Berichte von Lehrerinnen, Dozentinnen und Erzieherinnen 1

Was heißt Feminismus in der Schule?

für Annette, die viermal in der
Schule sitzengeblieben ist

Im Programm zu diesem Kongreß [1] fand ich meinen Beitrag unter der Fragestellung "Was heißt Feminismus in der Schule?" angekündigt. Nach zwei Jahren Schulpraxis ist eine Antwort auf diese Frage für mich problematisch geworden. "Was heißt Feminismus in der Schule?" setzt voraus, daß Unterrichtspraxis von Frauen hier auf einen Nenner gebracht werden kann und dies für alle Zeiten. Als ich vor zwei Jahren das Buch vom Faulen Lenchen [2] schrieb, konnte ich mit solchen und ähnlichen Begriffen leichter umgehen. Heute kann ich es nicht mehr, heute schrecken mich Begriffe, so verwandt, ab, engen mich ein und enthüllen Momente von Herrschaft, die ich ablehne und deren Verweigerung auch im wesentlichen meine Unterrichtspraxis bestimmt hat. Indem ich etwas über dieses Thema sage, erhebe ich keine Ansprüche auf "richtige" Schulpraxis in feministischer Gradlinigkeit. Es ist begreiflich, daß viele, besonders junge Frauen aus Verunsicherung nach formalen Konzeptionen suchen, denen sie sich anschließen können. Es gibt aber keine feministische Praxis, die erlernbar oder durch Unterrichtsmodelle vermittelbar wäre. Feministische Praxis wird immer Ausdruck von Erfahrungen sein, Widerspiegelung einer Lebensform und einer Leidenschaft, deren Wurzeln auch in der Hingabe an die eigene Person liegen. So kommen wir nicht darum herum, zuallererst einmal darüber nachzudenken, wer wir selber sind, und Erfahrungen zu machen, die uns dahin führen können.
Die Ablehnung männlicher Herrschaft, die sich besonders im Wissenschaftsbereich darstellt, wie: einschätzen (historisch oder auch nicht), definieren, abgrenzen und damit auf den Begriff bringen, kann und darf keine neuen Herrschaftsformen unter Frauen nach sich ziehen, in denen man Begrifflichkeiten wie Pfeile in die verletzbaren Teile der Gegnerinnen schießt. Ich möchte hier viel lieber auch über mich reden, über das, was ich in der Schule getan habe, was mit mir passiert ist, und ich möchte vor allem Mut machen, in die Schule zu gehen, denn Lehrerin ist ein guter Beruf.
Mir ist klar, daß die Offenheit, die ich mir noch leisten kann, nicht für alle Zeiten gilt und daß die Verschleißerscheinungen nach Jahren der Unterrichtspraxis groß sind. Daß ich die Zeit in der Schule so intensiv erleben konnte und heute reflektieren kann, hat auch damit zu tun, daß ich nur kurz in der Schule war, denn meine Praxis hat auch dazu geführt, daß ich heute arbeitslos bin. Ich habe also für die Intensität meiner Erfahrung den Preis der Arbeitslosigkeit eingehandelt. Dennoch sehe ich darin eine Regenerationsmöglichkeit, die wir für alle Lehrerinnen fordern sollten, z.B. zwei Jahre Schulpraxis, ein halbes Jahr Pause, denn sie ist die einzige Chance, den Verschleiß aufzuhalten.
Weil ich Lust habe, über die Lust zu reden, möchte ich auch keine der üblichen Repressionsspektren über unsere defizitäre Lebenssituation vorausschicken. Wir wissen alle inzwischen, welchen spezifischen Unterdrückungsformen wir als Mädchen, Frauen, Mütter und Großmütter unterworfen sind. Darüber ist in den letzten Jahren viel gesagt worden. Wenn ich mich dazu und zu allgemeinen Fragen der Mädchenbildung hier nicht äußere, bedeutet dies nur, daß ich mich und andere nicht endlos wiederholen und bei der Reflexion eigener Praxis endlich einmal Augenblicke des Sieges über das erfahrene Leid stellen möchte. Ich glaube, es ist auch an der Zeit, die eigene Stärke zu erkennen und unsere Phantasie und auch unsere Erotik gegen ein unmenschliches und gewalttätiges Schulsystem zu nutzen. Mir hat die Arbeit an der Schule Spaß gemacht. Ich würde meinem Beitrag deshalb lieber einen Satz voranstellen, den ich auf dem Schreibtisch meiner Freundin Annette fand: "Tanzen lernen im Gegenrhythmus zur offiziellen Zeit" - denn das ist es, was Feminismus für mich zur Zeit bedeutet.
Der erste Tag in der Schule schneidet sich tief ins Gedächtnis ein. Für mich war es vor allem der Geruch, der Geruch nach Bohnerwachs, der alle offiziellen Gebäude so unmenschlich und so unerträglich macht. Es ist der gleiche Geruch, der auch in den Gängen des Finanzamtes, des Sozialamtes, des Arbeitsamtes, in Gefängnissen und in Krankenhäusern alles ausmerzt, was noch an draußen erinnert. Es ist, als ob dieser Geruch alles wegzuätzen imstande wäre, was sich ihm an Düften der Individualität entgegenstellt. In diesem Geruch, der die Moral, die Ordnung und das, was richtig ist, vertritt, kulminierte für mich die Vereinnahmungs- und Neutralisierungsforderung, die der Apparat Schule an die dort lehrenden und lernenden Menschen stellt. Unter dem Zugriff dieser tödlichen Sauberkeit wird auf einmal alles wichtig, was dich an dich selbst erinnert, und das Festhalten an Individualität und Subjektivität wird bereits zum Moment von Widerstand. Jede von uns erfährt diesen Zugriff anders. Vereinnahmung, Neutralisierung, Aufgabe der Persönlichkeit und Entindividualisierung sind in der Schule auf vielfältige Weise sinnlich erfahrbar. Das sind Ansprüche, die Geschichte haben. Die Schule kann auf Determinanten zurückgreifen, die seit eh und je den Lebensweg von Frauen gekennzeichnet haben. Das sind die Verzichterklärungen der Mütter, auf die sich die Schule stützen kann. Der Beruf der Lehrerin, besonders der Grundschullehrerin, hat als Frauenberuf seinen festen Platz in der Hierarchie der Gesellschaft. Es ist klar, daß sich in unserer Berufswahl ein großer Teil unseres Leidens wiederfindet und ausweglos darin gebannt scheint. Aber ist es nur das? Ist Lehrerin sein nur der Reflektor von Unterdrückung, Ausbeutung unserer sogenannten naturgegebenen sozialen Veranlagung und überdimensionalen Mutterseins? Wir sind frühzeitig daran gewöhnt worden, unsere Persönlichkeit auszulöschen, sie hinzugeben an andere, uns zu verleugnen und in der Aufgabe all dessen, was unsere Individualität ausmacht, den traurigen Sinn unseres kolonialisierten Daseins zu sehen. Unsere emotionale Kraft aber wird besonders in sozialen Berufen geschickt in Kanäle geleitet, in denen sie für die Männergesellschaft nutzbar zu machen ist. Das alles wissen wir, und wir stehen vor dem großen Problem, einen Weg aus diesem Dilemma zu finden, der uns nicht in die Fangarme leistungsorientierter Verarmung oder eines sozialen Opfergangs treibt.

Hingabe, Emotionalität und Subjektivität sind in einer unmenschlichen Gesellschaft Schwächen, Fraueneigenschaften, die nicht für Herrschaft taugen und deshalb in aufopfernden Dienstleistungsberufen verschlissen werden. Opfer und aufopfernd werden wir so lange bleiben, wie wir nicht begreifen, welche ungeheure Chance und subversive Kraft gerade in jenen "minderen", herrschaftsuntauglichen Eigenschaften liegen, nämlich in einer Individualität, die ihre Identität nicht in der Erfüllung von Funktionen suchen muß, sondern die sich aus dem nährt, was uns umgibt, was uns berührt, was uns beschäftigt, was wir erleiden, dem wir uns hingeben und was wir genießen.
Die Schule aber verlangt von uns, eine leere Hülse zu sein, die je nach aktueller Bildungsstrategie mit beliebigen Inhalten zu füllen ist. Zur Durchsetzung bildungspolitischer Interessen wird an unsere Mütterlichkeit appelliert, denn in der Schule werden nicht Frauen, sondern Mütter gebraucht, die hingebungsvoll all das vermitteln, was der Staat von ihnen verlangt. Der technokratisch reformierte Unterricht, mit dem die Schule auf die Ansprüche der Wirtschaft reagiert, erschlägt die Kinder mit minutiös aufgebauten Unterrichtsmodellen, in denen jeder Atemzug verplant ist und deren Zweckmäßigkeit den allmählichen Tod der Phantasie nach sich zieht.
Mütter fragen nicht nach, denkt der Staat, sie tun ihre Pflicht, denn das haben sie ja gelernt. Und sie verzichten dabei gerne auf den Lustgewinn, der darin besteht, sich selbst im Produkt der Arbeit wiederzufinden. Sie setzen ihre Person ein, nicht ihre Persönlichkeit. Wie dies zu geschehen hat, ist bildungspolitisch festgelegt. Als der verlängerte Arm des Elternhauses und der Schule erfüllen wir eine Funktion. Wir müssen dazu beitragen, die Gewalt des Kleinfamilienalltags aufrechtzuerhalten, und dürfen unter dem Deckmantel von Gerechtigkeit und Gleichheit kein Kind ermutigen, sich selbst zu entdecken, sondern müssen es zurechtstutzen, bis es in die Zwangsjacke Klassengemeinschaft paßt - und dies unter der Prämisse von: Integration, Kooperation, Koedukation und letztlich auch unter einem Emanzipationsgedanken, der sich nicht am Reichtum des Individuums, sondern an den Verwertungsinteressen des Staates orientiert. Funktionen erfüllen, mit gleichmäßiger Freundlichkeit - dazu sind wir erzogen worden.
Was aber, wenn wir entdecken, daß unsere sogenannte Schwäche auch unsere Stärke ist? Wenn wir nicht mehr funktionieren, wenn wir verweigern, ausführendes Organ einer Bildungspolitik zu sein, die nicht die unsere ist? Was, wenn wir ein Eigeninteresse an der Arbeit entdecken, das nichts mehr mit mütterlicher, selbstloser Hingabe an andere, sondern mit der Hingabe an uns selber und mit der Erkenntnis zu tun hat, daß die Arbeit in der Schule gesellschaftliche Praxis ist, die über Sozialarbeit weit hinausgeht, eine Arbeit nämlich, in der wir unsere Identität als Waffe gegen die Gewalt des Schulalltags, gegen die Sprachlosigkeit, gegen die Borniertheit, gegen die Bürokratie, gegen das Absterben der Phantasie, gegen die Dummheit und für das Leben einsetzen können?
Feminismus ist keine Ideologie mit Aneignungscharakter und kann deshalb auch nicht von Männern vereinnahmt werden. Es ist eine Lebensform, die nicht konsumierbar, sondern nur erfahrbar ist. Feministische Praxis ist deshalb auch keine Strategie, sondern die Umsetzung der Individualität der Frau in gesellschaftliche Praxis, sie "ähnelt mehr einem Erdbeben als einem Krieg und erschüttert die Erde von ihrem Mittelpunkt her" (Courage, Nr. 8/1978, S. 25). Die Männergesellschaft hat gelernt, Kriege zu führen, aber die Voraussage für Erdbeben beherrscht sie nicht.
Als ich in die Schule ging, wollte ich nicht Opfer sein, mich nicht aufopfern, weder an die alles verschlingenden Kinder noch an die Schulbürokratie. Ich wollte auch selber etwas von meiner Arbeit haben, der Unterricht sollte nicht nur den Kindern, sondern auch mir Spaß machen. Die Zeit des Referendarjahres war mir einfach zu schade, um sie aus taktischen Gründen und nur, um eine Stelle zu kriegen, in sprachloser Anpassung zu vergeuden. Ich wollte die Zeit nutzen, um neue Erfahrungen zu machen, denn es waren ja immerhin zwei Jahre meines Lebens. Ich wollte nicht nur selbstlos sein und nicht verleugnen, daß ich auch eine Bestätigung brauchte, eine Bestätigung allerdings, die nicht in erpreßter Liebesbezeugung seitens der Kinder liegt oder in dem Blumenstrauß von den Eltern vor den Zeugnissen, sondern ich wollte Spuren meiner Identität hinterlassen, die sich in den Kindern und auch in ihren Produkten wiederfinden lassen. Ich freue mich heute noch, wenn ich höre, daß sich die Kinder und besonders die Mädchen nicht so leicht unterkriegen lassen und ihre Phantasie und ihren Witz gegen lernzielorientierte Wissensvermittler einsetzen. Ich freue mich immer noch über das, was die Kinder zu meiner Zeit geschrieben, gemalt und getan haben, ich freue mich über das, was sich verändert hat, und ich weiß, daß es auch mit mir etwas zu tun hat, wenn sie gelernt haben, nachzufragen und sich wenigstens ab und zu zu weigern, völlig sinnentleerte Aufgaben zu erfüllen, und mir ihre Kommentare unter alberne Diktattexte schrieben.
Weil ich Ich bleiben wollte, habe ich auch nicht den Tarnanzug einer fortschrittlich angepaßten Referendarin angelegt, sondern das eher stachelige Kleid einer widersprüchlichen Individualität. Ich habe mich darauf eingestellt, daß dies mehr Anstrengung von mir erfordern würde als eine stumme Einpassung in meine Funktion als Wissensvermittlerin. Die Anstrengung hat sich gelohnt. Die Arbeit in der Schule hat Erinnerungen an meine eigene Geschichte in mir wachgerufen, die lange verschüttet waren. Als ich in die Klasse kam, hatte ich den Anspruch, mich den Mädchen zuzuwenden, sie zu unterstützen und einem in der Schule praktizierten Koedukationssystem entgegenzuwirken, in dem die Mädchen kaum eine Chance zur Identitätsfindung haben. Denn die sogenannte Gleichheit, die hier praktiziert werden soll, ist keine Chancengleichheit für die Mädchen, sondern eine Gleichheit, die die männliche Bildungspolitik installiert hat und gewährt, eine Gleichheit, die die Machtverhältnisse beibehält und von uns Lehrerinnen verlangt, daß wir die Jungen per Koedukation zu Herrschern und die Mädchen zu allenfalls freiwillig Beherrschten erziehen.
Je länger ich in der Klasse arbeitete, um so mehr verblaßte mein feministisches Unterrichtskonzept als Anspruch und um so stärker entwickelte sich eine Parteilichkeit, die nicht im Kopf, sondern in allen meinen Sinnen und in der Entdeckung meiner eigenen Geschichte lag. Ich bot mich als Identifikationsinstanz an und fand mich in den Mädchen selbst wieder. Unterricht wurde auf diese Weise für beide zu einer Entdeckungsreise, deren Ausgang ungewiß war. Damit verstieß ich gegen die wesentlichsten Prinzipien, auf die Unterricht in einer technokratischen und leistungsorientierten Gesellschaft aufgebaut sein muß:

  • Lernzielorientierung
  • Zweckrationalisierung 
  • Operationalisierung und 
  • Objektivierung von Lernprozessen

Schon die Begriffe lassen einen schaudern - die Schulwirklichkeit, die sich dahinter verbirgt, tut es noch mehr. Auch Mädchenemanzipationsfragen - inzwischen zum integrierten Bestandteil progressiver Schulbücher geworden - werden in derartige Schemata gepreßt und als ein Thema unter anderen im Input-Output-Verfahren abgehandelt. An die Kinder wird z.B. ein Arbeitsblatt verteilt, auf dem ein Mädchen mit Fußballschuhen und ein Junge mit einer Puppe zu sehen ist. Frage: Was fällt Dir auf? Richtig beantwortet, heißt dann auch richtig gelernt.
Emanzipation, lernzielorientiert aufbereitet, ist in das System Schule integrierbar und gehört zum Lernzielkatalog der hessischen Rahmenrichtlinien.
Auch hier werden Mädchen in Funktionen gepreßt, die ihnen allenfalls das Recht einräumen, sich Eigenschaften anzueignen, die denen der Jungen gleich sind. Männliche Qualitäten werden in der Schule von heute für Mädchen erreichbarer gemacht. Auch hier dürfen Mädchen nicht so sein, wie sie sind, sie werden an ihrem Gegensatz orientiert, und Emanzipation bedeutet letztlich zuerst einmal die Mißachtung ihrer selbst. Autonomie, Befreiung und Selbstbewußtsein werden ihnen vorgeschrieben, und sie haben dabei keine Chance, sich selbst zu entdecken und sich selbst zu lieben. Pädagogik, Soziologie und Psychologie scheinen noch immer dazu aufgerufen, Mädchen mit einem Zerrbild ihrer selbst zu belasten, immer passiv, immer abhängig, angepaßt, defensiv und unfähig, eigenständig Probleme zu lösen. Als ich in die Klasse kam, sah ich mich um und konnte nur wenige finden, die diesem vorgefertigten Bild entsprachen. Statt dessen saßen da Mädchen, die in kein Schema zu pressen waren und auf die ich mich einlassen mußte, um zu erfahren, wer sie sind. Sich einzulassen bedeutete, sämtliche Konzeptionen und Kategorien aufzugeben, keine Schlüsse aus Äußerlichkeiten zu ziehen, sich auf die Mädchen als Individuen einzulassen und mit ihnen eine Beziehung einzugehen, die auch eine erotische ist, das heißt, sich gerade dort zu öffnen, wo die Schule unter dem Anspruch von Gleichbehandlung und Neutralität alles verschließt. Angesichts der Entdeckung der reichen und farbigen Persönlichkeiten vieler Mädchen in meiner Klasse war ich nicht mehr bereit, sie so zu beschneiden, daß sie in vorgefertigte - auch - Emanzipationsmodelle paßten. Ich sah meine einzige Aufgabe darin, sie zunächst einmal so zu mögen und anzuerkennen, wie sie sich in all ihren Widersprüchen darstellten, sie dort zu unterstützen, wo ich Neigungen entdecken konnte, und sie zu ermuntern, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Das bedeutete, den Anspruch auf Gradlinigkeit aufzugeben und ein Vertrauen in Widersprüche zu haben, das letztlich nur aus dem Vertrauen zu sich selber entstehen kann.
Feministische Schulpraxis wird so gesehen nicht zur pluralistischen Frauenpolitik, sondern sie wird zur Alltagserfahrung, verliert den Modellcharakter und gewinnt an Radikalität und an Leben. Wir können in der Schule keine emanzipierten Mädchen per Strategie produzieren. Wir können als Grundschullehrerinnen nur ansetzen an dem Selbstbewußtsein, das wir im Vorteil zu anderen Schulstufen noch ungebrochener vorfinden. Autonomie und Selbstbewußtsein bedeuten schließlich, unsere Potenz, die wir immer wieder in vielfältiger Form der Männergesellschaft zur Verfügung gestellt haben, endlich für uns selbst zu gebrauchen - so wie es Dulce, ein neunjähriges spanisches Mädchen aus meiner Klasse tut, wenn sie sich vorstellt, was wäre, wenn sie einen Roboter hätte, und dabei die ganze Welt in Besitz nimmt:

Wenn ich einen Roboter hätte...
Er machte für mich die Hausaufgaben. Er sollte für mich klauen, und wenn mich jemand verkloppen will, haut er alle zusammen. Ich ginge mit ihm in die Badewanne und spritzte alles voll, und er machte alles wieder trocken. Er sollte für mich zu dem Doktor oder zum Zahnarzt gehen. Er sollte für mich Geld klauen. Er sollte für mich in die Schule gehen. Er sollte für mich tausend Schätze finden. Wenn ich fliegen will, sollte er ein Flugzeug bestellen. Er sollte die Gefangenen befreien. Ich sollte die Königin von der ganzen Welt sein. Er sollte das ganze Meer austrinken und mich ins Bett bringen. Er sollte alles kaufen, was ich will: Süßigkeiten usw. usw. Er sollte für mich Pizza machen. Und wenn mir langweilig ist, sollte er mich aufmuntern. Er sollte für mich Kleider für den Fasching machen. Die ganze Welt sollte mich mögen. Er sollte mit mir über die Welt fahren. Und wenn ich weit von der Schule wohne, sollte er mich bis in die Schule tragen. Er sollte viele Bilder für die Schule malen. Er sollte ein großes Haus bauen, und in dem Haus sollten Schlangen und Krokodile, Hunde, Katzen, Hasen, fünf Kühe, sieben Pferde, achtzehn Hähne wohnen usw. usw.. Er sollte für mich hundertfünfzig Hefte kaufen und Geschichten erfinden. Und er sollte viele Ketten kaufen, und wenn ein Dieb käme, sollte er ihn aus der Tür schmeißen. Und er sollte alles schreiben, was ich will.
Er sollte mich in die Badewanne bringen und alle Katzen und die Hunde in das Schwimmbad. Alle Häuser sollte er hochheben, und wenn ich nicht essen will, sollte er das Essen essen, dann würde meine Mutter denken, daß ich es gegessen habe. Ich wünsche mir, daß ich die ganze Welt besitze, und der Roboter sollte die ganze Klasse, natürlich auch Frau Edschmid, tragen, jeden Tag vier Stunden lang, und er sollte in einer Tüte vierhundert Kaugummis haben, besser gesagt zwei Tüten. Und jeden Tag sollten wir fünfzig Kaugummis in den Mund stecken, und viele Uhren sollte er klauen, und wenn ich mir weh tue, sollte er mich trösten. Und wenn jemand meine Freundin verkloppt, sollte er ihm eine runterschlagen. Und ich hätte hundert Puppen von ihm zum Geburtstag bekommen. Und jeden Tag sollte er eine Party feiern mit der ganzen Klasse. Er sollte mich kämmen und waschen. Und die ganzen Häuser anmalen. Er sollte Sachen erfinden und mich für Fasching anmalen, und nachts sollten wir uns mit Tomaten beschmieren. Und wenn ich eine Oma bin, sollte er mich verzaubern, und dann wäre ich wieder neun Jahre alt. Er sollte mir zehn dicke, fette und große Tafeln Schokolade klauen, er sollte mir zehn große Lutscher klauen, und für die ganze Klasse sollte er Lutscher klauen und Kaugummis und Eis. Und er sollte für Frau Edschmid fünf Pelze kaufen. Er sollte mich in den Zirkus bringen, und er sollte alle Kinder, die nicht viel verstehen, verzaubern, damit sie alles verstehen. Und das soll er für mich machen, weil ich faul bin.
Ulrike Edschmid
(Grundschule, Frankfurt a.M.)

Wie finde ich eine Freundin?

Schülerinnen sprechen mit ihrer Lehrerin
über weibliche Homosexualität

                 

Im Unterricht (gemischte Klasse, 16 - 17 Jahre alt) wurde auf Wunsch der Schüler der Stern-Report vom Herbst 1978 über männliche Homosexualität besprochen.
Am Ende der Stunde gingen einige Schülerinnen einzeln auf die Lehrerin zu und begannen, vorsichtig zu fragen, zunächst mehr allgemein: Warum wird in der Literatur und auch in der Öffentlichkeit fast ausschließlich männliche Homosexualität behandelt? Warum ist über weibliche Homosexualität bzw. Zuneigung zu Frauen (so nannten es die Schülerinnen) nichts zu hören oder zu lesen?
Da sich die Lehrerin aufgeschlossen für diese Fragen zeigte, wagten die Mädchen mehr und formulierten ihr ganz persönliches Interesse an diesem Thema. Sie brachten einzeln für sich zum Ausdruck, daß sie das Bedürfnis kennen würden, die Freundin zu umarmen, zärtlich zu ihr zu sein, oder auch den Wunsch hätten, auf eine fremde Frau (ein fremdes Mädchen) einfach zugehen zu können. Aus der Angst heraus, zurückgewiesen zu werden, würden sie aber solche Aktionen gar nicht erst wagen.
Da eine Pause nicht den ausreichenden Rahmen für ein intensives Gespräch gibt, bot die Lehrerin an, sich mit den Mädchen einmal im Anschluß an den Unterricht zu treffen, um über dieses Thema weiterzureden. Bisher hatten sich die Schülerinnen vermutlich noch nie getraut, miteinander über Frauenfreundschaften, Frauenbeziehungen und ihre eigenen Wünsche in dieser Richtung zu sprechen, aber nun schien der Damm gebrochen zu sein.
Bei dem Gruppengespräch verbalisierten die Mädchen sehr offen ihre Ängste, Hemmungen und Erwartungen, was sie bislang nicht gekonnt hatten, da dieses Thema offensichtlich für viele ein Tabu ist.
Bei allen Mädchen, die gekommen waren, war der Wunsch da, emotionaler mit der Freundin oder mit Frauen überhaupt umgehen zu können, sie anzufassen, ihr einen Kuß geben zu können u.a. Die große Frage war nur das Wie: Wie artikuliere ich mein Interesse? Wie gehe ich auf sie zu? Eine große Hilflosigkeit drückte sich da aus.
Zu großen, aufregenden Erlebnissen war es deshalb auch noch nicht gekommen; nur von den kleinen, mehr zufälligen wurde erzählt. So hatte eine Schülerin auf einem Fest - ein wenig angetrunken - einer Freundin einen Kuß geben können; ein anderes Mädchen war, als sie bei ihrer Freundin übernachtete, Hand in Hand mit ihr eingeschlafen.
Das auf jemanden Zugehen - im Hetero-Bereich relativ problemlos - scheint den Schülerinnen beim eigenen Geschlecht fast unmöglich. Angst drückte sich immer wieder aus: Angst, zurückgewiesen zu werden, Angst, die Freundin zu verlieren, und auch die Angst, mit dem Etikett "lesbisch" versehen zu werden und damit als Außenseiterin dazustehen.
Zuneigung zu Frauen empfanden die Schülerinnen als etwas ganz Natürliches - sie waren sich allerdings der gesellschaftlichen Diskriminierung bewußt.
Eine Schülerin erzählte, daß sie mit ihrer Mutter, die eigentlich sehr liberal und aufgeschlossen sein soll, so ganz allgemein über weibliche Homosexualität gesprochen habe, worauf die Mutter sehr abwehrend und ablehnend reagierte.
Wie eine lesbische Beziehung im sexuellen Bereich genau "funktioniert", darin waren die Mädchen wenig aufgeklärt. So wurde ganz konkret die Frage gestellt: Können sich denn Frauen gegenseitig so richtig befriedigen?
Eine Schülerin, die schon sexuellen Kontakt mit einem Freund gehabt hatte, davon gar nicht begeistert war und sich auch von diesem Freund getrennt hatte, formulierte, daß sie viel mehr den Wunsch nach einer Frauenbeziehung habe und jetzt die "richtige", "tolle", "starke" Frau suche. Aber wo soll sie suchen?
Ergebnis des Gesprächs war, daß etwas von der Angst genommen wurde und die Schülerinnen sich gegenseitig Mut machten, es einfach einmal auszuprobieren.
In dem Gespräch zeigte sich, daß anscheinend viele Mädchen das Bedürfnis nach intimeren Beziehungen zu anderen Mädchen haben, damit aber nicht umgehen können und große Verhaltensschwierigkeiten haben, das auszudrücken, da weder Umwelt noch Schule ihnen Verhaltensmuster anbieten. Die Unterrichtsdiskussion über männliche Homosexualität gab den Anstoß dazu, auch über weibliche Homosexualität zu sprechen, und über die Lehrerin, die dabei eigentlich nur eine Nebenrolle spielt, schafften es die Mädchen, über dieses Thema miteinander zu reden, ja, sie stellten fest, daß ihre Bedürfnisse nichts Außergewöhnliches sind - und gewannen dabei hoffentlich auch etwas Mut, die Sache einfach einmal anzugehen.
Als Lehrerin empfinde ich es als sehr wichtig und richtig, solche Situationen zu provozieren, damit das vorurteilsbelastete Schweigen, das über Frauenbeziehungen liegt, endlich aufgebrochen wird.
Ich sehe da allerdings Probleme. Einmal ist es nicht so einfach, die konkreten Fragen der Schülerinnen zu beantworten, und mir ist auch kein Buch über weibliche Homosexualität bekannt, das ich den Schülerinnen empfehlen könnte. Und dann ist da natürlich die Befürchtung, daß über die Eltern etwas zu den Vorgesetzten getragen wird, und da in unserem Schulsystem die Frau-Mann-Beziehung immer noch als das einzig Erstrebenswerte und Normale gilt, heißt es, ganz unauffällig und unangreifbar - aber für die Schülerinnen eindeutig - zu agieren.
(Anon 1)

Warum wir es für wichtig halten,
in Jugendfreizeitheimen
Mädchengruppen zu organisieren

Wir haben die Erfahrung gemacht, daß die männlichen Mitarbeiter zwar nichts gegen die Mädchengruppen haben, sie finden Emanzipation (verbal) auch ganz wichtig. Aber daß sie uns auch tatkräftig unterstützen, mal mit den männlichen Jugendlichen über deren Beziehungsprobleme reden oder einfach bei den sich laufend bietenden Gelegenheiten deren chauvinistische Verhaltensweisen kritisieren, ist schon seltener. Im übrigen sind sie wohl ganz glücklich, wenn so eine Mädchengruppe existiert, weil sie mit weiblichen Jugendlichen bis auf einen kleinen Flirt nichts anzufangen wissen. Oder sie kehren den Vater raus! Für sie (männliche Sozialarbeiter) sind die Mädchen genau das, was sie für die männlichen Jugendlichen sind: Begleitpersonen, die wechseln, um die man sich also nicht kümmern braucht. (Höchstens mal nachfragen: "Na, was macht denn die Mädchengruppe?")
Um die Mädchen in Jugendfreizeitheimen kümmert man(n) sich nicht, denn:

  1. Sie sagen nichts in Vollversammlungen bzw. nichts Relevantes, artikulieren keine Bedürfnisse, haben keine Ideen (und wenn, dann versponnene oder doofe).
  2. Sie sind nicht wichtig für die Gruppenstruktur, höchstens als Begleitpersonen, die sowieso wegbleiben, wenn sie einen Freund haben, der woanders ist. Besonders im Freizeitbereich wird deutlich, daß es die Funktion von Mädchen ist, das Ansehen ihrer Typen zu heben oder zu senken. Wie sie außerhalb des Freizeitbereichs leben oder wie ihre Perspektiven aussehen, erscheint nicht interessant (Beispiel: In der Lehrlingsgruppe, die ein männlicher Sozialarbeiter übernommen hat, sind keine Mädchen, obwohl im Freizeitheim ständig Mädchen verkehren, die in der Lehre sind).
  3. Entsprechend ihrer Ausschmückungsfunktion kann auf sie in Konfliktsituationen nur über ihre Typen gerechnet werden. Militanz ist von ihnen gar nicht zu erwarten, sie ziehen sich in kritischen Fällen zurück (bleiben zu Hause).

Das spielt sich so, wie wir es gehört und beobachtet haben, in den Köpfen der männlichen Sozialarbeiter ab. (Kein Wunder: Siehe wie Mann die Rolle der Frau in der Studentenbewegung sieht.)

Wie sieht es wirklich aus?

  1. Es ist richtig, daß die Mädchen weniger sagen (auf Vollversammlungen) und wenn, dann entweder extrem laut oder extrem leise. Bei der ganz und gar nicht subtilen Art des angehimmelten männlichen jugendlichen Proletariats werden sie im ersten Fall offen als hysterisch diffamiert und überhört, im zweiten Fall neutral überhört (den Typen ist es beinahe peinlich, wenn ihre Freundinnen etwas sagen, egal was).
  2. Das Hinhören auf "extrem laut" oder "leise" ist sehr wichtig, weil damit häufig die beiden Pole in einer Gruppe ausgedrückt werden. Wenn ihre Relevanz für die Gruppenstruktur begriffen wird, wenn man(n) mal hinhört, bleiben die Mädchen auch nicht weg. Es ist notwendig, darauf einzugehen, was die Mädchen außerhalb des Freizeitbereichs machen. Der Druck ist bei ihnen zu Hause meistens viel stärker als bei den Typen. Sie müssen früh zu Hause sein und auf ihre Geschwister aufpassen und den Haushalt mit übernehmen, wenn die Mütter arbeiten gehen. Zuviel Freizeit beinhaltet für ihre Eltern oft die Möglichkeit, daß sie auf die "schiefe Bahn" kommen. Ihre Perspektiven: geringe Auswahl an Lehrstellen und/oder Ehe. Häufig haben sie schon mit 15 eine resignative Haltung beiden Möglichkeiten gegenüber.
  3. Bei einer ansatzweisen Änderung der Jugendlichen den Mädchen gegenüber, in Einstellung und Verhalten, könnte ein Jugendfreizeitheim ein Ort für sie sein, wo eine Rollenreflektion möglich ist, wo zum Teil konkrete Hilfen geboten werden, wo sie Einfluß und Entscheidungsmöglichkeiten haben. Wenn das gewährleistet ist, setzen sie sich für ihre Freizeit ein, es sei denn, die Heime stellen sich für sie so dar, wie sie eben sind, als Reproduktionsstätte der gesellschaftlichen Vorurteile, als Verhaltenstraining zum Sexualobjekt.

Welche Möglichkeiten bieten Mädchengruppen?

  1. Die Mädchen lernen sich kennen, lernen, miteinander zu reden und einander zuzuhören.
  2. ie erfahren, daß sie mit ihren Problemen nicht isoliert dastehen. 
  3. Sie fangen an, sich und die anderen ernster zu nehmen.
  4. Sie lernen, sich gegenüber bestimmten Anforderungen zu wehren: In Jugendfreizeitheimen werden Mädchen wie in der Familiensituation eingesetzt zum Saubermachen, Abwaschen und Nähen, zum Nettsein und Anwesend-Sein.
  5. Sie fangen an, sich gegen ihre Freunde zu wehren.
  6. Sie machen sich mehr Gedanken über die Berufs- und Eheperspektive.
  7. Sie machen die Erfahrung, daß sie auch miteinander etwas machen können: reden, renovieren, planen, streichen, bauen, Sport, tanzen, Programm des Jugendfreizeitheims mitbestimmen.
  8. Sie finden es langsam nicht mehr so normal und richtig, wie sie angequatscht und behandelt werden.

Anon. 2

Parteilichkeit für Mädchen

Folgende Thesen wurden von einer Berliner Pädagoginnengruppe auf dem Kölner Kongreß "Feministische Theorie und Praxis in sozialen und pädagogischen Berufsfeldern" (November 1978) als Gesprächsgrundlage vorgestellt. Für die Diskussion der Thesen verweise ich auf die Veröffentlichung der Berichte von dem Kongreß.[1]
Dagmar Schultz

Die Grundbedingung feministischer Mädchenarbeit ist die Parteilichkeit für Mädchen. Dies setzt voraus, daß die Pädagogin selber für sich die Entscheidung trifft, abzurücken von einer geschlechtsneutralen Jugendarbeit ("...auch die Jungen haben Probleme..."), sondern sich parteilich für die Interessen und Bedürfnisse der Mädchen einzusetzen, was sich sowohl in der pädagogischen Zielsetzung als auch in der täglichen Praxis mit ihren konkreten Alltagssituationen ausdrücken muß. Der Benachteiligung der Mädchen in allen Bereichen - besonders auch in der traditionell an den Interessen der Jungen orientierten Jugendarbeit - kann nur entgegengearbeitet werden, wenn die Mädchen zum ersten Mal die Erfahrung machen, daß sie in der Pädagogin eine Bezugsperson haben, die sich grundsätzlich wertend auf ihre Seite stellt, die die Mädchen und ihre Interessen, Bedürfnisse und Probleme an die erste Stelle setzt.
Die Entscheidung für eine Parteilichkeit für Mädchen als die am meisten Unterdrückten und Benachteiligten setzt die Erfahrung eigener Unterdrückung und Benachteiligung, verbunden mit der daraus resultierenden Wut und dem Entschluß, gegen den herrschenden männlichen Anspruch in allen Bereichen anzukämpfen, voraus. Dies bedeutet, daß feministische Mädchenarbeit nur von Frauen und niemals von Männern (auch nicht von den sich als "frauen- und mädchenfreundlich" definierenden) praktiziert werden kann.
Die sich zwar in den Erscheinungsformen unterscheidenden, aber grundsätzlich dennoch gleichen Erfahrungen von Unterdrückung und Benachteiligung, sowohl bei den Mädchen als auch bei der Pädagogin, machen es möglich und notwendig, daß die Pädagogin ihre eigene Betroffenheit, d.h. ihre eigenen Erfahrungen, Probleme und ihren eigenen Emanzipationsprozeß für die Mädchen erkennbar in die pädagogische Arbeit mit einbringt.
Die Pädagogin, die sich auf diese Weise selber in die Mädchenarbeit einbringt, fördert somit einen Entwicklungsprozeß, der die pädagogische Distanz zwischen Mädchen und Pädagogin auf ein Minimum reduziert, in dem Mädchen und Pädagogin zu Subjekten in einem Prozeß werden. Die Pädagogin wird so für die Mädchen sehr häufig zu einer positiven Identifikationsfigur. Diese Entwicklung sollte gefördert und unterstützt werden, da es für die Mädchen äußerst wichtig und hilfreich ist, sich an einer Frau orientieren zu können, die für sie eine dringend benötigte Alternative zu den gesellschaftlich gängigen weiblichen Leitbildern darstellt.
Die pädagogische Arbeit muß in erster Linie an den Stärken der Mädchen anknüpfen. Die "typisch weiblichen" Fähigkeiten und Verhaltensweisen werden gesellschaftlich nicht anerkannt, geschweige denn entlohnt, wenn sie z.B. als reale Qualifikation in der Berufstätigkeit ausgebeutet werden.
Mädchen und Frauen müssen ihre Fähigkeiten und Verhaltensweisen an ihren eigenen Zielvorstellungen menschlichen Zusammenlebens messen und neu bestimmen, welche dafür wertvoll sind, bzw. neu bestimmen, was ihre (unsere) Stärken und was ihre (unsere) Schwächen sind. Anstatt länger ein Bewußtsein von "Schwächen" und "Defiziten" zu haben, können sie aus ihren Stärken Strategien für Aktivitäten und Verhalten entwickeln. Viel "typisch Weibliches" wird aufgewertet werden.
In autonomen Mädchengruppen können die Mädchen ihre Erfahrungen und Bedürfnisse einbringen, ohne sich dauernd gegen Jungen durchsetzen zu müssen (die das in der Regel ohnehin besser gelernt haben). Verhaltensweisen, die eine Zusammenarbeit der Mädchen in gemischten Gruppen beeinträchtigen oder verhindern, wie "sich den Jungen darstellen wollen" oder "um sie konkurrieren", werden nicht aktiviert. Ohne Angst vor Ablehnung seitens der Jungen können die Mädchen eigene und männliche Verhaltensweisen hinterfragen, eigene Bedürfnisse und Interessen wahrnehmen bzw. entwickeln und sie durch Aufbauen von Argumentationsketten nach außen hin vertreten und durchsetzen.
In der gemeinsamen Arbeit und der Freizeitgestaltung machen sie die Erfahrung, daß Aktivitäten "nur" mit Mädchen (Frauen) Spaß machen, daß Mädchen (Frauen) etwas leisten können und daß sie selbst (nicht nur über Aussehen oder ihren Freund) akzeptiert werden. Damit entsteht ein positiver emotionaler Bezug zueinander, der Solidarität füreinander unterstützt. Die Mädchen können Selbstbewußtsein entwickeln und lernen, sich über eigene Verhaltensweisen, Gefühle, Interessen und Fähigkeiten zu definieren. Sie erwerben damit Grundlagen, ihre Rechte und Interessen gemeinsam und zielbewußt durchzusetzen.
(Anmerkung zu den Thesen, um einem Mißverständnis vorzubeugen: Ergänzend muß gesagt werden, daß Mädchenarbeit nicht nur dann feministisch ist, wenn sie in autonomen Mädchengruppen stattfindet. Selbstverständlich gelten diese Prinzipien auch gegenüber einem einzelnen Mädchen und denen, die in gemischten Zusammenhängen sind. Wir haben uns deshalb bisher am meisten mit der Situation in Mädchengruppen beschäftigt, weil wir sie für den wesentlichen Ort von Veränderung halten. Darüber hinaus halten wir es für das langfristige Gelingen von feministischer Mädchenarbeit für unabdingbar, daß Männer im positiven Sinne geschlechtsspezifische Jungenarbeit machen.)
Berliner Pädagoginnengruppe

Lehrgänge für Hauptschülerinnen im Wannseeheim
für Jugendarbeit e.V. West-Berlin

               

Dies ist meine Zusammenfassung von Berichten über einwöchige Lehrgänge für Hauptschülerinnen; eine ausführliche Dokumentation findet sich in dem Buch: Gabriele Naundorf und Sylvia Wetzel, Wochenkurs für Hauptschülerinnen im Wannseeheim für Jugendarbeit e. V., Berlin, Wannseeheim für Jugendarbeit, 1977.[1] Die Lehrgänge werden für Schülerinnen und Schüler durchgeführt. Bei dem Thema "Berufswahl und Arbeitswelt" bildeten sich häufig Mädchengruppen zu dem Berufsfeld "Dienstleistungen". Die Pädagoginnen entwickelten hieraus gezieltere Mädchengruppen, die sich kritisch mit frauenspezifischen Aspekten der Berufswahl auseinandersetzen. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Kurs "Mädchenerziehung Frauenrolle" stellten sie fest, daß das Thema "Beruf" für Jungen ausschließlich "Erwerbstätigkeit" bedeutet, während es für Mädchen immer - entsprechend der Lebensrealität von Frauen - mit Familie, Ehe, Hausarbeit zusammenhängt.
Im folgenden will ich den Arbeitsprozeß und die Ergebnisse von zwei Kursen beschreiben: Mädchen und Beruf" und "Mädchenerziehung Frauenrolle".

Kurs "Mädchen und Beruf"

1. Phase:
Ziel ist herauszufinden, was die Mädchen über die Situation der Frau im Beruf wissen. Teamerinnen stellen Fragen zu Unterschieden zwischen Frauen- und Männerberufen, die während der Woche zur Kontrolle auf Wandblättern notiert werden. Schülerinnen entwickeln zwei Rollenspiele darüber, wie sie sich die Berufswahl der Jungen bzw. der Mädchen vorstellen. Die Rollenspiele werden im Theatersaal vorgeführt.

2. Phase:
Untersuchung der Frage, warum Mädchen es schwerer haben, eine Lehrstelle zu finden und im Beruf zu bleiben. Thesen der Schülerinnen werden notiert und anhand von Informationsmaterialien überprüft. Der Lehrstellenfilm eines Wochenendseminars "10 Minuten über Lehre bei Leiser", in dem die Benachteiligung der Mädchen gezeigt wird, wird vorgeführt. Anschließend formulieren Schülerinnen Fragen, die sie bei Erkundungen über Probleme von Mädchen bei der Lehrstellensuche und in der Lehre sowie bei Frauen, die dem gängigen Frauenbild widersprechen, stellen wollen.

3. Phase:
Die Mädchen besuchen eine Schule für Textilverkäuferinnen, eine Karatelehrerin im Frauensportzentrum und eine der Wirtinnen der Berliner Frauenkneipe "Blocksberg". Übergreifende Fragestellungen der Erkundungen: Sind Mädchen bei der Lehrstellensuche, in der Ausbildung und in der Arbeit benachteiligt? Woran zeigt sich das?
Es folgt eine kurze Einschätzung der Erkundungen anhand der Leitfragen: haben sich unsere Vermutungen zur Benachteiligung der Mädchen bestätigt?" und "Welche neuen Informationen haben wir bekommen?"

4. Phase:
Umsetzung der Inhalte der Woche in ein Medium nach Wahl (Lied, Plakate, Zeitung, Rollenspielen, Hörspiel, Berichte) mit anschließender Vorführung der Gruppenprodukte.
Auszüge aus den Inhalten, die im Laufe der Woche erarbeitet wurden und in den Produkten (Lied, Zeitungsartikel, Fragen und Antworten) teilweise wieder auftauchten:

  • Ungleicher Lohn für gleiche Arbeit
  • Doppelbelastung durch Hausarbeit und Beruf 
  • Größeres Berufsangebot für Männer 
  • Schlechte Qualität der Ausbildungsberufe für Mädchen 
  • Frauen werden schneller entlassen 
  • Männer können in Frauenberufen leichter aufsteigen als Frauen 
  • Frauen werden in Männerberufen nicht für voll genommen.

Die Mädchen stellten fest, daß die Jungen verunsichert werden, wenn Mädchen zusammenhalten. Sie kamen zu dem Schluß:

  • Es ändert sich nur etwas an der Unterdrückung der Frau, wenn Frau sich das nicht mehr gefallen läßt und den Mund aufmacht (noch labil; die Mädchen sind aber jetzt offener für eine solche Haltung).[2]

Die Jungen fühlen sich von den Rollenspielen, die die Mädchen am Anfang der Woche vorführten, so angegriffen, daß sie eine Besprechung mit den Mädchen einberiefen, in der sie ihnen vorbereitete Fragen stellten, wie z.B.: "Wolltet ihr die Männer beleidigen?", "Warum stellt ihr alle Männer als geile Böcke hin?", "Fandet ihr die Sache nicht übertrieben?" und "Fanden alle Mädchen die Sache gut?".

Aus der Antwort der Mädchen:

"... Wir sind in unserer Mädchengruppe nur von uns ausgegangen Natürlich wußten wir, daß das Problem, das wir vorgespielt haben, auch bei Jungen vorkommt. Da wir ja Mädchen sind, hätten wir es kaum umgedreht spielen können. Wir sind der Meinung, daß man die Realität nicht übertreiben braucht. Wir fanden es dufte, daß die Jungen uns zu einer Diskussion zum Thema Rollenspiel aufgefordert hatten. ..."

Aus dem Bericht der Jungen:

"Die Jungen machten ein Plenum, nachdem sie von den Mädchen durch ein Rollenspiel sehr beleidigt worden sind. ... (Mehrere Jungen stellen Fragen für die folgende Diskussion mit den Mädchen zusammen.) ... Wir Jungen stellen den Mädchen leichte und schwierige Fragen. Die Mädchen gaben uns zu jeder Frage die passende Antwort. Wir fragten die Mädchen, ob sie die Sache gegen einige Personen der Klasse gerichtet haben. Alle Mädchen verneinten. Alle Jungen waren danach wieder heiter und vertrugen sich wieder mit den Mädchen. Die Jungen waren nach diesem Plenum wieder um eine Erfahrung reicher. ... "

Interessant ist an diesen beiden Kommentaren das unterschiedliche Selbstbewußtsein, mit dem die Mädchen bzw. Jungen diesen Konflikt handhaben. Es ist kaum vorstellbar, daß die Mädchen wie die Jungen reagieren würden und umgekehrt. An einem solchen Beispiel zeigt sich, wieviel Arbeit mit den Jungen noch zu leisten wäre.
In dem Buch sind auch die Materialien abgedruckt, die den Schülerinnen gegeben wurden. Darunter sind Statistiken zu unterschiedlichen Verdienstspannen von Frauen und Männern, Berufsbeschreibungen aus einer Informationsbroschüre des Arbeitsamts (Arzthelferin, Friseuse etc.) unter der Fragestellung "Was erwartet man von Frauen im Beruf. Artikel zum materiellen Wert von Hausarbeit, zur Frage "Was ist eine emanzipierte Frau?" und zum Thema "Männer in Frauenberufen" und "Frauen in Männerberufen".

Kurs "Mädchenerziehung Frauenrolle"

Dieser Kurs wurde mit einer 10. Klasse gemacht, die schon in der Schule einen Kurs, allerdings mit den Jungen zusammen, über die Lehrstellensituation durchgeführt hatte. Die Schülerinnen interessierten sich für das Thema "Erziehung". Die Teamerinnen wollten es jedoch nicht isoliert behandeln, um zu vermeiden, daß der Eindruck entstehen könnte, eine "Modernisierung" der Erziehung sei ausreichend für Veränderungen beim einzelnen. Das Thema wurde also in die gesamten Lebenszusammenhänge eingeordnet: geschlechtsspezifische Erziehung, Hausarbeit und Kindererziehung, Frauenlohnarbeit, Objektrolle der Frau.

1. Tag:
Nach einem Gespräch über das Interesse der Schülerinnen an der Mädchengruppe wird ein Assoziations-"spiel" zum Thema "Männerbilder - Frauenbilder" gemacht. Karten mit typischen Eigenschaften werden zugeteilt und auf Wandblättern gegenübergestellt. Durch Reihumverfahren sind alle Mädchen einbezogen. Die Lernziele:

  • Es gibt weibliche Rollenstereotype.
  • Es existieren gesellschaftliche Erwartungen an Mädchen und Frauen.
  • Das herrschende Frauenbild betrifft alle Frauen (z.B. wenn es heißt, Frauen sind dumm; ich finde mich nicht dumm, aber man sagt es trotzdem über mich).

Während des Spiels entwickeln sich anhand der einzelnen Eigenschaften viele Diskussionen, so etwa: intelligent - die Frauen sind oft intelligenter, aber sie sollen zum Mann hochblicken.
2. Tag:
Das Thema "Frau und Beruf" wird unter folgenden Aspekten diskutiert:

  • Warum gehen Frauen arbeiten?
  • Berufsaussichten von Frauen
  • Rollenerwartungen in Frauenberufen

In Kleingruppen werden durch Berufsbeschreibungen die von Frauen erwarteten Eigenschaften herausgearbeitet. Sie werden mit den am Vortag an der Wandzeitung aufgeführten Eigenschaften verglichen. Die Übereinstimmung ruft einen Aha-Effekt hervor.
Es folgt die Behandlung der eigenen Sozialisation. Ein Fragebogen wird ausgefüllt:

  1. Wärst du lieber ein Junge? ja/nein
  2. Warum? (Warum nicht?)
  3. Wirst du anders von deiner Umwelt behandelt als dein Bruder? Beispiele!!
  4. Hilfst du mehr im Haushalt als dein Bruder? ja/nein

Zur anschließenden Diskussion werden die Mädchen in zwei Gruppen aufgeteilt. Es ergibt sich, daß sich die eine Gruppe aus Mädchen mit einer typischeren Sozialisation zusammensetzt, während in der anderen weniger "mädchenhaft" erzogene Schülerinnen sind (kein Mädchen will sich jedoch als "typisch erzogen" darstellen).

Gruppe I:
Die Sozialisation scheint zunächst bruchlos verlaufen zu sein - schon frühes Interesse am Sich-Schminken etc. Als einzige Unterschiede werden genannt, daß Mädchen mehr Hausarbeit machen müssen und Jungen sich nicht schminken dürfen. Der Zerfall vorpubertärer Cliquen und ebenso die Beendigung gewisser Aktivitäten wie Auf-Bäume-Klettern werden erwähnt, aber mit anderen Lebensumständen erklärt.

Gruppe II:
Hier erzählen die Mädchen mehr von ihren Schwierigkeiten mit dem Pubertätsbruch und der Anpassung an die Frauenrolle. Die Erziehung zum Mädchen wird als etwas Minderwertiges angesehen, von dem sie sich distanzieren.
Die Teamerinnen stellten sich die Fragen:

  • Ist es möglich, Mädchen in diesem Alter ihre eigenen Ambivalenzen und Pubertätsbrüche bewußt zu machen?
  • Ist es möglich, über dieses Bewußtsein eine Betroffenheit im Sinne von Wut zu erzeugen, mit der sich Mädchen gegen die Reduzierung der Frau auf ihre "weiblichen Eigenschaften" wehren und gleichzeitig ihre frauenspezifischen Qualitäten aufwerten?

Die Erfahrung zeigte, daß Mädchen immer von sich als handelnden Subjekten reden und sich nicht als Objekte von Erziehung sehen wollen. Dies muß bei der Art, Fragen zu stellen, beachtet werden.

3. Tag:
Zur Vorbereitung von Erkundungen wird ein Spiel gemacht. Thema: Protestaktion einer Frauengruppe gegen die Wahl der "Miß Teenagerbein 1973". Die Mädchen werden in vier Gruppen aufgeteilt, die die Argumentation der verschiedenen Parteien (Aktionsfrauen, anwesende Männer, Anwärterinnen für die Mißwahl, Reporterinnen) entwickeln. Es zeigte sich, daß die Mädchen dadurch Positionen klar formulieren und sich insbesondere die wenig vertraute Position der Aktionsfrauen begreiflich machen konnten. Die Übernahme der Männerrolle war ein legitimes Ventil für sexuelle Anspielungen, eine Gelegenheit, um das Thema "sexuelle Anmacherei von Männern" aufzugreifen.
Es folgten Erkundungen bei einer Karatelehrerin und einer Mädchengruppe in einem Jugendfreizeitheim.

4. und 5. Tag:
Ein Erlebnisbericht über die Erkundungen wird für die Zeitung geschrieben. Die Mädchen beantworten auf Wandblättern Fragen, die während der Woche hinzugekommen sind, wie:

  • Warum sind Mädchen/Frauen benachteiligt, speziell im Beruf?
  • Warum können Frauen z.B. nicht Pilot werden? 
  • Benachteiligung von Mädchen in der Erziehung 
  • Wem nützt die Mädchenerziehung? (schriftlich)

Es ist ein Erfolgserlebnis für die Mädchen, die Fragen, die sie am Anfang der Woche gestellt haben, beantworten zu können.
Außerdem planen die Mädchen zum Abschluß des Kurses ein Hörspiel in drei Teilen:

  1. Rollenumkehr: Frauen sitzen in der Kneipe und reden über ihre Männer, die die Frauenrolle übernommen haben
  2. Frau und Beruf: Sekretärin und Chef; Stellenangebote.
  3. Probleme von Mädchengruppen: Der Freund versucht, das Mädchen davon abzuhalten, in die Mädchengruppe zu gehen.

Diese Kursbeschreibungen geben eine Vorstellung davon, wie Frauenthemen in Jugendgruppen angegangen werden können. Obwohl diese Projekte außerhalb der Schule ohne Stundenplanzwänge und ohne Jungen in der Gruppe durchgeführt wurden, sind doch Teile davon auch für die Schule anwendbar. Rollenspiele können ebenso wie Hörspiele, Lieder etc. in verschiedenen Gruppen erarbeitet werden. Durch Zusammenarbeit mit Kolleg(inn)en könnten auch Erkundungen ermöglicht werden (Jungen könnten z.B. eine Männergruppe besuchen oder Männer, die in Frauenberufen arbeiten). Der intensive Austausch, der dadurch geschaffen werden kann, daß die Mädchen eine ganze Woche ständig zusammen sind, müßte durch die Behandlung der Themen über eine längere Zeit wettgemacht werden, Auch eine Klassenreise könnte hierzu genutzt werden.
Ich möchte noch einige Gedanken vermitteln, die die Autorinnen zu Rollenspiel und zur Produktion von Liedern äußern:
Eine Liedproduktion eignet sich sehr gut dazu, falsche Vorstellungen sofort zu diskutieren, da jede was dazu sagen kann, auch wenn sie nicht gleich einen Reim hat (beim Rollenspiel fallen eher Schülerinnen, die nicht spielen können, raus). Teamer haben dabei eine wichtige Funktion in der gruppendynamischen Steuerung und in Hilfestellungen beim Versmaß und bei den Reimen und überhaupt beim Antörnen. (Was uns Spaß macht, macht auch wahrscheinlich den Schülerinnen Spaß.)[3]
Sie sehen das Rollenspiel als eine Methode, die zunächst einmal den Unterricht auflockern und die Schüler(innen) dazu bewegen kann, aus sich herauszugehen. Sie meinen jedoch, daß die Ansprüche, die an das Rollenspiel gestellt werden, häufig zu hoch sind: Schüler(innen) spielen Situationen, die sie beschäftigen, Das macht ihnen Spaß, was nicht unterschätzt werden sollte; man kann jedoch nicht erwarten, daß durch dieses Spiel Verhaltensänderungen erreicht werden, auch dann nicht, wenn es noch einmal über den Video-Recorder vorgespielt wird. Alternative Situationen einzuüben, ist meist langweilig ("wie sieht die gute Schule aus"), und Situationen zu spielen, die die Schüler aus eigener Anschauung nicht kennen, überfordert die Möglichkeiten des Rollenspiels, ist in einigen Fällen auch politisch fragwürdig:
Interessenkonflikte auf der Ebene von Rollenverhalten abzuhandeln, scheint ... politisch bedenklich. Denn dabei wird tendenziell der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf Havanna-Zigarren-Raucher und HB-Filter-Zigaretten-Raucher reduziert, ...Außerdem führt die Personalisierung von Funktionen dazu, daß "richtig" oder "falsch" handeln zum individuellen Willensakt wird, ohne Berücksichtigung teilweise zuwiderlaufender Einflüsse von außen.[4]
Hinzu kommt, daß die Schüler(innen) z.B. bei der Behandlung eines Betriebskonflikts eine Hierarchie darzustellen scheinen, aber in erster Linie den Autoritätskonflikt mit dem Vater auf den Meister übertragen.
Meiner Meinung nach wird diese Art einer falschen Übertragung in Rollenspielen von Mädchen, die sich auf Situationen von Frauen beziehen, weniger zur Gefahr. Es besteht eine größere Kontinuität in den Ausarbeitungs- und Unterdrückungsmechanismen: Das Mädchen muß Hausarbeit machen und bekommt weniger Taschengeld als sein Bruder, der keine machen muß - sie kann sich vorstellen, wie es sein wird, wenn der Chef erwartet, daß sie ihm den Kaffee während der Frühstückspause kocht; ebenso gehören sexuelle Übergriffe von Jungen/Männern zum Erfahrungshorizont eines jeden Mädchen.
So zeigte sich auch in der Lehrgängen, daß die Berufsvorstellungen von Mädchen realistischer als die von Jungen sind. Über das Rollenspiel der Mädchen zum Thema "Frauen in Männerberufen" schreiben die Autorinnen:
War für Mädchen deshalb interessant, weil sie männliches "Anmach"Verhalten persiflieren konnten (weil sie es kennen). Gute Differenzierung zwischen lautstarkem Anmachen (Kollegen) und "feinerem" Anmachen (Chef) in Zusammenhang mit ökonomischer Abhängigkeit ("Du willst doch eine Gehaltserhöhung!").[5]
Sie gehen auf diesen von mir beschriebenen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen bei gewissen Rollenspielen nicht ein; aufgrund obiger Überlegungen stellten sie allerdings auch bescheidenere Ansprüche an Rollenspiele. Am Anfang eines Lehrgangs sollten sie zur Einstimmung in das jeweilige Thema dienen, am Ende des Kurses dazu, daß die Schüler(innen) ihre während der Woche gewonnenen Erfahrungen den anderen zugänglich machten.
Zum Thema "Rollenspiele mit Mädchen" schreiben Savier und Wildt, daß ein "spontanes Rollenspiel, also quasi ein aus dem Stegreif entwickeltes Spiel mit vertauschten Rollen" deutlich macht, "wie viele Mädchen, zwar völlig unreflektiert, aber mit Vehemenz, versuchen, die Rolle eines Jungen oder eines Mannes zu spielen (Identifikation mit dem Aggressor). Ihr Problem der Benachteiligung gegenüber ihren Freunden, ihren Brüdern oder Vätern können die Mädchen so natürlich nicht lösen." Sie fahren fort:

Wir wollen auch keine Rollenumkehrung, denn wir haben genügend Kritik an männlichen Verhaltensweisen, als daß wir sie übernehmen wollten. An diesem Beispiel wird jedoch deutlich, daß wir durch die Erfahrung mit dem "spontanen Rollenspiel" zu Erkenntnissen kommen, die in ein "emanzipatives Rollenspiel" später eingearbeitet werden können. Durch eine entsprechende Planung und Vorbereitung (direktiver Ansatz) des Rollenspiels können zum Beispiel alternative Rollen für Mädchen vorgegeben werden, die sie, indem sie sie spielen und sich damit identifizieren, auch lernen, in der Realität durchzusetzen.

Wie diese Rollen auszusehen haben, muß vorher gemeinsam mit den Mädchen erarbeitet werden, denn je nach Persönlichkeitsstruktur, Bewußtsein und Lebensrealität sind auch ihre Vorstellungen von "Emanzipation" verschieden. Das sollte unbedingt berücksichtigt werden, denn ein "neues Selbstbewußtsein", das "auf Sand gebaut" ist, ist so gut wie keins.[6]
Dagmar Schultz

Die Suche nach der »Zündung «

Erst habe ich mich gewundert, dann die Zündung vermißt, dann angefangen zu suchen. Dann folgte die Einsicht, daß es so einfach nicht geht.
Ich war selbst nie ein Bündel von Aktivität, aber die Angebote, die wir [1] in die Schule bringen, hätten selbst mich aus dem Winterschlaf gerissen. Und das wäre dann auch schon der erste Fehler, von den eigenen Mädchenerfahrungen auszugehen. Da gibt es tausend und abertausend verschiedene Formen von Passivität, versteckter Aktivität und Aktivität, die nur nie erkannt oder begriffen wird.
Das Projekt, von dem ich erzählen will, war weder in meinem Sinn ein gelungenes, noch ist es ein Rezept zur Nachahmung. Wichtig sind die Fragen, die sich mir stellten bei meiner Suche nach den verborgenen oder nur für uns Erwachsene nicht sichtbaren Aktivitäten und Möglichkeiten der Mädchen.
Die Klasse, um die es in diesem Fall geht, war neu für uns, und auch die Kinder kannten sich größtenteils noch nicht. Eine 7. Hauptschulklasse, gerade aus verschiedenen Grundschulen zusammengesetzt. In neuer Umgebung, mit neuen Lehrer(inne)n. Für uns eine gute Möglichkeit, die wir nutzen wollten, das Kennenlernen untereinander und den Einstieg in die neuen Lebensumstände zu erleichtern, indem wir die einzelnen Kinder und die gesamte Klasse zum Thema machen wollten. Wir suchten und fanden verschiedene Methoden, wie wir uns sensibel, praktisch, logisch, vernünftig, unsensibel, wohlmeinend, wütend oder energisch dieser schwierigen Aufgabe nähern wollten, die Bereiche wie Freizeit, Schule, Zuhause, Glück, Trauer, Freude, Angst, Träume, Idole usw. aufgreifen sollte.
Nach den Vorarbeiten und Gesprächen mit den Jugendlichen war die erste Stufe: Herausgehen aus der Schule und Fotografieren all der Orte, Gegenstände, Menschen und Tiere, die für die einzelnen Kinder jeweils wichtig waren; dabei auch die soeben verlassene Grundschule, der Spielplatz und so weiter. Die Fotografien sollten dann, mit einer Karte des Wohnbezirks verbunden, an der Wand im Klassenraum angebracht und mit persönlichen Dingen und Porträts der Kinder noch vervollkommnet werden. Aus zeitlichen und organisatorischen Gründen waren die Jungen zuerst an der Reihe. Sie sind in der Mehrzahl, von 32 Kindern sind nur zehn Mädchen.
Außerhalb der Schule ist ein weitaus besserer Kontakt zu den Schülern möglich; sie sind wie umgewandelt, befreit vom Druck der Schulinstitution. Die Jungen hatten viel von sich zu erzählen und eine, ganze Menge zu fotografieren: ihre Fahrräder, die frühere Lehrerin, den Rektor der alten Schule und die Bibliothek, die Mutter, die Goldhamster, den Eckkiosk, Hunde und so weiter. Sehr vielfältige Aktivitäten haben auch die Jungen in der Hauptschule nicht, aber sie zeigten sich enorm aktiv im Finden von für sie wichtigen Punkten und im Austausch untereinander.
Diese erste Fotoexpedition hatte mich sehr befriedigt. Auf diese Weise würde ich jetzt auch so schnell Zugang zu den Mädchen finden. Dachte ich, hoffte ich, freute ich mich! Ich mach's kurz. Es war erschreckend! Sie quälten sich hier mal eine Bank auf dem Spielplatz, da ein Baby aus der Verwandtschaft ab, das dann stolz auf den Armen präsentiert wurde. Eine zeigte auch Bergziegen vor, die der Vater im Garten hatte. Aber nichts, das auf irgendeine Aktivität hinwies. Keine war dazu zu bewegen, selbst den Auslöser des sehr einfachen Fotoapparates zu bedienen, das tat ich dann. Ich hab' mich heiser gefragt. Freizeit: Ach ja, das war Platten Hören und Roochen aufm Spielplatz. Auf dem Spielplatz kam dann auch ein Gespräch zustande, und das war - na? über die Ehe. Angefangen hat's mit Elvis und dessen Frau Priscilla, der die Mädchen die Hölle an den Hals wünschten, weil sie ihn verlassen hatte und der deswegen krank vor Kummer war und, nachdem er sich erkundigt hatte, ob Christus bald wiederkommen würde, das Zeitliche gesegnet hatte. Nämlich und deswegen geschah es der recht, daß sie keinen Pfennig geerbt hat.
Ja, heiraten wollten sie selbst nicht so früh, so mit 22 erst! Und dann haben wir über Ehe überhaupt gesprochen, ob sie gute Ehen kennen, ob man nicht auch einfach zusammenleben kann; ich hab' kräftig manipuliert, und alle waren ganz schnell der Meinung, die ich offensichtlich hören wollte. Aber als dann ein Mädchen ein anderes fragte, wann sie denn heiratet, da hat sie sich versprochen und gesagt: "Ach, nicht so früh!" Und dann hat sie mich angeguckt, einen Schrecken gekriegt, weil sie vorher gerade gesagt hatte, sie kenne nur miese Ehen und wolle nicht heiraten. Wir haben gelacht, und ich hab' mir überlegt, daß es so einfach nicht geht und wo ich da wohl in der nächsten Zeit ansetzen kann.
Die nächste Etappe: Mit Körperspielen (vereinfacht nach Living-Theatre und Open-Theatre) wollten wir auf die Spielaktionen hinarbeiten, die folgen sollten. Wir hatten schon einige Erfahrungen damit, wie schwer es nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder gerade in diesem Alter (13, 14 Jahre) ist, mit dem Körper zu arbeiten und dann noch vor anderen. Da ist die Erfahrung bei Erwachsenen, daß Männer zwar gehemmt, aber ohne sich davon irritieren zu lassen mitmachen, während die Frauen sich in ihre Angst verkriechen.
Bei den Jugendlichen erhofften wir uns eine Menge von dieser Arbeit, wenn erst die Hürden genommen wären: die Angst, "Kinderkram" zu machen, ausgelacht zu werden oder sich einfach nicht zu trauen. Gerade in der Pubertät ist das Problem mit dem eigenen Körper sehr gravierend, und wenn diese "Bewegungsangst" sich verfestigt, wird die jeweilige Person sich in Standardposen flüchten, was im weitesten Sinn zu Kommunikationsschwierigkeiten führen muß, auf jeden Fall aber "weibliche" und "männliche" Haltungs- und Bewegungsnormen vertieft, weil da genug Angebote aus Film und Fernsehen zur Nachahmung zur Verfügung stehen.
Das erste Spiel war die "Schlange"[2] - mit Mühe baute sich eine Anzahl Schüler(innen) hinter mir auf. Nach der ersten Runde bröckelte meine Gefolgschaft schon ab. Sicher war das auch ein Raumproblem: ein kleiner Klassenraum mit beiseite gestellten Tischen und Stühlen, so daß es in dieser Enge wirklich schnell albern wirkt, wenn man sich so anders gebärden muß. Das "Denkmal-" oder "Figurenbauen"[3] war dann der größte Erfolg des Tages. Sogar zwei Mädchen erhoben sich, etwas mühsam zwar, aber immerhin. Bei den nächsten Spielen, die ein noch stärkeres Aus-sich-Herausgehen erforderten, waren die Mädchen dann nicht mehr beteiligt.
Beim abschließenden Gespräch über das, was und warum es so gelaufen war und ob es vielleicht anders sein müßte, um Spaß zu machen, wichen die Mädchen erst aus. Nach und nach fanden wir mit ihnen zusammen raus, daß die Anwesenheit der Jungen sie beeinträchtigte. Als ich dann vorschlug, eine Zeitlang ohne die Jungen zu arbeiten, eine eigene Gruppe zu machen, wurden die Mädchen sehr offen und stimmten begeistert zu. Die Jungen waren nicht einverstanden, denen fehlte der Reiz, sich darzustellen, wenn die Mädchen nicht da waren. Aber die Mädchengruppe war durchgesetzt.
Der Hauptteil dieses Projekts sollte ein Produkt sein, in dem die Erfahrungen und Selbstdarstellungen aller zusammenfließen sollten. Da wir über die nötige Technik verfügen, wollten wir einen Video-Film machen. Filmtitel: "Ein Tag im Leben des(r) Hauptschülers(in) Meyer".
Nach dem Sammeln aller Vorschläge zu den einzelnen Szenenfolgen - Frühstück, Weg zur Schule, Schule - Nachhauseweg, Zuhause, auf der Straße, Abend, Nacht bildete sich dann die Mädchengruppe. Parallel zur Jungengruppe wollten wir (ich übernahm die Mädchengruppe) das Thema aus Mädchensicht angehen.
Die ersten Versuche zum Thema "Frühstück" waren turbulent und witzig. Da war eine verrückte Tante, die sämtliche Familienmitglieder nervte, indem sie zu noch nachtschlafender Zeit mit Leidenschaft auf der Gitarre klimperte und das Spiel auch währen des Frühstücks fortsetzte. Es gab mächtige Auseinandersetzungen mit viel körperlicher Aktion (!), bei denen dann auch gleich alle anliegenden Familienprobleme mit aufs Tapet kamen. Die Familienmitglieder legten der Tante nahe, sich einen Mann und eine eigene Wohnung zu suchen. Hier wie auch bei der Aufteilung der Rollen zur Familienbildung hatten die Männer eigentlich nur eine abstrakte Funktion. Kein Mädchen hatte Lust, einen Vater zu spielen, aber ohne Vater, das fanden sie auch nicht gut. Also mußte eine herhalten, auch wenn der Vater keine Bedeutung im Spiel bekam.
Im Gegensatz zu mir gefiel den Mädchen ihr eigenes Spiel nicht so sehr. Es war ihnen zu viel Krach und Hektik. Sie äußerten, daß sie sich alles schön ruhig und glatt ablaufend wünschten. Daraufhin veränderte sich das Spiel völlig. Die Tante wurde abgeschafft, mit stummer Begeisterung wurde lange der Frühstückstisch gedeckt, folgten endlose Weckaktionen, und der Hauptteil des Geschehens war lustvolles, stundenlanges Frühstücksgeschirr-Abwaschen. Da alles nur pantomimisch erfolgte, kann es nicht die Lust, mit Gegenständen umzugehen, gewesen sein, was mir die Ausführlichkeit der Tätigkeiten verständlicher gemacht hätte. Auch bei den Weckaktionen wurde nicht die Gelegenheit zu Körperkontakten genutzt, die vielleicht eine Erklärung für diese bei allen Kindern immer wieder beliebte Spielaktion wäre. Für mich stellten sich diese Handlungen als stumpfsinnige Nachahmungen wie das apathische Wiegen der Puppe bei kleinen Mädchen dar. Die Mädchen fanden ihr Spiel gut und befriedigend.
Zwischendurch sahen sie sich das Spiel der Jungen an, fanden das eigene besser geordnet, weigerten sich aber, es den Jungen vorzuführen. Später, als wir die Videoaufzeichnungen beider Gruppen der gesamten Klasse vorführten, schauten die Mädchen dem Jungenteil interessiert zu, während diese die Mädchenszenen kaum beachteten: Sie unterhielten sich laut.
Es gibt mehrere, naheliegende Gründe, die mit dafür verantwortlich waren, daß die Mädchen danach ihre Lust zum Weiterspiel an diesem Film verloren. Die "Premieren-Spannung" war vorbei, und es war kein berauschendes Ereignis gewesen. Dazu noch die enttäuschte, sicherlich insgeheim gehegte Hoffnung, die Zustimmung oder zumindest die Aufmerksamkeit der Jungen zu haben.
Außerdem ergab sich ein Problem mit der Technik. Die Schule steht in unmittelbarer Nähe eines RIAS-Sendemastes, der die Tonaufnahmen versaut hatte: Durch das Fernsehen sind die Kinder mit perfekt funktionierender Technik verwöhnt.
Aber man muß weiterfragen, denn obwohl die Mädchen das eigene Spiel besser fanden, weigerten sie sich, es den Jungen vorzuspielen (die Vorführung später war ja nur eine Videoaufzeichnung). War es doch Angst, daß die hausfraulichen Tätigkeiten, die ihr Spiel ausmachten, bei den Jungen keine Beachtung finden könnten? Das hieße dann für sie, in einer ganz gespaltenen Situation zu stecken: auf der einen Seite die Dinge so perfekt - wie jahrelang eingetrichtert - abgeliefert zu haben, inclusive all der Opfer und Energie, die es gekostet hat, diesem Mädchenbild gerecht zu werden, und auf der anderen Seite das Wissen darum, daß diese Leistung nicht honoriert wird - weder im Spiel noch im Ernst, gerade auch bei denen, auf deren Zuspruch sie, wie sie es ja zusätzlich gelernt haben, angewiesen sind.
Wir verbrachten also einige Zeit nur in freundlichem Gespräch zumeist über BRAVO, die immer mindestens von zweien, während die anderen redeten, gelesen wurde. Wir kamen aber auf nichts Konkretes, und auch ich schwamm im Raum mit den "Vorschlägen", die ich mir zuhause ausgeknobelt hatte.
Oh, ich hatte alles, was ich aus eigener Geschichte und BRAVO und MÄDCHEN und meinen bisherigen Erfahrungen mit Mädchen weiß, entknäuelt und bin den einzelnen Fäden nachgegangen. Mir kamen die bösesten Ideen. Provokation! Das war für mich das Stichwort. Ich wollte Spiele finden, die so lange provozierten, bis etwas passieren mußte. Und die Inhalte! Da gibt es zur Zeit in der gesamten Jugendarbeit einen Trend, im Spiel, in der Diskussion usw. aufzuzeigen, wie beschissen es ist, was die Jugendlichen machen, um ihnen dann auf dem blank gescheuerten Untergrund die guten Happen zu servieren. So etwa das Aufzeigen der Interessengruppen, die hinter Schallplattenstars stehen und diese aufbauen, um gegen die kostspielige Idolverehrung und die damit Hand in Hand gehende ideologische Beeinflussung daranhängender Institutionen (wie bestimmte Musikzeitschriften u.a.) anzugehen und dadurch vielleicht ein stärkeres politisches Engagement zu fördern. Ähnlich beliebte Themen für Mädchengruppen sind Schminken, Klamotten, Typen und so fort.
So verhält man sich aus Unwissenheit, aus Mangel an eigenen Möglichkeiten oder Phantasielosigkeit. Beinahe wäre ich auch dieser Gefahr erlegen, wenn nicht auch ich leidenschaftlich gerne Schnulzen hören würde, mir manchmal die Wimpern tusche, mir teure Klamotten kaufe und auch mit den Typen so hie und da meine Probleme habe. Trotzdem bin ich besser dran, denn - und da liegt wohl auch das Angebot verborgen, das es zu machen gilt - ich habe neben all dem andere Interessen. Schlimm sind nicht die "Interessen", die Jugendliche haben, schlimm ist nur die Beschränkung darauf.
Also, bei uns lief nichts, bis zu dem großen Tag: Wir hatten den Musikraum zum Arbeiten zur Verfügung, und, kaum drinnen, rasten die Mädchen zu den Instrumenten und machten einen Höllenlärm. Aus dieser aufgekratzten und mobilen Stimmung heraus entwickelten sich kleine persiflierende Spielchen. Unter Beifall machten einige Werbung nach, irrsinnig überzogen, nur so aus Blödsinn.
Und damit war auch unsere Weiterarbeit gerettet. Spontan entstand der Entschluß, eine Werbesendung mit kleinen Filmen zu machen, die in den Gesamtfilm ins Abendprogramm eingeschnitten wird. Es war nichts festgelegt. Die einzelnen Sketche rollten von selber ab, veränderten sich bei der Wiederholung, wurden makaber, und ich könnte mir denken, daß auf diese Weise vielleicht sogar Werbung begriffen wurde, ohne je ein Wort über Werbungsideologie gesprochen zu haben. Ein Film hieß: Besuch beim Friseur. Beim ersten spontanen Spiel war es eine witzige Geschichte, wie Frauen zum Friseur kommen, da total verschminkt werden und sich empören. Bei der Wiederholung für die Videokamera vergewaltigte die brutale Friseuse ihre Kundinnen förmlich zu unerwünschter Schminke, verklebte ihnen den Mund mit Pflaster, um sie am Protest zu hindern, und wurde zu guter Letzt der Polizei als Betrügerin übergeben. Es brauchte eine ganze Zeit während des Spiels, bis die "Kundinnen" merkten, daß sie in der Mehrzahl waren und die Möglichkeit hatten, sich zu wehren.
Man kann in das Spiel viel hineininterpretieren, insgeheim habe ich das natürlich auch getan: Wie die Mädchen in diesem Film ihre Bevormundung durch die Kosmetikbranche sowie bei ihren entlarvenden kleinen Sketchen die Verlogenheit der Werbung begriffen hatten. Was aber mit Sicherheit gelungen ist: Die Mädchen haben sich selbst aktiviert, ohne dickflüssige Probleme verarbeiten zu müssen. Das heißt, die Erwachsenen sollten sich zurückhalten und Hilfestellung leisten. Die Mädchen haben mit ihrer Vorgehensweise selbst Thema und Inhalt festgelegt, ohne vorher ausgeklügelten, von oben aufgesetzten Problemfindungen zum Opfer zu fallen.
Durch dieses Projekt, das dann letzten Endes doch noch Spaß machte, war so eine Basis zur Weiterarbeit geschaffen.
Ein kleines Nachspiel: Auch die Werbesendung war nicht sehr erfolgreich bei den Jungen. Sie fanden sie unrealistisch. Aber diesmal waren die Mädchen nicht so überzeugt, daß die Jungen recht hatten.
Ulrike Pohl (Hauptschule, Berlin)

"Peti und der Roboter"

Ein Unterrichtsbeispiel zu emanzipatorischem
Mediengebrauch [1]

                               

Wider die Mediengläubigkeit

Wer in der Schule mit Filmen arbeiten will, ist auf die Unterrichtsfilme angewiesen, die das FWU über die einzelnen Landesbildstellen anbietet. (Das Mitschneiden und der Einsatz von Fernsehproduktionen ist offiziell untersagt.) So wird der Gebrauch des Mediums für die Schule per Ausleihsystem und Katalog festgelegt: Lange Bestellzeiten, sofortige Rückgabe kein Gebrauch, sondern Konsum.
Das FWU, das sich ausschließlich als Vertreter ohne Rückkoppelung begreift, teilt von oben nach unten zu - wenig Information, aber dafür viel Moral. Und zwar eine Moral, die sich an Normen orientiert, die selbst in einer fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr tragbar sind. Der Mehrzahl aller verfügbaren Filme liegt der pädagogische Auftrag zugrunde, Kinder vom Schmutz und Schund der sogenannten Unterhaltungsfilme fernzuhalten. Gesellschaftliche Wirklichkeit wird ihnen - kontrolliert und zensiert - wie in einem Schaufenster dargeboten.[2]
Das Prinzip der "Bewahrpädagogik" setzt sich auch in den sogenannten besseren Filmen durch, die sich letztlich als zeitlich und technologisch angepaßte Produkte ein und desselben Prinzips entpuppen: Vorgefertigte, von Widersprüchen gereinigte Produkte werden für die Schule lernzielorientiert aufbereitet.
Fortschritt beschränkt sich so gesehen auf abgesicherte und risikolose Filme, die im Sinne eines emanzipatorischen Mediengebrauchs fast noch unbrauchbarer sind als die eindeutig schlechten und falschen Filme. Technisch bessere und dem Niveau von kommerziellen Spielfilmen angepaßte Unterrichtsfilme sind zwar angenehmer konsumierbar, aber nicht leichter durchschaubar. Sie zementieren das Spezialistengehabe der Filmprofis um so mehr, als sie jede Eigenaktivität gemessen am technischen Aufwand ihrer Produkte zur "Heimarbeit" abqualifizieren.
Die Mediengläubigkeit, d.h. der Glaube, daß die Schaufensterwirklichkeit des Films die Wirklichkeit selber ist, wird mit neueren, besseren Filmen nicht zerstört, wenn der Fortschritt nicht auch einen anderen Gebrauch und damit auch eine veränderte Struktur des Verteilersystems mit einschließt. Dann haben bessere Filme allenfalls Ventilcharakter und sind nichts als ein Alibi, das ein zutiefst autoritäres Prinzip von Kommunikation vertuschen soll. Es scheint, daß die Jahre der antiautoritären Revolte, die - wie Gamm sagt - eine kopernikanische Wende in der Pädagogik hervorgebracht haben, die Jahre, die auch die Medienfrage auf den Begriff der Manipulation gebracht haben, am FWU vorbeigegangen sind. Die entscheidende Frage wird nicht gestellt: Wer sagt was für wen aus? Schnatmann hat in seinen letzten Filmen zögernd Partei ergriffen - die Filme lagerten Jahre im Schrank bis zur Auslieferung, und der Autor hat das FWU verlassen. Wember hat die angebliche Neutralität des Bolivienfilms als Parteilichkeit im Sinne der Herrschenden entlarvt - die Diskussion um die Analyse ist bekannt, und der angegriffene Film droht aus dem Verkehr gezogen zu werden. Während die Medienerziehung immer kritischere Perspektiven aufzeigt und ihr Ziel in der Aufdeckung der manipulativen Eigenschaften der Massenmedien als Klassenmedien sieht, weist die Produktion des FWU nichts auf, was über rein Affirmatives hinausreicht. Die Kluft, die besteht, läßt sich nicht durch schönere, bessere und kritischere Filme überbrücken. Sie ist nur zu füllen durch den Versuch einer Aufhebung der Teilung zwischen Konsument und Produzent.

               

Daß diese Teilung nicht im Medium begründet liegt, sondern durch ökonomische und administrative Einrichtungen künstlich hergestellt wird, haben Brecht und Enzensberger aufgezeigt.[3]
Emanzipatorischer Mediengebrauch heißt, daß man die Medien gebraucht, d.h. für sich nutzbar macht. Im Bereich des Schulfilms - wie auch anderswo - heißt aber Einsatz audiovisueller Medien nach wie vor: Medienkonsum mit kaum entwickelter Analysemöglichkeit, d.h. Überprüfbarkeit durch die Realität.
Der institutionelle Einsatz des Unterrichtsfilms, wie das FWU verlangt, läßt keine Rückkoppelung zu, d.h. er verhindert Kommunikation und verharrt in jener administrativen Starrheit, die Brecht in seiner Radiotheorie als Folgenlosigkeit beschreibt: "Wir haben folgenlose Bildungsinstitute, die sich ängstlich bemühen, eine Bildung zu vermitteln, welche keinerlei Folgen hat und von nichts die Folge ist." (S. 33)
Analog zu Brecht läßt sich sagen: "Wir haben folgenlose Unterrichtsfilme, die sich nicht nur bemühen, selber keine Folgen zu haben, sondern sich auch alle Mühe geben, die Schüler zu neutralisieren, indem sie alle Dinge und Zustände ohne ihre Folgen darstellen." Das heiß. t nichts anderes, als daß die ganze Diskussion um andere - emanzipatorische - Lerninhalte sinnlos ist, wenn mit den anderen Inhalten nicht auch anders gearbeitet werden kann. Emanzipation kann nicht gelernt werden, sie ist ein Prinzip im Umgang mit Inhalten.
Das heißt: Erst wenn die Filme im Unterricht Anleitungen zum Handeln werden, ist ein emanzipatorisches Moment erfüllt.

Zum Beispiel: "Peti und der Roboter"
Emanzipatorischer Mediengebrauch bedeutet aber nicht nur die Infragestellung des Wahrheitsmonopols einer medialen Aussage als quasi Selbstzweck - emanzipatorischer Mediengebrauch setzt auch ein Ziel voraus, d.h. eine Vorstellung von dem, was man in der Schule eigentlich erreichen will. Hier kommen wir als Lehrerinnen und Lehrer um eine Überprüfung unseres eigenen Standorts nicht herum. Da ich als Frau in der Schule arbeite und nicht als neutralisierter Wissensvermittler, verfolge ich mit den Inhalten meines Unterrichts ein Ziel, nämlich die Interessenvertretung der Mädchen. Ich habe an anderer Stelle geklärt, was ich damit meine.[4] Jedenfalls bedeutet dies nicht wie vielleicht viele meinen mögen - die totale Vernachlässigung der Jungen. Es bedeutet aber - und dies bereits in der Grundschule den Abbau männlicher Privilegien, die den Bildungssektor beherrschen und sich in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens durchsetzen. Auch in der Schule werden nicht Kinder - sondern Jungen und Mädchen erzogen. Auch hier bereits manifestiert sich die Gewalt, die in einer patriarchalisch-kapitalistischen Gesellschaft die Situation der Frau bestimmt. Daß die Erniedrigung der Frau allgemein nicht als Gewalt begriffen wird, zeigt nur deren Alltäglichkeit.
Wie sich diese Gewalt und Verachtung im Unterrichtsfilm darstellt, soll an "Peti und der Roboter" aufgezeigt werden.
"Peti und der Roboter" ist ein Zeichentrickfilm aus dem Jahr 1965.
Der Film ist quasi eine moderne Version des Zauberlehrlings. Zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, besuchen Professor Leonardo in seinem vollautomatisierten Schloß. Ein soeben fertiggestellter Roboter macht dort die ganze Hausarbeit. Bei der Verabschiedung läßt der Professor seinen Schlüssel fallen, und die Kinder geraten dadurch heimlich ins Schloß. Sie machen sich am Roboter zu schaffen. Da sie die Bedienungsanleitung nicht beherrschen, richten sie ein fürchterliches Chaos an. Nur durch den Einsatz der waltenden Vernunft, verkörpert in Professor Leonardo, kann der rasende Roboter wieder unter Kontrolle gebracht werden.
Beim ersten Hinsehen würde der Gebrauch dieses Films auf eine Analyse der Situation von Kindern in einer kinderfeindlichen Welt hinzielen. Kinder leben grundsätzlich in einer ihren Bedürfnissen gegenüber feindlich eingestellten Welt. Der Bereich der Erwachsenen ist für sie tabu. Kindern selbst wird wenig Autonomie zugestanden. Besonders stark kommt dies im Verhältnis zur Technik zum Ausdruck. Der Umgang mit Geräten, der in der Werbung so oft als "kinderleicht" angepriesen wird, wird gerade Kindern meist untersagt. Technik wird als etwas Unantastbares präsentiert; wenn Kinder sich ihrer bemächtigen, werden sie bestraft. Gerade in diesem Bereich werden Kinder lange unmündig gehalten. Neugier hat sich nur in klar abgesteckten Bahnen zu entwickeln. Der Film produziert ein unterwürfiges Verhältnis zu allem, was man nicht sofort durchschaut. Er baut jegliche Fragehaltung und jede realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeit ab und fordert bedingungslose Unterwerfung.
Wie der Film aber im Kontext des FWU benutzt werden soll, wird im Beiheft (Seite 12) formuliert:

Impuls für ein Unterrichtsgespräch:

Gespräch über die Geschichte, die der Film erzählt und - davon ausgehend - über aktuelle Fragen ähnlicher Art, die im kindlichen Leben auftauchen, wobei der Film-Inhalt mit seiner Lehre und Moral auf diese Fragen transferiert werden kann. Als Fragen solcher Art sind unter anderen möglich:

  • a) Zurückgeben oder Behalten eines gefundenen Gegenstandes,
  • b) unbefugtes Betreten eines fremden Hauses,
  • c) Berühren von Dingen und Hantieren mit Gegenständen, die fremdes Eigentum sind, von denen man nichts versteht, deren Bedeutung gefährlich sein kann usw.

Es ist bezeichnend, daß der Eigentumsbegriff in einer Gesellschaft, in der die Deckungsgleichheit von Besitz und Identität staatserhaltende Funktion hat, auch im Erziehungssektor an erster Stelle steht. Die Tabus, die hier vordergründig mit der Eigentumsfrage angesprochen werden, reichen viel tiefer und berühren grundsätzlich die Stellung des Kindes in der Gesellschaft. In dem o.g. Kontext ist die Schule der Erfüllungsort für die Aufrechterhaltung der bestehenden Normen, und die Lehrerin und der Lehrer fungieren als Erfüllungsgehilfen. Ihr Entscheidungsfeld ist daher beschränkt auf den Bereich unterhalb der geltenden Normen.[5]

Meine Entscheidung, mit diesem Film in der Schule zu arbeiten, führt aber in eine andere Richtung. Kinder sind in den meisten Unterrichtsfilmen Objekte (es gibt ganz wenige Ausnahmen), d.h. an ihnen wird ein Lernziel demonstriert. Sie fungieren als Vehikel für die Aufrechterhaltung der Bedingungen, die die Erwachsenen setzen. In "Peti und der Roboter" werden die Kinder benutzt, um die Besitz- und damit auch Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu definieren. Mädchen aber sind in Unterrichtsfilmen meist Objekte, die zusätzlich noch denunziert werden. D.h. an ihnen wird all das aufgezeigt, was in der Gesellschaft verachtet und verlacht wird. (Als Beispiele sollen hier nur "Das faule Lenchen" und "Anne bleibt allein" genannt werden.) In diesem Film aber denunziert bereits der Titel: "Peti und der Roboter". Obwohl es sich hier um ein Mädchen und einen Jungen handelt, ist nur der Junge erwähnenswert. Das Beiheft liefert in der Figurenbeschreibung dazu die mädchen-vernichtende Begründung:

  • Die Personen der Handlung sind in ihrer zeichnerischen Gestaltung vereinfacht und typisiert. Die Typisierung bedient sich hierbei eines für die entsprechenden Figuren allgemeingültigen "Image".
    Professor Leonardo trägt in starker Vereinfachung Züge einer milden, autoritären Vaterfigur, mit vorwiegend pyknischem Körperbau und zyklothymem Temperament im Sinne Kretschmers. Dadurch wirkt er auf den Zuschauer sofort vertrauenerweckend, zugänglich und freundlich. Weißer Schnurrbart und sehr spärlicher Haarwuchs verstärken diesen Ausdrucksgehalt.
    Peti, etwa zehn Jahre alt, ist eher leptosom-schizothym, Typ eines freundlichen, wißbegierigen intellektuellen Jungen mit guten Manieren - sein runder Kopf mildert das schizothyme Moment ein wenig, läßt das Kindliche in Petis Wesen stärker hervortreten, das hinwiederum durch die Brille, die er trägt, etwas eingeschränkt wird. Petis Schwester bietet das Bild eines durchschnittlichen kleinen Mädchens, und der Dackel, der die beiden Kinder begleitet, hat hier etwa die Funktion der "stummen, lustigen Nebenrolle", wie sie aus der Theatergeschichte bekannt ist.
    Der Roboter schließlich ist in Aussehen und Gebärde anthropomorph gestaltet. Wenn er in Betrieb gesetzt wird, erscheint auf seinem Gesicht ein mechanisch-freundliches Lächeln, dieses physiognomische Moment sowie einige seiner spezifischen Bewegungen bewirken, daß er vom Zuschauer im Verlauf des Films mehr und mehr als eine Art "Persönlichkeit" erlebt wird. (Seite 8/9)

Da es sich hier um Verallgemeinerungen im Sinne der Autoren handelt, ist die Vorverurteilung des Mädchens (und damit aller Mädchen) perfekt. Das namenlose und geschichtslose Mädchen ist nichts als Dekorationsstück innerhalb des Aktionsfeldes, das dem Jungen und dem Professor zugewiesen wird. Das Mädchen hat kein Recht auf Persönlichkeit, es ist austauschbar wie ein Möbelstück. Selbst dem Roboter werden noch menschliche Züge zugestanden (King Kong). Die gesellschaftliche Wertschätzung plaziert das Mädchen in der niedrigsten Kaste kurz vor dem Dackel (Abbildung 1).
Diese Gesetzmäßigkeit patriarchalischer Wertung durchzieht den ganzen Film. Der Junge handelt, das Mädchen wird behandelt. Der Junge will wissen, das Mädchen muß sich bescheiden.
Da der Junge gehandelt hat, wird er auch am Ende für seine Taten bestraft, wenn der Roboter ihn in den Kühlschrank steckt (Propagierung von Gewalt gegen Kinder). Das Mädchen hingegen wird als Mitläuferin für ihr Geschlecht bestraft und auf die Leine gehängt.
Dieser Film diskriminiert Mädchen und Frauen auf doppelte Weise. Da ist zum einen das "durchschnittliche", passive, unterlegene, langweilige, uninteressierte und dumme Mädchen, das immer den Bruder vorschickt, wenn es etwas zu erleben gilt. Zum anderen ist da der Roboter. Die Tätigkeiten, auf die der Roboter programmiert ist, betreffen genau das Aktionsfeld, das Frauen in der Gesellschaft zugewiesen wird: den Haushalt.
Da der "vertrauenserweckende, zugängliche und freundliche" Professor Leonardo vor lauter Forschung offensichtlich keine Zeit hatte, sich für den Haushalt eine Frau zu suchen, konstruiert er sich einen Roboter, der die gleiche Funktion erfüllt. Die Haushaltsmaschine, an- und abschaltbar, macht die Frau in der männlichen Welt nun gänzlich überflüssig. Allerdings, Roboter und Frau müssen richtig programmiert werden - und zwar vom Mann, sonst gibt es ein Chaos.
Was da im "heiteren Gewand" (Beiheft, Seite 8) übermittelt wird, ist die Abqualifizierung der Frau zum hirnlosen Objekt männlicher Intellektualität. Auch dieser Film gehört zu jener Kategorie "filmischer Glanzschriften" (wie auch das "Faule Lenchen"), die Gewalt gegen Frauen in "lustiger Form" propagieren.

Zur Methode des Unterrichts

Meine methodischen Überlegungen beruhen zum einen auf dem Versuch, das Wahrheitsmonopol von Filmen generell in Frage zu stellen, zum anderen geht es mir darum, mit den Kindern gemeinsam jene Denunziation von Mädchen herauszuarbeiten, wie sie oben beschrieben wurde. Ich habe den Film im zweiten Schuljahr gezeigt. Der Film als Ganzes ist in diesem Alter nur schwer diskutierbar. Deshalb habe ich den Abbruch des Films nach einer bestimmten Phase geplant:
Die Kinder stehen vor dem Schloß und finden den Schlüssel. Sie zögern noch, ob sie den Schlüssel an Professor Leonardo zurückgeben oder ob sie ihn benutzen sollen, um im Schloß ungestört mit dem Roboter zu hantieren.
Dieser Abbruch ist eine Provokation und soll das bei Kindern und Erwachsenen übliche Konsumverhalten bei der Rezeption von Filmen angreifen. Die mediale Aussage soll auf diese Weise relativiert und gleichzeitig die Identifikation mit dem "Helden" durchbrochen werden. Die Methode der Unterbrechung setzt quasi an der untersten Stufe kritischen Mediengebrauchs an. Es wurde in dieser Klasse bislang kaum mit Filmen gearbeitet. Die Unterbrechung, so simpel dies erscheinen mag, ist ein ganz wesentlicher Eingriff in die Mediengewohnheiten von Kindern und Erwachsenen.
Nach dem Abbruch des Films sollten sich die Kinder in einer Stillphase zunächst auf die Arbeitsbücher konzentrieren. Dabei wird von ihnen erwartet, daß sie sich in die Situation der Kinder vor dem Schloß versetzen. Die Arbeitsblätter (Abbildungen 2 bis 5) mit der Sprechblase sollen motivierende Funktion haben. Ein leeres Gesicht mit Sprechblase motiviert und provoziert mehr als abstraktes Schreiben.

         

Ich habe gleichzeitig ein Arbeitsblatt (Abbildung 6) angeboten, auf dem sich die Schüler(innen) schriftlich zum weiteren Verlauf des Films äußern konnten. Dies diente der Differenzierung für die Kinder, die mit den ersten Blättern schon fertig waren.
Die Arbeitsblätter haben hier eine dreifache Funktion:

  1. Stillphase,
  2. Verfremdungseffekt, 
  3. Festigung der spontanen Gefühle zu Meinungen.

Die Arbeitsblätter stehen dem Film auf diese Weise als quasi gleichwertige Medien gegenüber.
Ich habe den Film in dieser Klasse vor der Veröffentlichung der Arbeitsblätter zu Ende gezeigt, würde das aber bei einem zweiten Versuch nicht tun. Es scheint mir inzwischen sinnvoller, die Veröffentlichung vorzuziehen, da die Eigenproduktion sonst zu leicht durch den Vergleich mit dem Filmverlauf selbst abgewertet wird. Die Ergebnisse der Arbeitsblätter sind heterogen.
Es ist mir klar, daß der Vergleich der Eigenproduktion mit dem Film selbst nicht ausreicht, um ein Bewußtsein über sich selbst und die eigene Angleichung an die von den Massenmedien verbreiteten Ideologien zu schaffen. Keine Lehrerin und kein Lehrer können von einem Kind erwarten, daß es sich in einer Institution wie der Schule völlig offen verhält. Die Reproduktion von gesellschaftlich erwartetem Verhalten kann hier auch eine Schutzfunktion haben.
Es ist interessant, daß keines der Kinder den Titel ebenso auf die Erwähnung des Jungen beschränkt, wie es der Film selbst tut. Wenn die Schüler(innen) die Kinder in ihren Titelvorstellungen erwähnen, nennen sie beide. Von den elf Mädchen der Klasse erwähnen zwei die beiden Kinder, von den zehn Jungen tun es etwa vier. Die übrigen Schüler(innen) erfinden irgendwelche anderen Titel, die mit dem Professor Leonardo oder dem verlorenen Schlüssel zusammenhängen.
Sechs der elf Mädchen aus der Klasse begreifen das Mädchen im Film in ihrer eigenen Schlußfassung als aktiv und neugierig Handelnde und lassen es auch mit dem Roboter spielen. Vier schicken entweder den Jungen vor oder überlegen sich, wie sie den Schlüssel zurückbringen könnten. Kein Mädchen schreibt dem Jungen eine passive oder abwartende Rolle zu.
Von den zehn Jungen der Klasse begreifen nur zwei das Mädchen im Film als aktiv Handelnde, sechs beschreiben es als passiv und ängstlich, kein Junge beschreibt den Jungen im Film als passiv oder ängstlich.
Die von den Jungen vollzogene Vorverurteilung gegenüber Mädchen deckt sich hier also wesentlich stärker mit gesellschaftlichen Klischeevorstellungen als die Erwartungen, die die Mädchen selber an sich stellen.
Da die Mädchen in dieser Klasse eigentlich kaum dem Bild entsprechen, das sich die meisten Jungen und auch einige Mädchen von dem Mädchen im Film machen - sie sind im Spiel äußerst initiativ und aktiv - ging es mir im folgenden darum, den Widerspruch zwischen eigener Einschätzung und Handlungsweise und der gesellschaftlichen Erwartung an Mädchen (so wie sie auch im Film vertreten wird) aufzubrechen.
Ich habe den Film also noch einmal im Sachunterricht gezeigt und dabei neue Arbeitsblätter verteilt. Die Schüler(innen) sollen hier ganz bestimmte Passagen im Film, die sich auf das Mädchen beziehen, genau beobachten und ihre Beobachtungsergebnisse im Arbeitsblatt (Nr. 4) ankreuzen. Der Film wurde zur genauen Beobachtung hin und her gespult, was wiederum die Aussagemacht des Mediums relativiert.
Die Fragen 1-6 und 9 des Arbeitsblattes beziehen sich auf genaue Beobachtungen. Der Film wurde dabei dreimal unterbrochen. Die Fragen 7 und 8 sind reflektiv und sollen bereits den Versuch andeuten, über die reinen Beobachtungen hin zu einer Aussage zu gelangen. Die Arbeitsblätter wurden an der Tafel ausgewertet.
Der erhoffte und geleistete Transfer ließ sich in folgendem Satz formulieren: In diesem Film bestimmt der Junge, was gemacht wird (Abbildung 7).
Als nächster Schritt war ein Arbeitsblatt (Nr. 5) vorgesehen, in dem sich die Kinder noch einmal selber bewußt in die Situation der beiden Filmkinder versetzen und sich Gedanken machen sollen, was sie tun würden. Die Fragen zu diesem Blatt habe ich aus den ersten Arbeitsblättern über den möglichen Verlauf des Films heraus formuliert.
Die Kinder sollten so, in verfremdeter Form, mit ihren eigenen Geschichten konfrontiert werden. Die Widersprüchlichkeit in der eigenen Einschätzung kommt hier voll zum Tragen. Die Fragen 1-3 haben - so gestellt - Verhörcharakter, und die Kinder spüren dies ganz genau. Fast alle verhalten sich hier den gesellschaftlichen Normen gemäß. Erst die 4. und 5. Frage provoziert zu wirklich eigener Intention. Die Ergebnisse wurden nach Jungen und Mädchen getrennt an der Tafel ausgewertet und erbrachten in etwa eine Einigkeit darüber, daß beide, Mädchen und Jungen dieser Klasse, gerne mit dem Roboter spielen und nicht nur zugucken würden (wie es das Filmmädchen tut).
Der Widerspruch zwischen den eigenen Bedürfnissen und der im Film vertretenen Vorstellung über das Verhalten von Mädchen sollte hier bewußt werden.
In der zweiten Phase der Analyse sollten die Mädchen und Jungen noch einmal über das Mädchen im Film reflektieren und auch über sich selbst. Hierfür hatte ich wieder zwei Arbeitsblätter vorgesehen. Zunächst wird gefragt, welche Meinung der Filmemacher über das Mädchen hat. Die Schüler(innen) sollen hier Adjektive durch Ankreuzen zuordnen.
Bei der Auswertung ergab sich ein ziemlich schematisches Bild über das Mädchen, das ungefähr dem vom Filmautor produzierten Klischee entsprach.
Allerdings projizierten viele Kinder die eigenen Wünsche auf das Filmmädchen und differenzierten erst beim Nachfragen.
Im siebten Arbeitsblatt sind die gleichen Adjektive wieder aufgeführt. Hier sollte angekreuzt werden, wie die Schüler(innen) sich selbst einschätzen.
Die geschlechtsspezifische Auswertung dieses Blattes brachte Ergebnisse, die wenig Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in den Erwartungen aufzeigten, die sie an sich selber stellen. Der Widerspruch zur eigenen Einschätzung oder zum Wunschbild und zum Mädchenbild im Film wird hier noch einmal deutlich.
Eine Summierung der am häufigsten zugeordneten Adjektive vom ersten Arbeitsblatt und eine Gegenüberstellung der geschlechtsspezifisch geordneten Aussagen des zweiten Arbeitsblattes machten die Vorurteile des Filmemachers Mädchen gegenüber deutlich. Die Kinder formulierten es etwa so: Mädchen sind gar nicht so, wie sie der Filmemacher sieht. Ein weiterer Schritt war die Reflektion über die Ursachen solcher Klischeebilder, wie sie der Film produziert, und über die Frage, wie Mädchen eigentlich wirklich sind. Eines der Mädchen formulierte angesichts der vielen sich widersprechenden Tabellen dann tatsächlich den Satz: Mädchen und Jungen sind so, wie man sie erzieht. Damit war der Film nicht nur ge-, sondern auch verbraucht.
Ich verstehe diesen Unterrichtsversuch als einen winzigen Schritt hin auf eine Welt, die die Mädchen auch als die ihre begreifen und in der sie sich bewegen werden, als ob sie ihnen gehört. Machbares und Utopisches war hier zu einem Unterrichtsprinzip der Veränderbarkeit verknüpft worden. Das Ziel dieser Versuche ist ein Erziehungskonzept, in das die Mädchenbildung nicht mehr provokativ eingebracht werden muß, sondern zum selbstverständlichen Bestandteil von Bildung und Ausbildung geworden ist.
Ulrike Edschmid
(Grundschule, Frankfurt a.M.)

Das Thema "Frauen" im Unterricht

Ich bin 31, Gesamtschullehrerin und seit neun Jahren in diesem Beruf tätig. Zu Beginn meiner Arbeit an einer dörflichen Hauptschule waren mir spezifische Frauenprobleme (das war Ende der 60er Jahre) nicht bewußt, im nachhinein aber weiß ich, daß ich mich damals schon (womit ich noch heute Schwierigkeiten habe) als Lehrerin immer mehr zu den Jungen hingezogen fühlte und mich stärker auf sie im Unterricht bezog. In den Mädchen sah ich, ohne es zunächst zu bemerken, mich selbst: die stille, scheue, ängstliche Schülerin, die kaum je etwas sagte. Ich setzte mich also viel häufiger mit Jungen und deren individuellen Schwierigkeiten auseinander als mit den Mädchen. Sie waren halt da, störten nicht, forderten keine Auseinandersetzung oder Beschäftigung mit ihnen heraus.
Das Thema "Frauen" und geschlechtsspezifische Rollenerwartungen brachte ich erst Anfang der 70er Jahre in meinen Unterricht ein: Ich unterrichtete damals an einer Hauptschule im Ruhrgebiet und hatte allmählich begonnen, in einer Frauengruppe mitzuarbeiten, u.a. weil mich die Waschmaschinen- und Mercedesideologie meiner Kollegen auf die Dauer total frustriert und isoliert hatte. An der Hauptschule machte ich nun zu dem Thema Frauen, Rollen etc., das ich im Unterricht und bei freiwilligen nachmittäglichen Zusammenkünften besprach, die Erfahrung - ja, von Schizophrenie: Sowohl Jungen als auch Mädchen redeten sehr fortschrittlich über das Thema, zumal nach den ersten Stunden. Ging es jedoch um Identifikation mit dem Gelernten in Rollenspielen oder um eigene Zukunftsspekulation (ich als spätere Frau/Mann), tauchten beharrlich die alten Muster auf. Ich glaube, um Jungen und Mädchen diese Thematik wirklich "folgenreich" nahezubringen, bedarf es mehr als einer noch so intensiven Unterrichtsreihe. Sie müßte zumindest als Projekt behandelt werden und immer wieder an geeigneter Stelle bei den täglichen Schulzwischenfällen aufgegriffen und schließlich auch vom Kollegium glaubwürdig gelehrt werden. Das aber habe ich an den verschiedenen Hauptschulen nicht erfahren. Vielmehr wurde ich von den Kollegen, sobald sie begriffen hatten, um was es mir ging, bei den Schülern (glücklicherweise relativ erfolglos) diskriminiert (Motto: die sollte mal lieber selbst Kinder in die Welt setzen, dann könnte sie mitreden) und war fix als Emanze bei den Kollegen verschrien.
Sehr positive Erfahrungen hingegen habe ich zu diesem Thema an der Gesamtschule gemacht. Hier wurde das Thema (siehe 5. Jahrgang) in ein fächerübergreifendes Projekt (Sexualität/Rollenverhalten) eingebettet, das durch ein Theaterstück - "Darüber spricht man nicht", Hannover - eingeleitet wurde. Weil ich mich an dieser Schule in ein verständiges Kollegium integriert weiß, konnte ich viel lockerer und überzeugender mit den Kindern dieses Thema besprechen und meine eigenen Erfahrungen, auch mein eigenes Fehlverhalten integrieren. Ich habe da wirklich mit den Kindern gelernt.

Zu der Unterrichtsreihe an der Gesamtschule

Wir haben drucksachen (Jahrgang 5 und 6) und Lehrerbände benutzt. Das waren die wichtigsten Leitmedien. Die Unterrichtsreihe hieß: geschlechtsspezifische Rollen und freies Reden über Sexualität. Voran gingen der Unterrichtsreihe ein Elternabend (Information über Beiträge der Fächer Deutsch, Biologie, Gesellschaftskunde, Musik, Kunst zu dem Projekt) sowie das Theaterstück "Darüber spricht man nicht", Hannover.
Zunächst haben wir (in Deutsch) den Test mit achtjährigen Kindern (drucksachen 5) behandelt. Ziel: Beschreibung von Rollenverhalten und Erziehungspraktikum. Anschließend Spiel: Schüler(innen) ordnen Tierbildern spontan 2 Schilder (o o) zu. Sie begründen anschließend ihre Wahl, Lehrerin schreibt mit, z.B.:

"Vogel zu o gelegt,
weil
der so geordnete
Federn hat."
"Seehund zu o gelegt,
weil der so faul
am Strand liegt."

Anschließend wurden zwei geschlechtshomogene Gruppen gebildet. Aufgabe: Seht ihr euch so, wie es die Eigenschaften auf dem o (für Jungen) bzw. o (für Mädchen) Schild beschreiben, und wollt ihr so sein? Wenn nicht, was könnt ihr dagegen tun?
Übrigens: Wir brauchten dazu zwei Räume. Ich habe dann spontan gesagt: "Die Jungen bleiben bei mir, die Mädchen gehen allein in die Lehrerstation." Motzen der Jungen. Ich: "?" Reaktion: "Immer die Mädchen!" Ich habe dann in der folgenden Diskussion eingesehen, daß ich da selbst rollenfixiert war nach dem Motto: Die Jungen sind sowieso lauter, bleiben also unter Aufsicht. Wir haben es dann umgekehrt gemacht, und die Jungen haben prima allein gearbeitet. Du siehst, ich habe auch gelernt.
Danach haben wir dann die Texte (aus drucksache 5) "Luise", "Mutter braucht Ferien", "Frau Knolt, 85" und "Sind Bub und Mädchen sonst ganz gleich?" (als Negativbeispiel) besprochen, aufgelockert jeweils durch Berührungs-, Kontaktspiele. Sinnlichen Unterricht finde ich wichtig, besonders da. Zwei Texte - "Wo kommen die Babys her?" und "Sich lieben, was ist das?" (beide drucksache 6) leiteten dann zum freien Sprechen über Sexualität über.
"Privaten Kontakt" fand ich wichtig, hat aber für mich bei dieser Unterrichtseinheit keinen besonderen Stellenwert, weil ich das überhaupt für das A und O im Unterricht halte; sonst kann ich wirklich nichts vermitteln, sondern setze nur den Trichter auf und bin Wissensautomat. Besonders von männlichen Kollegen und Schulpsychologen (!) wird mir übrigens häufiger vorgeworfen, ich hätte eine zu emotionale Beziehung zu den Kindern und umgekehrt. Ich finde aber, als Lehrer(in) braucht man diese Fähigkeit. Menschlichkeit und Wärme kommt eh' an unseren Leistungsfabriken zu kurz. Und den Kindern schadet diese Bindung nur dann, wenn man sie zur Selbstverherrlichung mißbraucht und eigene Macken via Kinder zu kompensieren sucht.
Nach dieser Unterrichtseinheit haben "meine" Mädchen, auch die stillen, sich fast alle gemausert und Kolleg(inn)en meinten, die wären ja schon ganz schön selbstbewußt. Ich habe übrigens in der Unterrichtseinheit auch Geschwisterkonstellationen (nach Adler) miteinbezogen und zu klären versucht (die Kinder dazu angeleitet), warum das eine oder andere Mädchen zurückhaltender oder "lauter" ist. Um solche Dinge miteinzubeziehen, braucht es allerdings viel Fingerspitzengefühl und auch keinesfalls die Wertung "laut ist prima". Darum geht es ja auch gar nicht, und ich hoffe, daß das alle verstanden haben.
Besonders in den Tutorenstunden (5. Jahrgang) - jeden Freitag sitzen wir im Kreis auf dem Boden, und die Kinder reden über sich (ich weiß nicht, ob das so offiziell ist, mache es aber mit Erfolg) - hat sich seit der Unterrichtseinheit etwas getan. Mädchen und Jungen fassen sich auch mal freundschaftlich an. Marion diskutiert z.B. und hat dabei völlig unbewußt ihre Hand auf Stefans Bein. Das scheint vielleicht unwichtig, aber vorher wäre das nicht passiert: Es geht einfach selbstverständlich zu jetzt. Und wenn sie, Jungen und Mädchen, raufen, dann wissen sie, daß das indirekt ausgedrückte Lust am Berühren ist, und es ist ok.
Ich finde einfach, man darf dieses Thema nicht als Stoff durchziehen, sondern muß es ihnen als Lebensform nahebringen, immer wieder Gelegenheiten aufgreifen und sich als Lehrerin einbeziehen.
Die Eltern haben sich während der Unterrichtseinheit mit Fragen oder Hospitationen total zurückgehalten. Man müßte direkt auf sie zugehen. Das war ein Zeitproblem.
Marita Maßen
(Gesamtschule, Gelsenkirchen-Buer)

Geschlechtsspezifische Probleme im
Unterricht der Mittelstufe

Als ich anfing, in der Mittelstufe 13 - 16jährige Schülerinnen und Schüler zu unterrichten, gab es kaum eine Klasse, in der ich keine Disziplinschwierigkeiten hatte. Auf der Suche nach den Ursachen fiel mir auf, daß ich als weiblicher Lehrer offenbar besondere Probleme habe.
In vielen Lerngruppen beobachtete ich, wie die Jungen den Unterricht beherrschten: Sie ließen erstens die meisten Mädchen wenig zu Wort kommen, indem sie sich z.B. über deren Beiträge lustig machten oder sie sonst - auch körperlich - einschüchterten. Zweitens störten sie den Unterricht viel massiver als die Mädchen, indem sie typisch männliches Rollenverhalten einsetzten, um meine weibliche Autorität zu erschüttern. Ich hatte den Eindruck, daß die Jungen ihre Männlichkeitsrolle bereits so perfekt spielten, daß ich ihnen als Frau - nicht als Lehrerin - nicht gewachsen schien, und die Schülerinnen erst recht nicht.
Die Lehrerrolle beherrschte ich damals noch schlechter als heute und lehnte sie auch in vielen Punkten ab (kein Leistungszwang, keinen autoritären Unterricht). Diese beiden Faktoren zusammen ließen viele Konflikte im Unterricht entstehen. Ich bewegte mich anfangs auf einer Gratwanderung zwischen Flirtverhalten und unberechenbaren autoritären Eingriffen, wenn ich überhaupt nicht mehr weiter wußte. Das Flirtverhalten führte dazu, daß die Mädchen aggressiv auf mich reagierten, weil sie in mir eine Konkurrentin sahen, und die Jungen waren irritiert und machten Bemerkungen über mein Äußeres, die mich noch mehr verunsicherten. Meine Strafmaßnahmen empfanden die Schüler und Schülerinnen berechtigterweise als ungerecht, so daß die allgemeine Unzufriedenheit "in Deutsch" wuchs.
Ich sah nur einen Weg: Ich wollte das Problem des Rollenverhaltens thematisieren. In einer zehnstündigen Unterrichtseinheit behandelte ich Texte, die geschlechtsspezifische Rollenklischees vermitteln: Werbetexte, Trivialliteratur, Heiratsanzeigen und Texte, die diese Klischees kritisieren: Auszüge aus Salinger: "Der Fänger im Roggen", Brecht: "Der Arbeitsplatz", Werkkreis Literatur der Arbeitswelt: "Wie die Kollegin es macht, ist es falsch".
Neben weiblichem wollte ich auch männliches Rollenverhalten problematisieren, weil es erstens als Interaktionsschema zusammengehört und zweitens eine ausschließliche Besprechung weiblicher Rollenklischees sicher zu Desinteresse bei den Jungen geführt hätte.
Während der Duchführung ergaben sich folgende Probleme:
Die Texte, die Rollenklischees vermitteln - z.B. Werbetexte - sprachen die Klasse gefühlsmäßig so stark an, daß es sie zum Teil blockierte, darüber Aussagen zu machen.[1] Eine wesentliche Ursache dieser Blockierung lag sicher in ihren Pubertätskonflikten. In dieser Entwicklungsphase sind die Jugendlichen froh, eine vage geschlechtsspezifische Orientierung gewonnen zu haben, wie sie ihnen unter anderem die Werbung liefert. Ihnen war klar, daß im Rahmen des Unterrichts diese gerade gewonnene Orientierung wieder ins Wanken gebracht werden sollte, und dieser Verunsicherung wollten sich die meisten Schüler nicht aussetzen. Bei vielen löste diese Blockierung schließlich Aggressionen untereinander aus. (Die Mädchen meinten: "Ja, so fühlt ihr euch wohl auch auf euren blöden Mopeds." - Die Jungen kommentierten etwa: "Genau wie Beate!") Während viele diese Aggressionen nicht in eine Reflexion zu diesem Problem umwandeln konnten, bildete sich eine kleine Gruppe aus drei Schülerinnen, die das Problem sehr persönlich nahmen und von ihren Erfahrungen geschlechtsspezifischer Benachteiligung in der Familie berichteten. Ein Mädchen äußerte z.B. über ihre Mutter: "Wenn ich mich mit meinem Bruder vergleiche - für ihn würde meine Mutter hungern!" Insgesamt entstand aber keine von der ganzen Klasse getragene Problematisierung der Fragen, die die Texte aufwarfen.
Ich hatte oft das Gefühl, ein Problem, das eher mich beschäftigt, an die Schüler heranzutragen. Ich war daher emotional viel engagierter als die Klasse, und meine Disziplinschwierigkeiten verstärkten sich eher noch.
Ich hatte auf die Solidarität einiger Schülerinnen gehofft. Diese blieb aber aus. Um sich mit mir zu identifizieren, war ich ihnen zu fremd, und untereinander blieben sie bis auf die jeweilige "beste Freundin" Konkurrentinnen.
Insgesamt änderte sich das Verhalten der Schüler kaum. Allerdings drückten einige Schüler außerhalb des Unterrichts ihre Verwunderung darüber aus, daß ihre Mitschüler sich über Dinge Gedanken machten, die auch sie beschäftigten. Das heißt für mich, daß zumindest bei einigen Jungen und Mädchen ein Reflexionsprozeß angebahnt wurde.
Aus den Erfahrungen in diesem Unterricht habe ich geschlossen, daß eine viel intensivere und längerfristige Arbeit notwendig ist, um gerade in der Pubertät Schüler auf dieses Problem anzusprechen. In diesem Alter sind sie auf die Identifikation und die persönliche Verbundenheit mit der Lehrerin angewiesen, um ihr Verhalten gemeinsam mit ihr zu diskutieren, und diese Verbundenheit erreicht man nur über einen längeren Zeitraum.
Als ich nach zwei Jahren meine erste eigene Klasse bekam, hatte ich auch etwas mehr Erfolg. Innerhalb eines Jahres, während dessen Verlauf wir eine Klassenfahrt machten und einige Mädchen aus der Klasse mich und ich sie zu Hause besuchten, konnte ich die Position der Mädchen gegenüber den Jungen so weit festigen, daß sie sich im mündlichen Unterricht angstfreier äußerten. Sie sind sich jetzt meines Schutzes sicher und haben Vertrauen gewonnen. Manchmal höre ich den Vorwurf der Jungen, daß ich die Mädchen vorziehe. Das stimmt sicher auch, aber in Anbetracht ihrer ständigen Benachteiligung ist das, glaube ich, der einzige Weg, einen gleichberechtigten Unterricht zu führen.
Regine Rosenbach
(Mittelstufenzentrum, Berlin)