Es kann nicht mehr die Aufgabe vorliegender Untersuchung sein, die Folgerungen zu entwickeln, die sich aus der im Prozeß interner und externer Marxismuskritik vollzogenen Auflösung und Liquidation authentischer marxistischer Theorie ergeben. Es kam zunächst vielmehr darauf an, diesen Prozeß bewußt zu machen. Keines der für Marx konstitutiven Momente seiner Theorie ist von diesem, nur euphemistisch als revisionistisch zu charakterisierenden Prozeß unangetastet geblieben: weder seine Konzeption der Entfremdung, noch die Theorie ihrer revolutionären Aufhebung, noch der Entwurf einer klassenlosen, unentfremdeten Gesellschaft. Der Versuch, die bisherige Geschichte aufzuheben und sie der rationalen Kontrolle und Planung einer von ihrer Last befreiten Menschheit zu unterwerfen, hat zur Wiederkehr und Intensivierung ihrer katastrophalsten Strukturen geführt. Die unmittelbar kritische Frage, die angesichts des entwickelten Prozesses fällig wird, lautet, ob die theoretischen Möglichkeiten des Marxismus überhaupt ausreichen, um sich selbst und das Geschick zu begreifen, das er sich im Versuch seiner Verwirklichung unter Bedingungen bereitet, denen er nach seinem eigenen Entwurf nicht adäquat ist. Nur Unwissende werden über dieses Resultat erfreut sein. Denn es ist ebenso deutlich geworden, daß alle in der Epoche der gesellschaftlichen Revolution nach Hegel gemachten Anstrengungen hinter dem Niveau der durch den Marxismus erreichten geschichtlichen Erkenntnis zurückgeblieben sind. Das Rätsel der Geschichte ist so unaufgelöst, wie es Marx vorfand. Man dürfte der Wahrheit näherkommen mit der Folgerung, daß es ebensowenig gegen den Marxismus wie mit ihm gelöst werden kann. Die Wiederherstellung präemanzipativer Tradition ist ebenso unmöglich geworden wie die Verwirklichung von Utopie. Weder die aus der Erfahrung des doppelten Nihilismus erwachsene Forderung Nietzsches nach einem neuen Menschen, noch die Neutralisierung des Widerspruchs von Revolution und Restauration durch positive Wissenschaft ist sinnvoll und vertretbar. Sie würde den schon von Walter Benjamin erkannten Stillstand von Dialektik nur potenzieren.[51] Auch ein sich im Namen des Endes der Philosophie auf bloße Selbsterhaltung und Stabilisierung beschränkendes Interesse, das sich in der Organisation und Verwaltung der Gesellschaft erschöpft, kann auf die Dauer der Frage nicht entgehen, in dem Dienst welchen Zieles der Inbegriff der auf reine Mittel reduzierten Weltbestände nun eigentlich eingesetzt werden soll. Es ist evident, daß der Hinweis auf die Notwendigkeit schierer Selbsterhaltung nicht genügt. Denn die Frage, warum Selbsterhaltung selber sein soll, ist ebenso unabweisbar, wie es nicht ausreicht, sie als sinnlos und als Ausdruck subjektiven Unbehagens zurückzuweisen. Eine die Entfremdung ungeschichtlich in der biologischen Konstitution der Menschen fixierende und damit essentiell faschistische Theorie kann in der Gegenwart mit durchaus plausiblen Argumenten wieder auftreten, weil sie selbst einen Index für das faktisch unübersehbare Scheitern einer auf die Aufhebung der Entfremdung gerichteten Praxis darstellt.
Wie immer man die Möglichkeiten beurteilen mag, Entfremdung durch eine praktisch-revolutionäre Verwirklichung im Kommunismus aufzuheben und die durch diesen Versuch neu produzierte Entfremdung in allen ihren durch Marx kritisierten Gestalten - ideologisch, politisch, moralisch und pseudoreligiös - noch mit den Mitteln des Marxismus zu begreifen, so ist doch ein ernsthafter Zweifel daran nicht möglich, daß die heutige Situation als geschichtliche Konsequenz der gegen die Philosophie gerichteten revolutionären Bewegungen begriffen werden muß. Die mit den Mitteln der Aufklärung gegen die Aufklärung verfochtene These, daß die Befreiung von Herrschaft in der Totalität von Herrschaft geendet hat, stellt einen Versuch dar, die bestehenden Verhältnisse zu rechtfertigen, indem die Sinnkategorie überhaupt destruiert wird.
Jede an der Verwirklichung eines höchsten Gutes orientierte Zielvorstellung geschichtlichen Handelns sieht sich gegenwärtig mit einer geschichtlichen Lage konfrontiert, in der es um die Vermeidung des summum malum, um das schiere Überleben geht. Nicht um die Gestaltung einer bestimmten Zukunft, sondern um die Möglichkeit einer Zukunft überhaupt geht es. Was vermag Philosophie in dieser Situation zu leisten?
Das Ende der Neuzeit sieht sich auf die Ausgangssituation emanzipativer Befreiung zurückgeworfen. Ging es aber noch bei Hobbes um eine auf den territorialen Flächenstaat sich begrenzende Überwindung des konfessionellen Bürgerkriegs, also um die noch selbst ungeschichtlich gedachte Konstitution des Rechtsstaates und um die Durchsetzung seines Prinzips formaler Gleichheit, so geht es heute um das Problem einer Überwindung des Weltbürgerkriegs, in welchem Völker, Kontinente, ideologische Blöcke und in Zukunft wohl auch verschiedene Rassen um die Verwirklichung materieller Gleichheit kämpfen. Die Lösung des Hobbes ist für uns allein deshalb unwiederholbar, weil das die formale Gleichheit restringierende und auf seiten der Subjektivität die Formalität kompensierende Moment einer gemeinsamen und inhaltlichen Wahrheit fehlt, das sich für Hobbes in dem Satz ausdrückte: Jesus is the Christ. Carl Schmitt hat die substantielle Bedeutung, die diesem Satz für das Denken Hobbes' zukommt, unwiderlegbar deutlich gemacht. Es ist aber ebenso durch den von Carl Schmitt nachgewiesenen Zusammenhang der Hobbesschen politischen Philosophie mit der Reformation deutlich geworden, wie sehr das Prinzip des Politischen in der modernen Welt durch christliche Voraussetzungen bedingt ist. Die Ersetzung der Herrschaft von Menschen über Menschen durch die Verwaltung von Sachen durch Karl Marx ist eine unumgängliche Konsequenz seiner Religionskritik, und es ist sehr die Frage, ob die im gegenwärtigen Kommunismus gewünschte Verwirklichung gewisser rechtsstaatlicher Garantien ohne eine Revision eben dieser Religionskritik möglich ist. Die sehr stark ideologische Ausrichtung des gegenwärtigen Dialoges zwischen Christen und Marxisten könnte sehr viel konkreter werden, wenn dieser Zusammenhang ernster bedacht würde. An die Stelle des Satzes vom christologischen Grundaxiom der politischen Philosophie des Thomas Hobbes ist in der Gegenwart das als solches zunächst leere und kontroverse Prinzip der Freiheit getreten. Zum Glück aber gibt es bei aller Heterogenität in der Auslegung gegenwärtiger Geschichtswelt ein allen Mächten, die auf die Gestalt der Zukunft Einfluß nehmen, Gemeinsames, an das die Philosophie in einem durchaus noch hermeneutischen Sinne anknüpfen und von dem sie ausgehen kann.
Allen Kräften, Individuen, Gruppen und Ideologien ist ihrem ausdrücklichen Selbstverständnis nach und in ihrer Auslegung der Gegenwart ein doppeltes Interesse gemeinsam: das an der Selbsterhaltung und das an der wie immer verstandenen Freiheit als eines Rechtes auf Selbstbestimmung und Selbst-Verwirklichung. Keine Konzeption und kein Wille hat in unserer Welt die geringste Chance, sich durchzusetzen, der oder die in einem Widerspruch mit beiden oder auch mit nur einem von beiden Grundpostulaten gerät, auf deren Boden sich eine mögliche Einheit der Welt abzuzeichnen beginnt, die substantieller ist als die bloße Übereinstimmung in der Anwendung und Entwicklung eines in sich homogenen, weil gegen alle geschichtlichen Bedingungen indifferenten technisch-industriellen Produktionsapparates.
Die Grundthese vorliegender Untersuchung aber besagt nun, daß gerade die offenbare Disparatheit zweier Momente, Interessen oder Grundpostulate, oder noch besser, Notwendigkeiten, von deren möglicher Vereinigung das Gelingen eines jeden Entwurfs gegenwärtiger Welt auf Zukunft hin abhängt, die Philosophie notwendig, ja zu einer unerläßlichen Bedingung von Zukunft selber macht. Die katastrophische Grundsituation der Gegenwart ist durch eine Konstellation bestimmt, in welcher die beiden unerläßlichsten Bedingungen einer jeden wünschbaren und akzeptablen Zukunft des Menschengeschlechts, in einem ruinösen Zirkel gegeneinandergekehrt, sich wechselseitig verneinen. Vereinfacht ausgedrückt: eine nur auf Selbsterhaltung gerichtete Praxis negiert Freiheit und damit die Bedingungen möglicher Selbsterhaltung ebenso, wie eine auf die Herstellung totaler und unentfremdeter Freiheit gerichtete Praxis Freiheit negiert. Diese wechselseitige Voraussetzung von Freiheit und Selbsterhaltung macht das qualitative Novum in der geschichtlichen Erfahrung unserer Gegenwart aus, die keinen Rückgriff auf irgendeine Gestalt bisheriger Philosophie, einschließlich der Hegelschen, ohne weiteres zuläßt. Gerade der ruinöse, nun wirklich tödliche Charakter dieses Zirkels ist es, der Philosophie notwendig macht.
Die Notwendigkeit einer neuen produktiven Anstrengung des philosophischen Gedankens, der qualitativ über seine bisherige Geschichte hinauszugehen gezwungen ist, bedeutet aber nun ebensowenig, daß es darauf ankommt, die Neustiftung der Philosophie von einem Originalgenie zu erwarten. Die in einer bestimmten Schule gepflegte Attitüde, die Wendung, ja den Umschlag im Geschick der Welt von einem sich rein und vorstellungsfrei in und durch sich selbst vollbringenden Denken zu erwarten, trägt durch die Forderung einer Destruktion der Tradition dazu bei, die reale Antizipation unserer Lage zu verkennen, die in der geschmähten Philosophie des deutschen Idealismus, und hier insbesondere der Hegels, geleistet wurde.
Was in der marxistischen Hegel-Kritik, vor allem bei Karl Marx, den stärksten Anstoß provozierte, macht doch, wie heute nicht mehr übersehen werden kann, auch die Stärke des Hegelschen Denkens für uns aus. In den mannigfaltigsten Variationen ist immer wieder der Vorwurf abgewandelt worden, Hegel habe zwar zu Recht Geschichte als Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit gedacht, aber eben nur im Bewußtsein, und er hätte die der Geschichte vindizierte Vernunft ohne Subjekt gedacht. Es ist hier nicht der Ort, nachzuweisen, daß ein wesentlicher Mangel dieser Kritik in dem Unwillen besteht, den spezifisch theologischen, ja christologischen Gehalt und Grund vernünftiger Vermittlung bei Hegel zu begreifen. Es ist vielleicht heute fällig, im Lichte der Erfahrungen, die die Welt mit dem Versuch des Marxismus gemacht hat, diesen Grundeinwand gegen die Philosophie Hegels zu überprüfen. Bei Marx hatte die Hegel-Kritik einen immerhin einsehbaren Sinn, denn er beanspruchte ja im Proletariat das bei Hegel vermißte, durch die Geschichte selbst produzierte Subjekt einer sie vollendenden vernünftigen Praxis totaler Befreiung gefunden zu haben. Was aber, wenn das Proletariat ausfällt und die Stelle wieder frei und unbesetzt ist? Dies ist aber offensichtlich in der Gegenwart der Fall. Der Entwurf einer das Ganze verändern wollenden Praxis ist, eingestandenermaßen, nur als Utopie möglich. Sie schürt das Unbehagen, ohne zeigen zu können, wie der Grund dieses Unbehagens praktisch beseitigt werden kann. Die Beschränkung der zukünftigen Rolle der Philosophie auf das Ausdenken und Entwerfen von Zukunft würde die an der traditionellen Philosophie beklagte Ohnmacht gegenüber einer ihr widersprechenden Wirklichkeit nur wiederholen.
Gewichtiger noch als die fehlende Möglichkeit, die verändernde Praxis in Reichweite von Verwirklichung zu bringen, ist allerdings das Fehlen eines möglichen Subjektes, das sich zum Träger dieser entworfenen Praxis machen könnte. Ist es sinnvoll, wenn eine christliche Eschatologie, eine auf die Struktur futuristischen Denkens umschaltende Theologie, dem Christen die Rolle des ausgefallenen Proletariats zuzumuten trachtet? Wären die Christen, wenn sie sich auf diese Rolle einließen, nicht gezwungen, den kritischen Subjekten einer absoluten Kritik, die den Grundsatz des Spinoza, veritas est index sui et falsi, in den Satz verkehren muß: falsitas est index sui et veritatis, immer ähnlicher zu werden? Es gibt doch zu denken, wenn z.B. bei Moltmann dem Christen die permanente Revolution abverlangt wird, ohne daß konkret gezeigt wird, was denn nun und wie etwas in grundlegender Weise geändert werden kann. Die sich dann abzeichnenden Forderungen sind von einer solchen Allgemeinheit und bildeten bereits den Grundbestand kritischer und aufgeklärter Humanität.
Es wäre ein ernster und sehr nachdenkenswerter Tatbestand, wenn gezeigt werden könnte, wie sehr in der ruhelosen Abstraktion - gegen die sich schon Hegel als eine alles mit Verschwinden bedrohende Furie gewandt hat - verschleiert wird, daß das revolutionäre Potential in unserer Welt die Substanz, um deren Liquidation es sich doch in allen revolutionären Anstrengungen auch handelte, erschöpft hat. Der bedrohliche Aspekt, der in jedem Akt realer Veränderung liegt, hat nicht ohne guten, philosophisch einsehbaren Grund den Aspekt Hoffnung überschattet. Es kann nicht länger verborgen bleiben, daß die eines gegenwärtigen Grundes ihrer Gewißheit beraubte Hoffnung selbst zum Ursprung wachsender Enttäuschung wurde. Die teils beklagte, teils begrüßte Entideologisierung gegenwärtigen Bewußtseins ist nur dann gefährlich, wenn die Frage nach einem rechtfertigenden Grund und Telos geschichtlicher Praxis überhaupt abgewiesen werden soll.
Mit dem Erweis, daß im geschichtlichen Prozeß ein diesen rechtfertigendes Ziel anhängig ist, dessen Verwirklichung sich durch den geschichtlichen Prozeß vermittelt, hat sich die erneuerungswerte Geschichtsphilosophie des deutschen Idealismus befaßt. Der große Schritt und die bedeutsame Leistung Hegels bestand in dem Entschluß, Geschichte als Geschichte der Erzeugung der Bedingungen und damit konkreter Vermittlung von Freiheit zu denken. Der Hiatus irrationalis, der gegenwärtig zwischen Telos und dem Zusammenhang der seine Verwirklichung ermöglichenden Bedingungen klafft, ist nicht durch Entwurf, sondern nur durch die Anstrengung der Vernunft zu schließen.
Die sozusagen konkrete Abstraktheit, die allen wissenschaftlichen, revolutionären und eschatologischen Handlungsentwürfen innewohnt, ist durch die Weigerung bestimmt, die Vernunft der wirklichen Geschichte anzuerkennen, durch die Weigerung, in Konsequenz der abstrakten Überantwortung der bisherigen Geschichte an den Verfall, die in ihr ausgebildeten und ermittelten Bedingungen der Freiheit für die Gegenwart produktiv anzueignen. In dem ruinösen Zirkel von Freiheit und Selbsterhaltung liegt die eminent positive, die Verwirklichung von Philosophie herausfordernde Chance, insofern Freiheit zu einer Bedingung der Selbsterhaltung geworden ist.
Die Dialektik der Emanzipation, ständig die Bedingungen praktisch zu negieren, die sie selbst erst ermöglichen, hat einen Stand der menschlichen Dinge heraufgeführt, der den Streit zwischen Bewahrung und Veränderung, Tradition und Revolution, Fortschritt und Rückschritt, Konservativismus und Liberalismus als gegenstandslos erscheinen läßt. Im funktionalen Prozeß ständiger Verflüssigung und Veränderung geschieht nichts, weil immer dasselbe geschieht. Das Moment des qualitativ anderen wird in der Totalität einer Praxis der Vergesellschaftung des Daseins zum Verschwinden gebracht. Im Modell des Gedankens der ewigen Wiederkehr des Gleichen hat Nietzsche den Umschlag von Aufklärung in Archaik ebenso vorweggenommen, wie Freud im Modell der Wiederkehr des Verdrängten die Notwendigkeit einer Geschichte reflektiert hat, die nur darum gezwungen ist, sich zu repetieren, weil das Bewußtsein unterhalb seiner Möglichkeiten leben muß. Angesichts der Dialektik im Stillstand, wie Walter Benjamin sie genannt hat, die aus der unaufgelösten Spannung eines ständigen Umschlags von abstrakter Antithetik in ebenso abstrakte Einheit sich nährt, gilt es in der Tat, Dialektik konkret auszutragen.
Hegels Rechtsphilosophie machte als konkrete Bedingungen von Verwirklichung der Freiheit in der modernen Welt aus: die transzendentale Subjektivität, die emanzipative atheistische Gesellschaft, den Staat in seiner doppelten Funktion als formeller Rechtsstaat und Staat der Sittlichkeit und den christlichen Glauben als eine Macht der Versöhnung, die für Hegel darum die wahre ist, weil sie nicht enttäuscht werden kann und dies darum nicht, weil sie nichts von dem, was ist, auszuschließen braucht. Alle diese von Hegel genannten Bedingungen sind potentiell oder auch real in unserer Welt anwesend - nur unvermittelt und ohne die Chance institutioneller Voraussetzungen, die es ihnen, einschließlich der Philosophie, erlauben würden, sich geschichtlich zu inkarnieren. Die Macht, die, wie es scheint, über alle anderen Bedingungen der Freiheit Herr geworden ist, ist die emanzipativ-bürgerliche Gesellschaft, die nach der Hegelschen Bestimmung der Not- und Verstandesstaat ist.
Von allen Veränderungen, die seit Hegel eintraten, wiegen Verfall und Untergang des substantiellen Staates am schwersten. Philosophie hat, wenn man von den singulären Bedingungen der Philosophen im 17. und 18. Jahrhundert absieht, ohne den Zusammenhalt mit einer das Substantiell-Allgemeine verbindlich verkörpernden Institution, nur die Wahl, sich zum Träger des revolutionären Gedankens zu machen, was heute problematisch geworden ist, oder sich als Träger der Vernunft des christlichen Glaubens in einer Welt zu begreifen, in der das Schicksal der Vernunft unlösbar mit eben diesem Glauben verknüpft ist. Oder Philosophie muß sich damit bescheiden, unter den Bedingungen des Zerfalls substantieller politischer Institutionen, das Bewußtsein wach zu erhalten, daß auf sie nicht verzichtet werden kann. Philosophie muß unter eben diesen Bedingungen des Ausfalls substantieller politischer Institutionen ihres postulativen Charakters geständig sein.
Sie kann sagen: wenn ihr Freiheit und Selbsterhaltung wirklich wollt, und damit wollt, daß Zukunft mehr ist als eine bloße Hoffnung, dann könnt ihr beides nur unter den Bedingungen haben, die auszumachen Philosophie als Sachwalter latenter Vernunft kraft ihrer eigenen Tradition verpflichtet ist und von denen sie selbst eine der wesentlichsten darstellt. Sie kann und muß weiter den konkreten und vielfältigen Formen und Gestalten der Praxis vorausdenken, durch welche die ermittelten Bedingungen möglicher Freiheit verwirklicht werden können. Die Kantsche Bestimmung des Philosophen als eines Lehrers des Ideals wird ihr von neuem ehrwürdig erscheinen, wie die platonische Philosophie, der diese Bestimmung sich verdankt.
Es ist ja nicht zufällig, daß die verschiedensten Formen eines erneuerten Marxismus immer wieder den Zusammenhang mit Kant herzustellen versuchen. Der Rückgang auf Kant bietet sich an, weil der für Kantische Philosophie spezifische Dualismus von Form und Inhalt, von Sein und Sollen der geschichtlichen Situation der gegenwärtigen Theorie des Marxismus entspricht. Aber so wie die nachidealistische Philosophie schon wiederholt den Weg von Kant zu Hegel zurücklegte, so wird sich auch dieses Mal die Produktivität und Aktualität Hegelschen Denkens darin bewähren, daß sich der Versuch seiner Philosophie, die Revolution geschichtlich zu begreifen, für die Gegenwart von neuem als Problem stellt. Die Projektion marxistischer Prämissen in die Auslegung vormarxistischer Geschichte erzeugt nicht nur für die Gegenwart typischen Geschichtsnihilismus, von dem Marx selber noch frei war, sondern er macht auch eine Überwindung der Schranken im gegenwärtigen Denken von Emanzipation vollends unmöglich. Es käme daher darauf an, nachmarxistisch den Marxismus als eine Phase in der geschichtlichen Bewegung versuchter Emanzipation zu denken und nicht als ihre Voraussetzung und auch nicht als ihre Bestimmung.