Vorwort

Mit dem Begriff der Emanzipation verbinden sich heute Hoffnungen und Schrecken der Epoche. Emanzipation ist zu einem Grund- und Reizwort unserer Gegenwart geworden. Da die affektive Besetzung aller Vorstellungen, Ziele und Methoden, die sich an dem Programm einer Vollendung der Emanzipation in der Zukunft orientieren, nicht übersehen werden kann, ist Aufklärung über die Voraussetzungen der Emanzipation als einer geschichtlichen und theoriefähigen Kategorie notwendig geworden. Emanzipation degeneriert zu einem Fetisch, wenn sie sich nicht an einem Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit ausweisen kann.
Aber die Vereinbarkeit der in der Gegenwart diskutierten Modelle von Emanzipation mit Freiheit ist fragwürdig geworden. Das in der Auslegung am Marxismus allein gewonnene revolutionäre Bewußtsein vermag sich weder an der von ihm selbst in Anspruch genommenen Voraussetzung bei Marx, noch an der weltgeschichtlichen Realität auszuweisen. Am wenigsten vermag revolutionäres Bewußtsein heute zu begreifen, warum bei vielen Zeitgenossen anstelle der geforderten Euphorie Panik tritt, wenn der zur Veränderung des Ganzen entschlossene Wille seine praktischen Konsequenzen zu ziehen beginnt. Man kann daher den Eindruck gewinnen, daß die Träger gegenwärtiger Emanzipation glauben, daß Emanzipation mit ihnen zum ersten Mal überhaupt begänne oder daß sie doch dogmatisch voraussetzen, daß Emanzipation sich in dem erschöpfe, was der Marxismus noch zu denken erlaubt. Die Projektion marxistischer Prämissen in die Auslegung vormarxistischer Geschichte erzeugt nicht nur den für die Gegenwart typischen Geschichtsnihilisrnus, von dem Marx selber noch frei war, sondern er macht auch eine Überwindung der Schranken im gegenwärtigen Denken von Emanzipation vollends unmöglich.
Es käme daher darauf an, nachmarxistisch den Marxismus als eine Phase in der geschichtlichen Bewegung versuchter Emanzipation zu denken und nicht als ihre Voraussetzung und auch nicht als ihre Bestimmung. Eine Revision unseres Bildes von der Geschichte des philosophischen Gedankens in der Neuzeit ist aber dann eine der wichtigsten Aufgaben für ein Denken, das es noch nicht für entschieden hält, daß die Philosophie nur in der Gestalt einer letzten Philosophie noch möglich sei. Für eine solche Revision wiederum ist aber die Anerkennung der zentralen-Bedeutung der religionsphilosophischen Fragestellung in allen philosophischen Entwürfen von Bedeutung, die nicht vor der Aufgabe resignierten, Emanzipation verantwortlich zu denken. Das Buch, das sich um diese Aufgaben bemüht, beruht zum Teil auf Veröffentlichungen der letzten Jahre, von denen einige fast vollständig und unverändert aufgenommen wurden. Das trifft vor allem zu für die unter dem Titel »Subjektivität und Verdinglichung« veröffentlichte Habilitationsschrift (inzwischen vergriffen) und für die in den Marxismusstudien veröffentlichte Untersuchung »Stillstand der Dialektik«. Den Verlegern Dr. Siebeck und Gerd Mohn möchte ich auch an dieser Stelle für ihre freundliche Einwilligung in einen Wiederabdruck danken. Weiterhin gilt rnein Dank meinem Mitarbeiter Henning Günther für seine Hilfe beim Korrekturenlesen und für Anregungen bei der stilistischen Bearbeitung der bereits veröffentlichten Texte. Fräulein Ursula Löbbers danke ich für die Sorgfalt beim Schreiben der Manuskripte. Vor allem gilt mein Dank meiner Frau. Ohne ihre Mitarbeit wäre das Erscheinen dieses Buches bei der Belastung durch eine doppelte Lehrtätigkeit in Köln und Münster nicht möglich gewesen.
Münster, im Juli 1970
Günter Rohrmoser
 

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