Ein feministisch-sozialistisches Arbeitstreffen in Amsterdam. Ein paar hundert Frauen, mit Unterlagen gewappnet, sitzen auf ihren Stühlen und schauen zum Podium, auf dem zusammen mit den Referentinnen der Diskussionsgruppen, die sich vorher gebildet hatten, die Diskussionsleitung sitzt. Thema ist die Organisationsform des Feministisch-Sozialistischen Forums (Feministies-Socialisties Platform).
Die Stimmung ist gereizt. Buhrufe und Beifallsbekundungen wechseln sich ab. Dann stehen verschiedene Frauen auf, um sich Gehör zu verschaffen. Sie wenden sich an die Diskussionsleitung und sagen, es sei unterdrückend, wenn jedesmal geklatscht und gerufen werde, daß wir doch zumindest einander zuhören könnten. Einige Frauen gehen, sie schimpfen, daß es hier genauso abläuft wie in dem Männerhaufen, den sie gerade deswegen verlassen haben. Eine Frau steht auf und sagt mit etwas anderen Worten, was schon zehnmal gesagt wurde: »Wenn wir es nicht schaffen, einen gemeinsamen politischen Standpunkt zu entwickeln, wenn wir keine Organisation mit einer klaren Aussage werden, werden wir niemals dem Kapitalismus den Kampf ansagen können.«
Eine andere Frau steht auf und sagt mit wieder anderen Worten, was auch schon zehnmal gesagt worden ist: »Wir können den Feminismus nicht auf einen Katalog von Forderungen reduzieren. Unsere Kraft besteht nicht darin, nach außen als Einheit aufzutreten. Es gibt auch noch andere Sachen.« Als die letzte Sprecherin böse ruft: »Und was, bitte schön?« zögert sie und sagt beinahe etwas hilflos: »Es gibt auch noch so etwas wie Gefühle.«
Das Problem
Was da stattfindet, sieht aus wie ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlicher politischer Stile und Sprachen: ein Zusammenstoß zwischen feministischen und linken Organisationsformen, die miteinander nicht in Einklang zu bringen sind. Frauen, die auf altbewährte Parolen und eine bekannte Sprache zurückgreifen: Einheit, Stärke, Forderungen, Kampf, Programme. Andere Frauen, die mühsam nach Worten suchen, um deutlich zu machen, was sie bisher hauptsächlich erfahren haben: Die noch kaum formulierten, aber intensiv erlebten feministischen Organisationsformen. Es sieht aus wie ein Richtungskampf: Frauen mit Aktionserfahrungen in der linken Bewegung, mit ihren Bedürfnissen nach Einheit, gewählten Vertreterinnen und einem eindeutigen Programm, gegenüber Frauen mit ihren Aktionserfahrungen aus den ersten Jahren der Frauenbewegung und ihrem Bedürfnis nach Vielfalt, Führungslosigkeit und Autonomie der verschiedenen Initiativen in bezug aufeinander. Die Frauenbewegung befindet sich in einer spannenden Phase. Auf vielen Ebenen finden innerhalb der Bewegung Zusammenstöße zwischen den unterschiedlichen Organisationsformen statt. Zusammenstöße zwischen den traditionellen Frauenvereinigungen und den lockeren Gruppen der neuen feministischen Bewegung. Konflikte der Frauengruppen innerhalb hierarchischer Organisationen wie Gewerkschaft und Partei, soziale Einrichtungen und Universitäten. Spannungen zwischen den verschiedenen feministischen Strömungen untereinander. Viel theoretisches Material über feministische Organisationsformen gibt es noch nicht. Doch das bedeutet nicht, daß darüber nicht nachgedacht wird. Die Diskussion über Organisationsformen findet hauptsächlich dann statt, wenn Konflikte entstehen. Zum Beispiel über Bezahlung: Wenn ein feministischer Verlag beschließt, seine Mitarbeiterinnen für ihre Arbeit zu entlohnen, weil Frauen schon viel zu lange und zuviel für nichts gearbeitet haben, und damit dann einem anderen feministischen Verlag in die Quere kommt, der Bezahlung unfeministisch findet, weil sie die Ungleichheit der Frauen untereinander vergrößert. Oder wenn im feministisch-sozialistischen Forum heftige Diskussionen darüber entstehen, ob das Forum entweder eine eindeutige Organisation mit festen Mitgliedern und politischen Ausgangspunkten, die alle unterschreiben können, werden soll oder nicht.
Diesen letzten Konflikt möchte ich hier aufgreifen, um genau das, was passiert, wenn sich unterschiedliche politische Kampfkulturen so widersprechen, wie es jetzt im Forum zu geschehen droht, durchsichtiger zu machen.[1] Die Schwierigkeit bei der Diskussion über Organisationsformen — und das gilt nicht nur für die Frauenbewegung — ist, daß diese meistens auf einer abstrakten Ebene geführt und dabei von übernommenen politischen Prinzipien ausgegangen wird, ohne auf die wesentliche Frage zurückzugehen, nämlich die: Aus welchen Bedürfnissen welcher Leute entstehen welche Organisationsformen und welchem Ziel dienen sie. Ausgehend von dieser Frage, versuche ich, die Situation im Forum zu betrachten. Ich wähle das Forum aus verschiedenen Gründen als Denkbeispiel:
Einerseits, weil ich mich aus meiner eigenen Betroffenheit heraus regelmäßig über das, was da passiert, aufrege und selbst das Bedürfnis nach Klarheit über das, was passiert, habe.
Andererseits, weil ich glaube, daß die Situation im Forum exemplarisch ist für viele Diskussionen, die woanders stattfinden oder noch stattfinden werden, in Gewerkschaften, Studiengruppen, Aktionsgruppen, überall, wo Frauen sich um eine Synthese aus Feminismus und Sozialismus bemühen. Ob es sich nun um die Spannungen bei der Organisation des Internationalen Frauentages am 8. März und die dabei zu Tage getretenen Auffassungen über »Frauenkultur« handelt oder um die Auseinandersetzungen um die Frage, ob wir uns innerhalb einer Frauengruppe in der Gewerkschaft mit »Privatangelegenheiten« der Frauen befassen müssen oder nicht.
Und ferner, weil ich glaube, daß es sich dabei um Diskussionen handelt, die ihre Parallelen in nicht-feministischen Bewegungen haben.
Es geht mir dabei nicht um irgendeine einfache Lösung für diese Art von Konflikten, sondern um das Entwickeln einer bestimmten Denkweise über Organisationsformen.
Ziel dieses Artikels
Ausgangspunkt für meinen Gedankengang: Die Unterdrückung der Frauen sieht für einen Großteil von ihnen anders aus als die der (männlichen) Lohnarbeiter, die logische Folgerung daraus ist, daß Frauen aus ihrer Unterdrückung heraus andere Organisationsformen entwickeln, ja sogar entwickeln müssen. (Ich werde hier nicht mehr auseinandersetzen, daß Frauen unterdrückt werden. Wer das noch immer nicht glaubt, sollte diesen Artikel lieber beiseite legen und erst ihre/seine Hausaufgaben machen.[2]
Ich gehe zuerst kurz auf einige naheliegende Unterschiede in der Situation von Frauen und Männern ein. Für die Klarheit der Ausführungen gehe ich dabei von dem Idealtypus »Hausfrau« und dem Idealtypus »männlicher Lohnarbeiter« aus, obwohl ich damit die Wirklichkeit auf eine fast unakzeptable Weise verkürze. Ich tue dies, um in gröbster Form deutlich zu machen, wie sich die Situation von Männern und Frauen unterscheidet. Danach beschreibe ich eine Anzahl typischer Merkmale der Arbeitsweisen in der neuen Frauenbewegung. Ich habe dabei nicht die Illusion, die feministische Organisationsform zu beschreiben oder zusammenzufassen. Ich benutze einige Beispiele, von denen ich inzwischen aus eigener Erfahrung und der anderer Frauen weiß, wie wichtig sie bei der Mobilisierung der Frauen sind.
Damit meine ich:
- a. das Sichtbarmachen der unsichtbaren Probleme;
- b. die gegenseitige Unterstützung und Selbsthilfe;
- c. das Schaffen einer Frauenkultur.
Von dort aus gehe ich auf die Probleme ein, die entstehen, wenn wir versuchen, diese Merkmale auf die Arbeit in nicht-feministischen Organisationen zu übertragen, oder wenn wir versuchen, eine bessere Strategie für die Veränderung der Gesellschaft zu entwerfen.
Dann wieder zurück zum Forum, wobei ich mich mit dem Aufeinanderprallen der linken und feministischen Organisationsformen und den Problemen zwischen »Vorkämpferinnen« (Avantgarde) und »Gefolgschaft« (Basis) befasse, um abschließend zu stellungbeziehenden Schlußfolgerungen zu gelangen. (Rechtfertigung: Daß die Frauenbewegung nicht aus einer Organisation besteht, hat zur Folge, daß ich nicht im Namen der Frauenbewegung schreibe, noch nicht einmal im Namen einer klar zu benennenden Gruppe. Doch wird auch deutlich werden, daß diese gedankliche Arbeit nicht nur ein Egotrip von mir ist. Die treffendste Formulierung ist wohl, daß ich zwar verantwortlich für die endgültige Fassung dieses Artikels bin, er aber ohne sehr viele andere Frauen nie geschrieben worden wäre.
Schwierigkeiten beim Schreiben dieses Artikels
Sprachregelung
Ich gehe davon aus, daß die Diskussionen nicht von einer abstrakten Ebene des »Zentralismus« gegen »Anarchismus«, »Lenin« kontra »Luxemburg«, organisierter »Klassenkampf gegen »Sponti-Aktionen« aus geführt werden können, sondern daß wir auf das konkrete Leben der Menschen, auf die konkreten Bedürfnisse und die konkreten Momente der Veränderung zurückgehen müssen. Ich gehe auch davon aus, daß es keine typisch »männlichen« oder »weiblichen« Organisationsformen gibt, da »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« keine angeborenen Charaktereigenschaften sind, sondern zu den unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen gehören.
Die Frage, welche Organisationsformen für welches Ziel geeignet sind, kann nicht beantwortet werden ohne die Frage, was denn nun genau organisiert und wer denn nun genau mobilisiert werden soll. Das hört sich, so wie es hier steht, wie eine Binsenwahrheit an, aber in Diskussionen stellt sich dann heraus, daß ziemlich oft noch darüber hinweggegangen wird. Eine Schwierigkeit dabei ist, daß die Bewußtseinsprozesse der Frauen noch hauptsächlich erfahren werden. Noch kaum wird beschrieben, wie sie in Gang gesetzt werden.
Vieles von dem, was geschieht, was ich selber erfahren habe, was ich wahrnehme, was andere Frauen durchmachen, kann nicht einfach in alte politische Kategorien gefaßt werden. Es fehlt uns noch häufig eine Sprache, um unsere Erfahrungen zu beschreiben, sie zu verallgemeinern, eine Sprache, die der Ganzheit und Komplexität der Erfahrungen gerecht wird. Das macht eine Diskussion, bei der auf den alten, linken Organisationsjargon zurückgegriffen wird, nicht einfacher. Ein Beispiel dafür, daß alte Kategorien oft nicht ausreichen, ist die Verwirrung um den Begriff »Bewußtseinserweiterung«. Innerhalb der Frauenbewegung wird er hauptsächlich gefühlsmäßig benutzt, um den ganzen, komplexen Prozeß der Selbstanalyse, der emotionalen Veränderungen, der Entwicklung des Mutes, um gegen den Strom zu schwimmen, der Einsicht in die gesellschaftlichen Wurzeln der persönlichen Probleme anzudeuten — ein äußerst komplizierter Prozeß, der in einem Wort zusammengefaßt wird. Aber es gibt auch Frauen, die daran gewöhnt sind, den Begriff »Bewußtseinserweiterung« als eine kognitive Einsicht in die ökonomischen Ausbeutungsmechanismen aufzufassen. Das Mißverständnis liegt nun darin, daß diese Frauen glauben, den ganzen Gesprächsgruppenprozeß überspringen zu können, weil sie das Endprodukt, die Analyse, in Buchform in einem Laden kaufen können.
Ein anderes Beispiel für die Begriffsverwirrung ist die Kategorie »Reformismus«, die einfach den vielen Zwischenschritten übergestülpt wird, die Frauen brauchen, um selbst überhaupt anfangen zu können, an eine bessere Gesellschaft zu glauben: sich ein bißchen Zeit, Raum und Selbständigkeit zu erobern. Es wird dabei nämlich übersehen, daß Frauen aus ihrem Isoliertsein und ihrer Unselbständigkeit heraus damit beschäftigt sind, die Voraussetzungen zu schaffen, die männliche Lohnarbeiter schon haben: ein minimales Maß an Selbständigkeit, ökonomische und emotionale, und die ersten Formen der Kollektivität und gegenseitiger Hilfestellung.
Ein anderes Problem, mit dem ich in diesem Artikel ringe, ist die Beschreibung der unterschiedlichen Strömungen innerhalb der feministisch-sozialistischen Bewegung. Es ist verführerisch, weil scheinbar so einfach, auf der einen Seite von den feministischen Frauen und auf der anderen von den linken Frauen zu reden. Aber so einfach liegt die Sache nicht. Frauen, die sich in feministischen Organisationsformen am wohlsten fühlen, haben sich in den meisten Fällen schon vor der Gesprächsgruppenphase ihre Sporen in der linken Bewegung verdient, und sie haben ihren Sozialismus, als sie damals austraten oder sich ihr Engagement zu Gunsten der Frauen zu verschieben begann, nicht abgelegt. Frauen, die sich am wohlsten in linken Organisationen fühlen oder aus einer linken Gruppe in die Frauenbewegung kommen, sind damit nicht unfeministisch — das Bedürfnis, zusammen mit anderen Frauen an der eigenen Existenz zu arbeiten, kann genauso aufrichtig sein. Und auch »links« ist keine einheitliche Kategorie. So gibt es Frauen, die aus linken Splittergruppen kommen und — versteckt oder offen — eine Vorreiterfunktion beanspruchen und versuchen, die Führung in einer feministisch-sozialistischen Bewegung zu übernehmen. Aber sie sind nicht so ohne weiteres repräsentativ für alle Frauen, die aus der Linken kommen. Und um es noch komplizierter zu machen: Es gibt eine ganze Menge Frauen, die noch dabei sind, ihren Weg zwischen Feminismus und Sozialismus zu suchen, die sich nicht einfach einem der beiden Pole zuordnen lassen würden.
In England, wo es die gleichen Probleme gibt, haben Frauen versucht, darüber Klarheit zu schaffen, indem sie zwischen den feministischen Sozialistinnen, deren vorrangige Bindung die zur linken Gruppe ist, der sie angehören, und die von dort aus anfangen, sich mit dem Frauenkampf zu befassen, und den sozialistischen Feministinnen unterscheiden (zu denen ich dann auch gehören würde), deren Hauptengagement in der Frauengruppe liegt, die sich aber bewußt sind, daß es von ihrem Ziel her gesehen notwendig ist, das kapitalistische System zu verändern. Um globale Bewegungen anzudeuten, können diese Begriffe sicherlich verwendet werden, aber es bleibt problematisch, für andere Frauen zu bestimmen, wo ihre größte Verbundenheit, ihr Engagement liegt — einmal ganz davon abgesehen, daß sich das auch verändern und in unterschiedlichen Situationen anders aussehen kann. Wenn ich in diesem Artikel »links« und »feministisch« als eine Art Kürzel dafür benutze, Unterschiede anzudeuten, dann müssen die oben beschriebenen Abstufungen gedanklich einbezogen werden.
Frauen und Männer
Der ursprüngliche Arbeitsprozeß, in dem die Reproduktion — die Sorge für die Familienmitglieder — und die Produktion — das Herstellen der Waren für den Markt — zusammenfielen, hat sich in dieser Gesellschaft in zwei Arbeitsbereiche geteilt und somit auch zwei Gruppen von Menschen geschaffen. Lohnarbeit auf der einen und Hausarbeit auf der anderen Seite. Männer, die hauptsächlich für den einen und Frauen, die hauptsächlich für den anderen Bereich zuständig sind. Unterschiedliche Formen der Arbeit, beide verschieden organisiert. Mit Konsequenzen, die wir sicher noch kaum übersehen können. Die Arbeit der Männer ist durch einen Arbeitsvertrag geregelt, Arbeitgeber auf der einen, Lohnarbeiter auf der anderen Seite. Die Arbeit der Frauen ist durch einen Ehevertrag geregelt, Ernährer auf der einen, Hausfrau auf der anderen Seite.
Die Machtverhältnisse in der Produktion sind größtenteils sichtbar und weitgehend analysiert worden.
Die Machtverhältnisse im Reproduktionsbereich, zu Hause, sind stark individualisiert und damit kaum sichtbar, privat: mystifiziert, weil die ökonomischen Verhältnisse, die Macht der Männer über Frauen, von einem Arbeitsverhältnis, das »Liebe« heißt, überdeckt werden. Die Art, in der Machtverhältnisse aufrechterhalten werden, unterscheidet sich. Die Sozialisation von Mädchen und Jungen ist verschieden. Bei der Lohnarbeit besteht die Gefahr der Entlassung. Bei der Hausarbeit gibt es, außer der Entlassung (Scheidung), die Möglichkeit physischer Gewalt und erzwungener Sexualität. Die Verfügbarkeit für den Arbeitgeber ist eine andere. Männer unterstehen ihrem Arbeitgeber für eine bestimmte Anzahl von Stunden, für die sie sich verkaufen, danach sind sie »frei« und können selbst den Chef spielen. Frauen verkaufen nicht nur eine Anzahl Stunden, sondern ihr ganzes Dasein, ihren Namen, ihre Identität, ihre Zukunftsmöglichkeiten.
Entlassung bedeutet für Männer und Frauen etwas Verschiedenes. Für Männer bedeutet sie eine Einkommenseinbuße von ca. 25%. Für Frauen bedeutet sie einen Abstieg auf die Ebene eines Sozialhilfedaseins oder mühsam erbettelter Alimente, was ihnen nie und nimmer den Lebensstandard ermöglicht, an den sie gewöhnt waren.
Das klingt dramatisch. Oft ist es auch dramatisch. Wie es menschliche Arbeitgeber gibt, so gibt es sicher auch menschliche Ehegatten, die nicht schlagen, die keinen Wert auf Sexualität mit einer Frau legen, die dazu keine Lust hat, die nicht so tun, als sei die Anschaffung der Reproduktionsmittel für den Haushalt, zum Beispiel ein Kühlschrank, ein Geschenk für sie, von »seinem« Geld bezahlt, die um die Vierzig nicht den Wunsch bekommen, ihre Ehegattin gegen ein neueres Modell einzutauschen. Aber es ist möglich. Gibt es für den Lohnarbeiter zumindest noch seine Gewerkschaft und ein minimales Arbeitsrecht, so haben Frauen, solange sie sich nicht mit anderen Frauen zusammen organisieren, außer ihrer eigenen Person nichts, worauf sie zurückgreifen können. Vergewaltigung in einer Ehe gibt es juristisch gesehen nicht. Mißhandlung wird ignoriert. Kein Richter wird sich in die Auseinandersetzung über die Höhe des Haushaltsgeldes einmischen. Die Unterdrückung von Frauen ist in einem Maße individualisiert, daß es diese als politisches Problem fast unsichtbar macht. Ihre Reaktion fällt dann auch unterschiedlich aus. Richten Männer ihre Aggressionen nach außen oder reagieren sie an Menschen ab, die unter ihnen stehen, so richten Frauen ihre Aggressionen gegen sich selbst oder die Kinder. Nicht zufällig ist es so, daß die Gefängnisse voll von Männern und die psychiatrischen Einrichtungen voll von Frauen sind. Ganz allein kann eine Frau, solange sie die Grenzen ihres Isoliertseins und ihres Privat-Lebens nicht durchbricht, nur wenig ausrichten.
Genauso wie es fraglich ist, ob Sozialismus in einem Lande möglich ist, ist es fraglich, ob sich Feminismus in einer Beziehung verwirklichen läßt.
Aus dem Vorangegangenen dürfte klar geworden sein, daß ein Großteil des Widerstandes der Frauen anders aussieht als der der Männer. Der Hauptfeind mag ja letztlich das kapitalistische System sein, doch im alltäglichen Leben wird das System von Männern verkörpert, die sich als »Männer« behaupten, indem sie ihre Unterdrückung an Frauen abreagieren. Oder verkörpert von der lokalen Behörde, von den Beamten des Sozialamtes, von den Sozialarbeitern und von den Schulen. Gerade weil die Arbeitsverhältnisse der Frauen so privatisiert sind, spielt sich auch der Widerstand für einen Großteil in dem ab, was wir »Privat«-Beziehungen nennen. Nicht weil Frauen soviel emotionaler wären, sind weibliche Organisationsformen emotionaler, sondern weil unsere Arbeitsverhältnisse mit unseren persönlichen Beziehungen zusammenfallen. Weil unsere Unterdrückung nicht nur »draußen« stattfindet und auch nicht nur kollektiv, sind unsere Organisationsformen stärker auf »innen« ausgerichtet und oft bescheidener.
Wohl gemerkt, die Organisationsformen sehen für einen großen Teil der Frauen anders aus als die der Männer. Einmal abgesehen davon, daß ein Teil der Frauen auch Lohnarbeiterin ist und an den traditionellen Formen des Gewerkschaftskampfes partizipiert. Aber auch dabei erfahren sie als Frau eine spezifische Ausbeutung, und so ist es dann kein Zufall, daß diese Organisationsformen relativ wenig Frauen anziehen und den Frauen wenig einbringen. Eine Aktion gegen die Neutronenbombe braucht sich nicht automatisch in eine männliche und eine weibliche Organisationsform aufzuspalten. Unter der Umweltverschmutzung leiden wird alle. Streichungen im sozialen Bereich treffen uns auch alle. Arbeitslosigkeit trifft uns erst recht. In einem Abbruchviertel wohnen Männer und Frauen. Aber selbst bei allgemeinen Problemen können wir nicht einfach davon ausgehen, daß sie Männer und Frauen in der gleichen Weise betreffen: Einsparungen im sozialen Bereich treffen Frauen doppelt, weil es ihre Hausarbeit ist, die die schlimmsten Folgen auffangen muß. Arbeitslosigkeit trifft Frauen in stärkerem Maße. In einem Abbruchviertel zu wohnen, ist für alle ärgerlich, aber Frauen wohnen dort nicht nur, sondern arbeiten dort auch den größten Teil des Tages und sind abhängiger von den öffentlichen Verkehrsmitteln als Männer, die das Auto mit zur Arbeit nehmen, um nur ein Beispiel anzuführen.
Feministische Organisationsformen
Vor allem aus den Gesprächsgruppen, aber auch aus den daraus entstandenen Frauenhäusern, Radikaltherapiegruppen, örtlichen Frauenzusammenschlüssen sind neue Organisationsformen entwickelt worden. Das, Arbeiten in kleinen, führungslosen Gruppen. Mit der Betonung auf eigenen Erfahrungen. Das Arbeiten mit Gefühlen. Betrachten wir kurz einige dieser gemeinsamen Merkmale:
Das Sichtbarmachen unsichtbarer Probleme
In der ersten Phase der Neuen Frauenbewegung haben wir noch hauptsächlich auf die Formen der Unterdrückung zurückgegriffen, die sich mit den bestehenden Kategorien begreifen ließen: juristische und sozial-ökonomische Ungleichheit. Die Ziele waren deutlich: gleiche Löhne, gleiche Ausbildungschancen, Kinderkrippen usw. Einige Frauen empfanden ganz intuitiv, daß damit nur an der Oberfläche unserer Unterdrückung gekratzt wurde. Die Wurzeln lagen tiefer, das spürten wir am eigenen Leib, aber wir hatten dafür noch keine Begriffe, keine Worte. Seit den Gesprächsgruppen ist vieles passiert. Jetzt, da die Theorie der Hausarbeit feinsäuberlich auf dem Papier steht, ist kaum noch zu begreifen, daß wir jemals mühsam tastend bei unserem Gefühl, als Hausfrau unterdrückt zu werden, anfangen mußten. Danach sind immer mehr Bereiche ins Bewußtsein gerückt, sichtbar gemacht und erfaßt worden.
Die »sexuelle Revolution« zum Beispiel ist entlarvt und die Ausbeutung unseres Körpers öffentlich angeprangert worden: die Unterordnung unserer Sexualität unter die der Männer, die Übernahme der Vormundschaft über unsere Fortpflanzung von Ärzten, Kirchen, Parlamentariern, die buchstäbliche Inbesitznahme unseres Körpers bei Inzest, Vergewaltigung, Mißhandlung, sowie die symbolische in Pornographie und Werbung.[3]
Wichtiges für diesen Prozeß
- a. In erster Linie haben wir die Macht der Definition entdeckt. Um ein Beispiel dafür zu nennen: Solange Vergewaltigung als das »Von-einem-Unbekannten-ins-Gebüsch-gezerrt-Werden« definiert wurde, verstanden wir nicht, was mit uns passierte, wenn wir von einem »festen« Freund oder dem Bekannten, der anbot, uns im Auto mitzunehmen, zu Sex gezwungen wurden, zu dem wir keine Lust hatten. Männer definieren Vergewaltigung als Sex, und wer konnte dagegen schon etwas haben. Wir definieren, indem wir unserem Gefühl folgen, jede erzwungene Form der Sexualität, auch in einer Ehe, als Gewalt. Indem wir sie mit den herrschenden Machtverhältnissen in Zusammenhang setzen, wird sie über das Individuelle hinausgehoben und zu einem politischen Problem.
Das hat mehrere Dinge zur Folge: Besonders die Frauen wissen jetzt, daß es normal ist, dabei ein Ekelgefühl zu empfinden, und können sich jetzt mit Recht dagegen wehren. Das wiederum hat zur Folge, daß öffentliche Widerstandsformen, wie Demonstrationen gegen sexuelle Gewalt, Häuser für vergewaltigte und mißhandelte Frauen, geschaffen werden. Und das hat zur Folge, daß in dem übrigen Bereich des Zusammenlebens allmählich anders darüber gedacht wird. Wie sich zum Beispiel 1978 beim Prozeß gegen die Hell's Angels zeigte, bei dem zum erstenmal in der niederländischen Rechtssprechung im Schlußvortrag des Staatsanwaltes von dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen und nicht von einer Verletzung der »guten Sitten« gesprochen wurde.[4] - b. Zum anderen begreifen wir allmählich, daß wir noch lange nicht mit dem Übersetzen der »Privaf'-Probleme in politische Probleme und der Neudefinition unserer Wirklichkeit fertig sind. Daß uns das Endprodukt, die Analyse, nie reichen wird, sondern daß wir immer wieder auf unsere eigenen Erfahrungen zurückgehen müssen. Daß unsere Gefühle, gerade weil unsere Arbeitsbedingungen mit unseren privaten Beziehungen zusammenfallen, ein politisches Mittel sind, auf das wir immer zurückgreifen können sollten. Und außerdem wird deutlich, daß es nicht nur um das Endprodukt, die Analyse geht, sondern auch um den ganzen Prozeß, wie wir ihn erleben. Das Entwickeln unserer soziologischen Phantasie, uns derart Kenntnisse anzueignen, daß dabei Gefühl und Verstand nicht voneinander getrennt sind. Ein solches Bewußtwerden, das ungestraft nicht übersprungen werden kann, das nie beendet sein wird. Gerade weil ein großer Teil der Frauenunterdrückung »privat« genannt wird, bleibt es notwendig, sich immer wieder mit persönlichen Erfahrungen, zusammen mit anderen Frauen, zu beschäftigen.[5]
Gegenseitige Unterstützung und Selbsthilfe
Das Persönliche ist politisch, aber das Politische ist auch persönlich. Es kann sicher so sein, daß unsere Probleme eine gesellschaftliche Ursache haben und wir daran gemeinsam arbeiten müssen. Aber wir müssen außerdem dafür sorgen, daß wir als Einzelne auch ein Leben haben. Sicher wissen Frauen, die die Grenzen des Daseins, das Frauen zugestanden wird, überschreiten, daß dieses keine leichte Aufgabe ist. Frauen, die sich wirklich emanzipieren, rufen Aggressionen hervor und sind meistens sogar persönlichen Angriffen ausgesetzt, das läßt sich, wie sich zeigt, kaum vermeiden. Auch Frauen, die wähnen, sich auf der »sicheren« Seite des Emanzipationsprozesses zu bewegen, bekommen früher oder später ihren Ärger. Um ein Beispiel dafür zu nennen: Frauen, die den Zweiten Bildungsweg gehen, glauben oft, sie hätten sich damit für eine recht unschuldige Form der Selbstverwirklichung entschieden; niemand verdächtigt sie, plötzlich schreiende Feministinnen zu sein. Und trotzdem. Ihre Männer beginnen zu murren, wenn sie, statt Staub zu wischen, ihre Hausaufgaben machen. In den Männern regen sich Angstgefühle, ihre Frauen könnten sich weiter entwickeln als sie, sie beginnen, gewalttätigen Widerstand zu leisten, wenn sie abends noch mal weggehen, oder verbieten es ihnen einfach.[6]
Die Kinder wollen ein anderes Fernsehprogramm sehen, wenn sie sich das Studienprogramm anschauen wollen, oder sie vertragen es nicht, wenn die Mütter ihnen keine Aufmerksamkeit schenken. Sie müssen um einen ruhigen Platz für ihre Hausaufgaben kämpfen. Die Frau, die sich gegen die Widerstände ihrer Umgebung wehren muß, braucht andere Frauen, die sie dabei unterstützen, denn schließlich geht sie gegen die eigene Sozialisation an, die ihr vorschreibt, daß sie vor allem für ihre Familie da zu sein hat. Und die möglichen Sanktionen, wenn sie zu weit geht, sind nicht klein. Außer der Tatsache, daß Frauen einander als Unterstützung bei ihrem Veränderungsprozeß brauchen, lernen wir auch durch das Austauschen solcher Erfahrungen, durch das ständige Ankämpfen gegen Widerstände, daß alles miteinander zusammenhängt. Es gibt keine einzige bessere didaktische Methode als die, aus eigener Erfahrung zu lernen — daß die Möglichkeiten zum Weiterlernen in Den Haag (Regierungssitz) bestimmt werden, daß der Wert eines Diploms mit der Macht im Wirtschaftsleben zusammenhängt. Daß du mit anderen Frauen zusammen Gemeinderatsmitglieder zur Verantwortung rufen kannst. Daß ihr zu sechst dem Hausarzt Manieren beibringen könnt. Und daß dein Mann nicht stirbt, wenn er mal selbst für sein warmes Essen sorgen muß.
Frauen brauchen einander für ganz konkrete Hilfestellungen und zur Selbsthilfe. Im kleinen Rahmen, wenn Frauen andere Frauen, die Angst haben, allein auf die Straße zu gehen, zu einem Treffen abholen, oder wenn Frauen für den Fall, daß eine depressiv wird, telefonisch erreichbar sind. Im größeren Rahmen, wenn Frauen, die von der Sozialhilfe leben, lesbische Frauen, ältere Frauen ihre eigenen Interessengruppen bilden. Der naheliegendste Grund dafür, daß Frauen die Unterstützung von Gruppen brauchen, ist nämlich, daß sie in den meisten Fällen keine Hausfrau oder Freundin haben, die sie auffängt, wenn sie nach Hause kommen, wie es bei Männern der Fall ist. Es würde für uns nicht leicht durchzuhalten sein, so zu leben wie die Männer leben sollen: bei der Arbeit oder in der Politik hart, rational und sachlich zu Hause sanft, erotisch und gefühlvoll. Wir können das nicht, aber wir wollen es auch gar nicht lernen. Unter Schizophrenie leidet deine Seele. Also suchen wir lieber in unseren politischen Organisationsformen immer wieder nach Arbeitsformen, die auch Spaß machen. Berücksichtigen, daß Gefühlsverfassungen ein integraler Bestandteil von politischen Zusammenkünften sind. So daß diese Treffen und die Arbeitsgruppen manchmal eher intimen Festen ähneln.
Eine Frauenkultur
Überall in der Frauenbewegung entstehen Plätze für einen eigenen Bereich, eine Frauenkultur. Ich meine damit nicht nur »Kunst«, sondern auch das Einüben eigener Umgangsformen und die Plätze, wo Frauen auftanken können.7 Das Wiederfinden eigener Kreativität, die hauptsächlich in unseren Makramearbeiten zum Aufhängen der Blumentöpfe und in den gestrickten Jäckchen für die Kinder verschwand. Hinter vielen Äußerungen von Frauenkultur, zum Beispiel die Frauenhäuser, -kneipen und -cafes, die Frauenfestivals, steckt eine separatistische Ideologie: der Glaube, daß die Welt sich verändern wird, wenn Frauen nur aufhören, ihre Energien noch länger an Männer zu verschwenden, Frauenkultur als Ziel an sich. Ich fühle mich in dieser Ideologie nicht immer zu Hause. (Ich finde auch, daß Frauen mehr Energie ineinander investieren sollten, und Männer lieber selbst lernen sollten, die Verantwortlichkeit für ihr eigenes emotionales und körperliches Wohlbefinden zu tragen, aber das sehe ich als eine Voraussetzung an — die an sich schon automatisch gesellschaftsverändernd wirkt — und nicht als ein Ziel.) Obwohl ich natürlich von der Notwendigkeit einer Frauenkultur überzeugt bin. Wir brauchen unsere Fernes, die Frauencamps, Frauenfilme, Frauentage, und zwar nicht nur, um fröhlich zu bleiben. Sie haben auch noch andere Funktionen:
- a. Zum Beispiel die, ein Selbstbild zu schaffen. In der herrschenden Männerkultur begegnen wir uns als dumm, unfähig, schwach, ohne eigene Sexualität, immer im Schatten eines Mannes und wenn nicht, bemitleidenswert. Mit einer Frauenkultur schaffen wir neue Bilder von uns selbst, die wir brauchen, um die alte Indoktrination abzulegen. Die Amazonen auf Pferden auf dem Frauenfestival mögen ideologisch zwar nicht zu verantworten sein, aber der Stolz steckt an und ist verführerisch; so können Frauen also auch sein, stolz und stark. Das Aufbauen eines Frauenverlages bringt nicht nur feministische Bücher hervor, sondern auch das tolle Gefühl, daß wir eine Arbeit leisten können, von der wir früher glaubten, nur Männer könnten so etwas.
- b. Eine andere Funktion ist die des Einübens anderer Umgangsformen. Frauen sind nicht daran gewöhnt, sich selbst und einander nett zu finden und zu achten. Auf den Frauenstudientagen haben wir im Laufe der Zeit gemerkt, daß es mehr Eindruck machte, eine ganze Woche lang miteinander zu arbeiten und mit Frauen Feste zu feiern, und auch mehr motivierte als die ganze schöne Theorie, die angeboten wurde. Solange sich Frauen nicht vorstellen können, daß andere Frauen eine nette Gesellschaft sein können, solange wird es wenig Gründe und zuviel Angst geben, um sich in bezug auf Männer selbständiger zu machen.
- c. Und im Zusammenhang damit steht die Vision einer Zukunft, der Traum. Aus meiner linken Vergangenheit heraus glaubte ich, daß Menschen hauptsächlich durch das Erkennen der Tatsache, daß sie unterdrückt werden, zu mobilisieren seien. Unsere Arbeit mit Frauen hat uns gezeigt, wie selten Menschen zu sich durchdringen lassen, daß sie unterdrückt sind, es sei denn, sie können selbst erfahren, daß das Leben auch anders aussehen kann. Daß es auch anders geht, läßt sich nicht abstrakt in Bildern des kommenden Heilsstaates vermitteln. Die als erste sich der Bewegung anschließen, sind nicht immer die Frauen, die am mürbesten geschlagen worden sind. Es sind meistens die Frauen, die entdecken, daß sie auch Freude am Leben haben können, egal, ob sie das nun in einem Kursus merken und finden, sie haben die ganze Zeit ihren eigenen Kopf unterschätzt, oder erfahren, daß auch eine Frau ihnen sagen kann, sie haben schöne Augen. Um an eine bessere Zukunft zu glauben, mußt du diese sehen können, auch wenn es nur durch den Türspalt ist. Die unterschiedlichen Formen der Frauenkultur können also ebenfalls als das Erleben dessen, daß es anders geht, angesehen werden, auch wenn es sich dabei nur um einen kurzen Blick handelt. Utopisch, aber notwendig. Und damit wird deutlich, daß unsere »Kampfkultur« nicht nur das böse Geschrei des Klagens über unsere Unterdrückung ist, sondern auch das Feiern dessen, was wir können und was wir aneinander haben.
Was habe ich damit gesagt? Sicher nicht, daß der Feminismus nur daraus besteht, daß wir uns in liebevollen, kleinen Gruppen mit der Neudefinierung unserer Existenz befassen. Die Grenzen der Organisation in kleinen Gruppen, den Fraueninseln und Auftankstationen sind deutlich. Nackt in einem Frauenkamp in Fondgum zu tanzen, reicht nicht aus, um das kapitalistisch-patriarchalische System zu verändern, das wissen wir schon. Und einige Frauen leben noch nicht einmal in solchen Verhältnissen, daß sie ungestraft an Aktionen der Frauenbewegung teilnehmen können, weil es ihnen ihr Mann nicht erlaubt, und sie sich nicht erlauben können, ungehorsam zu sein. Andere Frauen haben keine Zeit, kein Geld oder vier Kinder. Unser Leben wird noch immer zum größten Teil von ökonomischen Umständen bestimmt. Wir kommen nicht darum herum, auch für soziale Einrichtungen, Arbeitsplätze und Wohnungen kämpfen zu müssen. Das bedeutet, daß wir auch in den kälteren Strukturen des Parlaments, einer Gewerkschaft oder Aktionsgruppe arbeiten können müssen.
Die Schwierigkeit dabei ist, daß es nicht nur um eine Wahl zwischen dem einen oder dem anderen geht. Zu wählen können wir uns nicht erlauben. Ohne die feministischen Formen, die Wärme, das Aufheben der Isolierung, das Sichtbarmachen unserer »Privat«-Probleme halten wir es in Gewerkschaften und Parteien nicht aus — das wissen wir von früher. Dennoch können wir nicht nur in unserer freundlichen Frauengruppe an uns selbst arbeiten, während in der Zwischenzeit die sozialen Einrichtungen weiter abgebaut werden.
In allen Frauengruppen, die gut funktionieren, finden wir die Merkmale wieder, die schon genannt worden sind: das Sichtbarmachen der Probleme, die gegenseitige Unterstützung, ein besonderer Bereich, der sich mit dem »Privat«-Leben auseinandersetzt. Manchmal bewußt eingerichtet, manchmal als eher zufällige Begleiterscheinung oder Gemütlichkeit. Es ist wichtig, diese Merkmale bewußt zu handhaben, nicht nur als eine Art Lockmittel für neue Mitglieder, sondern vor allem wegen der politischen Bedeutung dieser Merkmale: die Erkenntnis, daß der Kampf um ein besseres Leben nicht nur über die Produktion erkämpft werden muß, sondern daß es auch darum geht, das »Privat«-Leben als politischen Bereich zu bezeichnen.
Das riesige Problem, vor dem wir in dieser Phase der Frauenbewegung stehen, ist, wie wir die unterschiedlichen Organisationsformen miteinander kombinieren. Wie wir stark werden, ohne dabei unsere Zärtlichkeit zu verlieren. Dafür gibt es nicht nur eine Lösungsmöglichkeit. Daran arbeiten wir auf verschiedenen Ebenen in unterschiedlicher Weise und mit wechselndem Erfolg. Zumindest indem wir erkennen, daß es genauso wichtig ist für das Zusammengehörigkeitsgefühl, nach der Versammlung gemeinsam noch einen trinken zu gehen, wie die Versammlung selber, aber auch durch unsere Mitarbeit in, beispielsweise, Gewerkschaftsgruppen mit wechsenden Vorsitzenden, mit möglichst wenigen festen Vertreterinnen nach außen hin und, neben den großen Versammlungen, mit wichtigen Persönlichkeiten auch in kleinen Arbeitsgruppen, die sich mit Untersuchungen befassen und sich gegenseitig unterstützen. Leicht ist das nicht, wie es sich gezeigt hat. Das Bedürfnis, Erfahrungen auszutauschen, wird schon mal von Tagesordnungen mit viel zu vielen sachlichen Punkten, die nun einmal besprochen werden müssen, verdrängt. Persönliche Beziehungen und intensives Kennenlernen sind in Gruppen, die aus mehr als zwölf Frauen bestehen, kaum noch möglich. Ein feministischer Verlag z.B. kann sich deshalb entschließen, nicht größer zu werden, aber eine Gewerkschaftsgruppe kann sich das nicht erlauben, weil ihre Macht viel stärker von der Zahl der Mitglieder abhängig ist.
Auch das Forum ist jetzt in eine Phase der »Umsetzungs«schwierigkeiten gekommen. Wie können wir auf einer Arbeitstagung mit zweihundertfünfzig Frauen die gleiche Einheit aus eigenen Erfahrungen und theoretischem Wissen herstellen, wie es sicher in einerGruppe mit zehn Frauen gelingt? Wie halten wir das Prinzip aufrecht, daß jede Frau für sich selbst spricht, wenn wir von außen unter Druck gesetzt werden, Stellung zu beziehen? Wie können wir auf großen Versammlungen, auf denen fast .nur in einer Versammlungsund Antragssprache gesprochen wird, dafür sorgen, daß die Gefühle nicht unter den Tisch gekehrt werden? Was machen wir, wenn sich herausstellt, daß die innerhalb der Bewegung unterschiedlichen Arbeitsweisen nicht nebeneinander existieren können, sondern gegeneinander arbeiten? Wie können wir die ökonomischen Voraussetzungen unserer Existenz in entsprechende Aktionen umsetzen, ohne dabei zu vergessen, daß wir damit nur einen Teil unserer Unterdrückung erfassen?
Wir haben noch keine Antworten auf diese Fragen, aber wir sind dabei, sie zu erarbeiten. Für mich ist zumindest klar, daß wir nicht weiterkommen, wenn wir uns unter dem Druck der Schwierigkeiten dazu verführen lassen, uns einseitig für die sicheren, kleinen feministischen Formen oder einseitig für die scheinbar sicheren alten Kampfmethoden der Parteien oder Aktionsgruppen zu entscheiden. In unserer Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit können wir nicht ungestraft der harten Aktion den Vorrang gegenüber kleinen Aktionen geben oder umgekehrt. Es geht, wie wir es auch betrachten, nicht nur um subjektive Interessen, nicht nur um subjektive Bedürfnisse, sondern immer auch um objektive Interessen.
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Das feministisch-sozialistische Forum ist vor einigen Jahren von einigen hundert Frauen aufgebaut worden. Es ist aus dem Bedürfnis nach einer lockeren Organisationsform entstanden, um so den Kontakt untereinander aufrechtzuerhalten, zusammen zu arbeiten und Erfahrungen mit anderen Frauen, die sich auch irgendwo auf der Linie zwischen Feminismus und Sozialismus befinden, austauschen zu können. Dem waren schon einige Erfahrungen vorausgegangen.
Zum einen waren einige Frauen vorher in der »Dollen Mina« aktiv gewesen. Die »Dolle Mina« war einmal eine Gruppe mit vielen Anhängerinnen. Dann, hauptsächlich durch die harten Auseinandersetzungen, vor allem seitens der geschulten Starrköpfe aus der linken Bewegung, den »alten Hasen« mit ihrer dogmatischen Haltung, wurde sie bis auf eine kleine Zahl mehr oder weniger selbständig arbeitender Arbeitsgruppen ausgedünnt. Daraus lernen wir, daß eine Frauenbewegung, die Männer zuläßt, keine Frauenbewegung wird. Daß der Versuch, künstlich eine weltanschauliche Einheit zu schaffen, indem gemeinsame Ausgangspunkte formuliert werden, eher die Bewegung spaltet, als sie vereinigt. Daß eine Analyse des Kapitalismus nicht automatisch zu einer wirksamen antikapitalistischen Strategie führt und ein Katalog von Forderungen nicht automatisch Menschen mobilisiert. Und daß nur wenige Frauen sich bei den aus der linken Bewegung übernommenen Massenaktionsversammlungen, den Abstimmungskongressen und den Aktionsprogrammen wohlfühlen und die meisten sich dann absetzen.
Ähnliche Erfahrungen machten wir auch in England, wo wir miterleben konnten, wie der nationale Jahreskongreß in immer stärkerem Maße von den Frauen aus den linken Gruppen lahmgelegt wurde. Als sich auf einem dieser Kongresse herausstellte, daß die eingereichten Unterlagen nahezu alle von den trotzkistischen, den maoistischen und den kommunistischen Frauen verfaßt worden waren und sich vor allem mit der Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der Frauenbewegung mit der »Arbeiterbewegung« (damit war meistens der eigene politische Klub gemeint) befaßten, zogen sich immer mehr feministische Frauen frustriert zurück. Inzwischen hat sich gezeigt, daß die mit Ach und Krach angenommene »working women's charter«, die aus einem Zehnpunkteprogramm besteht, nicht zu einer Massenmobilisation der Arbeiterfrauen führte, und es hat sich herausgestellt, daß mit dem Sechspunkteprogramm, das die gesamte Frauenbewegung mit Mühe und Not angenommen hatte, offene Türen eingelaufen wurden und es deswegen völlig sinnlos war: Niemand war mehr gegen die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs oder gegen gleiche Löhne, lediglich der Punkt über die Unterdrückung der lesbischen Frauen wurde von der maoistischen Delegation als bürgerliche Dekadenz abgelehnt. Die englische Frauenbewegung zog sich auf örtliche Gruppen und auf die autonomen Projekte zurück, und es dauerte einige Jahre, bevor vorsichtig, themenbezogen, neue Versuche gemacht wurden, zu einer stärkeren Zusammenarbeit zu kommen.[8]
Aus Fehlern können wir lernen. Als wir in den Niederlanden mit dem Forum anfingen, hatten wir ein paar Dinge ganz deutlich vor Augen:
- es ist von Nutzen, wenn wir mehr über die Arbeit voneinander wissen;
- es muß möglich sein, sich gegenseitig zu Aktionen aufzurufen;
- wir wollen keine kopflastige Organisation;
- eine formelle Mitgliedschaft ist nicht nötig und schreckt Frauen ab, die zwar schon interessiert, aber noch nicht »bekehrt« sind;
- es gibt neben den Organisationen mit einem klaren Programm (MUM-Mann-Frau-Gesellschaft, Dolle Mina, Rote Frauen, Niederländischer Frauenbund, Frauen in der Pazifistisch-Sozialistischen Partei usw.) kein Bedürfnis nach einer weiteren ähnlichen Organisation mit einem wieder etwas anderen politischen Programm;
- es ist sicher sinnvoll, Arbeitstagungen zu einem Thema oder mit einer Kontaktgruppe aus bestimmten Arbeitsbereichen wie Schulen, Gesundheitsfürsorge, Wohlfahrtseinrichtungen usw. zu organisieren.
Es entstand im Laufe einiger Jahre ein feministisch-sozialistischer »Nieuwsbrief« mit einer immer höheren Auflage, eine Art Adressensystem, das jede benutzen konnte und gleichzeitig ein Verzeichnis der Arbeitsgruppen und Kontaktfrauen enthielt, die bei der Organisation von feministisch-sozialistischen Arbeitsgruppen oder Arbeitstagungen Hilfe leisten konnten.
Ganz unproblematisch war die lockere Organisationsform des Forums schon kurz nach Beginn nicht mehr. Die Anzahl der Interessierten stieg von anfangs einigen hundert Frauen innerhalb kürzester Zeit auf einige tausend. Die ersten Schwierigkeiten zwischen »Vorkämpferinnen« und »Gefolgschaft« traten auf:
- Die ersten Feministinnen mußten alles ganz neu aufbauen. Es wurde nichts für sie geregelt, und sie erwarteten das auch nicht. Die enorm vielen neuen Frauen, die sich später anschlössen, brachten oft ihre Erwartungshaltungen aus anderen Organisationen mit. In der Gewerkschaft bist du »organisiert«, wenn du deinen Beitrag bezahlst. Bei den »Roten Frauen« gibt es Schulungsgruppen und Abteilungsversammlungen und Wahlen. Vom Forum kannst du kein Mitglied werden, feministisch-sozialistische Gruppen mußt du selbst ins Leben rufen, es gibt keine Leitung, die die politische Linie genau vorgibt oder an die du dich mit Beschwerden wenden kannst. Das verwirrte, war das Forum nun eine Organisation oder nicht?
- Ein zweites großes Problem war, daß ein großer Teil der feministischen Analyse jetzt auf dem Papier stand und für viele Frauen leicht zugänglich war. So wie wir früher glaubten, daß aus einem Menschen ein Sozialist werden kann, wenn er ein entsprechendes Buch liest, war es jetzt möglich, aus der Theorie allein feministisch zu werden. Daraus entstand das Bedürfnis, auch etwas zu tun. Aber es sind zwei ganz verschiedene Prozesse, ob die Theorie aus der Praxis heraus entwickelt oder ob zu einer bereits existierenden Theorie eine passende Praxis gesucht wird. Viele Frauen stürzten sich also auf die Frauenbewegung als Betätigungsfeld.
Gleichzeitig entstanden jetzt neue Schwierigkeiten, als die linke Bewegung sich für die Frauenbewegung zu interessieren begann. Eine dafür typische Äußerung sehen wir in den Versuchen, die Frauenbewegung stärker dem »allgemeinen« und »politischeren« Klassenkampf einzuverleiben, sobald sich zeigte, daß die Frauenbewegung nicht einfach nur eine Elite ist, die man negieren kann. Versuche auf der theoretischen Ebene, die Unterdrückung der Frauen auf die Ausbeutung der »Hausarbeit« durch das Kapital zu reduzieren, so daß wir doch schön Hand in Hand gegen den großen Feind angehen können und nur kurz vergessen müssen, daß nicht allein das Kapital von unserer Hausarbeit profitiert, sondern auch die Herren, mit denen wir Hand in Hand mitlaufen sollen. Auf der praktischen Ebene die Versuche, über die Frauen Führungspositionen in der Frauenbewegung zu erobern. Ein anderer positiverer Ausdruck liegt im starken Zulauf der linken Frauen mit wenig Erfahrung in Frauengruppen, die die feministischsozialistische Bewegung als Tor zur ganzen Bewegung betrachten. Die zwar an einer Einheit zwischen Feminismus und Sozialismus arbeiten wollen, aber — genauso wie die anderen Frauen — ihre eigenen Aktionserfahrungen, Frustrationen und Prägungen mitbringen. Und damit tauchen dann auch in der feministisch-sozialistischen Bewegung die alten linken Organisationsformen auf:
- das Vertrauen auf die Analyse als Mittel, um die »richtige« Strategie zu finden. Und dann vor allem die politisch ökonomische Analyse;
- das Suchen nach »der« Strategie, nach dem einen Hebel mit dem das ganze System aus den Angeln gehoben werden kann, statt sich die vielen kleinen und großen Teilschritte, die Frauen, wie sich gezeigt hat, bei ihrem Befreiungskampf brauchen, anzusehen;
- das Vertrauen auf Massenaktionen als die beste, politischste Form, Vertrauen auf Kongresse mit Anträgen und Abstimmungen, auf Massendemonstrationen;
- die Versuche, den Feminismus in sozial-ökonomische Forderungen zu übersetzen und den Rest einfach beiseite zu lassen. Das Vertrauen auf die Tatsache, daß »Forderungen an sich« schon Menschen mobilisieren;
- die Betonung der Zusammengehörigkeit mit der Arbeiterbewegung, hinter der - außer der Idee, daß der »Frauenkampf« nur einen Teil der Bevölkerung angeht, während der »Klassenkampf etwas allgemein menschliches ist - nicht selten auch ein Stück alter Konditionierung steckt: die Angst, die Billigung der Männer zu verlieren oder ohne Männer leben zu müssen.
Solange die Bewegung nur aus kleinen autonomen, nebeneinander arbeitenden Gruppen bestand, kam es nur selten zu Reibungen. Aber kaum beginnen wir, an der Einheit zwischen Feminismus und Sozialismus zu arbeiten, scheinen Konflikte unvermeidlich: Im Forum werden genau die Trennungslinien zwischen den unterschiedlichen Strömungen, die es zu vereinigen gilt, sichtbar.
Es stellt sich heraus, daß es in der Praxis schwieriger ist als in der Theorie, Feminismus und Sozialismus miteinander zu verbinden. Es zeigt sich, daß der Ruf nach »Einheit« paradoxerweise die stärkste Teilung hervorbringt. So ganz neu ist das natürlich auch nicht: Schon so manche linke Gruppe hat ihre Spaltung den gleichen Mechanismen zu verdanken. Nun laufen also mehrere Prozesse durcheinander und gegeneinander:
Wir sind dabei, die Errungenschaften aus der ersten Phase der Frauenbewegung, die feministischen Organisationsformen, in Ziele umzusetzen, die über die der ersten Phase hinausgehen. Zum Beispiel versuchen wir in Arbeitsgruppen an der Universität nach den gleichen Prinzipien zu arbeiten, die wir in den Gesprächsgruppen gelernt haben: nur mit Frauen zusammen und bei den eigenen Erfahrungen anzusetzen. Oder indem wir nun bei Demonstrationen nicht nur eine schweigende Menschenmasse sind, sondern, wie bei den Demonstrationen gegen sexuelle Gewalt, zeigen, was es für uns, die Frauen, bedeutet.9 Oder indem wir versuchen, in einer Gewerkschaft neben den großen Versammlungen auch weiterhin in kleinen Gruppen zu arbeiten, wodurch wir der Tatsache, wie für Frauen die Lohnarbeit mit ihrem persönlichen Leben zusammenhängt, mehr Aufmerksamkeit widmen können. Wie sich zeigt, ist das nicht so einfach und geht mit vielen Anläufen und Fehlschlägen, Ausprobieren und erneuten Versuchen einher, vor allem mit der Schwierigkeit, Erfahrungen zu verwerten und zu übertragen. Bewußt daraus zu lernen.
Hinzu kommt das Problem, daß die Entwicklungsgeschichte einer Bewegung nie geradlinig verlaufen kann: Eine neue Generation kann nicht einfach dort weitermachen, wo die alte aufgehört hat, oder an dem Punkt einsteigen, an dem die alte gerade steht, sondern muß ihre eigenen Erfahrungen verarbeiten. Dabei bleibt eine Spannung bestehen zwischen dem Maß, in dem die Frauen der ersten Stunde ihre Erfahrungen weitergeben können, so daß eine neue Generation nicht wieder bei Null anfangen muß, und dem Maß, in dem Erfahrungen nun einmal gemacht werden müssen - mit allen ihren Konsequenzen, den Fehlern, aber auch den neuen Entdeckungen und Formen, die dazu gehören. Und wenn sich aus dieser Spannung heraus das Bedürfnis nach Klarheit, nach einer eindeutigeren Linie entwickelt, besteht die Gefahr, in linke Organisationsformen zurückzufallen, die zumindest Klarheit und Einheit suggerieren. Ich nenne dieses bewußt »zurückfallen«, weil ich nicht daran glaube, daß die traditionellen linken Organisationsformen einfach der Frauenbewegung übergestülpt werden können.
Die Vorstellungen von Massenstreiks, die kollektiven Parolen, die gehobenen Fäuste, die ökonomischen Forderungen sind aus dem Kampf der hauptsächlich männlichen Lohnarbeiter entstanden, und es ist fraglich, ob sie überhaupt noch für die Menschen, die sie entwickelt haben, wirkungsvoll sind, wenn wir feststellen, daß nur noch wenig Lebendiges in den Arbeiterorganisationen steckt. Die Frauenbewegung muß eigene Formen entwickeln hinsichtlich der subjektiven Bedürfnisse und der objektiven Interessen der Frauen, in denen die ursprünglichen Inhalte der ersten Frauengruppen, von denen sich gezeigt hat, daß sie effektiv sind, mit verarbeitet werden.
Wie es mit dem Forum weitergehen wird, ist noch nicht klar. Im Augenblick gibt es dort eine Pattsituation; die Diskussion wiederholt sich auf jeder Arbeitstagung wieder.[13] Auf der einen Seite befinden sich die Frauen, die laut eine Abstimmung über eine klarere Organisationsform verlangen; auf der anderen Seite die Frauen, die sich weigern abzustimmen, weil sie meinen, daß die Stärke der feministisch-sozialistischen Bewegung gerade in der Vielfalt der Formen liegt, somit die Wahl und Abstimmung für eine Organisationsstruktur strittig ist und im Höchstfall zu einer Organisation neben anderen führen kann statt zu einer Bewegung. Und dazwischen steht der größte Teil: Frauen, die sich zu fragen beginnen, was sie dort eigentlich suchen.
In der Zwischenzeit geht die Arbeit in der Praxis außerhalb des Forums normal weiter.
Auch wenn die feministisch-sozialistische Bewegung zu einer feministisch-sozialistischen Organisation neben anderen würde, werden die Arbeitsgruppen, Ortsgruppen, Interessengruppen und Aktionen sicher weitergehen. In ihrem kurzen Bestehen hat die Frauenbewegung einen Erfindungsreichtum, eine Flexibilität und eine Formenvielfalt entwickelt, die nicht so einfach verschwinden wird. Schade wäre es sicher um die viele investierte Energie, sehr schade wäre es, wenn sich, genau wie damals, viele neue Frauen absetzten.
Schlußfolgerungen oder Stellungnahmen
- Eine Organisationsform bestimmt nicht nur, was überhaupt organisiert, sondern auch, was nicht organisiert wird. So ist es kein Zufall, daß in stark traditionellen Formen, zum Beispiel kongreßähnlichen Arbeitstagungen, fast schon per Definition die neueren, feministischen Formen verschwinden, unsichtbar werden. Der verbale Argumentationsstil, der notgedrungen vorherrscht, wenn Entscheidungen gefällt werden müssen, läßt wenig Raum für Formen, die weniger auf Worte und mehr auf Gefühle, Erfahrungen und dergleichen gegründet sind. Das ist natürlich kein Grund, nun keine großen Zusammenkünfte mehr zu organisieren, doch Grund genug, uns darüber bewußt zu sein, welche Einschränkungen die Organisationsformen mit sich bringen, was wir damit organisieren.
- Nicht zufällig ist es so, daß aus der Frauenbewegung andere Organisationsformen als aus der linken Bewegung entwickelt werden. Weil sich unsere Unterdrückung großteils zu Hause, in den persönlichen Beziehungen abspielt, werden viele der damit zusammenhängenden Widerstandsformen in kleineren und emotionaleren Schlitten bestehen.
- Es ist nicht so, daß kleine Schritte oder mehr emotionale Formen nun die einzigen wirklich feministischen Organisationsformen wären und alle Massenaktionen, Demonstrationen, Aktionskomitees per Definition »männlich« und damit verwerflich. Es geht vielmehr darum, immer wieder von neuem das, was wir organisieren wollen, genau zu betrachten und dann zu entscheiden, wie wir es organisieren wollen. Und angesichts der Tatsache, daß sich die Unterdrückung der Frauen nicht nur aus einer Ursache ableiten läßt und sich auf vielen verschiedenen Ebenen abspielt, werden notwendigerweise auch die Widerstandsmomente auf verschiedenen Ebenen stattfinden: ein Neben-und Miteinander von Gesprächsgruppen, Interessengruppen älterer Frauen, Spontanaktionen lesbischer Frauen, nationalen Aktionen für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, Frauenkabaretts, Arbeitsgruppen an den Universitäten und Demonstrationszügen wie der der Amsterdamer Putzfrauen etc.
- Ein zu stark betriebener Versuch in die Richtung, die verschiedenen Organisationsformen zu einer Einheit zusammenzufassen, führt eher zu Verhärtung und Spaltung als zu Stärke. Frauen, die ihren Blick einzig auf objektive Interessen richten, entwickeln Organisationsformen, die die emotionalen Prozesse, das Bloßlegen der Machtverhältnisse im »Privat«-Bereich nicht berücksichtigen, obwohl diese schließlich ebensoviel mit objektiven Interessen zu tun haben, die zu jedem Emanzipationsprozeß - und sicher zu dem der Frauen - gehören und sich auf die Gebiete der Unterdrückung von Frauen beschränken, die sehr einfach als objektive Interessen und ökonomische Forderungen zu übersetzen sind. Frauen, die einen Blick einzig für subjektive Interessen haben, drohen in den kleinen, warmen und emotionalen Gruppen steckenzubleiben, wodurch sicher ein Teil des eigenen Lebens angenehmer wird, aber die Wirkung auf das kapitalistisch-patriarchalische System nicht groß genug ist.
- Es geht nicht allein um die Existenz der unterschiedlichen Formen nebeneinander. Gerade weil für Frauen Arbeits-und Gefühlsbeziehungen so miteinander verwoben sind, haben wir die Chance, Organisationsformen zu entwickeln, die beide Ebenen einbeziehen. Daß dies nicht einfach ist, ist kein Grund dafür, in alte Organisationsformen zurückzufallen, von denen wir mittlerweile wissen könnten, daß sie nicht bei der Stellung der Frau ansetzen und nicht wirksam genug sind. Auf jeden Fall haben Frauen wenig davon, einfach nur die linken Organisationsformen zu imitieren, die aus anderen Unterdrückungsformen entwickelt worden sind, und wir haben keinen Grund, diese uns als eine Art »höhere« politische Form zuzulegen.
Zum Schluß: Diese Diskussion muß auf andere feministische Organisationen ausgeweitet werden: Inwieweit sind die alten linken Organisationsformen überhaupt noch für Nicht-Frauen geeignet, wenn wir sehen, daß es auch zwischen linken Parteien und direkten Interessenvertretern, zum Beispiel Stadtteilkomitees, zu Zusammenstößen kommt?
Die Auseinandersetzung über Organisationsformen läuft auch in anderen Bewegungen als der Frauenbewegung. Es ist auch in unserem Interesse, daß die linke Bewegung sich nicht nur auf die traditionellen Formen beschränkt. Solange linke Organisationen sich lediglich mit den objektiven Interessen ihrer Mitglieder beschäftigen und das Privatleben als unpolitisch abtun und es nicht weiter berücksichtigen, solange werden Frauen mit den subjektiven Bedürfnissen der Männer konfrontiert werden, die im »Privat«-Bereich befriedigt werden müssen. Und solange die Arbeitsteilung weiterexistiert, wird als konkrete Folge ein großer Teil der Unzufriedenheit, die die Männer sich in dem System zuziehen, auf die Frauen abreagiert werden, ob das nun über die nicht sehr subtile Gewalt der Mißhandlung und Vergewaltigung geschieht oder über die subtile Unterordnung der Bedürfnisse der Frauen unter die der Männer.[10]