Über politisches Bewußtsein und die Frage der Männlichkeit

»Die Tatsache, daß er sich für seine Familie aufopfert meint er -, gibt ihm das Recht, von seiner Familie zu erwarten, daß sie das tut, was er will. Mit anderen Worten: Daß er ihr die Freiheit aberkennt, ist gerechtfertigt, weil er sich aus Liebe zu ihr bis zur Selbstaufgabe untergeordnet hat!«
(Aus: Sennett / Cobb, The hidden injuries of class)

»Auf einer großen Frauenversammlung, zu der Zeit, als wir noch nicht glaubten, daß es schlimm sei, wenn ein paar Männer dabei wären, stand ein Mann auf und sagte leicht weinerlich, er sei doch auch unterdrückt, denn er dürfe keine Kuchen backen und nicht weinen. Da antwortete ein anderer Mann: Natürlich darfst du auch weinen und Kuchen backen, aber dann wirst du wie eine Frau behandelt, und genau das willst du nicht.«

Dicht hinter mir, auf einer Gewerkschaftsdemonstration 1977 höre ich einen Mann sagen: Schön, daß die Frauen mitlaufen. Ein anderer Mann antwortet: Hoffentlich steht das Essen auf dem Tisch, wenn ich nach Hause komme

1. Im voraus: Die Kluft zwischen den Klassen-Bewußtsein
und feministischem Bewußtsein

Als sozialistische Feministin komme ich mit zwei Begriffen der Entwicklung politischen Bewußtseins in Berührung, dem klassischen linken und dem inzwischen auch fast schon klassischen feministischen. In der linken Theoriebildung wird politisches Bewußtsein (Klassenbewußtsein) direkt an die materielle Stellung gekoppelt, die die Menschen, Lohnarbeiter, einnehmen.
Unter dem industriellen Kapitalismus hat sich die Bevölkerung in zwei Klassen aufgespalten, in das Kapital und das Proletariat. Arbeit ist zur Lohnarbeit geworden. Der Arbeiter, der frei zu sein scheint, besitzt lediglich die Freiheit, seine Arbeitskraft an das Kapital zu verkaufen. Die Entwicklung politischen Bewußtseins soll dann dazu führen, die dem Kapitalismus zugrunde liegenden Ausbeutungsmechanismen zu durchschauen und entsprechend zu handeln. Angesichts der Tatsache, daß nur Lohnarbeiter die Ausbeutung unmittelbar am eigenen Leibe erfahren, werden sie als die »fortschrittliche Kraft« angesehen, die die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern kann. Selbstverständlich ist eine Voraussetzung dafür die kollektive Organisierung und zwar dort, wo die Ausbeutungsbeziehung am eindeutigsten ist, in der Produktion.  
Feministische  Gruppen verstehen unter der Entwicklung von Bewußtsein die Einsicht, die entsteht, wenn durch den Kontakt mit anderen Frauen klar wird, daß »persönliche« Probleme nicht individuell sind, sondern politisch, weil wir sie mit anderen Frauen als Gruppe teilen. Selbst wenn die Unterdrückung von Frauen auch in der Lohnarbeit stattfindet, liegt doch die primäre Wurzel für die Unterdrückung der Frauen in der häuslichen Arbeitsteilung, in der Tatsachen, daß von Frauen erwartet wird, die Arbeit im Haushalt zu leisten, Männer und Kinder zu versoren. Da Frauen die einzigen Menschen sind, die diese Form der Unterdrückung selbst erfahren und Männer davon profitieren und deshalb unzuverlässige Verbündete sind, gelten Frauen als die »fortschrittliche Kraft«,  die die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern wird. Und natürlich ist eine Voraussetzung dafür die Veränderung von Arbeitsverhältnissen in der Familie, also der persönlichen Beziehungen im Privatbereich.
Zwischen diesen beiden Sichtweisen der Entwicklung politischen Bewußtseins besteht eine Kluft. Feministinnen beschuldigen Sozialisten, auf die Lohnarbeit fixiert zu sein und den Rest des Lebens unberücksichtigt zu lassen. Sozialisten beschuldigen Feministinnen, unpolitisch zu Werke zu gehen, im Privatbereich stecken zu bleiben, der keinerlei Relevanz für den Klassenkampf habe, welcher schließlich in der Produktion ausgetragen werden müsse. Dieser Vorwurf ist nicht neu. In einem Gespräch mit Clara Zetkin sagt Lenin:

»Ihr Sündenregister, Clara, ist noch größer. Es wurde mir erzählt, daß in den Lese- und Diskussionsabenden der Genossinnen besonders die sexuelle Frage, die Ehefrage behandelt werde. Sie sei der Hauptgegenstand des Interesses, politischer Unterrichtsund Bildungsgegenstand. Ich glaubte, meinen Ohren nicht trauen zu dürfen, als ich das hörte. (...) Die Lage in Deutschland (...) fordert die größte Konzentration aller proletarischen, revolutionären Kräfte zur Zurückwerfung der immer mehr vorwärtsdringenden Gegenrevolution. Die tätigen Genossinnen aber erörtern die sexuelle Frage und die Frage der Ehe formen «[1]

Clara gelobte Besserung, und die Frauengruppen redeten daraufhin nicht mehr über Sexualität, sondern über »richtige« Politik. Solche Kritik an der Frauenbewegung kehrt in unterschiedlichen Abwandlungen immer wieder. Eine neueren Datums:

»Wenn die Feministinnen aber fortfahren: also müssen auch wir den Frauen revolutionäres Bewußtsein vermitteln, so lassen sie den fundamentalen Unterschied außer acht, der darin liegt, daß der revolutionäre Marxismus anknüpfen kann an eine reale Situation der direkten Ausbeutung und insofern vermittelbar ist. Während der Feminismus von den Hausfrauen die Übernahme einer Avantgardefunktion fordert, die keine Grundlage in den Produktionsverhältnissen hat und also nicht einlösbar ist.«[2]

Inzwischen wurde von den sozialistischen Feministinnen schon klargestellt, daß die Unterdrückung der Frauen kein zufälliges, auf falsche und überholte Ideen basierendes Phänomen ist. Sondern daß in der ersten Instanz vor allem gefühlsmäßig erlebte Unterdrückung der Frauen eindeutig auf materieller Unterdrückung beruht. Daß Hausarbeit in der Familie einen wesentlichen Teil der Gesamtheit kapitalistischer Verhältnisse ausmacht, ohne den das kapitalistische System nicht weiterexistieren könnte.[3]
Weil diese Organisationsform der Hausarbeit nicht verändert werden kann innerhalb des Kapitalimus, sind die Feministinnen, die diese Analyse unterschreiben, auch Sozialistinnen: Nur durch die grundlegende Veränderung der Produktionsverhältnisse ist eine andere Organisation der Reproduktion des täglichen Lebens und damit eine Befreiung der Frauen möglich. Sozialistische Feministinnen sehen sich selber also als eine der Kräfte im antikapitalistischen Kampf. Aber trotz der Parole »kein Feminismus ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Feminismus« ist es absolut nicht so, daß Sozialisten sich genauso selbstverständlich zum Feminismus bekehren, wie es für die sozialistischen Strömungen in der Frauenbewegung selbstverständlich ist, links zu sein.
Die Analyse wurde aus der Sicht von Frauen entwickelt. Männer, die sich selbst sozialistisch nennen, haben die feministische Analyse zu unterschreiben, finden wir. Sei es auch nur, weil es absurd wäre, sich selbst als Revolutionär zu sehen, wenn man das Elend der Hälfte der Menschheit unwichtig findet. Aber außer diesem moralischen Druck auf die Redlichkeit haben wir die Beziehungen zwischen den »Lagern« noch wenig ausgearbeitet. Es scheinen noch immer zwei nebeneinander stehende Fronten zu sein, Sozialisten, die sich mit der Produktion, Feministinnen, die sich mit der Reproduktion innerhalb der Familie beschäftigen. Die vorhandenen Kontakte zwischen diesen Fronten laufen anscheinend mehr über persönliche Beziehungen, die das Schlachtfeld der ersten frauenbewegten Jahre überlebten, als über eine Analyse dessen, was die traditionelle Theoriebildung und die neuere feministische miteinander zu tun haben; in welchen Punkten die Interessen von Männern und Frauen zu weit auseinanderklaffen, um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen.
Ich möchte in diesem Artikel einen Aspekt der fehlenden Verbindungsstücke zwischen linker und feministischer Theoriebildung herausarbeiten, und zwar den Aspekt, daß das Bewußtsein der Männer nicht nur aus dem Produktionsprozeß hergeleitet werden kann, sondern auch aus ihrer Position in der Familie. Die Funktion der Männer in der Familie im Zusammenhang mit der dazugehörenden Ideologie der »Männlichkeit« ist die Ergänzung zu der Position der Frauen als Hausfrauen mit der Ideologie der »Weiblichkeit«. Ich gehe also davon aus, daß das Bewußtsein von Lohnarbeitern nicht nur an ihre Stellung in der Produktion gekoppelt ist, daß das Bewußtsein von Frauen nicht nur abhängig ist von ihrer Stellung in der Familie — es geht um mehr.
Männer und Frauen leben in dieser Gesellschaft nicht nur nebeneinander, sie leben auch miteinander. Ihre materielle Stellung ist verschieden, aber hängt voneinander ab. Es liegt auf der Hand, daß auch ihre Bewußtseinsinhalte verschieden sind, aber gleichzeitig in Zusammenhang stehen. Von diesem Zusammenhang möchte ich sprechen. Zunächst will ich auf die historisch zustandegekommene Spaltung eingehen zwischen dem, was wir heute als getrennte Lebensbereiche sehen: »Arbeit« und »Leben«,  Produktion im Betrieb und Reproduktion innerhalb der Familie. Inzwischen ist dieser Teil der sozialistischen-feministischen Analyse Allgemeingut geworden und braucht hier nicht in seiner ganzen Breite wiedergegeben zu werden. Aber weil es so wesentlich ist, zu begreifen, wie wenig wir die Verbindung zwischen Klassenbewußtsein und feministischem Bewußtsein sehen, bespreche ich kurz diese Theorie. Des weiteren möchte ich kurz auf ein paar Autoren eingehen, die entweder die Reproduktion in der Familie bei Herausbildung des politischen Bewußtseins der Lohnarbeiter überhaupt nicht erwähnen (von Frauen wird gar nicht geredet) oder die Reproduktion zwar erwähnen, dann aber nur als individuelle Konsumtion. Danach möchte ich mich auf ein nur scheinbar ganz anderes Untersuchungsgebiet begeben: das der Machtverhältnisse in der Familie, um als ein Aspekt der Beziehung zu verdeutlichen, wie in der Familie der Bewußtseinsinhalt »Männlichkeit« als unlösbarer Teil des Bewußtseinsinhalts »Lohnabhängigkeit« in der Produktion geformt wird. Warum ich es wichtig finde, daß wir die Beziehung erkennen und weiter untersuchen, will ich in den Schlußfolgerungen deutlich machen.
Eine Bemerkung voraus: Obgleich die Sozialisation, die frühkindliche Erziehung von Jungen und Mädchen genug mit meinem Thema zu tun hat, lasse ich diese hier unberücksichtigt. Joyce Outshoorn hat die bestehenden Sozialisationstheorien hinsichtlich der Sexualitätsund Klassenunterschiede untersucht und ihre eigene Sichtweise dargestellt,[4] ich brauche es hier nicht weiter zu tun.
Ich beschränke mich also auf die im Moment bestehenden Machtverhältnisse innerhalb der Familie, die sich in der Arbeitsteilung zwischen Ernährern und Hausfrauen und in der dazugehörenden Ideologie der »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« äußern.
Abzuwägen, ob der Einfluß frühkindlicher Erziehung oder der späterer Arbeitsteilung größer ist, finde ich nicht sinnvoll. Ganz sicher aber ist die frühkindliche Erziehung eine Vorbereitung auf die spätere Arbeitsteilung, und die momentan bestehende Arbeitsteilung lenkt die Sozialisation wieder in die gleiche Richtung. Allerdings meine ich, daß zuviel mit der frühkindlichen Erziehung erklärt und zuwenig auf das Verhältnis zwischen Männern und Frauen untereinander geachtet wird, so als seien sie lediglich Väter und Mütter. Ein Beispiel dafür, daß zuviel mit der Sozialisation erklärt wird und zuwenig mit den bestehenden Machtverhältnissen, ist die populärwissenschaftliche Erklärung der Tatsache, daß Frauen weniger Spaß an Sexualität haben als Männer. Frenken und Wibaut schreiben es der Erziehung von Frauen zu, die ihnen Prüderie und Lustangst beigebracht habe.[5] Zweifellos eine (hoffentlich unbewußte) sexistische Erklärung, die die bestehende Herrrschaft der Männer über Frauen als Mitverursacher der »Lustangst« bei Frauen unberücksichtigt läßt und den Übeltäter bei den Eltern (sprich: Müttern) sucht.

2. Die Trennung von »Arbeit« und »Familie«

Innerhalb dieser Gesellschaft ist das Leben in verschiedene Bereiche aufgespalten. Da existiert die Welt der »Arbeit« und die Welt der »Familie«. Beide mit unterschiedlichen Verhaltensmustern, mit anderen Regeln. Diese Trennung sieht für die Frauen anders aus als für die Männer. Für Männer ist sie sehr deutlich; um zu seiner Arbeit zu gehen, verläßt er das Haus, um sich von seiner Arbeit auszuruhen, kehrt er wieder dahin zurück. Für Frauen, für die ein großer Teil ihrer Arbeit aus Hausarbeit besteht, existiert die Trennung zwischen »arbeiten« und »wohnen« nicht. Ihre Arbeit besteht im Wohnen und Sorgetragen, daß die anderen Familienmitglieder ebenfalls wohnen können. Selbst wenn Frauen außer Haus arbeiten, ist die Trennung für sie geringer. Ihre Lohnarbeit ähnelt oftmals der Hausarbeit. So lassen sich Umstände, unter denen sie arbeitet, nicht unabhängig von ihrer Funktion, die sie zu Hause einnimmt, betrachten. Auch Nicht-Mütter oder unverheiratete Frauen erfahren gerade dadurch, daß sie es nicht sind, in welchem Maße die Gesellschaft auf diese Arbeitsteilung eingerichtet ist. E. Zaretsky kann es sich als Verdienst anrechnen, beschrieben zu haben, wie diese Trennung zustande gekommen ist. In seinem Buch Capitalism, the family and personal life [6] stellt er dar, wie vor dem Aufkommen des Kapitalismus lediglich die Rede von einem Arbeitsprozeß war. Männer wie Frauen produzierten beide sowohl für die Bedürfnisse der Familie als auch für den Verkauf der Produkte auf dem Markt. Obgleich es immer schon eindeutige Ansichten darüber gab, was Männerund was Frauenarbeit war, und Frauen häufiger als Männer die Verantwortung für das Sauberhalten des Wohnbereiches oder für die Versorgung der Kinder trugen, existierten damals die voneinander und vom Rest der Gesellschaft isolierten Hausfrauen noch nicht. Privatleben, das Sich-Beschäftigen mit zwischenmenschlichen Beziehungen, scheinbar als Ziel für sich, tritt zum ersten Mal bei der Aristokratie auf, die es sich erlauben kann, über »Freizeit« zu verfügen, für die Arbeitsbeziehungen nicht mehr automatisch mit den »persönlichen« Beziehungen zusammenfallen müssen. Später geht der Begriff auch auf die  Bourgeoisie über, als die Arbeit  der Handel — aus dem Haus verschwindet und zwei Welten entstehen: zum einen die der harten Außenwelt, die Domäne der Männer, zum anderen die des warmen Ofens und der Aufrechterhaltung der menschlichen Werte zu Hause, die Domäne der Frauen. Wenn Formen der Konsumartikelproduktion durch die Industrie übernommen worden sind, findet die Trennung in spezifisch historischer Form auch im Proletariat statt. Männer werden für die Produktion außerhalb des Hauses verantwortlich, sie werden zu »Ernährern«. Frauen bleiben zu Hause und übernehmen die Sorge für den anderen Teil des Arbeitsprozesses, die Reproduktion der Arbeitskraft, sie werden zu Hausfrauen. Das Proletariat besteht also nicht nur aus Lohnarbeitern, wie es gelegentlich zu sein scheint, wenn man der linken Theoriebildung folgt, und es besteht auch absolut nicht nur aus Industriearbeitern, die lediglich etwa zehn Prozent des erwachsenen Proletariats ausmachen. »Das Proletariat besteht aus zwei Geschlechtern«,[7] sagen Feministinnen. Mit dem Aufkommen des industriellen Kapitalismus wurde die Bevölkerung nicht nur in Kapitalisten und Lohnarbeiter aufgespalten, sondern auch in Lohnarbeiter und Hausarbeiter (Hausfrauen). Das hat viele Konsequenzen. »Diese Trennung zwischen vergesellschafteter Arbeit innerhalb des kapitalistischen Unternehmens und der privaten Arbeit der Frauen in der Familie hängt eng mit einer zweiten »Trennung«  nämlich der zwischen unserem »persönlichen« Leben und unserer Stellung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zusammen. Solange die Familie eine Produktionseinheit auf der Basis des Privateigentums der Produktionsmittel war, erkannten die Familienmitglieder, daß ihr häusliches Leben und ihre »persönlichen« Beziehungen in ihrer gemeinsamen Arbeit begründet waren. Aber seit dem Aufkommen der Industrie wurden die meisten Menschen (oder Familien) proletarisiert, das heißt, sie wurden vom Eigentum der Produktionsmittel ausgeschlossen. Die Folge davon war eine Trennung zwischen »Arbeit« und »Leben«: Die Proletarisierung brachte zwischen der Außenwelt der entfremdeten Arbeit und der innerlichen Welt der persönlichen Gefühle eine Trennung zustande. Wir sahen, daß sich in dem gleichen Maße, wie sich der Kapitalismus entwickelte, die Idee der Familie als Losgelöstes von der Ökonomie festsetzte: Auf ähnliche Weise schuf der Kapitalismus auch eine »abgetrennte Welt des persönlichen Lebens, die scheinbar losgelöst von einem Produktionsprozeß besteht.«[8] Eine für diese Ausführungen wichtige Konsequenz ist, daß die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen, im wesentlichen eine Arbeitsteilung, als »Privatsache« definiert werden. Partnerwahl zwischen Menschen scheint eine absolut individuelle Angelegenheit zu sein. Daß Partnerwahl etwas mit der Form, wie wir arbeiten, zu tun haben kann, kommt niemandem mehr in den Sinn. Verliebtsein wird als ein unkontrollierter Blitzschlag von oben gesehen. Daß die gesellschaftliche Vorstellung von dem, was z.B. eine »anziehende Frau« ist, mit ihrer Funktion zusammenhängt, erkennen wir nicht mehr. So wählen sich beispielsweise in der Regel die Männer eine Partnerin, auf die sie hinuntersehen, und Frauen einen Partner, zu dem sie aufschauen können. Dies wird, weil wir scheinbar losgelöst voneinander unbeeinflußt, aus einem natürlichen innerlichen Drang heraus — unsere Liebe erleben und dabei unsere Partner wählen, nicht als ein gesellschaftlicher Vorgang erkannt. Und doch zeigt sich, daß diese ganz persönliche Partnerwahl durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen beeinflußt ist und sie ihrerseits diese verfestigt. Die anscheinend ganz und gar außerhalb der Produktionsverhältnisse existierende Familie verschleiert die Tatsache, daß das »persönliche« Leben von politischer Wichtigkeit ist. Die Kluft, die im Augenblick zwischen Produktion und Reproduktion besteht und damit auch zwischen dem, was wir als politisch und dem, was wir als persönlich definieren, ist eine Folge des Kapitalismus selbst. Anstatt demütig das Haupt zu neigen und zu geloben, sie werde nicht mehr über Sexualität reden, hätte Clara Lenin lieber erzählen sollen, daß der Kapitalismus ihm das Hirn gehörig verkleistert hatte.

3. Politisches Bewusstsein und die Reproduktion
als Freizeit und Konsumtion

Das politische Bewußtsein männlicher Lohnarbeiter wird allzu vereinfachend aus ihren Arbeitsbedingungen allein abgeleitet. Oder, um mit Sartre zu sprechen, es erscheint einem bei den meisten Marxisten so, als ob das Bewußtsein von jemandem plötzlich in dem Augenblick auftritt, in dem derjenige seine erste Anstellung bekommt.[9] Würden wir den meisten linken Theoretikern Glauben schenken, existierten Frauen eigentlich überhaupt nicht. Die Welt ist von Männern in blauen Overalls bevölkert, die am Ende eines Arbeitstages im Nichts verschwinden, um morgens beim Heulen der Fabriksirene erholt aus dem Nebel wieder aufzutauchen. In der Zwischenzeit haben sie »konsumiert«,  soviel bekommen wir über ihr Privatleben schon noch zu wissen. Nur selten dringt in der linken Theorie[10] etwas von dem Bewußtsein durch, daß wir mit der Fixierung auf den Arbeitstag der Lohnarbeiter lediglich einen Teil des Gesamtbildes haben und damit nicht nur die Stellung der Frauen verschleiert bleibt, sondern auch viel von der Existenz der Lohnarbeiter selbst nicht begriffen wird. Zum Beispiel die sicher nicht unwichtige Frage, welche Momente der Entwicklung ihres politischen Bewußtseins fördernd oder hinderlich sind.
Frank Deppe [11] nennt zwar die konkreten Erfahrungen sowohl innerhalb des Produktionsals auch innerhalb des Reproduktionsprozesses auf das Bewußtsein der Arbeiter als einwirkende Momente, versäumt aber, sich anzuschauen, worin die konkreten Erfahrungen, namentlich im Reproduktionsprozeß, denn bestehen. Es stellt sich dann auch heraus, daß er unter der Reproduktion nicht sehr viel mehr als Freizeit und Konsumtion versteht. Er spricht auch von »der Notwendigkeit, daß der Arbeiter seine Arbeitskraft und seine Familie reproduzieren muß.«[12] Was macht denn seine Frau in der Zwischenzeit, fällt mir ein, auf welch mysteriöse Weise sitzt sie da und wird von ihrem Mann reproduziert? Reproduktionsverhältnisse spielen bei Deppe insofern eine Rolle bei der Bewußtseinsentwicklung von Arbeitern, als zum Beispiel das Maß an Freizeit, die Höhe des Lohns und damit die Höhe der Konsumtion Einfluß haben auf den Grad, in dem sich die Arbeiter eher mit dem Lohn als mit ihrer Arbeit identifizieren. Zweifellos stimmt das, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Es scheint hier so, als seien Arbeiter losgelöste Individuen, die sämtlich die eigene Reproduktion ihrer Arbeitskraft regeln, indem sie konsumieren. Daß eine ganz spezifische Form von Arbeit dahintersteckt, die nicht nur Einfluß auf die materielle Reproduktion seiner Arbeitskraft hat, sondern auf seine Denkweise über gesellschaftliche Verhältnisse, bleibt dabei verborgen. Es scheint, als werde das gesellschaftliche Bewußtsein nur innerhalb des Produktionsprozesses entwickelt, als spiele die Familie lediglich als Ort, an dem das »Konsumglück« verheißen wird, eine Rolle. Seltsamerweise gehen Frank Deppe in der Hälfte des Buches plötzlich die Augen auf, und er bemerkt: »Für die Frau, die arbeiten muß, um die Reproduktion der Familie zu gewährleisten, die aber gleichzeitig mit dem Zwang der Haushaltsund Familienversorgung belastet ist, verschwindet die Differenzierung zwischen Arbeitsund >Frei<-Zeit nahezu vollständig.«[13] Aber dieses bleibt weiter nur eine leere Formel, die an keiner Stelle in einen Zusammenhang gebracht wird. Bei anderen Autoren finden sich Varianten desselben Themas. Helga Deppe, die in der Bildungsarbeit oft herangezogen wird und mehr auf die Praxis ausgerichtet ist, sieht schon, daß eine Beeinflussung vom Reproduktionsbereich auf das Bewußtsein der jungen Arbeiter ausgeübt wird.[14] Zum Beispiel entstehe dadurch, daß junge Arbeiter den Lohn nicht an die Familie abführen müssen, bei ihnen der irreale Wunsch nach einem höheren Lebensstandard. Damit werde verhindert, daß sie ihre Unzufriedenheit über die Arbeitssituation selbst unmittelbar in politisches Bewußtsein umsetzen. Das Verhältnis zwischen Produktion und Reproduktion sieht sie auch als ein Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit: je größer die Belastung in der Produktion sei, desto größer sei die für die tatsächliche Wiederherstellung der Arbeitskraft nötige Freizeitmenge. Je länger der Arbeitstag, desto weniger bleibe für die eigene Entwicklung übrig. Je niedriger der Lohn, desto kleiner der Spielraum, den man habe, um innerhalb des Reproduktionsbereiches zu konsumieren.
In zwei weiteren Untersuchungen von Holzinger und Kramer[15] wird das gleiche Thema ausgearbeitet. Kramer zeigt, daß die Menge an Zeit, die ein Arbeiter in der Produktion verbringt, zwar niedriger geworden, aber die Intensität des Arbeitsprozesses erhöht worden ist. Den Begriff »Freizeit« müssen wir also relativieren, denn ein großer Teil davon werde für die reine Wiederherstellung in Beschlag genommen. Holzinger verfährt in der gleichen Art. Und er fügt dem noch hinzu, daß die Reproduktion als der Produktions-Ort von »falschem Bewußtsein« anzusehen ist, indem der Kapitalismus aus der Not eine Tugend mache. Er lasse den Arbeitern Zeit, um in ihrem Privatbereich ihre Bedürfnisse zu befriedigen und zwar mit Hilfe der in der Produktion gefertigten Konsumartikel.[16] Beide Schreiber übertreffen sich darin, ein ganzes Buch über das Verhältnis des Produktionsprozesses zur Reproduktion der Arbeitskraft zu schreiben, ohne dabei zu bemerken, daß dies nicht nur eine Sache der industriellen Arbeiter allein ist. Holzinger besitzt sogar die Frechheit, das Zuhausebleiben der Frauen als »Eskapismus«,  als eine Fluchtmöglichkeit zu sehen, die ihre politische Organisation verhindert.[17]
Gorz, der dem Einfluß, der aus der Produktion auf den Reproduktionsbereich ausgeübt wird, viel Aufmerksamkeit schenkt, nennt die Familie den Ort, an dem Kompensation für die bei der Arbeit zugezogenen Schäden geboten wird.[18] Aber auch er definiert die Behebung des Schadens als individuelle Konsumtion. Offe[19] schwenkt zur anderen Seite über, indem er den Gegensatz Lohnarbeit/Kapital ganz im Reproduktionsbereich ansiedelt. Der Kampf im Reproduktionsbereich sei nicht weniger politisch als der Lohnkampf, sagt er richtig, auch wenn die Argumentation, derzufolge er zu diesen Schlüssen kommt, nicht sehr deutich ist. Und auch zu Recht behauptet er, wir bekämpften durch das Arbeiten aus kollektiven Bedürfnissen heraus im Reproduktionsbereich gleichzeitig den Schein, daß Probleme in der Wohnsituation, bei der Kindererziehung, in der Gesundheit individuelle Probleme seien. Das hört sich fast feministisch an. Leider zählt auch Offe dann die Frauen zu den Randgruppen, zu den Menschen, die von der Produktion ausgeschlossen und damit eigentlich nur als Opfer des Systems anzusehen seien.
Mit einigen Abwandlungen laufen diese Art Untersuchungen alle auf das selbe Ergebnis hinaus. Im Reproduktionsbereich wird die Arbeitskraft wiederhergestellt, und deshalb ist der Reproduktionsbereich in gewissem Maße schon wichtig bei der Entwicklung des politischen Bewußtseins. Aber die Reproduktion der Arbeitskraft scheint bei allen eine individuelle Angelegenheit zu sein, eine Frage der Konsumtion. Niemand geht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ein, die dem zu Grunde liegen. Das geht auch nicht, ohne daß man dabei die gesellschaftliche Arbeitsteilung in der Familie betrachtet, dafür ist eine Analyse der Hausarbeit nötig. Ohne diese bleibt das Bild des Reproduktionsbereiches ungenau, unvollständig. Daß Arbeiter ihr Glück mehr im Privatbereich als in ihrer Arbeit suchen, erkennen die meisten Autoren als ein Problem, aber wie dieses Glück aussieht, das die Arbeiter dort suchen, wird ein bißchen dünn als »Konsumglück« abgetan. Wenn dem so wäre, dann holten die Industriearbeiter wahrscheinlich ihr Essen ebensogern aus dem Automaten und gingen zu ihrer geschlechtlichen Befriedigung zu den Prostituierten. Die Familie wäre dann eine nahezu überflüssige Erscheinung. Aber so verhält es sich nicht. Wir schauen uns also die Beziehungen innerhalb dieser Familie an.

4. Machtverhältnisse innerhalb der Familie

Außer in den Begriffen der Erziehung gibt es wenig Theoriebildung über den Einfluß der Familie auf die Entwicklung des Bewußtseins. Doch liegt es auf der Hand, daß die aktuellen Verhältnisse, in denen die Menschen leben, Einfluß haben auf ihr Denken, ihre Haltung hinsichtlich ihrer bezahlten Arbeit, ihre Lebensperspektive, ihre Fähigkeit, sich wehren zu können oder nicht. In der Analyse der Hausarbeit haben wir schon gezeigt, daß die Familie nicht nur ein »Überbauphänomen« ist, nicht nur ein Ort, an dem ideologische Formung von Menschen stattfindet. Hausarbeit hat eine nachweisbare ökonomische Funktion: die der Reproduktion der Arbeitskraft. In dem Artikel »Die Ökonomie der Reproduktionsarbeit«[21] faßte ich diesen Zusammenhang noch zu eng, zu ökonomisch. Indem wir den Nutzen der Hausarbeit von Hausfrauen für den Kapitalismus aufzeigen, wird für das, was bisher nur eine emotional erfahrene Unterdrückung zu sein schien, sicher eine ökonomische Basis freigelegt. Aber es wäre zu geradlinig, zu einseitig, die Familie deshalb nur als einen Produktionsort der Ware Arbeitskraft für den Kapitalismus zu sehen. Die Familie ist nicht nur eine Erfindung des Kapitals, sie ist auch ein Ort, wo Menschen ihre oft entgegengesetzten Interessen verankern wollen. Sicher läßt sich Hausarbeit nicht losgelöst von der Lohnarbeit, die Familie nicht losgelöst von der Gesamtheit der Produktionsverhältnisse betrachten. In der Familie wird die Arbeitsteilung reproduziert, für die das Kapital später wieder Interesse hat. Gleichzeitig werden in der Familie die Beziehungen zwischen Mann und Frau reproduziert, die ihr Privatleben, ihr Leben bestimmen. Wir haben gerade erst begonnen, anhand der konkreten Lebenszusammenhänge von Menschen zu untersuchen, wie kapitalistische und partiarchalische Verhältnisse aufeinander einwirken, ob sie sich gegenseitig verstärken oder schwächen. Herauszufinden, in welchem Maße die Familie lediglich ein Ort für die Entwicklung einer Klassensolidarität ist oder nur eine Schwächung derselben, in welchem Maße Klassensolidarität durch die unterdrückende Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen zerstört oder durch sie verstärkt wird. Wenn wir uns mit kapitalistischen Produktionsverhältnissen beschäftigen, müßten wir uns mit der Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse, den Modellen der Unterdrückung und den Formen des Bewußtseins beschäftigen. Allein die Beziehung Lohnarbeiter / Kapitalisten zu betrachten, gibt ein verzerrtes Bild; ganz sicher gibt es dann ein verzerrtes Bild, wenn wir mehr über die Position von Frauen wissen wollen. Aber auch männliche Lohnarbeiter existieren nicht nur an dem Ort, an dem sie produzieren. Das Patriarchat ist mehr als nur die Herrschaft von Männern über Frauen und mehr als eine Ideologie. In vorkapitalistischen Zeiten war das Patriarchat ein ökonomisches System. Arbeitsund Privatbeziehungen fielen zusammen. Das Haupt der Familie war gleichzeitig auch das Haupt der Familienproduktion. Patriarchat ist die Herrschaft der Väter — über jüngere Männer, über Frauen, über Kinder. Eine Herrschaft, die von den Vätern auf die ältesten Söhne überging, die selber wieder Väter wurden.[20] Von einem Patriarchat in seiner reinen Form ist nur noch wenig übriggeblieben. Die kapitalistische Produktionsweise hat die Herrschaft der Väter angegriffen. Das Geschäftsleben ist nicht mehr patriarchalisch, nach Erblinien und der Vorherrschaft der Älteren über die Jüngeren, organisiert. Zwar finden wir noch viele Spuren davon: Frauen dürfen noch immer keine Führungspositionen über Männer einnehmen, und die Leitung jüngerer Männer über ältere geht auch nicht immer ohne Feindseligkeiten vor sich. Das Kapital hat weniger direkten Einfluß auf die Familie gehabt. Noch immer ist der Name des Vaters auch der Name der anderen Familienmitglieder, noch immer gilt der Vater als das Haupt der Familie. Aber es hat sich auch vieles verändert. Die formale Herrschaft des Mannes über die Frau ist aufgehoben. Männer haben nicht mehr die absolute Verfügungsgewalt über das Tun und Lassen ihrer Frauen und Kinder. Es ist, jedenfalls im Prinzip, die Rede von freier Partnerwahl. Töchter können nicht mehr von ihren Vätern verheiratet werden. Frauen dürfen sich scheiden lassen, sie dürfen außer Haus arbeiten gehen, sie dürfen ohne Zustimmung ihr eigenes Geld verwalten.
Aus diesen, sicher nicht geringfügigen Veränderungen entsteht das neue Bild der modernen Ehe. Eine Ehe zwischen Partnern, zwischen Gleichwertigen, auch wenn Mann und Frau eine andere Funktion bei der Gestaltung der Partnerschaftsehe haben. Stimmt das Bild der Gleichheit mit der Wirklichkeit überein?
Eine einflußreiche Studie in den sechziger Jahren war die von Blood und Wolfe über die Machtverhältnisse in der amerikanischen Familie.[21] Anhand einer Fragenliste wurde versucht, Macht zu messen: Wer bestimmt:

  1. welche Anstellung der Mann annimmt,
  2. welches Auto angeschafft wird,
  3. ob Versicherungen abgeschlossen werden,
  4. wohin die Familie in den Urlaub fährt,
  5. welches Haus oder welche Wohnung genommen wird,
  6. ob die Frau außer Haus arbeiten geht oder nicht,
  7. welcher Arzt genommen wird, wenn jemand krank ist,
  8. wieviel Geld die Familie in der Woche für Lebensmittel ausgibt?

Aufgrund der Antworten auf diese Fragen kamen Blood und Wolfe zu dem Schluß, daß Eheleute »potentially equal«,  im Prinzip also gleichwertig sind. Daß manchmal der eine etwas mehr Macht hat, manchmal die andere. Später kommen Willmott und Young in dem Buch The symmetrical family[22] zu ganz ähnlichen Schlüssen.

»Weil viele Frauen sagen, daß sie außer Haus arbeiten gehen wollen, wird das Zukunftsbild der symmetrischen Familie projiziert: Mann und Frau, beide mit einer Anstellung außer Haus und gemeinsam für den Haushalt verantwortlich.«

In den Niederlanden kommt In't Veld-Langeveld[23] mit einem ähnlichen Optimismus. Sie nennt die »Rolle« der modernen Frau sogar eine sehr privilegierte.

»Die Frau hat eine große Freiheit, ihre Tätigkeiten so zu regeln, wie sie es will und tatsächlich kann sie mehr Forderungen an den Mann stellen, als er an sie. Sie kann sich besonders sicher in ihrer Domäne, der Familie, fühlen, in die sie den Mann mit eingeschlossen hat.«

Was für ein gemütliches Bild. Demgegenüber steht allerdings dann, daß an dieser Rolle ein (nur ein einziger) Haken ist: Für die Außenwelt ist die Frau ein Teil ihres Mannes. Ihr fehlt eine soziale Identität. Aber moderne Frauen suchen auch nach einer »Berufsrolle«. Optimistisch folgert also In't Veld-Langeveld, daß zwar nicht alle Widerstände gegen die Emanzipation der Frau aufgehoben seien, aber »daß durch die ganze Gesellschaft hindurch von den Familien starke Impulse bis hin zu der Suche nach einer neuen Lösung für den Rollenkonflikt ausgehen.«[25] Inzwischen sind diese Untersuchungen stichhaltig kritisiert worden. Gillespie [26] hat in einem vielzitierten Artikel nachgewiesen, daß die Prämissen von Blood und Wolfe nicht zutreffend sind. Zum einen werde die bestehende Arbeitsteilung als feststehend angenommen, z.B. daß der Mann arbeiten muß, die Frau arbeiten kann. Zum anderen werden die verschiedenen Entscheidungen als gleich schwerwiegend für die Ausübung von Macht gewertet. Wenn wir kurz von den Fragenlisten weggehen und das konkrete Leben von Menschen betrachten, stellt sich heraus, daß es noch immer ein großer Unterschied ist, ob man über die Farbe eines Autos, das angeschafft wird, entscheiden darf oder darüber, wer damit fährt. Mehr als 90% der Männer entscheiden selbst, welche Stellung sie annehmen. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf den Wohnort, die Höhe des Haushaltsgeldes, mit dem die Frau auskommen muß, die Infrastruktur, in der sie ihre Arbeit verrichten muß, die Nähe der Freundinnen und der Familie. Demgegenüber entscheidet in der Hälfte der Fälle der Mann, ob die Frau arbeiten gehen darf oder nicht. Ein ins Auge fallender Machtunterschied, der nur wegrationalisiert werden kann, indem man sagt (und Blood und Wolfe tun das auch), es sei logisch, daß die Entscheidungen so ausfallen:

»Daß der Ehemann stärker von den Entscheidungen seiner Frau über ihre Arbeit betroffen ist, als sie durch seine, ist verständlich. Schließlich ist ihre Arbeit selten eine so wichtige Lebenserfüllung, wie sie es für ihn ist. (...) Und außerdem ist ihr Einkommen für den Lebensunterhalt weniger notwendig. (. ..) Auch haben die Entscheidungen der Frauen, ob sie arbeiten gehen wollen, Folgen für den Ehemann. Wenn sie arbeiten geht, muß er mehr im Haushalt mithelfen. (. . .) Es könnte also sein, daß die Arbeitsrolle in der Ehe so stark in der Verantwortlichkeit des Ehemannes liegt, daß selbst die Arbeit der Frau nur seiner instrumentalen Führerschaft untergeordnet ist, wobei die Entscheidung hierüber in seinen Händen gelassen wird.«[27]

Eher eine Legitimation der bestehenden Machtverhältnisse also als ein Beweis, daß Männer und Frauen in der Ehe gleichwertig sind.
Auch Willmott und Young sind inzwischen stichhaltig widerlegt.[28] Denn aus der Absicht der Frauen, außer Haus arbeiten zu gehen, folgt noch lange nicht, daß es auch wirklich so geschieht. Wir brauchen bloß den Arbeitsmarkt zu betrachten und die Widerstände der Männer, wenn ihre Frauen außer Haus arbeiten wollen, alle materiellen Hindernisse, die überwunden werden müssen. Und aus der Absicht der Männer, mehr Hausarbeit zu tun, kann noch nicht abgeleitet werden, daß es dann auch tatsächlich geschieht. Auch In't Veld-Langeveld muß zugeben, daß von Seiten der Männer am Beitrag zur Hausarbeit nichts übrig bleibt und die Hilfestellung der Männer, die sie ihren Frauen bei deren Versuchen geben, außer Haus arbeiten zu gehen, nicht überwältigend ist. Wo Frauen schon außer Haus arbeiten, stellt sich heraus, daß die Hälfte der Männer es lieber sähe, wenn sie damit wieder aufhörten. Als Gründe werden u.a. die mangelnde Gemütlichkeit zu Hause angeführt, auch fanden die Männer, daß die doppelte Belastung für die Frau zu anstrengend sei. Eine sehr mitfühlende Haltung vor allen Dingen dann, wenn sich weiter herausstellt, daß die Lohnarbeit der Frau vom Mann positiver aufgenommen wird, wenn er selbst zu Hause gar nicht mitzuhelfen braucht.[29] Leider ist die Kluft zwischen der Partnerehe und ihrer Wirklichkeit groß.
Antje Kunstmann bemerkte schon, daß Ehepaare leicht sagen, sie treffen Entscheidungen gemeinsam, und dann keinen Widerspruch darin sehen, daß der Mann beschließt, wenn sie sich nicht einigen können.[30] Menschen haben, gerade wenn es um ihr Privatleben geht, die Neigung, nur die Schokoladenseite nach außen zu kehren und auch selbst an sie zu glauben. So kommt in Helge Pross' Untersuchung über Hausfrauen ein viel optimistischeres Bild zum Vorschein als zum Beispiel bei Ann Oakley. Denn Pross fragt nach der Absicht der Männer (will Ihr Mann schon mal bei folgenden Aufgaben mithelfen?) und Oakley ganz konkret nach dem, was die Männer in der letzten Woche tatsächlich gemacht haben.[31] Wie sich herausstellt, finden die Leute es noch sehr ungewöhnlich, daß Männer die Hausarbeit verrichten (es wird auch immer über »mithelfen« geredet, so als sei es eigentlich nicht seine Aufgabe), und sie verkünden schon dann, daß ein Mann mithilft, wenn er sich nach einigem Zureden schließlich bereit erklärt, die Mülleimer nach draußen zu stellen, wenn er sich nicht mehr schämt, mal mit seinem Kind zwischen den Müttern bei der Säuglingsfürsorge zu sitzen, oder wenn er einmal in der Woche — unter Hinterlassen einer riesigen Schweinerei — das Essen kocht. Bei einer neueren niederländischen Untersuchung stellte sich wieder einmal heraus, daß die größer gewordene Freizeit in erster Linie von Männern konsumiert und diese gewiß nicht einfach so in stärkerer Hilfe im Haushalt investiert wird.[32]
Die Tatsache, daß immer mehr Frauen außer Haus arbeiten gehen möchten, hat absolut nicht automatisch die Gleichverteilung der häuslichen Aufgaben zur Folge. Frauen verändern sich: Mit dem modernen Bild des Illustriertenund Fernsehreklamefeminismus dürfen sie nun ab und zu die flotte Frau in ihrem interessanten Job spielen, um sofort wieder faltenfrei und mit falschen Wimpern zu Hause die flotte Partnerin zu sein, mit schönen Kochtöpfen und brennenden Kerzen, und sich dann mit einem bildschönen Nachthemd zwischen den Satinlaken wie ein Bonbon vernaschen zu lassen. Männer verändern sich nicht einfach so. Wenn sich etwas am Beitrag der Männer in der Familie verändert, dann ist das die Folge eines Kampfes. Vielleicht nicht die Art des Kämpfens, die linke Aktionsgruppen als solche anerkennen, weil darin keine rote Fahne vorkommt, aber dennoch: Kampf. Und Kampf ist Arbeit.

5. Machtverhältnisse und Arbeitsteilung

Untersuchungen über die Machtverhältnisse innerhalb der Familie betrachten diese oftmals losgelöst von der bestehenden Arbeitsteilung — nach dem Motto: alle beide gleichviel Macht, aber jede Person auf eigenem Gebiet. Dabei wird darüber hinweggesehen, welche Machtverteilung schon in der Arbeitsteilung selbst angelegt ist, welche Ungleichheit schon im Kleingedruckten des Ehevertrages enthalten ist. Die Tatsache, daß die Männer die Ernährer sind, legt die Grundlage für die Machtverhältnisse schon fest. Er bestimmt, welche Stellung er annimmt und damit, wohin die Familie zieht, er bestimmt, in welcher Höhe das Einkommen für den Haushalt verwendet wird. Frauen dagegen sind für seine Versorgung und den Haushalt verantwortlich. Infolgedessen stehen seine Bedürfnisse im Mittelpunkt (Sexualität, Essen, Ruhe, die Wahl des Fernsehprogramms). Es ist ihre Aufgabe, ihm in diesen Dingen entgegen zu kommen. Vor allem darf die ökonomische Übermacht, die der Mann durch die Tatsache besitzt, daß er die Lohntüte nach Hause bringt, nicht unterschätzt werden. Er kann bestimmen, welcher Teil für den Haushalt ausgegeben wird und welchen er selbst behält. Oftmals wissen Frauen nicht, wieviel ihre Männer genau verdienen. Bei einer englischen Untersuchung kam dann auch heraus, daß Frauen trotz der Geldentwertung von ihren Männern nicht mehr Haushaltsgeld bekamen, obwohl sie inzwischen mehr verdienten. Also mußten die Frauen mit weniger Geld denselben Haushalt verwalten.[33] Ob sie dahinterkommen und etwas daran ändern können, ist eine Frage des Verhandeins, sie können damit weder zum Gericht noch zur Gewerkschaft gehen. Aus der Tatsache, daß in proletarischen Familien die Frauen häufiger das Geld verwalten, während die Männer »Taschengeld« bekommen, wurde einmal abgeleitet, daß die Macht der Frauen im Proletariat größer sei. Bei näherer Untersuchung [34] stellte sich heraus, daß Frauen über die Ausgabe des Geldes bestimmen können, solange es so wenig ist, daß von einer Wahl nicht die Rede sein kann, sondern lediglich von einem endlosen Planen und Puzzeln und der Entscheidung, ob Schuhe für die Kinder mit drin sind oder ein neues Oberhemd für Papa wichtiger ist. Sobald mehr Geld als unbedingt nötig vorhanden ist, sobald wirklich von einer Wahl die Rede sein kann, führt der Mann wieder das Ruder.
Es ist schwierig, genau auszumachen, was unter »Macht« in einer Ehe zu verstehen ist. Vorhandene soziologische Studien suchen nach Kriterien, die öffentlichen Formen des Kampfes entstammen der politischen Kampfarena: Wer trifft die Entscheidungen. Sicher ein Indikator, jedenfalls sofern sich herausfinden läßt, wie der Entscheidungsprozeß in der Wirklichkeit stattfindet, sicher nicht der einzige. Gerade weil der Entscheidungsprozeß in einer emotionalen Beziehung nicht durch Stimmkärtchen vonstatten geht, ist es schwierig herauszufinden, wie es wirklich vor sich gegangen ist, wenn Leute behaupten, zusammen eine Entscheidung getroffen zu haben. Ein Beispiel aus Worlds of Pain von Lillian Breslow Rubin:[35] Ein Mann spricht über eine ungewollte Schwangerschaft seiner Frau, darüber, daß sie eine Unterbrechung wollte und er nicht.

»Es ist ihre Entscheidung: sie muß die Kinder aufziehen. Ich habe gesagt, daß ich ihre Entscheidung respektieren werde. (Kurzes Zögern.) Aber wissen Sie, wenn sie diese Abtreibung durchsetzt, dann werde ich nicht mehr dafür sein, daß wir noch einmal ein Kind bekommen. Wenn wir dieses Kind vernichten, verdienen wir kein anderes. Haben Sie ihr das gesagt? (Defensiv) Natürlich! Sie soll wissen, wie ich darüber denke. Wie reagierte sie darauf? Sie weinte und wurde ärgerlich. Sie sagte, daß ich ihr keine Wahl ließe. Aber ich finde, sie muß wissen, was für Konsequenzen ihre Handlung haben wird, wenn sie diese Entscheidung trifft, und das sind die Konsequenzen. Es ist übrigens schon alles überstanden; sie (AM.) entschied sich, das Kind zu behalten.«[36]

Auch in anderen Formen können die Machtverhältnisse zwischen Eheleuten sichtbar werden. Zum Beispiel in der Körperhaltung. Männer nehmen buchstäblich mehr Raum in Anspruch, indem sie sich breit machen, Frauen machen sich schmal und verhalten sich durch viel zustimmendes Lächeln, eingeknicktes Knie (the bashful knee) und einen schiefen Kopf untertänig.[37] Frauen, die dieses Verhalten nicht zeigen, ältere Arbeiterfrauen beispielsweise, stehen meistens fest auf beiden Beinen [38] und werden dann auch sofort als aggressiv und bedrohlich angesehen. Männer nehmen auch auf der Straße mehr Raum ein. Obwohl es die Etikette will, daß Männer Frauen den Vortritt lassen (ein dubioses Vorrecht, wenn man bedenkt, wozu es da ist: eine fortwährende Bestätigung dafür, daß Frauen zu schwach sein sollen, sich selbst die Tür zu öffnen, daß sie »beschützt« werden müssen wie unmündige Kinder), stellt man bei einer Überprüfung z.B. auf Stegen, über die nur eine Person zur Zeit gehen kann, fest, daß Männer in der Mehrzahl der Fälle die Frauen auf die Seite drängen und sie sich wegschieben lassen.
Obwohl jeder das Haus als Domäne der Frau bezeichnet, besitzen Männer viel öfter einen Ort für sich, an den sie sich zurückziehen können. Das kann im Proletariat ein Hobbykeller oder -schuppen sein und in der Mittelschicht ein Arbeitszimmer, der Effekt ist derselbe: eine Möglichkeit, sich dem Familienrummel zu entziehen, die Frauen nur selten haben.
Des weiteren treten Machtverhältnisse in der verbalen Kommunikation zutage. In einer faszinierenden Untersuchung wird nachgewiesen, daß Frauen sich wesentlich mehr Mühe geben müssen, von ihrem Mann gehört zu werden, als umgekehrt, unabhängig vom Thema.[39] Die betreffende Untersuchung war eigentlich als eine Art Voruntersuchung gedacht, um später dann Machtmodelle beim Streit zwischen Eheleuten zu untersuchen. Für die Vorarbeit installierte die Untersuchende bei befreundeten Paaren Cassettenrecorder, um so alltägliche Haus-, Garten- und Küchengespräche aufzunehmen und zu analysieren. Obwohl die Paare eher den jungen, fortschrittlichen Typ verkörperten, sich selbst als vollkommen gleichwertig definierten, stellte sich wiederholt heraus, daß es die Männer waren, die ein Gespräch anfingen oder abbrachen, daß den Männern automatisch von ihren Frauen Aufmerksamkeit geschenkt wurde, aber umgekehrt die Frauen immer wieder aufs neue um Aufmerksamkeit bitten mußten.
Ein anderer Machtfaktor, bisher stark unterbewertet, ist die physische Gewalt. Sehr viel mehr Frauen als wir bis vor kurzem vermuteten, werden von ihrem Mann mißhandelt. Und auch dann, wenn nicht direkt geschlagen wird, ist die Drohung anwesend. In den Interviews, die Lillian Breslow Rubin machte, kommt dies wiederholt zum Ausdruck. Frauen, die ihren Mann einmal bei einem Wutanfall erlebt haben, die mitgemacht haben, wie er die Frustrationen, die er z.B. von seiner Arbeit mitgebracht hatte, am Mobiliar, an den Kindern oder an ihr selbst abreagierte, werden sich in Zukunft sicher davor hüten, irgendwie seine Wut zu wecken. In der Politologensprache heißt das »unsichtbare Macht«,  das Gesetz der antizipierenden Reaktion. Es wird nicht nur auf persönliche Beziehungen angewendet. Mit Zeichen wird Frauen zu erkennen gegeben, was ihnen passieren kann, damit sie nicht einmal mehr auf die Idee kommen, Widerstand zu leisten. Ein etwas härterer Griff um ihren Arm, ein warnender Blick, ein »neckisches« Hochheben oder Festhalten, damit sie nicht weg kann. Symbole für potentielle physische Gewalt. Macht.
Auch wenn die Herrschaft der Männer nicht aus ökonomischen oder physischen Gründen naheliegt, wird der Anschein aufrechterhalten. Mirra Kumarowsky [40] nennt das »building up the male ego«. Das heißt: niemals einem Mann widersprechen, wenn andere Leute dabei sind, um seinen Rat fragen, wenn es nicht nötig ist und in Gesellschaft stichwortgebend fungieren (Heinz, erzähl doch mal die Geschichte, als das Auto nicht starten wollte).
In unserer Partnerwahl bauen wir die Machtunterschiede schon unbewußt ein, so daß wir sie dann als »natürlich« beschreiben können. Es ist zum Beispiel üblich, daß niemand mehr darüber nachdenkt, daß Frauen kleiner, jünger und weniger gut ausgebildet sein sollten als Männer. Es fällt erst auf, wenn es nicht so ist; zu große Frauen sind eine Zielscheibe für Witze. Zu alte Frauen geben in den Rubriken der Briefkastentanten Anlaß zur Sorge, ob die Ehe Aussicht auf Erfolg hat (Antwort: wenn sie sich sehr lieben). Frauen, die ihrem Mann durch ihren Beruf überlegen sind, geben Anlaß zu mitleidvollem Bedauern des armen Ehemanns. Daß es historische Perioden gegeben hat, in denen Fachkenntnis wichtiger war als die physische Unterwürfigkeit und man aus ökonomischen Gründen erfahrenen, kräftigen Frauen den Vorzug gab, wissen wir kaum.
Das Gesamtbild ist nicht gerade rosig. Nicht ohne Grund sagte Jessie Bernhard, daß jede Ehe in Wirklichkeit aus zwei Ehen besteht : aus seiner und ihrer.[42]

6. Klassenunterschiede und Machtverhältnisse

Obgleich die Macht der Männer über Frauen in der Regel in allen Familien größer ist als umgekehrt, gibt es doch Unterschiede in der Form, in der wir männliche Übermacht antreffen. In Mittelschichtfamilien wird das Ideal der Partnerehe häufiger als in Arbeiterfamilien verkündet, in denen man noch mehr von der Selbstverständlichkeit der voneinander getrennten Tätigkeiten von Mann und Frau und von der Übermacht der Männer, die logischerweise dazugehört, ausgeht. Wenn wir Blood und Wolfe darin zustimmen, daß Macht in einer Familie an den Status außer Haus, an das Einkommen und das berufliche Prestige gebunden ist, dann werden sicher die Zusammenhänge deutlich. Der Unterschied im Status zwischen Mann und Frau ist in Mittelschichtfamilien oft größer. Wenn der Mann mit seiner beruflichen Karriere fortfährt und die Frau mit den Kindern zu Hause bleibt, ist seine Übermacht bereits derart darin eingebaut, daß sie kaum noch nachgewiesen zu werden braucht. In Arbeiterfamilien, in denen die Männer aus ihrer beruflichen Stellung wenig Status herleiten können, oft eine ebenso geringe Ausbildung haben wie ihre zumeist auch lohnarbeitenden Frauen, berufen sich die Männer mehr auf direkte Autorität. Bei Rubin wird das wiederholt illustriert. Mittelschichtfrauen sagen häufiger: Ich überlasse ihm das lieber, er versteht mehr davon. Arbeiterfrauen geben häufiger unumwunden zu, daß sie ihrem Mann etwas nicht gestatten, ohne irgendeinen Zweifel daran zu lassen, daß es dann also auch nicht passieren darf. Männer in Arbeiterfamilien verbinden ihre Autorität, ihre »Männlichkeit« unmittelbar mit dem Nachhausebringen der Lohntüte. In Mittelschichtfamilien ist das nicht notwendig. Meistens ist das Berufsprestige der Männer so viel größer als das ihrer Frauen, wenn sie arbeiten gehen, daß die Verhältnisse wohl eindeutig genug sind. Außerdem tragen die Frauen nur einen kleinen Teil zu dem Familieneinkommen bei und anscheinend stellt das keine wesentliche Bedrohung für die »Männlichkeit« der Mittelschichtmänner dar.[43]
Mißhandlung von Frauen findet in allen Schichten statt, ist also nicht proletariatspezifisch. Es sind keine Unterschiede zwischen mißhandelnden und »normalen« Männern (davon ausgehend, daß nicht zu mißhandeln normaler ist, als zu mißhandeln) gefunden worden. Der einzige Indikator dafür, daß bestimmte Männer schneller zum Schlagen übergehen als andere, ist die Situation, in der die Ausbildung des Mannes nicht wesentlich besser ist als die der Frau oder sogar geringer.[44]
Daß Frauen sich oft fast unbewußt — dümmer stellen, weniger motiviert sind, an Ausbildungsgängen teilzunehmen usw., könnte schon mal ein realistisch eingeschätzter Verteidigungsmechanismus um des lieben Friedens willen sein. Obgleich beide, sowohl Mann als auch Frau, von der Ideologie der »natürlichen« Überlegenheit der Männer ausgehen, bedeutet das nicht, daß Frauen sich willenlos unterwerfen. Auch Arbeiterehen ähneln, vor allem in den Anfangsjahren, mehr einem Schlachtfeld, auf dem ein offener oder unterschwelliger Kampf tobt. Das ist um so quälender, da es nicht nur eine sachliche Beziehung, wie die zwischen Chef und Arbeiter, betrifft. Die betroffenen Menschen haben ihre Beziehungen angefangen, weil sie sich liebten.
Die Arbeit außer Haus ist zum Beispiel ein Punkt, um den sich der Streit immer wieder dreht. Ein um so quälenderer Streit, weil die Interessen, auch für Männer, dabei so widersprüchlich sind. Auf der einen Seite ist es oft absolut keine freie Wahl, wenn Frauen außer Haus arbeiten gehen. Das sogenannte Familieneinkommen, von dem die ganze Familie leben könnte, ist für große Teile des Proletariats schon immer ein Mythos gewesen. Der Druck würde sich somit einerseits für den Mann verringern, wenn seine Frau außer Haus arbeiten ginge. Auf der anderen Seite bezieht er gerade aus der Tatsache, daß er derjenige ist, der verdient, seine Autorität. Daß Frauen außer Haus arbeiten gehen, wird auch eindeutig als ein Angriff auf seine »Männlichkeit« gesehen. Ein 33jähriger Mechaniker:

»Sie ist keine richtige Frau, nicht weiblich, wissen Sie. Sie kennt keinen Respekt, weil sie viel zu selbständig ist. Sie ist eine berufstätige Frau. Sie arbeitet fast genauso viele Stunden wie ich und bringt einen Lohn nach Hause, also steht der eine nicht über dem anderen, so empfindet sie das. Sie will nicht, daß jemand in diesem Hause König ist.
Und wollen Sie König sein?
Nun, nein, ich glaube nicht, daß ich wirklich König sein möchte. Na ja, (lachend) wer würde das nicht wollen? Aber ich weiß es besser. Ich will ganz normal als jemand, der wichtig ist, anerkannt werden. Sie muß viel weiblicher sein. Wenn es ihr gelänge, weiblicher zu werden, wäre das vielleicht sehr gut für unsere Ehe.
Ich weiß nicht, ob ich verstehe, was Sie meinen. Würden Sie mir noch mal genau erklären, was Sie von ihr wollen?
Na ja, sehen Sie, ich glaube, jede Frau hat das Recht, sie selbst zu sein, aber ich glaube daran eigentlich nicht, wenn es um zwei Menschen geht. Ein Mann braucht eine weibliche Frau. Wenn es um zwei Menschen geht, die zusammenleben, muß ein Mann ein Mann sein und eine Frau eine Frau.
Was bedeutet das für Sie?
Ich will das Gefühl haben, daß ich in der Familie die Hosen anhabe. Wenn ich meine Entscheidung einmal getroffen habe, dann meine ich, muß es so geschehen und damit Schluß. Sie hat sie nur auszuführen. Aber so läuft es hier nicht. Weil sie arbeitet und Geld verdient, glaubt sie, daß sie immer, wenn es ihr paßt, widersprechen kann.[45]

Ein anderer Mann, der seiner Frau verbietet, außer Haus arbeiten zu gehen, obwohl er bemerkt, daß sie die Hausarbeit vernachlässigt und unglücklich wird, wenn sie zu Hause bleiben muß, schlägt wütend mit der Faust auf den Tisch:

»Verdammt noch mal, nein! Eine Frau muß lernen, die Nummer Zwei zu sein! Sie ist es, und das muß sie lernen. Sie geht nicht arbeiten. Sie bleibt zu Hause und versorgt die Familie, so wie es sich für eine Frau gehört.[46]

In Arbeiterfamilien ist die Trennung, die Rigidität bei der Aufteilung in Männer- und Frauenaufgaben größer. Die Vorstellung, was männlich und weiblich ist, scheint unantastbar zu sein. Das äußert sich in vielen Punkten: bei der Erziehung der Kinder, für deren Versorgung die Frauen verantwortlich sind, die Männer jedoch für das Vergnügen am Wochenende und dafür, wenn bestraft werden muß. Beim Erleben der Sexualität, wobei von der Idee ausgegangen wird, daß Männern ein Recht auf ihre sexuellen Bedürfnisse zusteht, ungeachtet dessen, ob die Frauen Lust dazu haben. Es äußert sich in einem Lächerlichmachen von Männern, die Wäsche aufhängen oder die Einkäufe mit dem Kind im Kinderwagen erledigen. Frauen aus dem Proletariat wissen im allgemeinen wenig von der Männerwelt, von seiner Arbeit, von seinem Umgang mit Freunden.
Das steht im Gegensatz zu Mittelschichtfamilien, in denen Frauen geschätzt werden, die sich für die Arbeit ihres Mannes interessieren. In den gehobenen Berufen gehört es oft mit zu ihrer Aufgabe, Vergnügungen und Außenbeziehungen, die zum Beruf des Mannes gehören, wahrzunehmen. Und da ist es dann wichtig, daß sie mitreden kann (mit Betonung auf dem »mit«). Noch weniger aber wissen Männer von der Lebenswelt ihrer Frauen. Die Wohngegend ähnelt am Tag einer Frauenwelt. Und so kann es passieren, daß der Mythos eines Matriarchats entsteht, die Vorstellung, daß Frauen im unmittelbaren Lebensbereich der Familie der Chef sind. Simonse, um ein Beispiel zu nennen, tischt uns auch diese Idee auf, obwohl er gerade erkannt hat, daß in ländlichen Gebieten der Mann noch immer die Herrscherrolle innehat:

»Eine Frau ist dazu da, das zu tun, was der Mann will. Sie erfüllt selbstverständlich die Forderungen, die der Mann in bezug auf den sexuellen Verkehr an sie stellt. Wir würden sagen, daß der Mann die Frau als Besitz betrachtet.«[47]

Dann konstatiert er, daß die Frauen in ihrer Wohngegend eine Mittelpunktstellung haben, daß sie es sind, die soziale Kontakte unterhalten und das Haushaltsgeld verwalten.

»Der Mann kümmert sich eigentlich kaum um den Ablauf und überläßt alles ihr. Die Frau hat zu Hause die Macht. Man könnte geneigt sein, das Wort Matriarchat in den Mund zu nehmen.«[48]

Was aber haben die Frauen genau zu Hause zu sagen, wenn wir gerade feststellten, daß sie das zu tun haben, was die Männer wollen? Frauen müssen zusehen, daß sie mit dem Haushaltsgeld auskommen, sie müssen die sozialen Kontakte aufrechterhalten, sie sind für das Management und die Ausführung der Arbeit zu Hause verantwortlich. Das verleiht viel Einfluß, aber Einfluß ist noch keine Macht, wenn darunter die Verfügungsgewalt über die eigene Existenz oder über die der anderen zu verstehen ist. Die »Macht« der Hausfrauen ist die der Machtlosen: das Rasseln mit den Ketten. Sie können meckern, wenn der Mann zu spät zum Essen nach Hause kommt, sie können ihn nicht zwingen. Sie können um mehr Haushaltsgeld quengeln, aber sie können nicht zu einem Gericht gehen, wenn sie es nicht bekommen. Sie können an sein Schuldgefühl appellieren, so daß er auch mal die Kinder zu Bett bringt, wenn er dafür empfänglich ist. Sie können schmollen, wenn ihr Mann es nicht gut findet, daß sie eine Stellung annehmen wollen, und sie können auf einen günstigeren Moment warten, um noch einmal freundlicher seine Erlaubnis zu erbitten. Sie können sich sexuell verweigern, wenn die ganze Situation schon so verworren ist, daß Sex nichts mehr mit gegenseitigem Kontakt zu tun hat, oder wenn mit ihren Bedürfnissen nur sein Recht gemeint ist. Sie kann streiken, indem sie zu einer schlechten Hausfrau wird. Sie kann ihm das Leben sauer machen, gerade weil es ihre Arbeit ist, das Leben für ihn angenehm zu gestalten. Und das alles bis zu einer gewissen Grenze, denn es droht immer die Scheidung. Für Frauen der Mittelschicht bedeutet diese oft ein Zurückfallen in das Proletariat, für Arbeiterfrauen oft eine Existenz weit unter der Armutsgrenze. Dank der Ideologie des älteren Mannes und der jüngeren Frau, haben Männer außerdem mehr Chancen, sich wieder zu verheiraten, als Frauen. Das Leben einer Frau um die Vierzig, mit drei Kindern, ohne Ausbildung, die von der Sozialhilfe lebt oder von sehr geringen Alimenten, zusammen mit der herrschenden Diskriminierung von geschiedenen, älteren Frauen, ist kein Vergnügen. Es ist kaum »Freiheit« zu nennen. Frauen konnten in den früheren ländlichen Gebieten noch mit einem Maß an Unterstützung der in der Nachbarschaft wohnenden Mütter, Schwestern und Freundinnen rechnen. In den Neubaugebieten ist dieses soziale Netz weggefallen. Sicher stimmt es, daß Frauen die Verfügungsgewalt über ihre Kinder haben und über Einfluß im häuslichen Bereich verfügen. Dieses aber Macht zu nennen, zeugt von Zynismus. Simonse kann das Wort Matriarchat getrost wieder herunterschlucken.

7. Das Verhältnis zwischen Produktion und Macht in der Familie

Zurück zum Ausgangspunkt. In der linken Theoriebildung wird das Bewußtsein der Lohnarbeiter aus ihrer Position im Arbeitsprozeß hergeleitet. In der feministischen Theorie wird das Bewußtsein von Frauen aus ihrer Stellung in der Familie abgeleitet. Natürlich ist das nicht falsch, aber unvollständig, nur ein Teil des Gesamtbildes. Wir vergleichen das Untersuchungsmaterial über das politische Bewußtsein der Arbeiter mit dem über die Machtverhältnisse in der Familie. Die beiden Materialblöcke sind nur selten oder unvollständig miteinander in Verbindung gebracht worden. Wer auch — statt mit einem abstrakten Begriffsrahmen zu operieren — die konkreten Bedingungen, unter denen Menschen leben, heranzieht, wie es Lillian Breslow Rubin in ihrer Untersuchung getan hat, wird automatisch der Frage nach dem Zusammenhang dieser beiden Gebiete näherkommen. Ich gehe davon aus, daß der Begriff »Arbeitskraft« sehr weit ausgelegt werden muß. Und zwar nicht nur als die Fähigkeit, bestimmte Handlungen im Produktionsprozeß auszuführen, sondern auch als die gesamte mentale Bereitschaft, dieses zu tun.
Hausarbeit hat stark materielle Seiten: das Schrubben und Putzen, Essen kochen, Abwaschen, Betten machen usw. Aber von Hausfrauen wird mehr als das erwartet: Sie ziehen die Kinder auf, sie haben ihren Mann emotional zu unterstützen, sie müssen das Netz der sozialen Beziehungen aufrechterhalten, sie müssen das Leben ihrer Familienmitglieder angenehm gestalten, indem sie eine gemütliche Umgebung schaffen, indem sie sich genügend um die Kontakte kümmern, indem sie selber schön sind. Kurz: Frauen haben die Verantwortung für die Qualität der Existenz innerhalb der Familie, wohingegen Männer für die Quantität, den Lohn, verantwortlich sind.
Es ist deutlich, daß Hausarbeit vor allen Dingen Kompensation für das, was im Arbeitsprozeß zerstört und verschlissen wird, bieten muß und die Hausarbeit sich in dem Maße verändert, wie sich der Arbeitsprozeß in der Produktion verändert. Und das ist auch nachweisbar. Harry Braverman hat in seinem Buch Labor and Monopolycapital [49] nicht nur über die gestiegene oder gesunkene Qualifikation der Arbeitskraft theoretisiert, sondern auch die Veränderungen im Arbeitsprozeß konkret beschrieben. Obgleich er die Hausarbeit nicht als einen Teil der Produktionsverhältnisse begreift — deshalb auch kritisiert wurde [50] —, werden in seiner Untersuchung doch die Veränderungen im Inhalt der Hausarbeit deutlich. In dem Maße, in dem der Produktionsprozeß in immer kleinere Teilhandlungen aufgespalten wurde, verlagerte sich die Betonung bei der Anforderung an die Arbeitskraft immer mehr von der Fachkenntnis auf die Fähigkeit, monotone Teilhandlungen zu verrichten. Der Verschleiß der Arbeitskraft veränderte sich, direkte Erschöpfung durch den Gebrauch der Muskeln wurde seltener, die psychosomatischen Beschwerden durch Stress, versachlichte Arbeitsbeziehungen und nervöse Überbelastung nahmen zu. Gleichzeitig wird eine immer weiter durchgeführte Trennung von Kopf- und Handarbeit sichtbar, und wir haben jetzt ein in viele Schichten aufgeteiltes Proletariat, mit lohnabhängigen Managern an der Spitze und ungelernten Hilfsarbeitern ganz unten.
Braverman hat vor allem den Prozeß der Abwertung der Arbeit sehr gut beschrieben. Dadurch werden die emotionalen Aspekte dieser Entwicklung sehr deutlich: der Angriff auf die Würde des Menschen, indem ihm jede Initiative, jede Möglichkeit zur Entfaltung im Beruf, jede Berufsehre genommen wird. Damit wird deutlich, auf welche Weise der Inhalt der Hausarbeit sich verändert hat.
Lag früher der Nachdruck auf der physischen Versorgung der Familienmitglieder, auf der körperlichen Wiederherstellung, indem für Unterkunft, saubere Kleider und vor allem für Nahrung gesorgt werden mußte, so liegt er heute auf der Wiederherstellung der durch emotionalen Verschleiß zerstörten Arbeitskraft. Opferten früher die Frauen buchstäblich ihren Körper für ihre Familie (die im vorigen Jahrhundert bei Frauen häufig angetroffene Tbc hatte, wie sich herausstellte, in erster Linie mit der Unterernährung der Frauen zu tun, die das beste Essen an Mann und Kinder weitergaben,[51] wird jetzt eine andere Form der Unterordnung erwartet: Frauen sind verantwortlich dafür, daß ihre Männer nicht auch noch ihr letztes Gefühl von Würde verlieren. Frauen müssen Kompensation für das bei der Arbeit angeknackste Ego ihrer Männer bieten. Und die Form, in der dieses stattfindet, wurde sicher nicht vom Kapital erfunden, aber sicher auch nicht von ihm bekämpft: Die alten patriarchalischen Formen der Herrschaft von Männern über Frauen finden ihre moderne Form in der Ideologie der »Männlichkeit« und der sie ergänzenden »Weiblichkeit«. Mit dieser einleuchtenden Darstellung werden mehrere Erscheinungen klarer. An erster Stelle ist jetzt besser zu verstehen, warum in der sehr rigiden Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau im Proletariat, in der größeren Trennung vom häuslichen und außerhäuslichen Bereich (im Unterschied zu der mehr auf der Ideologie der Partnerschaft beruhenden Ehe in der Mittelschicht) nicht nur eine Frage der »Kultur« als eigenständige Erscheinung und eine verhältnismäßige Rückständigkeit der Arbeiterklasse zu sehen ist.
Wir können jetzt auch besser verstehen, warum der Manager, der bei seiner Arbeit bis zur Erschöpfung die Chance bekommt, sich als richtiger Mann aufzuspielen, in seiner Familie die Spannungen, unter denen er bei seiner Arbeit naturgemäß steht, abbauen muß. Daher die stärkere Ausrichtung auf »sanfte« Werte, auf Entspannung, auf »ein gutes Gespräch« usw. Ein Schlosser, der in seiner Firma wie ein unmündiges Kind behandelt wird, wird zu Hause etwas anderes suchen: die Bestätigung, daß er jemand ist, eine zu respektierende Person. Und angesichts der Tatsache, daß in der maskulinen Gesellschaft eine zu respektierende Person vor allen Dingen »männlich« ist, muß seine Frau mit ihrem »weiblichen« Verhalten dafür sorgen, ihm dieses Gefühl zu vermitteln. Was wir jetzt auch viel besser verstehen, ist die Ambivalenz so vieler Frauen. Lillian Rubin hat das ständige Hin- und Hergerissenwerden zwischen dem Verständnis für die Situation ihrer Männer und dem Bedürfnis, sich selbst zu behaupten, eindringlich dokumentiert. Solange dieses Verstehen »Männlichkeit« in dem Sinne mit einschließt, in jedem Fall den Schein aufrechtzuerhalten, daß er das Geld nach Hause bringt, daß er die Entscheidungen trifft und somit ein Recht auf Ruhe und Versorgtwerden hat, bleibt für sie das Bild der »Weiblichkeit«: das Sich-Unterordnen unter seine Entscheidungen, die eigene Sexualität seinen Bedürfnissen unterzuordnen, nicht mehr zu verdienen als er. Jeder Versuch, selbständiger zu werden, ist ein direkter Angriff auf seine »Männlichkeit«. Und deshalb ist es nicht nur eine irreale Angst, daß ihre eigenen Bedürfnisse die Ehebeziehung in Gefahr bringen. Deshalb suchen Frauen häufiger nach unterschwelligen, listigen Formen des Widerstands und nach verschiedenen anderen Taktiken, um so doch noch ihren Willen zu bekommen, ohne dabei ihren Mann zu verletzen. Es ist natürlich nicht einfach falsch, daß Frauen ihren Männern gegenüber loyal sind, daß sie für sein Bedürfnis Verständnis aufbringen, als Kompensation für das, was ihm auf seiner Arbeit angetan wurde, zu Hause Macht haben zu wollen.
Nun wollen wir gewiß nicht so tun, als hätten Männer es nicht auch schwer. Aber daß das Verständnis die Form der eigenen Unterordnung annehmen muß, daß Frauen sich als Gruppe den Männern als Gruppe unterzuordnen haben als Kompensation für die Ausbeutung, die Männer als Gruppe von Lohnarbeitern erfahren, ist allerdings einfach unakzeptabel. Solidarität in Form freiwilliger oder gezwungener Unterjochung zu fordern, steht im Gegensatz zu jedem Ideal einer gerechteren Gesellschaft. Und es klappt auch nicht: Die gegenseitige Solidarität der Arbeiterklasse wird fortwährend, latent und manifest, durch die Möglichkeit bedroht, daß Frauen sich ihrer Unterdrückung bewußt werden, es nicht länger hinnehmen und sich miteinander solidarischer als mit ihren Männern fühlen werden. Solange Männer ihre Würde mit Begriffen der »Männlichkeit« übersetzen, wird hinter der Klassensolidarität immer die Feindschaft der Geschlechter verborgen sein, die immer wieder von neuem hervorzubrechen droht. Daß dieses nicht als ein Politikum erkannt wird, hat wiederum mit der Tatsache zu tun, daß Mann-Frau-Verhältnisse in der Familie nicht als ein Teil der Produktionsverhältnisse, sondern als »Privatsache« gelten.

Schlußfolgerungen

Ich glaube, daß wir uns noch kaum darüber bewußt sind, in welchem Maße die Tatsache, daß sich Menschen als »Mann« oder »Frau« identifizieren, Folgen für die gesellschaftlichen Verhältnisse hat, in denen wir leben, und in welchem Maße dieses bei der Veränderung dieser Verhältnisse hinderlich ist. In der Theoriebildung, die in der letzten Zeit über die Ursachen des Faschismus stattfindet, beginnt sich langsam dafür ein Verständnis zu entwickeln.[52] Faschistische Bewegungen haben es bisher besser verstanden, sich des Bedürfnisses der Männer nach einer pseudomännlichen Würde, sich der latenten Unzufriedenheit von Frauen zu bedienen, die sich in ihrem Mütter- und Hausfrauendasein unterbewertet fühlen und damit leicht Opfer der Pseudo-Verherrlichung der wahren Frau wurden. Aber wir können auch weniger extreme Umstände daraufhin untersuchen, welche Folgen die Aufspaltung in Ernährer = Mann und Hausfrau = Frau hat, mit der dazugehörenden Trennung in Arbeit und Wohnen und dem dazugehörenden Bewußtsein.
Die Gewerkschaften, um ein wichtiges Beispiel zu nennen, haben sich, historisch gesehen, bestimmt nicht bei der Organisation der Frauen hervorgetan. Schon bei der letzten feministischen Bewegung war das »proletarisch-antifeministische« Element in der Arbeiterbewegung stark,[53] und obwohl die Äußerungen jetzt weniger derb sind, hat sich in der Praxis noch wenig verändert. Seinerzeit wurde der Antifeminismus in erster Linie mit der Angst der männlichen Lohnarbeiter vor der Konkurrenz der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erklärt. Eine irrationale, aber äußerst hartnäckige Argumentation: Frauen bekommen niedrigere Löhne, deshalb können sie Männer von ihren Arbeitsplätzen verdrängen. Da dies eher ein Grund dafür ist, Frauen auch zu Gewerkschaften zuzulassen, damit sie gleiche Löhne fordern und somit nicht mehr dazu benutzt werden können, die Löhne der Männer zu drücken und als billigere Arbeitskräfte die Arbeitsplätze der Männer zu übernehmen, glaube ich, daß die Wurzeln dieser antifeministischen Haltung tiefer liegen.
In Frauen eher als in Männern Konkurrenten zu sehen, bedeutet auch, daß Männer sich an erster Stelle als Männer und erst an zweiter als Lohnarbeiter definieren. Wer das einmal begreift und sich die Mühe macht, die Geschichte aus einer feministischen Sicht neu zu betrachten, findet Material im Überfluß; eine ständige Geringschätzung für die Organisationsformen der Frauen, die sich von denen der Männer unterscheiden.
Linda Gordon und Alice Kessler Harris nennen dafür Beispiele aus der Geschichte der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung;[54] Claudia Pinl kommt mit neueren Beispielen aus der Bundesrepublik;[55] wir wissen auch das eine oder andere über Frankreich.[56]
Die von Männern beherrschten Gewerkschaften legten mehr Wert auf quantitative Forderungen (höhere Löhne), während es bei den Frauenaktionen häufiger um die Qualität der Existenz ging. Das ist angesichts der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen außerhalb der Produktion sicherlich auch nicht weiter verwunderlich. Dieses Material zeugt vom Widerstand der Männer gegen weibliche Führung im Betrieb, aber auch innerhalb der Gewerkschaft. Widerstand der Männer gegen das »Eindringen« der Frauen in »Männerberufe«. Widerstand der Männer, »Frauenarbeit« zu leisten, nicht nur weil sie im Durchschnitt wirklich langweiliger als Männerarbeit ist, sondern weil es »unmännlich« ist, Bonbons einzupacken, Kaffee in der Kantine einzuschenken, Babynahrung in Gläser zu füllen oder Röcke zu säumen. Mündliche Beteuerungen darüber, daß Frauen sich stärker in Gewerkschaften organisieren und besser integriert werden müßten, steht gleichzeitig das Bejahen einer Organisationsform der Männer untereinander gegenüber. Da werden Versammlungszeiten in die Hauptarbeitszeit des Hausfrauendaseins gelegt, siebzigstündige Arbeitswochen abgeleistet, die eine Organisation tatsächlich unmöglich machen. Da zeigt sich erpresserisches Verhalten den Frauen gegenüber, wenn diese trotz der Hindernisse doch zu den Gewerkschaftsversammlungen gehen. Da werden mündliche Erklärungen über das Wünschenwerte gleicher Löhne für gleiche Arbeit abgegeben. Da äußert sich passiver Widerstand, wenn es dann zur Forderung erhoben wird, aktiver Widerstand, wenn es darum geht, daß Frauen in Männerabteilungen zugelassen werden, individueller Widerstand, wenn die eigene Frau mehr zu verdienen droht als er.
Der proletarische Antifeminismus ist nicht nur ein Überbleibsel von früher, es handelt sich hier nicht nur um ein ideologisches Problem oder um eine Frage veralteter Denkschemata. Er wurzelt in der Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen und in der dazugehörenden Vorstellung von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit«. Deshalb ist es auch besser zu verstehen, warum antifeministische Männer sich so anstrengen, jeden Punkt, der von der Frauenbewegung als politischer Punkt an's Tageslicht gebracht wird, zurück in die Privatsphäre der persönlichen Probleme zu schieben. In letzter Instanz passiert das immer noch, indem der Feminismus selbst als eine persönliche Abweichung definiert wird. Für keine einzige Feministin gibt es davor ein Entrinnen, sich immer wieder gegen persönliche Beschuldigungen verteidigen zu müssen; keine einzige gesellschaftliche Bewegung wird so auf der sexuellen, persönlichen Ebene bekämpft wie gerade die Frauenbewegung.

»In dem militanten Teil der Befreiungsbewegung befinden sich Frauen, die ohne Zweifel hinter ihrer sozialen Maske eine persönliche Pathologie verbergen. Sie sind böse, nachtragend, kastrierend und destruktiv, sie reagieren ihre individuellen Unzulänglichkeiten hinter ihrer Maske der Logik, der Realität und den reinen Idealen der Menschenwürde und Gleichheit ab. Ihre verbitterte und emotionale Rhetorik verurteilt die Hälfte der Menschheit zur ewigen Verdammung oder im günstigsten Fall zu ständigen Schuldbekenntnissen. Sie weisen die Möglichkeit von Intimität und Vertrauen, von Verstehen zwischen Mann und Frau zurück, und es sieht so aus, als suchten sie nach den Möglichkeiten, die neuen Unterdrücker in einer auf den Kopf gestellten gesellschaftlichen Ordnung zu werden. Ihr Denken ist paranoid und ihre Reaktionen sind sozial gesehen krankhaft.«[57]

Die heftigen Reaktionen auf den Feminismus sagen vielleicht mehr über die Art aus, in der die Menschen »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« als sich ergänzend ansehen, als jede mündliche Billigung der »Emanzipation«. Denn indem sofort angenommen wird, daß, wenn wir sagen, Frauen sind unterdrückt, wir damit meinen, es gäbe keine Ausbeutung von Männern, indem sofort angenommen wird, daß, wenn Frauen gegenseitig ihre Gesellschaft schätzen, sie dann Männer hassen — all das bedeutet doch: Männer und Frauen werden im Bewußtsein als Gruppe mit entgegengesetzten Interessen wahrgenommen. Dasselbe gilt für Menschen, die den Feminismus als das sehen, was wir jetzt haben, nur umgekehrt: Frauen, die Männer unterdrücken. Die Angst vor dem Feminismus ist dann auch ganz klar: Man stelle sich vor, wir behandelten wirklich Männer so, wie sie uns jetzt behandeln. Was für ein Alptraum muß das für die Männer sein: die Angst, daß wir nicht menschenwürdigere Verhältnisse wollen, sondern Rache! Die Angst der weißen Rassisten vor der »schwarzen Gefahr« steht dieser in nichts nach. Jetzt, da wir die Beziehungen zwischen Hausarbeit und Produktion besser verstehen, ist auch klar, warum die Versuche, zu einer ehrlicheren Aufgabenverteilung in der Familie zu kommen, so wenig Erfolg gehabt haben. Das verbale Eingehen auf den Emanzipationswunsch der Frauen sagt noch nichts über die Verletztheit aus, die folgt, wenn Frauen daraufhin wirklich zu arbeiten anfangen. Obwohl mit dem Vorausgegangenen wahrscheinlich nur die Spitze eines Eisberges sichtbar wurde und damit sicher nicht das letzte Wort über die Art und das Ausmaß, in denen Geschlechts- und Klassenunterschiede aufeinander einwirken, gesprochen ist, ist hoffentlich doch deutlich geworden, daß die beiden nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Solange Männer bei sich selbst noch nicht einmal erkennen können, in welchem Umfang sie sich selber als »Mann« definieren und daraus eine »Pseudo-Würde« herleiten, werden sie kaum bereit sein, für die Würde ihrer Arbeit zu kämpfen. Gleichzeitig werden sie dadurch eine Bremse bei der Befreiung der Frauen bleiben.
Eine linke Bewegung mit revolutionären Ansprüchen kann dann auch nicht umhin, über ihr eigenes Bewußtsein nachzudenken, und zwar nicht nur in den Begriffen des »richtigen Klassenbewußtseins«,  sondern auch in denen des »richtigen Geschlechterbewußtseins«. Es sollte eine Untersuchung wert sein, herauszufinden, inwieweit sozialistische Organisationen, Befreiungsbewegungen, linke Aktionsgruppen nicht durch ihre Ignoranz hinsichtlich der Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen automatisch »Männer« organisieren und für deren Interessen Organisationsformen errichten. Wobei Frauen automatisch in die ergänzende Rolle der »Frau« gestopft werden oder mitmachen dürfen, indem sie leugnen, daß sie Frauen sind, und sich wie Männer benehmen. Die Black Panther Bewegung in Amerika ist dafür ein Beispiel. Sie endete traurig mit Eldrige Cleaver, der seine Zeit damit totschlug, Hosen für Männer zu entwerfen, die die »Männlichkeit« besser hervorkommen ließen. Oder MIR in Chile, in der Frauen entweder typisch »weibliche« ergänzende Zuliefertätigkeiten ausführten oder stramm mit den Kameraden mitmachen durften. Wir brauchen gar nicht so weit weg zu gehen, die niederländische Gewerkschaftsbewegung ist ein ebenso   trauriges   Beispiel für »patriarchal-links«.
Wenn wir die Konsequenzen betrachten, ist es einleuchtend, daß unserer Meinung nach die sozialistischen Bewegungen nicht umhin können, sich mit den Mann-Frau-Verhältnissen zu beschäftigen. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses nicht zu tun:

  • a)  Zu denken, daß die autonome Frauenbewegung die Stellung der Frauen und die Familienbeziehungen schon in ihre Verantwortung nimmt, so daß die Linken sich weiterhin in dergleichen Weise auf Lohnarbeit ausgerichtet organisieren können.
  • b)  Zu denken, daß die Gesprächsgruppen bei der Bewußtseinsentwicklung ein ordentlicher Schritt vorwärts sind, aber sobald die Analyse der Hausarbeit erarbeitet ist und somit der große Hauptschuldige (das Kapital) benannt werden kann, den Bewußtseinsprozeß zu beenden und daraufhin in der uralten Art und Weise, in der uralten Form des Klassenkampfes weiterzumachen.

Wenn wir aus der Sicht des sozialistischen Feminismus gut nachdenken, wird sich die Vorstellung dessen, was »politisch«,  was »Klassenkampf ist, was die »richtigen Strategien« sind, verändern. Die Versuche, die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen zu verändern, sind nicht nur eine Grundschule für das wirkliche Geschehen, nicht nur eine Phase, durch die die Frauen nun einmal hindurch müssen, sondern ein integraler, nicht wegzudenkender Teil der Totalität der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse — mit eigenen Organisationsformen.
An diesem Punkt laufen mehrere Linien zusammen. Die Trennung, die (nach Zaretsky) zwischen der Produktion und der Reproduktion, zwischen dem Politischen und dem Persönlichen stattgefunden hat, kommt auch in den scheinbar voneinander losgelöst existierenden patriarchalischen und kapitalistischen Verhältnissen zum Ausdruck. Dadurch, daß die Linken die patriarchalischen Verhältnisse innerhalb der Familie als Privatsache ansehen, die von keinerlei politischer Revelanz sind, erkennen sie nicht, in welchem Maß die Wechselwirkung zwischen beiden Bereichen Einfluß auf das politische Bewußtsein der Arbeiter haben und sich hemmend auf dieses auswirken.
Die zwei Begriffe von politischem Bewußtsein, die ich zu Beginn dieses Artikels nannte, sind also nicht so gegensätzlich, wie es den Anschein hatte. Oder besser gesagt: Die Kluft zwischen Feminismus und sozialistischer Bewegung spiegelt einen kapitalistischen Widerspruch selbst wider.