wieder haben sie Geldsorgen. Sie sind es jetzt gewohnt, in den vornehmsten Eisenbahnzügen quer durch Europa zu reisen. Isabel ist ausgezeichnet gekleidet. Richard läuft zwar in einer uralten, schäbigen Jacke herum, aber er besitzt hundert Paar Schuhe und eine Unzahl von Mänteln, die er nie trägt. Ihre Menagerie von Haustieren, ein Arzt, der ständig bei ihnen lebt und mit ihnen reist, Richards bibliophile Vorlieben (8000 Bücher hat er in Triest zusammengetragen) - all das verschlingt beträchtliche Summen.
Mit einer ganzen Anzahl kurioser Projekte ist Richard Burton gescheitert. Weder hat sich »Captain Burtons Tonic Water« als eine Goldmine erwiesen, noch hat er 1877, als er für den Vizekönig von Ägypten als Schatzsucher unterwegs war, ausbeutungswürdige Goldvorkommen aufgespürt. Aber nun läßt ihn seine Begeisterung für orientalische Literatur auf eine Goldader besonderer Art stoßen.
Er übersetzt die Geschichten von Tausendundeiner Nacht und gibt sie in einer Privatausgabe, zu der Isabel 34000 Einladungen verschickt, heraus. Der Erfolg ist überwältigend. Statt der von einem Verleger für die erste Auflage angebotenen 500 Pfund erlösen die Burtons 16 000 Pfund.
Burtons Übersetzung ist nicht die erste, die in englischer Sprache erscheint. Die »Edingburgh Review« klassifiziert die verschiedenen Übersetzer ironisch so: Galland - für das Kinderzimmer, Lane - für die Bibliothek, Payne- für die Studierstube, Burton -für die Jauchegrube.
Burton hat sich nicht geziert, die orientalische Sinnlichkeit auszudrücken, zu übersetzen, mehr noch, seine Übersetzung beweist, daß er Freude an dieser Sinnlichkeit empfindet.

  • Ich hatte Wissen über gewisse Themen, das kein anderer Mensch besaß. Warum sollte dieses Wissen mit mir sterben. Fakten sind Fakten, ob sie nun Menschen bekannt sind oder nicht.

Burton kennt den Orient wie kaum ein zweiter Europäer seiner Zeit. Und all sein Wissen und seine Erfahrung gehen in diese Übersetzung und den beigefügten Aufsatz mit ein: von astrologischen Prophezeiungen bis zum Rezept zur Herstellung eines Aphrodisiakums aus Schakalgalle. Er schreckt vor keinem Thema, keinem Ausdruck zurück.

  • Solches ist im Osten die Sprache eines jeden Mannes, einer jeden Frau und Kindes, vom Prinzen bis zum Bauern, von der Matrone bis zur Prostituierten. Alle sind sie, wie ein naiver französischer Reisender von den Japanern sagte, so vulgär, daß sie es gar nicht einmal merken, wenn sie die Dinge beim rechten Namen nennen.

Schon bei der Arbeit an einer gereinigten >Familienausgabe<, die Isabel übernommen hat, kommt es zu Streitigkeiten zwischen den Eheleuten. Was obszön ist, sei eine Frage von Ort und Zeit - so Richard. Isabel hat ganze Passagen von Richards Übersetzung als unmöglich empfunden und an den Rand ein großes Nein! Nein! gekritzelt.Bei anderen Geschichten wie der Vom törichten Ehemann oder Königin Budurs Ausschweifungen merkt sie an: »Erfinde andere Worte!« Wo es bei Richard heißt »Laß uns zusammen schlafen!« ändert sie in »Laß uns zusammen das Leben genießen!« Ist bei Richard ganz offen von einer »Konkubine« die Rede, wird bei ihr daraus eine »Hilfsfrau«. Die von Isabel betreute Ausgabe wird ein >flop<, die zehnbändige Original Übersetzung Burtons, gebunden in Schwarz und Gold, die Farben der Abbasidischen Kalifen, fand begeisterte Zustimmung. Er selbst ist über den Erfolg nicht wenig erstaunt. Mürrisch-ironisch schreibt er darüber:

  • 47 Jahre habe ich mich damit abgeplagt, mich auf jede nur mögliche Art und Weise auszuzeichnen. Ich erntete dabei nie ein Lob, nie ein >Danke schön< oder auch nur einen Pfennig. Jetzt übersetze ich ein altes Buch zweifelhaften Inhalts und streiche 16 000 Pfund ein. Nun, da ich den Geschmack Englands kenne, werden wir wenigstens nie mehr ohne Geld sein.

Isabels Gedanken kreisen mit der Zeit nur noch um das eine Thema: Wenn Richard stirbt, ohne sich zum katholischen Glauben bekehrt zu haben, werden sie im Jenseits für immer von einander getrennt sein. Als Isabel ihm erzählt, einmal, als er ohnmächtig dagelegen habe, sei sie an seinem Lager niedergekniet, habe gebetet und ihn getauft, antwortet er mit einem Lächeln: »Das war völlig überflüssig, meine Liebe. Die Welt wird sich noch wundern, wenn ich sterbe.«
Richards seltsame Lähmungsanfälle, seine Gicht und seine Kreislaufbeschwerden werden immer häufiger. Er ist unzufrieden, mißmutig, mürrisch, oft von verletzendem Sarkasmus. Geld und Ehren sind für ihn zu spät gekommen. Wenn Isabel sich in eine schon fast hysterische Fürsorge hineinsteigert, führt gerade dies bei ihm zu neurotischer Rastlosigkeit. Er will reisen, reisen... Bern, Algier, Tunis, Rom. Kaum sind sie irgendwo angekommen, da sagt er ängstlich zu Isabel: »Glaubst du, daß ich hier noch einmal herauskomme, um etwas anderes zu sehen?«
Dann heißt es reisen, packen, weiter. Der erste Hausarzt, den Isabel eingestellt hat, hält diesen Lebensstil offenbar nicht durch. Er wird durch einen Dr. Baker abgelöst. Das Trio reist königlich. Jeweils in einem Abteil für sich, Isabel zwingt Stationvorsteher und ganze Scharen von Gepäckträgern in den Dienst an Richards Bequemlichkeit. Er ist jetzt ein müder schwarzer Panther hinter Gitterstäben.
Isabel ist sich der Rollenzwänge im Verhältnis zwischen Richard
und ihr durchaus bewußt gewesen:

  • Ich denke mir immer, daß ein Mann im Umgang mit seiner Ehefrau ein Gesicht hat, ein anderes im Umgang mit seiner Verwandtschaft, wieder ein anderes gegenüber ihrer Verwandtschaft, ein viertes setzt er bei seiner Geliebten oder amourette auf... sofern er eine hat.
    Mein Mann, dessen Charakter unverstellt zu Tage trat in der Abgeschiedenheit unseres Privatlebens, wurde ein ganz anderer, wenn auch nur Besuch ins Zimmer trat. In meinen frühen Ehejahren habe ich in dieser Beziehung so manches beobachtet und so manche Überraschung erlebt, an die ich mich in meinem späteren Leben gewöhnte.

Einmal haben sich Isabel und Richard zufällig in Venedig getroffen, als sie getrennt von einander auf Reisen unterwegs waren.
»Hallo, was machst du denn hier?« hat Richard Isabel gefragt. »Dito, Bruder«, hat sie gesagt und ihm vor den Augen verblüffter Zuschauer die Hand geschüttelt.
Fünf Monate trennen im März 1890 Richard noch von seiner Pensionierung. Er arbeitet an der Übersetzung eines berühmt-berüchtigten Manuskriptes, des Gartens der Düfte, der das Herz des Mannes erheitert von Scheich el Nafzwih. Es ist dreihundert Jahre zuvor entstanden und ist ein außerordentlich geistreiches, witziges und poetisches Kompendium über die Liebe. Er betrachtet diese Übersetzung - mehr noch als die von Tausendundeiner Nacht - als sein Lebenswerk. Liest man seine Geschichten aus Tausendundeiner Nacht aufmerksam und kritisch, so stellt man fest, daß er versteckt zwischen den Zeilen der Übersetzung viel von sich selbst preisgibt. Ähnlich mag es bei dieser zweiten Arbeit gewesen sein. Natürlich ist der Garten der Düfte in den Augen eines durchschnittlichen Mitteleuropäers Pornographie. Aber was Richard Burton bewogen haben dürfte, sich in dieses Buch zu verlieben, ist nicht Lüsternheit. Es gibt ein Wort von Gramsci, das lautet: »Möglichkeit ist nicht Wirklichkeit, aber Möglichkeit hat ihre eigene Wirklichkeit. Möglichkeit bedeutet Freiheit.« In diesem Sinn wird man Burtons intensive Beschäftigung mit diesem Text verstehen müssen. In dieser Möglichkeit war er dem Orient nah, den er als die Sphäre seiner Identität betrachtet hatte, einer Identität, die zu verwirklichen ihm in der Realität versagt geblieben war.
Es ist verständlich, daß Isabel die Arbeit am Garten der Düfte mit kritischem Mißtrauen betrachtet. Der Text muß ihre vom Katholizismus beeinflußte Moral verletzt haben. Zu Burtons Lebzeiten hat sie wahrscheinlich nur Teile der Übersetzung zu sehen bekommen. Aber diese Fragmente reichten aus, um sie aufzubringen. Sie weiß jedoch, daß es keinen Zweck hat, darüber mit Richard zu streiten. Sie haben solche Streitgespräche schon hundertmal geführt. Gerade weil sie ihn sehr liebt, ist sie seinen Zynismen nicht gewachsen.
Sie ist froh, als er zu ihr sagt: »Morgen werde ich mit der Übersetzung fertig. Ich verspreche dir, kein weiteres von diesen Büchern mehr anzufangen, sondern mich an unsere Biografie zu machen...«
Das Manuskript umfaßt über 1200 Seiten. Zu seinem Hausarzt Grenfell Baker hat Burton im März 1890 gesagt:

  • Ich habe da mein ganzes Leben hineingegeben, all mein Herzblut. Es ist meine Hoffnung, daß ich durch dieses Buch fortleben werde in der Erinnerung der Menschen. Es ist die Krone meines Lebens.

Bei einer Reise in die Schweiz, zuerst nach Zürich, dann nach Davos, schließlich auf den Maloja, hat er Henry Morton Stanley getroffen, der mit seiner Frau im selben Hotel seine Flitterwochen verbringt. Stanley merkt, daß Burton ein vom Tod gezeichneter Mann ist und schlägt vor, er solle doch endlich seine Lebenserinnerungen schreiben. Burton erwidert, das sei unmöglich, er habe in der Vergangenheit zu viele Leute gekannt, über die er einfach nicht schreiben könne, das gäbe einen zu großen Skandal. » Üben Sie Nächstenliebe und schreiben Sie einfach nur über ihre guten Eigenschaften«, hat Stanley gesagt. Da ist Richard aufgebraust: »Ich schere mich die Bohne um Nächstenliebe. Wenn ich überhaupt schreibe, muß ich wahrheitsgemäß alles schreiben, was ich weiß.«
Wir wissen von dem Verlauf dieser Unterhaltung durch Dorothy Stanley. Isabel erwähnt dieses Gespräch mit keinem Wort. Als sie am 7. September 1890 in ihre kalte Wohnung in Triest zurückkehren, bekommt Richard einen Gichtanfall. Irgendwann in diesem Monat bittet er Isabel: »Wenn die Schwalben sich zusammentun um das Haus, wenn sie sich an den Fenstern drängen, zu Tausenden, wenn sie sich zum Flug nach Süden vorbereiten, dann ruf mich.«
Dr. Grenfell Baker verwendet viel Zeit darauf, im Garten von ihnen allen Fotos zu machen. Kodacking nennt man das. Am 17. Oktober, einem Freitag, schreibt Richard auf den Rand seines Notizbuches:

Schwalbe, Pilger Schwalbe,
schöner Vogel mit purpurnem Gefieder.
Auf dem Fensterbrett sitzt du
wiederholst jeden Morgen, wenn der Tag dämmert,
jenes klagende Lied so wild und schrill.
Schwalbe, liebenswerte Schwalbe, was willst du mir
sagen
auf dem Fensterbrett bei Tagesanbruch?

Er klagt über Hexenschuß und Leberschmerzen, er spricht davon, sich nach seiner Pensionierung nach England zurückzuziehen, in eine kleine Hütte, vollgestopft mit seinen Schwertern, Teppichen, seiner Sammlung von Pistolen und Sätteln und seinen Tausenden von Büchern.

Sonntag, der 19. Oktober 1890. Isabel ist am Morgen zur Messe und zur Kommunion gewesen. Sie kommt heim, findet ihren Mann schreibend und küßt ihn. Sie schreiben Briefe an Verwandte in England. Zum Tee haben sie Gäste. Burton hat ein Rotkehlchen in einem Wasserbehälter im Garten gefunden und es vor dem Ertrinken gerettet. Er trägt es stundenlang in der Seitentasche seines Jacketts mit sich herum, um es zu wärmen. Abends findet er keine Ruhe, geht in seinem Studierzimmer umher, ordnet alles mit seltsamer Sorgfalt. Isabel und er sprechen darüber, ob sie nach seiner Pensionierung für die Heilsarmee tätig sein soll. Er macht Witze über ihren religiösen Eifer. Unten heult ein Hund. Isabel schickt einen Angestellten nachsehen, was mit dem Tier sei. Burton legt sich zu Bett, verlangt nach etwas Leichtem zu lesen, »etwas, das den Kopf kühlt«. Gewöhnlich liest er fast ausschließlich wissenschaftliche Aufsätze und Klassiker. Jetzt gibt ihm Isabel Robert Buchanas Martyrium der Madeleine.
Gegen Mitternacht wacht er auf. Er klagt über Gichtschmerzen im Fuß. Isabel setzt sich an sein Bett. Der Arzt wird geweckt. Er findet Richards Zustand nicht besorgniserregend und legt sich wieder schlafen. Eine halbe Stunde später geht es Richard sehr schlecht. Er japst nach Luft.
Richard liegt in einem niedrigen Rollbett unter einer großen Karte Afrikas.
Als sich sein Zustand nicht bessert, rennt Isabel in Panik zu Dr. Baker. Beide kommen zu dem Schluß, daß Richards Herz im Begriff ist zu versagen. Sie bringen den Kranken in eine fast sitzende Stellung. Sie versucht, seine breiten Schultern zu umfassen und in ihren Armen zu wiegen. Grenfell Baker stellt ein primitives Elektrodengerät neben dem Bett auf. Er betupft Burtons Brust mit Salzwasser und setzt eine Elektrode in die Herzgegend, die andere an Burtons Schulterknochen. Im Morgengrauen stirbt Richard Burton.

Vers aus seinem Gedicht The Kasidah:

Do what thy manhood bids thee do
From none but seif expect applause;
He noblest lives and noblest dies
Who makes and keeps his self-made laws. *

(*Sinngemäße Übersetzung, ohne Endreim: Tu, was du meinst tun zu müssen, erwarte
von keinem außer dir selbst dafür Beifall. Der lebt am würdigsten, der stirbt am
würdigsten, der die sich selbstgegebenen Gesetze hält.)

Isabel will seinen Tod nicht wahrhaben. Er darf nicht gestorben sein, ohne daß ihm der Priester die letzte Ölung gegeben hat, sonst...
Der Priester aus dem Gebirgsdorf in der Nähe kommt. Er weigert sich, das Sterbesakrament zu spenden. Es ist zu spät, außerdem hat Burton nie kundgetan, daß er sich zum katholischen Glauben bekenne. »Sehr wohl hat er das«, widerspricht Isabel. »Beeilen Sie sich, sonst ist es zu spät, beeilen Sie sich... im stillen ist mein Mann immer Katholik gewesen. Ich muß es doch wissen. Niemand hat ihn besser gekannt als ich. Beeilen Sie sich... der Pulsschlag ist noch zu spüren.« Der Priester blickt zum Arzt hin. Der hebt vielsagend die Achseln. Endlich schickt sich der Priester nach soviel Nötigung doch an, Burton die letzte Ölung zu spenden. Isabel sitzt den ganzen folgenden Tag über an seinem Bett, schaut ihn an, betet, hofft, er werde zu ihr zurückkommen. »Ich meinte, sein Mund und das rechte Auge würden sich bewegen, aber der Doktor sagte mir, es sei nur Einbildung...« Ein arabisches Sprichwort lautet: »Eine Frau ohne Ehemann ist wie ein Vogel ohne Flügel.«
Richard Burton hat selbst eine ergreifende Totenklage für einen Mann seines Schlages geschrieben:

The light of morn has grown to noon,
has paled with eve and now farewell!
Go vanish from my life as dies
the tinkling of the camel's bell.**

(** Sinngemäße Übersetzung, ohne Reim: Das Morgenlicht ist Mittag geworden, ist zum
Abend verblaßt und nun leb wohl! Stiehl dich aus meinem Leben wie das Klingeln der
Kamelglöckchen erstirbt.)

Prozession der Priester, Freunde, der Offiziellen, Neugierigen. Der Leichnam wird einbalsamiert. Der Bischof von Triest gestattet ein pompöses kirchliches Begräbnis, an dem 200000 Menschen teilgenommen haben sollen. Matrosen eines britischen Kriegsschiffs, das im Hafen liegt, geben das Trauergeleit. Drei Messen werden in der Stadt für den Toten gelesen. Ist damit Isabels Wünschen und Phantasmagorien Genüge getan? Man sollte es meinen. Er ist gerettet. Er wird denselben Himmel mit ihr teilen.
Nach dem Begräbnis schließt Isabel Burton sich in das Verandazimmer des Hauses ein. Sie bleibt in diesem Zimmer von zehn Uhr vormittags bis vier Uhr morgens am folgenden Tag. Sie sieht alle Manuskripte, vollendete und unvollendete, durch, das Lebenswerk ihres Mannes. Da ist die über tausend Seiten umfassende zweite Version der Übersetzung des Gartens der Düfte, dessen Inhalt Richard einem Kollegen und Freund, der kein Arabisch konnte, einmal so geschildert hat:

  • Es ist eine wunderbare Schatzgrube orientalischer Weisheit. Es wird darin berichtet, wie Eunuchen gemacht werden, wie sie heiraten und wie sie sich in der Ehe aufführen, weibliche Beschneidung wird geschildert, die Kopulation von Fellachen mit Krokodilen etc. Mrs. Grundy wird aufheulen, bis sie fast birst, und doch jedes Wort mit intensivem Vergnügen lesen.

Dann gibt es noch Stapel grüner Kontorbücher, in denen Richard Burton sein privates Tagebuch geführt hat. Dazu Tonnen von Papieren, die in Zinkkisten der Bombay-Armee verwahrt sind. Isabel befiehlt draußen im Garten ein großes Feuer anzuzünden und wirft in die Flammen: More Notes on Paraguay, Personal Experiences in Syria, Lowlands ofBrazil, South America, North America, Central America, A Book of Istria-more Castellieri, Materials for Four more Books on Camoens, Slavonic Proverbs, Dr. Wetstein's Hauran, Ausonius Epigrams, A Study of the Wali, A Trip up the Congo (1863), Ober Ammergau, Vichy, Lectures and Poetry, The Eunuch Trade in Egypt, The Adelsburg Caves, The Neapolitan Muses, Syrian Proverbs und Four Cantos of Ariosto.

In der Nacht gibt es Sturm, ein scharfer bora kommt auf. Die Flammen des Feuers soll man bis in die Lounge des Hotel de Ville neben den Hafenmauern gesehen haben.
Am nächsten Morgen setzt Isabel das Autodafe fort. Sie verbrennt Richards persönliche Tagebücher aus siebenundzwanzig Jahren - mit Ausnahme eines einzigen. Sie verbrennt das Tag-für-Tag-Notizbuch, das Richard geführt hat, solange sie beide sich kannten.
Sie verbrennt die zweite Fassung des Gartens der Düfte.
Warum? Warum nur?
Ihre eigene Erklärung,  abgegeben in einem Artikel in der Morning Post, lautet:

  • ... mein Kopf sagte mir, daß Sünde der einzige rollende Stein sei, der Moos ansetzt. Was ein Gentleman, ein Gelehrter, ein Mann von Welt zu Lebzeiten geschrieben hat, mag sich völlig anders für ihn darstellen, wenn seine arme Seele nackt vor Gott steht, sich wegen ihrer guten und bösen Taten zu verantworten hat und deren Konsequenzen zum erstenmal bis zum Ende aller Zeiten für sie einsichtig sind. Ach, was gäbe da wohl eine solch arme Seele um einen Freund auf Erden, der gewissen Dingen Einhalt gebieten würde.

Was kümmert die arme Seele sich um die vielleicht 1500 Männer, die im Geist der Wissenschaft das lesen, was er da geschrieben hat, was kümmert sie aller Welt Ruhm, sofern er Gott beleidigt..

Über die Verbrennung des Gartens der Düfte schreibt sie:

  • Ich holte die Manuskripte, legte sie auf den Boden vor mich hin, zwei große Bände. Immer noch dachte ich: Ist es ein Sakrileg? Es war sein magnum opus, sein letztes Werk, auf das er so stolz war, das an jenem schrecklichen Morgen, der für ihn nie anbrach, vollendet werden sollte. Wird er wieder auferstehen und mich verfluchen oder segnen? Der Gedanke wird mich bis an mein Grab verfolgen... Besorgt, ehrfürchtig, unter Furcht und Zittern, verbrannte ich Blatt um Blatt, bis alle Bände die Flammen verzehrt hatten.

Menschliche Handlungen sind nie eindeutig. Also ist auch noch ein anderer Ablauf, eine andere psychische Reaktion bei Isabel denkbar.
Wer sich so krampfhaft, so verzweifelt bemüht hat, eine gute, eine mustergültige Ehefrau zu sein, wird eines Tages von der Liebe in den Haß gelangen. Zu sehr und zu lange hatte Isabel ihrer Rolle beständig gerecht zu werden versucht. Das Autodafe - ein Racheakt!
Nicht nur Rache für das, was ihr dieser eine Mann im Laufe einer Ehe von fünfunddreißig Jahren angetan hatte, Rache an der Männerwelt überhaupt. Herausgefordert durch die poetische Verklärung männlicher Überheblichkeit, männlicher Rücksichtslosigkeit, männlichen Egoismus', wie er ihr nicht nur aus dem Manuskript des Gartens der Düfte, sondern auch aus den anderen Schriften und aus den Tagebüchern entgegengetreten ist. Einmal den Mut haben, so zu sein, wie man wirklich ist. Einmal sich nicht beherrschen, sich keine Gewalt antun müssen. Danach kann man eine Geschichte erfinden, die wieder ganz zur Rolle der guten Ehefrau paßt, der Witwe, die sich verpflichtet sieht, noch über das Grab hinaus über die Ehre ihres Ehemannes zu wachen. Ihn, wo er unvollkommen war, vor sich selbst beschützen, damit auch die Nachwelt an seine Vollkommenheit glaube. Ich muß sagen, die zweite Erklärung, die der Selbstbefreiung, gefällt mir besser.
Isabel Burton ist am 21. März 1896 gestorben. Sie liegt begraben neben ihrem Ehemann unter einem Grabstein, der einem arabischen Zelt nachgebildet ist, in Mortlake, einem Vorort von London. Man erreicht Mortlake mit einem der roten doppelstöckigen Busse, die in der Londoner City am Piccadilly abgehen, nach einer Fahrzeit von einer knappen Stunde.