Feministische Erkenntnistheorien (II)

Andere »Andere« und gebrochene Identitäten

Nunmehr sind wir in der Lage, die inneren Inkohärenzen der standpunktbezogenen feministischen Erkenntnistheorien zu erforschen. Wir wollen vorausschicken, daß es im neunzehnten Jahrhundert vielleicht nur eine einzige erkenntnistheoretisch überlegene Gruppierung gegeben hat, die zur rechten Zeit am rechten historischen Platz war: das Proletariat. Nehmen aber gegenwärtig einzig die Frauen diesen Platz ein? Und wenn das nicht der Fall ist, welcher Art sind dann die geistigen und politischen Beziehungen zwischen den wissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Entwürfen des Feminismus und ähnlichen Projekten der anderen Gruppen? Sind, so ist weiter zu fragen, Frauen oder selbst Feministinnen eine »Gruppe« in dem Sinne, wie es die standpunktbezogenen Erkenntnistheorien erfordern? Gibt es nicht andere selbst-bewußte politische Projekte, die vielen Frauen und Feministinnen ein Gefühl eigener Identität und politischer Loyalität vermitteln, welches zur Metaphysik und Politik der Standpunkttheorien ein eher distanziertes Verhältnis hat?

Kann es, kurz gesagt, einen feministischen erkenntnistheoretischen Standpunkt geben, wenn so viele Frauen sich »gebrochene Identitäten« zu eigen machen, wie etwa schwarze Frauen, asiatische Frauen, eingeborene amerikanische Frauen, Frauen der Arbeiterklasse, lesbische Frauen? Untergraben diese Identitäten nicht die standpunktbezogene Annahme, daß die gemeinsamen Erfahrungen von Frauen (als Frauen) Identitäten hervorbringen, die den Boden für eine spezifische Erkenntnistheorie und Politik zu bereiten in der Lage sind? Selbst die berüchtigte »Bindestrich-Politik« politischer und theoretischer Positionen im Feminismus sozialistisch-feministisch, radikal-feministisch, lesbisch-feministisch, lesbisch-sozialistisch-feministisch etc. - verrät ein Hochgefühl, das dafür spricht, wie unterschiedlich die Frauen wahrnehmen, wer wir sind und wie die Politik beschaffen sein müßte, die uns durch unsere alltäglichen sozialen Lebensverhältnisse tragen kann. Diese Hochstimmung ist dem Gefühl vergleichbar, das viele Frauen anfänglich verspürten, als sie begeistert das ergriffen, was mit dem entehrenden Etikett »Frau« bezeichnet worden war. Und es ist genau dieses in der »Bindestrich-Politik« sich äußernde Hochgefühl, das in den Standpunkttheorien entwertet und unsichtbar gemacht zu werden scheint, und von dem meine eigene zwiespältige Haltung sich herleitet.[1] Das Beharren auf gebrochenen Identitäten verweist auf die Bedeutsamkeit von Unterschieden in der Politik der Frauen - was immer unsere Erfahrung an Gemeinsamkeiten bergen mag - von Unterschieden, die in der zentralen Problematik der Standpunkttheorien offensichtlich keine Rolle spielen.[2]
An dieser Stelle muß ich die Leserinnen daran erinnern, daß aus der theoretischen Sicht dieser Studie Spannungen, Widersprüche und Ambivalenzen in und zwischen Theorien nicht unbedingt negativ sein müssen. Kohärente Theorien in einer offensichtlich inkohärenten Welt sind entweder nichtssagend und uninteressant oder repressiv und problematisch, je nach dem Ausmaß an Hegemonie, das sie zu erringen vermögen. Kohärente Theorien in einer scheinbar kohärenten Welt sind noch gefährlicher, denn die Welt ist immer vielschichtiger als das Fassungsvermögen solcher unglücklicherweise hegemonialen Theorien. Diese Predigten für ein postmodernes Bewußtsein sind dem der Moderne verschworenen Bewußtsein - und hier vor allem der Philosophie - ein Greuel, doch wird gerade dies Bewußtsein in meiner Untersuchung problematisiert. Die innerhalb des Feminismus auftretenden Ambivalenzen sind nützliche Wegweiser, um zu den gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Kausalitäten vorzustoßen, innerhalb derer die Konstruktion solcher Theorien stattfindet. Ich bin der Ansicht, daß wir die Ambivalenzen und Widersprüche, die innerhalb der feministischen wie auch der androzentrischen Denkweisen auftreten, anerkennen sollten; und wir sollten lernen, vorteilhafte Tendenzen zu hegen und zu pflegen, um zugleich gegen die gesellschaftlichen Bedingungen zu kämpfen, die in beiden Denkweisen zu regressiven Tendenzen führen. Sicherlich sollten wir es nicht darauf anlegen, inkohärente Theorien hervorzubringen, aber wir sollten versuchen, Kategorien und Begriffe zu entwickeln, die die vielschichtigen und oftmals vorteilhaften Möglichkeiten, die der Zerfall der Moderne eröffnet, zu erfassen vermögen.

Eine seltsame Übereinstimmung

Ich möchte diese Gesichtspunkte konkretisieren, indem ich den Implikationen nachgehe, die sich aus der merkwürdigen Übereinstimmung zwischen afrikanischen und weiblichen »Weltanschauungen« ergeben. Ich will die Aufgabe in Angriff nehmen, die aus dieser Übereinstimmung für die Standpunkt-Theorien erwachsenden Probleme mit denen zu verbinden, welche die Diskussionen über den postmodernistischen Feminismus mit sich bringen. Wir erwähnten bereits, daß die Feministinnen auf eine Reihe begrifflicher Dichotomien hinweisen, innerhalb derer die aufklärerische Wissenschaft und Erkenntnistheorie konstruiert sind: Vernunft vs. Gefühl und Wert, Geist vs. Körper, Kultur vs. Natur, das Ich vs. die Anderen, Objektivität vs. Subjektivität, Erkennen vs. Sein. In jeder Dichotomie muß der erste Bestandteil die Kontrolle über den zweiten ausüben, wenn er nicht von ihm überformt werden will; und in jedem Fall scheint der zweite, bedrohliche Bestandteil systematisch mit »dem Weiblichen« assoziiert zu werden. Feministische Theorien haben eine ganze Anzahl von Aspekten der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nachgewiesen, aus denen sich die Entstehung weiblicher und männlicher Weltanschauungen ableiten läßt. Eine theoretische Richtung schreibt diese Weltanschauungen der Entwicklung von vergeschlechtlichten Persönlichkeitsmerkmalen zu, die aus der frühkindlichen Erfahrung von Arbeitsteilungen in der Erwachsenenwelt resultieren. In hierarchischen Sozialstrukturen, die nicht durch männliche Herrschaft gekennzeichnet sind, hat man die gleichen Dichotomien nachgewiesen; sie bilden auch hier das Begriffsschema, mittels dessen diese anderen Formen der Unterordnung möglich werden. So kontrastiert zum Beispiel Russell Means eurozentrische Haltungen gegenüber der Natur mit denen von amerikanischen Eingeborenen, indem er sich dieser Dichotomien bedient. Auf ähnliche Weise setzt Joseph Needham chinesische Naturauffassungen von westlichen ab.[3] Und schließlich gibt es Versuche von Kennern afrikanischer und afroamerikanischer Kulturen, den Gegensatz von afrikanischen und europäischen Denkweisen unter Benutzung dieser Dichotomien zu strukturieren. Sie konstatieren eine afrikanische Weltanschauung, in der sie den Ursprung einer Wissenschaft und Erkenntnistheorie vermuten, die den Westen zu beerben in der Lage wären. Was sie die afrikanische Weltanschauung nennen, weist verdächtige Ähnlichkeiten mit dem auf, was in der feministischen Literatur als spezifisch weibliche Weltanschauung ausgewiesen wird. Und was sie als »europäisch« oder »eurozentrisch« bezeichnen, hat verblüffende Ähnlichkeit mit dem, was Feministinnen als männlich oder androzentrisch etikettieren. So scheinen, wenn man diese verschiedenen Darstellungen miteinander verbindet, Menschen (Männer?) afrikanischer Herkunft und (westliche?) Frauen sehr ähnliche Formen der Ontologie, Erkenntnistheorie und Ethik zu besitzen, und die Weltanschauungen ihrer jeweiligen Beherrscher scheinen sich ebenfalls zu gleichen. Die Schlußfolgerung, daß westliche Männer eine spezifisch europäische Weltanschauung vertreten, oder daß die leicht aufzuspürenden Ausdrucksformen eines europäischen Bewußtseins männlich sind, vermag kaum zu überraschen. Erstaunt sind wir aber, wenn der Schluß gezogen wird, daß afrikanische Menschen einer im Westen als weiblich bezeichneten Weltanschauung anhängen, während zugleich und umgekehrt westliche Frauen eine Weltanschauung vertreten, die afrikanischen Menschen als afrikanisch gilt.
Wie aber interpretieren wir den Status der Weltanschauung von Frauen afrikanischer Herkunft? Ist sie von den einander überschneidenden weiblichen/afrikanischen Begriffsschemata in stärkerem Maße durchdrungen als dies bei den afrikanischen Brüdern oder den westlichen Schwestern der Fall ist? Behauptungen, die in der feministischen und afrikanischen Literatur aufgestellt wurden, lassen diese einleuchtende Schlußfolgerung zu. Sie steht allerdings im krassen Gegensatz zu wiederholten Beobachtungen, daß schwarzen Frauen, wie Frauen in anderen untergeordneten Gruppierungen rassischer, klassenbezogener und kultureller Provenienz, genau jener Grad von »Weiblichkeit« verwehrt worden ist, der Frauen in den herrschenden Rassen, Klassen und Kulturen zugesprochen wurde. In rassistischen Gesellschaften sind »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« (in ihren biologischen und gesellschaftlichen Aspekten) sowohl Kategorien der Rasse als auch des Geschlechts. [4] Sicherlich haben Frauen afrikanischer Herkunft genauso wie weiße Frauen spezifisch weibliche Entwicklungsprozesse durchgemacht, die denen des Westens zumindest ähnlich sind: die Kleinkinder werden zuerst und zumeist von Frauen »bemuttert«, eine Frau zu werden heißt, zumindest zum Teil, eine potentielle Mutter und Ehefrau und jene Art von Person zu werden, die im Vergleich zum Mann abgewertet wird etc. Die Leserinnen können jetzt bereits die Anordnung der Probleme, die der zwischen diesen so völlig unterschiedlichen Literaturen hin und her wandernde Blick hervorbringt, in ihren ersten Umrissen wahrnehmen.
Dies Kapitel erwägt eine Anzahl von Möglichkeiten, diese Probleme zu lösen und aufzulösen. Einem Einwand, der erhoben werden kann, will ich sofort begegnen. Aus sicherlich einleuchtenden Gründen werden weiße Feministinnen angesichts der bloßen Idee einer einheitlichen Weltanschauung, die den Völkern der vielen und höchst unterschiedlichen Kulturen Afrikas und der »afrikanischen Diaspora« gemeinsam ist, häufig stutzig. Sicherlich lenkt die Literatur, die eine solche - ungeachtet ihrer kolonialen Ursprünge heute vorwiegend von afrikanischen und afroamerikanischen Menschen vertretene Weltanschauung propagiert, unsere Aufmerksamkeit von wichtigen kulturellen Unterschieden ab und bringt möglicherweise gar fiktive Gemeinsamkeiten hervor. Doch gilt dies gleichermaßen für feministische Darstellungen, die Männern und Frauen jeweils einheitliche Weltanschauungen zuschreiben und dabei über die von gesellschaftlichen Kontexten geschaffenen Unterschiede (weiß oder schwarz, ländlich oder industrialisiert, westlich oder nicht-westlich, gegenwärtig oder vergangen) hinwegsieht. Außerdem kann es sehr wohl globale Gemeinsamkeiten geben, die diese kulturellen Unterschiede transzendieren. Schließlich sprechen wir bequemerweise von einem »mittelalterlichen Weltbild«, einem »modernen Weltbild« oder einem »wissenschaftlichen Weltbild«, und zwar trotz aller kulturellen Unterschiede in den menschlichen Gemeinschaften, denen wir diese sehr allgemeinen Begriffsschemata und die ihnen entsprechenden gesellschaftlichen Organisationsformen zuordnen. Bevor ich diese Probleme im einzelnen erörtere, möchte ich noch zwei Bemerkungen machen. Erstens gibt es zwar gute Gründe, bestimmten Verallgemeinerungen, die in imperialistischen Kolonialprojekten wurzeln, kritisch gegenüberzustehen; doch wäre es ein der Erklärung bedürftiges Problem, wenn es zwischen den Weltbildern der Kolonisatoren und der Kolonisierten keine gravierenden Unterschiede gäbe. Zweitens sollten Feministinnen sich zu übermäßigen Verallgemeinerungen in unseren eigenen Theorien ebenfalls kritisch verhalten.
Ich werde mich hinsichtlich der Korrelation zwischen feministischer und afrikanischer Weltanschauung zunächst mit der zweiten Hälfte befassen und einer Reihe von Problemen nachgehen, die mit diesen Weltanschauungen und ihren Gemeinsamkeiten vermacht sind. Danach werde ich mich einigen vordringlichen Gesichtspunkten zuwenden, die sich aus den Projekten dieser beiden Literaturen für die Theorie und die Politik zu diesem geschichtlichen Zeitpunkt ergeben. [5]

Die afrikanische Weltanschauung

In einem Aufsatz mit dem Titel »Weltanschauungen und Forschungsmethodologie« erklärt der schwarze amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Vernon Dixon [6], warum das ökonomische Verhalten afroamerikanischer Menschen, durch die Lupe der neoklassischen Wirtschaftstheorie betrachtet, fortwährend als abweichend erscheint. Der »homo oeconomicus« der europäischen Theorie, sagt er, ist de facto nur ein Europäer; vieles, was der neoklassischen Theorie am Wirtschaftsverhalten afroamerikanischer Menschen als irrational erscheint, ist in der Sichtweise einer afrikanischen Weltanschauung völlig rational. Für Dixon liegt der hauptsächliche Unterschied der beiden Weltanschauungen in der Wahrnehmung der Beziehung »zwischen dem >Ich< oder Selbst (Mensch) und allem, was sich von diesem >Ich< oder Selbst unterscheidet ... andere Menschen, Dinge, Natur, unsichtbare Wesen, Götter, Willenskräfte, Mächte etc., d.h. die Welt der Phänomene.« Dabei verläuft die europäische Wahrnehmung vom Menschen zum Objekt, die afrikanische dagegen vom Menschen zur Person. Die euroamerikanische Weltanschauung, sagt er,

»trennt zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich (der Welt der Phänomene). Durch diesen Trennungsprozeß wird die phänomenale Welt zum Objekt, zu einem >es<. Unter einem Objekt verstehe ich die Gesamtheit von Phänomenen, die als das Nicht-Ich konstituierend begriffen wird, alle die Phänomene also, die dem Subjekt, Ich oder Selbstbewußtsein antithetisch sind. Die Welt der Phänomene wird zu einem Seinsbereich, der als vom Ich völlig unabhängig begriffen wird. Ereignisse oder Phänomene werden als dem Ich äußerliche Dinge behandelt, nicht als Erscheinungen, die durch die je eigenen Gefühle oder Gedanken beeinflußt sind. Wirklichkeit erlangt das, was dem Geist vor-gestellt wird, um erfaßt und begriffen zu werden, seien dies nun Gegenstände im Raum oder vom Geist selbst geformte Begrifflichkeiten.« (Dixon 1976, 54f.)

Von den empirischen Untersuchungen, die Dixon zitiert, entdeckte eine Studie bei euroamerikanischen Studenten die systematische »Wahrnehmung einer begrifflichen Distanz zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten; eine objektive Haltung, die Annahme, daß alles >da draußen, im Bereich äußerer Reize< vor sich gehe. Diese Distanz ist groß genug, so daß der Beobachter das Beobachtete untersuchen und manipulieren kann, ohne sich von ihm beeinflussen zu lassen« (ebd., 55).

Die für das euro-amerikanische Denken grundlegende Trennung des Ich von der Natur und den anderen Menschen hat die Verdinglichung beider zur Folge. Die Präsenz eines leeren Wahrnehmungsraumes, der das Ich umschließt und von allem anderen abtrennt, entzieht es seiner natürlichen und gesellschaftlichen Umgebung und verlegt alle Kräfte des Universums, die dazu dienen sollen, den Interessenbereich des Ich zu erweitern, in den Kreis des leeren Wahrnehmungsraums, d.h. in das Ich selbst. Außerhalb des Ich gibt es nur Objekte, auf die eingewirkt werden kann oder die meßbar, und das heißt: erkennbar sind. Die Natur ist ein »äußeres, unpersönliches System«, das »kein eigenes Interesse verfolgt und von daher den menschlichen Zielen ... untergeordnet werden soll und kann.« »Das Individuum wird zum Zentrum des gesellschaftlichen Raums«, und demzufolge »wird die Gruppe niemals als ganze, sondern nur als Ansammlung von Individuen konzipiert«.
Das heißt, »die Verantwortlichkeit des Individuums gegenüber der Gesamtgesellschaft und sein Ort, den es in ihr besetzt, werden im Hinblick auf als autonom strukturierte Ziele und Rollen definiert.« »Der Aufstieg auf der Erfolgsleiter ist durch die je eigenen individuellen Fähigkeiten begrenzt. Die Position, die man einnimmt, ist durch die individuelle Anstrengung determiniert« (ebd., 58). Diese Konzeption eines grundsätzlich individualistischen Ichs schränkt auch die Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten ein.

»Man behält sich das Recht vor, sich in irgendeiner Form zu verweigern. Es wird nicht erwartet, daß jemand, der seine eigenen Karriereziele verfolgt, sich einer Firma, einer Universität oder einer Regierungsinstitution weiterhin verpflichtet fühlt, wenn er von anderer Seite ein Angebot bekommt, das seinen Status oder sein Gehalt verbessern könnte. Das Individuum nimmt an einer Gruppe teil, nicht aber Anteil an ihr. Wenn mithin Entscheidungen anstehen, kommt es eher zu Abstimmungen als zu einem einsinnigen Konsensus« (ebd., 58f.).

In der afrikanischen Weltanschauung gibt es keinen Riß zwischen dem Ich und der Welt der Phänomene: »Das eine ist schlicht und einfach die Erweiterung des anderen.« Bei dieser Art von Ontologie »verringert sich die wahrgenommene begriffliche Distanz zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten. Das Beobachtete steht in der Wahrnehmung dem Individuum so nahe, daß es alles dahinterliegende verdunkelt, und zwar so, daß der Beobachter nicht umhin kann, auf das Beobachtete zu reagieren. Ebenso scheint das Individuum das >Umfeld< als etwas zu betrachten, das auf das Individuum reagiert; d.h. obwohl das Umfeld anderen als völlig objektiv und unbeseelt erscheinen mag, wird ihm, weil es eine Reaktion verlangt, eine Art eigenen Lebens zugesprochen.« (Ebd., 61)
Diese Auffassung vom Ich und seinem Verhältnis zur Welt der Phänomene vorausgesetzt, sieht die Erfahrung der Afrikaner und Afrikanerinnen

»den Menschen in Harmonie mit der Natur. Ihr Ziel besteht darin, das Gleichgewicht oder die Harmonie zwischen den verschiedenen Aspekten des Universums zu bewahren. Störungen dieses Gleichgewichts können zu Problemen wie Krankheit, Dürre oder sozialem Unfrieden führen. ... Dieser Orientierung zufolge dienen Magie, Voodoo und Mystizismus nicht dazu, die Trennung von Mensch und Natur zu überwinden, sondern sie benützen Naturkräfte, um eine harmonischere Beziehung zwischen Mensch und Universum wieder herzustellen. Das Universum ist nicht statisch, unbeseelt oder >tot, es ist ein dynamisches, beseeltes, lebendes und machtvolles Universum.« (Ebd., 62f.)

Des weiteren »steht das Individuum im gesellschaftlichen Raum in Relation zu anderen Menschen. ... Das Individuum ist nur insoweit ein menschliches Wesen, als es Bestandteil einer gesellschaftlichen Ordnung ist.« »Was immer dem Individuum geschieht, geschieht der ganzen Gruppe, und was immer der ganzen Gruppe geschieht, geschieht dem Individuum.« In dieser eher gemeinschaftlichen als individualistischen Orientierung »kann ein Individuum sich einer Verpflichtung nicht einfach entziehen, wenn es aufgefordert wird, ihr nachzukommen.« Dergestalt werden afroamerikanische Menschen oftmals »für andere Schwarze eintreten, ohne sich weiter um ihr eigenes Wohlergehen zu kümmern, ... und zwar auch dann, wenn die ersteren wissen, daß die letzteren im Unrecht sind. Sie werden für ihre Freunde Wechsel zeichnen, obwohl sie wissen, daß diese zahlungsunfähig sind, und daß ihre eigenen Finanzen darunter leiden werden.« Zwischenmenschliche Beziehungen sind vordringlicher als das Wohlergehen des eigenen Ichs (ebd., 63f.).
In der Erkenntnissuche spaltet sich der europäische Mensch zunächst von dem ab, was erkannt werden soll, um es dann leidenschaftslos und unvoreingenommen zu kategorisieren und zu messen. Die afrikanischen Menschen »erkennen die Wirklichkeit vorwiegend durch die Interaktion von gefühlsbedingtem Affekt und symbolischer Bilderwelt«. Dies erfordert im Gegensatz zur Intuition - eine vom Verstand geleitete oder Schlußfolgerungen ermöglichende Sichtung von Beweismaterial. Doch im Gegensatz zu europäischen Erkenntnismethoden wird hier das Erkannte nicht als wertfrei betrachtet, noch gelten Erkenntnissubjekt oder -prozeß als unvoreingenommen und leidenschaftslos. Gefühle, Emotionen und Werte werden als notwendige und positive Bestandteile des Erkenntnisvorgangs angesehen (ebd., 69f.).
Fassen wir zusammen. Dixon geht davon aus, daß die afrikanische Weltanschauung sich auf einen Entwurf des Ich als intrinsischem Bestandteil der menschlichen Gemeinschaft und der Natur gründet. Die Gemeinschaft ist keine Ansammlung wesenhaft isolierter Individuen, sondern genießt ontologischen Vorrang. Nur durch seine Beziehungen innerhalb einer Gemeinschaft kann das Individuum ein Ichgefühl entwickeln und sich selbst bestimmen. Sein persönliches Wohlergehen hängt in grundlegender Weise vom Wohlergehen der Gemeinschaft ab, keineswegs aber ist das Wohlergehen der Gemeinschaft vom Wohlergehen der sie konstituierenden Individuen abhängig oder durch dieses meßbar. Weil das Ich nicht über oder gegen die Natur gesetzt ist, sondern mit ihr einen kontinuierlichen Zusammenhang bildet, wird das Bedürfnis, die als unpersönlich und objekthaft begriffene Natur zu beherrschen, durch das Bedürfnis ersetzt, mit den der Natur eigenen Entwicklungsmöglichkeiten in Kooperation zu treten. Der Erkenntnisprozeß ist durch konkrete Interaktionen geprägt, in denen die Rolle der Werte und Gefühle ebenso anerkannt wird wie die Tatsache, daß die zu erkennende Welt ihre eigenen Werte und Projekte besitzt.

Gemeinsamkeiten und Probleme

Die Dichotomie afrikanisch/europäisch unterscheidet sich in einiger Hinsicht von der Dichotomie männlich/weiblich - wobei die Unterschiede nicht so sehr zwischen den als europäisch und männlich, sondern zwischen den als afrikanisch und weiblich bezeichneten Weltanschauungen liegen. Das kann eigentlich nicht überraschen, da es zwischen den Lebenswelten von Afrikanerinnen und Afroamerikanerinnen einerseits und den Frauen europäischer Herkunft andererseits gewichtige Unterschiede gibt (ich werde diesen Punkt später wieder aufgreifen). Nichtsdestotrotz sind die Ähnlichkeiten höchst augenfällig. [7] Die europäische und die männliche Weltanschauung entwerfen gleichermaßen ein autonomes, individualistisches und selbstbezogenes Ich, das von anderen Menschen und von der Natur isoliert ist und das von diesen anderen bedroht wird, sobald es sie nicht mehr beherrscht. Beiden Weltanschauungen gilt die Gemeinschaft als, Ansammlung autonomer, isolierter, selbstbezogener Individuen, die durch keinerlei binnenstrukturierende Beziehungen miteinander verbunden sind. Auch ist in beiden Fällen die Natur ein autonomes System, von dem das Ich abgespalten ist, und das beherrscht werden muß, weil sonst das Ich seinerseits von der Kontrolle durch die Natur bedroht ist.
Die afrikanische und die weibliche Weltanschauung entwerfen ein von anderen abhängiges Ich, das durch die Beziehungen zu anderen definiert wird und das seinen Eigennutz im Wohlergehen der Bezugsgruppe sieht. Solche Bezugsgruppen sind die Gemeinschaften, die in ontologischer und moralischer Hinsicht gegenüber den durch ihre Stellung in der Gemeinschaft individuierten Personen eine Vorrangstellung genießen. Natur und Kultur sind untrennbare Bestandteile eines Zusammenhangs. Aus diesen gegensätzlichen Ontologien ergeben sich gegensätzliche ethische und erkenntnistheoretische Annahmen. Für die europäische/ männliche Weltanschauung ist die Ethik ein System regelgeleiteter Entscheidungen über rivalisierende Rechtsansprüche zwischen autonomen Individuen, die ihr Eigeninteresse vertreten, während die Erkenntnistheorie das erkennende Subjekt vom zu erkennenden, autonomen »Objekt« trennt, das durch die leidenschaftslosen, unpersönlichen Manipulationen und Maß-nahmen von Hand und Kopf kontrolliert werden kann. In der afrikanischen/weiblichen Weltanschauung betont die Ethik die Verantwortlichkeit für das wachsende Wohlergehen gesellschaftlicher Komplexe durch kontextabhängige, induktive und annäherungsorientierte Entscheidungsprozesse, während die Erkenntnistheorie das erkennende Subjekt als Teil des Erkenntnisgegenstandes setzt, der seinerseits durch den Erkenntnisprozeß affirmiert wird, wobei dieser die Einheit von Hand, Kopf und Herz repräsentiert.
Feministinnen und Afrikanist(inn)en sind da sicherlich auf etwas sehr Wichtiges gestoßen. Doch ergeben sich, wenn man die Behauptungen der feministischen und afrikanistischen Literatur für bare Münze nimmt, mannigfache Probleme; tatsächlich verstärkt die Erkenntnis der Ähnlichkeiten die in beiden Literaturen bereits bestehenden beträchtlichen Probleme der Begrifflichkeit, die in mancher Hinsicht Analogien aufweisen.

Restbestände kolonialer und patriarchaler Begriffsschemata

Wie wir zu Beginn dieses Kapitels bemerkten, finden verallgemeinernde Annahmen über ein afrikanisches »Wesen« oder eine afrikanische Weltanschauung keineswegs ungeteilte Zustimmung. Westliche Forscher und solche afrikanischer Herkunft, die wissen, auf welche Weise der euroamerikanische Imperialismus die afrikanischen Lebensformen geprägt hat, sehen in solchen Verallgemeinerungen die Spuren rassistischer Politik und Mystifikation. Sie weisen darauf hin, daß der Ausdruck »afrikanisch« nichts damit zu tun hat, wie die auf dem Kontinent lebenden Völker sich selbst bezeichnet haben oder dies selbst heute noch vorwiegend tun. Wie der afroamerikanische Philosoph Lancinay Keita erklärt, tauchte der Begriff »Afrika« zuerst im europäischen Schrifttum der frühen Moderne auf. [8] Er vereinfachte das Denken über eine Gruppe von Völkerschaften, die - soweit es die imperialistischen Pläne Europas betraf - als »Andere« entworfen wurden; das heißt, man konnte sie ungestraft ausbeuten. Die von Menschen unternommene Aufteilung der Erdoberfläche ist ein politisches Unterfangen; die Grenzen von Staaten und Kontinenten werden nicht auf »natürliche« Art und Weise festgelegt. Die politischen Ursprünge dessen, was der Begriff »Afrika« als geographische Einheit bezeichnete, haben ihre Wurzeln in der Zeit, als Europäer und Menschen europäischer Herkunft damit anfingen, den Kontinent in Besitz zu nehmen, indem sie Ländereien herausbrachen und die geronnene Arbeit der afrikanischen Bevölkerung in Form von Diamanten, Rohmaterialien und Waren fortschafften, und schließlich die Menschen selbst entführten. Von daher ist es problematisch, den Begriff heutzutage für Analysen zu benutzen, deren Ziel die Emanzipation der ehemals Kolonisierten ist; schon die Begriffsverwendung selbst stärkt aufs neue die Legitimität einer europäischen Tradition, die sich des Rechts auf Namengebung versichert und damit Nicht-Europäer europäischen Interessen unterordnen kann. Insbesondere unterstreicht der Begriff die »Andersheit«, die Fremdheit der afrikanischen gegenüber den europäischen Ontologien, Erkenntnistheorien und Morallehren. Das für Herrschaftsziele so erfolgreich verwendete Paradigma des Gegensatzes wird erneut bekräftigt. Ein vergleichbares Problem taucht in feministischen Schriften auf. »Frau« und »Weiblichkeit« sind als konstituierende Momente männlicher Herrschaftsdiskurse entwickelt worden. Wenn wir erkennen, daß Geschlechterdifferenzen einen gesellschaftlichen Ursprung haben, bemerken wir, daß es nur in den kulturellen Zusammenhängen männlich beherrschter Gesellschaften wichtig wird, die nunmehr erkannten kulturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu betonen und auf der grundsätzlichen Gleichartigkeit der Frauen aller Kulturen zu bestehen. Männliche Kategorien veranlassen uns zu dem Gedanken, daß Männer in ihrer individuellen und kollektiven historischen Besonderheit so unendlich faszinierend sind - und eben dies läßt Männern ihre Geschichte als die der Menschen schlechthin erscheinen - während Frauen in jeder Rasse, Klasse und Kultur einfach als Mitglieder einer (sozial oder biologisch verstandenen) »Geschlechterklasse« begriffen werden. Frauen sind in historischer (und das heißt: gesellschaftlicher) Hinsicht überhaupt nicht von Interesse, ihr Beitrag zur Menschheitsgeschichte ist gänzlich durch ihre Rolle in der Reproduktion bestimmt. Sich auf die Weltanschauung der Frauen oder auf die weibliche Weltanschauung zu konzentrieren heißt, paradoxerweise, ein männliches Begriffsschema zu unterstützen.

Ungeschichtlichkeit

Das soeben umrissene Problem hängt mit einem weiteren zusammen. Der Begriff des »Afrikanischen« übertüncht tendenziell die gewaltigen Unterschiede zwischen den Hunderten von eingeborenen Kulturen, die ihre je eigene Geschichte und Gegenwart haben. Wenn man von Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern West- und Ostafrikas oder zwischen Schwarzen aus der Karibik und aus Chicago ausgeht, läuft man Gefahr, eine Wirklichkeit zu schaffen, die im großen und ganzen eher fiktiven Charakter trägt. Eine »Ontologie der Bantu« ist eine Sache, »afrikanische Ontologie« eine ganz andere. [9] Darüber hinaus unterstellt der Begriff, daß die Präsenz europäischer Herrschaft auf dem afrikanischen Kontinent die angeblich traditionellen Auffassungen hinsichtlich des Ich, der »Anderen« und der Natur nicht verändert hat. Historische Untersuchungen zeigen, daß dies aller Wahrscheinlichkeit nach nicht richtig ist. Die ontologischen, erkenntnistheoretischen und ethischen Diskurse einer Kultur sind immer zeitlich bedingten Veränderungen unterworfen. Und die Erfahrung der Kolonisierung würde einen solchen Wandel verschärfen, ob es nun die Menschen in Afrika selbst oder die in die kolonisierenden Kulturen Verschleppten betrifft. Die Berichte, auf welche sich die Behauptungen über eine afrikanische Weltanschauung in erster Linie beziehen, leiten sich von Kulturforschungen her, die jahrhundertelang im Kampf mit den imperialistischen, begrifflichen und gesellschaftlichen Strukturen des Westens lagen. Was ist an einer dergestalt überlieferten afrikanischen Weltanschauung originär »eingeborenes« Moment, und was ist durch solche Kämpfe geformt worden? Das gleiche gilt für den Begriff einer weiblichen Weltanschauung. Auch hier werden die großen Unterschiede zwischen den Erfahrungen und Eigenschaften der Frauen verschiedener Kulturen verschleiert und mystifiziert. Wie signifikant sind - hinsichtlich der Begriffe des Ich, des »Anderen«, der Natur und ihrer internen Beziehungen - die Gemeinsamkeiten zwischen mittelalterlichen Bäuerinnen und feministischen oder antifeministischen Frauen des neunzehnten Jahrhunderts, zwischen Frauen aus dem »Industrieproletariat« und Frauen aus gehobenen Berufen, zwischen schwarzen Frauen in New York City und Frauen in noch existenten Sammlergesellschaften? Darüber hinaus unterstellt der Begriff »Frauen« eine grundsätzliche Kontinuität, die die Vorgeschichte und alle historisch spezifischen (unglaublich lange Zeiträume umfassenden) Formen männlicher Unterdrückung der Frauen überdauert hat. Aber in der Anthropologie wird darauf hingewiesen, daß Kulturen mit einem niedrigeren Grad von Arbeitsteilung gleich welcher Art im allgemeinen einen niedrigeren Grad an geschlechtsspezifischen Unterschieden aufweisen. Bisweilen wird behauptet, daß »egalitäre« Gesellschaften nur durch den Kontakt mit dem westlichen Kapitalismus und der schließlichen Einverleibung in ihn zu männlich beherrschten Gesellschaften geworden seien. [10] Ein anderes Argument geht dahin, daß die Geschlechter selbst, mit ihrer ganzen Asymmetrie männlicher Herrschaft, ein konstituierendes Moment der spezifisch menschlichen Geschichte gewesen sind. [11] Zweifellos widersprechen diese Darstellungen einander; zudem ist »die Morgenröte der Menschheitsgeschichte«, wie weiter oben schon bemerkt, kein Arsenal für handfeste Beweise und Materialien. Immerhin neigen die anthropologischen Darstellungen
dazu, den Begriff des sozialen Geschlechts als jenes »beziehungsorientierte und kontextgebundene Konstrukt« zu verstehen, das, wie wir sahen, Jane Flax für erforderlich hielt. [12] Angesichts all dieser Wandlungen in den Beziehungen und Kontexten der Geschichte des sozialen Geschlechts muß nach den allen Frauen gemeinsamen Momenten einer weiblichen Weltanschauung gefragt werden. Wieviel davon verdankt sich dem Kampf gegen männliche Herrschaft und wieviel ist auf die frauenspezifischen Personifikationen und frühkindlichen Prozesse der Vergeschlechtlichung zurückzuführen?

Kategorien des Gegensatzes

Weiblich vs. männlich und europäisch vs. afrikanisch sind Kategorien des Gegensatzes [13], die hauptsächlich den Versuchen von Männern und Europäern entstammen, die von ihnen unterworfenen Menschengruppen als »Andere« und als Untermenschen zu definieren. [14] Der ursprüngliche gesellschaftliche Prozeß der Entstehung der Geschlechter verliert sich in den fernen Nebeln der Frühgeschichte, wohingegen die Frage, auf welche Weise »Rassen« entstanden sind, mit einem Blick auf die jüngere Geschichte ziemlich eindeutig beantwortet werden kann. [15] Zudem können wir, die Ursprungsproblematik einmal beiseitegesetzt, erkennen, daß beide Arten der Differenz in Vergangenheit und Gegenwart fortwährend rekonstruiert worden sind und werden. In den Vereinigten Staaten ergaben sich Rassenunterschiede aus der Sklaverei, aus dem Genozid an der Urbevölkerung, aus der Einwanderungs- Arbeits- und Reproduktionspolitik des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts sowie aus der kontinuierlichen Institutionalisierung des Antisemitismus und anderer Formen des Rassismus. Die Geschichtswissenschaft beschreibt ähnliche politische Vorgänge, mittels derer moderne Formen beobachtbarer Geschlechterdifferenzen hervorgebracht und legitimiert worden sind.
Hier muß auf vier Punkte verwiesen werden.

  1. entstehen rassen- und geschlechtsspezifische Gegensatzkategorien in gesellschaftlichen Herrschaftszusammenhängen. Deren Geschichte sollte also ins Auge gefaßt werden, damit die vordringlichen Ursachen der daraus resultierenden Unterschiede zwischen den Rassen und zwischen den Geschlechtern dingfest gemacht werden können. Bei dieser Verfahrensweise werden wir, so denke ich, feststellen, daß es (wie bei dem Rassenproblem) die weißen, bürgerlichen, europäischen Männer sind, die für den Rest von uns Lebenswelten entwickelt und legitimiert haben, welche sich von den ihren unterscheiden. In diesem Sinne handelt es sich um eine Gegensatzkategorie, nicht um zwei. Und sie verdankt sich weder in ideologischer Hinsicht noch in bezug auf die Lebenserfahrung unserem Tun und Lassen jedenfalls nicht in erster Linie.
     
  2. neigt jede Gegensatzkategorie dazu, bestimmte Unterschiede übermäßig hervorzuheben. Dadurch werden andere Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten, die alle ebenso »real« sind, verdeckt. Wollen wir in der feministischen Theorie die beobachtbaren Unterschiede zwischen Männern und Frauen betonen, oder geht es uns eher um die Unterschiede zwischen den Projekten und Utopien der bürgerlich-westlichen antifeministischen Männer und den Hoffnungen und Projekten, die wir vertreten?
     
  3. führen Gegensatzkategorien dazu, die Gemeinsamkeiten innerhalb einer Gruppierung auf Kosten der Unterschiede hervorzukehren. Die männliche und eurozentrische Weltanschauung scheint kohärenter zu sein als die kollektiven Weltanschauungen derer, die als die »Anderen« definiert werden. Die einheitliche Gruppe der Herrschenden unterwirft uns auf je unterschiedliche Arten und Weisen, und diese Unterschiede finden ihren Niederschlag in der afrikanischen Geschichte wie in der der Frauen und gestalten sich in beiden wiederum unterschiedlich.
     
  4. läßt sich zwar nicht leugnen, daß Frauen und Männer in unserer Kultur in verschiedenen Lebenswelten zu Hause sind. Dennoch haftet unserer Betonung dieser Unterschiede zu einer Zeit, da sie für die meisten von uns im Schwinden begriffen sind, der Hauch des Anachronistischen an. Wieviel größer waren diese Unterschiede in den streng nach Geschlechtern getrennten Lebensformen der Bourgeoisie des neunzehnten Jahrhunderts! Die Aufspaltung der menschlichen Tätigkeit und der gesellschaftlichen Erfahrung, die »Männer« und »Frauen« (so wie sie das Bürgertum im neunzehnten Jahrhundert definierte) hervorgebracht hat, verschwindet. Sollten wir von daher nicht erwarten, daß auch die weiblichen und männlichen Weltanschauungen in diesen Gruppen allmählich ineinander übergehen? Und ließen sich nicht ähnliche Fragen im Hinblick auf den Gegensatz von europäischer und afrikanischer Weltanschauung stellen?

Diese Gegensatzkategorien haben ihren Wert, weil sie die wenig emanzipatorischen Aspekte der westlichen Weltanschauung, der wir doch alle unser Leben weihen sollen, ebenso erkennbar machen wie (unbeabsichtigterweise) jene Aspekte des »Weiblichen« oder des »Afrikanischen«, denen viele von uns eher ablehnend gegenüberstehen. Wenn man sich auf die unterschiedlichen Wirklichkeiten der weiblichen und der afrikanischen Situation einläßt, wird deutlich, wie wenig emanzipatorisch jene Weltanschauung ist. Allerdings sollte die Neigung, die unterschiedliche Realität der Frauen über Gebühr zu betonen, mit Vorsicht genossen werden, wenn sie hinter die von uns gewollte Wirklichkeit zurückfällt, die nicht die einzige alternative Wirklichkeit ist und zudem allmählich verschwindet.

Metaphorische Erklärung

Rassen- und geschlechtsspezifische Metaphern sind oft zur Erklärung anderer Phänomene verwendet worden. Verhaltensformen afro / amerikanischer Menschen, amerikanischer Ureinwohner und anderer rassisch unterworfener Gruppierungen sind ebenso wie Verhaltensformen männlicher Homosexueller und reproduktive Verhaltensformen von Weibchen (bisweilen sogar von Männchen) bei Affen, Schafen, Bienen und anderen nichtmenschlichen Gattungen als »verweiblicht« oder »feminisiert« bezeichnet worden. [16] Das trifft für die von uns hier untersuchte Literatur nicht zu. Doch es gibt subtilere Formen der metaphorischen Erklärung: so werden zum Beispiel Unterschiede, die mit der Geschlechterdifferenz in Beziehung stehen, begrifflich als Geschlechterdifferenzen abgebildet; das gleiche gilt für Rassenunterschiede. Wenn also Frauen in unserer Kultur eher eine Ethik des fürsorgenden als des nach rechtlichen Regeln ausgerichteten Handelns praktizieren, wird dies als weiblich begriffen. Wie wir alle wissen, ist der Verweis auf Korrelationen nicht die verläßlichste Art der Erklärung. Wenn Männer afrikanischer Herkunft ebenfalls eher zu einer auf Fürsorglichkeit gegründeten Ethik neigen, müssen wir über die für westliche Frauen spezifischen gesellschaftlichen Erfahrungen hinausblicken, um die sozialen Bedingungen einer solchen Ethik sichtbar zu machen. Unser eigener Geschlechtertotemismus verschleiert uns die Ursprünge der Geschlechterdichotomien, die wir wahrnehmen. Das Interessante an dem von der Anthropologie beschriebenen Totemismus ist die Beziehung zwischen den verschiedenen Signifikanten, nicht die zwischen Signifikant und Signifikat. Die Anthropologie hat entdeckt, daß nicht die Beziehung eines Stammes zu Wölfen und die eines anderen Stammes zu Schlangen erklärungsrelevant ist, sondern die Beziehung zwischen den Bedeutungen, die jeder der beiden Stämme dem Gegensatzpaar Schlangen/Wölfe beimißt. [17] In ähnlicher Weise führt die Aufmerksamkeit, die wir der Rolle des Geschlechtertotemismus bei der Zuschreibung vergeschlechtlichter Weltanschauungen widmen, eher dazu, daß wir die Bedeutungen von Männlichkeit und Weiblichkeit für Männer und Frauen untersuchen, während wir dem Gefüge zwischen diesen Bedeutungen und beobachtbaren Denk- und Verhaltensformen keinerlei Beachtung schenken. Die Gegensatzkategorien verschärfen die im Feminismus existente Tendenz zur vorrangigen Beschäftigung mit dem Geschlechtersymbolismus, und das geht auf Kosten der vielschichtigen Realitäten gesellschaftlicher Strukturen und individueller Identitäten, deren Vergeschlechtlichungsformen nur im Bindestrich sichtbar werden.

Die wechselseitige Verleugnung der Dichotomien

Aus der Zusammenfassung der vorangegangenen vier Probleme ergibt sich ein fünftes. Es dürfte für all jene, die an der Entwicklung eines feministischen postmodernen Bewußtseins interessiert sind, das wichtigste sein.

Während die afrikanistische Forschung zwischen europäischen und afrikanischen Weltanschauungen bedeutsame Unterschiede findet und die Feministinnen ebenso bedeutsame Differenzen zwischen den Weltanschauungen von Männern und Frauen in der westlichen Kultur entdecken, erkennen die einen die Dichotomie der jeweils anderen innerhalb ihres eigenen kategorialen Schemas nicht an. Auf diese Weise werden wir zu der Annahme ermutigt, daß es zwischen Männern und Frauen afrikanischer Herkunft keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Begriffe von Ich, Gemeinschaft und Natur gibt; und eben dies gilt in entsprechender Hinsicht für Frauen afrikanischer und europäischer Herkunft im heutigen Amerika. Dadurch werden beide Analysen unangemessen und politisch unattraktiv. [18]

Allerdings ergibt sich das Problem großenteils aus der Eindringlichkeit und Bedeutung der Geschichte, auf die sich jede der beiden Theorien fixiert. Aus feministischer Sichtweise war die Geschlechterordnung in den afrikanischen wie auch anderen vorindustriellen, »traditionalen« Gesellschaften eine grundlegende Komponente der Gesellschaftsordnung. Folgerichtig rekrutierten sich die führenden Kräfte der afrikanischen Befreiungsbewegungen aus afrikanischen Männern. In den Vereinigten Staaten stellten schwarze Männer einen überproportional hohen Anteil der Führungsrollen in schwarzen Gemeinschaften, und wenn eine weiße Gesellschaft, die ebenso sexistisch wie rassistisch ist, überhaupt gewillt ist, schwarzen Amerikanern zuzuhören, dann müssen es schon schwarze Männer sein. Aus afrikanischer Sicht ist der Feminismus innerhalb einer ebenso rassistischen wie sexistischen Gesellschaftsordnung entstanden. In einem überproportional hohen Maß waren es weiße Frauen, die in der feministischen Politik den Ton angaben. Wenn es um die Geschlechterverhältnisse geht, wird vor allem danach gefragt, welche Perspektiven weiße Frauen für die Lebenszusammenhänge der Frauen entwerfen. Allmählich werden auch schwarze Frauen dazu ermutigt, über ihre eigenen Lebensformen zu sprechen, doch über »weibliche Lebensformen« im allgemeinen sprechen nur weiße Frauen. Diese übersteigerten Verallgemeinerungen seitens der feministischen und afrikanistischen Analysen haben zur Folge, daß die Frauen afrikanischer Herkunft, ob sie nun in Afrika oder in den Vereinigten Staaten leben, aus dem Sichtfeld beider Analysen völlig verschwinden und gewissermaßen entkategorisiert werden, weil afrikanische Männer und weiße Frauen als jeweiliges Paradigma der beiden Gruppierungen angesehen werden.

Ihre kritischen Wahrnehmungen und politischen Führungsrollen finden keine Legitimation, weil sie afrikanischer Herkunft sind, und diese wiederum wird disqualifiziert, weil sie Frauen sind. Darin liegt deshalb eine besondere Ironie, weil Frauen wenigstens die Hälfte der Menschen afrikanischer Herkunft repräsentieren und farbige Frauen insgesamt die überwiegende Mehrheit aller Frauen in der Welt ausmachen. Es ist also nicht einmal eine »Minderheit«, die von den feministischen und afrikanistischen Perspektiven ausgeschlossen wird. In dem Maße, in dem jedes Befreiungsprojekt implizit von der Nicht-Existenz afrikanischer Frauen ausgeht, versagen wir in unseren eigenen Projekten; wir denken und kämpfen innerhalb kategorialer Schemata, die verursachen, daß die Mehrheit unserer angeblichen Mitkämpferinnen von den Zielen unseres Kampfes nicht profitieren kann. Genauer gesagt sind die Ziele selbst insofern rückschrittlich, als wir farbige Frauen von der Definition dieser Ziele im wesentlichen ausschließen. So formulieren die Herausgeberinnen einer Aufsatzsammlung von Untersuchungen schwarzer Frauen: »Alle Frauen sind weiß, alle Schwarzen sind Männer, aber einige von uns sind tapfer.« [19] Dies Problem mahnt uns zur Vorsicht bei Schlußfolgerungen über mögliche Zusammenhänge zwischen einer »weiblichen Weltanschauung« und einer »afrikanischen Weltanschauung«.