Der Fortschritt, gedacht als die geschichtliche Bewegung der Emanzipation des Menschen aus der Abhängigkeit von der Natur, schließt für Adorno immer einen Prozeß des Verfalls dessen ein, was in den sukzessiven Schritten der emanzipativen Geschichte vom Fortschritt zurückgelassen wird. Fortschritt in diesem Sinne als totale Emanzipation fordert also die Vernichtung oder das bloße Vergessen dessen, wovon ich mich befreie. Wie jede Theorie des Fortschritts mit innerer Notwendigkeit den Verfall in sich einschließt, gehört zu ihr die Einsicht, daß eine undialektische Theorie des Fortschritts von Anfang an naiv war. Fortschritt selber begreife ich nur, wenn ich den Verfall begreife, der in dem Entwurf einer Geschichte der Emanzipation immer auch enthalten ist. Die dem Fortschritt innewohnende Negativität wird in der Theorie der negativen Dialektik verstanden als die Notwendigkeit von Herrschaft. Die Notwendigkeit von Herrschaft wird von der dialektischen Theorie im Rückgriff und in Übereinstimmung mit Karl Marx als das Subjekt alles bisherigen Fortschritts in der Geschichte verstanden, weil die Überwindung der Naturabhängigkeit nur in der Form organisierter Herrschaft möglich war. Der Mensch kann sich nicht aus dem Naturstand befreien, ohne sich die Natur zu unterwerfen und damit zu beherrschen. Daher schließt auf dem Boden der erneuerten Fortschrittstheorie unter den Bedingungen ihres die Gegenwart bestimmenden Verfalls die Theorie die Anerkennung der Notwendigkeit von Herrschaft ein. Ja, das Prinzip Herrschaft fällt als solches zunächst einmal mit der als Geschichte der Emanzipation interpretierten Geschichte des Fortschritts zusammen, da ja ein Subjekt notwendig war, dem es zukam, die Abhängigkeit von der Natur durch organisierte Herrschaft zu überwinden. Man kann daher nicht Geschichte als Geschichte der Emanzipation verstehen, ohne anzuerkennen, daß Befreiung nur durch Beherrschung möglich war. Emanzipative Befreiung fordert - und das wird auch von der negativen Dialektik anerkannt, - Beherrschung dessen, wovon sich der Mensch befreien muß, um frei zu werden.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Adorno und dem bisherigen marxistischen Konzept politischer und gesellschaftlicher Herrschaft besteht nun darin, daß Adorno das Prinzip Herrschaft auf den Begriff und damit auf das Prinzip der Vernunft zurückführt, um deren Verwirklichung es in der großen Philosophie von Platon bis Hegel ging. Die Ausbildung eines vergegenständlichten Begriffs von Natur fällt bei Adorno mit der Ausbildung des Begriffs selber zusammen. Das die Natur sich unterwerfende Wesen von Herrschaft gründet in der Herrschaft des Begriffs, durch den sich die Vernunft dem Gesetz der Identität selbst unterwirft. Der Begriff wird von Adorno verstanden als instrumentaler Vollzug, durch den das Subjekt nach der Regel der Identität die Welt auf sich selbst und seinen Herrschaftswillen hin bestimmt und so dem Begriff homogen macht. Herrschaft gründet also für Adorno in letzter Instanz in dem Gesetz der Identität. Ja, das Prinzip von Herrschaft ist selber identisch mit der Herrschaft des die Ursprungsphilosophie beherrschenden Identitätsgesetzes. Das Gesetz der Identität besagt die Regel, nach welcher der Allgemeinbegriff gebildet und das nichtbegriffliche besondere Sein dem Begriff homogen, gleich gemacht und tendenziell unterworfen wird. Im Zugriff der Herrschaft durch das Allgemeine kommt das Besondere in der Subsumtion unter das Allgemeine nur vor als durch den Begriff bestimmte, und damit geht das Begreifen des Begriffs in der Subsumtion des Besonderen unter das Allgemeine auf. Adorno ist der Meinung, daß die Befreiung, die Emanzipation des Menschen aus der Natur, nur auf dem Wege der Herrschaft des nach dem Gesetz der Identität mit der Welt verfahrenden Begriffes zustande kommen konnte. Das Prinzip der Vernunft ist damit auch das Prinzip von Herrschaft.
Die Vernunftphilosophie ist für Adorno Organ von Herrschaft und ohnmächtiger Reflex der von ihr selbst ausgebildeten und ermöglichten Herrschaft zugleich. Alle bisherige Vernunft, alle Theorie überhaupt, unangesehen des Unterschieds von Wissenschaft und Philosophie, wird von Adorno der Funktion zugeordnet, Herrschaft zu konstituieren und ideologisch zu verklären. Vernünftige Theorie, die ihrem Herrschaftswillen alles gleich macht, läßt alles Sein nur gemäß der Bestimmung zu, beherrscht zu werden. Alles nicht durch den Begriff bestimmbare Sein verschwindet unerkannt in das Ziel zukünftigen Fortschritts von Herrschaft. Die Wurzel von Herrschaft ist also Vernunft. Es ist von nicht geringer Bedeutung für eine angemessene Auseinandersetzung mit der negativen Dialektik, daß in ihr alle Differenzen im Theoriebegriff zwischen Platon und Aristoteles und dem Methodenideal des Descartes verschwinden. Selbst die in der Vernunftphilosophie von Platon bis Hegel in der Dialektik ausgebildete Kritik an dem beschränkten und (in der Neuzeit) technologischen Charakter der Wissenschaften fällt für Adorno unter Technologie. Die die technologische Struktur transzendierende Vernunft erscheint noch selber von der Herrschaft affiziert, gegen die sie nur ohnmächtig rebelliert. Zentral ist nun für die negative Dialektik die Einsicht, daß aus der Beherrschung der Natur der Mensch nicht in seiner Freiheit hervorgetreten ist.
Die traditionellen Theorien des Fortschritts hatten an die Befreiung durch Wissenschaft und Technik die Hoffnung geknüpft, daß aus der Beherrschung der Natur durch Technik und Wissenschaft, also letztlich durch den identifizierenden Begriff, der Mensch in dem Maße, in dem die äußere Natur beherrschbar wurde, frei werden müsse. Das galt wenigstens noch für die Fortschrittstheorien im 19. Jahrhundert, zu einer Zeit also, in welcher diese also noch unschuldig sein konnten. Spencer zum Beispiel konnte an die Verbreitung von Wissenschaft und Technik und die mit ihr verbundene Herstellung eines die Völker verbindenden Handels und wirtschaftlichen Austausches die Hoffnung auf Aussterben des Krieges verbinden.
In Wirklichkeit aber wurde der Mensch aus dem Subjekt, das sich mittels technologischer Herrschaft von der Natur befreien wollte, zum Objekt seiner von ihm selbst veranstalteten Herrschaft und das, wie die negative Dialektik versichert, mit einer im Prinzip bisheriger Herrschaft liegenden Notwendigkeit. Das Subjekt, das mit dem Begriff die Natur beherrschen wollte, ist selber zum Objekt seiner Herrschaft über die Natur geworden. Der Mensch, der sich durch Beherrschung befreien wollte, ist zum totalen Objekt seiner Herrschaft geworden. Die Befreiung der Herrschaft endete also in der Gegenwart in der Versklavung des Subjekts, das sich von der Natur durch ihre Vergegenständlichung befreien wollte. Um diesen Umschlag von Subjekt und Objekt geht es in der Theorie der negativen Dialektik. Es ist ihr zentrales Problem, zu verstehen, aufgrund welcher Bedingungen es dazu kommen konnte, daß der Mensch als das Subjekt der Freiheit durch Herrschaft zum Objekt seiner Naturbeherrschung werden konnte. Am vorläufigen Ende der Geschichte der Emanzipation in der Gegenwart ist der Mensch zum Subjekt der Identität von Subjekt und Objekt der Herrschaft geworden. Der Fortschritt ist in der Gegenwart in das Gegenteil seiner selbst umgeschlagen. Das Objekt-Werden des Subjekts nennt Adorno die totale Verblendung, die es aufzuhellen gelte. Der gleiche Sachverhalt wird durch die negative Dialektik auch so ausgesagt, daß in der Gegenwart in der Form nun total gewordener Herrschaft die unbedingte Negation der als total möglich gewordenen Freiheit eingetreten ist. Dann muß auf dem Boden einer Theorie der Emanzipation im erläuterten Sinn der Zustand total gewordener Herrschaft als ein Zustand totaler Negativität bestimmt werden. Der gegenwärtige Zustand der Welt als totale Negativität hat sich nach Adorno manifestiert in den Konzentrationslagern des 20. Jahrhunderts.
In Auschwitz hat sich für Adorno nicht ein Zwischenfall der Menschheit auf dem Wege des Fortschritts zur totalen Freiheit ereignet, sondern der in die Negation seiner selbst umgeschlagene Fortschritt hat als Fortschritt zu Auschwitz geführt. Die Faschisten sind also nach der Theorie der negativen Dialektik die bewußtlosen Exekutoren des in sein eigenes Gegenteil umgeschlagenen Fortschritts. Sie haben die totale Negativität als notwendiges Resultat der die Geschichte vom Mythos an beherrschenden Emanzipation nur exekutiert. Konsequenterweise müssen daher auch alle in der Tradition entwickelten rechtlichen, moralischen, politischen ja anthropologischen Kategorien versagen, um die Manifestation des die bisherige Geschichte beherrschenden Fortschrittsprinzips in der Gestalt von Auschwitz angemessen zu begreifen. Da, wie wir sahen, aber alle Geschichte mit Emanzipation identisch war, hat sich das Wesen der 2000jährigen, bei den Griechen beginnenden abendländischen Weltgeschichte in den Konzentrationslagern des 20. Jahrhunderts enthüllt. Wer also undialektisch nach Auschwitz frisch und fröhlich die Vögel der Emanzipation steigen läßt, der hat nach Adorno nicht begriffen, daß die bisher praktizierte Emanzipation als Befreiung durch Herrschaft in den Konzentrationslagern, das heißt: im industriellen Völker- und Rassenmord des 20. Jahrhunderts endete. In den Konzentrationslagern, in Auschwitz, enthüllt sich für Adorno das Wesen des gegenwärtigen Zeitalters. Auschwitz ist für Adorno kein bloß kontingent faktisches Ereignis, das man in seiner Genese auf andere selber kontingente Ereignisse zurückführen könnte, insofern alle geschichtlichen Vorgänge zunächst einmal bloß kontingenter Struktur sind, vielmehr hat sich für Adorno in Auschwitz das Wesen der Geschichte überhaupt manifestiert, und es muß daher in der negativen Dialektik Auschwitz der Rang eines metaphysischen Faktums zugebilligt werden.
Die Grundfrage, die das Denken Theodor W. Adornos unablässig bewegt, ist daher die Frage, wie dieses Resultat einer Bewegung der Emanzipation möglich war. Wie konnte dieser Umschlag möglich werden? Wann und wo und wodurch hat der Emanzipationsprozeß die Richtung genommen, die mit immanenter Notwendigkeit zu diesem Ergebnis führte? Auf diese Frage gibt nun die negative Dialektik die für ihre Beurteilung entscheidende Antwort, daß der Grund der Ermöglichung des Prozesses, der sein Wesen in den Konzentrationslagern des 20. Jahrhunderts manifestiert hat, nicht innerhalb der Geschichte gefunden werden kann, sondern identisch ist mit der Geschichte selber. Er fällt mit dem Anfang von Geschichte überhaupt zusammen. Von daher ist die Aussage Adornos gerechtfertigt und allein zu verstehen, daß die gesamte bisherige Universalgeschichte den Charakter einer permanenten Katastrophe oder des fortwährenden Grauens hat.
Die Aussage über den totalen Charakter der grauenhaften Geschichte kann seine Begründung nur in der Theorie finden, die Adorno über Ursprung und Anfang der Geschichte vorlegt. Der Beginn der Geschichte als permanenter Katastrophe muß dann auf ein selber katastrophales Ereignis zurückführbar sein. Am Anfang und Beginn der total katastrophischen Geschichte steht ein Akt irrationaler Machtübernahme. Der Mensch richtet sich auf, bestimmt durch den Willen totaler Bemächtigung der Natur. Die Theorie, daß die Genesis der Geschichte als eine Katastrophe begriffen werden müsse, stellt eine Antithese zur christlichen Schöpfungstheologie dar, die den Hervorgang der Welt auf die creatio durch ein Wort zurückführt, nach dem alles gut geschaffen ist. Geistesgeschichtlich führt die Adornosche These vom katastrophischen Grund der Geschichte auf die romantische Naturphilosophie zurück. Bei Schelling wird die Faktizität der endlichen Dinge auf ein selber unerklärbares, irrationales Abbrechen und Herausfallen aus dem Zusammenhang des Absoluten zurückgeführt. So führt auch Adorno den Beginn der Geschichte totaler Negativität auf einen solchen irrationalen, dem Willen zur Bemächtigung entspringenden Akt zurück. Ist aber der Anfang von Geschichte von irrationaler Faktizität, dann folgt für Adorno daraus, daß die Geschichte selber bloß faktisch und damit letztlich irrational ist. Was bedeutet die These vom bloß faktisch irrationalen Charakter der Geschichte in der negativen Dialektik? Es folgt daraus die These, daß die Geschichte so nicht hätte zu sein brauchen.
Und aus dem bloß irrationalen Ereignis, aus dem die Geschichte in ihrer faktischen und irrationalen Brutalität hervorgegangen ist, kann Adorno den Gedanken der Utopie als einen Zustand folgern, der sich zur Geschichte als das total und schlechthin Andere verhält. Die Möglichkeit des utopischen Gedankens eines schlechthin anderen Zustandes, durch welchen der jetzt herrschende total überwunden ist, gründet also in dem Gedanken des nicht notwendigen Charakters der Geschichte und des Charakters ihrer totalen Irrationalität. Schon jetzt stellt sich die Frage, was sich aus einer solchen Theorie allein ergeben kann. Ist die gesamte bisherige Geschichte an sich selbst bloß faktisch kontingent und hat sie in der Gegenwart zu einem Zustand totaler Negativität geführt, dann folgt daraus mit unwiderleglicher Konsequenz der Satz, daß das Ganze das Unwahre ist. Auch dieser Satz ist nicht so neu wie oft gemeint wird. Er ist der Grundsatz der Gnosis. Der Satz, daß das Ganze das Unwahre sei, stellt in religionsphilosophischer Perspektive die Erneuerung der gnostischen Grundüberzeugung dar, daß die bestehende Realität vom Teufel ist und als solche total verkehrt.
Wie aber ist ein solcher Satz vom total verkehrten Charakter aller Realität selber möglich und wie kann er theoretisch begründet und gerechtfertigt werden. Wie ist eine Theorie der negativen Dialektik als Theorie selber möglich? Adorno hat immer wieder gesagt, daß es ihm zunächst um die reine Theorie gehe. Wenn aber alle bisherige Theorie - und dazu gehört, wie wir gesehen haben, auch die Vernunftphilosophie - unter dem Bann einer verhexten und verkehrten Realität gestanden hat und nur als der ohnmächtige ideologische Reflex der von ihr in seiner Genesis unerreichbaren Verkehrtheit verstanden werden kann, dann kann eine Theorie totaler Negativität auch nicht mehr die Vernunft als den Grund ihrer eigenen Ermöglichung für sich in Anspruch nehmen. Denn die Vernunft selber unterliegt ja dem Bann, den es zu brechen gilt. Also kann die Vernunft nicht das sein, was diesen Bann zu brechen vermag. Die negative Dialektik gehört also als die vorläufig letzte Gestalt in den Prozeß der Destruktion der seit Hegel kontinuierlich fortschreitenden Destruktion der Vernunft und setzt diesen Prozeß voraus. Die Theorie der negativen Dialektik verdankt sich sogar der Destruktion der Vernunft, indem sie die Vernunft dem Zusammenhang technischer Verfügung und Beherrschung einordnet und nur ohnmächtig gegen das selbst produzierte Gefängnis rebellieren läßt. Es kann auf jeden Fall nicht die Vernunft sein, von der ein Beitrag zur Veränderung der total falschen Welt zu erwarten ist. Es ist vielleicht nicht ganz überflüssig, jetzt schon an die Revolution zu erinnern, die von sich selbst sagte, daß die Vernunft weder zu ihrer Voraussetzung noch zu ihren Zielsetzungen gehört. Es ist bekannt, daß die unbedingte Freisetzung der politischen Praxis von jeglicher Vernunft am konsequentesten vom Faschismus gefordert und verwirklicht worden ist.
Schon die bloße Erfahrung totaler Negativität ist konsequenterweise nach Adorno nur möglich, wenn es etwas gibt, was von dem Bann totaler Herrschaft nicht total erfaßt ist. Nur wenn es das gibt, ist Erfahrung totaler Negativität selber möglich. Was Adorno eindeutig von den Erfindern faschistischer Herrschaftspraxis trennt, ist die Tatsache, daß er in diesem Zusammenhang die Erfahrung des Leidens in ihrer Produktivität für eine mögliche Erkenntnis des Zustandes der Welt wieder entdeckt. Die Möglichkeit, das falsche Leben zu überschreiten, ist für Adorno gebunden an die Erfahrung des Leidens. Im Leiden meldet sich die Negativität, und weil die Erfahrung der Negativität der Gegenwart untrennbar ist von der Erfahrung der unter dieser Gegenwart leidenden unglücklichen Subjektivität, bekommt das unglückliche Bewußtsein das Zeichen der Positivität des Leidens. Er wiederholt ein zentrales Motiv von Sören Kierkegaard, für den die Verwirklichung eines Begriffs wahrer Humanität unter den Bedingungen der Moderne die selbst übernommene Verzweiflung an dieser modernen Welt unabdingbar in sich einschloß.
Aber das Leiden allein ist noch keine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem Theoriecharakter eines Denkens der Welt als totaler Negativität. In der Geschichte totaler Herrschaft muß etwas von der Verfassung der Menschheit sich durchgehalten haben, aus der sich die Menschheit durch den Überschritt zur Beherrschung der Natur entfernt hat. Ein großer Teil der denkenden Anstrengung Theodor W. Adornos gilt dem Versuch zu sagen, wie denn das Verhältnis des Menschen zur Natur gedacht werden muß, von dem er sich in der Geschichte emanzipiert hat. Ein präemanzipatives Verhältnis des Menschen zur Natur war bestimmt durch die Kategorie der Mimesis. Ein durch Mimesis bestimmtes Naturverhältnis muß gedacht werden als ein solches, welches das Moment der Herrschaft von sich ausschließt. Unter Mimesis versteht Adorno, daß der Mensch noch unmittelbar auf die Natur bezogen ist. Mimesis meint also die Form einer unmittelbaren Teilhabe und unmittelbaren Wiederholung der Natur durch den Menschen. Der Mensch selber, ein Naturprodukt, steht hier noch in einem unmittelbaren Austausch mit der ihn produzierenden Natur. Der Faden zwischen produzierender Natur und produzierten Menschen - man ist geneigt, an die Nabelschnur zu denken, die den menschlichen Embryo mit dem mütterlichen Leib verbindet - ist noch nicht gerissen. Auch Freud hat den Eintritt des Menschen in die Welt als Schock bezeichnet; das Verlassen eines umhegten Raums der Geborgenheit und der Eintritt in eine ihm fremde und feindliche Welt sei für den Menschen traumatisch. Adorno nimmt an, daß sich auch in der Geschichte als Herrschaft in verstümmelten Resten etwas von dem aus dem vorgeschichtlichen Zustand stammenden mimetischen Impuls erhalten hat. Das dämmernde Freiheitsbewußtsein -und über ein Dämmern des Freiheitsbewußtseins ist der Mensch in der Geschichte nicht hinausgekommen - nährt sich von der Erinnerung an den archaischen, noch von keinem festen Ich gesteuerten Impuls. In der Freiheit als Spontaneität hallt unter den Bedingungen organisierter Herrschaft ein Echo dessen wider, was bis zur Vernichtung zu kontrollieren, nach Adorno, das Ich der idealistischen Philosophie für die Bewährung der Freiheit hält. Die Theorie der totalen Negativität ist in ihrem eigenen Vollzugssinn so anamnetisch wie die platonische, nur erinnert sich der Mensch in der Anamnesis an etwas im Verhältnis zur sinnlichen Erfahrung qualitativ anderes. Bei Adorno handelt es sich um das anamnetische Eingedenken an einen archaischen vor-ichlichen Zustand. Der archaische, in der Geschichte verlassene Ursprung, meldet sich in der Form eines anamnetischen Eingedenkens durch einen vor-ichlichen somatischen Impuls als unwillkürliche Spontaneität.
Über die Bedeutung, die der Kategorie der Spontaneität in der revolutionären Praxis zukommt, gibt die negative Anthropologie von
Ulrich Sonnemann Auskunft, der sie als Sabotage des Schicksals interpretiert, durch die jede Form von objektiver Notwendigkeit verschwindet zugunsten der ebenso total gemeinten Freisetzung von unwillkürlicher Spontaneität. Für Adorno meldet sich in dem vor-ichlichen mimetisch-somatischen Impuls unter den Bedingungen der Herrschaft Archaisches, also Vorgeschichtliches.
Der archaische Urzustand soll in verwandelter Form im utopischen Endzustand so verwandelt wiederkehren, daß die in der Geschichte als Herrschaft gewonnene, aber unterdrückte Freiheit wiederkehrt. In der Utopie des total anderen Zustandes soll in der Befreiung die beherrschte Natur selber frei werden und damit auf einer höheren, durch die Geschichte der Entfremdung vermittelten Stufe, der Anfang wiederkehren.
In der Subsumtion von Vernunft und Theorie unter die Logik des durch die Herrschaft gezeitigten Verfalls von Vernunft kann die negative Dialektik den Anspruch auf Theorie nicht länger aufrechterhalten. Daher muß Adorno unter »Wesen« negativer Dialektik die Selbstkritik des Begriffs verstehen, in welcher es darum geht, mit dem Denken gegen das Denken über das Denken hinaus zu gelangen. Die Vernunft geht gegen sich selbst vor, um sich von der Fesselung durch das Gesetz der Identität zu befreien. Einer solchen Befreiung bedarf es, weil sich die Vernunft darin erschöpft, ideologischer Reflex totalitären Herrschaftsanspruches gewesen zu sein. Der Theoriecharakter der negativen Dialektik ist daher selbst zutiefst fragwürdig. Aus der Fragwürdigkeit des Theoriecharakters negativer Dialektik ergeben sich ruinöse, Konsequenzen für ihre umsetzende Vermittlung in Praxis. Wie soll diese Theorie noch fähig sein, einen Begriff von Praxis zu konstituieren, durch die der Bann des in der Totalisierung von Herrschaft sich erneuernden Mythos gebrochen werden könne. In Analogie zu Nietzsche sieht Adorno die Geschichte beherrscht durch das Gesetz der ewigen Wiederkehr des Gleichen, nach dem die Starken die Schwachen unterwerfen. Es ist schwer zu sehen, worin sich die Adornosche Sicht der Geschichte von der der Faschisten unterscheidet, wenn auch diese daraus andere Konsequenzen gezogen haben. Alle metakritischen Einwände gegen die negative Dialektik fassen sich also in der Frage nach der Möglichkeit einer Praxis der Veränderung der totalitär gewordenen Herrschaft zusammen. Adorno hat die Antwort auf diese Frage ausdrücklich mit dem Hinweis auf die verwandelnde Kraft reiner Theorie verweigert und die revolutionären Anstrengungen der außerparlamentarischen Opposition als Praxisfetischismus kritisiert. Wenn das Ganze falsch ist, dann müßte es auch eine Veränderung des total Falschen wenigstens der Möglichkeit nach geben oder zumindest denkbar sein. Doch Adorno sagt, daß es eine solche Möglichkeit in der Gegenwart nicht gibt. Ein verändernder Eingriff am Teil des Ganzen trage indirekt zur Verstärkung und Verlängerung falscher Herrschaft bei. Revolution wie Reform seien beide gleich unmöglich. Entweder zeigt sich, wie es eine Praxis geben kann, durch die das Ganze aufhört, falsch zu sein, oder man kann am Ganzen eben überhaupt nichts ändern, nur durch partielle Eingriffe reformieren und damit zur Verfestigung des Falschen beitragen. Den Horizont einer Vermittlung auf Praxis sieht die Adornosche Theorie also verstellt.
Adorno sagt ganz deutlich über das Verhältnis seiner Theorie zur Praxis, daß seine Theorie kein Verhältnis zur Praxis hat, daß die Praxis, auf die es ankäme, verstellt sei. Von der Atempause macht das Adornosche Denken den Gebrauch, daß es in der Reflexion des objektiven Grauens das Grauen subjektiv verdoppelt und sich von dieser Verdoppelung doch offenbar etwas verspricht, was »einst« revolutionäre Praxis zu gewähren versprach. In der Bewußtmachung des Grauens wird also das Grauen vermehrt. Nun könnte es in der Tat so sein, daß die Menschheit in ihrer geschichtlichen Lage nichts dringlicher bedürfte als eines Bewußtseins über ihren katastrophalen Zustand. Aber ebenso deutlich ist, daß Adorno von der Reflexion des Grauens auch einen Widerstand gegen die mögliche Wiederkehr des Faschismus und so fürchterlicher Ereignisse wie Auschwitz erwartet. Wir müssen daher die Frage stellen, ob die Theorie zu einer solchen Erwartung berechtigte Veranlassung bietet.
Es ist entscheidend zu wissen, was es mit einer dialektischen Sozialphilosophie in praktisch-revolutionärer Absicht auf sich hat, die von sich selber sagt, daß der Horizont der Möglichkeit einer verändernden, das heißt doch wohl revolutionär umwälzenden Praxis verstellt sei. Wie steht es mit den praktischen Konsequenzen einer um willen welcher Praxis entwickelten Theorie? Die Weigerung der Vertreter dieser Theorie, die Verantwortung zu übernehmen für die aus ihr gefolgerten praktischen Konsequenzen mit dem Hinweis, daß nur reine Theorie gewollt sei, ist um so merkwürdiger, als doch die in dieser Schule praktizierte theoretische Kritik von dem Prinzip ausgeht, daß es eine politische Unschuld für philosophische Theorien überhaupt nicht gibt. Auch eine ihre Praxisabstinenz eingestehende Theorie muß daher nach diesem Prinzip auf ihre möglichen politischen Konsequenzen nach der gleichen Methode befragt werden, die sie gegen andere Theorien gerichtet hat. Auf jeden Fall ist die erste Konsequenz, die sich für eine dialektische Sozialphilosophie in ihrem Verhältnis zur Praxis ergibt, daß eine solche durch ihre Praxisverweigerung von der Praxis abstrahierende Theorie indirekt dazu beiträgt, daß die Praxis theorielos wird. Die Negation einer denkbaren theoretischen Vermittlung von Theorie und Praxis - die Adornosche negative Dialektik sagt von sich selbst, daß sie eine solche zu leisten nicht imstande sei, da sie in der Gegenwart grundsätzlich unmöglich sei - führt zur Emanzipation der Praxis von Theorie. Wenn der Begriff praxislos geworden ist und wenn eine Theorie die Notwendigkeit zeigen will, nach der eine sich auf die Veränderung der Gesellschaft richtende Theorie nur ohne Bezug zur Praxis unmöglich sein kann, dann kann auf der andern Seite eine sich unmittelbar gegen die Totalität der Gesellschaft wendende Praxis nur theorielos sein. Die behauptete Notwendigkeit und Unumgänglichkeit praxisloser Theorie setzt also eine begriffs- und theorielose Praxis frei.