Marmelade heute

Anmerkungen zu einem nie geschriebenen Artikel über Frauenkultur


1. Frauenkultur als Kunst
Zeit, Raum und Beziehungen

Die Diskussion über Frauenkultur wird zu sehr ausgehend von Kultur = Kunst geführt. Von daher: liefern Frauen Kunst, Produkte, die sich an den Produkten von Männern messen lassen? Offensichtlich ist, daß Frauen dann nicht den gleichen Anteil an der Kultur haben wie Männer.
(Wo sind die weiblichen Genies? / In der Küche auf ihren Knien.)
Die Rechte schreibt dies einer den Frauen innewohnenden Schwäche zu, einer Unfähigkeit zu abstrahieren, schöpferisch zu sein, den nötigen Abstand zu nehmen, um Kunst zu machen.
Linke Feministinnen sagen: Schau dir die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen und die dazugehörige Sozialisation an.
Die Normen, nach denen Kunst bewertet wird, stammen von Leuten, die Kunst nur als Kunst bezeichnen, wenn sie vom normalen Leben losgelöst ist, wenn die betreffende Person sich ausserdem lösen, wenn sie freigestellt werden kann von der Reproduktion des täglichen Lebens — also Zeit und Raum hat und stützende oder jedenfalls nicht hinderliche Beziehungen. (Dieselbe Darlegung kann über »die Wissenschaft« erstellt werden.)

Zeit

»Unterbrochen zu werden, ist ein Grundbestandteil im Leben einer Mutter. Einer der Gründe, die Arbeitswelt vom Haus zu trennen, besteht darin, die Unterbrechungen des Alltags zu vermeiden. Zu Hause wird man fortwährend durch die Bedürfnisse anderer unterbrochen, ununterbrochene Zeit ist nicht verfügbar. Zu Hause ist nicht der Ort, an dem Prioritäten gesetzt werden können. Es mag zwar »wichtiger« sein, einen Vortrag zu schreiben, aber trotzdem geht das schreiende Baby vor. Frauen wissen, daß das Leben die schreckliche Eigenschaft besitzt, sich selbst ständig aufzudrängen. Die Frau, die an ihrer Dissertation schreibt, die Frau, die einer Gerichtsverhandlung vorsitzt, denkt gleichzeitig an den Blumenkohl für's Mittagessen, an den Zahnarzttermin für ihr Kind, an den Tod einer Freundin. Die Kunstformen von Frauen spiegeln die Unterbrechungen und gleichzeitigen Geschehnisse auf verschiedene Art und Weise wider.« (Deena Metzger, »In her image«. Heresies, Mai 1977.)

Raum

Virginia Woolf sagte es bereits. Frauen brauchen, für welche Form selbständigen Handelns auch immer, zumindest einen Raum für sich selbst (A room of one's own).
Unser Raum ist nicht in Arbeitsraum und Lebensraum unterteilt. Die meisten Frauen haben keinen Raum, dessen Tür sie zumachen können, sie tragen die Hausarbeitsfunktion mit sich herum zu dem Ort, an dem sie sich befinden. Sie können nicht »weg«.
»In der Überlieferung ist der Arbeitsraum von Frauen durch ihr Zelt definiert, ihre Hütte, ihr Haus und durch ihren vom Rhythmus der Haushaltsanforderungen bestimmten psychologischen Raum.«
(»From the editorial group«. Heresies, Winter 1978.)

Beziehungen

Die vielgepriesenen Frauen von Künstlern waren die Frauen, die Raum und Zeit für ihn verteidigten, gegen die Anforderungen des Alltags, gegen sich aufdrängende eigene Bedürfnisse, für die Arbeit verrichtet werden muß, Sex, Essen. Gegen das unerwünschte Eindringen von Freunden, Kindern, der Außenwelt. Frauen haben selten jemanden, der dies für sie tut. Die einzige Alternative ist, genügend Geld zu haben, um Zeit und Raum zu kaufen (teuer), oder die berühmte Armut der Künstler. Das maximal Erreichbare ist, wenn Frauen nicht auch noch für jemand anders zu sorgen haben.
»Die (Männer)kultur wird durch die Liebe von Frauen erzeugt, auf ihre Kosten. Frauen sorgten für die Grundlage von Meisterwerken der Männer: Tausende von Jahren haben sie gearbeitet für und die Folgen getragen von emotionalen Einbahnstraßenbeziehungen, deren Vorteile Männern und ihrer Arbeit zugute kamen. Wenn es daher wahr ist, daß Frauen eine parasitäre Klasse darstellen, die von der Männerwirtschaft lebt, dann ist die Umkehrung auch wahr.
(Männer)kultur ist parasitär, sie nährt sich von der emotionalen Kraft von Frauen ohne Gegenseitigkeit.«
(Shulamith Firestone, Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt/M. 1975.)

2. Frauenkultur und das normale Leben

Viel von dem, was wir Frauenkultur nennen, läßt sich in bezug auf Zeit und Raum nicht von unseren Beziehungen, dem Alltag, den Veränderungen dessen, womit wir beschäftigt sind, lösen. Zeit und Raum und unterstützende Beziehungen zu organisieren, um machen zu können, kostet mich Mühe. Aber ich habe nicht das Bedürfnis, das, was ich mache, »Kunst« zu nennen oder »Wissenschaft«, mich selbst als Schriftstellerin zu definieren, mich zu fragen, wo die Grenze zwischen meinen »Liebhabereien« und meiner Arbeit liegt. Ich will nicht darüber reden, ob etwas »Literatur« ist oder nicht.
Unsere Handicaps sind auch ein Pro. Wir wollen Frauenkultur gar nicht von unserem normalen Leben loslösen.
Wir begannen, uns vor Augen zu führen, worin die positiven Seiten unseres flexiblen Umgangs mit Zeit (wir arbeiteten durchaus nicht »effizient«) bestanden, aber zugleich begriffen wir, daß dieses Modell unseres Umgangs mit Zeit der Familie entstammte, in der Frauenarbeit - »is never done and always done« »niemals getan und immer zu tun ist«. Ein großer Teil unserer Kunst entsteht zu Hause.
(„From the editorial group«. Heresies, Winter 1978.)
»Die Männer hatten für die Wahlkampagne in unserem Dorf einen Stand gemietet. Da standen sie nun mit ihren Stapeln von Flugblättern. Wir hatten nichts organisiert. Eine Frau schleppte ihre Gartenstühle heran und stellte sie hin. Eine andere holte Blumen von ihrer Fensterbank. Eine Thermoskanne mit Kaffee stand bereit für die Menschen, die vorbeikamen. Die Männer kamen uns neidisch besuchen, sagten, daß es bei uns so gemütlich sei.« (Gespräch)
Arbeiten (Kunst) und Wohnen sind für uns nicht getrennt. Wenn wir uns nicht die Normen für das, was man(n) Kunst nennt, überstülpen, ist Formgebung, »machen«, nicht losgelöst von Beziehungen, Umgangsformen, Organisationsformen, Politik zu betrachten. Kultur nicht in dem Stil der kleinen Beigabe zur Politik, dem Lockmittel, wie auf PSP(Pazifistisch-sozialistische ParteiVeranstaltungen, wo zwischen den Rednern der Fem-Soc-Chor singen darf.
Wichtiger als das »Produkt«: die Funktion.

3. Bilder, Träume

Frauenkultur als Formen neuer Bilder. Bilder von starken Frauen. Sogar Charlie's Engel hören auf Charly, und ihre »Kraft« besteht nur darin, daß sie »hübsch« sind. (Anspielung auf die Fernsehserie »Drei Engel für Charly«; Anm. der Übers.)
Nicht so sehr die dazugehörige Ideologie war wichtig für mich bei dem Auftritt der Amazonen, den Frauen auf den Pferden, während des zweiten Frauenfestivals. Vielmehr die Bilder waren bewegend, Bilder davon, daß Kraft und Frau-Sein einander nicht ausschließen. Wir hatten nur Kenau Simonsz Hasselaar, und die war nicht nett. Sagt man.
Bilder davon, wie Frauen sein können. Anderes Verhalten üben. Clown sein, auch wenn wir beinahe unseren Humor verloren hatten. Humor ging immer auf Kosten von Frauen.
Wir spielen Dramen, damit unser alter Schmerz auflodert und wir ihn loswerden. Wir lernen, daß es nicht besser ist, sich selbst auszulachen als sich zu beklagen, wenn wir uns selbst ernst nehmen wollen. Wir lernen, Wut zu äußern, an einem sicheren Ort, ohne daß sofort zurückgeschlagen wird.
Bilder, um uns damit identifizieren, um alte Bilder abbauen zu können.
Bilder von der Zukunft. Das Mißverständnis, daß es die Analyse ist, die die Menschen mobilisiert. Was Menschen eher mobilisiert, ist die Idee, das Gefühl, die Erfahrung, daß es auch anders geht. Dann entsteht das Bedürfnis nach einer Analyse, warum es nun nicht so ist.
»Durch das Fest am Donnerstagabend habe ich mich mein verändert als durch das Lesen der Aufsätze«, sagte sie bei der Auswertung der Frauenbildungstage. »Daß du mit fünfzig noch tanzen kannst. Daß jemand zu dir sagt, du hättest schöne Augen. Ich meine, mir war klar, daß es nicht so gut um die Welt bestellt ist. Aber daß es sogar schön sein kann, zusammen etwas dagegen zu unternehmen...«
Gibt es nur irgendwo — sei es nun auf Fem…, sei es auch nur für eine Woche, sei es auch eine Utopie - bei der Rückkehr die Erfahrung, daß es anders geht, dann besteht ein Grund zu kämpfen. Laut zu träumen wagen. Träume sichtbar zu machen. Träume auszuprobieren.
Es gibt mittlerweile viele Fem…’s, wir brauchen nicht mehr auf eine Insel zu fahren.
»This is a typical case of jam to-morrow, and never jam today«, sagt Alice. Die calvinistische linke Bewegung gönnt uns unser Vergnügen erst nach der Revolution. Oder in unserer Freizeit, wenn wir uns nicht mit »Politik« beschäftigen. Aber wir wollen schon heute Marmelade und nicht morgen, um durchhalten zu können, um zu wissen, wofür wir etwas tun. Brot und Rosen.

4. Der Konflikt zwischen der Frauenkultur
und der Linken

Früher. Das AJC (Arbeiders Jeugd Collectief: Jungarbeiterkollektiv), das Osterfeuer, Volkstänze, Lagerfeuer, Gesang, Rattanmöbel und Cordsamt. Die Arbeiterkultur als ein bewußt selbst geschaffener Raum, um Solidarität einzuüben, um den schwachen Schein einer besseren Gesellschaft einzufangen. Ein Vorschuß auf das, was kommen sollte.
Die Arbeiterkultur existiert kaum noch. Wehmut und ein bißchen Scham.
Bedeutende Männer tanzen nicht. Mehr.
Bedeutende Frauen wohl. Wieder.

Die linke Kultur heute. Kampflieder. Von Musik untermalte Slogans. Zuerst die Botschaft und dann die äußere Form dazu erdacht. Markige Sprache. Einmal im Jahr die Faust recken. Grimmig. Denk' dir, die glauben, daß wir zu unserem Spaß hier sind. Achter März. Internationaler Frauentag, vor allem von den linken Frauen organisiert. Beim Hereinkommen höre ich als erstes den Satz: »Der Kampf gegen die Neutronenbombe ist unlösbar verbunden mit dem Frauenkampf.« Es ist zugleich auch der letzte Satz, der zu mir durchdringt. Frauen, die ruhig dastehen und zum Podium schauen, darauf wartend, daß die Rednerinnen vom Kabarett abgelöst werden. Ich langweile mich zu Tode und gehe. Einbahnstraßenformen. Anders als die großen und kleinen Kreise auf dem Frauenfestival.
»Die führerlose Gruppe, die runde Form, die nicht-hierachische Struktur sind vielleicht die gesellschaftlich wichtigsten Beiträge der Frauenbewegung.« (Deena Metzger, »In her image«, Heresies, Mai 1977.)
Ich bin keine Mystikerin, die alles »Weibliche« assoziieren will mit »rund« und »offen« und alles »Männliche« mit »hart, eckig, einseitig, geradlinig und geschlossen". Aber merkwürdigerweise stimmt's manchmal.

5. Eigene Formen

»Wenn Frauen den Männerkampf imitieren wollen, werden sie schwächer und schwächer. Sie müssen neue Kampfformen finden. Das wurde in Hendave deutlich, wo Frauen gegen die Todesstrafe demonstrierten. Manche Frauen schrien und reckten die Fäuste, während andere nur summten. Mmmmmmmmm, die Lippen geschlossen, liefen sie in Reihen voran. Das ist eine neue Art zu demonstrieren, die hundertmal wirkungsvoller sein kann als Fäuste. Wir haben eine wahre Inflation von Geschrei kombiniert mit hochgereckten Fäusten gehabt. Ich laufe beispielsweise einfach weiter, wenn ich so etwas sehe. In Film und Kunst müssen wir eine Sprache finden, die zu uns gehört, weder schwarz noch weiß.«
(Chantal Akermann, Frauen und Film, März 1976.)
Die Demonstration lesbischer Frauen. Unsere schönsten Kleider, lila und weiß. Es wird gesungen, gehüpft, gelacht. Frauen mit Trommeln. Frauen Hand in Hand, zwei zu zwei oder in Reihen. »Wir tun es nicht mehr«, rufen wir. »Was >es<?« »Es!« rufen wir zurück. Betretene Reaktion der Umherstehenden. Dies ist keine Anklage, kein grimmig dreinschauender Zug. Kein Um-Verständnis-Bitten, keine Forderungen. Es sieht so aus, als sei es schön, lesbisch zu sein.
Die Demonstration gegen sexuelle Gewalt. Bemalte Gesichter, Fackeln, Laternen. Abends spät durch die Straßen, durch die wir uns um diese Zeit nicht allein hindurchwagen. Wir wollen die Nacht zurückhaben! Wir haben Angst vor der Gewalt der Männer, die aus den Kneipen kommen. Aggression, die jetzt sichtbar wird (und die wir nicht 'hervorrufen', wie »De Volkskrant« schreibt, die Aggression war natürlich schon lange da). Es wird zurückgeschrien. »Ihr seid zu häßlich zum Vögeln!« »Was weißt du Grünschnabel schon von Sex!« Ein Mann knöpft seine Hose auf und ruft: »Ich will ficken.« Wir sind ängstlich und böse, daher kreischen wir den ganzen Weg über wie die Hexen. Unser Kreischen schwillt an, wenn ein Auto auf uns zugefahren kommt, wenn ein Polizeitrottel auf einem Pferd vorbeikommt. Dann lachen wir wieder. Wußten nicht, daß wir so einen unmanierlichen Lärm fertigbringen konnten, und wie schön es ist, zu kreischen, wenn du ängstlich und böse bist. Eine Frau winkt uns zu, eine andere versteckt sich entsetzt hinter ihrem rot angelaufenen Mann. Aber es sind schon anderthalbtausend, die hier in Amsterdam mitgehen. Und es gibt sie auch in Breda. Und Rotterdam. Und Leiden. Und Groningen. Und Utrecht. Und Nijmegen. Und Den Haag. Und Maastricht.
Und in Deutschland liefen sie auch, in ihrer Walpurgisnacht. In Hamburg, Berlin, Bochum, Frankfurt und Köln.