Berichte von Lehrerinnen, Dozentinnen und Erzieherinnen 2

Ohne die Hoffnung, daß befreiende Lernprozesse weiterwirken, wäre mir die Grundlage meiner Arbeit entzogen."Frauenemanzipation" als Thema eines Deutschkurses

                          

Die Unterrichtseinheit wurde im Sommersemester 1977 in einem gemischten Kurs, 13 Mädchen / 11 Jungen, an einem humanistischen Gymnasium in einem Hamburger Elbvorort [1] durchgeführt. Eine Phase (Verena Stefan, Häutungen [2]) unterrichteten Studentinnen im Rahmen eines Didaktikseminars der Universität unter Leitung von Elke Kerkhoff. Erfahrungen und Mitarbeit mit und in der Neuen Frauenbewegung waren bei mir als Lehrerin und bei einigen innen bereits vorhanden. Außerdem kannte ich eine Reihe von innen und Schüler nicht nur durch vorherige Kurse, in denen Fragen der Frauenemanzipation ebenfalls häufig gestreift wurden, sondern wir hatten auch außerschulischen Kontakt durch eine Tutandengruppe, durch gemeinsame Fahrten wie beispielsweise zur Frauenausstellung in Berlin, durch Besuch des dortigen Frauenzentrums und durch eine vierzehntägige Radtour in Holland. Diese begünstigenden Voraussetzungen sind zu berücksichtigen, damit die folgende Skizzierung des Kurses nicht schönfärberisch oder uneingeschränkt kopierbar erscheint.
Die Entscheidung, vorrangig fiktive Texte zugrundezulegen, beruhte auf der Überlegung, daß zum einen ein kritischer Blick auf die Darstellung von Frauen in literarisch allgemein akzeptierten Texten von Männern reizvoll und aufschlußreich sei, zum anderen literarische Texte eher die Phantasie anregen und Gefühle freisetzen können als non-fiktive Texte. Weiter hoffte ich, daß durch die Textauswahl eine Auseinandersetzung über eventuelle Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Perspektive und Sprache stattfände. Schließlich wollte ich auch den Weg dafür ebnen, daß die Schüler(innen) durch Konfrontation mit literarischen Ausdrucksformen Angebote und Anstöße zu eigenen Gestaltungsversuchen erhielten.
Dennoch begannen wir in einer Einstiegphase mit den unmittelbaren Erwartungen der Schüler(innen) an den Kurs. Ein mehr oder weniger starkes Unbehagen über Rollenerwartungen von Familie, Freundeskreis und Umwelt und eigenen, größtenteils unverwirklichten Ansprüchen kam bei den meisten zutage. Auch Konflikte und Widersprüche zwischen Verhalten und "Ich-Ideal" wurden artikuliert: "Ich möchte mich emanzipiert geben, falle aber oft in die Kleinmädchen- bzw, Macker-Pose zurück!" Um zu verhindern, daß bei diesen ersten Gesprächen die problembewußteren - oder auch nur die Lehrerin-Interessen geschickt erahnenden Schüler(innen) die schweigsameren und gehemmteren dominierten, schlug ich bald einen Wechsel der Arbeitsform vor: Das Plenumsgespräch sollte sich in Kleingruppen mit bestimmten Fragen an die Teilnehmer(innen) auflösen. Von Schülerseite selbst kam der Vorschlag, eine Mädchen-, eine Jungen- und eine gemischte Gruppe zu bilden. Auffällig war, daß die Mädchen- bzw. Jungengruppe sich aus Leuten zusammensetzte, die in irgendeiner Weise schon Kontakt zur Frauen- bzw. Männerbewegung gehabt hatten, während die gemischte Gruppe Leute enthielt, die fast gar keine Erfahrungen in dieser Hinsicht hatten und z.T. sogar aggressiv ihre Vorbehalte gegen reine Mädchen- oder Jungengruppen äußerten: "Was soll so ein Weiberklüngel?" Oder: "Nur ein Austausch von Mädchen- und Jungengedanken und -erfahrungen bringt uns was!" Folgende Fragen sollten alle drei Gruppen im Gespräch berücksichtigen:

  1. Welche geschlechtsspezifischen Eigenschaften und Verhaltensweisen haben mir Familie, Schule und Umwelt bisher vermittelt?
  2. Welche Vorstellungen von einer entwickelten Persönlichkeit habe ich selbst?
  3. Welche Konflikte und Widersprüche ergeben sich unter Umständen aus den ersten beiden Punkten?
  4. Welche Lösungsmöglichkeiten wären denkbar und wünschenswert?

Ohne auf die nach drei Stunden dem Plenum vorgetragenen Berichte näher einzugehen, läßt sich insgesamt als Fazit dieser "brainstorming-Phase" festhalten:
Die reine Mädchen- bzw. Jungengruppe hatte die bewußt pauschal gestellten Fragen als lockeren Rahmen benutzt, um sich persönlich näher kennenzulernen und nahezu vertrauensvoll die Beziehungsebene zu stabilisieren und zu verbessern. Konkrete Ergebnisse wollten beide Gruppen ausdrücklich nicht vortragen, um keinem Gruppenmitglied den Schutz der intimeren Kleingruppe nachträglich zu entziehen. Diesen Wunsch respektierte ich selbstverständlich, freute mich auch über die gelösten Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder untereinander, blieb jedoch skeptisch, ob durch diese vorgeschaltete Phase nicht einem "in-group / out-group"-Verhalten Vorschub geleistet wurde. Das positive Ergebnis, daß sich hier offensichtlich intensive und persönliche Kommunikationsmöglichkeiten im sonst oft entfremdeten und funktionsbestimmten Unterrichtsrahmen für die innen und  angedeutet hatten, überwog aber meine Zweifel an einer eventuellen "Cliquenbildung".
Dagegen waren in der gemischten Gruppe auffällige Frustrations- und Aggressionserscheinungen aufgetreten, denn die Mitglieder berichteten von dominantem Verhalten der männlichen Teilnehmer, von quälendem Hick-Hack-Gerede und sachlich diffusen Ergebnissen, was als Versagen der ganzen Gruppe empfunden wurde. Mit deutlichen Neidgefühlen wurden die anderen Gruppen belegt, und einige innen äußerten direkt, daß ihre Vorbehalte gegen reine Mädchen- bzw. Jungengruppen im Schwinden wären. Obwohl ich bewußt während der Kleingruppengespräche nicht steuernd oder kontrollierend eingriff, darf ich aus meinen nachträglichen Beobachtungen im Plenum wohl dennoch folgenden Schluß ableiten: Die Schüler(innen) erfuhren deutlich, daß es sich leichter in nicht gemischten Gruppen über geschlechtsspezifische Probleme und Rollenkonflikte reden läßt und daß die Abneigung gegen nicht gemischte Gruppen eher aus Unerfahrenheit hinsichtlich der Bedingungen für angst- und herrschaftsfreie Diskussion resultiert.

Margot Schroeder: Eine Frau stellt Frauenprobleme dar

Mit Margot Schroeders Roman "Ich stehe meine Frau"[3] und einer schon vor der Romanbesprechung angekündigten Diskussion mit dieser Hamburger Autorin wollte ich einerseits die inhaltliche und sprachliche Analyse eines modernen Frauenromans durchführen, andererseits auch die widerspruchsvolle Einheit von fiktivem Text und realem Menschen den (inne)n vor Augen stellen. Dadurch sollten zugleich die Aspekte des Romans, der inhaltlich den Mädchen und Jungen z.T. noch ferner liegende Themen wie Hausfrau-, Mutter- und Berufsprobleme enthält, nähergerückt werden. Zur Motivation benutzte ich einen kurzen satirischen Text von Margot Schroeder "Emanschipatzschon".[4] Diese in waschechtem Hamburger Dialekt vorgetragene Bestandsaufnahme über Pseudo-Emanzipations-Gefasel in einer Männerwelt, die Leichtlohngruppen, Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt und so weiter zuläßt, entlarvt die Gleichberechtigung listig als Phrase, sofern die materiellen, juristischen und politischen Unterdrückungsmechanismen weiterbestehen. Die eingängige Form der Rollenprosa bereitete den (inne)n soviel Vergnügen, daß sie kaum Barrieren gegenüber den inhaltlichen Problemen hatten, wie sie sich leicht bei analytischen oder direkt anklagenden feministischen Texten als Angst vor Auseinandersetzung beobachten lassen.
Das Interesse blieb auch wach bei der anschließenden Romanuntersuchung, wenngleich eine den Textintentionen nicht immer adäquate Verschiebung stattfand: Ausgehend von den dargestellten Zwängen und Konflikten als Hausfrau, Ehefrau, Halbtagsbeschäftigte in einem Supermarkt und als Mutter, verlagerte sich die Diskussion auf Schülerpunkte, die im Text selbst zwar enthalten sind, aber eher den späteren Entwicklungsgang der Ich-Person markieren:

  • Konkurrenz unter Frauen und Schwierigkeiten, sich solidarisch zueinander zu verhalten;
  • psychische Widerstände beim Heraustreten aus rollenkonformem und passivem Verhalten angesichts von Ungerechtigkeit und Unterdrückung (Romanbeispiele: Stadtteilinitiative für einen kinderfreundlichen Spielplatz, Arbeit als Vertrauensfrau in der Gewerkschaft, Demonstrationen gegen den § 218);
  • Schwierigkeiten mit den von Männern bestimmten Formen der Sexualität und Versuche, die dabei entstehenden Unlust- und Ekelgefühle sprachlich zu fassen,
  • tastende Bemühungen, frauenspezifische Sexualität kennenzulernen, alternative Beziehungen anzustreben und sprachlich auszudrücken.

Besonders engagiert und heftig wurde die Frage diskutiert, welche sprachlichen Möglichkeiten für sexuelle und erotische Verhaltensweisen geläufig sind und wieweit glücklich empfundene Sexualität angemessene Formen finden könne. Ausgehend von den "Sprachklamotten", die auch die weibliche Hauptfigur bei Margot Schroeder mit sich herumschleppt, richtete sich das Interesse auf dieses nur scheinbar rein ästhetische Gebiet, daß wir nämlich entweder eine gewalttätige "Bumssprache" kennen oder in sterilen klinischen Jargon verfallen. Dieser bei Margot Schroeder nur gestreifte Punkt der Sprachlosigkeit und Sprachohnmacht entfesselte bei einigen innen soviel Phantasie, daß daraus kreative Produkte entstanden, die mehr als die inhaltlich gebundenen Gesprächsstränge Betroffenheit auslösten. In dem gesteckten Kursrahmen blieben derartige Eruptionen episodenhaft. In Zukunft wäre aber unter Umständen ein Ansatz über diesen produktiven Bereich zu finden, der möglicherweise weiterreichende Veränderungsprozesse bei den (inne)n hervorruft als noch so differenziertes und themengebundenes Bewußtmachen.
Im abschließenden Gespräch mit der Autorin, die - welch sinniger Zufall - von einem männlichen Kollegen im Rahmen der Literatur-AG der Schule schon monatelang vorher eingeladen worden war, wurde die erhoffte Einheit von Werk und Mensch plastisch verdeutlicht: Der realistischen, schlagfertigen und unsentimentalen Prosa entsprach eine Frau, die ohne literatenhaften Firlefanz oder einschüchternde Perfektion auf Schüler(innen)fragen einging, die eigene schriftstellerische Unzulänglichkeiten nicht vertuschte und die zugleich als lebendige und witzige Gesprächspartnerin das zum Teil etwas pennälerhafte Geschwafel auf seinen Kern zurückführte. Eindrucksvoll, weil genau und faktenreich, stellte sie ihre eigene schwierige und widerspruchsvolle Entwicklung von der Barmbeker Göre zur Schriftstellerin dar, die auch heute diesen Blick von links unten beibehalten hat, ohne daß sie vor Vereinnahmungsversuchen durch linke, aber doch männlich bornierte Gruppierungen wie dem "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" geschützt war. Diese direkte Konfrontation von schreibendem Subjekt und literarischem Werk trug zur Entmystifizierung von Literatur und zur lebendigen Auseinandersetzung mit Autorin und Text erheblich bei.
Von heute aus gesehen würde ich allerdings bei dieser Autorin andere Akzente setzen: Statt der zum Teil doch mühsamen Analyse eines umfangreichen Romans würde ich thematisch geordnete Auszüge aus verschiedenen Texten wie "Der Schlachter empfiehlt noch immer Herz"[5] und dem Jugendbuch das kannst du laut sagen, Hannes"[6] besprechen. Außerdem könnte der Aspekt, wie eine Schriftstellerin ihre Texte mit ihrer Praxis als Feministin verbindet, an Gebrauchstexten der Autorin zur Frage des Wählerinnenverhaltens, zur Anti-AKW-Bewegung und zum Kampf um Frauenhäuser aufgezeigt werden. Als Aufhänger recht geeignet erscheint mir auch Margot Schroeders Text "Seine Firma heißt Familie".[7]

Zur Darstellung der Frau als Hure, Muttertier und Heilige
aus Männerperspektive (Gerhard Hauptmann "Bahnwärter Thiel")

Die Untersuchung der 1888 erschienenen novellistischen Studie "Bahnwärter Thiel" bildete eine Art kontrastierende Entsprechung zu dem vorherigen Roman. Zudem bietet Hauptmanns Text trotz der melodramatischen und gewalttätigen Ereignisse und der zeitlichen Distanz ein zugespitztes Modell für die Beziehungen in einer kleinbürgerlichen Familie auch heute. An der Darstellung der männlichen Titelfigur und
der beiden Frauen kann weiter exemplarisch verdeutlicht werden, wie männliche Schriftsteller häufig ihre patriarchalische Sichtweise in scheinbar realistische und wertfreie Handlungs- und Personenkonstellationen einfließen lassen. Die im Text dargestellten Frauen verkörpern zwei typische männliche Projektionen: Auf der einen Seite steht die passive, zarte und demütig dem Ehemann gehorchende erste Frau, die nach ihrem frühen Tod in Thiels Träumen zur Heiligen stilisiert wird und zu der er eine mehr vergeistigte Liebe empfindet. Das Pendant zu dieser bläßlichen Wunschfigur ist seine zweite Frau, die als triebhaftes, brutales und dämonisches Wesen geschildert wird. Der brave Bahnwärter Thiel gerät in sexuelle Abhängigkeit zu diesem rohen Geschlechtstier und wird zum irren Mörder an der Frau, der er die Schuld am Tod seines Sohnes aus erster Ehe zuschiebt. Diese uns heute kolportagehaft anmutende Konstellation arbeiteten die Schüler(innen) mit ironischer Distanz heraus. Es fiel ihnen auch leicht, während der Textarbeit die Rechtfertigungsperspektive, aus der die Gewalttat des Mannes dargestellt wird, aufzuzeigen und dagegen die Beschuldigungsperspektive zu stellen, aus der heraus der Mord an der Frau verstehbar erscheint.
In der Diskussion über Auftreten und Ursachen eines derart mystifizierenden Frauenbildes in der Literatur wurde skizzenhaft eine lange Ahnenreihe entworfen: Das männliche Klischee von der Frau als Heilige und männermordende Hure reicht bis zur Zeit des Minnesangs zurück, und von dem Herrscherweib in der Barockzeit bis zum Vamp in modernen Männerphantasien durchzieht ein Schwarm von sexistischen Ängsten und Triebwünschen die Literatur.
Zum Abschluß dieser eher kultur- und literaturgeschichtlichen Phase griffen einige innen von selbst das bei Hauptmann auftretende Motiv der boshaften Rabenmutter auf und aktualisierten diesen Aspekt. Sie stellten Hauptmanns Fiktion einer instinkthaften Mutter, die aber dem Stiefkind Gewalt antut, eine faktenreiche Reportage und Analyse zum Thema "Mutterhaß" gegenüber.[7] Hier zeigt die Autorin plausibel auf, wie die Ideologie der naturhaft liebenden Mutter der herrschenden Kinderfeindlichkeit der Gesellschaft nützt, indem so alle Fürsorge der privaten Kompetenz der Frau zugeschoben wird. Die zahlreichen Kindestötungen werden zumeist nicht, wie die Gerichtsurteile beweisen, aus Not und Zerrüttung zu erklären versucht, sondern als abscheuliche Abweichungen von der weiblichen Natur kriminalisiert. Methodisch schien mir diese Parallelisierung von literarischen Motiven (auch wenn die Kindestötung seit dem "Sturm und Drang" ein häufiges Thema ist) mit sozialpsychologischen Analysen zwar fragwürdig, aber offensichtlich stand doch ein starkes Schüler(innen)interesse dahinter. Didaktisch und methodisch einwandfrei müßte m.E. jedoch eine derartige Thematik, die sicher reizvoll und lohnend wäre, sehr viel differenzierter geplant werden.

"Nora" als literarische Symbolfigur
für den Aufbruch der Frau

lbsens Schauspiel konnte den (inne)n beweisen, daß die verdeckt frauenfeindliche Konzeption von Hauptmanns Frauenbild keine historische Entschuldigung ermöglicht. Das Drama ist kurz vor dem Erscheinen der frühnaturalistischen Prosa-Studie Hauptmanns auch in Deutschland uraufgeführt worden, wenn auch mit einem besänftigenden Schluß, demzufolge Nora um ihrer Kinder willen bei ihrem Ehemann bleibt. Dennoch wurde in der Dramenanalyse klar, daß hier ein männlicher Schriftsteller durchaus parteilich mit dramatischen Mitteln die Emanzipation der Frau unterstützt und die parasitäre Puppenexistenz der bürgerlichen Frau als Eheweibchen anprangert.
Während der Gespräche über die weibliche Titelfigur zeigte sich, daß für die Mehrzahl der Schüler(innen) durchaus noch aktuelle Bezüge und Identifikationsmöglichkeiten mit Nora vorhanden waren. Eindrucksvoll arbeiteten sie die Verhaltens- und Gefühlsmuster der weiblichen Nora heraus, und aus der Intensität der Beiträge merkte ich, daß einige im Medium und gleichsam im Schutz dieser Dramenfigur eigene Rollen- und Geschlechtsprobleme andeuteten, beispielsweise die Erfahrung, wie es sich oberflächlich für ein Mädchen oder eine Frau auszahlt, wenn sie sich dem Bild des kapriziösen und koketten Schnurrkätzchens anpaßt. Auch der Bruch Noras mit dem scheinbar bequemen und harmonischen Ehe- und Familienleben wurde von den meisten keineswegs als überholt und heute selbstverständlich angesehen. Vielmehr zitierten einige die verspäteten Selbständigkeitsbemühungen ihrer Mütter, die erst beim Heranwachsen der Kinder ihre parasitäre und leere Existenz als "Gattin" im privilegierten Haus wahrzunehmen begännen. Ebenso wurde die umgekehrte Tendenz bei mehr und mehr Mädchen genannt, sich aus Angst vor dem Kampf um einen Studien- oder Ausbildungsplatz in die herkömmliche Scheinsicherheit einer Frühehe zu begeben.
Um nach dieser analysierend-interpretierenden Phase die dramatische Geschlossenheit des Schauspiels anschaulich vor Augen zu behalten, nutzten wir die Gelegenheit, daß gerade "Nora" in der Inszenierung
von Nicolas Brieger mit Ingrid Andree in der Titelrolle am Thalia Theater aufgeführt wurde. Daß diese Inszenierung den Befreiungsprozeß der Frau zugunsten einer psychologischen Einfühlung in den Hintergrund treten ließ, kritisierten eine Reihe von innen in dem nachfolgenden Vergleich. Festgemacht wurde diese Kritik aber nicht so sehr an starren Vorerwartungen, die ja auch ein Vernageltsein gegenüber anderen Akzentuierungen einer Aufführung verraten können, sondern vor allem an der melancholischen Schlußszene. Dort trat in der Hamburger Inszenierung die Hauptfigur in eine nieselig-neblige Außenwelt, so daß ängstliche Fragen des Zuschauers provoziert wurden wie: "Ob Nora da wohl den richtigen Schritt getan hat, wenn sie ihr trautes Heim angesichts einer so trüben Zukunft verläßt?" Offensichtlich hatten die Schüler(innen) lbsens Schlußbemerkung: "Unten fällt eine Tür dröhnend ins Schloß" sehr viel aggressiver und endgültiger verstanden.
Falls ich heute noch einmal diesen Klassiker der Frauenbefreiung im Unterricht behandeln würde, zöge ich wahrscheinlich zur aktualisierenden Schlußbetrachtung den Aufsatz von Marlis Gerhardt "Wohin geht Nora? Auf der Suche nach der verlorenen Frau"[9] hinzu. Hier stellt die Autorin recht einleuchtend dar, daß sich auch in der Neuen Frauenbewegung in Texten wie Verena Stefans "Häutungen" die Gefahr andeutet, daß frau sich am Rand des von Nora eingeschlagenen Wegs im kuscheligen Nest versteckt. Das Weiterleben des Nora-Themas als konkreter Utopie und eben nicht als altmodischem Hut könnte auch das Lied "Nora" der Frauensonggruppe "Schneewittchen" klarmachen.

Ein Bestseller der Frauenliteratur:
Verena Stefan "Häutungen"

Wie es vor wenigen Jahren nahezu verpflichtend war, Verena Stefans "Häutungen" begeistert zu lesen, ebenso stereotyp ist mittlerweile die inhaltliche und sprachliche Kritik an dem Text geworden. Diese Auseinandersetzung, die seismografisch verschiedene Stadien der Neuen Frauenbewegung in der BRD anzeigt, kann hier weitgehend unberücksichtigt bleiben. Lediglich der Verlauf und eine kurze Auswertung des stattgefundenen Unterrichts soll skizziert werden. Die damalige Brisanz des Textes erhellt sich auch daraus, daß dieses Buch von einer in selbst zum Besprechen vorgeschlagen und das allgemein akzeptiert wurde. Da diese Phase von den Studentinnen und einem Studenten des Didaktikseminars übernommen werden sollte, griffen diese den Wunsch auf und diskutierten in drei Kleingruppen. Erstaunlich für die unterschwellig verlaufenden Beziehungsprozesse war die Tatsache, daß sich nur noch zwei reine Mädchen- und eine Jungengruppe bildeten. Der gescheiterte Versuch in der Anfangsphase mit einer gemischten Gruppe hatte wohl diese Polarisierung gefördert. In den ersten Stunden wurden inhaltliche Aspekte besprochen wie Verlust der "Eigenkörperlichkeit" von Mädchen durch die Sozialisationsbedingungen, die Probleme zwischen Ines und der Ich-Figur, verursacht durch unterschiedliche sexuelle Fixierungen auf Mädchen bzw. Jungen, schließlich der resignierte Rückzug der Ich-Person von den Männern und erste positive Erfahrungen der Liebe zwischen Frauen. Der Text diente dabei weitgehend als Folie für eigene Erfahrungen oder Bedürfnisse, aber auch für Ängste und Zweifel gegenüber alternativen Beziehungen. Beispielsweise stellten sich die Schüler(innen) entgegen der etwas euphorisch wirkenden Darstellung der "neuen Sexualität" bei Verena Stefan die Frage, ob sich nicht die gleichen hierarchischen Strukturen in homosexuellen Beziehungen wie in einer Frau-Mann-Beziehung wiederholten. In Abgrenzung von dem Stefan Text brachten die meisten die persönliche Erfahrung ein, daß ihre Freunde sich bewußt von den herkömmlichen Männerklischees zu lösen versuchten. Besprochen wurden auch die inneren Hemmungen, die verhindern, mit Freundinnen Zärtlichkeiten auszutauschen, obwohl dies für die meisten als Kinder kein Problem gewesen sei.
Um den intensiven Austausch innerhalb der Kleingruppen nicht abzublocken, ließen die Praktikantinnen und der Praktikant immer mehr den Rückbezug auf den Stefan-Text fallen und verlängerten diese Phase der offenen Kommunikation auf Wunsch der Schüler(innen). Qualitativ neu war während dieser Zeit, daß durch die Anwesenheit des Studenten, der ein dezidiert "unmännliches" Verhalten hatte, die männlichen Kursteilnehmer wohl zum erstenmal aus der Rolle der wohlwollenden Unterstützer der "Frauensache" heraustraten und sich auf ihre eigenen Probleme mit ihrem Mann-Sein oder -Werden stürzten. Die Identitätssuche war so ernsthaft, daß sich auch außerhalb des Unterrichts eine "Männergruppe" bildete, während vorher die Existenz einer Schülerinnengruppe von den Jungen ironisch belächelt oder neidisch bewundert wurde. Auch in der obligatorischen schriftlichen Klausur, die unmittelbar nach der "Häutungen"-Phase geschrieben wurde, zeigte sich in der häufigen Wahl des Themas zur "Männeremanzipation",[10] daß hier nicht nur bei den Jungen ein großes Interesse vorlag. In fast allen Aufsätzen wurde am vorgelegten Text kritisiert,
daß der Verfasser auch an den "neuen Mann" eine Norm anlegt, wenn er fordert: "Wir brauchen ein gutes, schönes, starkes und weiches Bild von Männern." Mit derartigen Klischees würden erneut feste Geschlechtsrollen, wenn auch zum Teil mit umgekehrten Vorzeichen, angestrebt und so eine allmähliche Auflösung von "männlich" und "weiblich" in Richtung auf eine menschliche Entwicklung mit lebendigen Widersprüchen der Schüler.
Kritisch möchte ich zu dieser Phase anmerken, daß viel zu wenig auf den Versuch von Verena Stefan eingegangen wurde, auch sprachlich alternative weibliche Ausdrucksformen zu finden. Selbst wenn der Vorwurf der Naturmystifikation und sogar des literarischen Kitsches gerechtfertigt ist, so ist doch das Problem, wieweit das Postulat einer "weiblichen Ästhetik" richtig und verwirklichbar ist, gerade für den Deutschunterricht ein reizvolles Thema. Heute würde ich wahrscheinlich den Hauptakzent auf eine derartige Fragestellung legen und als Material Briefe, Autobiographien und Tagebücher (in Auszügen) aus der Vergangenheit (z.B. aus der Romantik), aber auch fiktive Texte aus der Gegenwartsliteratur von Frauen analysieren. Wichtige Texte könnten m.E. Gedichte von Sarah Kirsch, Helga Novak, Hannelies Taschau, aber auch Lyrik von Barbara Starrett aus dem Band "Ich träume weiblich"[11] und die Sammlung von Frauentexten "Frauen, die pfeifen"[12] sein.

Emanzipation als Praxis

Soll sich ein Unterricht mit dem Thema "Emanzipation" nicht selber ad absurdum führen, dürfen nicht nur Ziele wie "Erkennen" und "Bewußtmachen" gesetzt werden. Die Gefahr des bloß Intellektuellen, wenn nicht sogar Ideologischen oder Modischen, läge dann sehr nah. Entscheidend dafür, ob und wieweit wirklich befreiendes und freies Lernen erreicht wird, ist in meinen Augen vielmehr, daß angstfreies Äußern von Gefühlen und veränderndes Handeln möglich werden. Diese pädagogische Binsenweisheit ist gerade bei Themen wie "Frauen-, Männeremanzipation" unverzichtbar als praktisches Prinzip. Daß dies immer wieder von herrschenden Strukturen und Institutionen verhindert wird (oder werden soll), ist ebenfalls eine schmerzliche tägliche Erfahrung gerade auch von Lehrerinnen, die sich nicht den gängigen Normen und Berufslügen des schulischen Alltags anpassen wollen. Aber trotz aller Beschränkungen und Zwänge hat mir auch hier der skizzierte Kurs die ermutigende Erfahrung vermittelt, daß zum verbitterten Trott kein Grund besteht. Die verändernde Praxis begann damit, daß die Gegenüberstellung von Lehrerin und (inne)n oft abgebaut oder sogar aufgehoben werden konnte, wenn z.B. hinter der Rolle der Pädagogin die Frau als widersprüchliches Subjekt mit persönlichen Erfahrungen und Gefühlen durchschien. Waren außerdem schon die sprachschöpferischen Produktionen anläßlich des Romans von Margot Schroeder ein Schritt zum Aufheben des rein Kognitiven, so boten sich an einigen Stellen auch Situationen, in denen Sprachhandeln in den Schulalltag eingriff. Beispielsweise wurde gegen Schluß des Kurses eine Wandzeitung gemacht, auf der in witzigen Karikaturen pseudo-emanzipiertes Reden von Mitschülern angegriffen wurde; etwa eine Sprechblase eines mackerhaft posierenden Jungen: "Ich find' ja Emanzipation ganz dufte, aber alles in Maßen." Dabei hatte er seine Hand auf den Po der Freundin gelegt.
Über den innerschulischen Rahmen hinaus ging es sogar, als wir gemeinsam ein Flugblatt zur Teilnahme an einer Walpurgistiacht-Demonstration entwarfen und vor der Schule verteilten. Einige wenige innen wurden auch darin bestärkt, noch intensiver an Frauenprojekten wie z.B. dem Kalender "Tag für Tag" für 1979 mitzuschreiben oder an Lesungen von eigenen Produktionen auf Frauentreffen teilzunehmen. Sicherlich ist bei diesen Aktivitäten auch der "Zeitgeist" zu berücksichtigen, der Frauenprojekte zumindest eine kurze Zeit als modische Attitüde oder als Marktlücke begünstigte. Trotzdem habe ich konkrete Anhaltspunkte, daß einmal geweckte Phantasie und Produktivität so leicht nicht zu kanalisieren sind und die Lust am Verändern eher wächst als wieder einzudämmen ist.
Als Lehrerin, die eine so anregende und lebendige Gruppe wie diese von der Schule gehen lassen mußte, hatte ich natürlich Ablösungsschmerzen. Zugleich fühlte ich ein wenig Neid, daß diese Mädchen und Jungen unter viel günstigeren Umständen und in einer viel früheren Altersstufe als ich Ansätze von Solidarität und von Abbau des "Geschlechterkampfes" zugunsten von alternativen Beziehungen und Ausdrucksformen erlebten. Auch eine Portion vielleicht hennenhafter (!) - Angst spürte ich beim Weggehen dieser Gruppe. Angst, ob vor allem die innen den notwendigen langen Atem haben, ihre früh erworbenen Erfahrungen und Bewußtseinsprozesse weiterzuentwickeln, wenn der Schonraum dieser relativ liberalen Reformschule wegfällt. Aber ohne die Hoffnung, daß befreiende Lernprozesse Weiterwirken, wäre mir die Grundlage meiner Arbeit entzogen.
Ulrike Schwarzrock
(Gymnasium, Hamburg)

Abwehr der Schülerinnen und Schüler
beim Thema "Frauen"

1. Vorbemerkung

Die Auswertung bezieht sich auf elf Unterrichtseinheiten, die von Student(inn)en in 8.-10. Klassen verschiedener Schulformen in den letzten Jahren in Berlin durchgeführt wurden. Acht Unterrichtseinheiten mit Titeln wie "Die Rolle der Frau in der Gesellschaft" umfassen zwölf und mehr Stunden. Drei Berichte beziehen sich auf nur vier bis fünf Stunden. Sie sind unter dem Titel "Vorurteile gegenüber Frauen" jeweils Teil einer Unterrichtseinheit zum Thema "Vorurteile". Die Einheiten wurden in den Fächern Deutsch und/oder Sozialkunde unterrichtet.[1]
Meiner Meinung nach waren Problembewußtsein und Engagement der Student(inn)en generell hoch. Alle versuchten, über die Unterrichtsinhalte und Unterrichtsformen die  nicht nur kognitiv zu erreichen. Selbstverständlich bezogen sie Unterrichtsmittel wie Rollenspiele, Fallanalysen, Filme und so weiter ein. Das weitere Material wie Statistiken, Zitate, Bilder, literarische und andere Texte war vielfältig und ansprechend. Die fehlende Unterrichtserfahrung der Student(inn)en wurde m.E. durch Vorteile aufgewogen wie lange Vorbereitungszeit, Arbeit in Gruppen und die dadurch gegebene Möglichkeit, sich gegenseitig zu entlasten und die  z.B. in Kleingruppen intensiver zu betreuen. Der Kontakt zwischen Praktikant(inn)en und (inne)n kann in neun der elf Klassen als sehr gut bezeichnet werden. Diese Bedingungen sehe ich als günstige Voraussetzungen für die Durchführung von Unterrichtseinheiten zum Thema "Frauen" an. Um so wichtiger scheint es mir zu registrieren, an welchen Stellen die Schüler(innen) mit Abwehr reagiert haben, und zu überlegen, auf welche Ursachen ihre Abwehrreaktionen möglicherweise zurückzuführen sind.
In meinem Auswertungsbericht beschränke ich mich darauf, häufiger zu beobachtende Abwehrreaktionen zu beschreiben und zu interpretieren.[2] Es erschien mir dabei nicht sinnvoll, jeweils anzugeben, auf welche theoretische Position oder empirische Untersuchung eine Aussage zurückgeführt werden könnte oder welcher Position oder Untersuchung sie widerspricht. Solche Bezüge herzustellen, wäre nur sinnvoll im Rahmen einer genauen Auseinandersetzung mit der Forschung zum Gebiet "Einstellungsänderung".[3] Der Begriff "Abwehr" wird im folgenden umgangssprachlich verwendet.[4] Er bedeutet dann, daß eine Person sich direkt oder indirekt gegen eine Beeinflussung ihrer vorhandenen kognitiven Einsichten oder affektiven Werthaltungen wehrt, indem sie abweichende Informationen auf der Wissens- oder Erfahrungsebene nicht aufnimmt, leugnet, umdeutet oder ihnen ausweicht.

2. Abwehr mit der Formel: "Das wissen wir schon. "

In sechs Berichten finden sich Stellen, in denen die Schüler(innen) kritisieren, daß sie nichts Neues dazugelernt haben und/oder daß der Unterricht immer auf das gleiche hinauslaufe. Bevor man diese Aussagen als Abwehr gegen eine Auseinandersetzung mit dem Thema interpretiert, sollte man prüfen, inwieweit die Kritik berechtigt ist. Ich entnehme den Berichten an zahlreichen Stellen in der Tat, daß die Schüler(innen) weit besser informiert sind, als die Student(inn)en unterstellen. Es können hier aus der Fülle von Belegen für meine These nur einige angeführt werden:
In einer 8. Klasse improvisiert eine Studentin eine Stunde zum § 218. Dabei zeigte sich: Der Informationsstand der  über die Problematik des § 218 war erstaunlich gut. So konnte u.a. von den Schüler eine exakte Trennung zwischen Indikations- und Fristenlösung ohne Schwierigkeiten vorgenommen werden. Die Beiträge dazu kamen von sehr vielen Schüler, was bedeutet, daß nicht nur einige wenige informiert waren. Während der Stunde kamen sehr deutlich die unterschiedlichen Standpunkte der  zum Ausdruck.

                           

(8. Klasse, Gymnasium Schöneberg, WS 74/75 (11), 85)
Auch bei Aufgabenstellungen, die weniger Wissen als Verständnis erfordern, können die Schüler(innen) viele intendierte Lernergebnisse ohne Hilfestellung mühelos reproduzieren. So heißt es zu einer Stunde "Frauen in der Werbung": "Die  sprudelten mit ihren Antworten, teilweise wurde gleichzeitig geredet. Sie kommentierten sofort die ausliegenden Werbeanzeigen, und folgende Stichworte wurden festgehalten." (8, Klasse, Gymnasium Schöneberg, WS 74/75 (1), 27.) Die einzelnen Stichworte werden hier nicht mitgeteilt, sie enthalten eine große Zahl von richtigen und durchaus nicht einfachen Beobachtungen.
Ähnlich mühelos zählt eine Realschulklasse Einflußfaktoren auf die geschlechtsspezifische Sozialisation auf und nennt die erwarteten Erscheinungsformen. Selbstverständlich wissen die Schüler(innen), daß Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als Männer, daß es typische Frauen- und Männerberufe gibt, daß Mädchen früher und z.T. auch heute noch anders erzogen werden als Jungen und welche Frauenbilder in den Massenmedien dominieren.
Nun soll nicht bestritten werden, daß bei der Reaktion "das weiß ich schon" auch immer mitschwingt: "Genauer will ich es gar nicht wissen." Die beiden Momente sind häufig Schüler zu unterscheiden. Der Grad der Abwehr wird sicher beeinflußt vom jeweiligen Thema und der jeweiligen Situation. Dennoch meine ich, man sollte die Kritik der Schüler(innen) als Wunsch nach Information mit Neuigkeitswert interpretieren und sich zugleich erinnern, daß die Schüler(innen) ihr Vorwissen in der Regel gerne einbringen, sofern es als wichtig anerkannt wird. Daraus folgt, daß man intensiv nach Unterrichtsinhalten suchen sollte, die Neuigkeitswert haben und zugleich geeignet sind, das Vorwissen der Schüler(innen) zu aktivieren. Solche "Schlüsselinformationen" zu identifizieren, ist besonders für Themen notwendig, die den täglichen Erfahrungsbereich der Schule bestimmen und die gerade deshalb gegen kognitive Neugier und emotionale Betroffenheit durch selbstverständliche Verhaltensgewohnheiten und Deutungsmuster abgeschirmt sind.
Zwei Beispiele für solche möglichen "Schlüsselinformationen" seien angefügt: In 8 Unterrichtseinheiten wird das Thema "Benachteiligung der Frau im Beruf" behandelt. Dabei ist es auffallend, daß die Schüler(innen) in mehreren Unterrichtseinheiten über den für sie neuen Aspekt der Leichtlohngruppen für das allgemeinere Thema zu interessieren sind. In einem Protokoll heißt es zum Beispiel: "...wobei sich herausstellt, daß die  zwar die schlechteren Ausbildungsmöglichkeiten und daher niedrigeren Arbeiten und auch die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt sahen, aber nicht glauben wollten, daß Frauen bei gleicher oder ähnlicher Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer" (8. Klasse, Gymnasium Schöneberg, WS 74/75 (1), 28). Im Protokoll einer Parallelgruppe steht: "lnsgesamt waren die  sehr erstaunt, teilweise empört, über sowas wie Leichtlohngruppen." (a.a.O., 30) Ähnlich reagieren die Schüler(innen) in einer Gesamtschule: "Sie konnten nicht begreifen, daß so etwas (Leichtlohngruppen) möglich ist. Sie fragten mich, ob das denn nicht verboten werden könnte." (10. Klasse, Gesamtschule Neukölln, SS 74, 79)
Das Thema "geschlechtsspezifisches Verhalten" weckt in mehreren Klassen Erwartungen, die es dann nicht erfüllt. In einer Klasse gelingt es einer Praktikantin, das Thema über den Aspekt "Leistungsangst von Frauen" für die Schüler(innen) neu und interessant werden zu lassen. Sie zitiert zunächst den Ratschlag (in einem "Knigge für Verliebte" von 1968), ein Mädchen solle ihrem Freund ihre eventuell vorhandene Leistungsüberlegenheit nicht zeigen. Diesen ernstgemeinten Ratschlag konfrontiert sie im Laufe der Stunde mit Forschungsergebnissen zu Leistungsängsten. Weil der Inhalt die Schüler(innen) auf einer allgemeinen Ebene anspricht und sie vermutlich auch aufgrund seines Neuigkeitswerts gar keine Leugnungsstrategien dagegen entwickelt haben, können sie die Aussage ohne Abwehr reflektieren. Eine Stelle aus dem Protokoll sei zitiert:
... dem wurde entgegengehalten, daß in einer Beziehung zwischen einem Jungen und einem Mädchen doch eine schwierige Situation eintritt, wenn es zu Rivalitäten kommt, da der Junge seine Rolle gefährdet sieht. Einige Jungen haben das Bild korrigiert, indem sie meinten, daß es sehr auf den Jungen ankäme, sie würden sich in einer solchen Supermann-Rolle nicht wohlfühlen.
Später wurde von den (inne)n das Problem aufgezeigt: "daß wir zwar heute eine andere Einstellung zu solchen Problemen haben, im Unterbewußtsein aber die alten Rollenvorstellungen weiterwirken". (9. Klasse, Gymnasium Steglitz, WS 76/77, 8f.)
Gerade am Beispiel "geschlechtsspezifisches Verhalten" kann man sich die allgemeine Schwierigkeit, die Schüler(innen) über eine Rekapitulation oder Beobachtung vertrauter Phänomene zu erreichen, klarmachen. Weist man z.B. auf die größere Passivität der Mädchen im Unterricht hin, und sei es mit Hilfe von Videoaufzeichnungen, so wird diese Beobachtung als zufällig abgetan - sofern sie nicht ganz eindeutig ist. Ist die Beobachtung eindeutig, so ist sie den (inne)n wiederum längst bekannt und als Beobachtung total uninteressant. Sie ist zudem bereits negativ besetzt, weil mit Sicherheit anzunehmen ist, daß viele Lehrer(innen) sich schon häufig über die schlechte Mitarbeit der Mädchen beklagt haben. Eine Betroffenheit über die Beobachtung könnte also nur das negative Selbstbild der Mädchen verstärken. Von da kann man es geradezu richtig finden, wenn sie sich von der Beobachtung nicht erneut tangieren lassen. Ich meine, daß diese Schere durch die Vermittlung eines Erklärungsmodells, das nur hypothetisch auf Anschauung zurückzugreifen braucht, noch am ehesten verhindert werden kann.
Neben bekannten Themen, denen mit Hilfe von Schlüsselinformationen neues Interesse abgewonnen werden kann, stehen Themen, die als solche Neuigkeitswert haben. Ich meine, man sollte mehr als gegenwärtig üblich dabei an historische Themen denken. Während es offensichtlich naheliegt, über Kulturvergleiche zu unterrichten (in fünf der vorliegenden Unterrichtseinheiten wurde das - mit einer Ausnahme erfolgreich gemacht), fehlen Themen zur Vergangenheit der eigenen Gesellschaft so gut wie ganz. Nur eine Praktikantengruppe hat über die Situation von Frauen in verschiedenen Epochen der deutschen Geschichte informiert. In diesem Fall wurde das Thema auch nur auf Wunsch der innen aufgenommen. Die entsprechenden Stunden haben meine Einschätzungen verstärkt, daß eine historische Betrachtung dazu beitragen kann, die Abwehr gegen eine Thematisierung von Frauenfragen im Unterricht abzubauen. Informationen über die offene Diskriminierung von Frauen in der Vergangenheit machen es einerseits verständlich, daß in allen gesellschaftlichen und privaten Bereichen noch Spuren davon zu finden sind. Die Entwicklung beweist zum anderen, daß Veränderungen möglich sind. Historische Themen wenden sich so gegen resignative Tendenzen bei den innen.
Es ist m.E. erwähnenswert, daß in der Klasse bei den historischen Themen die Schutzbehauptung - Was soll das Thema? Wir sind schon gleichberechtigt! - ganz entfiel (siehe Punkt 3.). Die innen suchten, nachdem sie einen historischen Einblick in die Lebensbeschränkungen von Frauen in der Vergangenheit gewonnen und die Wichtigkeit der formalen Gleichberechtigung erkannt hatten, selbst nach bestehenden Widerständen gegen eine reale Gleichberechtigung. Das Stundenprotokoll (und meine eigene Erinnerung an die Stunde) zeigt an, daß dabei durchaus schwierige historische Zusammenhänge verstanden worden sind:
Zwei Schülerinnen jeder Gruppe präparierten sich für die anschließenden Schülervorträge. Die Gruppenergebnisse wurden wieder mit Hilfe des Overhead-Projektors zügig und unter großem Interesse fast aller  vermittelt.
Im Anschluß daran forderten wir die  auf, die Gemeinsamkeiten der einzelnen Gruppenergebnisse herauszustellen und die sich aufzeigende Entwicklungstendenz des letzten Jahrhunderts zu kennzeichnen sowie deren mögliche Merkmale und Ursachen zu reflektieren. Die von uns intendierten Erkenntnisse wurden daraufhin von den Schüler relativ selbständig, d.h. ohne spezifische Fragen unsererseits, entwickelt.
Sie stellten folgendes fest, bzw. kamen zu folgender Einschätzung: Die Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen im Hinblick auf eine fortschreitende Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben wurde durch die industrielle Revolution ausgelöst und mußte im Laufe der sich nun vollziehenden technischen Entwicklung zwangsläufig immer stärker vorangetrieben werden. Die Einstellungen über den spezifisch weiblichen Aufgabenbereich änderten sich jedoch nicht. Frauen sollten möglichst auf die Funktion der Hausfrau und Mutter beschränkt bleiben. So wurde die gesellschaftliche Stellung der Frau nicht durch ihre zunehmende Berufstätigkeit verbessert. Ihr Anteil an den Erwerbstätigen und ihr Einsatz in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen war von der jeweiligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation abhängig. In Krisenzeiten (l. und 2. Weltkrieg) wurde sie durchaus zu 'typischen Männerarbeiten' herangezogen. Im Vergleich hierzu stellt sich die gegenwärtige Situation als gleichberechtigt dar. Die Frau hat die Möglichkeit, am rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben zu partizipieren. Vorurteile und Diskriminierung von und gegenüber Frauen sind in der Gegenwart jedoch nicht verschwunden, sondern vermitteln sich lediglich wesentlich diffiziler.
(10. Klasse, Gymnasium Schöneberg, WS 76/77, 82f.)
Sicher wurden in der obigen Passage die Aussagen der  - "Wir lernen nichts Neues!", "Es ist immer das gleiche." - zu widerspruchslos akzeptiert. (Auch ein Teil der innen aus der Klasse, die die historische Entwicklung behandelt hatte, äußerte sich abschließend entsprechend.) Die Aussagen sind aber auch als nur teilberechtigte ernstzunehmen. In manchen Stunden wurde m.E. wirklich nur Bekanntes reproduziert. Daß es den (inne)n z.T. offensichtlich Spaß machte, ihr vorhandenes Wissen und Problembewußtsein einzubringen, weist nur darauf hin, daß es möglich gewesen wäre, aufbauend auf dem Vorwissen der Schüler(innen) weitergehende Informationen zu vermitteln und Problemanalysen durchzuführen. Bei anderen Stunden könnte der Eindruck, nichts Neues zu lernen, aus Schwierigkeiten des Behaltens resultieren. Häufig wurden viele ähnliche Informationen z.B. in Form von Statistiken eingegeben. Es ist nachvollziehbar, daß die einzelnen Informationen sich nicht deutlich genug voneinander abheben und in der Erinnerung notwendigerweise auf eine Information reduziert werden. Diese lautet dann z.B.: Frauen sind im Berufsleben benachteiligt - das aber wußten die Schüler(innen) davor auch schon. In wieder anderen Stunden mag z.B. über ein Problem oder über einen Text auf zu allgemeiner Ebene gesprochen worden sein, so daß Einzelheiten, die Neuigkeitswert gehabt hätten, nicht bewußt wurden.
Selbstkritisch schreibt hierzu eine Praktikantengruppe:
Wir gingen davon aus, daß die /innen gleich über einen Text reden können, anstatt dem Level der /innen entsprechend mit ihnen nachzuvollziehen, was in dem Text selbst drinsteht und dann erst tiefergehend zu diskutieren. Resultat war, daß die /innen immer die bereits bekannten Allgemeinweisheiten brachten und es ihnen und uns langweilig wurde. (8. Klasse, Gymnasium Kreuzberg, WS 76/77, 2) Es handelt sich hierbei z.T. um methodische Mängel, die einzelnen Praktikantengruppen aufgrund ihrer fehlenden Unterrichtserfahrung eher unterlaufen als Lehrer(inne)n. Insofern sind diese Mängel korrigierbar. Die methodische Erklärung sollte aber nicht dagegen blind machen, daß der Vorwurf "Das wissen wir schon, das ist immer das gleiche" auch immer bedeutet: "Wir wollen Eure Aussagen nicht hören." Mit dieser affektiven Abwehr wird sich der nächste Abschnitt beschäftigen.

3. Das Auftreten von Abwehrreaktionen gegen Unterrichtsinhalte

Die Klassen unterscheiden sich erheblich hinsichtlich der Äußerungen von Abwehr. Manche begründen, warum sie bestimmte Unterrichtsinhalte ablehnen oder sich mit dem Thema im ganzen nicht auseinandersetzen wollen. Bei anderen kann man Abwehr aus indirekten Äußerungsformen erschließen. Solche können sein: schlechte Mitarbeit, Überspielen der Betroffenheit durch Komik, unbeteiligtes Erfüllen aller Arbeitsaufträge. Bei einigen Klassen kann ich weder direkte noch indirekte Abwehrformen entdecken. Ich möchte mich deshalb in der folgenden Passage darauf beschränken, den Praktikantenbericht, in dem Abwehr am direktesten geäußert und begründet wird, vorzustellen. Es handelt sich um eine 10. Gymnasialklasse; sie wird folgendermaßen beschrieben:
Die Hospitationen bestätigten die von der Kontaktlehrerin vermittelte Einschätzung über die Klasse. Sie hatte darauf hingewiesen, daß die innen durch besonders geschlechtsspezifische Verhaltensweisen auffallen würden, wobei zu bemerken ist, daß sich die Klassenstruktur als außergewöhnlich bezeichnen läßt. Von den 21 Schüler sind nur drei männlichen Geschlechts. Die  beteiligen sich nur nach direkter Aufforderung am Unterricht und machten bis auf wenige Ausnahmen einen verschlafenen und abwesenden Eindruck. .. . Es wurde deutlich, daß sie eine sehr geringe Meinung von ihren eigenen Fähigkeiten hatten und von fast sämtlichen Lehrern in dieser immer wieder bestätigt wurden. (10. Klasse, Gymnasium Schöneberg, WS 76/77, 70f.)
Die Klasse schwankt im Laufe der Unterrichtseinheit zwischen engagierter Mitarbeit und starker Abwehr. Bereits beim Einstieg werden die beiden Seiten des Verhaltens sichtbar. Vorgeführt wird der Film "Weiß ist die Farbe der Verlierer". Der Film zeigt in satirischer Form, wie eine Frau einem Mann zunächst im Büro als Sachberaterin gleichgestellt ist, mit der Zeit übernimmt sie faktisch die Funktion seiner Sekretärin, bis sie schließlich zu seiner Ehefrau wird. Die Klasse reagiert auf den Film zunächst nur "mit verlegenem Schweigen (a.a.O., 72). Einige der Versuche der Studentinnen, dieses Schweigen zu durchbrechen, bleiben erfolglos. Abrupt tritt dann - nach der Ablehnung des Vorschlags der Studentinnen, in Gruppen zu diskutieren - ein Wechsel des Verhaltens ein:
Nach diesem Intermezzo fand plötzlich eine relativ rege Diskussion statt, die sich auch nach der großen Pause fortsetzte. Es beteiligten sich immerhin acht bis zehn , die anderen folgten sichtlich erregt den einzelnen Ausführungen. Eine in übernahm, nachdem dies von uns angeregt worden war, freiwillig die Diskussionsleitung. (a.a.O., 72) Die Schüler(innen) nennen und reflektieren selbständig alle wesentlichen Einschränkungen und deren Ursachen, denen Frauen im Beruf unterliegen. In mehreren der folgenden Stunden wehren sie aber eine Auseinandersetzung mit dem Thema mit der Begründung ab, sie seien bereits gleichberechtigt. (Wie sich nach und nach zeigt, vertritt diese Position allerdings nur ein Teil der Klasse.) Die Abwehr tritt bezeichnenderweise auf beim Thema "Bildungssituation von Mädchen und Jungen". Vermutlich haben die Studentinnen die Abwehr durch die Vorwegnahme des Ergebnisses in einseitiger Form mitproduziert.
Im Hinblick auf den Übergang zur nächsten Stunde, in der die Unterschiede in der Bildungs- bzw. Ausbildungssituation von Jungen und Mädchen problematisiert werden sollen, äußerten wir provokativ die Vermutung, daß sich auch im Bildungssektor Unterschiede zuungunsten der Frauen ergeben würden, ja, diese Mitursache für die reflektierte Situation der Frau im Erwerbsleben sei. Die Reaktion der  war eindeutig. Sie lehnten diese Annahme ab. (a.a.O., 74) Die Ablehnung in der nächsten Stunde ging so weit, daß sie:
... teilweise sogar die Richtigkeit des vorliegenden Materials anzweifelten. ... für die Gegenwart wollten sie lediglich zugestehen, daß unterschiedliche Verhaltensweisen von Jungen und Mädchen in der Grundschule gefördert bzw. hervorgerufen werden. Auf ihre jetzige Situation wäre dies jedoch nicht anwendbar. Sie konnten jedoch nicht umhin festzustellen, daß wesentlich mehr Jungen eine vernünftige Berufsausbildung erhalten als Mädchen. Ihre eigenen Zukunftspläne (etliche Mädchen wollen nach der 10. Klasse die Schule verlassen) setzten sie hierzu nicht in Beziehung. (a.a.O., 75) Als die Studentinnen später den Punkt des Schulabgangs dezidiert noch einmal einbringen, lassen sie ihn als Argument in keiner Weise gelten. In der anschließenden Diskussion artikulieren sie ihre Einwände:
Sie empfanden es als unbefriedigend, jede Stunde mit der gleichen Problematik konfrontiert zu werden und immer zu dem Ergebnis zu kommen, "Frauen werden in unserer Gesellschaft benachteiligt". Von spezifisch weiblichen Schwierigkeiten auszugehen, erschien ihnen zudem fragwürdig, da sie ihre Situation und analog dazu die ihrer Generation als gleichberechtigt einschätzen. (a.a.O., 76)
Ohne die Widersprüchlichkeit ihres Verhaltens zu bemerken, klebten sie in der nächsten Stunde aber wieder "eifrig und konzentriert" Collagen, in denen sie alle gängigen Rollenklischees als existent annahmen:
Männer und Frauen werden Objekte zugeordnet, die den gängigen Klischees vom männlichen und weiblichen Aufgabenbereich entsprechen. Bildsymbole und Schlagworte bringen die Vorurteile über "geschlechtstypische" Verhaltensweisen, Eigenschaften und Fähigkeiten zum Ausdruck. Die Collagen wurden in der Klasse aufgehängt. (a.a.O., 77) Es folgen die arbeitsintensiven Stunden zu historischen Themenaspekten (siehe Punkt 2.). Der Film "Träume mit 15" löst dann aber wieder die alte Abwehr aus, und in der Diskussion tauchen die bekannten Argumente auf:
Sie zweifelten den Realitätsbezug des gezeigten Films an. Die Probleme und Verhaltensweisen der sich im Film darstellenden Berliner Realschülerinnen und Gymnasiastinnen sei atypisch. ... Die  schätzten ihre eigene Situation sowie ihre Verhaltensweisen als bewußt und gleichberechtigt ein. Ihr Verhältnis zu Gleichaltrigen und Eltern sei harmonisch oder würde zumindest keine Schülerwiegenden Konflikte bergen. Als wir die  nach ihren Problemen, Erfahrungen und Zukunftsvorstellungen befragten, reagierten sie stark verunsichert. (a.a.O., 81 f.)
In der Abschlußbesprechung wird noch einmal betont: "Das Thema der UE sei für sie nicht aktuell, da sie ihre Situation als gleichberechtigt einschätzen. Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in bezug auf Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Eigenschaften wären bei ihnen durch Erziehung und Umwelt nicht gefördert worden." (a.a. O.,83)
Es ist deutlich - die Mädchen sind von dem Thema betroffen. Sie reagieren in dem Maße, wie ihre eigene Situation (als innen, als zukünftige Berufstätige, als Töchter und als Freundinnen) angesprochen wird, mit Abwehr. Als Motiv der Abwehr zeichnet sich ab, daß sie das harmonische Bild, das sie von sich und ihrer Situation haben, erhalten wissen wollen. Es läßt sich nur darüber spekulieren, wie weit dieses Bestreben nach einer widerspruchsfreien Situationsdeutung als Stabilisierung gegen ihre objektiv schlechte Situation in der Schule (siehe Beschreibung der Klasse) eingesetzt wird oder wie weit es durch die Tatsache begründet ist, daß die Mädchen größtenteils in der ersten Generation das Gymnasium besuchen und ihren Aufstieg verteidigen. Formal kann man die Reaktion so erklären: Zentrale Bedeutung hat in der Werthierarchie die Einstellung: "Ich bin nicht diskriminiert." Informationen, die damit in Widerspruch stehen, können nicht in das
eigene Denken übernommen werden, sie werden bestritten. Nach diesem Erklärungsmodell müßten zunächst Informationen vermittelt werden, die noch im Zustimmungsbereich der genannten Einstellung liegen. Diese kann dann durch immer neue Informationen sukzessive modifiziert werden. Dieses Modell gibt aber nur eine Denkrichtung an. Wie groß der Zustimmungsbereich jeweils ist, läßt sich abstrakt nicht sagen. Hier kann ich nur registrieren, daß sich Abwehr auch in anderen Unterrichtseinheiten - wenn auch weniger stark - vorrangig an den Punkten "geschlechtsspezifische Sozialisation in Familie und Schule" sowie "geschlechtsspezifische Berufswahl" festgemacht hat. Das Vorverständnis der Schüler(innen) geht dahin, daß es in diesen Bereichen keine oder keine wesentlichen Diskriminierungen mehr gibt. So verneinen in der Eingangsbefragung in zwei Klassen fast alle Schüler(innen) folgende Frage: "Stimmt es, daß Frauen im Vergleich zu den Männern eine schlechtere Berufsausbildung erhalten?" (Nein = 45, Ja = 3, nicht ausgefüllt = 4; 8. Klasse, Gymnasium Kreuzberg, WS 76/77 und 10. Klasse, Realschule Steglitz, WS 76j77.)
Meiner Meinung nach haben die Schüler(innen) mit ihrer Abwehr allerdings partiell recht. Speziell bei dem Thema Schule müßte man jeweils neue Statistiken verwenden und Schlüsselinformationen einbringen, die das Problem nicht vereinfachen. Vermutlich ist aber der beste Weg, gerade an Stellen, an denen mit Abwehr zu rechnen ist, die Schüler(innen) Informationen selbst entdecken zu lassen.[5] Sie werden zwar höchstwahrscheinlich nur solche Informationen finden, die gerade noch in ihr Wertsystem integrierbar sind, aber die sie wenigstens als selbst gefundene akzeptieren, was bei von außen herangetragenen Informationen bekanntlich häufig nicht der Fall ist.
In den vorliegenden Unterrichtseinheiten findet sich hierfür nur ein Beispiel: Realschülerinnen führten in zwei benachbarten Grundschulklassen einen schwedischen Test zu geschlechtsspezifischen Vorstellungen von 8-jährigen Kindern durch. Die Ergebnisse aus Steglitz entsprachen den Ergebnissen aus Schweden weitgehend. Das Weiterleben von geschlechtsspezifischen Vorstellungen ließ sich nicht länger leugnen. (10. Klasse, Realschule Steglitz, WS 76/77, 31 f.)
Leider muß ich die Thematik - welchen Stellenwert Abwehrreaktionen haben - noch weiter komplizieren. Ich bin nämlich gar nicht so sicher, ob Abwehrreaktionen, wenn sie bewußt werden, immer nur negativ zu sehen sind. Zunächst muß man feststellen, daß in der Schöneberger Gymnasialklasse durch die Abwehr einiger Schülerinnen eine produktive Auseinandersetzung in der Klasse eingeleitet wurde. Nach und nach merkten die Studentinnen, daß die vorne zitierten Positionen nur von einem Teil der Mädchen vertreten wurden. Das wurde deutlich, als die anderen anfingen, sich dagegen zu artikulieren. Abschließend heißt es: "...die angestrebte Zielsetzung, d.h. die Aktivierung schweigsamer  wurde erreicht." Es "läßt sich feststellen, daß die  im Vergleich zu ihrer in den anderen Fächern gezeigten Aufmerksamkeit rege und engagiert arbeiteten, so daß sie teilweise aus ihrer besonders stark ausgeprägten Schullethargie aufwachten." (a.a.O., 86)
Auch bei den Mädchen selbst, die sich bereits als gleichberechtigt sehen wollen, ist nicht abzusehen, wie die Denkanstöße der Unterrichtseinheit langfristig wirken. Es spricht einiges für die psychoanalytische Beobachtung, daß Personen sich häufig gerade dann gegen eine Erkenntnis wehren, wenn sie kurz davor sind, sie zu akzeptieren.
Abschließend sollen die Reaktionen einer anderen Klasse (Realschule Steglitz) skizziert werden. Sie stellt unter dem Aspekt "Abwehr" den Gegenpol dar: Hier identifizieren sich z.B. die Schüler(innen) mit der Frau in dem Film "Weiß ist die Farbe der Verlierer" und überlegen, was die Frauen im Betrieb gegen die gezeigte Benachteiligung hätten tun können (10. Klasse, Realschule Steglitz, WS 76/77, 28f.). Diese Schüler(innen) sind wie in keiner anderen Klasse bereit, persönliche Erfahrungen miteinander zu besprechen. Sie wehren Alternativmodelle nicht ab. In der Abschlußauswertung kommt kaum Kritik, aber viel Zustimmung zur Unterrichtseinheit. Den Jungen gelingt es sogar, das Vorurteil der Praktikantinnen zu zerstören, Jungen würden sich weniger für das Thema interessieren als Mädchen.
Was uns einigermaßen verwundert hatte, war, daß von mehreren Jungen (!!!) aus der Klasse bemängelt wurde, daß wir zu wenig Informationen über die aktuelle Frauenbewegung in den Unterricht eingebracht hätten. Auf die Frage, was ihnen am besten gefallen hatte, wurden von den Jungen die beiden Filme "Weiß ist die Farbe der Verlierer" und "Hausmänner" genannt, von den Mädchen mehrheitlich die Matriarchat-Patriarchat-Stunde. (a.a.O., 49) Wieviel dieser für alle erfreuliche Unterrichtsverlauf langfristig zur Emanzipation der Jungen und Mädchen beiträgt, läßt sich wiederum nicht sagen. Es könnte sein, daß die Schüler(innen), weil sie keine emotionalen und kognitiven Widerstände zu überwinden hatten, gar nicht tiefgehend berührt wurden.
Man stößt hier auf die grundsätzliche Schwierigkeit, daß für die Unterrichtende bzw. den Unterrichtenden immer nur die Kurzzeitwirkungen des Unterrichts sichtbar werden, nicht dagegen die möglichen Langzeitwirkungen, d.h. die späteren Verarbeitungen und Umdeutungen. Damit Erkenntnisse und Erlebnisse überhaupt langfristig erinnert und so erneut bearbeitet werden können, müssen sie für den einzelnen eine Modifikation oder Erweiterung seines subjektiven Vorverständnisses bedeuten. Häufig werden offene, nicht gelöste Probleme besser behalten als Erkenntnisse, die sich widerstandslos in schon vorhandene Deutungsmuster integrieren lassen.

4. Abwehr gegen die Unterstellung von Vorurteilen

Einer Studentin unterläuft folgende Bemerkung: "K. stellte fest, daß, sofern man den Fragebögen Glauben schenken dürfte, in der Klasse nahezu kaum noch grobe Vorurteile gegenüber Frauen bestünden, ob dies jedoch der tatsächlichen Situation entspräche, würde sich im Verlaufe der UE zeigen." (10. Klasse, Realschule Steglitz, WS 76/77, 17) Die Studentin spricht nur laut aus, was die anderen, glaubt man den Berichten, still denken. Hierzu ein Beispiel aus einer Gruppenarbeit zu geschlechtsspezifischer Sozialisation:
...Ähnlich äußerte sie (eine in) sich bei der Frage nach geschlechtsspezifischem Spielzeug. Das sieht doch auch komisch aus, wenn ein Junge mit einem Puppenwagen loszieht. Sie war die einzige, die so spontan ihre vorurteilsbeladenen Vorstellungen äußerte, denn sicher haben auch andere  solche Vorstellungen über männliche und weibliche Rollen, sie äußern sie nur nicht. (8. Klasse, Gymnasium Schöneberg 1, WS 74/75, 26)
Die Schüler(innen) scheinen in der Tat aufzupassen, sich nicht bei vorurteilshaltigen Äußerungen ertappen zu lassen; die Student(inn)en suchen ihrerseits nach Beweisen für das Gegenteil. Es ist sehr die Frage, ob die Hoffnung auf Bekenntnisse der richtige Weg zum Abbau von geschlechtsspezifischen Stereotypen in Denken und Verhalten ist. Vermutlich werden Schüler(innen), je mehr man ihre Vorurteile aufzuspüren versucht, ihre Äußerungen kontrollieren aus Furcht, daß diese zensiert werden. Warum akzeptiert man eigentlich nicht, daß die Schüler(innen) sich als Personen sehen wollen, die die gängigen Vorurteile nicht mehr haben? Man kann sie bei diesem Anspruch ernst nehmen, ihn verstärken und zugleich annehmen, daß der zunächst kognitive Anspruch die Ebene der Empfindungen nach und nach mitstrukturieren wird.
Es gibt direkte und indirekte Formen, den (inne)n Vorurteile zu unterstellen. Eine direkte Form liegt z.B. in folgender Begebenheit vor: Für ein Streitgespräch werden Schüler(innen) gesucht, die gegen ein Mädchen Position beziehen, das sich nicht rollenkonform in einer Diskothek verhalten hat. (Textgrundlage war: Mariechen wirft den ersten Stein von H. Pauli.) "Die Gruppe geht raus, kommt jedoch gleich wieder rein mit dem Problem, alle seien für Mariechen, es fände sich niemand für die Gegenposition." (8. Klasse, Gymnasium Kreuzberg, WS 76/77, 21) Die Schüler(innen) weigern sich also, Positionen, die sie entweder nicht teilen oder als Vorurteile erkennen, zu vertreten.
Indirekte Formen einer Unterstellung von Vorurteilen liegen m.E. immer dann vor, wenn Texte oder Aufgabenstellungen, die stereotype Inhalte reproduzieren, von den (inne)n ernsthaft diskutiert oder ausgeführt werden sollen. (In entspannten Unterrichtssituationen kommt es oft gar nicht so weit, weil die Schüler(innen) über den Text einfach lachen.) Zum Glück zeigen sie bisweilen ihren Unmut oder reagieren mit Verweigerung. So wehrt sich z.B. eine Klasse dagegen, "typische Jungen- und Mädcheneigenschaften" aufzuzählen, weil solche Eigenschaften nicht auf "jeden Jungen oder jedes Mädchen zutreffen" (8. Klasse, Gymnasium Schöneberg, SS 74, 15). In einer Stunde sollen die Schüler(innen) zu einem Text Stellung beziehen:
Mit der Frage nach den Erfahrungen, die denen im Text beschriebenen ähnlich sind, wurde versucht, die Relevanz geschlechtsspezifischen Rollenverhaltens im Erlebnisbereich der  aufzuzeigen. Frage: "Wie muß sich eine Frau verhalten, damit sie von den Männern akzeptiert wird?" Die  reagierten auch hier mit Desinteresse und mangelnder Mitarbeit, was eine Diskussion über die Glaubwürdigkeit des Textes provozierte, in deren Verlauf die  ihn für nicht repräsentativ erklärten. (a.a.O., 32) Die Kommunikation über geschlechtsspezifisches Verhalten wird immer dann erschüttert, wenn die innen) das Gefühl haben, unter eine allgemeine Aussage subsumiert zu werden. Die Praktikant(inn)en beschreiben und erklären im Zusammenhang mit der Existenz von Verhaltensmustern bisweilen Zwänge, die die Schüler(innen) nicht so krass sehen oder sehen wollen. Ich vermute, sie wehren sich letztlich gegen die Unterstellung, daß ihr Verhalten kein frei bestimmtes sei.
Auf spielerische Weise kommt das Nicht-Anerkennen eines Zwangs in folgender Episode zum Ausdruck: Die Praktikant(inn)en hatten über Rollenerwartungen und Sanktionen unterrichtet. Ihr Beispiel war ein Junge, der einen Rock trägt. Am nächsten Morgen kommt ein  tatsächlich mit einem Rock zur Schule.
Auf die Frage, wie die Mit auf sein 'aus der Rolle fallen' reagiert hätten, ob er irgendwelche Sanktionen erlebt hätte, antwortete J.: Sanktionen hätte er keine erlebt, es sei alles nicht so schlimm gewesen. Das Gelächter im Schulhaus und das Aufsehen auf dem Schulhof hat er nicht als 'Sanktion' aufgefaßt. (a.a.O., 25) Ob er beweisen wollte, daß die Sanktionen nicht so einschneidend sind wie angekündigt, oder ob er seine eigene Unabhängigkeit von Rollenerwartungen zeigen wollte, kann ich nicht sagen.
Diese Beispiele und ihre Interpretation sollen nicht heißen, daß die Vermutung der Student(inn)en, die Schüler(innen) äußerten ihre wahre Meinung nicht, immer falsch ist. Bisweilen werden sie durch einen Gruppendruck daran gehindert. Zum Beispiel antworten die Schüler(innen) in einer Kleingruppe auf die Frage, warum in der Stunde vorher so wenig Beteiligung war: "Wenn man seine Einstellung zu Frauen sagen würde und die anderen stimmten nicht damit überein, so ginge ein Riesengetratsche los und man sei 'unten durch'." (10. Klasse, Gesamtschule WS, SS 74, 81)
Für die direkte Kommunikation kommt zur Tendenz der Praktikant(inn)en, den Schüler(inne)n Vorurteile zu unterstellen, die diese verbergen, erschwerend hinzu, daß umgekehrt die Schüler(innen) den Praktikant(inn)en unterstellen, diese würden ihre wahre Meinung verbergen. So heißt es z.B. in einem Bericht:
Obwohl wir uns gar nicht amazonenhaft verhalten haben, sondern betont pluralistisch, wurde des öfteren der Verdacht geäußert, die Frauen wollten nur die Oberhand gewinnen, oder: am besten sollte es wohl keine Männer mehr geben! (9. Klasse, Hauptschule Charlottenburg, WS 76/77, 38)
Die Lösung kann sicher nicht sein, die wahre Meinung besonders geschickt zu verstecken. Gerade "taktisches Verhalten" bietet den (inne)n genügend Angriffsflächen, ihre Zweifel hinsichtlich der vorgebrachten Meinungen zu verstärken. Schwierigkeiten können m.E. verringert werden, wenn man bei affektbesetzten Themen gerade die Einschätzungen thematisiert, die aufgrund unterschiedlicher Lebensbedingungen legitimerweise unterschiedlich zu sehen sind. Dabei wird es gleichgültig, ob Schüler(innen) zu einem Thema stereotype Denk- und Verhaltensweisen haben oder man ihnen diese nur unterstellt. Im Unterricht ist man nicht mehr beim Aufspüren von mehr oder weniger bekannten Vorurteilen, sondern bei der Analyse eines offensichtlich noch nicht gelösten Problems. Dieser Vorschlag verkennt nicht die Notwendigkeit von Parteilichkeit. Zur Verdeutlichung will ich ein scheinbar einfaches Beispiel bringen:
Selbstverständlich sind die Schüler(innen) dafür, daß Frauen berufstätig sind; nur selten zeichnen sich Zweifel daran ab, die aber schnell wieder weggewischt werden. Nur an einer Stelle wird dieser Konsens durchbrochen. Stundenthema ist ganz traditionell die Geschichte eines Schlüsselkindes von Marie Luise Kaschnitz, Popp und Mingel. Die Schüler(innen) arbeiten gut mit und vertreten "sehr differenzierte Standpunkte". Durch die Geschichte ist es ihnen erlaubt, die Perspektive des Kindes einzunehmen, so daß die Frage nach der Berufstätigkeit kompliziert, die Diskussion entsprechend engagiert wird. (8. Klasse, Gymnasium Schöneberg, SS 74, 41 f.)

5. Zur Schwierigkeit, geschlechtsspezifisches Verhalten durch Rollenspiel abzubauen

Weil Rollenspiele bei einstellungs- und verhaltensrelevanten Themen durchgängig empfohlen werden, möchte ich in einem eigenen Abschnitt über unsere Erfahrungen berichten. Acht Rollenspiele von (inne)n sowie fünf Rollenspiele von Praktikant(inn)engruppen werden in insgesamt sieben Berichten beschrieben. Thematische Vorgaben der Rollenspiele sind überwiegend Konfliktsituationen in der Familie am Feierabend. Andere Szenen: Frauen bei der Berufsberatung, Familienkonferenz zur Frage, soll eine Frau mit einem kleinen Kind wieder arbeiten gehen; Verhalten in Lokalen; Familienkonferenz zur Berufswahl von Sohn und Tochter in einer fingierten Epoche, dem Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat. In den Spielen übernehmen  und Praktikanten zum Teil Frauenrollen, innen und Praktikantinnen zum Teil Männerrollen.
Man gewinnt aus den Berichten den Eindruck, daß die Rollenspiele allen Beteiligten viel Spaß machten - und das ist zweifellos nicht wenig. Darüber hinaus aber möchte ich den Aufklärungswert und damit den Lerngewinn der Mehrzahl der in den Berichten beschriebenen Rollenspiele anzweifeln. Die Schüler(innen) spielen die in der jeweiligen Vorgabe angelegten geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen in der Regel so aus, daß die dargestellten Frauen und Männer nur noch aus einem Bündel von negativen Stereotypen bestehen. Auch die Student(inn)en tendieren dahin, ihre Aussagen im Spiel überdeutlich darzustellen. Ergebnis ist, daß die Dialoge häufig aus Klischees bestehen und die Personen sich in Karikaturen verwandeln. Diese Entwicklung scheint weniger aus inhaltlichen Überlegungen zu erwachsen als aus dem Bestreben, die Zuschauer zu unterhalten und die eigenen schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Dazu wird das altbewährte Mittel einer Überzeichnung der Figuren eingesetzt. Eventuell ist bei den
"Schauspielern" auch der Wunsch vorhanden, die eigene Betroffenheit zu überspielen.
Nun läßt sich die Meinung vertreten, ein Rollenspiel könne, gerade indem es stereotype Verhaltensweisen überdeutlich darstellt, zum Abbau von Rollenklischees bei den Zuschauern beitragen. Folgende Zwischenschritte wären dabei anzunehmen: Rollenklischees werden im Spiel der Lächerlichkeit preisgegeben. Der Zuschauer baut eine kritische Distanz zu den gezeigten Verhaltensweisen auf, indem er sie belacht. Dadurch wächst die Bereitschaft, die dargestellten Verhaltensweisen in ihrer Berechtigung zu hinterfragen. Dagegen steht aber, daß die Schüler(innen) in den anschließenden Gesprächen gar keinen Zweifel daran lassen, daß sie ihre eigene Darstellung oder die der Student(inn)en für unrealistisch und übertrieben und deshalb in der Regel auch gar nicht für weiter besprechenswert halten. Diese Haltung nimmt in dem Maße zu, wie die Darstellung auf ihren eigenen Erfahrungsbereich bezogen werden soll.
Nur zwei Beispiele lassen sich finden, in denen die Schüler(innen) nach dem Spiel lebhaft und erfahrungsbezogen über den Spielinhalt zu diskutieren anfangen. Ihre Tendenz, Rollenverhalten in überdeutlicher Form darzustellen, weist wieder darauf hin, daß ihnen Rollenstereotype durchaus bekannt sind. Deren Darstellung hat für sie keinen Aufklärungs- und Informationswert und dient bestenfalls dazu, Rollenstereotype in einem Handlungsablauf wiederzuerkennen. So gesehen ist die ausdrückliche Aufforderung einer Praktikant(inn)engruppe an die Schüler(innen), während des von ihnen vorgeführten Spiels auf "Vorurteile zu achten", adäquat. Im Bericht heißt es: "Die  lachten teilweise, wenn sie merkten, daß jemand ein Vorurteil sagte ... Nach Beendigung des Spiels klatschten die  Beifall, und die Stunde schien gut zu werden." (10. Klasse, Gesamtschule Neukölln, SS 74, 77) In der anschließenden Diskussion werden zunächst die im Spiel gezeigten Vorurteile - als solche bezeichnet - an der Tafel notiert. Dann allerdings wechselt die unterrichtende Praktikantin die Bezugsebene:
S. versuchte zu erfahren, wie bei den Schüler zuhause zwischen den Eltern die Aufgabenverteilung, die Kommunikation und das Rollenverhalten allgemein aussieht. Die Zusammenarbeit wurde sofort sehr schlecht. Die  blockten entschieden ab, aus ihrem Privatleben zu berichten, auch nachdem jemand von uns sein Zuhause geschildert hatte. ... Allerdings reagierten sie anders als erwartet, fanden das Spiel nämlich unrealistisch und gaben zu erkennen, daß es bei ihnen zu Hause ganz anders sei. (a.a.O., 77 und 81)
Die Praktikantin unterstellte mit ihrer Aufforderung, daß das Handeln ihrer engsten Bezugspersonen, eben ihrer Familienmitglieder, durch geschlechtsspezifische Vorurteile geprägt ist (siehe Punkt 4). Was zunächst als Spaß angelegt war, verwandelt sich in eine Attacke. Die Schüler(innen) müssen sich getäuscht fühlen. Die Spielregel war, daß man Vorurteile erkennen sollte. Zwar war in der Unterrichtseinheit zuvor behandelt worden, daß Vorurteile immer einen "wahren Kern" enthalten und Stereotype zur Verhinderung einer allumfassenden Verhaltensunsicherheit eine notwendige Funktion haben, die Übertragung dieser Einsicht auf den eigenen Erfahrungsbereich wird aber durch ein überzeichnendes Rollenspiel gerade erschwert, wenn nicht gar verhindert. Die immanente Tendenz von Rollenspielen zur platten Komik und zur Klischeeproduktion schneidet die Möglichkeit ab, das gezeigte Verhalten zu verstehen, indem man sich teilweise damit identifiziert. Die Schüler(innen) kommen sofort und ungebrochen in die Rolle souveräner Kritiker (hier wäre über die Wirkungslosigkeit der meisten Lustspiele und Satiren zu reflektieren). Da die Spielhandlung selbst klischeehaft ist, wird aber auch eine Analyse des Geschehenen als subjektferne, gesellschaftliche Realität erschwert. Das würde verlangen, daß die Darstellung komplex ist und Unbekanntes enthält, worauf das kognitive Interesse sich richten kann. Versucht man angesichts dieser Schwierigkeit einen dritten Weg, nämlich die Ursachen der geschtechtsspezifischen Stereotype zu analysieren, führt das schnell von der Anschauung, also vom Rollenspiel selbst, weg. Dieses hat dann nur noch die Funktion, Anlaß für eine abstrakte Diskussion zu sein.
Nach den Berichten gelingt es nur an einer Stelle, mit den (inne)n über ihre Rollendarstellung zu sprechen. Die Schüler(innen) spielen in der zweiten Stunde in Kleingruppen mit vertauschten Rollen mehrere Spiele, wobei es den Mädchen offensichtlich leichter fällt, Jungen zu spielen, als umgekehrt:
Um herauszufinden, wo die Gründe dafür liegen könnten, diskutierten wir intensiv über die Funktion des Rollenverhaltens, insbesondere von Männern. Bei dieser eher spekulativen Analyse kamen wir zu dem Schluß, daß es wohl schwieriger sein könnte, von dem hohen Roß der , privilegierten' Männerposition herunterzukommen. Beim Rollentausch werden die Privilegien symbolisch abgelegt, was die  als persönliche Bedrohung empfänden, besonders unter Berücksichtigung ihrer sozialen Stellung in der Klasse.
(a.a.O., 85) Diese insgesamt skeptische Einstellung zur Funktion von Rollenspielen für die Erkenntnis und den Abbau geschtechtsspezifischer Verhaltensweisen muß in einer Hinsicht relativiert werden. Rollenspiele können m.E. dann sinnvoll sein, wenn es gelingt, im Spiel nicht selbstverständliche, aber anzustrebende Verhaltensformen darzustellen. Ein solches Spiel zielt also nicht auf die Analyse von bestehenden, sowieso bekannten, aber dennoch abgewehrten Verhaltensformen, sondern auf die Anschauung besserer Verhaltensformen. Daß solche Spielinhalte weit schwerer zu entwerfen sind als Spielvorlagen mit stereotypen Verhaltensweisen, liegt in der Natur der Sache. In den Unterrichtseinheiten findet sich nur ein Rollenspiel, das dieser Intention nahekommt. In einer fingierten Epoche - Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat wehren sich ein Junge und sein Vater gegen die ihnen noch zugemuteten Rollen, Schwester und Mutter dagegen verteidigen ihre Privilegien. Inhalt und Vorführung sind in unerwarteter Weise komisch. Daß die Fortführung der Geschichte nicht in einem Tausch der Privilegien, sondern in einer gleichberechtigten Teilhabe der Geschlechter an diesen hätte bestehen sollen, ergab sich für die Schüler(innen) als Selbstverständlichkeit. (9. Klasse, Gymnasium Steglitz, WS 76/77)
Gespräche mit zahlreichen Lehrer(inne)n haben mir bestätigt, daß Rollenspiele in der Schule allgemein eine Tendenz zeigen, in kräftige und naive Komik abzugleiten. Dies ist m.E. als Reaktion der Schüler(innen) auf die Lustlosigkeit der Mehrzahl ihrer Unterrichtsstunden zu verstehen. Insofern könnten Rollenspiele im außerschulischen Bereich oder in einer humaneren Schule durchaus mehr Möglichkeiten enthalten, zum Bewußtwerden und zum Abbau geschlechtsspezifischer Stereotype beizutragen.

6. Abwehr aufgrund fehlender Veränderungsperspektiven

Die Abwehr gegen das Thema wird an mehreren Stellen mit Aussagen wie "Wir können ja doch nichts ändern" begründet. So bricht in einer der letzten Stunden nach der Lektüre der Brechtgeschichte Der Arbeitsplatz in einer Hauptschulklasse Unmut aus mit der Begründung: "Was nützt das Erarbeitete, da man doch nichts machen kann?" (9. Klasse, Hauptschule Schöneberg, WS 74/75, 28) In der Abschlußdiskussion der Schöneberger Gymnasialklasse, deren Wortführerinnen immer wieder versucht hatten, die bestehende Ungleichheit und damit die Aktualität des Themas zu leugnen, heißt es:
Letztlich wurde die Aktualität des Unterrichtsthemas von allen Schüler anerkannt. Sie würden jedoch unbefriedigt und resigniert aus der Unterrichtseinheit hervorgehen, da ihnen jetzt zwar die eigene Situation bewußter wäre, sie jedoch keine Perspektiven im Hinblick auf eine Änderung der bestehenden Verhältnisse erkennen können. (10. Klasse, Gymnasium Schöneberg, WS 76/77, 84)
In vier weiteren Berichten finden sich ebenfalls resignative Aussagen.
Zwar wurde in den Unterrichtseinheiten versucht, durch Fallbeispiele (z.B. Interviews mit Frauen, die gerne berufstätig sind), Besprechen von aktuellen Ereignissen (Streik von 90% der Frauen in Island, 1975) oder das Aufzeigen von historischen Entwicklungslinien (siehe Punkt 2) Veränderungsperspektiven nahezurücken. Sicher hätten solche Spiele und Entwicklungen in stärkerem Maße einbezogen werden sollen und können. Ich bezweifle aber, daß resignative Tendenzen dadurch ausgeblieben und Schüler(innen) stärker angeregt worden wären, eine Veränderung ihrer Situation in Angriff zu nehmen. Das würde voraussetzen, daß sie Erkenntnisse und Veränderungen für sich selbst nutzbringend wahrnehmen können. Aus vielen Stellen in den Berichten ist zu ersehen, wie mit dem Thema zunächst Erwartungen hinsichtlich eines persönlichen Gewinns verknüpft werden. Häufig findet sich der abstrakte Wunsch, Beziehungsprobleme oder generell die eigene Situation zu thematisieren.
In einer Gymnasialklasse melden sich die meisten Schüler(innen) für eine Arbeitsgruppe zum Thema "geschlechtsspezifisches Verhalten", während die anderen angebotenen Themen kaum nachgefragt werden. (9. Klasse, Gymnasium Steglitz, WS 76/77, 4f.) Eine Hauptschulklasse kritisiert verschiedentlich während der Unterrichtseinheit, daß ihre eigenen Probleme zu wenig besprochen werden. In der Auswertungsdiskussion heißt es: "Hauptkritikpunkt war, daß wir nicht genügend Zeit und Material zur Verfügung gestellt hätten, die eigene Situation der Schüler(innen) zu diskutieren." (9. Klasse, Hauptschule Charlottenburg, WS 76/77, 38)
Dabei versuchten die Praktikant(inn)en in dieser und in anderen Unterrichtseinheiten immer wieder, das Thema auf die Situation der Schüler(innen) zu beziehen. Die vorgebrachte Kritik resultiert aus der Enttäuschung, daß der Unterricht nicht direkt zur Lösung der Probleme der (Schülerinnen) beigetragen hat. Diese Enttäuschung erscheint mir unvermeidbar. Der unmittelbare Gewinn aus diesem Thema für Schüler(innen) ist in der Tat sehr gering. Eher könnte man von einem unmittelbaren Schaden sprechen: Die vermittelten Einsichten führen, wenn man sie umsetzt, allemal zu einer Steigerung der Konflikte mit Eltern und Freund(inn)en. Die Gefahr einer Isolierung von den jeweiligen Bezugspersonen ist nicht von der Hand zu weisen. Der Unterrichtsinhalt hat demgegenüber nur das Versprechen anzubieten, daß eine Einsicht in subjektive Zwänge und Widersprüche als befreiend erlebt werden kann.

7. Zur Zielsetzung einer Unterrichtseinheit zum Thema "Frauen"

Die Abwehr dagegen abzubauen, die Widersprüchlichkeit der eigenen Situation überhaupt wahrzunehmen, kann als ein zentrales Ziel der Unterrichtseinheit festgehalten werden. Diesem Ziel dient nun aber weder die Absicht, das Verhalten der Schüler(innen) unmittelbar zu verändern, noch die Illusion, die vermittelten Einsichten könnten für die innen) von unmittelbarem Nutzen sein. Mittel zu diesem Ziel ist vielmehr der zurückhaltende Umgang mit allen Ansprüchen, die nicht im Zustimmungsbereich der Schüler(innen) liegen. Diesen Zustimmungsbereich erweitern kann nur jede in und jeder  selbst. Lehrerin und Lehrer können diesen Prozeß erleichtern, indem sie die innen) nicht mit Vorurteilen und fertigen Lösungen, sondern mit offenen Problemstellungen konfrontieren.
Man muß davon ausgehen, daß die Schule, weil sie nicht auf Freiwilligkeit beruht und mit dem sonstigen Leben der Schüler(innen) unverbunden abläuft, bestenfalls die Möglichkeit hat, neue Einsichten zu vermitteln. Diese werden nur wirksam, wenn sie von den (inne)n selbst auf ihre Lebensgestaltung übertragen werden. Eine Unterrichtseinheit zum Thema "Frauen" hat schon viel erreicht, wenn die Schüler(innen) neue Informationen zum Thema annehmen und zu behalten bereit sind. Zusätzlich kann man versuchen, Interesse an weiteren Informationen, die täglich in den Medien und der Umwelt zu entdecken sind, zu entwickeln. Die Bereitschaft zur Informationsaufnahme kann eventuell unterstützt werden, wenn man den Prozeß der selektiven Wahrnehmung selbst theoretisch und bezogen zum Unterrichtsgegenstand macht. Diese im Anspruch zurückgenommene Zielsetzung impliziert, daß man nicht versucht, die Schüler(innen) bei "falschen" Einstellungen zu "ertappen", um diese dann korrigieren zu können, sondern daß man die Schüler(innen) als Personen behandelt, die schon viel wissen und verstanden haben. Durch diese zurückgenommene Zielsetzung kann die weitergehende Zielsetzung - eine emotionale Betroffenheit herzustellen und den Wunsch nach Veränderungen einzuleiten - nebenbei doch noch ins Blickfeld rücken.
Hilde Schramm (Berlin)

Seminar "Geschichte der Frauenemanzipationsbewegung"

Vorbemerkung

Das Seminar "Geschichte der Frauenemanzipationsbewegung" fand im Rahmen der Seminare für Politische Weltkunde (PW) im Sommersemester 1977 am Berlin-Kolleg statt. An dem Seminar nahmen 18 Kollegiatinnen teil.
Methodisch wich das Seminar nicht von der am Berlin-Kolleg üblichen Unterrichtspraxis ab: erste Phase Kleingruppenarbeit, circa drei Sitzungen; zweite Phase Plenumsdiskussion, d.h. die in der ersten Phase von den Klein- bzw. Untergruppen angefertigten Arbeitspapiere wurden im Plenum unter zuvor von allen festgelegten Fragestellungen diskutiert.
Für diesen Bericht machte ich zunächst eine Vorlage, die ich dann mit den Kollegiatinnen, die ich nach dem Seminar noch erreichen konnte, diskutiert, verändert und - z.B. durch wörtliche Zitate einzelner Kollegiatinnen - ergänzt habe.
Das Seminar begann mit einem handfesten Krach: Zwei Männer wollten an dem Seminar teilnehmen, 18 Frauen waren zunächst geteilter Meinung - die eine Hälfte dafür, die andere dagegen. Einige Frauen wollten Fragen und Probleme der Frauenemanzipation prinzipiell nur zusammen mit Frauen behandeln, bei anderen kamen konkrete Erfahrungen und vorausgegangene Konflikte mit einem der Kollegiaten hinzu. Diese Kollegiatinnen provozierten in der ersten Sitzung bewußt den betreffenden Kollegiaten, der dann in seiner Verteidigungssituation wiederum alle anderen Frauen so stark provozierte, daß sich in der Frauengruppe nach der heftigen Auseinandersetzung die Meinung geändert hatte. Jetzt sahen fast alle Frauen nur noch die Alternative: Entweder gehen die Männer oder das Seminar platzt. Der größte Teil der Frauen wollte unter für sie unerträglichen Arbeitsbedingungen nicht mehr daran teilnehmen. Daraufhin ging der eine Kollegiat, der andere erklärte, daß er als Minderheit - den Wunsch der Mehrheit des Seminars nicht akzeptieren werde. Als er in der zweiten Seminarsitzung wieder erschien, hatte ich als Leiterin keine andere Wahl mehr, als ihm unmißverständlich klarzumachen, daß er das Seminar verlassen müsse, weil sonst das Seminar nicht zustande käme.

Nach diesem von allen Frauen als unvermeidlich angesehenen Hinauswurf bestand zwar Einigkeit, daß zusammen mit diesem Mann das Thema nicht habe behandelt werden können. Die generelle Frage aber, ob Probleme der Frauenemanzipation mit oder ohne Männer aufgearbeitet werden sollten, wurde weiterhin unterschiedlich beantwortet. Einige Frauen arbeiteten aktiv im Frauenzentrum oder im LAZ (Lesbisches Aktionszentrum) mit, eine andere in der SEW (Sozialistische Einheitspartei Westberlin), wieder andere suchten erst eine Orientierung oder wollten sich zunächst einmal unorganisiert mit ihren "eigenen", d.h. Frauenproblemen in unserer Gesellschaft beschäftigen. Die lesbischen Frauen wollten ihre eigenen, für sie neuen und besonderen Erfahrungen und Probleme einbringen.
Trotz dieser erkennbaren unterschiedlichen Positionen, Lebens- und Verhaltensweisen überwog ein Harmonisierungsverlangen und die große Erwartung: Frauen untereinander verhalten sich spontan, solidarisch, verständnisvoll, nicht aggressiv und können daher auch gut zusammenarbeiten.
Übersehen wurde von den meisten Frauen zunächst, daß auch dieses Seminar den gleichen institutionellen Zwängen unterlag wie alle anderen Seminare. Es dominierte die normale Seminarsituation, d.h. unpersönlicher Schulraum, nur wenige Kollegiatinnen kannten sich persönlich. Die Frauen der einzelnen Untergruppen ließen sich in ihrer Arbeit nicht nur von ihrem unmittelbaren Interesse leiten, sondern orientierten sich bewußt oder unbewußt gleichermaßen an einem Kriterienpapier für PW-Seminare, das ihre Arbeitsergebnisse und ihre Mitarbeit erfaßbar, d.h. benotbar machen sollte. Ich fühlte mich in einer zwiespältigen Situation: Auf der einen Seite bewußte Mitarbeit in einer Untergruppe (das bedeutete für mich: Teilnehmen am Besprechen, Schwerpunktesetzen und Auswählen der Arbeitspapiere unserer Untergruppe für das Plenum), auf der anderen Seite der von der Lehrerrolle nicht zu trennende Zwang, die von einem gemeinsamen Interesse hervorgebrachten Arbeitsergebnisse mit einer differenzierten Benotung zu beantworten. Die unter anderem durch die individuelle Benotung und die unterschiedlichen Leistungserwartungen immer latent vorhandene Konkurrenzsituation wurde verstärkt durch die Spannungen, die sich daraus ergaben, daß die einen als "stark", die anderen als "schwach" angesehen wurden bzw. glaubten, so angesehen zu werden, oder sich so fühlten. Hinzu kam erschwerend, daß, da Interesse und Motivation sehr groß waren, unser gemeinsam aufgestelltes Arbeitsprogramm für dieses sehr kurze Semester mit nur 13 Sitzungen zu umfangreich geraten war:

  • Ursachen für den Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat (Engels, Bornemann, Beauvoir, Janssen-Jurreit)
  • Lebensformen der Amazonen, 
  • Proletarische und bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg (Aspekte: Ursachen der Entstehung, Trägerinnen, soziale Zusammensetzung, Zielsetzung, Methoden und Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele, Verbündete, Ergebnisse)
  • Sufragetten-Bewegung
  • Neue Frauenbewegung in Deutschland, Westeuropa und in den USA (Aspekte: Ursachen der Entstehung, Trägerinnen, soziale Zusammensetzung, Gruppenstruktur, Arbeitsweise, Ziele, Wirkung in der Öffentlichkeit, nationale Unterschiede, Parallelen zur bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, Möglichkeiten der eigenen Orientierung)
  • Die Stellung der Frau im Nationalsozialismus 
  • Die Stellung der Frau in der DDR
  • Die Entwicklung der Stellung der Frau in der türkischen Gesellschaft (bearbeitet von einer türkischen Kollegiatin)

Nach der ersten, sehr arbeitsintensiven Phase erzeugten diese widersprüchlichen Momente zu große Erwartungshaltung, objektive institutionelle Zwänge, besondere Gruppensituation bzw. -zusammensetzung - zusammen mit der erst zu spät erkannten Arbeitsüberlastung im Verlauf der zweiten Phase Unlustgefühle. So wurden z.B. die Referate der Untergruppen zunehmend weniger intensiv zu Hause durchgearbeitet. Dementsprechend geriet ich mehr als notwendig in die bekannte Lehrerrolle: Strukturieren, Fragenstellen, dominierende Diskussionsbeiträge und so weiter - was uns allen nicht gefiel.
Unzufrieden wurden wir auch, weil wir uns zunächst zu lange in der Vergangenheit aufgehalten hatten, es fehlten die aktuellen Bezüge, die gegenwärtigen Probleme bedrängten uns mehr als die vergangenen. Außerdem stellten wir bei der Behandlung der bürgerlichen Frauenbewegung etwas enttäuscht fest, daß auch Frauen (z.B. die Twellmann, die Janssen-Jurreit), wenn sie über ihre "eigene" Geschichte schreiben, der Gefahr einer personalistischen Darstellung nicht entgehen: auch hier die großen Führerinnen, die die Bewegung bestimmten bzw. aus denen die Bewegung zu bestehen schien.
Sowohl aufkommende Unlustgefühle, Frustrationen und Ängste, eigenen oder fremden Leistungsanforderungen nicht gewachsen zu sein, als auch von Anfang an vorhandene latente oder offene Aggressionen wurden jedoch nicht verdrängt, sondern direkt entweder von einzelnen Frauen oder von mir angesprochen.
Außerdem fanden, um die Gruppen zu stabilisieren, in der ersten Hälfte, in der Mitte und am Ende des Semesters drei Treffen außerhalb der Schule statt, von denen zumindest zwei diese Funktion auch erfüllten: Wir aßen und arbeiteten nicht nur zusammen, sondern besprachen auch Gruppenspannungen, scheinbar persönliche Probleme (z.B. die Doppelbelastung durch Beruf oder Ausbildung und Kinder, eigene Erwartungshaltungen und die unserer Partner) und diskutierten die möglichen oder schon vorhandenen praktischen Orientierungen, z.B. politische Organisation oder Frauengruppe.
Das Ergebnis der weitgehend offenen Aussprachen zeigte sich dann im weiteren Verlauf der zweiten Phase: Die Gruppe wurde wieder wesentlich selbständiger, die Diskussion intensiver und lebendiger. Da wir in der Regel unsere Meinung kompromißlos vertraten, kam es jetzt wieder zu spannungsreichen Debatten, in denen sich einige so unmittelbar angegriffen und zugleich so betroffen fühlten, daß für sie dieses Seminar neue, sie verändernde Erlebnisse und Erfahrungen brachte. Groß war in der Gruppe die Bereitschaft, Konflikte zu lösen und Frauen, die durch ihre politische Position oder Verhaltensweisen vereinzelt waren, nicht zu Aggressionsobjekten werden zu lassen. So äußerte gerade eine der angegriffenen Kollegiatinnen, daß das Seminar wie kein anderes Lernprozesse bei ihr ausgelöst habe:

"Dadurch, daß durch die Kämpfe unter uns keine totale Ablehnung meiner Person entstand, konnte ich mich den Problemen der Frauen öffnen. Ich erlebte in dieser Frauengruppe das erstemal, daß uns Auseinandersetzungen nicht voneinander entfernten, sondern uns menschlich näherbrachten. Ich konnte sie zwar nicht von meinen politischen Ansichten überzeugen, aber ich lernte, daß das gegenseitige menschliche Verständnis für die jeweilige Position des einzelnen eine Voraussetzung für die Überzeugungsarbeit ist. Heute belächle ich nicht mehr den Kampf der Frauen gegen den Mann, weil ich ihre Probleme besser einschätzen kann. Dadurch, daß ich mich ernstgenommen fühlte wenn auch manchmal nur als Gegner -, nehme ich sie nun auch ernst und versuche nicht mehr, sie in eine Position zu zwingen, die sie nicht nachempfinden können. Meine anfängliche Motivation, im Frauenseminar mitzuarbeiten, war kühle Neugier. Ich bedauerte den Verlust dieses Kräftepotentials, das in der Frauenbewegung vorhanden ist, für die sozialistische Bewegung und wollte die Ursachen erforschen. Ich entdeckte, daß das Potential aus Menschen bestand, und ich bin ihnen dankbar, daß sie mir bei diesem Lernprozeß geholfen haben. Sie hätten auch anders reagieren können. "

Sehr kontrovers und spannungsgeladen war die Plenumsdiskussion über die Rolle der Frau in der Gesellschaft der DDR. Hier wie bei anderen Themen wurde die Diskussion immer wieder auf die Frage zugespitzt: Was soll verändert werden, mit welcher Zielvorstellung, von wem, mit wem und wie?
Entsprechend der jeweiligen praktischen Orientierung fielen die Antworten "klassisch" aus. Auf der einen Seite die Meinung, absolute Priorität sollte für Frauen die Beschäftigung mit ihren eigenen Problemen haben, die Stellung der Frau in der DDR und der UdSSR hat sich nicht wesentlich verändert, daher ist auch allen sozialistischen und kommunistischen Parteien entschieden zu mißtrauen. Auf der anderen Seite die von einer SEW-Frau vertretene Meinung: Es ist eine Vergeudung des Kräftepotentials der Frauenbewegung, den Mann als Gegner zu bekämpfen, statt mit Entschiedenheit die Klassenfrage zu stellen und innerhalb der sozialistischen Bewegung mitzukämpfen.
Deutlich wurden diese Positionen schon bei der Behandlung der proletarischen Frauenbewegung. Die Feministinnen in unserer Gruppe betonten in ihrer Kritik, daß die proletarischen Frauen sich zu sehr den politischen Forderungen der SPD-Männer untergeordnet hätten und den "Befreiungskampf der Frau nie vom Blickpunkt des weiblichen Geschlechts her" betrachtet hätten.
Dennoch blieb auch den Feministinnen nicht verborgen, daß trotz des bis in die Siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts vorherrschenden proletarischen Antifeminismus und der auch später nur geringen Unterstützung der politischen und sozialen Forderungen der proletarischen Frauen durch die SPD-Männer die von den Arbeiterinnen gegründeten Frauenvereine nur mit der SPD zusammenarbeiten und mit der gesamten bürgerlichen Frauenbewegung nichts zu tun haben wollten.
Am Ende des Seminars hatten sich die Positionen der Frauen nicht verändert, jedoch hatte sich ein Verständnis für die jeweils andere Position und Lebensweise entwickelt, und den Frauen waren die nicht bewältigten Probleme der eigenen Gruppe oder Partei bewußter geworden. Zum Beispiel die in der Neuen Frauenbewegung weitgehende Verdrängung der Kinderfrage: Erziehungskonzeptionen, Belastungen der alleinstehenden Mütter, Probleme für die Kinder, die in Frauenwohngemeinschaften ohne männliche Bezugsperson großwerden. (Diese Haltung der Neuen Frauenbewegung hat sich in den letzten zwei Jahren entscheidend verändert. / Anm. d. Hrsg.)
In der abschließenden Zensurdebatte diskutierten die Frauen sowohl ihre Beziehungen untereinander - ihre Ängste, ihre Erwartungen, ihre Enttäuschungen und so weiter - als auch ihr Verhältnis zu mir. Dieses Verhältnis wurde im wesentlichen durch meine von mir nicht geleugnete Rolle als Lehrerin bestimmt. Da ich nach dem Kriterium "stark" - "schwach" eher als "stark" galt, wirkte ich als Lehrerin sozusagen doppelt stark und damit für manche Frauen etwas erdrückend. Dabei mußte ich feststellen, daß ich mich offenbar in der Untergruppe anders verhielt bzw. anders wirkte "gleichberechtigter", "weicher" als im Plenum. Einige Kollegiatinnen erwarteten dieses Lehrerverhalten von mir - Diskussionen leiten, strukturieren, mit Entschiedenheit auch mich interessierende Fragen und Problemstellungen einbringen - andere wiederum, die sehr intensiv in meiner Untergruppe mitgearbeitet hatten, zogen sich dann in der Plenumsdiskussion aufgrund meines Lehrerverhaltens etwas zurück.
Einige Frauen - wir kannten uns seit zwei Jahren aus dem PW-Unterricht und mochten uns äußerten andere Ursachen für ihre Hemmungen, zum Beispiel:

"Mich hemmte im Unterricht besonders meine Zuneigung und Anerkennung für Christine. Es war Schüler, etwas zu sagen, aus Angst davor, keine Bestätigung zu bekommen. Ich achtete besonders auf ihre Zuwendung zu mir und auch zu den anderen Frauen. Wir haben festgestellt, daß es vielen Frauen so ergangen ist und die Angst vor Liebesverlust stark das Verhalten jeder einzelnen geprägt hat, je nach dem eigenen psychischen Verhaltensschema."

Als Ergebnis der Zensurendiskussion kam nicht die von einer Kollegiatin vorgeschlagene "Gruppenzwei" heraus. Ich brachte gegen die "Gruppenzwei" meine Bedenken vor: Alle anderen Kollegiatinnen und Kollegiaten würden von mir und den anderen Kollegen nach einem von Kollegiaten und Lehrern gemeinsam erarbeiteten Kriterienpapier, d.h. differenziert benotet. Ob viele Frauen dieser Argumentation folgten, kann ich nicht beurteilen. Jedoch wurde die aufgrund institutioneller Zwänge und eigener Skrupel von mir vorgeschlagene differenzierte Benotung, d.h. viele Zweien, einige Dreien, eine Eins, möglich.
Die relativ ehrliche und aggressionsarme Zensurendiskussion verstärkte meine positive Beziehung zu diesem Seminar bzw. zu dieser Frauengruppe. Ich hatte mich von Anfang an ausgesprochen wohlgefühlt in dieser Gruppe. Ich behandelte dieses Thema zum erstenmal, wußte also auch nicht im einzelnen, was jeweils herauskommen würde. Mein Interesse an der Frauenbewegung war ebenso groß wie das der anderen Frauen-, wir einigten uns sehr schnell auf Fragestellungen und Untersuchungsaspekte, die uns allen wichtig erschienen, weil sie zum Teil unsere eigenen Lebensformen und die sich daraus ergebenden ungelösten Probleme berührten. Ich hatte bisher aktiv in der Gewerkschaft gearbeitet, im Gegensatz zu einigen Frauen des Seminars, aber noch keine Erfahrungen in der Frauenbewegung gemacht.
Die intensive Arbeit der Frauen für dieses Seminar übertraf zum Teil meine Leistungserwartungen, so daß ich nicht wie manche Dozentin an der Universität klagen kann: "Es kam nichts oder nicht viel dabei heraus; oberstes Ziel war, sich wohlzufühlen." (Vgl. Berichte aus der Sommeruniversität für Frauen, Oktober 1977 Berlin)
Da bei der Behandlung dieses Themas meine Lehrerrolle zwar nicht unproblematisch war, insgesamt aber entweder erwartet oder hingenommen wurde, entstanden für mich nicht die typischen Vakuum-Probleme, von denen Dozentinnen an der Universität berichten, die versuchten, so zu tun, als wären sie den anderen Frauen gleichgestellt.
Durch meine bisherige Arbeit am Berlin-Kolleg und in Gewerkschaftsgruppen an Konflikte und Kontroversen gewöhnt, war ich über deren Erscheinen in unserer Frauengruppe auch nicht überrascht. Daß ich mich wohlgefühlt und viel gelernt habe, hing jedoch wesentlich davon ab, wie in unserer Gruppe mit Konflikten und Aggressionen umgegangen wurde.
Christine Scharrer
(Zweiter Bildungsweg, Berlin)

Frauenstudien in der Englischlehrerausbildung

Wenn Lehrinhalte an Schulen verändert werden sollen, so muß dieses Vorhaben in die Lehrerausbildung integriert werden. Diesen Versuch machten wir am John-F.-Kennedy Institut für Noramerikastudien der Freien Universität Berlin.[1] Auch an anderen Universitäten werden inzwischen Seminare innerhalb der Lehrerausbildung durchgeführt, so etwa von Dr. Magdalene Heuser in Göttingen (siehe Bericht in Diskussion Deutsch, Oktober 1977) und von Elke Kerkhoff in Hamburg.

Frauenstudien und Nordamerikastudien

Bevor ich auf das Projekt am John-F.-Kennedy Institut eingehe, möchte ich einige allgemeine Bemerkungen zu der Bedeutung von Frauenstudien an der Universität, speziell im Zusammenhang mit Nordamerikastudien machen. (In Band 1 habe ich eingehender über die Entwicklung von women's studies in den USA berichtet.)
Als richtunggebend für die Ziele von Frauenstudien kann folgendes Zitat aus der Präambel der Verfassung der amerikanischen National Women's Studies Association (gegründet 1776) angesehen werden:

Women's studies sind die pädagogische Strategie eines Durchbruchs in Bewußtsein und Wissen. Die Einzigartigkeit von women's studies liegt in ihrer Verweigerung steriler Abgrenzungen zwischen Hochschule und Gemeinde, zwischen geistigem Wachstum und der Gesundheit des Körpers, zwischen Intellekt und Leidenschaft, zwischen Individuum und Gesellschaft. Women's studies rüsten Frauen nicht nur dazu aus, die Gesellschaft als ganze und produktive Menschen zu betreten, sondern auch dazu, sie zu verändern.

Ich meine, daß für die Entwicklung von women's studies zwei Aspekte ausschlaggebend waren. Der erste ist die Stoßkraft, die sich aus dem Zusammenhang von akademischer Arbeit und Frauenbewegung ergibt; einer Frauenbewegung, welche auch außerhalb der Universitäten grundlegende Strukturen infrage stellt. In den Worten von Florence Howe, einer langjährigen Aktivistin auf dem Gebiet der women's studies heißt das: "Wir sind der akademische Arm einer politischen und sozialen Frauenbewegung; wir sind in hohem Maß ein Produkt dieser Bewegung, und unsere Vitalität und Nützlichkeit hängen davon ab, zu welchem Grad wir auf diese Bewegung eingehen."[2]
Dies bedeutet, daß die Suche nach unserer Identität und der Kampf um Macht, unser eigenes Leben zu bestimmen, Maßstäbe für wissenschaftliche Arbeit werden.[3]
Hieraus ergibt sich aus der zweite Aspekt, der bestimmend für women's studies ist: die fließende Verbindung von Persönlichem und Politischem, von subjektivem Erfahren und objektiven Gegebenheiten. Diese Verbindung ist eine Realität für die an women's studies Beteiligten und wurde in der Forschung zu einer grundlegenden Fragestellung. Während dies in gewisser Weise auch für black studies gilt, wurde dort der sogenannte Privatbereich nie so sehr Teil des analytischen Denkens. Women's studies kann diesen Bereich nicht ausklammern, denn er ist richtungweisend im Leben von Frauen. Welchem Mann wurde je das Schreiben verboten, weil es ihn angeblich krank machen könne, wie es der Heldin in Charlotte Perkins Gilmans Kurzgeschichte "The Yellow Wallpaper" ging? Welchem Mann wird je bei einem Einstellungsgespräch die Frage gestellt: "Wie gedenken Sie diese Arbeit mit Ihren häuslichen Pflichten zu vereinbaren?" Die Liste solcher Beispiele läßt sich endlos fortsetzen. In women's studies wird die Untersuchung von Kultur zur Untersuchung des Alltags einschließlich seiner Privatsphäre. Fragen nach der culture of everyday life müssen ausgehend von dem Spannungsfeld zwischen männlicher und weiblicher Lebensrealität und im Hinblick auf Frauen gestellt werden.
Vom Standpunkt der women's studies sehen wir hier eine starke Affinität zu American Studies. Women's studies bedeutet die Untersuchung der subjektiven Erfahrung von Frauen und ihrer objektiven Gegebenheiten in Geschichte und Gegenwart, sowie die Analyse der Verzerrung und Unterschlagung von Frauen seitens der männlichen Wissenschaft. Diese Aufgabe kann nur durch einen interdisziplinären Ansatz erfüllt werden. Über diese Gemeinsamkeiten hinaus ermöglichen women's studies es den American Studies, ein vollständigeres und genaueres Bild der nordamerikanischen Kultur und Geschichte zu erstellen. Kultur kann nicht als Ganzes erfaßt werden, ohne das Leben von Frauen zu erschließen.
Die Breite der in women's studies angewandten interdisziplinären Studien kommt zum Ausdruck, wenn wir uns z.B. die Literatur zu Seminaren mit Frauenthemen ansehen: Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, daß neben Geschichte auch Anthropologie, Biologie, Psychologie, Ökonomie und Literatur vertreten sind. Sie macht sich auch in innovativen methodischen Mitteln bemerkbar: Zu den vielfältigen Quellen gehören Tagebücher, mündliche Geschichte, Polizeiberichte, Krankenhausberichte,Gerichtsaufzeichnungen, Familiengeschichten, Haushaltsführer, Aufzeichnungen über Lebensgewohnheiten und soziale Umgangsweisen (Nahrung, Kleidung), Briefe, Populärliteratur, Plakate usw.
Der interdisziplinäre Ansatz und die ungewöhnlich differenzierte Auswahl von Quellen erklären sich aus folgenden Gründen: Die Situation von Frauen und ihre Funktion als Arbeiterinnen, Künstlerinnen, Mütter und Aktivistinnen sind nicht in einer Disziplin allein zu entschlüsseln, wie z.B. durch eine Geschichte von Institutionen und Organisationen, von Kriegen und Revolutionen, durch die Analyse elektoralen Verhaltens oder berühmter Kunstwerke. Der sogenannte private Lebensbereich ist in der Geschichte von Frauen fast immer richtunggebend. Ihn miteinzubeziehen und seine öffentliche Bedeutung herauszuarbeiten, heißt jedoch meist, einen interdisziplinären Ansatz wählen und sich nach einer Vielzahl von Quellen umsehen.
Wie sieht es mit der didaktischen Vermittlung in womens studies aus? Die didaktische Methode, die women's studies Seminare prägt, ist eine Ganzheitsmethode: Sie macht sich die Erkenntnis zunutze, daß ein Teil nicht beurteilt werden kann, ohne es in bezug zu anderen Teilen zu setzen. Wie ich oben dargestellt habe, ergibt sich dieser Ansatz aus der Thematik. Er spiegelt sich auch darin wieder, wie die Studentinnen und Studenten den Stoff erleben: Ebenso wie in der Forschung die Privatsphäre miteinbezogen wird, kommt auch für die Studierenden die eigene Betroffenheit zum Tragen. Die Frage "Was hat dies mit mir zu tun?" stellt sich immer wieder.
Ein weiterer Aspekt von women's studies Curricula ist, daß sie traditionelle Hierarchien abbauen. Autorität beruht allein auf mehr Wissen, und Unterrichtende tauschen persönliche Erfahrungen mit Studierenden aus. Aus dieser Verbindung von Wissenschaft und Persönlichem und Politischem ergibt sich ein neuer Autoritätsstil und eine kollektive Arbeitsweise.
Die didaktischen Methoden helfen, diese Ansprüche umzusetzen. Es wird viel in kleinen Gruppen gearbeitet. Unterrichtende sitzen im Kreis mit Studierenden. Dadurch, daß Persönliches als legitimer Gesprächsstoff einbezogen wird, werden Diskussionen ungezwungener und offener geführt. Besonders in den USA schreiben Studierende oft ein Journal für das Seminar, worin Privatleben und Studium verbunden werden. Dies gibt ihnen Gelegenheit, ihre Gedanken zu organisieren, Gelesenes zu reflektieren, Unterbewußtes durch freie Assoziationen bewußt zu machen. Das Journal erwies sich auch als gute Methode, um Studentinnen, die sonst wenig Mut zum Schreiben haben, die notwendige Praxis zu geben. Oral history und Interviews sind besonders wichtig, um eine ungeschriebene Geschichte ans Licht zu bringen.
Für Lehrer(innen), die im Englischunterricht Landeskunde und Literatur der USA vermitteln sollen, ist es also äußerst wichtig, sich während ihres Studiums dieses Wissen aneignen zu können.

"Frauen in den USA" - ein Projekt in der Lehrerausbildung

Im Wintersemester 1974/75 begann das Projekt, das 1977 abgeschlossen wurde: Eine Kollegin und ich entschieden, ein interdisziplinäres Seminar zum Thema "The American Woman in Literature and Society" anzubieten. Hanna-Beate Schöpp-Schilling kam aus dem Bereich der Literatur, ich aus den Sozialwissenschaften und der Fachdidaktik. Wir planten und leiteten einen Kurs zusammen mit einer Studienrätin (Johanna Nickel), die einen Lehrauftrag hatte, sowie mit zwei Tutorinnen. Dabei verfolgten wir drei Lernziele:

  1. einen Überblick zu geben über die ökonomische, soziale und emotionale Situation von Frauen in den USA im 19. und 20. Jahrhundert. Sozialwissenschaftliche und literarische Texte sollten sich ergänzen und der Schülerpunkt weniger auf der Diskriminierung von Frauen als auf ihren Stärken und den Widerstandsformen, die sie entwickelt haben, liegen.
  2. eine Bewußtseinsveränderung zu erreichen über die geschlechtsspezifische Festlegung von Frauen (und Männern) in einer kapitalistisch-patriarchalischen Gesellschaft. In diesem Prozeß sollten die persönlichen Erfahrungen von den Student(inn)en und uns selbst zum Tragen kommen.
  3. die Umsetzung des erarbeiteten Wissens in Unterrichtseinheiten für die Schule. Diese Unterrichtseinheiten sollten in einem semesterbegleitenden Praktikum erprobt und ausgewertet werden.

Wir konzentrierten uns auf fünf Themenkreise: entlohnte Arbeit, unbezahlte Arbeit (vornehmlich Hausarbeit), Beziehungen zwischen Frauen und Männern, Beziehungen unter Frauen, Sexualität. Die Student(inn)en arbeiteten in Gruppen an jeweils einem Thema, bestimmte Texte wurden von allen gemeinsam gelesen. Die Schulpraktika leiteten wir mit mehreren Sitzungen über Fremdsprachendidaktik ein und bereiteten dann die Materialien aus den Themenkreisen für den Unterricht an der Sekundarstufe II auf.
Der interdisziplinäre Ansatz brachte Vorteile, aber auch Schwierigkeiten. Die Student(inn)en lernten literarische Texte von Frauen kennen, zu denen sie bisher keinen Zugang hatten. Sie konnten einerseits den Einfluß sozialer Entwicklungen auf die Arbeit von Autorinnen, andererseits die Wechselwirkung zwischen Literatur und sozialen Bewegungen nachvollziehen. Die parallel verlaufende Vorbereitung auf die Schulpraktika brachte gleichzeitig den Aspekt ein, wie ein solches Thema für den Schulunterricht umgesetzt werden kann. An diesem Punkt traten die Schwierigkeiten auf: Auch in einem 4-semestrigen Seminar war die Anforderung, sich einen Überblick über ein neues Gebiet zu erarbeiten, schuldidaktische Fragen zu erörtern und in die Praxis umzusetzen, zu hoch. So schrieb eine Studentin in ihrer Senimarauswertung:

Zu überladen mit den verschiedensten Aspekten: literarische, sozialwissenschaftliche und selbsterfahrerische ... Wahrscheinlich kann das nur gutgehen, wenn man genau trennt: in der einen Sitzung Literatur, in der anderen soziologische Hintergrundinformation usw. Oder: Planung auf zwei Semester. Man kann mit "Frauenwissenschaft" vermutlich ebenso ganze Universitäten fülIen wie mit "Männerwissenschaft", und sollte nicht versuchen, alles in einem Semester unterzubringen. So ist die ganze Sache - notgedrungen - etwas an der Oberfläche geblieben.
Andererseits: Es entstand der Eindruck von der Fülle der Probleme und der Vielschichtigkeit der Problematik.
Diese Kritik trug auch dazu bei, daß ich mich entschloß, in den weiteren Semestern Seminare anzubieten, die der Vertiefung des Themas dienten.

Der in der Ankündigung vorgegebene Anspruch war bestimmend für das Seminar:
Die Stellung der Frau in der Gesellschaft und ihre historische Entwicklung ... (sollte) als Forschungsgegenstand (aufgegriffen werden), um die patriarchalische Gesellschaftsstruktur bewußt zu machen und verschiedene Aspekte in Literatur und Geschichte von einer feministischen Perspektive aufzuarbeiten.
Ein Seminar mit diesem Ansatz kann nur erfolgreich sein, wenn es einen Bewußtwerdungsprozeß beinhaltet und in der Auseinandersetzung mit dem Thema auch die eigene Betroffenheit erfahren wird. Trotz der Stofffülle gelang dies bis zu einem gewissen Grad besonders in den Kleingruppen, die sich außerhalb des Plenums trafen. Dies gilt für die Studentinnen, aber auch für die Studenten, die ungefähr 20% der Teilnehmer(innen) ausmachten.
Bei der Behandlung der Themen "Frauenbeziehungen" und "Sexualität" teilten wir uns auch im Plenum in kleine Gruppen auf, die bis auf eine geschlechtshomogen waren. Im Laufe des Semesters trafen sich die Männer auch außerhalb des Seminars in einer Männergruppe, um über ihre Sozialisation zu sprechen.
Für viele Student(inn)en war dieses Seminar die erste Begegnung mit feministischen Fragestellungen. Einige kamen aus linken Gruppen und hatten sich von der Perspektive her ansatzweise mit Frauenfragen beschäftigt. Wie schätzten die Studentinnen und Studenten nun diesen Bewußtseinsprozeß ein?

Ein Student, der auch an der Männergruppe teilnahm, schrieb:

  1. Mein persönliches Wertgefüge ist ziemlich ganz zerstört worden bzw. wie ein Kartenhaus zusammengefallen. In seiner Folge stand Kritik und Selbstkritik, aber auch eine regressive Tendenz, die durch die absolute Verunsicherung herbeigeführt worden ist. Niederschlag fand dies in meiner Beziehung zu meiner Freundin, da mir theoretisch zwar einige wichtige Punkte klarer geworden sind, ich emotional aber nicht in der Lage bin, diese Einsichten zu Realitäten umzugestalten, sondern mich in grüblerische Einsamkeit flüchte. In den letzten Tagen bin ich jedoch wieder ein kleines Stück vorwärts gekommen.
  2. Resultierend aus Punkt eins ergibt sich Angst. Angst deshalb, weil ich zwar um meine Bedürfnisse zur Änderung weiß, in konkret notwendigen Situationen jedoch zurückschrecke, weil ich meine Qualifikation für zu gering erachte. Der Konflikt, ein "Softie" zu sein und gleichzeitig durch gesellschaftliche Einflüsse zum "Toughie" programmiert zu werden, bringt nicht nur für mich, sondern auch für meine Umgebung ein gerüttet Maß an Problemen mit sich. Die Beziehung zu meiner Freundin steht teilweise unter enormem psychischem Druck, weil meine Mitteilungsfähigkeit blockiert ist. Auf der anderen Seite steht ein Quasi-Beiprodukt des Seminars, die Männergruppe. Sie hat in einigen Diskussionen Aha-Erlebnisse ausgelöst, ein neues Solidaritätsgefühl entwickeln helfen und meine Beziehung zur Homosexualität verbessert. Allerdings auch hier eine Stagnation, die dadurch bedingt ist, daß nach dem Abtasten der gemeinsamen Fehleinschätzung und -handlungen die weitere Perspektive fehlt. Resignation mischt sich konsequent mit der Einsicht in die Notwendigkeit zur Aktion.

Eine Studentin schrieb:

Bezüglich des Bewußtseinsprozesses hat das Seminar wirklich erhebliche Erfolge zu verzeichnen. Daher hatte ich den Mut und die Bestätigung, die es mir möglich machte, mein Leben und meine Gewohnheiten fast völlig umzukrempeln. Dadurch, daß ich mich inzwischen auch theoretisch mit der Frauenbewegung beschäftige (dank des Seminars), habe ich es geschafft, mich z.B. von meinem Freund zu trennen, mein Studium und meine Wohnung zu wechseln und meine Beziehungen zu Männern neu zu ordnen.

Diese Aussagen sind nicht für alle repräsentativ, zeigen aber doch, wie wichtig der Selbsterfahrungsprozeß für viele war. Für mich als eine der Dozentinnen war der Austausch mit den Studentinnen sehr bedeutend. Er ermöglichte es mir, das Eigeninteresse, das ich an dem Thema hatte, auch ohne ständige wissenschaftliche Rechtfertigung zu vermitteln. Andererseits fand ich mich in der schwierigen Lage, der auch Lehrerinnen sich gegenübersehen: Wieviel von meinen persönlichen Erfahrungen wollte ich einbringen bzw. konnte ich mir leisten, in einer Gruppe einzubringen, mit der ich sonst kein besonderes Vertrauensverhältnis teilte? Daraus ergab sich die Frage: Wie kann ich intellektuelle und emotionale Entwicklungsprozesse auch unabhängig von dem Zusammenhang mit persönlichen Erfahrungen vermitteln? In Gruppen, in denen die Erwartung vorherrscht, den kollektiven Erlebnischarakter über den Austausch persönlicher Erfahrungen herauszuarbeiten, ist dies kaum lösbar. Auch für Studentinnen stellt sich manchmal das Problem, sich einer Gruppe unbekannter Frauen mitzuteilen. Darüberhinaus besteht die Gefahr, daß bei zu starker Konzentration auf Selbsterfahrung die Wissensvermittlung zum Thema des Seminars zu kurz kommt. Dieser Konflikt wurde in einem der folgenden Seminare deutlich, wo mir einige Studentinnen vorwarfen, daß ich mich zu wenig mit meinen persönlichen Erfahrungen einbringen würde, anderen jedoch die Wissensvermittlung wichtiger war.
Ich denke, daß aus diesen Gründen Selbsterfahrung in einem Universitätsseminar keine dominierende Rolle spielen kann und deshalb thematisch jeweils integriert werden sollte. Dies ist am ehesten in Arbeitsgruppen möglich, die sich über längere Zeit treffen und Selbsterfahrung produktiv mit wissenschaftlicher Arbeit (d.h. hier Forschen, Texte diskutieren, Referate anfertigen) verbinden.
In den Schulpraktika ergab sich dann das Problem, innerhalb von vier Wochen einen Teil von dem zu vermitteln, was im Seminar erarbeitet wurde. Natürlich waren eine ganze Reihe der im Seminar behandelten Texte für die Schule nicht verwendbar, konnten jedoch als Hintergrundmaterial für Student(inn)en und Lehrerinnen eingesetzt werden. Die Student(inn)en, die die Praktika in Gruppen von drei bis fünf Personen durchführten und selbst unterrichteten, konnten nur Anstöße geben und das Bewußtsein der  Schüler auf zwei Ebenen sensibilisieren:

  • Schüler(innen) erkannten, daß hier Themen und Texte an sie herangetragen wurden, zu denen sie bisher keinen Zugang gehabt hatten;
  • Schüler(innen) begannen, durch die Diskussion der Verhältnisse in den USA angeregt, sich Gedanken über die Verhältnisse hier und über ihr eigenes Leben zu machen.

Die Kürze der Zeit und die Begrenzung auf das Fach Englisch bestimmten das Ergebnis. Dies wird in den Praktikumsberichten der Student(inn)en deutlich:
Ob wir nun unser Ziel erreicht haben, nämlich ein Problembewußtsein für die Situation der Frau überhaupt zu wecken, läßt sich nicht eindeutig sagen.
Nach der ersten Stunde sagten uns zwei Mädchen (die anderen gingen ohne Kommentar gleich aus der Klasse), wir sollten uns doch nicht solche Mühe geben, in dem Kurs sei nichts zu machen, die hätten zu nichts Lust. Diesen Eindruck konnte man tatsächlich gewinnen. Bis auf diese beiden Mädchen und einen Jungen reagierte niemand positiv oder negativ auf das Thema. Sie hätten sicherlich genauso brav englische Bienenzuchtformen behandelt. Wir haben jedoch den Eindruck gehabt, daß im Verlauf der nächsten Stunden das Interesse am Thema stieg.
Die meisten Mädchen schienen bisher nicht auf die Idee gekommen zu sein, daß sie in irgendeiner Weise benachteiligt sein könnten. Unter dieser Voraussetzung sind fünf Unterrichtsstunden zu kurz (die Studentinnen unterrichteten nur zwei Wochen), um anerzogene und inzwischen verinnerlichte Verhaltensweisen und Anschauungen zu verändern. Sie können infrage gestellt und diskutiert werden, in der Hoffnung, daß doch ein Teil hängenbleibt".

Ähnlich schreiben Praktikantinnen in einem späteren Seminar:

Wir hatten erwartet, daß das Thema "Sozialisation zu stereotypem Rollenverhalten" den Schüler(inne)n ihr eigenes Verhalten verdeutlichen würde. Diesen Anspruch konnten wir nicht verwirklichen, denn erstens sahen sowohl Jungen als auch Mädchen in diesem Thema eine Bedrohung ihrer eigenen Weltanschauung und wehrten sich teilweise gegen neue Kriterien, zum zweiten war das Thema eben doch Schulstoff. Es war also illusorisch, anzunehmen, daß die Unterrichtsreihe sich sofort bewußtseinsverändernd auf die Schüler(innen) auswirken würde; es bleibt aber zu hoffen, daß sich mit der Zeit bei einigen neue Wertsetzungen bilden werden.

Diese Hoffnung hat sich in verschiedenen Fällen bestätigt. So stellte eine Lehrerin, die zunächst meinte, die Unterrichtsreihe habe gar keine Veränderungen bewirkt, nach zwei Jahren freudig überrascht fest, daß mehrere Schülerinnen das Thema zum Abitur wählten.
Ich möchte an einem Beispiel aufzeigen, wie Schüler(innen) aus eigenem Bedürfnis heraus den Bezug eines Themas auf ihre Interessen herstellten. In einer Gesamtschule behandelten wir Fragen der gewerkschaftlichen Organisierung von Frauen anhand von Texten über das 19. und 20. Jahrhundert und anhand des Filmes "Salt of the Earth".[4] Folgendes Gespräch entwickelte sich unter den Schüler(inne)n:

Mädchen: Frauen können sich nicht organisieren, weil sie zwei Jobs haben.
M: Sie müssen es eben wie im Film machen. Die Männer müssen auch die Hausarbeit machen. Dann hat jeder eineinhalb Jobs.
Junge: Es ist aber nicht gut, wenn Frauen Männer kritisieren, wenn sie Hausarbeit machen.
M: Wenn mein Vater mal abwaschen würde, dann wären wir so froh, daß wir nichts sagen würden, wenn er alle Teller fallen ließe.
M: Frauen kritisieren Männer gar nicht so oft. Die sind froh, wenn Männer überhaupt helfen.
J: Männer haben aber keine Ahnung vom Haushalt
M: Die wollen keine Ahnung haben. Bei dir hört sich das an, als wenn die Männer nicht helfen, weil sie immer kritisiert werden.
J: Ich mache Hausarbeit, wenn es mir paßt und weil es mir Spaß macht, und ich mach es für mich.
M: Wie wärs, wenn Frauen es nur täten, wenn es ihnen Spaß macht? Frauen machen es nicht für sich, sondern für andere. Es ist ihnen anerzogen. Sie haben sich für die Familie aufzuopfern.
M: Meine Mutter konnte nichts im Haushalt, sie mußte es erst lernen. Das kann ein Mann ebensogut.

Die Schüler(innen) registrierten dann auf Aufforderung der Praktikant(inn)en an der Tafel, welche Tätigkeiten unter Hausarbeit fallen. Das Resultat war für viele ein Aha-Erlebnis: Sie hatten sich die Komplexität und die Anforderungen dieser Arbeit nie so vor Augen gehalten. Die Praktikant(inn)en entschlossen sich, auf das Interesse der Schüler(innen) einzugehen und die Unterrichtsreihe dementsprechend zu ändern. Sie lasen mit den Schüler(inne)n den Text "l want a wife" von Judy Syfers,[5] in dem eine Frau erzählt, welche Erleichterungen es ihr bringen würde, eine Ehefrau zu haben. Hier wurden die Feststellungen des Tafelbildes noch einmal verstärkt. Mittels eines Textes der Lohn-für-Hausarbeit-Bewegung in England diskutierten sie dann verschiedene Alternativen zur gegenwärtigen Situation. Das Argument eines Schülers, Hausarbeit-machen könne nicht bezahlt werden, da es kein richtiger Job sei, wurde mit Hinweis auf das Tafelbild und dem Syfers Text von den Mädchen entrüstet zurückgewiesen. Immer wieder stießen sie auf den Zusammenhang zwischen Hausarbeit und ökonomischer Abhängigkeit der Frau vom Mann. Als eine Schülerin schließlich die Frage stellte, ob die anderen heiraten wollten, war der Trend der Antworten folgender:

Mädchen: "Nein, ich sehe nicht, warum."
"Ich will einen unabhängigen Job haben, damit ich nicht wie meine Mutter heiraten muß. Sie hatte keinen Beruf und mußte heiraten, um von ihren Eltern finanziell unabhängig zu werden."
"Ich will einen Job haben. Es kann sein, daß ich dann heirate, aber dann bin ich nicht von meinem Mann abhängig."
"Ich will nicht heiraten, man kann auch unverheiratet zusammenleben."
Jungen: "Ich will nicht heiraten."
"Wenn ich heiraten sollte, will ich nicht, daß meine Frau den ganzen Tag zu Hause bleibt, weil es für sie langweilig ist, nur Hausarbeit zu machen."
"Wenn meine Frau nur zu Hause ist, wird sie nicht wissen, was sie mit ihrer freien Zeit anfangen soll. Dann fängt sie vielleicht an, zu viel für sich allein zu machen."
"Warum sollte eine Frau ihren Job für ein Baby aufgeben? Ich könnte dann natürlich auch zu Hause bleiben, aber ich weiß nicht, wie man ein Baby versorgt."

In der weiteren Diskussion wurde über die unterschiedlichen Einschätzungen von Mädchen und Jungen und deren Ursachen gesprochen.
Es ist schwer einzuschätzen, inwieweit hier Veränderungen in Einstellungen und Verhalten bewirkt wurden. Wir können nur feststellen, daß diese und ähnliche Unterrichtseinheiten wenigstens einen Teil der Schüler(innen) dazu motivierten, ihre eigene Situation kritisch zu reflektieren.
Wenn wir von verschiedenen Kompetenzbereichen ausgehen, die im Englischunterricht entwickelt werden sollen, so können wir sagen, daß in dem begrenzten Rahmen einer vierwöchigen Unterrichtseinheit bei diesem Thema das Lernziel "emanzipative Kompetenz" im Vordergrund stand. Eng damit verbunden war das Lernziel "Kommunikative Kompetenz", d.h. die Fähigkeit, in der Fremdsprache Einschätzungen der Texte und eigene Ansichten mit Lehrer(in) und Mitschüler(inne)n austauschen zu können. Weitere Kompetenzbereiche, wie "textuelle Kompetenz" (der sachgerechte und kritische Umgang mit verschiedenen Textsorten) und "methodische Kompetenz" (die Befähigung zu wissenschaftlichen Arbeits- und Denkmethoden) traten notgedrungen in den Hintergrund. Hierfür wäre ein längerer Zeitraum und eine bessere Kenntnis der Schüler(innen) und ihres Leistungsstandes erforderlich gewesen. Wir stellten fest, daß für unsere Zwecke eine Kombination von Sachtexten (einschließlich persönlicher Erfahrungsberichte und Stellungnahmen), literarischen Texten (aufgrund des Zeitmangels Kurzgeschichten, Romanauszüge und Gedichte) und Liedern und Filmen am geeignetsten war.
Für die folgenden Semester entschloß ich mich, dieses Seminar als Projekt fortzuführen. Ich arbeitete mit einer Studienrätin (Heddi Feilhauer, später Elke Stenzel), einer Tutorin (Yvonne Loritz) und in einem Semester mit einer amerikanischen Germanistin (Miriam Frank) zusammen. Aufgrund der Erfahrungen des ersten Seminars entwickelten wir eine zweisemestrige Struktur: In den Sommersemestern erarbeiteten wir uns ein Grundwissen zu bestimmten Bereichen, im Wintersemester führten wir Schulpraktika durch. Neben Fragen der (Fach-)Didaktik und der Erstellung von Unterrichtseinheiten setzen wir uns mit Problemen geschlechtsspezifischer Erziehung und mit der besonderen Situation der Lehrerin auseinander. Auf diese Weise konnten wir uns intensiver mit der Vorbereitung, Begleitung und Auswertung der Praktika beschäftigen.
(Gegenwärtig benutzen wir dieselbe Struktur, um an dem Thema "Growing up" und "Aging" in der amerikanischen Kultur und Literatur" zu arbeiten, d.h. wir untersuchen Vorurteile gegen junge und alte Menschen, deren soziale Situation und Organisationsformen. Im Sommersemester 1978 beschäftigten wir uns mit sozialwissenschaftlichen Aspekten, gegenwärtig sehen wir uns die Darstellung der Thematik in der Literatur an.)
Da die Themenbereiche in den Sommersemestern begrenzter waren (Frauenbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts), war es möglich, mit den Student(inn)en in Arbeitsgruppen ansatzweise Forschung zu betreiben. Arbeitsergebnis war neben Referaten eine Materialsammlung mit Hintergrundtexten und Originaltexten für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe. (Die Sammlung ist im John-F.-Kennedy Institut einsehbar und wird möglicherweise noch veröffentlicht.) Bei dem zweiten Seminar waren noch 20% der Student(inn)en Männer, bei dem dritten kamen keine männlichen Studenten mehr - ein Trend, der sich in vielen Seminaren mit Frauenthemen gezeigt hat. Zum Thema "feministische Kultur" organisierten wir eine öffentliche Veranstaltung. Diese Aktion war eine intensive Erfahrung für die Studentinnen und Seminarleiterinnen: Neben Organisationsfragen klärten wir gemeinsam, welche Inhalte auf der Veranstaltung vermittelt werden sollten und in welcher Form. Die Tatsache, daß es möglich war, über gemeinsame Aktivitäten mit Frauen außerhalb des Seminars in einem Tag einen Eindruck von der Vielfalt feministischer Kultur in den USA zu vermitteln, war eine wichtige Erfahrung für uns alle.
Die Studentinnen hatten Wandzeitungen über Theater, Musik und Kunst von Frauen vorbereitet. Eine Gruppe sang und spielte Frauenlieder aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Miriam Frank brachte ihre Erfahrungen aus Frauentheatergruppen in den USA ein und machte mit uns Übungen für einen Theaterworkshop. Wir zeigten Dias von Werken amerikanischer Künstlerinnen und lasen Gedichte amerikanischer Autorinnen vor. Hier erlebte ich zum ersten Mal, daß deutsche Frauen sich außerhalb der Universität eine Stunde lang englische Gedichte anhörten und sie dann diskutierten.

Schlußfolgerungen

Die negativen Erfahrungen in den Schulpraktika waren eng verbunden mit der institutionellen Struktur der Schule: begrenzte Zeit für ein Thema, Leistungsdruck, Konkurrenz unter den (inne)n. Student(inn)en gehen meist freiwillig in ein Frauenseminar - für Schüler(innen) bleibt es ein Thema im obligatorischen Englischunterricht, sogar wenn sie an der Auswahl des Themas und der Texte beteiligt sind.
Trotz der Schwierigkeiten fanden Schüler(innen), Lehrer(inn)en und Student(inn)en das Thema aus mehreren Gründen wichtig für die Behandlung im Englischunterricht:

  • Es hat eine offensichtliche kompensatorische und ergänzende Funktion. Schüler(innen) lernen etwas über einen Bereich, zu dem sie sonst keinen Zugang haben.
  • Das Thema beinhaltet viele Möglichkeiten, affektive Lernprozesse in Gang zu bringen. Die Lernfähigkeit ist häufig größer, wenn das Thema mit persönlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht werden kann - diese in der Lerntheorie schon verankerte Beobachtung bestätigte sich auch hier. Langfristige Veränderungen in Einstellungen und Verhalten können nicht unbedingt von einer kurzfristigen Konfrontation mit einem Thema erwartet werden, das den gesamten Sozialisationsprozeß infrage stellt. (Untersuchungen in den USA haben allerdings gezeigt, daß auch kurzfristige Intervention die Vorstellungen der Schüler(innen) im Hinblick auf stereotype Berufsziele beeinflussen kann.)[6] Wir konnten jedoch beobachten, daß Schüler(innen) Vorurteile und Wertvorstellungen infrage stellten. In einigen Fällen trat die Wirkung erst nach einer längeren Zeit ein. Hier spielt vielleicht die Alterskomponente eine Rolle: Emanzipation mag für eine 18-jährige Schülerin relevanter sein als für eine 16-jährige.
  • Jede Schülerin und jeder  Schüler haben etwas zu diesem Thema zu sagen. In manchen Fällen erleichterte die Distanz, die durch die Fremdsprache geschaffen wurde, den Schüler(inne)n, über persönliche Erfahrungen zu sprechen. So wurde das Thema auch für schwächere Schüler(innen) zum Anlaß, sich in der Fremdsprache auszudrücken und sich mit einem bestimmten Wortfeld vertraut zu machen.
  • Gruppenarbeit hatte auf jeden Fall einen sehr positiven Einfluß. Dies war ein Vorteil der Praktikumssituation, die es ermöglichte, daß die Praktikant(inn)en sich auf die Gruppen verteilten.
  • Die Zusammenarbeit mit Lehrerinnen im Seminar und die Möglichkeit, daß diese Lehrerinnen Praktikant(inn)en in ihrem eigenen Unterricht betreuen konnten, war ein wichtiger Faktor im Gelingen des Projektes.
  • Der interdisziplinäre Ansatz hatte sich als gut geeignet bewiesen.

Unsere Erfahrung mit diesem Projekt hat uns in der Überzeugung bestärkt, daß women's studies als eigenständiger Bereich in das Curriculum der Universität und der Schule eingeführt werden muß; einmal wegen mangelnder Informationen und der Verzerrung der Position der Frau in traditionellen Curricula, zum anderen weil das Thema das Potential beinhaltet, Einstellungen und Verhaltensweisen zu verändern, die auf der Unterdrückung von Frauen aufgebaut sind. Gleichzeitig fordern wir, daß Frauen, ihre gesellschaftliche Position, ihre Leistungen und Kämpfe in das allgemeine Curriculum integriert werden: Es reicht nicht aus, einen Kurs z.B. in "Geschichte der Frau" anzubieten, wenn Frauen im Rest des Geschichtscurriculums weiterhin ignoriert werden.
Eine solche Revision des Curriculums wird viel Zeit in Anspruch nehmen und politische Initiativen von Eltern und Lehrer(inne)n erfordern. Seminare in Frauenstudien an Universitäten und in der Lehrerfortbildung können dazu beitragen.
Projekte wie das hier beschriebene erfüllen mehrere Zwecke:

  • in ihnen werden Materialien für die Verwendung in Schulen entwickelt;
  • sie bieten Student(inn)en die Möglichkeit, sich mit women's studies auseinanderzusetzen und gleichzeitig ein Schulpraktikum darüber durchzuführen;
  • sie sensibilisieren zukünftige Lehrer(innen) für geschlechtsspezifische Diskriminierung in Schulen und erhöhen ihre Bereitschaft, Frauen in den Lehrplan miteinzubeziehen;
  • die Inhalte und Materialien eines solchen Projekts könnten auch für Lehrerfortbildungskurse verwendet werden.

Aus solchen Seminaren können sich auch Initiativen entwickeln, wie wir sie in Berlin durchführten: Wir versuchten mit einigem Erfolg, die Neugestaltung des Englischcurriculums für die gymnasiale Oberstufe dahingehend zu beeinflussen, daß Frauen in dem landeskundlichen und literarischen Bereich stärker integriert wurden.
Dagmar Schultz

Die Zurückhaltung der Mädchen legte sich nur während der Stunden,
in denen Gruppenarbeit in getrennten Jungen- und Mädchengruppen
gemacht wurde

Auswertung von Schulpraktika

"Als Englischlehrerin an einem Berliner Gymnasium habe ich im Rahmen des zuvor beschriebenen Projekts an der Vorbereitung von Unterrichtseinheiten, die in Schulen erprobt werden sollten, teilgenommen und zwei Praktika an meiner Schule durchgeführt. Im folgenden will ich versuchen, Erfahrungen und Beobachtungen wiederzugeben, die von den Studentinnen, Schüler(inne)n und mir während der Praktika gemacht wurden.
Das erste Praktikum fand während des WS 1976/77 mit einer Gruppe von vier Studentinnen in einem Grundkurs des zweiten Semesters der gymnasialen Oberstufe (8 Mädchen, 6 Jungen) statt. Nach längeren Vorüberlegungen am Beginn des Semesters entschieden sich die Studentinnen, das Thema "Women and Word" zu behandeln, und hatten dazu Texte,[1] Werbeanzeigen [2] und ein Lied [3] ausgewählt. Die zweite Praktikantinnengruppe (WS 1977/78) - wiederum vier Studentinnen
hatte sich vorgenommen, mit den Schüler(inne)n eines Profilkurses der Einführungsphase (9 Mädchen, 11 Jungen) den Bereich Sekundärsozialisation, insbesondere die Situation an der High School, zu besprechen, da sie dieses Thema für wichtig erachteten und auf den Erfahrungsbereich der Schüler(innen) eingehen wollten. Die Studentinnen hatten vor Beginn des Praktikums die besondere Unterrichtssituation von Profilkursen diskutiert. Hier werden Schüler(innen) zum erstenmal nicht mehr im Klassenverband unterrichtet, sondern in frei wählbaren Kursen, die sie auf die besonderen Anforderungen in den Leistungsfächern des Kurssystems vorbereiten sollen. Da die Jungen in diesem Kurs überwogen, achteten die Praktikantinnen besonders darauf, Thema und Texte sowohl auf die Schülerinnen als auch auf die  Schüler auszurichten. Sie entschieden sich für folgende Texte, die ihnen auch unter dem Aspekt des sprachlichen Schwierigkeitsgrads geeignet erschienen: Blue for a Boy,[4] Growing up Sexist,[5] Growing up Popular,[6] High School Women - Oppression and Liberation.[7]
Die meisten Schüler(innen) wurden bei Beginn des Praktikums zum erstenmal mit frauenspezifischen Themen konfrontiert. Das Gebiet Women's Studies ist in den Lehrplänen der Berliner Gymnasien für das Fach Englisch nicht vertreten. Das mit der Reform der gymnasialen Oberstufe erarbeitete Curriculum für Englisch sieht die Behandlung dieses Bereiches ebenfalls nicht vor. Die ausführliche Leseliste des Leistungskurses XI: "Bedeutende Werke der amerikanischen Literatur", enthält z.B. ausschließlich Werke männlicher Autoren. Alle im Fach Englisch vorgesehenen Lehr- und Lernmittel für die Unter- und Mittelstufe an meiner Schule (Learning English A2, A3 sowie Modern Life des Klett Verlags) enthalten zahlreiche Beispiele für traditionelle Rollenverteilung. Die Schüler(innen) erhalten somit ein völlig verzerrtes und unvollständiges Bild.
Die Begegnung mit einem neuen Themenbereich stieß deshalb zunächst auf lebhaftes Interesse der Schüler(innen); bei der vorbereitenden Besprechung zeigten sie sich begeistert und kooperativ. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß die Schüler(innen) trotz der Vielfalt der angesprochenen Probleme und trotz häufigen Medienwechsels nur immer wieder die gleiche Grundproblematik sahen, die sie vermeintlich längst erkannt und bewältigt hatten oder die sie nicht auf sich bezogen. Sie waren an tiefergehender Problematisierung kaum interessiert, sahen die Texte und Materialien nach kurzer Zeit als unumgänglichen Unterrichtsstoff an und fühlten sich häufig übersättigt und gelangweilt. Der Anspruch, den Schüler(inne)n eigenes Rollenverhalten bewußtzumachen und Verhaltensänderungen zu erwirken, konnte während der Praktika nicht verwirklicht werden.
Es ist jedoch falsch, mit Enttäuschung und Resignation zu reagieren, wie ich es bei den Studentinnen häufig beobachtet habe, denn die Gründe für diesen nicht unmittelbar sichtbaren Erfolg sind unschwer zu erkennen. Sie liegen in den Zwängen des heutigen Schulsystems, insbesondere der reformierten gymnasialen Oberstufe, in der Leistungsdruck und Konkurrenzverhalten der Schüler(innen) untereinander die Arbeit außerordentlich erschweren. Die Auflösung der Klassenverbände im Kurssystem verursacht, daß die Schüler(innen) nur noch in sehr losem Kontakt zueinander stehen. Sie besuchen in der Oberstufe etwa sieben bis acht Kurse, die alle verschieden zusammengesetzt sind. Die Bildung neuer Bezugsgruppen ist somit nahezu ausgeschlossen. Dadurch wird ihre Bereitschaft erheblich beeinträchtigt, miteinander über Themen zu diskutieren, die sie persönlich betreffen. Außerdem spielt eine Rolle, daß die Schüler(innen) das Einbeziehen persönlicher Erlebnisse und Erfahrungen oft als unerwünschte und nicht berechtigte Einmischung in ihr Privatleben interpretieren oder in den Themen eine Bedrohung ihrer Weltanschauung sehen. Zudem haben sie wohl häufig die Erfahrung gemacht, daß die Behandlung der vielen "progressiven" Themen, die im Unterricht an sie herangetragen werden, kaum zu wirklichen Veränderungen ihrer Situation als Schüler(innen) geführt hat.
Meiner Meinung nach reicht es nicht aus, die Lernziele in eine vierwöchige Unterrichtseinheit zu packen. Die Abwehr der Schüler(innen) ist häufig besonders stark bei der Behandlung von Themen wie z.B. geschlechtsspezifische Diskriminierung, daher sollte von Beginn an bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Problematik des Sexismus hingewiesen bzw. darüber diskutiert werden. Leider sind an meiner Schule immer noch zuwenig Kolleginnen und besonders Kollegen bereit, sich für dieses Thema zu engagieren. Im Englischunterricht wirkt auch der Anspruch erschwerend, den Unterricht ausschließlich in der Fremdsprache abzuhalten. Viele Antworten und Beiträge unterbleiben besonders bei schwächeren Schüler(inne)n aufgrund von Unsicherheit und Hemmungen.
Wir hatten erwartet, daß die Diskussion der Probleme von Frauen besonders die Mädchen stärker ansprechen und zur Mitarbeit motivieren würde. Auch hier wurden die Erwartungen eigentlich enttäuscht. Die Jungen waren generell aktiver, d.h. reagierten spontaner und meldeten sich öfter und schneller zu Wort. Die Zurückhaltung der Mädchen legte sich nur während der Stunden, in denen Gruppenarbeit in getrennten Jungen- und Mädchengruppen gemacht wurde. Sie redeten in den einzelnen Mädchengruppen ziemlich frei und unbefangen, beteiligten sich intensiver als im Frontalunterricht und gewannen dadurch größeres Selbstvertrauen, das sich auch nach Beendigung des Praktikums in stärkerer Mitarbeit bemerkbar machte. Die Thematik, die sich besonders in dem Profilkurs mit den Schwierigkeiten in der Interaktion zwischen Schülerinnen und Schülern befaßte, trug dazu bei. Als ich die Schülerinnen daraufhin ansprach und meiner Freude über ihr verändertes Verhalten Ausdruck gab, erklärten sie, daß sie sich sehr viel sicherer fühlten und weniger Angst hätten, sich auch vor einer größeren Gruppe zu äußern.
Literatur- und Facharbeiten behandeln zum erstenmal das Thema Frauen. So hat sich Semra, eine türkische Schülerin des Profilkurses, im Rahmen einer längerfristigen und umfangreicheren Hausarbeit mit dem Roman Rubyfruit Jungle von Rita Mae Brown beschäftigt und ihre eigenen Erfahrungen in sehr offener Weise eingebracht. Eine andere Schülerin, Sabine, hat über Small Changes von Marge Piercy geschrieben. Zwei Schülerinnen des Grundkurses, Petra und Birgit, gaben anderthalb Jahre nach Beendigung des Praktikums das Thema "Women and Work" als Wahlgebiet für die mündliche Abiturprüfung an. Dies war für mich um so überraschender, als sich beide während des Praktikums meist passiv verhalten, allenfalls auf Textfragen geantwortet, aber selten an Diskussionen teilgenommen hatten.
Sexistisches Verhalten von Lehrern und Lehrern und Schülern Schülerinnen gegenüber wird seltener hingenommen, sondern aufgegriffen und diskutiert. Das ist mir z.B. während einer Englandreise mit dem Profilkurs aufgefallen, als eine kleine, sehr dominante Gruppe von Jungen sich bestimmten Mädchen gegenüber ziemlich unverschämt und aggressiv verhielt. Nach kurzer Zeit wurde dieses Verhalten von mehreren anderen Schülerinnen angesprochen, besonders nachdem sie bemerkt hatten, daß die betroffenen Mädchen sich nicht wehrten oder wehren konnten. Immerhin ist es nach mehreren, sehr engagiert geführten Diskussionen gelungen, die Jungen zu einem veränderten Verhalten zu veranlassen.
Trotz dieser vielen Probleme, die allen Beteiligten Schwierigkeiten bereiteten, halte ich das Projekt in vielen Bereichen für gelungen. Von allen Studentinnen wurde wiederholt betont, daß ein semesterbegleitendes Schulpraktikum mit vorwiegend eigener Unterrichtstätigkeit sehr viel vorteilhafter ist, als wenn man am Unterricht vier Wochen lang nur hospitierend teilnimmt, da es die Gelegenheit bietet, eine Vorstellung von der späteren Situation als Lehrerin zu entwickeln.
Als wirklich wichtig für die Arbeit in der Schule hat sich die im Rahmen des Projekts erarbeitete umfangreiche Materialsammlung erwiesen, die didaktisch aufbereitet und an Schulen erprobt wurde.[8] Sie ermöglicht die Behandlung frauenspezifischer Themen auch über die Schulpraktika hinaus. Bisher ist die Veröffentlichung dieser Materialien nicht möglich gewesen, da ein Schulbuchverlag Auflagen machte, die nicht akzeptabel waren: Historische Materialien und Texte zur Frauenbewegung sollten weitgehend herausfallen. Wir versuchen jedoch gegenwärtig, andere Schulbachverlage für eine Veröffentlichung zu interessieren.
Weiterhin führte das Projekt zu Veränderungen im Lehrplan für das Fach Englisch in der Oberstufe. In das inzwischen dritte Curriculum ist nun endlich das Gebiet Women's Studies integriert, ganz ohne Zweifel auch ein Erfolg der Bemühungen der am Projekt beteiligten Dozentinnen und Lehrerinnen. Leider ist dies nur ein bescheidener Ansatz. So ist das Thema lediglich als eines von mehreren unter der Überschrift "Social Groups of the USA (e.g. Women)" in den Leistungskurs "Current Problems of the American Society" eingegangen. Der Kurs "Twentieth Century American Literature" kann u.a. auch am Beispiel "American Women Writers" behandelt werden, wenn auch die neuere feministische Literatur nicht in der Leseliste vertreten ist.
Elke Stenzel (Gymnasium, Berlin)

"Women's Liberation" am Zweiten Bildungsweg

1. Fragen bei der Durchführung eines
solchen Schulpraktikums

Zwischen dem Sommersemester 1976 und dem Sommersemester 1977 wurden am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Dagmar Schultz und Heddi Feilhauer fachdidaktische Seminare veranstaltet, bei denen die Student(inn)en Gelegenheit hatten, Unterrichtseinheiten zum Thema "Die Frau in den USA in Literatur und Gesellschaft" zu erstellen und in semesterbegleitenden Schulpraktika an Berliner Gesamtschulen, Gymnasien und am Berlin-Kolleg (Zweiter Bildungsweg) zu erproben.
Die erste Student(inn)engruppe, die vom John-F.-Kennedy-Institut mit ihren Unterrichtsmaterialien zum Berlin-Kolleg kam, stellte ihr Rollenverständnis gleich von zwei Seiten in Frage:

  • Die Rolle der Frau: Ist eine Veränderung von Geschlechtsrollenstereotypen im Rahmen des Unterrichts möglich?
  • Die Berufsrolle: Haben Lehrer(innen) am Zweiten Bildungsweg ein anderes Selbstverständnis und eine andere Erwartungshaltung?

Die drei Studentinnen und zwei Studenten waren im Seminar an der Universität sehr zuversichtlich gewesen: Im Gegensatz zu den Praktikantengruppen am Ersten Bildungsweg würden sie keine Disziplinsorgen in ihrem eigenverantwortlichen Unterricht haben, und außerdem erwarteten sie mit den nahezu gleichaltrigen Kollegiat(inn)en anregende Diskussionen mit viel persönlichem Bezug zum Thema. Wir hatten im Seminar die divergierenden Englisch-Vorkenntnisse der Kollegiat(inn)en besprochen, die auf deren verschiedenartige Schul- und Berufshintergründe zurückgehen, und wir hatten den kompensatorischen Aspekt der leistungsdifferenzierten Kurse am Modell des Berlin-Kollegs erarbeitet. Trotzdem wurde die Praktikant(inn)engruppe von manchen Erscheinungen im Lernverhalten der Kollegiat(inn)en völlig überrascht.
So stellten sie in den Kursen mit geringerem Kenntnisstand irritiert fest, wie häufig Lernblockierungen im Fremdsprachenunterricht auftreten können, wenn erwachsene Lernende ihren inhaltlichen Ansprüchen aufgrund ihres mangelnden Sprachvermögens nicht gerecht werden können. Die Student(inn)en kannten diese Lernhemmungen aus der eigenen Schulzeit nicht, denn da waren Sprachkompetenz und inhaltliche Komplexität gleichzeitig gestiegen. Sie versuchten, dem Problem hauptsächlich mit Ermutigung zu begegnen, indem sie ihre Ausdrucksweise, z.B. durch kurzschrittigere Fragen und leichter überschaubare Satzbaumuster, der Lerngruppe anpaßten. Die Praktikant(inn)en griffen zu solchen Interaktionsweisen und Methoden wahrscheinlich deshalb ziemlich schnell, weil diese ihrem Selbstverständnis als Lehrende entsprachen.
In unserem anschließenden Beobachtungsaustausch kam zur Sprache, wie geradezu "spontan und instinktiv", teilweise sogar übertrieben, die Studentinnen diese Seite des Berufsbildes ausfüllten. Mir selbst fiel dabei zum erstenmal auf, daß die klassischen Merkmale der Frauenrolle - stützend, geduldig und freundlich zugewandt zu sein, vorsichtig die Bedürfnisse anderer erkundend und fördernd, alle Sorgen und Ängste anderer verstehend von den Lehrerinnen des Zweiten Bildungsweges besonders nachdrücklich erwartet zu werden scheinen. Gerade so, als hätten diese Frauen für die Versäumnisse einer ungerechten Gesellschaft, in der Sozialisationsdefizite produziert werden, wieder einmal ein schlechtes Gewissen zu haben. Die Übertragung geschlechtsstereotypen Verhaltens auf die Berufsrolle bemerkte ich auch bei späteren Praktikant(inn)engruppen: Wurde z.B. zu sachorientiert vorgegangen, wurden zu schwere Texte ausgesucht oder wurden Verzweiflung und Unmut eines Kurses erst relativ spät wahrgenommen, so geschah das fast jedesmal in der Stunde eines Studenten.
In den Kursen mit dem höchsten Vorwissen sah sich die erste Praktikant(inn)engruppe den sprachlichen und inhaltlichen Anforderungen des Kurses mitunter nicht gewachsen. In dieser Situation gab es bei keiner Praktikantin und bei keinem Praktikanten ein angemessenes Verhaltensrepertoire für eine Lehrperson, die Fragen nicht beantworten kann - z.B. nach Querverbindungen des Themas "Women's Liberation" zu "American Trade Unions" oder zur Lage der "Blackamericans". Sie reagierten hier mit sehr ähnlichen, verunsicherten und ängstlichen Äußerungen. In den Diskussionen darüber stieß die Gruppe auf verinnerlichte Autoritätsstrukturen. Da im Unterricht mit Erwachsenen Selbständigkeit vorausgesetzt und Aktivierung intendiert werden, kommen diese Strukturen hier wahrscheinlich klarer zum Ausdruck als im gymnasialen Unterricht, wo die weitaus eindeutigere Absteckung der Rollenvorschriften bereits beim Altersunterschied zwischen Lernenden und Lehrenden beginnt. Andererseits kritisierte die Gruppe die Praxisferne der meisten ihrer Studieninhalte. Sie stellte fest, daß die Form der Schulpraktika, bei der die didaktische Reduktion eines wissenschaftlich erarbeiteten Themas und die Erprobung der Materialien in eigenen Unterrichtsversuchen im Mittelpunkt stehen, noch viel zu wenig angeboten wird. Sie sahen in der Ausweitung solcher Projekte eine wirksame Gegenmaßnahme zum vielzitierten Praxisschock. In der Tat bekommen viele angehende Lehrer(innen) das Schulcurriculum ihrer Fächer in der oft als repressiv empfundenen Referendarzeit zum erstenmal zu Gesicht. Werden sie dann in der Sekundarstufe II eingesetzt, bleibt viel zu wenig Gelegenheit, unter dem Druck der arbeitszeitlichen und psychischen Belastungen auch noch die inhaltlichen Anforderungen des Kursangebots in einer für sie selbst und die Schüler(innen) befriedigenden Weise erfüllen zu können - geschweige denn, sich mit den Auswirkungen und möglichen Lücken der Oberstufenreform auseinanderzusetzen. (Hinsichtlich der Auswirkungen sollte man z.B. einmal den Sozialstatus und die Motivationsstruktur der Teilnehmer an Grund- und Leistungskursen im Fach Englisch analysieren, und hinsichtlich der Lücken braucht man nur einmal zu testen, wie häufig das Thema "Women" im Englisch Curriculum zu finden ist.)
Dank der offenen Curricula am Berlin-Kolleg konnte das Gebiet "Women's Liberation" von den Kursen als ein eigenständiges Abiturthema gewählt werden. Es wurde dementsprechend gründlich und relativ differenziert bearbeitet. Da die Kollegiat(inn)en in ihrer Ausbildungszeit ihre bisherigen Wertvorstellungen und ihr soziales Beziehungsgefüge im allgemeinen neu durchdenken, kann ich mir vorstellen, daß Äußerungen in Einzelgesprächen auf eine größere Anzahl von Kollegiatinnen zutrafen: Sie unterstützten den Unterrichtsgegenstand vehement, weil er viel mit ihrem Erfahrungsbereich zu tun hatte und sie sich von ihm versprachen, ein bewußteres Verhältnis zu ihrer Vergangenheit zu bekommen. In diesem Zusammenhang erörterten die Praktikant(inn)en im begleitenden Universitäts-Seminar die Mitbestimmung von Lehrinhalten als eine erwachsenengemäße Alternative zur Oberstufenreform. Diese Überlegungen standen ganz im Gegensatz zu den Problemen der Praktikant(inn)engruppen an den Gesamtschulen und Gymnasien: Sie beklagten, daß ihre Materialsammlungen, um sie überhaupt in Kursthemen wie "Social Problems" bzw. "Minorities" unterbringen zu können, mitunter auf wenige, plakative Texte zusammengestrichen waren.
Der wesentliche Grund, warum die Praktikant(inn)en des Berlin-Kollegs aus dem für sie meist erstmaligen Berufskontakt ein überwiegend positives Erlebnis mitnahmen, war sicher die Verwirklichung des thematisch und didaktisch selbständig erstellten Unterrichtskonzeptes. Zusätzlich konnten sie ansatzweise Einstellungsänderungen bemerken: Es wurden verstärkt Frauenthemen für Facharbeiten gewählt, die Frauengruppe des Berlin-Kollegs war aktiv, und etwa fünfzehn der Frauen, die sie unterrichtet hatten, besuchten Selbsthilfe- und Selbstverteidigungskurse. Zum einen war dies auf die allgemeine Sensibilisierung für die Belange von Frauen zurückzuführen, die sich auch in anderen Unterrichtsfächern niederschlug, zum anderen lag es sicher auch am Engagement der Praktikant(inn)en. Die Diskussionsbereitschaft von Cornelia Dittmar, Gertraude Krüger, Harry Holz, Josef Classen und Magdalena Krien, ihre sorgfältige Bearbeitung des Themas und, Iast not least, ihre Identifikation mit dem Gegenstand, den sie unterrichteten, waren Voraussetzungen, die Lehrer(innen) nach einigen Jahren der Berufspraxis gewiß nicht mehr mit dieser Intensität erfüllen können. Hierfür danken ihnen die Kollegiat(inn)en und das Lehrer(innen)-Team.

II. Erfahrungen mit dem Thema "Women's Liberation"

Die Unterrichtsreihe "Women's Lib" wurde im Englischunterricht durchgeführt. Der Englischunterricht am Berlin-Kolleg ist leistungsdifferenziert, wobei die Kurse mit den geringsten Vorkenntnissen die höchste Stundenzahl haben. Der Vorschlag, für das schriftliche Abitur im Sommer 1977 "Women's Liberation" als einen Themenbereich zu wählen, kam im wesentlichen aus dem schwächsten Kurs und Teilen des fortgeschrittensten Kurses; andere Kurse schlossen sich an.
In der Auswahldiskussion der in Frage kommenden Themen (es waren u.a. Ecology, Urban Dilemma, Minorities, Juvenile Delinquency aufgestellt worden) zeigten sich die ersten typischen Abwehrreaktionen: Das Thema ist zu abgegriffen. Wen interessiert das noch? Wir sind doch gemischte Gruppen, das sollen Frauen unter sich besprechen. Ich fühle mich schon befreit. Da keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse zustandekamen, gab schließlich das einstimmig vorgebrachte Interesse des schwächsten Kurses den Ausschlag. Die anderen Kurse sahen ein, daß seine Motivation ihm eine Lernhilfe sein konnte, die seine geringeren Vorkenntnisse zum Teil kompensieren konnte. Woher seine Motivation im einzelnen kam, können wir als Lehrerinnen nicht mehr genau nachvollziehen. Sie ging auf jeden Fall einher mit der kurz zuvor vollzogenen Gründung einer Frauengruppe am Berlin-Kolleg. Auch persönliche Betroffenheit führten die Kollegiat(inn)en an.
Das Lehrerteam - vier Lehrerinnen und ein Lehrer - arbeitete sehr eng zusammen. Spannungen entstanden dort, wo der Lehrer genau jene Verhaltensweisen zeigte, gegen die die Texte, die er austeilte, argumentierten: Er handhabte Termine etwas lasch, wollte aber immer genau informiert werden, und es ergab sich, daß Tipp- und Kopierarbeiten ausschließlich von uns Lehrerinnen übernommen wurden. Gespräche mit ihm darüber machten uns deutlich, wie sehr selbst solche Akademiker, die aufgrund ihres theoretischen Anspruchs wahrscheinlich "soft" zu nennen wären, in ihrer Erwartungshaltung und in ihrem praktischen Verhalten Arbeitskolleginnen gegenüber immer noch von ihrem verinnerlichten Rollenmuster bestimmt sind.
Die Texte gruppierten sich um die Themenschwerpunkte:

  • - Women and Work
  • - Socialization Psychology
  • - Identity Women's Movement

Der Kurs, der von den fünf Parallelkursen die geringsten Englischvorkenntnisse hatte, bestand aus vier Frauen (eine verheiratet, eine ein Jahr vor dem Abitur geschieden) und sechs Männern (zwei verheiratet, von denen einer ein Kind hat und der andere zwei - seine Frau trennte sich etwa ein Jahr vor dem Abitur von ihm und den Kindern). Die Kollegiatinnen und Kollegiaten brachten Erfahrungen aus dem Bereich ihrer Beziehungen nur sehr zögernd in die Diskussion ein. Das lag meiner Meinung nach ganz allgemein an dem betont sachlichen Verhältnis, das sowohl die meisten Binnenkontakte des Kurses als auch meinen Kontakt zum Kurs bestimmte, außerdem an den sprachlichen Schwierigkeiten bei der Darstellung differenzierter, besonders emotionaler Inhalte.
Innerhalb der Themenschwerpunkte "Work" und "Movement" ließ die Häufung der historischen Texte (die meisten waren aus dem 19. Jahrhundert) Fragen nach dem Vergleich mit heutigen Verhältnissen im eigenen Land oft als zu gezwungen erscheinen. Sie schienen lediglich class-room-discussions provozieren zu wollen. Die Kollegiat(inn)en brachten diese Kritik und Änderungsvorschläge dann auch vor, als sie an einer Seminarsitzung in der Freien Universität teilnahmen, in der Eindrücke über die Praktika ausgetauscht werden sollten. Nach diesem Besuch im Seminar und anschließenden Gesprächen über die Studienbedingungen an verschiedenen Fachbereichen berichteten einige Kollegiat(inn)en in ihren Kursen am Berlin-Kolleg so lebhaft vom Abbau ihrer Schwellenangst vor der unbekannten Größe Universität, daß sofort noch ein anderer Kurs das bereitwillige Angebot der Student(inn)en zu weiteren Institutsbesichtigungen annahm. Aus diesen Kontakten entstand dann sehr bald die Idee, ehemalige Kollegiat(inn)en, die jetzt studieren, ans Kolleg zu bitten, damit sie aus ihren Fachbereichen berichteten. Die Kollegiat(inn)en wollten so der Anonymität der Universität entgegenwirken. Denn sie glaubten, daß dieses Gefühl der Anonymität gerade bei Frauen, die ja Orientierungslosigkeit und Verunsicherung meist als In-Frage-Stellen der ganzen Person einschließlich ihrer fachlichen Qualifikation erleben, den Studienabbruch begünstigen müßte. Außerdem fanden sie es wichtig, daß Kollegiatinnen auf frauenuntypische akademische Berufsmöglichkeiten aufmerksam werden sollten.
Von den Themenschwerpunkten wurde als einziger der Unterpunkt "Housework" sehr persönlich und kontrovers behandelt. Hier versuchte besonders der Kollegiat, der seine zwei Kinder (9 und 13 Jahre) allein versorgte, an seinem Beispiel zu zeigen, daß Hausarbeit sich nebenbei und ohne nennenswerten Zeitaufwand erledigen lasse. Dem widersprachen die Kollegiatinnen und auch zwei Kollegiaten, die über den Zündstoff Hausarbeit aus ihrer Wohngemeinschaft berichteten.
Ausgesprochene Gruppenkonflikte ergaben sich aber weder bei den genannten Schwerpunkten noch beim Thema "Socialization". Texte aus diesem Bereich, die "von primary Socialization" über "Schoolbook Analysis" bis "Career Women") viele Aspekte der gebrochenen weiblichen Identität beleuchteten, kamen bei der Gruppe gut an. Es wurde klar, wie schwer es ist, nicht bei einer theoretischen Zustimmung zur Problematik zu stagnieren, sondern realistische Alternativen zu durchdenken und sich ernsthaft zu fragen, wie es mit der eigenen Bereitschaft zur Veränderung steht. Die Kollegiat(inn)en bezweifelten oft, daß die Männer des Kurses ihre draußen im Leben praktizierten Privilegien aufgäben, auch wenn sie dies im gesellschaftlich abgeschirmten Klassenzimmer als selbstverständlich darstellten.
Ob und inwieweit die Unterrichtsreihe Bewußtseinserweiterungen bewirkt hat, ist natürlich sehr schwer zu beurteilen, zumal sich, wie gesagt, sehr schnell ein verbaler Gruppenkonsensus herausbildete, der zwar emanzipatorische Ansprüche generell guthieß, aber nur in dem beschränkten Lebensraum der Schule überprüfbar war. Zumindest hier hat die Reihe auf jeden Fall die Auswirkung gehabt, daß Kurs und Lehrerin für geschlechtsspezifische Interaktionsprobleme sensibilisiert wurden: Die Kollegiatinnen meldeten sich häufiger zu Wort, unterbrachen die Kollegiaten auch gelegentlich, und die höhere Aufmerksamkeit und die Zuwendung, die männliche Kollegiaten teils "automatisch" von mir bekamen, teils forderten, wurden in Frage gestellt.
Mir als Lehrerin hat die Durchführung dieser Unterrichtsreihe klargemacht, daß jeder Gegenstand - und habe er noch soviel mit mir persönlich zu tun, oder beziehe er sich noch so sehr auf den Erfahrungshintergrund der Lerngruppe - in der Schule zum bloße Lernstoff verkürzt wird. Er wird in abrufbare Einheiten zerlegt, verfügbar gemacht und damit institutionalisiert. Wie schnell dieser Prozeß das Anliegen der Sache verflachen kann, merkte ich zu meiner Betroffenheit ein Jahr später, als mein nächster Abiturkurs das Thema "Women's Liberation" bereits als ebenso alten Hut abtat wie die vielstrapazierten "Blackamericans" - und daher "lndians" wählte!
Ich halte eine Unterrichtsreihe "Women's Liberation" mit der Zielsetzung Aufklärung und Handlungsorientierung trotz aller angeblich längst vollzogenen Befreiungen immer noch für nötig. Ich glaube aber, daß es am Zweiten Bildungsweg wirksamer ist, keine chronologische, allumfassende Reihe anzugehen, sondern einen Einzelaspekt herauszugreifen, der noch nicht vom wiederholten, oberflächlichen Anschneiden in mehreren Schulfächern abgenutzt oder von schicker Abhandlung in Massenmedien korrumpiert ist. Beim nächsten Mal würde ich das Thema "Frauenerwerbslosigkeit" in den Mittelpunkt stellen und dabei zunächst von den rollenstereotypen Vorstellungen der Gruppe ausgehen, z.B. mit der Eingangsfrage: "Was assoziierst Du beim Wort housewife/ working women/ child care/ engineer/ career? Danach würde ich ein exemplarisches Vorgehen vorschlagen. Man könnte z.B. anhand der Figur der "Rosie the Riveter", die in den Weltkriegsjahren "Ihren Mann steht", und anhand der "Hüterin des Heims", die dem "Cult of The Womanhood" des erstarkten Bürgertums folgt, entwickeln, wie das jeweils vorherrschende Frauenbild an die wirtschaftlichen Schwankungen und die Arbeitsmarktsituation eines Staates angepaßt wird.
Heddi Feilhauer
(Zweiter Bildungsweg, Berlin)

Lehrerfortbildung zum Thema »Sexismus in der Schule«

Einleitung

Der Kurs [1] findet seit September 1977 im Rahmen der Lehrerfort- und Lehrerweiterbildung des Senats von Berlin statt; seit Februar 1978 kann er von Referendar(inn)en und Praktikant(inn)en als Ergänzungskurs gewählt werden. Das heißt, die Lehramtsanwärter(innen) können mit dem Besuch einen der beiden obligatorischen Seminarscheine bekommen, die außerhalb der schulpraktischen Ausbildungsseminare erworben werden sollen.
Der Kurs ist Zeichen einer langsam fortschreitenden Etablierung von Frauenstudien auch in der Bundesrepublik Deutschland, nachdem diese im angloamerikanischen Raum (USA, Kanada, England) und in anderen Ländern Europas (Schweden, Frankreich) bereits zu einem selbstverständlichen Lehr- und Forschungsgegenstand geworden sind.
Die folgenden beiden Überlegungen - die, über alle ideologischen Differenzen hinaus, auch zu den wesentlichen Prinzipien von Frauenstudien gerechnet werden - liegen der Methodologie des Kurses zugrunde.

  1. Der Arbeitsstil knüpft mit der Betonung von Kooperation und persönlicher Betroffenheit an die Methoden der Selbsterfahrungsgruppen der Frauenbewegung an. Da die beruflichen Erfahrungen der Veranstalterinnen einerseits im Bereich der Universität, andererseits im Bereich der Schule liegen, wird im Umgang mit den Teilnehmer(inne)n eine losgelöste Vermittlung von Sachwissen vermieden. Im Vordergrund steht vielmehr die Einbeziehung gemeinsamer Erfahrungsbereiche: bewußtes voneinander Lernen und miteinander Lehren.
  2. Die Auswahl der Inhalte des Kurses geschieht nach interdisziplinären Gesichtspunkten und geht von einer "bewußten Parteilichkeit" (Mies, M., Frauenforschung, Seite 47) aus: Diskriminierungsmuster innerhalb des sozialen Umfelds Schule werden mithilfe von Forschungsansätzen aus verschiedenen Teildisziplinen in ihrer gesellschaftlichen Abhängigkeit und Veränderbarkeit erarbeitet. Zielrichtung ist dabei, Frauen als Unterrichtsgegenstand und als Sozialisationsagenten mit emanzipatorischem Identifikationsangebot in der Schule sichtbar zu machen.

Der Arbeitsplan [2] wird nach jedem Kurs leicht abgeändert, zum Beispiel durch Kurzvorträge von anderen Dozentinnen oder durch Ausbau oder Weglassen einzelner Teilaspekte, stellt aber in der vorliegenden zweiphasigen Form das Gerüst des Kurses dar.
Die Einführung in das Thema vergleicht Definitionen unterschiedlicher Provenienz: ein amerikanisches Wörterbuch, Richtlinien eines amerikanischen Schulbuchverlages und Auszüge aus dem Buch "Sexismus" von M.-L. Janssen-Jurreit.
Die Übersicht über Modelle zur Erklärung geschlechtsspezifischer Unterschiede informiert über den biologischen Ansatz nach Beach, der historisch-materialistischen Ansatz nach Engels, Lynns Identifikationskonzept, Freuds psychoanalytische Erklärung, die Mütterverhaltensforschung nach Belotti sowie den psycho-sozialen Ansatz von Maccoby und Jacklin.[3]
Arbeitsfeldanalyse, Interaktionen und Unterrichtsmaterialien sind die inhaltlichen Schwerpunkte des Kurses und damit auch des folgenden Berichts.
Gegenüber der früheren, wöchentlich zweistündigen Veranstaltung über mehrere Monate hinweg hat die jetzige Form eines zweiphasigen Kompaktkurses vier wesentliche Vorteile.
Die Teilnehmer(innen) können terminlich besser disponieren, der Diskussionsstand ist allen Beteiligten präsent, und die längeren Arbeitssequenzen begünstigen eine offene Gesprächsatmosphäre. Die dazwischenliegende Woche bietet die Möglichkeit, nach einer ersten Sensibilisierungsphase das theoretisch Erarbeitete an der Praxis einer Schulalltags-Woche zu überprüfen, um dann in der zweiten Phase in einen Erfahrungsaustausch einzutreten, der von einer geschärften Wahrnehmung getragen wird. Drei bis vier Teilnehmer(innen) berichten über einen Beobachtungsschwerpunkt.
Obwohl Vorschläge zur Überwindung von Sexismen gleichrangig mitbehandelt werden sollten, lag das Übergewicht der Arbeit bisher auch in der zweiten Phase mehr auf der Analyse als auf der Entwicklung von Alternativen.

Erfahrungsbericht

Der Kurs ist als Bewußtwerdungsprozeß nach zwei Seiten hin angelegt: die Beschäftigung einerseits mit der Klärung des Selbstverständnisses der teilnehmenden Lehrer(innen) (siehe Arbeitsfeld), andererseits mit den Auswirkungen, die Lehrer(innen) als Sozialisationsagenten auf ihre Schüler(innen) haben (siehe Interaktion und Unterrichtsmaterial).
Ich will in diesem Bericht nicht näher auf Forschungsergebnisse eingehen, sondern sowohl meine Erfahrungen als auch die der Teilnehmer(innen) schildern, die wir in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Thema gemacht haben.

Arbeitsfeld
Über den ersten inhaltlichen Schwerpunkt, das Arbeitsfeld der Schule und Ausbildungsseminare, möchte ich hauptsächlich unter den Gesichtspunkten von Berufswahl und Aufstiegschancen sowie von Rollenerwartung und Diskriminierung berichten.

Berufswahl und Aufstiegschancen
Die Teilnehmer(innen) der ersten beiden Kurse stellten ihre Berufswahl kaum in Frage. Nur wenige Lehrerinnen erklärten, jemals einen anderen Berufswunsch gehabt zu haben.
Eine verhinderte Ärztin gab z.B. das Scheitern am Numerus Clausus, eine verhinderte Diplom-Ingenieurin den Widerstand des Vaters als Grund für die Umorientierung in ihrer Berufswahl an. Alle Lehrerinnen strebten aber eine bessere Berufsberatung für ihre Schülerinnen an. Die wenigen Lehrer, die die beiden ersten Fortbildungskurse besuchten, entsprachen ziemlich genau dem Bild, das in den Untersuchungen zur Soziologie des Lehrerberufs entworfen wird:
(Der Lehrer anders als die Lehrerin) ...unterrichtet möglichst ältere Schülergruppen ... schiebt zwischen sich und die  Sachgesetze und Unterrichtsstoffe ... Er verlagert den Schwerpunkt seiner Interessen und Rollenbezüge vom Schüler  und der Unterrichtssituation weg auf den administrativen Sektor und auf den Umgang mit erwachsenen beruflichen Bezugsgruppen. (J. Zinnecker in: b: e, H. 7, 1970, Seite 34)
Die Fragen nach den Gründen für die Berufswahl ergaben, daß das Kind-Erzieher-Verhältnis allenfalls sekundär für die männlichen Teilnehmer gewesen war. Sie waren z.B. Gymnasiallehrer geworden, weil sie sich als Wissensvermittler verstanden ("Mathematik/Englisch, das kann man gut brauchen im Leben"), oder ein anderer Teilnehmer hatte Grundschullehrer als Beruf gewählt, weil er aufgrund seiner Schichtenzugehörigkeit diesen Beruf als einzig verbleibende Karrieremöglichkeit erkannt hatte (kein Abitur, Lehrerseminar).
In diesem Zusammenhang kam zur Sprache, daß der Aufstieg in alle höheren Positionen für die wenigen männlichen Kollegen im Grundschulbereich so gut wie gesichert ist. Eine Nachfrage bei den Teilnehmer(inne)n aus anderen Schultypen ergab ebenfalls eine beachtliche Überzahl männlicher Kollegen in leitenden Funktionen.
Für diese Tatsache wurde eine ganze Palette von Begründungen zusammengetragen. Sie konzentrierten sich im wesentlichen auf die patriarchalische Organisation der Institution Schule und auf die spezifische Selbsteinschätzung von Lehrerinnen: Beurteilungs- bzw. Beförderungspraktiken seien extrem autoritär strukturiert - bereits die nahezu ausschließlich männlichen Schulräte bzw. Oberschulräte hätten eine einschüchternde Wirkung. Die mangelnden Mitbestimmungsmöglichkeiten berücksichtigten die Doppelbelastung berufstätiger Frauen und Mütter in administrativen Bereichen wie Aufsichtsregelung oder Stundenplangestaltung zu wenig und ließen daher bei der Schulleitung oft den Eindruck der fachlichen (!) Überforderung und des Desinteresses zurück. Das mangelnde schulpolitische Engagement (Gründe: "Schmutziges Geschäft", "Da muß ich immer am Ball bleiben, das liegt mir nicht") ziehe oft nach sich, daß Lehrerinnen bei Entscheidungen übergangen werden. Die eigene fachliche Qualifikation werde teils bewußt, teils unbewußt heruntergespielt, da die Fähigkeit zur Selbstdarstellung fehle und es im übrigen viel wichtiger sei, einen befriedigenden Kontakt mit der Klasse aufzubauen.

Diese Lehrerinnen und Lehrer hatten ihre Berufsrolle gleichermaßen stark verinnerlicht; wobei festgehalten werden muß, daß die Internalisierung von Sach- und Institutionsbezogenheit offensichtlich mit beruflichem Aufstieg honoriert wird, die Übertragung weiblichen Rollenverhaltens auf den Lehrerberuf jedoch nicht.

Rollenerwartung und Diskriminierung

Sobald sich der Kurs, mit der Anerkennung als Ergänzungskurs zur Ausbildung, überwiegend aus Praktikant(inn)en und Referendar(inn)en zusammensetzte, ergaben sich bei der Erörterung des Arbeitsfeldes zwar grundsätzliche Übereinstimmungen in den Einstellungs- und Verhaltensmustern, aber es wurde mit mehr Distanz diskutiert. Noch nicht endgültig im Beruf etabliert, reagiert dieser Teilnehmer(innen)kreis offenbar sensibler auf Anpassungsmechanismen. Er kann sich meist nicht von vornherein mit dem Idealbild der Lehrerin bzw. des Lehrers identifizieren, das die Ausbilderinnen) mehr oder weniger verdeckt vermitteln. Diese idealtypischen Vorstellungen werden selten offen ausgesprochen, geschweige denn problematisiert. Sie finden ihren Niederschlag jedoch in der Notengebung und der Beurteilungspraxis.Die Referendarinnen und Referendare sowie die Praktikant(inn)en berichteten, daß die weiblichen Stereotype "mütterlich" oder "ordentlich" ebenso positiv verstärkend eingesetzt würden wie die männlichen "ambitioniert" oder "durchsetzungsstark". In Beurteilungsgesprächen werde männlichen Lehramtsanwärtern gegenüber meist ein "kollegialer Ton angeschlagen", weibliche dagegen würden auf eine "Innenrolle fixiert". In der Diskussion zeigte sich auch, daß aus den weiblichen Rollenklischees häufiger ein Fehlverhalten abgeleitet wurde. In den Beurteilungen von Praktikantinnen und Referendarinnen hieß es oft, sie seien zu freundlich, zu geduldig, oder sie pflegten einen zu persönlichen Kontakt zu den Schüler(inne)n. Nirgends sei zu lesen, daß ein Praktikant oder Referendar zu bestimmt oder zu durchsetzungsvermögend oder zu belastbar sei. Alle fanden es erforderlich, die Sprache, in der die Beurteilung abgefaßt ist, offenzulegen und zu untersuchen.
Es ist zu vermuten, daß ein Zusammenhang besteht zwischen dem genannten Sachverhalt und der in Untersuchungen immer wieder betonten Tatsache, daß Schülerinnen etwa doppelt so oft aufgrund fehlender Kenntnisse und Fertigkeiten getadelt werden wie Schüler. Die Lehramtsanwärterin bringt also - allein aus diesem Aspekt ihrer schulischen Sozialisation eine verunsicherte bis negative Einschätzung ihrer Intellektualität in die zweite Ausbildungsphase ein. Wird dort zusätzlich ihr weiblicher Sozialcharakter, dessen Einschätzung sie bislang als überwiegend positiv erlebt hatte, in Frage gestellt, so liegt eine weitere Erklärungsmöglichkeit für das geringe Selbstwertgefühl von Lehrerinnen vor.
Ein anderes Problem für viele Teilnehmer(innen) war die Einschätzung durch das Kollegium, dessen Erwartungen von Lehrerin und Lehrer gleichermaßen belastend und einengend empfunden wurden. Das fing an beim äußeren Erscheinungsbild: In manchen Kollegien wurde auf Kleidung und Frisur besonders bei Lehrproben peinlich genau geachtet ("Verkleidung"). Das zeigte sich weiter an Verhaltensnormen: Die junge Lehrerin, die fachkompetent und durchsetzungsvermögend aufgetreten war, mußte dieses Verhalten in viel stärkerem Maße als ihre männlichen Kollegen auf Qualifikation gründen, um nicht "zurückgepfiffen" zu werden. Das ältere, männliche Kollegium reagierte mit wohlwollender Überlegenheit oder - und das viel stärker als bei gleichgeschlechtlichen Kollegen - mit offener Konkurrenz. Außerdem wurde berichtet, daß in solchen Fällen auch die Solidarität von Kolleginnen ausgeblieben sei. Ihr von Freundlichkeit und Umgänglichkeit definiertes Rollenmuster führte wohl wegen der plötzlichen Verunsicherung eher zu einer verstärkten Abwehr "solcher Emanzen".
Die männlichen Lehramtsanwärter, die meist schon eine Sensibilisierung für das eigene Rollenverhalten mitbrachten, schilderten zum Teil ähnlich belastende Erwartungen an ihr männliches Verhalten. Viele von ihnen hatten den Lehrberuf ergriffen, um der als zwanghaft empfundenen Selbstbehauptung in anderen Berufszweigen zu entgehen oder weil sie die Schule als gesellschaftlich relevanten Aktionsraum begriffen hatten. Sie sahen sich jedoch einerseits auf einen geringen Handlungsspielraum eingeengt oder, wie ein Teilnehmer sagte, "bedroht", wenn sowohl Seminarleiter(in) als auch die Klasse von ihnen als Mann "natürlich und ganz selbstverständlich" rigidere Verhaltensweisen forderten. Zum Erstaunen vieler Teilnehmerinnen sprachen sie von ihrer Angst vor Disziplinschwierigkeiten und davor, daß sie in den Ausbildungsseminaren totgeschwiegen wurde. Das werfe sie immer wieder auf das Gefühl des persönlichen Versagens zurück und lasse sie daher oft aus Selbstschutz "den starken Mann spielen".
Dieses Unbehagen von Lehrern, auf geschlechtsstereotype Verhaltensweisen reduziert zu werden, ist bisher in der pädagogischen Literatur zur Lehrerrolle zuwenig berücksichtigt worden.
Die meisten Praktikant(inn)en sowie Referendarinnen und Referendare sagten, daß sie in diesem Kurs zum erstenmal ihre Ängste mit Fachkolleg(inn)en offen hätten besprechen können. Bei der Behandlung des geschlechtsspezifischen Aspektes der Arbeitsfeldanalyse wurde deutlich, wie stark das Bedürfnis der in Ausbildung Stehenden nach einer repressionsfreien Arbeitsatmosphäre ist. Im Rahmen dieses Ergänzungskurses kann dem zwar entsprochen werden, indem weder eine Rückmeldung an die anderen Ausbildungsstätten noch eine Benotung der Seminarscheine vorgenommen wird. Darüber hinaus aber ist es dringend erforderlich, daß die Verunsicherungen und Ängste viel häufiger und gründlicher dort thematisiert werden, wo sie entstehen, nämlich am Arbeitsplatz, in der Schule und in den Ausbildungsseminaren.

Interaktion

Bei der Vorstellung am ersten Abend wurden die Teilnehmer(innen) auch gefragt, welche Erwartungen sie an den Kurs hätten. In meinen Notizen fand ich sehr häufig die Antwort, daß Auffälligkeiten im Bereich der Interaktion zwischen Schülerinnen und Schülern oder zwischen ihnen selbst und den Schüler(inne)n den Anstoß zum Besuch des Seminars gegeben hatten. Konnten sie bereits auf fundierte Vorkenntnisse zurückgreifen (Wagner/Frasch/Lamberti waren ebenso bekannt wie Zinnecker, jedoch nicht die neueren amerikanischen Beiträge von Guttentag und Bray oder Stacey), so ging das in den meisten Fällen auf eigenständige Lektüre, zum Beispiel in Frauengruppen, zurück. Wurde ausnahmsweise ein Seminar in der ersten Ausbildungsphase als Informationsquelle genannt, bezog sich das meist auf die Pädagogische Hochschule. Hier zeigt sich meiner Ansicht nach, daß die Lehrerausbildung auch bei der Berücksichtigung von Sozialisationsfragen zuwenig praxisorientiert vorgeht.

kursinterne Interaktionsweise
Die Teilnehmer(innen) konnten zwar sexistische Interaktionsformen problematisieren, wurden sich aber mit dem Wunsch nach adäquaten Verhaltensweisen meist der Grenzen ihres Verhaltensrepertoires bewußt. Mehr oder weniger offen ausgesprochen, erwarteten sie gleich zu Beginn der Besprechung dieses inhaltlichen Schülerpunktes aktuelle Lösungsmuster. Sie verlangten in aggressiver Weise, daß ein geschilderter Problemfall umgehend mit einer Lösung beantwortet werden müßte: "Was tun, wenn  ihre Mitschülerinnen nur noch mit Kraftausdrücken wie 'alte Nutte' oder 'Schnalle' anreden?" "Was tun", so die Physiklehrerin, die von der negativen Auswirkung sexistischer Interaktion bereits weiß, "wenn ich mich ständig dabei ertappe, die Geräte doch wieder von Jungen auf- und abbauen zu lassen?"
Als mit diesen und ähnlichen Fragen im letzten Kurs wieder eine Fixierung auf die Kursleitung einsetzte, wurde dieses Verhalten thematisiert. Die Teilnehmer(innen) diskutierten daraufhin kontrovers, ob es "gängige Rezepte" überhaupt geben könne, und entwickelten eine starke Eigendynamik. Sie strukturierten den weiteren Seminarverlauf um und beschlossen, das Gebiet der geschlechtsstereotypen Interaktion länger als im Arbeitsplan vorgesehen zu bearbeiten. Sie gingen in Kleingruppen vor, die sich das erstemal getrennt nach Schultypen zusammensetzten. Alle Gruppen begannen damit, Erfahrungen zusammenzutragen; sie bildeten Problemkreise und sammelten Vorschläge zur Bewältigung. Erst danach zogen sie die angegebene Literatur hinzu, die im Plenum aber weit weniger erörtert wurde als die Erfahrungsberichte.
Da die Interaktionsweise zwischen Kurs und Leitung allgemein von einer gleichwertigen Kommunikationsstruktur getragen wurde, fiel es auf, daß die Kurse immer wieder bei der Behandlung geschlechtsspezifischer Interaktion den Wunsch nach hierarchischer Rollenaufteilung in Lehrende und Lernende äußerten. Das kann darauf zurückzuführen sein, daß die Teilnehmer(innen) in diesen Punkt die meisten Erwartungen gesetzt hatten. Besonders die Teilnehmerinnen brachten ihre Betroffenheit und Hilflosigkeit zum Ausdruck. Aus dieser Situation heraus wollten sie lieber vorgefaßte Ergebnisse übernehmen als auf selbst gewonnenen Erkenntnissen aufbauen. Das bestätigt, wie außerordentlich schwierig es für erwachsene Lernende ist, eigene Erfahrungsbeiträge als Wissenszuwachs werten zu können und als Lösung von Aufgaben zu akzeptieren. Bei Frauen scheint die verinnerlichte minderwertige Statusrolle das genannte Lernproblem noch zu verstärken.

Beobachtungsraster
Für die Woche zwischen den Terminen des Kompaktkurses hatten die Teilnehmer(innen) Beobachtungsaufgaben zur Interaktionsweise zwischen Schüler(inne)n und Lehrer(inne)n und zwischen Schülerinnen und Schülern bekommen. Im folgenden wird darauf verzichtet, die Diskussion von schulkonformem bzw. -nonkonformem Verhalten und Schulleistungen sowie Lebensplanung wiederzugeben; vielmehr soll geschildert werden, wie der Fragenkatalog die Wahrnehmung der Teilnehmer(innen) für sexistische Interaktionsweisen sensibilisierte.
Die Beobachtung der Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern wurde eingeleitet mit der Frage: "Wie werden Mädchen oder/und Jungen mit geschlechtsuntypischen Verhaltensweisen oder Eigenschaften behandelt?"
Es wurde von einem Elfjährigen berichtet, der aus lauter Angst vor dem Tauklettern im Sportunterricht in die Hose gemacht hatte und damit endgültig zum Außenseiter abgestempelt war. Oder von einem häßlichen Mädchen, das von den Jungen deswegen ständig gehänselt wurde und für das die Klassenkameradinnen nie Partei ergriffen. Ein Sportlehrer aus einer Hauptschule stellte dar, wie er durch Kontakt- und Tanzspiele mit Siebtklässlern versuchte, das Vorurteil vom typisch weiblichen und typisch männlichen Bewegungsablauf abzubauen. Auch die Berührungsängste, die diese Jungen untereinander, aber besonders Mädchen gegenüber hatten, wurden dabei angesprochen. Auf die Frage aus dem Beobachtungsraster, ob es ausgesprochene Jungen- oder Mädchenbereiche gebe, wurde aus einer Berufsschule von einer Kartenspielecke berichtet, die sicht- und hörbarer Ausgangspunkt von "Stammtischton und Mackerverhalten" sei.
Im Zusammenhang mit der Frage nach geschlechtsspezifischen peergroups (Gruppen Gleichaltriger) wurden aus allen Schultypen mit entsprechenden Altersstufen Eindrücke geschildert, die auf die Scheinmacht einiger Schülerinnen in und kurz nach der Pubertät Bezug nahmen. Im Vordergrund stand das gestiegene Prestige bei den Freundinnen durch einen Freund oder durch "geschicktes Make-up". Da die Identitätsbildung, die hauptsächlich über die Definition durch den Mann geschieht, bei den Haupt- und Berufsschülerinnen mit der Zeit der Berufsentscheidung einhergeht, wurde deren Lebensplanung besonders ausführlich diskutiert. Einige Praktikant(inn)en hatten Kolleg(inn)en zu diesem Punkt befragt und berichtet, daß diese sich um intensivere Elternarbeit bemühten, seit sie erkannt hätten, wie wenig sie gegen die Verstärkung des "Weibchen-Image" durch die peergroup bei ihren Schülerinnen ausrichten könnten.
Gymnasiallehrer(innen) gaben zu bedenken, daß selbst entsprechende Vorbilder (akademisch ausgebildete Mütter, unterrichtende Lehrerinnen) oder eine Berufsberatung, die Chancengleichheit ernst nimmt, in Freundinnengesprächen immer geringschätziger abgetan werde. Es herrsche eine Überbetonung der Weiblichkeit vor, eine Besinnung auf "die wahren fraulichen Werte", die erschreckend mit dem Rückgang der Studierwilligkeit von Abiturientinnen einhergehe.
Anhand der Fragen aus dem Beobachtungsraster, die sich auf unterschiedliches Lehrer(innen)verhalten im Bereich der Verstärkungen bezogen, wurden die vorgeführten Lehrfilme für die Unterrichtsbeobachtung oft zur Argumentation herangezogen. Diese Filme eignen sich besonders gut zur Analyse unbewußter, geschlechtsstereotyper Lehrer-Interaktionen, gerade weil sie nicht das unterschiedliche Lehrverhalten gegenüber Disziplinlosigkeiten, Unordentlichkeit oder Lernversagen bei Mädchen und Jungen zum Gegenstand haben, sondern aktives und passives Verhalten oder Frontal- und Gruppenunterricht aufzeichnen. Bis hin zu Tonfall und Stimmlage der aufgenommenen Lehrer(innen) war festzustellen, ob ein  oder eine in angesprochen wurde. Die gefilmten Kolleg(inn)en waren nach Meinung der Kurse weitgehend nach dem idealtypischen Lehrerbild ausgewählt. Die Teilnehmer(innen) erkannten betroffen, wie diese dennoch durch Körpersprache, Gestik, Mimik und Stimme vom ersten bis zum letzten Schuljahr in den Schülern ein Selbstbild von partnerschaftlicher Akzeptanz erweckten oder verstärkten und in den Schülerinnen ein Selbstbild von abhängiger Unmündigkeit. Hier wurde der Wunsch laut, Videoaufnahmen des eigenen Unterrichts anzufertigen und zu untersuchen, um rollenstereotypes Lehrverhalten bei sich selbst kontrollieren und verändern zu können.

Unterrichtsmaterial

Im dritten und letzten Teil des Erfahrungsberichts gehe ich davon aus, daß die Darstellung von Geschlechtsrollen in Lehrwerken weder emanzipatorische Orientierung bietet noch der realen Lebenssituation gerecht wird; dabei setze ich den Zusammenhang von geschlechtsspezifischer Bildungsvermittlung und Chancenungleichheit voraus. Im folgenden möchte ich beschreiben, wie Lehrer(innen) durch die Art ihres Umgangs mit Unterrichtsmaterial die schulische Sozialisation der Schüler(innen) beeinflussen, also auch hierin als Sozialisationsagenten auftreten.
Alle Teilnehmer(innen) waren sich auf eine abstrakt-distanzierte Weise einig, daß Schulbücher sowohl offen - durch die Präsentation der Inhalte - als auch verdeckt - durch die Übungen - einseitige Rollendarstellungen aufweisen. Sie stimmten den Forschungsergebnissen zu, nach denen Schülerinnen ein quantitativ und qualitativ geringeres Identifikationsangebot in ihren täglichen Unterrichtsmaterialien vorfinden als Schüler. Auf ihre selbst benutzten Lehrwerke angesprochen, äußerten sie jedoch spontan: "So schlimm sind sie nicht, manche sind sogar recht fortschrittlich."

heimlicher Lehrplan
Es war auffällig, daß Mathematik- und Naturwissenschaftslehrer(innen) die strenge Sachbezogenheit und Wertfreiheit bzw. Neutralität ihrer Unterrichtsmaterialien betonten. Sie bezweifelten meist stärker als ihre Kolleg(inn)en aus anderen Fächern die verdeckte Ideologievermittlung - den heimlichen Lehrplan. Alle Teilnehmer(innen) wurden gebeten, den Unterrichtsstoff der folgenden Woche anhand eines Fragenkatalogs auf Sexismen hin zu überprüfen. Angesichts der Befunde aus den täglich, wie sie sagten, "ahnungslos" benutzten Lehrwerken stieg das Unbehagen mitunter bis zur Empörung:
Immer noch ist die "Welt der Zahl" gleich auf der ersten Seite in eine Mädchenwelt eingeteilt, die von tanzenden Röckchenträgerinnen bevölkert wird, und in eine Jungenwelt, in der es Kraft- und Geschicklichkeitsspiel und etwas zum Lesen gibt.
Immer noch müssen in einem anderen Mathematikbuch die Erstklässler das Flugzeug aus Monikas in Peters Spielzeugschachtel einordnen - und die Puppe aus Peters in Monikas.
Immer noch verinnerlichen die Schüler(innen) im "Cours de base" geschlechtsstereotype Botschaften mithilfe von grammatischen Einschleifübungen wie: "Vater liest die Zeitung und Brigitte die Illustrierte, Christine ist gut in Englisch und Gilbert gut in Mathematik." Mithilfe des Textteils wiederholen sie laut und oft, daß Brigitte den Plattenspieler kaputtmacht und Daniel ihn repariert.
Immer noch taucht über die Hälfte der "Menschen in ihrer Zeit" in nur ein Prozent der Überschriften auf; historisch erwähnenswert sind sie höchstens, wenn sie - wie Kleopatra jung, schön und klug waren und einem berühmten Mann das Leben kosteten oder - wie Maria Theresia - sechzehn Kindern das Leben schenkten.
Den Schülern wird das besagte quantitativ höhere Identifikationsangebot gemacht. Aber welches männliche Rollenverhalten wird perpetuiert und welches verschwiegen? Beziehungsfähigkeit und Emotionalität, bei weiblichen Abbildungen selbstverständliche Attribute, konnten bei Darstellungen von männlichen Personen nur äußerst selten gefunden werden. Eine Teilnehmerin brachte ein Lehrwerk aus dem Bayerischen Schulbuchverlag mit, das wahrscheinlich das einzige Mathematikbuch ist, das sich rühmen kann, einen Vater mit einem Kind auf dem Arm zu zeigen. Ein kritischer Blick könnte allerdings statt der partnerschaftlichen Beteiligung an der Kindererziehung auch eine subtile Bestätigung von Vorurteilen gleich in zwei Richtungen entdecken: Seinem Äußeren nach gehört dieser Vater nämlich zur gesellschaftlichen Randgruppe der Gastarbeiter.
Angesichts der breiten Beispielskala aus allen Fächern erklärten einige Teilnehmer(innen) deprimiert, sie könnten jetzt verstehen, warum so viele Schüler(innen) mit offener Ablehnung auf Lektionen reagierten, wenn diese wirklich einmal dem Thema Emanzipation gewidmet seien. Bei einer derart gründlichen Rollenzuweisung durch die Unterrichtsmaterialien während der ganzen Schulzeit müsse ein entgegengesetzter inhaltlicher Ansatz aggressiv, lächerlich oder exotisch wirken. Erst recht, wenn die Unterrichtseinheiten konsequent an den konkreten Lebensverhältnissen und Interessenbereichen der Schüler(innen) vorbeigeplant seien, wenn zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder Sexualität überhaupt nicht erwähnt würden.

tägliche Praxis
Die unterrichtspraktischen Vorschläge nach Guttentag und Bray, die verschiedenen Altersstufen und Lernzielen zugeordnet sind, hielt man zwar für gut auf die Zielgruppe abgestimmt, aber teilweise zu aufwendig und eher an die Adresse von Schulbuchverlagen und Curriculumkommissionen gerichtet. Es wäre wünschenswert, wenn an unseren Schulen etwas ähnliches geschähe wie an den amerikanischen, wo die women's studies-Programme von Guttentag und anderen bereits ihren Niederschlag im Curriculum gefunden haben und der Verlag Feminist Press sein Angebot von nicht-sexistischen Unterrichtsmaterialien für Schüler(innen) aller Altersstufen ständig erweitert. Was soll man aber tun, solange noch keine Revision der Lehrwerke in Aussicht ist?
Das Gespräch mit der Lehrerinnengruppe, die eine Dia-Serie zum Thema "Darstellung der Frauenrolle in Schulbüchern" vorführte, wirkte anregend und ermutigend. Sie hatte die Serie nach dem amerikanischen Vorbild von L. Weitzmann und D. Rizzo aufgebaut und belegte mit ihren Dias die inzwischen umfangreichen Forschungsergebnisse auch für deutsche Schulbücher auf eindrucksvolle Weise. Außerdem stellte die Gruppe dar, wie sie aufgrund der Arbeit an dieser Serie in den Fachkonferenzen ihrer verschiedenen Schulen durchgesetzt hatte, daß Lehrwerke, in denen sich Sexismen häufen, abgelehnt oder nicht mehr nachgekauft wurden. Ihre Aktivitäten reichten von der Erstellung eigener Unterrichtseinheiten bis zur Organisation einer Veranstaltung über "Sexismus in der Schule" an der Sommeruniversität Berlin.
In der Diskussion mit der Lehrerinnengruppe stellte sich heraus, daß einige Kursteilnehmer(innen) bereits eigene Unterrichtseinheiten zu Themen wie Frau und Beruf, Frau und Literatur oder Frau und Medien zusammengestellt und durchgeführt hatten.
Neben der Ablehnung bestehender und der Erstellung eigener Unterrichtsmaterialien wurde als zweite Vorgehensweise vorgeschlagen, die vorhandenen Lehrwerke "gegen den Strich zu benutzen". Hierzu drei Beispiele, die von den Teilnehmer(inne)n erarbeitet wurden.

  • Beispiel 1:
    Lehrwerk-Kritik zum Unterrichtsgegenstand machen. Das machen viele Schüler(innen) gern, und da es z.B. im Fremdsprachenunterricht Sprechanlässe und Gelegenheit zur Wortfeldarbeit bietet, lassen sich bei diesem Vorgehen pragmatische Ziele gut auf Einstellungsänderungen hin anlegen.
  • Beispiel 2:
    Die eigenen Beispielsätze bewußt gegen Rollenklischees bilden - oder die vorgefundene Rollenzuweisung im Buch einfach vertauschen. Bei dem bereits zitierten Französich-Buch kamen auf diese Weise folgende Sätze zustande: "Mama besitzt ein Haus, Papa besitzt einen Wagen; Mama schreibt Briefe, Papa tippt einen Brief für Mama."
    In diesem Zusammenhang äußerten zwei Lehrerinnen in verschiedenen Kursen nahezu wörtlich übereinstimmend: "Eine Übung, die eine Landidylle vorindustrieller Zeit als Setting hat, stößt lange nicht auf so viel Widerstand bei den Schüler(inne)n wie eine, in der eine Frau ein Auto repariert." In beiden Fällen wurde der Beitrag einerseits mit krasser Ablehnung und andererseits mit absoluter Zustimmung aufgenommen. Einige Teilnehmer(innen) dachten sofort an Gefahrenquellen für den geregelten Unterrichtsablauf, an Disziplinlosigkeiten (Kichern) oder an langsameres Lerntempo (Scheindiskussion der Schüler(innen) als Ablenkmanöver vom Stoffgebiet). Die Heftigkeit, mit der diskutiert wurde, läßt allerdings vermuten, daß auch eigene Abwehrmechanismen mitspielten, das Bestreben nach Kontinuität und Erhaltung von Bekanntem.
    Lehrwerkuntersuchungen liegen aus nahezu allen Schulfächern vor, jedoch es "fehlen bisher ... Rezipienten und Nutzerforschung nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern auch bei Eltern und Lehrern" (BMBW, Bericht über das Sachverständigen-Gespräch "Darstellung der Frauenrolle in Schulbüchern", Seite 10), d.h. es fehlen Hinweise, wie die Untersuchungsergebnisse in die Praxis umgesetzt werden können.
  • Beispiel 3:
    Ein positives Frauenbild, wenn es gefunden wird, als solches hervorheben: Sind die Staatssekretärin oder die Pilotin im Englisch-Buch positive Rollenbilder? Wenn durch curriculare Entscheidungen Frauen in Schulbüchern sichtbar werden - welchem Leitbild sollen sie entsprechen? Die "neue Frau" sollte nicht als doppelt und dreifach belastet (und belastbar) dargestellt werden. Positive Seiten weiblicher Sozialisation sollten hervorgehoben werden.

Kritisiert wurde auch, daß die soziale Kompetenz von Frauen in Lehrbüchern lediglich in Form von Erweiterungen der Hausfrauenrolle auftaucht, nämlich als geduldige Krankenschwestern und besänftigende Sekretärinnen. Zu befürworten wäre eher ein Bild, das möglichst viele Lebens-, Aktions- und Problembereiche zeigt.

Standpunkte

Bei den abschließenden Seminarkritiken wurde mehrmals vorgeschlagen, die Kursstruktur zu ändern. Einer Vorlaufphase zur Erarbeitung der Literatur und der Entwicklung von gezielten Beobachtungsaufträgen (mit Feinrastern zur Interaktion und zur Schulbuchanalyse) sollte eine längere Phase empirischer Arbeit in der Schule und den Ausbildungsseminaren unter ausgewählten Schülerpunkten folgen. In einer dritten Phase schließlich sollten sowohl die Erfahrungen und Beobachtungen gesammelt und analysiert, als auch Veränderungsmöglichkeiten ausführlich diskutiert werden.
Das ist zwar eine ziemlich aufwendige Vorgehensweise, aber die Realisierung eines solchen Projektes sollte längerfristig trotzdem erwogen werden, da es aus dem Kreis der Betroffenen kam und somit unmittelbar an ihre Erfahrungen und Bedürfnisse anknüpft.
In naher Zukunft halte ich folgende Schritte zur weiteren sinnvollen Durchführung des Kurses für erforderlich:

  1. Einrichtung eines Zusatzkurses,
    - um die Gesprächsbereitschaft und intensive Arbeitsatmosphäre durch die Beschränkung der Gruppengröße zu erhalten (maximal 18 Teilnehmer(innen»;
    - um dem Wunsch nach intensiverer Berücksichtigung alters- bzw. schultypischer Fragen zu entsprechen. Dabei sollten beide Kurse grundsätzlich den Lehramtsanwärter(inne)n aller Schultypen offen sein; lediglich eine Zuordnung nach den Altersstufen, in denen unterrichtet wird, wird empfohlen: Kurs I Sechs- bis Sechzehnjährige, Kurs II ab Vierzehnjährigen.
  2. Veranstaltungen für Seminarleiter(innen),
    - um deren Widerstände gegen die Teilnahme ihrer Praktikant(inn)en und Referendar(inn)en an diesem Ergänzungskurs zu problematisieren;
    - um ihren Informationsstand zu aktualisieren.
  3. Zusammenarbeit mit der Zentralen Einrichtung für Lehrverhaltenstraining und Unterrichtsdokumentation Berlin, um Teilnehmer(inne)n des Kurses Eigenbeobachtung anhand von Videoaufzeichnungen zu ermöglichen.

Diese drei Punkte stehen in Zusammenhang mit umfassenderen antidiskriminatorischen Zielsetzungen im Schulbereich:

  • mit der Ausarbeitung einer Empfehlung an die Schulbuchverlage, aus ihrem bestehenden Angebot sexistische Inhalte zu entfernen und zusammen mit Lehrer(inne)n und auf dem Gebiet der Frauenforschung Tätigen anti-diskriminatorische Unterrichtsmaterialien zu entwickeln;
  • mit der Verankerung von frauenspezifischen Lehrinhalten in Universitäten und Schulcurricula; 
  • mit der Integration geschlechtsspezifischer Sozialisationsforschung in die Curricula der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung; 
  • und last not least mit der Chancengleichheit in der beruflichen Laufbahn.

Heddi Feilhauer (Berlin)

Wir wollen unsere Identität nicht mehr verstecken

Bericht einer Gruppe lesbischer Lehrerinnen

Wir sind eine Gruppe lesbischer Lehrerinnen, die sich im Oktober vergangenen Jahres auf der Berliner Sommeruniversität für Frauen zusammengefunden haben. Wir, die Berliner Frauen, treffen uns seit Oktober 1978 regelmäßig.
Wir haben Erfahrungen gemacht, daß das Schulsystem auf uns Lesben zerstörerisch wirkt; deshalb wollen wir Handlungsstrategien entwickeln, um auf der Basis einer fundierten Theorie als lesbische Lehrerinnen tätig zu sein; denn wir müssen uns in heterosexuell bestimmten Strukturen durchsetzen und wollen unsere Identität nicht mehr verstecken. Wir haben begriffen, daß unsere Angst größer ist als die reale Bedrohung.
Fragen, die wir uns stellen, sind zum Beispiel:

  • Wie verhalten wir uns gegenüber Schüler(innen), Kolleg(inn)en, Vorgesetzten?
  • Worin unterscheiden sich unsere Unterrichtsansprüche von heterosexuellen?
  • Welche Möglichkeiten sehen wir, unsere lesbische Identität in unsere Arbeit in der Schule einzubringen?
  • Welches Verhältnis haben wir zu "Mütterlichkeit"?
  • Wie lösen wir die Konflikte, die wir als Sozialisationsagentinnen gegenüber Mädchen, gegenüber Jungen und gegenüber gemischten Gruppen haben?

Unser Wunsch ist, daß wir immer zahlreicher werden.

Auf der zweiten Berliner Frauenkonferenz im Mai dieses Jahres, einem Treffen der traditionellen und autonomen Frauengruppen, haben wir in der Arbeitsgruppe "Sexismus im Erziehungswesen" mitgearbeitet und folgende Forderungen aufgestellt, die in der Arbeitsgruppe einstimmig unterstützt und im Plenum von uns vorgetragen wurden:

Wir fordern:

  1. Die Abschaffung der Zwangsheterosexualität.
  2. Daß in der Schule Heterosexualität und weibliche und männliche Homosexualität als gleichberechtigte Lebensformen in der Darstellung durch Unterrichtsmaterialien und Lehrkräfte vermittelt werden.
  3. Daß die vorhandenen Unterrichtsmaterialien auf diskriminierende Darstellungen weiblicher und männlicher Homosexualität untersucht und im Sinne der zweiten Forderung verändert werden.
  4. Die Bildung einer bezahlten Arbeitsgruppe, die Unterrichtsmaterialien erarbeitet und verteilt, die geeignet sind, weibliche und männliche Homosexualität als gleichberechtigte Lebensformen neben heterosexueuen zu vermitteln.
  5. Daß die Auseinandersetzung mit weiblichen und männlichen homosexuellen Lebensformen verbindlicher Bestandteil im Rahmen des Curriculums der Lehrer(innen)ausbildung wird.
  6. Daß für alle Fragen im Bereich Homosexualität im Erziehungsbereich nur homosexuelle Frauen und Männer als Experten gelten dürfen.

Im Juni dieses Jahres veranstalteten wir ein überregionales Treffen in Oldenburg, auf dem wir Themenvorschläge für die Sommeruniversität 1979 besprochen und Arbeitsgruppen vereinbart haben. Ein weiteres Treffen ist in Hannover geplant.
Wir sind interessiert, mit anderen bestehenden lesbischen Lehrerinnen-Gruppen Kontakt aufzunehmen. Unsere Kontaktadresse:
Christiane von Lengerke
Pariser Straße 37
1000 Berlin 15