Frauen im alten China

1. Begründung

1.1 Curriculare Überlegungen

Mit guten Gründen wird gefordert, frauengeschichtliche Themen im Unterricht zu behandeln. Aber dies ist nicht der einzige geschichtsdidaktische Neuansatz der letzten zehn Jahre. Daneben soll z. B. die Geschichte der Kindererziehung, der unterdrückten Völker und der einfachen Leute aufgearbeitet werden. Als Ziele treten an Stelle von »Grundwissen« (das noch nie erreicht wurde) und »nationaler Identifikation« komplexere Verhaltensweisen wie »balancierte geschichtliche Identität«, »reflektierte Parteinahme in historisch-politischen Konflikten« oder »historische Kompetenz«. Solche Leistungen sollen durch Schülerorientierung, Quellenauswertung, Ideologiekritik, Multiperspektivität u. Ä. erreicht werden.
Die Fülle der neuen Ansätze hat das Problem eines praktisch durchführbaren Gesamtcurriculums bei überaus knapper Unterrichtszeit eher noch unlösbarer gemacht. Auch eine Reihe herkömmlicher Themen (z. B. Nationalsozialismus, Industrialisierung, Sowjetunion) bleibt ja unverzichtbar und muß (nach jüngsten Überlegungen) eher noch intensiviert werden. Beim einzelnen Lehrer entsteht leicht Ratlosigkeit oder Resignation: Er kann eben nicht alles Schöne, Gute und Wahre nebeneinander machen, sondern muß das Wichtigste auswählen, Prioritäten setzen. Die nötige Konzentration läßt dann leicht wieder einen herkömmlichen Kanon entstehen, zumal für ihn weit perfektere methodische Hilfsmittel vorliegen. Die Änderungen der Praxis bleiben in einem Mißverhältnis zu den Ideen in der Literatur.
Die Geschichtsdidaktik muß (sicher ein längerer Prozeß!) verstärkt das Ganze des historisch-politischen Unterrichts (und der außerunterrichtlichen Sozialisation) verdeutlichen und die Vereinbarkeit verschiedener Forderungen glaubhaft machen. Das hat nichts damit zu tun, etwa ein festes, verbindliches Geschichtsbild vorschreiben zu wollen. In einem ersten Schritt sind Curriculumelemente sinnvoll, die durch die gleichzeitige Erfüllung mehrerer Forderungen legitimiert sind und daher eine höhere Priorität einnehmen. Früher wurde gezeigt, daß sich frauengeschichtliches Thema, quellengestützte Arbeitsweise und Multiperspektivität miteinander vertragen (v. Borries: Frauenunterdrükkung und Frauenbefreiung bei den Römern, in: West. Päd. Betr. 29 (1977), 419 ff., 457 ff.). Um einen ähnlichen Nachweis geht es hier: Frauengeschichte, Unterschichtensicht und außereuropäische Welt sind gleichzeitig bearbeitbar, und zwar wiederum quellengestützt und mehr perspektivisch. Alle drei stützen sich sogar gegenseitig.
Noch ein Wort zur Rechtfertigung des speziellen Themas: Daß Frauen- und Unterschichtengeschichte erwünscht sind, braucht nicht erneut begründet zu werden. Die außereuropäische Geschichte ist bisher im Unterricht nur sehr bescheiden vertreten. Sie muß sprunghaft ausgeweitet werden. Die Gründe dafür können hier nur angedeutet werden, eine ausführliche Analyse bleibt vorbehalten. Wichtigstes Ziel ist es, den kulturellen (unterschwellig auch rassischen) Überlegenheitsdünkel abzubauen (Ethnozentrismus), und zwar kognitiv wie emotional. Wie selbstverständlich eine rein europäische Perspektive und Wertung bisher nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern sogar in der Wissenschaft ist, hat der Historikertag 1978 gezeigt. Unter dem Rahmenthema »Wissenschaft als universalhistorisches Problem« wurde trotz der umfangreichen Forschungen z. B. Needhams für China ausschließlich die europäische Wissenschafttradition verhandelt.
Es genügt nicht, die "Europäisierung und Enteuropäisierung der Welt" darzustellen, wie es ansatzweise in den meisten Schulbüchem geschieht. Auch wenn die Europäer dabei nicht mehr als Helden und Kulturbringer, sondern oft genug als Zerstörer und Ausbeuter erscheinen (was keineswegs für alle Bücher gilt), bleiben Perspektiven und Wertungsmaßstab (fast) rein europäisch. Die Geschichte der außereuropäischen Kontinente geht auch nicht im Problem »Unterentwicklung als Modernisierungsrückstand oder als abhängiger Kapitalismus« auf. Es kommt auf die »ganze« Geschichte der anderen Erdteile an, also besonders auf die einheimischen Kulturen, Leistungen und Traditionen vor, neben und nach dem europäischen Einfluß. Viele sog. »junge« Völker (nicht nur im islamischen Bereich!) besinnen sich heute auf solche Eigenständigkeit und stärken damit ihre »Identität«.
Im Zeitalter der globalen Verkettung und Bedrohung (»Weltinnenpolitik«) ist die übliche rein europäische Nabelschau ebenso töricht wie gefährlich. Die möglichen Argumente gegen außereuroäische Geschichte lassen sich leicht entkräften. Sie scheitert z. B. keineswegs am Desinteresse der Schüler. Wie die fast hysterische Begeisterung für Tutenchamun oder die Mayas beweist, fasziniert alles Archaische und Exotische; »Schwarz (und auch Rot oder Gelb) ist schön«. Diese (gewiß nicht optimale) Motivation läßt sich im Unterricht aufgreifen und weiterentwickeln.
Manche meinen, außereuroäische Geschichte sei für zuverlässige und verantwortbare Behandlung im Unterricht nicht genügend dokumentiert und erforscht. Das mag - dank systematischer Zerstörung und bisheriger Vernachlässigung teilweise stimmen, ist aber selbst für Lateinamerika und Schwarzafrika recht übertrieben. Für andere Kulturerdteile ist es Unsinn, z. B. für Ostasien, dessen Geschichtsschreibung nach Alter und Kontinuität die europäische eher übertrifft.
Die anderen Erdteile sind für die Geschichte der Menschheit auch nicht »unbedeutend« oder »untypisch«. Diese (Fehl-) Einschätzung setzt immer schon einen bestimmten Maßstab, nämlich den europäischen, voraus, ohne ihn auszuweisen. Selbst am wirtschaftlich-technischen Fortschritt gemessen war z. B. China etwa tausend Jahre lang (ca. 500-1500 n. Chr.) Europa eher überlegen, also durchaus »wichtig« und »fruchtbar« (vielleicht auch »typischer« als Europa).
Alle anderen Argumente lassen sich letztlich auf eines zurückführen: Die außereuropäische Geschichte sei nicht »unsere eigene« Geschichte, trage nichts zu unserer Identität bei. Diese Aussage ist aber in zweierlei Hinsicht grob falsch.

  1. Wer immer nur in den Spiegel schaut, lernt die Welt und die Mitmenschen nicht kennen und nicht einmal sich selbst. Identität entsteht nur durch Interaktion mit Partnern, durch Erfahrung des »Anderen« und durch Reflexion darüber.
  2. Wenn mehrere Leute in einem Boot sitzen, das jeder von ihnen zum Kentern bringen kann, dann wird jeder Fehler zum eigenen Problem, jedermanns Biografie zur Geschichte aller. Von der Geschichte unserer außereuropäischen Partner (und Opfer) sind wir allemal betroffen, sie ist unsere eigene Geschichte geworden. Man muß nur die richtigen Fragen stellen und die richtigen Folgerungen ziehen.

1.2  Didaktische Entscheidungen

Als Beispiel eines außereuropäischen Kulturerdteils wird China gewählt, weil es (neben Vorderasien) am besten dokumentiert und untersucht ist und mit besonderer Deutlichkeit ein weit entferntes, aber völlig gleichwertiges Gegenüber zu Europa bilden kann. Auch die weltpolitische Machtstellung heute rechtfertigt diese Wahl. Zeitlich beschränkt sich die Untersuchung auf die 2000 Jahre zwischen dem Auftauchen von Staat und Hochkultur (um 1500 v. Chr.) und der zeitweiligen Vorherrschaft des Buddhismus und der Steppenvölker (um 500 n. Chr.). Dadurch wird das hohe Alter der chinesischen Kultur betont, aber der »klassische« Höhepunkt (Tang und Sung ca. 600-1200) und die Phase der »Stagnation« (Ming und Ching ca. 1350-1850) ausgeklammert. Die Parallele zum griechisch-römischen Altertum ist beabsichtigt.
Es ist gut, bei historischen Untersuchungen die leitende Fragestellung offen auszusprechen. Ein - auch in seiner Einseitigkeit - bewußtgemachtes Auswahl- und Anordnungsprinzip ist objektiver als ein vageumfassender Bericht, oft genug »mit den Kategorien eines quasinaturalen Imperialismus« (Schörken). In diesem Fall ist die Lage und Leistung der Frauen in der chinesischen Kultur als Problem herausgesucht. Damit werden andere, wahrscheinlich nicht weniger wichtige und motivierende Bereiche übergangen, z. B.

  • Entstehung, Entwicklung und Besonderheit der chinesischen Hochkultur (vgl. Granet, Hentze, Mücke),
  • Gründe für den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Vorsprung Chinas etwa 500 bis 1500 und den späteren Rückstand (vgl. Needham, Böttger u. a.),
  • Klassenverhältnisse, Herrschaftsideologie und Widerstandsformen im chinesischen Kaiserreich (vgl. z. B. Wilhelm, Opitz, Bauer),
  • sozialhistorische Bedingungen der Zeit der »Kämpfenden Reiche« und der »Hundert Schulen« (chinesische »Achsenzeit« mit kanonischer Gültigkeit bis 1911).

Zu diesen Fragestellungen wären entsprechende Modelle möglich und wünschenswert. Auch diese Alternativen verbinden die Forderung nach außereuropäischer Geschichte mit anderen curricularen Gesichtspunkten. Eine Schwierigkeit würde sich allerdings regelmäßig stellen, sie gilt auch für den folgenden Versuch. China (schon oft als Parallele oder Gegenpol mit Europa verglichen) erscheint im ganzen Europa zu ähnlich. Die Fremdartigkeit wird weitgehend heruntergespielt, so werden grundlegendebegriffe versuchsweise übersetzt, statt sie als Fremdworte stehen zu lassen. Man steht vor einem methodischen Dilemma. Wenn für außereuropäische Geschichte geworben, das Eindringen erleichtert, der Anfänger nicht abgeschreckt werden soll, muß man einige Besonderheiten und Komplikationen übergehen (Elementarisierung). Aufgabe des Beispiels ist der Nachweis, daß Frauen-, Unterschichten- und außereuropäische Geschichte in der Praxis kombiniert werden können. Der Einfachheit halber hat das Unterrichtsmodell die Form eines Schulbuchentwurfs; einschränkend ist hinzuzufügen, daß es nicht für eine bestimmte Klassenstufe und Schulform bestimmt und nicht im Unterricht erprobt ist. Um als Anregung für verschiedene Situationen brauchbar zu sein, wird auf die Ausarbeitung aller Feinheiten (Arbeitsfragen, Lernschritte, Kontrollen u. ä.) verzichtet. Das Material sollte schon in der Sekundarstufe 1 (etwa ab der 8. Klasse) verwendbar sein und ist bewußt etwas breiter angelegt, damit jeweils einzelne Teile weggelassen werden können. Für die Sekundarstufe II ist einer Ergänzung anhand der Quellen und Darstellungen - u. U. mit Schülerreferaten sinnvoll. Erprobungen des Materials und Rückmeldungen an den Autor sind erwünscht. Für die Gestaltung im einzelnen gilt:

  • Der Aufbau ist nicht chronologisch, sondern vorwiegend sektoral (Querschnitt statt Längsschnitt); doch werden grundlegende Änderungen während der 2000 Jahre (!) erwähnt (bes. 2. 1). Nach der Problemstellung (2. 1) werden die drei Sektoren Wirtschaft (2.2), Sozialstruktur (2.3) und Bewußtsein (2.4 einschließlich Primärgruppe Familie) behandelt. Vor dem zusammenfassenden Ausblick (2.6) stehen individuelle Beispiele (2.5) der schichtspezifischen und zugleich ausweglosen Frauensituation (auch als Vertiefung und Festigung).
  • Das Modell bemüht sich um eine einheitliche und sinnvolle Denkbewegung über mehrere Abschnitte. Übergroße »Geschlossenheit« des Teilcurriculums soll dennoch durch Multiperspektivität und Kontroversen verhindert werden. Die Wahl von Thema und Fragestellung ist schon in sich eine Alternative zum üblichen Unterricht, bringt also im Vergleich zu den Vorkenntnissen und Vorurteilen (die artikuliert werden sollten!) eine Gegen-Perspektive ein. Zudem wechseln Sicht und Wertung vielfach zwischen Europa und China, Regierung und Volk, Männern und Frauen, Konfuzianern und Taoisten.
  • Die Berichte über die Vergangenheit werden regelmäßig durch Einwände und Zwischenfragen unterbrochen. Sie konfrontieren den untersuchten Gegenstand mit der Situation des Lernenden und mit der Gegenwar-t (2., 2.2, 2.4, 2.6) oder kontrollieren die Ergebnisse durch Rekurs auf Quellen- und Methodenprobleme (2.1, 2.3, 2.5). Die Einschübe wollen also nicht den Gedankenfluß abschneiden, sondern bezwecken (neben äußerer Abwechslung) Einübung von Reflexion.
  • Das Modell besteht aus Quellen (Texte und Bilder), Bearbeitungsanregungen und Zusatzinformationen. Da Klassenstufe und Schulform nicht festgelegt sind und Pedanterie vermieden werden muß, bleiben die Impulse zur Erarbeitung und Interpretation zurückhaltend. Hier müssen die Lehrer situationsspezifisch ergänzen, vor allem im Bereich ideologiekritischer Fragestellungen und interessegeleiteten Denkens und Handelns. Die Dokumente erlauben die Anwendung vielfältiger historischer Arbeitsmethoden.
  • Die Quellentexte sind absichtlich nicht in winzige Bruchstücke zerhackt, sondern ziemlich ausführlich gebracht. Man muß den Mut zu Breite und Detailreichtum haben, denn: »Nur das Ausführliche ist unterhaltend, ist zu Fragen, zu Zweifeln, zu Vergleichen anregend."(Golo Mann) Unterhaltung und Genuß sollten - trotz der oft schrecklichen Inhalte - ein wesentlicher Reiz des Geschichtsunterrichts sein. Dazu bieten gerade die chinesischen Bilder und Texte gute Chancen; ihre künstlerische Perfektion ist aber auch unmittelbares Lernziel (Abbau des Ethnozentrismus).
  • Alle Einzelabschnitte beziehen sich immer wieder auf die Frauenfrage, d.h. die leitende Problemstellung wird durchgehalten und nicht anderer Gesichtspunkte (Vollständigkeit!) wegen vergessen. Es geht nicht um allgemeine Quellenkunde, sondern um Quellen zum Frauenleben (2.1), nicht um das sozialistische China heute, sondern um den Stand der Frauenbefreiung (2.6) usw. Nur so kann belegt werden, daß Frauengeschichte nicht irgendeine untergeordnete Spezialdisziplin ist, sondern ein Hauptzugang zur allgemeinen Geschichte.

Das benutzte Quellenmaterial ist absichtlich zeitlich und sachlich weit gestreut. An Sachfunden sind Skelette, Reliefs, Tonmodelle und Metallgefäße aus Bestattungen ebenso vertreten wie Gemälde und Holzschnitte. Von der vorkonfuzianischen Literatur ist das »Buch der Lieder« häufig benutzt, »Buch der Wandlungen", »Buch der Urkunden« und »Frühling und Herbst« werden vereinzelt herangezogen. Die »Zeit der kämpfenden Reiche« ist mit Texten aus allen vier philosophischen Hauptschulen vertreten (Konfuzianismus, Mohismus, Taoismus, Legalismus). Dazu kommen Geschichtsschreibung (Tsos Kommentar, Pläne der kämpfenden Staaten) und Lyrik (Gesänge von Chu). Häufiger noch sind hanzeitliche und spätere Texte, in der Mehrheit Volkslieder (Musikamtslieder) und Volksballaden, aber auch Historiografisches (Ssu-ma Ch'ien, Pan Ku u.a.) und Philosophisches (u.a. buddhistische Utopien).
Die Quellentexte sind ohne Kenntnis des Chinesischen nach Vergleich möglichst vieler Übersetzungen und sprachlich-grammatischer Überarbeitung festgelegt. Von der jeweils angegebenen Fassung wird dabei oft weit abgewichen, weil nach bestem Wissen und Gewissen andere Verdeutschungen mehr überzeugten. Mittelschwere Irrtümer sind angesichts gegensätzlicher Versionen (vgl. 2.3) möglich. Bei der Bearbeitung sollte ein Atlas benutzt werden, auf dem die Ausbreitung des chinesischen Volkes, Staates und Kultureinflusses verfolgt werden kann.
Explizite Lernziele werden nicht angegeben (Umfang!); viele Intentionen ergeben sich aus Auswahl und Anordnung des Materials ohnehin, doch bleiben auch wichtige Fragen offen. Über »Ambivalenzen »wird man an einigen Stellen schwer hinauskommen: zwar Hochkultur, aber Klassengesellschaft; zwar künstlerische Vollendung, aber Frauenunterdrückung; zwar wirtschaftlich-technischer Fortschritt, aber Imperialismus usw. Es ist schon viel erreicht, wenn den Schülern deutlich wird, daß Leistungen und Defizite sich in China ähnlich mischen wie in Europa.

Benutzte Quellen und Darstellungen zum Thema

  • Ayscough, Florence: Chinese Women. Yesterday and Today; London (J. Cape) 1938.
  • Bauer, Wolfgang: China und die Hoffnung auf Glück. Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen..., München (dtv) 1974.
  • Bauer, Wolfgang und Franke, Herbert (CJb.): Die goldene Truhe. Chinesische Novellen aus zwei Jahrtausenden; München (Hanser) 1961.
  • Böttger, Walter: Kultur im alten China; Köln (Pahl-Rugenstein) 1977.
  • Broyelle, Claudie: Die Hälfte des Himmels. Frauenemanzipation und Kindererziehung in China; Berlin (Wagenbach) 1973.
  • Chang Sin-Ren: Als Chinese nach China. Wiedersehen nach 25 Jahren; Reinbek (Rowohlt) 1976.
  • Ch'en Shou-yi: Chinese Literature. A Historical Introduction; New York (Ronald Press) 1961.
  • Croll, Elisabeth (Hrsg.): Die Befreiung der Frau in China. Originaldokumente und -artikel 1949-1973; Stuttgart (Verlag Neuer Weg) 1977 (= Reihe Neues China 2).
  • Debon, Günther und Speiser, Werner (Hrsg. von Üb.): Chinesische Geisteswelt. Von Konfuzius bis Mao Tse-Tung; Baden-Baden (Holle) 1957.
  • Duyvendak, J. J. L. (Üb.): The Bock of Lord Shang. A Classic of the Chinese School of Law; London (Arthur Probsthain) 1928.
  • Eberhard, Wolfram: Geschichte Chinas; Stuttgart (Kröner) 1971.
  • Eckstein-Diener, Bertha: Mütter und Amazonen. Ein Umriß weiblicher Reiche; Nachdruck Wien (Verlag Neue Presse) o.J. (Original pseudonym: Sir Galahad, ca. 1929)
  • Eichhorn, Werner: Kulturgeschichte Chinas; Stuttgart (Kohlhammer) 1964.
  • Erdberg-Consten, Eleanor v.: Das alte China; Stuttgart (Kilpper) 1958.
  • Fitzgerald, C.P.: China. Von der Vorgeschichte bis zum 19. Jh.; München (Kindler) 1967 (als: Die Chinesen auch Heyne-Taschenbuch).
  • Fontein, Jan und Hempel, Rose: China, Korea, Japan; Berlin (Propyläen) 1968 Propyläen Kunstgeschichte Bd. 7).
  • Forke, Alfred (Üb.): Blüthen chinesischer Dichtung aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie; Magdeburg (Faber'sche Buchdruckerei) 1899.
  • Forke, Alfred (Üb.): Mo Ti des Sozialethikers und seiner Schüler philosophische Werke; Berlin (Vereinigung wiss. Verleger) 1922 (=Beiband zu: Mitteilungen des Seminars für Orientalische Sprachen Bd. 23/25).
  • Forke, Alfred: Geschichte der alten chinesischen Philosophie; Hamburg (L. Friederichsen) 1927 (= Hamburgische Universität. Abhandlungen aus dem Gebiet der Auslandskunde Bd. 25).
  • Franke, Herbert und Trauzettel, Rolf: Das chinesische Kaiserreich; Frankfurt/M. (Fischer) 1968 (= Fischer Weltgeschichte Bd. 19).
  • Gipoulon, Catherine (Üb.): Die Steine des Vogels Jingwei. Qiu Jin. Frau und Revolutionärin im China des 19.Jhs.; München (Frauenoffensive) 1977.
  • Granet, Marcel: Das chinesische Denken; München (Piper) 1971.
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  • Hentze, Carl: Funde in Alt-China. Das Welterleben im ältesten China; Göttingen (Musterschmidt) 1967 (= Sternstunden der Archäologie).
  • Kristeva, Julia: Die Chinesin. Die Rolle der Frau in China; München (Nymphenburger) 1976.
  • Kuhn, Franz (Üb.): Altchinesische Staatsweisheit; Zürich (Verlag Die Waage) 1954.
  • Legge, James (Üb.): The Shu King, the Religious Portions of the Shih King, the Hsiao King; Delhi (Motilal Banarsidass) 1965 (= The Sacred Books of the East Vol. III; The Sacred Books of China. Tle Text of Confucianism Part 1).
  • Legge, James (Üb.): The Ch'un T'sew with Tso-chuen; Hongkong (University press) 1960 (= Legge: Me Chinese Classic Vol. 5).
  • Mücke, Wolfgang: Die klassische chinesische Mythologie; Stutgart (Klett) 1976.
  • Münsterberg, Hugo: Der Ferne Osten; Baden-Baden (Holle) o.J. (= Kunst im Bild).
  • Mydral, Jan: Bericht aus einem chinesischen Dorf, München (dtv) 1969.
  • Needham, Joseph: Wissenschaftlicher Universalismus. Über Bedeutung und Besonderheit der chinesischen Wissenschaft; Frankfurt/M (Suhrkamp) 1979.
  • Olschak, Blanche Ch.: Frauen um den Drachenthron. Verführung und Macht im Schicksal Chinas; Olten und Freiburg (Walter) 1956 (teilweise fiktional-romanhaft!).
  • Opitz, Peter J. (Hrsg.): Chinesisches Altertum und konfuzianische Klassik; München (List) 1968.
  • Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, hrsg. von Golo Mann und Alfred Heuß; Frankfurt/M. (Ullstein) 1976 (Taschenbuchausgabe!), Bd. 2/2, 477-571 (Hulsewe), Bd. 8/1, 189-228 (Frankel), Bd. 11/1, 129-196 (Bauer). Schafer, Edward H.: China. Das Reich der Mitte; Reinbek (Rowohlt) 1971 Time Life Bd. 25).
  • Schmitt, Erich u.a.: Kultur der orientalischen Völker, Potsdam (Athenaion) 1936 (= Handbuch der Kulturgeschichte).
  • Schwarz, Ernst (Üb.): Der Ruf der Phönixflöte. Klassische chinesische Prosa; 2 Bde.; Berlin (Ost) (Rütten & Loening) 1973.
  • Schwarz, Ernst (Üb.) Chrysanthemen im Spiegel. Klassische chinesische Dichtungen; Berlin (Ost) (Aufbau) 1976.
  • Shou-Lin Cheng: Chinesische Frauengestalten; Leipzig (Verlag der Asia Major) 1926.
  • Smith, Bradley und Wan-go Weng: China. A History in Art; London (Studio Vista, Gemini Smith) 1973.
  • Speiser, Werner: Ostasiatische Kunst; Erdberg-Consten, Eleanor v.: Die Baukunst Chinas und Japans; Frankfurt/M. (Ullstein) 1964 (= Ullstein-Kunstgeschichte Bd. 17).
  • Strauß, Victor v. (Üb.): Lao-tse: Tao T8 King; Zürich (Manesse) 1959.
  • Strauß, Victor v. (Üb.): Schi-King. Das kanonische Liederbuch der Chinesen; Darmstadt (Wiss. Buchges.) 1969.
  • Sullivan, Michael: Chinesische Kunst. Die schönsten neuen Funde; München (Droemer Knaur) 1974.
  • Tchen, Ysia: La chinoise des origines au 20e siecle, in: Grimal, Pierre (Hrsg.): Histoire mondiale de la femme, Bd. 3; Paris (Nouv. Libr. de France) 1967, 337-405.
  • Toynbee, Arnold (Hrsg.): Der ferne Osten. Geschichte und Kultur Chinas und Japans, Braunschweig (Westermann) 1974.
  • Waley, Arthur (Üb.). Chinesische Lyrik aus zwei Jahrtausenden, ins Deutsche übertragen von Franziska Meister; Hamburg (Marion v. Schröder) 1951.
  • Watson, Burton (Üb.): Records of the Grand Historian of China, translated from the Shih chi of Ssu-ma ch'ien, 2 Bde., New York and London (Columbia U.P.) 1961.
  • Watson, Burton (Üb.): Courtier and Commoner in Ancient China. Selections from the History of the Forrner Han by Pan Ku; New York und London (Col. Univ. Press) 1974.
  • Weber-Schäfer, Peter (Üb.): Altchinesische Hymnen. Aus dem Buch der Lieder und den Gesängen von Ch'u; Köln (Hegner) 1967.
  • Wilhelm, Hellmut: Gesellschaft und Staat in China. Zur Geschichte eines Weltreiches; Hamburg (Rowohlt) 1960.
  • Wilhelm, Richard: Die chinesische Literatur; Wildpark-Potsdam (Alad. Verlagsges. Athenaion) 1926 (= Handbuch der Literaturwissenschaft, hrsg. von Oskar Walzel).
  • Wilhelm, Richard (Üb.): Die Philosophie Chinas; 5 Bde.; Düsseldorf (Diederichs) 1976 (l. I Ging. Das Buch der Wandlungen, 2. Kungfutse. Gespräche. Lun Yü, 3. Laotse: Tao te king, 4. Liä Dsi: Das wahre Buch vom quellenden Urgrund, 5. Dschuang Dsi: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland).
  • Wilhelm, Richard (Üb.): Li Gi. Das Buch der Sitte ... ; Jena (Diederichs) 1930. Wilhelm, Richard (Üb.): Mong Dsi, Jena (Diederichs) 1921.
  • Wilhelm, Richard (Üb.): Frühling und Herbst des Lü Bu-We; Jena (Diederichs) 1928.
  • Wilhelm, Richard (Üb.): Kungfutse, Schulgespräche (Gia Yü); Jena (Diederichs) 1930.
  • Wilkinson, H.P.: The Family in Classical China; Shanghai (Kelly and Walsh) 1926.

2. Unterrichtsmaterial: Frauen im alten China (1500 v. - 500 n. Chr.)

Zunächst eine Vorfrage: Was geht uns Altchina überhaupt an? Warum sollen wir uns mit so »abgelegenen« Themen beschäftigen? - Daß man dieses Buch lesen kann, beruht auf einer Reihe von Erfindungen aus mehreren Jahrtausenden, z.B. Schrift und Buchbinderei. Nur wenige dieser Neuerungen stammen aus Europa, zwei der wichtigsten aus China:

  • Seit 100 n.Chr. haben die Chinesen Papier aus Lumpen hergestellt, nachdem vorher auf Steinplatten, Tontafeln, Rinde, Knochen, Holzbrettchen, Pflanzenmark (Papyrus), Leder (Pergament) oder Textilien geschrieben wurde.
  • Um 750 n.Chr. haben die Chinesen das uralte Siegeln und Stempeln von Ton oder Stoff zum Buchdruck weiterentwickelt. Texte und Bilder (z.B. Holzschnitte) konnten seitdem leicht vervielfältigt werden, während vorher jedes Buch bzw. jede Schriftrolle einzeln mit der Hand geschrieben und gemalt wurde.

Ein anderes Beispiel: Stell dir vor, du besuchst mit Freund oder Freundin ein Gartencafé. Ihr sitzt auf Stühlen aus Bambusrohr. Ein klappbarer Schirm mit schwerem Fuß aus Gußeisen schützt euch gegen die Sonne. Auf dem seidenen Tischtuch stehen Porzellantassen und eine lackierte Dose mit Zucker. Die Kellnerin bringt schwarzen Tee, der auf Erdgas gekocht ist. Plötzlich fällt dein Blick auf die Zeiger eines Uhrwerks: Es ist schon spät. Du greifst schnell zum Geldschein und bezahlst. Bei diesem kurzen Ausgehen hast du zehn Erfindungen benutzt, die in China gemacht wurden oder jedenfalls von China nach Europa kamen. Kannst du sie anstreichen?
Bis ungefähr 1500 n.Chr. war China den europäischen Ländern wissenschaftlich und wirtschaftlich keineswegs unterlegen, durchaus nicht »rückständig«, sondern eher »entwickelt« und vorausgeeilt. Es klingt wie ein böser Witz, aber bei der »Entdeckung und Eroberung der Erde« benutzten die Europäer zwei wichtige Erfindungen der Chinesen:

  • Seit dem 1. Jh. n.Chr. kannten die Chinesen den Magnetkompaß; sie richteten damit z.B. ihre Tempel und Grabmäler genau nach Süden aus. Die Europäer aber gebrauchten den Kompaß, um quer über die Weltmeere zu »neuen« Erdteilen zu fahren.
  • Seit dem 8. Jh. n.Chr. spätestens stellten die Chinesen Schießpulver her, sie führten damit zunächst bei ihren Festen Feuerwerke auf. Die Europäer dagegen füllten das Pulver in Gewehre und Kanonen, um Soldaten und Festungsmauern zu zerschmettern.

Da Europa so viel von China gelernt hat, lohnt es sich wohl doch, dessen Geschichte ein wenig zu untersuchen.

2.1 Frauenklagen ohne Ende?

Q1:

  • »Wie traurig ist es, als Frau erschaffen zu sein,
    nichts auf Erden wird so gering eingeschätzt!
    Wird einer Familie ein Junge geboren, scheint er ein Gott,
    der irdische Form angenommen. Sein tapferes Herz bietet Trotz
    den vier Meeren und dem Sturm und dem Staub von zehntausend Meilen.
    Doch niemand frohlockt, wird ein Mädchen geboren,
    keinen Wert legt seine Familie darauf.
    Wird es größer, bleibt es versteckt in der Kammer
    und wagt einen Mann kaum anzublicken.
    Niemand weint, wenn es dann aus dem Hause verschwindet
    so schnell wie die Wolke, die ab sich geregnet.
    Die Frau senkt den Kopf und bewegt keine Miene,
    in die roten Lippen preßt sie die Zähne;
    sie kniet und verbeugt sich unzählige Male,
    und selbst vor den Dienern muß sie sich neigen.
    Wird sie geliebt, ist ihr Eheherr dennoch entrückt wie ein Stern;
    Sie ist die Blume, die stets nach der Sonne sich dreht.
    Fremder als Wasser und Feuer wird bald ihrer beider Gefühl sein.
    Hundert Übel sind auf die Gattin gehäuft,
    während die Jahre ihr Antlitz zeichnen,
    und bald sucht ihr Gebieter sich andere Liebesfreuden.
    Die einst wie Körper und Schatten zusammengehangen,
    sind nun getrennt wie Barbaren und Chinesen.
    Doch eher noch nähern sich Barbaren und Chinesen als Gatten:
    sie klaffen wie Abend- und Morgenstern.«
    (Fu Hsüan, 3. Jh. n.Chr., üb. nach Waley/Meister 85)

Q2

Das alte Gedicht und das noch ältere Bild zeigen vergleichbare Züge. Aufschlußreich für die chinesische Einschätzung der Frau ist, womit die Frau verglichen wird und womit der Mann. Außerdem: Was geschieht mit kleinen Jungen, was mit kleinen Mädchen? Wie behandelt die Frau den Mann, wie er sie? Der Text beschreibt ein Frauenleben im einzelnen; fraglich ist, ob er allgemeingültig sein will und kann. Ein Vergleich hilft weiter:

Q3:

  • »Oh du Sonne, du oh Mond, ihr gewährt der Erde Licht.
    Doch solch Mann wie meiner, ach, kennet Gegenliebe nicht.
    Wie nur kann er Ruhe finden, der mir weigert seine Pflicht?...
    Mein Herz ist nicht ein Stein der Flur,
    mit dem herum man tollen kann.
    Mein Herz ist keine Matte nur,
    die auf und zu man rollen kann...
    Ich denke schweigend meiner Not,
    erwachend wünsch ich mir den Tod.«
    (Buch der Lieder, hier 8. Jh. v.Chr., üb. nach v. Strauß 97,93)

Q4:

  • »Die Frauen in meinem Vaterland leben in einer Welt der Finsternis wie betrunken oder wie in einem Traum dahin: ohne das geringste Wissen. Obwohl es Schulen gibt, können doch die wenigsten diese Schulen besuchen, um zu leinen. Ganz im Gegenteil, es gibt unter unseren 200 Millionen Frauen unzählige, die unter der Tyrannei der Männer stöhnen. Aber was tun sie? Sie fahren fort, sich zu schminken, ihr Haar kunstvoll zu frisieren und sich die Füße einzuschnüren und zu verkrüppeln. Mit Schmuck in ihren Haarknoten und i'n gestickte Gewänder gehüllt kokettieren sie mit den Männern, um deren Zuneigung auf solche Weise zu gewinnen. Sie sind so lammfromm wie Lasttiere. Sie schämen sich nicht, von den Männern wie Spielzeug benutzt und wie Sklavinnen behandelt zu werden. Ohne Gefühl für die br-utale Gewalt, die man ihnen antut, ertragen sie ohne jede Selbstachtung schlechte Behandlung und tiefe Bemütigung. Völlig blind und unwissend begnügen sie sich in ihrer Dummheit damit, das Schicksal dafür verantwortlich zu machen... Sie geben sich damit zufrieden, ihren Männern und Söhnen zu gehorchen. Anstatt ihren Schwestern zu Hilfe zu kommen, machen sie sogar deren Anstrengungen zunichte. Denn einige Frauen arbeiten daran, Mädchenschulen zu gr-ünden und die Ausübung handwerklicher Tätigkeiten zu ermöglichen.« (Qiu Jin, um 1900, üb. nach Gipoulon 20)

Q5:

Der Vergleich der Texte und Bilder (aus einem Zeitraum von über 2500 Jahren) zeigt grundlegende Übereinstimmungen, aber auch einzelne Abweichungen. Man kann feststellen, was die Verfasser(innen) jeweils ändern und wie sie das erreichen wollen. Angesichts der verzweifelten Klagen aus dreitausend Jahren liegt es nahe, die chinesische Geschichte unter der Fragestellung zu untersuchen: Wie sieht die Gesellschaft aus, gegen die Frauen solche Vorwürfe erheben? Sind die Vorwürfe berechtigt, war keine Abhilfe möglich? Natürlich wären auch andere Problemstellungen denkbar und sinnvoll, aber es ist wichtig, sich für eine zu entscheiden und von da aus selbständig Fragen zu entwickeln. Die vorstehenden Quellen geben dazu eine Menge her. Sie provozieren mehr, als daß sie schon sichere Antworten erlaubten.
Hier liegt eine Zwischenfrage nahe: Reichen denn überhaupt die Quellen? Wie kann man etwas über die Frauen im alten China herausbekommen? - Bei Funden und Ausgrabungen sind viele Gegenstände aufgetaucht, die Auskunft über das alte China (1500 v. - 500 n.Chr.) geben. Vor allem Siedlungen (Dörfer, Städte) und Grabanlagen sind erforscht worden; am wichtigsten sind die Grabbeigaben. Zunächst erhielten die toten Fürsten kostbare heilige Bronzegefäße, aber auch Waffen, Hausgeräte, Nahrung und Getränke mit ins Grab.

Q6:

Wie das Bild beweist, wurde neben Geräten auch Lebewesen mit ins Grab gegeben, nicht nur Pferde und Hunde, sondern auch Diener, Frauen und Dienerinnen. Die zahlreichen Menschenopfer wurden erst ungefähr 220 v. Chr. endgültig abgeschafft. Alle Grabbeigaben wurden jetzt durch kleine Modelle aus Ton und durch Reliefs und Malereien an den Grabwänden ersetzt. Von einer solchen Grabwand stammt z. B. das Bild des Königs und seiner Frauen (Q2). Die Bilder und Modelle geben sehr anschauliche Auskunft über das tägliche Leben im Haus und Draußen, bei Arbeit und Festen, von Männern und Frauen.
Neben den Sachfunden gibt es seit etwa 1500 v. Chr. auch Inschriftenfunde. Zunächst waren die Texte ganz kurz und handelten selten von Frauen, aber schon um 500 v. Chr. gab es mehrere »Bücher«:

  • Das »Buch der Lieder«, eine Sammlung von Opferliedern, Kriegsliedern, Arbeitsliedem, Liebesliedern usw., ist heute noch erhalten (vgl. Q3).
  • Das« Buch der Urkunden«, eine Sammlung von geschichtlichen Dokumenten, Gesprächen, Reden und Erlassen, erwähnt nur selten Frauen und ist zum großen Teil verloren. In der ursprünglichen Form ganz verschollen sind das »Buch der Sitte« und das »Buch der Musik".
  • Das »Buch der Wandlungen«, ein Wahrsage- und Sprüchebuch, bezieht sich oft auf Frauen, z. B.: »Ein Mädchen heiraten bringt Glück«.
  • »Frühlings- und Herbstbücher« (Jahrbücher) gab es als älteste Geschichtsschreibung in vielen Fürstentümern. Gerettet sind nur die Jahrbücher von Lu mit vielen Nachrichten über Fürstinnen.

Die Zeit von 481 bis 221 v. Chr. heißt die Epoche der »Kämpfenden Reiche« oder der »Hundert Schulen«. Die schriftliche Überlieferung ist schon viel reicher: Geschichtsschreibung, Gedichte, Verhaltenmaßregeln und vor allem die größten Philosophen der ganzen chinesischen Geschichte (z. B. Konfuzius und Lao-tse). Nebenbei, leider sehr am Rande, gehen alle diese Quellen auf die Lage der Frauen ein. Bedauerlicherweise ist viel vom damals weit umfangreicheren Schrifttum zerstört. So ließ ein Kaiser (213 v. Chr.) alle Bücher verbrennen und verbieten, die ihm nicht paßten und gefährlich schienen. Nur ein Teil konnte später von alten Leuten aus dem Gedächtnis wiederhergestellt werden.
Im Verlauf der nächsten vierhundert Jahre (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) sammelte man nicht nur alle alten Bücher, sondern schrieb auch viel Neues. Dabei gibt es weit genauere Aussagen über die besondere Lage der Frauen als in früheren Zeiten:

  • Die Geschichtsschreibung wurde vervollkommnet; neben vielen anderen Darstellungen erschienen »Lebensläufe von vorbildlichen Frauen« (Liu Hsiang, 1. Jh. n. Chr.).
  • Ein eigenes »Amt für Musik« sammelte Volkslieder aus allen Teilen des Reiches, um Kaiser und Verwaltung über die Stimmung der einfachen Leute zu informieren. Viele dieser Lieder betreffen die Lage der Frauen (vgl. QI).
  • Erstmals entstanden Sammlungen von erfundenen Geschichten, z. B. Erzählungen, Witzen, Balladen, die oft über Frauen handeln. Im Gegensatz zum »ernsten« Schrifttum (Geschichte, Philosophie) galt diese »schöne« Lteratur aber noch jahrhundertelang als minderwertig.
  • Aus dieser Zeit stammen auch die ersten sicheren Selbstzeugnisse von Frauen. Einige Schreiberinnen sind namentlich bekannt, während man in älterer Zeit nur manchmal Frauen als Verfasser von Texten vermuten und erschließen kann. Das Material zur altchinesischen Geschichte ist sehr umfangreich und bietet äußerst schwierige Probleme. Bei manchen Texten wird erbittert gestritten, wann sie geschrieben sind, z. B. 300 v. oder 300 n. Chr. Über Männer erfahren wir - wie meist in älteren Zeiten - gewiß zehn- oder zwanzigmal so viel wie über Frauen. Es lohnt sich, noch einmal herauszusuchen, aus welchen winzigen Quellensplittern die »Frauengeschichte« erforscht werden muß. Immerhin: das Material reicht für unsere Zwecke.

2.2 Leben im Überfluß?

Die Ausgangsfrage sollte sein, wie in der altchinesischen Gesellschaft die notwendigen Bedürfnisse befriedigt wurden: Wie aßen und tranken, wohnten und kleideten, erholten und unterhielten sich die Chinesen? Im folgenden Gedicht wird ein lebensgefährlich Kranker beschworen, nicht zu sterben:

Q7:

  • »Sorglos vollende dein Leben im reichen Lande von Ch'u!
    Dort lebst du in Freude und Reichtum, erfüllt wird dir jeglicher Wunsch!
    Erfülle die Tage mit Freude, bis sich das Alter dir naht!
    Kehre zurück, o Seele, zu Freuden ohne Zahl!
    Das Korn ist hoch gestapelt, Hirse und Bambus bereit.
    Auf dem Herde singen die Kessel, die Halle ist voll Duft.
    Tauben, Pirole und Gänse kochen in Brühe vom Dachs.
    kehre zurück, o Seele, zum köstlichen Lieblingsgericht...
    Erhitzt sind die vier Weine; die Kehle durchlaufen sie glatt,
    süß ist und duftend der Reiswein, für Knechte nicht bestimmt!
    In Wu ward gemischt die Hefe mit klarem Most von Chu.
    Kehre zurück, o Seele, Seele, vergiß deine Angst!...
    Zweimal acht sind die Tänzer, sie drehen sich im Takt.
    Sie schlagen die Glocken und Steine, Musik spielt auf nun zum Tanz.
    Vierfach die Bambusflöten ertönen mit schrillem Klang.
    Kehre zurück, o Seele, lausche dem holden Gesang!
    Mädchen mit roten Lippen - es leuchtet der Zähne Schmelz -,
    sie sind bescheiden und sittsam, erfahren in jeglicher Kunst.
    Zarte Haut und schlanke Glieder, betörend die Schönen sind.
    Kehre zurück, o Seele, sie lindern deinen Schmerz!...
    Ein Sommerhaus mit Halle, die Balken geschnitzt und bemalt,
    ein Zimmer im südlichen Flügel, die Dächer mit Türmen geziert.
    Rings um das Haus überdacht zum Tummeln der Pferde ein Platz...
    Kehre zurück, o Seele, erfülle dir jeglichen Wunsch...«
    (Gesänge von Ch'u, um 300 v. Chr., üb. nach Weber-Schäfer 82 ff.).

Q8:

Die Freuden des Essens und Trinkens, Feiern und Liebens, Reitens und Jagens werden im Gedicht noch weit ausführlicher dargestellt. Das alte China scheint ein Schlaraffenland. Oder? Welche Rolle spielen die Frauen beim Fest, welche die Diener? Es lohnt sich, eine Liste mit den damals schon bekannten und beliebten Gütern aufzustellen. Im Vergleich von Gedicht und Relief kann man kontrollieren, ob die Einzelheiten des Hausbaus und des Festes übereinstimmen. Männer und Frauen sind auf den Bildern gar nicht leicht zu unterscheiden. Der Kranke wird aufgefordert, eine Fülle von Gütern zu verbrauchen, nicht aber sie herzustellen. Um ein vollständiges Bild zu bekommen, muß man die Frage umdrehen: Was wird produziert und von wem?

Q9:

  • »Sie roden Gras und Bäume; der Pflug durchschneidet die Erde.
    Tausende jäten das Unkraut im Tiefland und am Flußdeich...
    Die Frauen sind lieblich, die Männer sind stark.
    Scharf ist die Pflugschar, sie pflügt im Süden das Feld.
    Wir säten hundert Arten Korn, die junges Leben bergen.
    Üppig sprießen die Halme, hoch steht unser Korn...
    Zwischen den hohen Halmen ziehen die Bauern im Herbst.
    Sie ernten nun reiche Ernte, sie schneiden das üppige Korn
    und binden die Garben dicht. Sie brennen klaren Reiswein.«
    (Buch der Lieder, 10.-7. Jh. v. Chr., üb. nach Weber-Schäfer 50 f.)

Q10:

  • »Schafe? Wer sagt, keine Schafe? Dreihundert die Herde zählt.
    Rinder? Wer sagt, keine Rinder? Neunzig mit schwarzem Maul.
    Es kommen die Widder, krumm ist ihr Horn.
    Es kommen die 0chsen, lang ist ihr Ohr...
    Dein Hirte kommt dazu, im Binsenmantel, Bambushut,
    er trägt die Mahlzeit mit...
    Dein Hirte kommt gegangen, mit Reisig und mit Holz,
    mit Hähnen und mit Hennen...«
    (Buch der Lieder, 10.-7. Jh. v. Chr., üb. nach Weber-Schäfer 60)

Q 11:


Die Quellen geben nicht nur über den Stand der Landwirtschaft Auskunft, sondern auch über Kleidung, Heizung usw. einfacher Leute. Vor allem die Feldbestellung läßt sich genau rekonstruieren. Welchen Eindruck gewinnt man vom Lebensstandard - vor allem im Vergleich mit dem vorher beschriebenen Fest (Q7)? Die damalige Arbeit ist aber mit Ackerbau und Viehzucht keineswegs erschöpft.

Q12:

  • »In Ching am Berge wuchsen Zypressen und Kiefern dicht.
    Wir schlugen sie, trugen sie; wir sägten sie, schnitten sie.
    Die langen Balken ragen als Säulen jetzt zum Himmel.
    Der Tempel ist friedlich und still...
    Der Herzog ließ Häuser bauen, und senkrecht fiel das Lot.
    Gerade standen die Pfosten, den Ahnentempel zu baun.
    Sie trugen in Körben die Erde, türmten zu Haufen sie auf.
    Sie stampften den Lehm zu Mauern, polierten und schnitzten die Wand.
    Viel Klafter hoch ragten die Wälle, erbaut beim Trommelschall...
    Sie schlugen die Eichenwälder und legten Straßen an...
    Wir schnitten die weiße Hirse auf dem neuen Acker,
    auf den jungen Feldern. Da kam Fang-shu
    mit dreitausend Wagen und mit seinem Heer.
    Fang-shu führt das Heer mit vier Apfelschimmeln.
    Vier Apfelschimmel voran, der Wagen rot gestrichen,
    Bambusmatten, Schuppenköcher, Harnischplatten, Bronzegeschirr.«
    (Buch der Lieder, 10.-7. Jh. v. Chr., üb. nach Weber-Schäfer 149, 108, 155)

Q 13:


Die Gedichte beweisen ein hoch entwickeltes Metallhandwerk, Holzhandwerk und Textilhandwerk. Beschreibe es. Auch über Verkehr, Krieg und Bauwesen wird einiges deutlich. Deckt es sich mit der Festbeschreibung (Q7/8)? Welche Art des Bauens fehlt? Eine Frage ist immer noch offen, was nämlich die Frauen hergestellt haben.

Q 14:

  • »Die Mägdlein nehmen schön gewölbte Körbe
    und gehn damit den engen Pfad entlang,
    um zarte Maulbeerblätter aufzusuchen...
    Des Mädchens Herz ist weh vor Leid,
    bis sie dem Mann zur Ehe folgt...
    Im Seidenraupenmonat grünt der Maulbeer;
    Da greift man zu dem Beil und zu der Axt,
    um abzukappen, was zu hoch und weit.
    Im achten Monat hebt das Spinnen an,
    da webt man blauen, webt man gelben Stoff,
    und unsern roten, der am schönsten glänzt.«
    (Buch der Lieder, 10.-7. Jh. v. Chr., üb. nach v. Strauß 239)

Q 15:


Das Bild bestätigt in einem wichtigen Punkt das Lied, gibt aber eine erstaunliche Ergänzung. Die wirtschaftlichen Pfichten der Frauen werden nur teilweise deutlich. Seit sehr alter Zeit haben die Frauen alle Arbeiten im Hause zu erledigen, insbesondere Vorräte konservieren, Kochen, Waschen und Nähen. Eines aber ist die Hauptbeschäftigung geradezu das Zeichen der Weiblichkeit: Weberin gleich Frau.
Hier ist ein Vergleich nötig: War denn China wirklich kulturell und wirtschaftlich so weit? Wie stand es gleichzeitig in Europa? - Die chinesische Kultur ist etwa ebenso alt wie die griechische, eher etwas älter. Manche Entwicklungen verliefen ziemlich gleichzeitig und gleichartig:

  • Um 3000 v. Chr. hatte China - wie Griechenland - die »jungsteinzeitliche Revolution« schon hinter sich. Die Chinesen kannten den Ackerbau mit dutzendweise Getreiden und Gemüsen, die Viehzucht mit vielen gezähmten Tierarten, die Weberei mit Seide, Wolle und Pflanzenfasern, die Töpferei und die Seßhaftigkeit in Dörfern.
  • Um 1500 v. Chr., etwa gleichzeitig mit Griechenland, begann in China die eigentliche Hochkultur mit bronzenen Waffen, pferdebespannten Kampfwagen, Schrift, befestigten Städten und der Bildung von Staaten. Gegen 600 v. Chr. setzten sich das Eisen und die Reiterei durch.
  • Die ersten Opfergesänge und Volkslieder im »Buch der Lieder« und die ersten Reden und Erlasse im »Buch der Urkunden« entstanden um 1100 v. Chr., noch lange bevor Homer die Kämpfe um Troja und die Irrfahrten des Odysseus in den ersten europäischen »Büchern« besang.
  • Der einflußreichste Philosoph Chinas, Konfuzius, lebte um 500 v. Chr., d. h. hundert Jahre vor Sokrates, dem Begründer unserer Denktradition. Der tiefsinnigste chinesische Weise, Chuang-tse, war ein Zeitgenosse Platons. Auch Geschichtsschreibung und Medizin Chinas sind älter als die Griechenlands.
  • 221 v. Chr. wurde aus den vielen Fürstentümern Chinas ein einheitliches Kaiserreich - kurz vor der Zusammenfassung der Mittelmeerländer unter Rom; seit 220 n. Chr. brach trotz gewaltiger Grenzmauern der Einheitsstaat unter Aufständen und Barbareneinfällen zusammen - ebenfalls etwas früher als der römische.
  • Um 150 n. Chr. wurde der Buddhismus (mit »Pagoden« und »Bonzen«) aus Indien nach China übertragen und blieb dort lange die wichtigste Religion. Etwa gleichzeitig haben wir Europäer aus Vorderasien (Palästina) das Christentum übernommen.

Zu den eigenartigen Gemeinsamkeiten gehört auch das offene Aussprechen der Frauenunterdrückung. In Griechenland haben besonders die Theaterdichter Euripides und Aristophanes um 400 v. Chr. einzelnen Frauen bittere Anklagen gegen die Männerherrschaft und die Frauenbenachteiligung in den Mund gelegt. In China enthalten schon die ältesten Bücher (Q3) solche Vorwürfe, die lange fortgesetzt werden (QI). Die männlichen Verfasser treten nur selten für eine Änderung und Verbesserung ein; sie beobachten einfach, versetzen sich in die Lage der Frauen. Und doch spürt man in ihren Texten ein Unbehagen, fast ein schlechtes Gewissen.
Die Ähnlichkeiten ließen sich häufen, aber auch große Unterschiede wären zu nennen. Aber darauf soll es hier nicht ankommen. In den zweitausend Jahren von 1500 v. bis 500 n. Chr. hat sich China genauso verändert und weiterentwickelt wie die Mittelmeerwelt. Am Anfang standen kleine steinzeitliche Dörfer, am Ende luxuriöse Weltstädte mit Hunderttausenden von Menschen. Ganz China hatte schon um Chr. Geb. nach zuverlässigen Zählungen über 50 Millionen Einwohner. Um 500 n. Chr. brechen wir die Untersuchung ab. Vieles, was uns Europäern als »typisch chinesisch« gilt, fehlte damals noch vollständig: Zopftragen und Füßebinden, Opiumrauchen und Kinderzwangsehen. Auch die für Europa »klassische« Kunst Chinas kam erst später: blaugemusterte Porzellanvasen und Rollbilder mit Landschaften, Liebes- und Heldenopern sowie Blumen- und Mondscheingedichte. China ist also auch seit 500 n. Chr. nicht stehengeblieben.

2.3 Herrschaft ohne Frauenanteil?

Q 16:

  • »Die Menschen sind durchaus von den wilden Tieren, Rehen und Hirschen, Vögeln und Kriechtieren verschieden. Diese benutzen ihre Flügel und Haare als Kleidung und Pelz, ihre Beine und Klauen als Hosen und Schuhe und Gras als Speise und Trank. Deshalb brauchen die Männchen nicht zu pflügen, zu säen und zu pflanzen; und die Weibchen müssen nicht spinnen und weben. Denn die Stoffe für Kleidung und Nahrung stehen immer für sie bereit. Beim Menschen ist es anders: Er muß sich auf seine Arbeit verlassen, um zu leben. Wenn er das nicht tut, so kann er nicht leben...
    Die Könige, Fürsten und Herren halten in der Frühe Besprechungen ab und kehren erst spät heim. Sie nehmen an Gerichtsverhandlungen teil und üben die Regierung aus. Das sind ihre Pflichten. Die Gelehrten und Adligen erschöpfen die Kraft ihrer Glieder und verwenden die Kenntnisse ihres Geistes, um daheim ihr Amt zu verwalten und draußen an Toren und Märkten, in Gebirgen und Wäldern, an Seen und Deichen die Steuern zu erheben. Damit werden die Speicher und Schatzkammern gefüllt. Das sind ihre Pflichten. Die iauern ziehen des Morgens hinaus und kommen am Abend zurück. Sie pflügen, säen, pflanzen und sammeln. Das sind ihre Pflichten. Die Frauen erheben sich, wenn es Tag wird, und schlafen erst des Nachts. Sie spinnen und weben und ordnen die Hanf-, Seiden- und Bastfäden, die sie zu Geweben und Seidenstoffen verarbeiten. Das sind ihre Pflichten.« (Mo Ti, um 400 v. Chr., üb. nach Forke 153 f.)

Der Text beweist - wie die früheren - krasse Unterschiede zwischen den Menschen im alten China. Wie werden die Arbeiten einzelner Gruppen begründet? Unter welchen Bedingungen wären sie überflüssig? Werden Vor- und Nachteile einzelner Gruppen gesehen? Die Stellung der Frauen in der arbeitsteiligen Gesellschaft ist besonders interessant, zumal sie nicht in mehrere Schichten eingeteilt werden.
Die Aufzählung ist nicht ganz vollständig. Seit den ältesten Zeiten gab es die drei Gruppen der Fürsten, ihres adligen Gefolges und der freien Bauern.Die zunächst zahlreichen Fürsten verloren bis 221 v. Chr. ihre Sonderstellung und Macht. Seit damals gab es nur noch einen Herrn in ganz China, den Kaiser. Aus dem Adel entwickelte sich die Schicht der Gelehrten und Beamten, mit deren Hilfe der Kaiser den Einheitsstaat verwaltete. Den Bauern der Dörfer entsprachen in den Städten Handwerker und Händler. Sie waren reicher, aber weniger angesehen als die Bauern. Eine kleine Gruppe läßt der Text ganz aus: Der Staat und die Reichen besaßen einzelne Sklaven, die vor allem in Staatsbetrieben und als Diener im Hause eingesetzt wurden.

Q 17a+b:


Die Haltung beider Figuren ist auffällig. Es ist leicht vorstellbar, inwiefern die Abbilder wirkliche Opfer der älteren Zeit ersetzen (Q 3). Die Sklavin dient im Leben als Laternenträgerin, ihre Stellvertreterin im Grabe als »Lebenslicht«. Der Sklave gehört zu den ältesten plastischen Menschendarstellungen überhaupt, die aus China bekannt sind. Wie ist der künstlerische Wert beider Grabbeigaben?
Aufgaben und Leistungen der Herrschenden werden nicht nur von Mo Ti (Q 16) hoch eingeschätzt: »Regieren heißt recht machen. Wenn der Fürst vorangeht im Rechten, wer würde da wagen, Unrecht zu tun?« meint Konfuzius, und das »Buch der Lieder« stellt fest: »Ein freundlich mildgesinnter Fürst ist Vater, Mutter allen Leuten« (H. Wilhelm 18, 115). Viele kleine Geschichten beschreiben, was die Regierung zu tun hat.

Q 18:

  • »König Wen war bescheiden und ehrfurchtsvoll und widmete sich friedlichen Tätigkeiten, der Sorge um den Ackerbau. Er war milde und in bezaubender Weise respektvoll. Er pflegte die kleinen Leute und war freundlich und gut zu Witwern und Witwen. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fand er keine Zeit, um in Ruhe zu essen. So einigte und versöhnte er das Volk der Zehntausende. Er wagte es nicht, bei Ausflügen und Jagdzügen seine Lust zu suchen.« (Buch der Urkunden, 10.-7. Jh. v. Chr., üb. nach H. Wilhelm 114)

Q 19:

  • »Im Sommer suchte eine furchtbare Dürre den Staat Lu heim. Der Herzog wollte aus diesem Grunde eine klapperdürre Zauberin verbrennen lassen. Der Würdenträger Dsang Wendschung sprach zum Herzog: >Nichts ist geschehen, um einer Dürre vorzubeugen. Die Stadtbefestigungen auszubauen, an Lebensmitteln zu sparen, die Ausgaben zu verringern, die Feldbestellung zu fördern und das Volk zum gegenseitigen Teilen seiner Vorräte zu ermahnen: darum müßte man sich kümmern! Was kann denn schon so eine armselige, dürre Zauberin für Schaden anrichten? Wollte der Himmel sie wirklich beseitigen, hätte er sie erst gar nicht zur Welt kommen lassen. Und könnte sie wirklich eine Dürre herbeizaubern, so würde uns wegen ihrer Verbrennung ein nur noch größeres Unheil befallen.< Der Herzog hörte auf den Rat. Es gab zwar eine Hungersnot in diesem Jahr; aber allzu arg litt das Volk nicht darunter.« (Tsos Komentar, um 400 v. Chr., üb. nach Schwarz 1, 117 f.)

Q 20:


Wie wird die Regierung hier dargestellt, wofür ist sie verantwortlich, womit erreicht sie ihre Ziele? Es ist kein Zufall, daß besonders die Sorge für die Landwirtschaft betont wird. Jedes Jahr einmal mußte der Kaiser selbst feierlich ein heiliges Feld pflügen. Am wichtigsten waren Bewässerung und Entwässerung: Ohne sorgfältigen Ausbau der Deiche und Kanäle wurde jede Trockenheit einerseits, jede t)berschwemmung andererseits zur Hungerkatastrophe. Zu den großen öffentlichen Arbeiten zählten aber auch Straßenbau, Festungsbau und Getreidespeicher (für Kriegsfälle und Notzeiten). Schwerer verständlich ist, was über die Behandlung der Untertanen gesagt wird: Ob die Beschreibung Wirklichkeit, Ermahnung oder Selbsttäuschung ist? Stimmt sie mit dem früher beschriebenen Fest (Q 7,8) überein? Texte aus anderer Sicht helfen weiter:

Q 21:

  • »Die Sonne geht auf, da arbeiten wir.
    Die Sonne sinkt, da rasten wir.
    Wir graben Brunnen und trinken dann.
    Wir pflügen Felder und essen dann.
    Des Königs Macht, was geht sie uns an?«
    (Buch der Urkunden, 10.-7. Jh. v. Chr., üb. nach Gundert 232)

Q 22:

  • »Wir zimmern die Wagen und Räder zurecht.
    Zum Fluß hinab schafft für den Herrn sie der Knecht.
    Hell fließen die Fluten und kräuseln sich fein.
    Du säst nicht und mähst nicht und ziehst nicht den Pflug.
    Wer bringt dir die reiche Ernte herein?
    Du pirscht nicht und jagst nicht und hast doch genug:
    Im Herrenhof hängen die Schnepfen in Reih'n.
    He, hoher Herr, was du verzehrt, muß andrer Leute Arbeit sein!«
    »Große Maus! Große Maus! Friß nicht unsern jungen Reis!
    Wir hielten dich drei Jahre aus, du fragtest nichts nach unserm Schweiß!
    Wir ziehn in jenes schöne Land, schöne Land, schöne Land,
    wo uns Recht wird zuerkannt.«
    (Buch der Lieder, 10.-7. Jh. v. Chr., üb. nach Schwarz 9 und v. Strauß 194)

Der Fürst, der adlige Grundbesitzer und der Verwaltungsbeamte (als Ratte) erscheinen hier in ganz anderem Licht, obwohl Bewässerung und Verkehr auch hier erwähnt werden. Erstaunlich ist das Leistungsund Selbstbewußtsein. Worauf gründet es sich? Welche Mittel besitzen die Bauern, sich zu wehren? Von hier aus werden auch die voranstehenden Beschreibungen der Herrschaft besser verständlich. Wieso? Die Weisen und Gelehrten der verschiedenen Schulen äußern sich wiederum anders:

Q 23:

  • »Daß das Volk hungert, kommt davon her,
    daß die Oberen zu viele Steuern fressen.
    Darum hungert es.
    Daß das Volk schwer zu leiten ist, kommt davon her,
    daß seine Oberen zuviel verwalten. Darum ist es schwer zu leiten.
    Daß das Volk den Tod zu leicht nimmt, kommt davon her,
    daß seine Oberen die Fülle des Lebens zu reichlich suchen.
    Darum nimmt es den Tod zu leicht...«
    (Tao-te-king, um 300 v. Chr., üb. nach Wilhelm 118)

Q 24:

  • »Meng-tse redete mit dem König Süan von Tsi und sprach: Wenn unter euren Dienern einer ist, der Weib und Kind seinem Freunde anvertraute und in ferne Lande reiste, und wenn er heimkommt, da hat der andere seine Frau und Kinder frieren und hungern lassen: was soll mit jenem Mann geschehen?«
    Der König sprach: »Er soll verurteilt werden.«. .. Meng-tse fuhr fort: »Wenn Unordnung im ganzen Lande herrscht: was soll geschehen?« Der König wandte sich zu seinem Gefolge und redete von anderen Dingen...
    Meng-tse sprach: »Das Volk ist am wichtigsten. Die Götter des Landes und des Kornes kommen in zweiter Linie. Und der Fürst ist am unwichtigsten... Wenn ein Landesfürst die Altäre des Landes und des Korns in Gefahr bringt, so wird er abgesetzt und ein anderer für ihn eingesetzt... Wenn das Opfer rechtzeitig dargebracht war und es tritt dennoch Dürre oder Hungersnot ein, so werden die Götter des Landes und des Kornes abgesetzt und andere für sie eingesetzt.«
    (Meng-tse, um 300 v. Chr., üb. nach Wilhelm 17, 174)

Beide Verfasser kritisieren die Regierung, aber aus unterschiedlichen Gründen. Um den Bauern zu helfen, machen sie verschiedene Vorschläge. Einig wären sie wohl nur darin: »Eine harte Regierung ist grausamer als ein Tiger« (Buch der Sitte, üb. Schwarz 1, 170). Trotz vieler vorbildlich fürsorglicher Herrscher und Beamter ist die ganze chinesische Geschichte voll von Klagen über untragbare Steuern, ausbeuterische Gutsbesitzer und bestechliche Verwaltung. Aber sie ist auch voll von riesigen Bauernaufständen, die vielfach von der Schule der Taoisten unterstützt wurden. Meist wurden die Rebellen blutig unterdrückt, aber mehrfach konnten sie auch eine Landreform erzwingen oder - wie von Meng-tse vorgeschlagen - eine neue Familie auf den Kaiserthron bringen.
Bei alledem scheint die Frage nach der Rolle der Frauen ganz in Vergessenheit geraten zu sein. Hatten Frauen an der Regierung teil oder gehörten sie nur zu den Untertanen?

Q 25:

  • »Ein kluger Mann erbaut sich feste Städte, die kluge Frau zerstört die festen Städte... Der Aufruhr wird vom Himmel nicht gesandt, vom Weibe kommt er in das Land... Die Frau ist zum Staatsdienst nicht geeignet, sie darf Seidenzucht und Weberei nicht verlassen.«
    (Buch der Lieder, üb. nach v. Strauß 459 f.)
    »Wenn die Henne am Morgen (vor dem Hahne) kräht, dann steht dem Hause nahes Unglück bevor!« (Buch der Urkunden, üb. nach Kuhn 51) - »Frauen würden bald Unordnung und Verwirrung im Reich, Schaden und Schmach am kaiserlichen Hof und Beschämung für Sonne und Mond stiften. Das »Buch der Urkunden« warnt uns vor dem Huhn, das an Stelle des Hahns den Tag ausruft. Das »Buch der Lieder« berichtet von einer Frau, die in geschickter Weise den Sturz eines Staates bewirkt.. . Man sollte daher den Frauen keine Beteiligung an Regierungsgeschäften gestatten.«
    (Yang Dschen, um 100 n. Chr. üb. nach Kristeva 56)

Der letzte Text ist überaus bezeichnend - nicht nur wegen seiner Absicht, sondern mehr noch wegen der Art der Begründung! Durch die Jahrhunderte ziehen sich die Warnungen und Befürchtungen der Gelehrten (oder gar aller Männer?). Es lohnt sich, damit die tatsächlichen Zustände oder wenigstens Beispiele zu vergleichen. Gab es Frauen, die regierten? Wie übten sie ihre Macht aus?

Q 26:

  • »Der König von Tsi hatte einen Gesandten mit einer Anfrage an die Königin Wei von Dschao geschickt. Bevor sie den Brief öffnete, fragte die Königin den Gesandten: >Wie war bei euch die Ernte, wie geht es dem Volk, was macht der König?< Der Gesandte fuhr auf und sagte: >Ich bin mit einer Botschaft an die Königin Wei geschickt. Da fragen Sie jetzt nicht nach dem König, sondern zuerst nach dem Erntejahr und dem Volk. Wollen Sie das Niedere voranstellen und das Höhere zurücksetzen?< - >Keineswegs<, sagte die Königin. >Aber was ist das Volk ohne Ernte, und was ist der König ohne das Volk? Habe ich da mit meiner Frage die Hauptsache außer Acht gelassen und nach der Nebensache gefragt?<«
    (Pläne der kämpfenden Staaten, um 250 v. Chr., üb. nach Haenisch 24)

Q 27:

  • Eine Kaiserin: »Ich habe mit Bedauern aus der Geschichte entnommen, daß zu allen Zeiten und bis heute das meiste Unglück für den Staat von Frauen herrührte. Ich muß sagen, daß diese Erkenntnis tiefen Eindruck auf mich gemacht hat und daß ich mich seitdem mit Argwohn beobachte. Jetzt muß ich fürchten, meinen Namen von der Geschichte auf die Liste jener Frauen gesetzt zu sehen.«
    (Jahrbücher, um 315 n. Chr. üb. nach Kuhn 110)

Welche Wirkungen hatten die Warnungen auf die Frauen selbst? Bestimmte Texte kannten alle gebildeten Chinesen auswendig: Kann es sein, daß die Königin Wei Meng-tse zitiert (Q 24)? War die Rolle der Frauen wirklich so verderblich? Eher gilt umgekehrt: Sie sollten nicht an der Regierung teilhaben, aber sie blieben von Herrschaft und Krieg nicht ungeschoren.

Q 28:

  • »Von den drei Armeen soll eine aus den kräftigen Männern, eine aus den kräftigen Frauen und eine aus den alten und schwachen Männern und Frauen gebildet werden... Laß die Armee aus kräftigen Männern mit reichlich Vorräten und scharfen Waffen sich aufstellen und den Feind erwarten. Laß die kräftigen Frauen mit reichlich Vorräten und Schanzmaterial auf dem Rücken sich ordnen und Befehle erwarten. Sie sollen beim Anmarsch des Feindes Hindernisse aus Erdwällen, Fallgruben, Verhauen und pfahlbesetzten Gräben machen. Sie sollen die Stützbalken niederlegen und die Hauswände einreißen, das Bewegliche wegbringen und das nicht Tragbare verbrennen, damit die Eindringlinge es bei ihrem Angriff nicht benutzen können. Laß die Armee der Alten und Schwachen die Ochsen, Pferde, Schafe und Schweine hüten und alles Brauchbare an Pflanzen und Wasser für die eigene Versorgung sammeln, damit Nahrung für die kräftigen Männer und Frauen gespart wird.« (Shang-tse, um 350 v. Chr., üb. nach Duyvendak 250 f.)

Q 29:


Inwiefern tragen Frauen die Last des Krieges wie der Arbeit mit? Inwiefern können sie mitbestimmen? Selten wurde in China die Berechtigung von Herrschaft (Kaisertum) und die Aufgabe, Frieden und Wohlstand zu sichern, bestritten. Aber das Ausmaß des Versagens ist oft erschreckend! Immer leiden die Frauen besonders. Aus ihrer Verzweiflung macht ein Dichter die schwerste Anklage:

Q 30:

  • »In der Hauptstadt war Chaos. Wie Tiger tobten
    Gewaltherren, bar aller Menschlichkeit.
    ich ging. Verwandte und Freunde gaben
    mit Tränen zum Tor mir ein trübes Geleit.
    Mein Weg war besät mit Toten - zerstochen,
    zerhauen, zerfleischt, zerrissen der Leib.
    Die Äcker deckten bleichende Knochen
    da sah ich am Waldrand ein hageres Weib.
    Sie trug einen Säugling. Im Dickicht legte
    sie nieder ihr Kind. Ich hörte es schrein.
    An den Tränen sah ich, daß Schmerz sie bewegte.
    Sie dreht sich nicht um! - Sie läßt es allein!
    Ich frag sie: >Warum?< - Voll bitterem Leide
    blickt sie mich an; aus dem magren Gesicht
    wischt sie die Tränen: >Es reicht nicht für beide!
    Auch mich trifft es bald...< - Ich ertrug es nicht -
    Fort! Fort sprengte ich mit verhängtem Zügel,
    vor Grauen stand mir zu Berge das Haar.
    So kam ich nach Baling, dem Grabeshügel
    König Wens, der milde und weise war.
    Ich stieg hinan, und den Blick ließ ich schweifen
    zur Hauptstadt und stöhnte, von Schmerz übermannt.
    Jetzt kann ich die Lieder der Alten begreifen
    den bitteren Traum vom gesegneten Land.«
    (Wang Tsan, um 200 n. Chr., üb. nach Schwarz 67)

Hier drängt sich ein Einwand auf: Sind Übersetzungen aus dem Chinesischen eigentlich zuverlässig? Stammen die erschütternden (oder beglückenden) Texte nicht eher von den Übersetzern? - Manches kann mißtrauisch machen, z. B. die Namen-. Der oben zitierte Mo Ti erscheint auch als Meti, Micius, Me-tse, Mo Dsi, Mo-tzu oder Mods. Wer hätte gedacht, daß immer derselbe gemeint ist? Ein anderes Beispiel:

Q 31:

  • »Nichts ist rot als der Fuchs; »Ein Fuchs ist unser Herzog hier, nichts ist schwarz als die Raben. auf Raub und Mord erpicht. Sei gut zu mir, liebe mich Ihr zaudert noch? Was zaudert Ihr? faß meine Hand, nimm mich in dei- Auf, Freunde, laßt uns Hand in Hand nen Wagen nun fahren in ein andres Land. Ach, diese Scheu, diese Säumigkeit! Wir dulden's länger nicht!« Komm, es ist keine Zeit.« (Buch der Lieder, üb. nach Schwarz (Buch der Lieder, üb. nach Debon in 12) Gundert 249)

Beide Übersetzungen scheinen sogar verschiedene Themen zu haben; man kann Überschriften suchen und erraten, welche Übersetzung in der DDR, welche in der Bundesrepublik erschienen ist. Die Unsicherheiten sind besonders groß bei ganz alten, schlecht überlieferten, bewußt doppeldeutigen (z. B. revolutionären) Texten. Immer aber gibt es mehrere Schwierigkeiten:

  • Die Chinesen benutzen eine Bilderschrift mit tausenden von Zeichen, keine Lautschrift. Die Bilder sind nicht immer eindeutig und bekannt, obwohl jedem Zeichen eine Erläuterung (Deute-, Klassezeichen) zugesetzt wird.
  • Die chinesische Sprache kennt nur einsilbige und unveränderliche Worte ohne Wortarten (Hauptwörter, Tätigkeitswörter), Fälle, Zeiten usw. Nur die Satzstellung und Hilfsworte geben einige Auskunft.
  • Die chinesischen Philosophen bilden keine abstrakten Begriffe und umfassenden Systeme, sondern erzählen kleine Beispiele und Amekdoten. Der Zuhörer kann über diese Geschichten nachdenken (meditieren) und sie oft verschieden auslegen. Gegnerische Schulen benutzen dieselben Geschichten mit ganz kleinen Änderungen.
  • Schon die ältesten Gedichte stecken voll schwieriger Bilder und Vergleiche (z. B. »große Maus« gleich »habgieriger Beamter«), später wird ständig aus den alten Schriften zitiert (z. B. »Fürst als Vater und Mutter des Volkes«). Viele Texte bestehen daher eher aus vieldeutigen Anspielungen als aus klaren Aussagen.

Man tut gut daran, wenn irgend möglich mehrere Übersetzungen zu vergleichen, am besten von Wissenschaftlern verschiedener Richtung. Das ist bei fast allen hier angeführten Texten geschehen. Deshalb sind die Übertragungen sehr selten wörtlich übernommen, sondern meist vereinfacht, kontrolliert und nach der wahrscheinlichsten (also nicht jeweils der bequemsten) Lösung verändert. Dennoch können im einzelnen Text Mißverständnisse stecken: erst die Gesamtheit gibt ein zuverlässigeres Bild.

2.4 Familie als Zentrum des Denkens?

Q 32:

  • Die Jahrbücher von Lu über die Jahre 669 und 668 v. Chr.: »Im vierundzwanzigsten Jahr des Herzogs, im Frühling, im dritten Monat, ließ er die Dachbalken für Herzog Hwans Ahnentempel schnitzen. Es war das Begräbnis des Herzogs Chwang von Ts'ao. Im Sommer reiste der Herzog nach T'se, um seine Braut zu treffen; im Herbst kam der Herzog von T'se zurück. Im achten Monat kam seine Frau, die Dame Keang, an. Am Tag Mow-yin hatten die großen Beamten, die zum herzoglichen Hof gehörten, und ihre Frauen einen Empfang bei ihr und brachten ihr Geschenke aus Seide. Es gab große Überschwemmungen. Im Winter machten die Jung einen Überfall nach Ts'ao; darauf floh Ke von Ts'ao nach Ch'in und Ch'ih kehrte nach Ts'ao zurück.
    Im fünfundzwanzigsten Jahr des Herzogs, im Frühling, schickte der Graf von Ch'in den Ju Shuh nach Lu mit freundlichen Erkundigungen. Im Sommer, im fünften Monat, am Tag KweiCh'ow starb Soh, Graf von Wei. Im sechsten Monat, am Tag Sin-we, zu Neumond, war Sonnenfinsternis. Deshalb schlugen wir Trommeln und brachten Opfer auf dem Altar des Landes dar. Die älteste Tochter des Herzogs reiste zu ihrem Palast in Ke. Im Herbst gab es große Überschwemmungen. Darauf schlugen wir Trommeln und versuchten es mit Opfern auf dem Altar des Landes und an den Stadttoren. Im Winter reiste Yew, der Sohn des Herzogs Hwan, nach Ch'in.«
    (Frühling und Herbst III 24,25, vor 500 v. Chr., üb. nach Legge)

Der Wortlaut ist typisch für viele, viele andere Jahre des frühen China und ähnelt stark europäischen Annalen des Mittelalters (1500 Jahre später). Gütererzeugung und Regierungsweise (die beiden ersten Fragen an jede Gesellschaft!) werden in Umrissen deutlich, vor allem aber das Denken, die Ideen: Was war so wichtig, daß es aufgezeichnet wurde? Was fürchteten, hofften und fühlten die Menschen am stärksten? Weiteren Aufschluß geben die alten Lieder:

Q 33:

  • »Ahnfrau und Ahnherrn zur Ehre soll klafterhoch ragen das Haus
    mit Toren im Süden und Westen... Laute und Trommelschlag
    ehren den Ahnen der Felder, bitten um Regen so süß.
    Möge die Hirse nun sprießen, Speise für Kinder und Frau...
    Engerlinge und Würmer schadet nicht unserer Saat!
    Der Ahne der Felder hat Macht über euch, gibt euch der Flamme zum Fraß...
    Nun naht sich euer Enkel mit Kindern und mit Frau,
    trägt Speise zum südlichen Acker den Knechten hinaus auf das Feld.
    Er opfert den Winden, der Erde den roten und schwarzen Stier.
    Er bringt die Hirse zum Opfer, bringt sie euch Ahnen dar.
    So wächst noch immer sein Glück.«
    (Buch der Lieder, üb. nach Weber-Schäfer 61,57f., 59)

Die religiösen Vorstellungen lassen sich klar erkennen, auch die Stellung der Frauen und der Familie darin. Fruchtbarkeitskult und Ahnenverehrung hingen eng zusammen; die Vorfahren konnten reiche Ernte schenken, Schädlinge, Hagelschlag, Trockenheit, tjberschwemmung u. ä. abwenden. Verglichen damit waren die Götter (selbst eine Art von Ahnen) weniger wichtig. Opfer (anfangs auch Menschenopfer bei Aussaat, Fürstenbegräbnis, Mißernte oder Siegesfeier), Zukunftserforschung (Wahrsagerei, Traumdeutung, Orakel) und Zauberei dienten dazu, den Willen der Ahnen zu erforschen und zu beeinflussen.

Q 34:

  • »Es werden Söhne dir geboren,
    du wirst sie auf ein Lager legen,
    du wirst sie in Gewänder hüllen,
    zum Spielen ihnen Szepter geben.
    Sie werden kräftig ihre Stimmen üben,
    beim Opfer prächtig rote Kleider tragen
    und Herrn des Hauses und des Staates sein.
    Es werden Töchter dir geboren,
    du wirst sie auf den Boden legen,
    du wirst sie nur in Windeln hüllen,
    zum Spielen ihnen Spindeln geben.
    Sie werden gut und schlecht nicht kennen,
    für Opferreis und -wein gehorsam sorgen
    und folgsam ihren Eltern Kummer sparen.«
    (Buch der Lieder«, üb. nach WeberSchäfer 62 f. und v. Strauß 302 f.)251

Q 35:

 
Der Kasten ist nicht nur für die Ahnenverehrung bestimmt, er stellt sie zugleich dar. Die Vorfahren bleiben unsichtbar, aber Eltern und Kinder sind erkennbar und führen typische Handlungen aus! Auch der Liedtext läß sich aus der Bedeutung des Alnenkults verstehen. Kinder sind »lebensnotwendig«, denn nur eigene Nachkommen können die Opfer ausführen: »Drei Dinge verstoßen gegen die Pflicht der Kindesehrfurcht. Keine Nachkommen zu haben, ist das schlimmste davon.« (Meng-tse, üb. Wilhelm 84) Hieran knüpft sich eine unterschiedliche Wertung von Söhnen und Töchtern. Was sollen Söhne »sichern«, wozu »nur« scheinen Töchter brauchbar? Man kann sich leicht vorstellen, wie die getrennte und verschiedene Erziehung auf Jungen und Mädchen wirkte (vgl. QI)!

Q 36:

  • »Welches sind die bürgerlichen Pflichten? Es sind: die elterliche Sorge für das Kind, der kindliche Gehorsam gegen die Eltern; die Freundlichkeit des älteren Bruders gegen den jüngeren, die Nachgiebigkeit des jüngeren Bruders gegen den älteren; rücksichtsvolle Behandlung der Frau durch den Ehemann, Unterwerfung der Ehefrau unter den Willen des Mannes; wohlwollende Behandlung der Jüngeren durch die Älteren, Respekt der Jüngeren gegenüber den Älteren; Mitgefühl des Herrschers für die Beherrschten, Treue der Beherrschten gegenüber dem Herrscher. Das sind die zehn bürgerlichen Pflichten. ( ... )
    Durch die Heiratszeremonien erfolgt die freundschaftliche Vereinigung zweier Personen verschiedenen Familiennamens: nach Oben, um im Ahnentempel zu dienen, und nach Unten, um den Stamm durch Nachkommen in gerader Linie fortzusetzen. Deswegen legten die Weisen so großes Gewicht auf diese Zeremonien... Aus der Verschiedenheit der Aufgaben von Mann und Frau ergeben sich ihre gegenseitigen Pflichten. Wenn Mann und Frau ihre Pflichten erfüllen, dann herrscht auch Liebe zwischen Vater und Sohn, dann ist auch das Verhältnis zwischen Fürst und Untertan in Ordnung. Daher sagt man: Die Heiratszeremonien sind die Wurzel aller Sitten.« (Buch der Sitte, 400-200 v. Chr., üb. nach Kuhn 130 und Schmitt 28)

Q 37:

  • »Eine Frau hat nicht zu bestimmen! Sie ist in dreifacher Hinsicht abhängig: in der Jugend von den Eltern, in der Ehe vom Gatten, nach dessen Tode vom Sohne. So verlangt es die Sitte.« (Lebensläufe der berühmten Frauen, ca. 30 v. Chr., üb. nach Shou-Lin Cheng 32) - »Mit kleinen Leuten ist ebenso schwer umzugehen wie mit Frauen. Ist man vertraulich mit ihnen, dann werden sie unverschämt. Hält man aber Abstand von ihnen, dann murren sie.« (Konfuzius, um 500 v. Chr., üb. nach Kristeva 55)

Q 38:


Die Texte und das Bild machen das Verhältnis von Mann und Frau sehr deutlich. Ist die Beziehung gleichberechtigt, spiegelbildlich, einseitig? Wie wird sie in andere gesellschaftliche Abhängigkeiten eingeordnet? Warum werden Frauen und kleine Leute verglichen? Kann es zwischen mehreren Pflichten Widersprüche geben? Wie sind sie zu entscheiden? Wem allem muß eine junge Frau gehorchen? Werden ernsthafte Gründe für die jeweiligen Pflichten angegeben? Aus welcher Sicht stammen die Texte? Gibt es Widersprüche? Wie könnte man eine Gesellschaft mit diesen Grundregeln bezeichnen? Für das Zusammenleben in der Familie gibt es zahlreiche Vorschriften, z. B. für Heirat, Alltag, Erziehung und Scheidung:

Q 39:

  • »Die Toren ertragen in Milde, bringt Glück. Die Frauen zu nehmen wissen, bringt Glück... Sie soll nicht ihrer Laune folgen, sie soll im Innern für Speise sorgen... Sie ist der Reichtum des Hauses: großes Glück! ... Das heiratende Mädchen wird Sklavin, wenn sie als Nebenfrau heiratet ... Man nimmt eine Nebenfrau, damit sie einen Sohn bringt... Die Frau bekommt drei Jahre kein Kind. Endlich hindert sie nichts mehr. Glück!« (Buch der Wandlungen, um 1000 v. Chr., üb. nach Wilhelm 41, 145, 202,187, 198)

Q 40:

  • »Wenn ein Kind zur Welt kommt und es ist ein Junge, stark wie ein Wolf, dann fürchtet man dennoch, er könnte zu schwach sein. Ist es aber ein Mädchen, schon sanft und gefügig, so befürchtet man noch, es könnte zu stark sein.« (Pan Ku und Pan Chao, um 100 n. Chr., üb. nach Kristeva 56f.) - »Die Mutter behandelt ihren Sohn mit inniger Liebe, aber das hat oft sehr schlechte Folgen. Dafür ist die Liebe verantwortlich. Der Vater zeigt weniger Liebe und züchtigt den Sohn bei seinen Unterweisungen. Aber das wirkt viel Gutes: eine Folge der väterlichen Strenge.« (Han Fei-tse, um 250 v. Chr., üb. nach Forke 479)

Q 41:

  • »Männer und Frauen sitzen nicht beeinander. Sie benützen nicht denselben Kleiderhaken oder Kleiderständer. Sie benützen nicht dasselbe Handtuch oder denselben Kamm. Sie reichen einander nichts mit der Hand. Schwägerin und Schwager erkundigen sich nicht nacheinander... Worte von außen dringen nicht ins Frauengemach, und aus dem Innern dringen keine Worte über das Frauengemach hinaus... Wenn eine Tochter zu Besuch in das väterliche Haus zurückkehrt, so werden selbst ihre Brüder nicht mit ihr auf derselben Matte sitzen oder aus derselben Schüssel essen... Junge Männer und Mädchen wissen außer bei Verlobungen nicht die Namen voneinander. Ehe die Hochzeitsgeschenke überreicht sind, haben sie keine Bekanntschaft und kein Liebesverhältnis.« (Buch der Sitte, 400-200 v. Chr., üb. nach Wilhelm 346f.)

Q 42:

  • »Ich ging auf den Berg, um wildes Kraut zu pflücken,
    das Kindersegen bringt.
    Beim Heimweg traf ich meinen früheren Gemahl.
    Ehrfürchtig knieend fragt' ich ihn:
    >Die neue Frau, wie denn gefällt sie dir?<
    >Man sagt wohl, sie sei hübsch, doch nicht so hübsch wie du.
    Ihr gleicht euch an Gestalt, doch nicht an Tüchtigkeit...
    Gelbseide webt die Neue mir - du webtest feinen weißen Stoff.
    Sie täglich nur ein Stück - fünf Ellen webtest du.
    Vergleich die Seide ich, dann ist die alte Frau doch besser als die Neue<.«
    (Musikamtslieder, 1. Jh. n. Chr., üb. nach Eichhorn 121)

Wie trostlos fremd müssen,sich Männer und Frauen im Alltag gewesen sein! Man hat gesagt, sie lebten wie zwei feindliche Stämme bei ganz brüchigem Waffenstillstand vorsichtig nebeneinander, nicht liebevoll miteinander. Ehen wie Scheidungen wurden nicht von der Zuneigung bestimmt, sondern von anderen Gesichtspunkten. Interessant ist z. B., nach welchen Maßstäben Männer ihre Frauen bewerten (Q39, Q42), wer und warum über Vereinigung und Trennung entscheidet. Wichtigster Grund war wohl meist Nachwuchswunsch, nicht Liebe, sogar beim Erwerb von Nebenfrauen, die als Sklavinnen der Hauptfrau galten. Die Männer konnten aber auch aus vielen Gründen (schlechte Bedienung der Schwiegereltern, keine männlichen Nachkommen, Schwatzhaftigkeit, Krankheit usw.) die Hauptfrau verstoßen.
Nur Fürsten, adlige Beamte und Reiche konnten sich überhaupt Nebenfrauen leisten. Wenn sie von den starren Sitten und strengen Regeln zu Hause gelangweilt waren, nahmen sie Liebesverhältnisse mit Sängerinnen, Tänzerinnen oder Musikerinnen auf. Für diese verachteten Frauenberufe galten die engen Verhaltensvorschriften nicht. Ein großer Teil der Liebesromane und -geschichten handelt von solchen Frauen, nicht von den abgeschlossen lebenden Gattinnen. Man darf sich also nicht vorstellen, alle Menschen in China hätten so gelebt, wie die heiligen und gelehrten alten Bücher es vorschrieben. »Die Tiere kennen ihre Mutter, aber nicht ihren Vater. Die Bauern sagen.- Vater und Mutter, warum sollen wir sie unterscheiden?' Nur die adligen Städter wissen, wie man dem verstorbenen Vater Ehre er~weist.« (Sprichwort, üb. Kristeva 53) Die Bauern und das einfache Volk lebten (schon aus wirtschaftlichen Gründen) in Einehe. Unter den Philosophen standen dem einfachen Volk die »oppositionellen« Taoisten nahe - im Gegensatz zu den »regierungstreuen« Konfuzianern.

Q 43:

  • »Das Weibliche siegt immer durch seine Stille über das Männliche... Wer das Männliche kennt, doch sich ans Weibliche hält, wird wie ein Tal und empfängt alle Dinge... Und er wird wieder wie ein Kind... Ich schätze es hoch ein, Nahrung zu suchen bei der Mutter.. . Der Geist des Tals ist unsterblich. Er heiß das tief Weibliche. Der Ausgang des tief Weiblichen ist die Wurzel von Himmel und Erde...« (Tao-te-king, um 300 v. Chr., üb. nach Wilhelm 104,95,68,46)

Q 44:

  • »Zeigst du ein freundlich Antlitz mir und Liebe unverkürzt,
    so wat ich durch den Fluß zu dir, den Rock hoch aufgeschürzt.
    Nur denk nicht, wenns's dir nicht beliebt,
    daß es nicht auch noch andre gibt - du dummer, dummer Junge du!«
    »Auf der Heide das kriechende Gras ist voligesaugt mit schwerem Tau.
    Auf ihm lag ein schöner Jüngling mit hellen Augen und edler Stirn.
    Wir trafen uns durch Zufall, und vereint waren wir glücklich.«
    (Buch der Lieder, üb. nach Schwarz 12f. und Fitzgerald 56)

Die bäuerlichen Volkslieder geben Frauenverhalten und Liebe ganz anders wider. Ist in ihnen irgendeine Unterdrückung spürbar? Wie steht es mit Bekanntschaften vor der Eheschließung? Von wem geht die Aktivität aus? Viele kleine Hinweise dieser Art machen es wahrscheinlich, daß in grauer Vorzeit (und bei den Bauern noch lange) die Männer die Frauen noch nicht beherrschten. In der Schrift bedeuten die Zeichen »Frau« und »Kind« zusammen »Glück«, die Zeichen »Frau« und »Abstammung« zusammen »Familienname« oder »Sippe«. In ältester Zeit haben wohl die Kinder zur Familie der Mutter gehört (»Mutterrecht«).
Dabei erhebt sich die Zwischenfrage: Wie wichtig ist eigentlich das altchinesische Denken heute noch? Und welche Richtung hat stärker gewirkt? - Wir Europäer können uns die Rolle des alten China in der Weltgeschichte und im heutigen Denken vielleicht am besten klarmachen, wenn wir es mit dem (etwa gleich frühen) alten Griechenland vergleichen. Die chinesische Kultur ist für ganz Ostasien (Japan, Korea, Vietnam, Tibet, Mongolei usw.) ganz genauso grundlegend wie die altgriechische für uns Europäer:

  • Wie wir alle (selbst Russen und Isländer) Schriften benutzen, die aus dem Altgriechischen abgeleitet sind, so haben Japan, Korea und Vietnam ihre Schreibweise aus der chinesischen entwickelt.
  • Die Ostasiaten haben ebenso viele Grundbegriffe ("Nicht-handeln«, »große Gleichheit«, »Maß und Mitte«, »Himmelssohn") aus den Chinesischen übernommen wie wir aus dem Griechischen (z. B. »Logik«, »Demokratie«, »Physik«, »Ökonomie«, »Atom«, »Historiker«).
  • Die altchinesische Bauweise, der fälschlich »Pagode« genannte Festungs- und Wohnturm, kehrt überall in Tempeln, Palästen und Toren Ostasiens bis zur Gegenwart wieder. So wurden auch bei uns bis um 1900 mit Kirchen, Schlössern, Theatern und Parlamentsgebäuden oft altgriechische Tempel nachgeahmt.
  • Die eigene Bevölkerung wird mit »Welt und Menschheit« gleichgesetzt. Wie man in Ostasien, das fast ganz Teil im chinesischen »Reich der Mitte« war, nur »Chinesen« und kaum menschliche »Barbaren« kannte, so im römisch-griechischen »Weltreich« (fast ganz Europa!) nur »hellenisierte Römer« und »Barbaren«. Heute unterscheiden viele nur »Europäer« und »Eingeborene«.
  • Die Ostasiaten haben lange an der höchsten Verehrung des Altertums festgehalten und den ältesten Schriften (wie auch alten Menschen) unbedingt gehorcht. Deshalb beeinflußt die altchinesische Geschichte die Gegenwart stark. Auch die Römer haben die Sitten der Vorfahren (und die Alten) fast vergötzt; und vielen Europäern gilt die »Heilige Schrift« (die Bibel ist ein sehr altes Buch!) als höchste Autorität.
  • Zu den grundlegenden Traditionen Ostasiens gehört auch die Unterordnung der Frau und die Trennung der Geschlechter; sie findet sich (oder fand sich noch vor kurzem) auch in Japan, Korea usw. Ist es in Europa nicht ähnlich? Oder wirken das römische Recht und das jüdische Denken nicht mehr zu Ungunsten der Frauen nach?

Q 45:

        

Und doch gibt es zwischen der chinesischen und der griechischen Kultur wichtige Unterschiede:

  • China ist heute wie vor 3000 Jahren die größte Macht Ostasiens; jeder fünfte Mensch ist ein Chinese. Dagegen sind wir Europäer in viele Nationalstaaten zerfallen, von denen Griechenland einer der kleinsten ist: auf 100 Chinesen kommt ein Grieche.
  • China hat sich weit selbständiger und unabhängiger entwickelt, denn es war von den ersten Hochkulturen in Vorderasien/Nordafrika sehr weit entfernt und bekam nur flüchtige Anregungen. Dagegen haben unsere griechischen Vorgänger viele Kenntnisse und Erfindungen unmittelbar von den Ägyptern oder Mesopotamiern übernommen.
  • Wir Europäer haben viele tiefe Brüche und Wendungen unsrer Geschichte erlebt, z. B. zugunsten des Gottes Jahwe auf Zeus und Wodan verzichtet. Statt dessen hat China seine Überlieferung stets ununterbrochen gehalten (Kontinuität) und seine Kultur gegen alle Eroberer durchgesetzt: Das »Buch der Lieder« und das »Buch der Urkunden« bedeuten den Chinesen deshalb mehr als uns die Sagen der Griechen, das Nibelungenlied (Siegfried und Hagen) und die biblischeu Geschichten zusammengenommen.
  • Wir Europäer haben in den letzten 500 Jahren die Erde erobert und in den letzten 200 Jahren Industrien aufgebaut. Gleichzeitig haben die Chinesen den umgekehrten Weg verfolgt; ihren großen Seehandel bis Ostafrika haben sie 1433 aufgegeben und sogar bei Todesstrafe verboten, gegen Europäisierung und Industrialisierung haben sie sich bis etwa 1900 erbittert gewehrt.

Die Betrachtung ist aus der Sicht eines Europäers geschrieben. Es lohnt sich, sie in die Sicht eines Chinesen oder (vielleicht besser) eines Japaners umzuschreiben und zu überlegen, was sich dann ändern muß. Was mag im japanischen Geschichtsunterricht ausführlicher behandelt werden: Altgriechenland oder Altchina? Ob sich Japaner oder Chinesen uns Europäern so überlegen fühlen wie umgekehrt?

2.5 »Berühmte« Frauen - »große« Frauen - »befreite« Frauen?

Von 195 bis 180 v. Chr., fünfzehn lange Jahre wurde China von der Kaisetin Lü regiert, der Witwe des Kao-Tsu (206-195), der eine neue Kaiserfamilie gegründet hatte. Sie herrschte für und im Namen ihres Sohnes Hui (195-188), später anderer Kinder aus der Familie. Der größte Geschichtsschreiber des alten China, Ssu-ma Ch'ien, schreibt im Kapitel »Jahrbücher der Kaiserin Lü«:

Q 46:

  • »Die Kaiserin Lü war eine Frau von sehr starkem Willen. Sie half Kao-tsu bei der Eroberung des Reiches. Viele der großen Minister, die hingerichtet wurden, waren Opfer ihrer Macht. Sie hatte zwei ältere Brüder, die beide Generale waren... Die Kaiserin-Witwe Lü gewährte den Mitgliedern ihrer eigenen Familie große Ehrenstellen; einige Männer der Familie Lü machte sie zu Königen, so daß sie die Herrscherin unterstützen konnten. Sie bestimmte auch die Tochter von Lü Lu als Kaiserin für den Kinderkaiser, den sie ausgesucht hatte, um dem Kaiser Hui zu folgen. So hoffte sie feste Bande zu knüpfen, die ihre Familie sicherer an den Quellen der Macht halten sollten. Aber das hatte keinen Erfolg...
    Später ließ Kaiserin Lü der Frau Ch'i (einer bevorzugten Nebenfrau Kao-tsus) Hände und Füße abhauen, Augen ausstechen und Ohren verbrennen, durch Gift die Zunge lähmen und sie als »menschliches Schwein« auf den Mist werfen... Daraufhin weinte Hui so bitter, daß er krank wurde und mehr als ein Jahr das Bett nicht verlassen konnte. Er sandte einen Boten, um seiner Mutter zu sagen: >Kein menschliches Wesen hätte eine Tat wie diese begehen können! Da ich Euer Sohn bin, werde ich niemals zur Regierung des Reiches geeignet sein.< Seit damals ergab er sich täglich dem Trinken und beteiligte sich nicht mehr an der Staatsverwaltung. Seine Krankheit wurde schlimmer...
    Der Groß-Geschichtsschreiber bemerkt: Unter der Regierung des Kaisers Hui und der Kaiserin Lü brachten die einfachen Leute erfolgreich die Leiden der »Zeit der kämpfenden Reiche« hinter sich. Regierung und Untertanen gleichermaßen suchten Erholung durch Unterlassen von Aktionen. Deshalb saß Kaiser Hui mit gefalteten Händen und glatten Kleidern da. Und Kaiserin Lü, obwohl sie als Frau in der Weise eines Kaisers regierte, führte die Geschäfte der Regierung, ohne jemals ihre privaten Gemächer zu verlassen. Und die Welt hatte Frieden. Strafen wurden selten ausgesprochen und t)beltäter wurden selten. Während dessen widmeten sich die Leute den Aufgaben der Landwirtschaft; Nahrung und Kleidung gab es im (Jberfluß.« (Ssu-ma Ch-ien Kap. 9 und 49, um 90 v. Chr., üb. nach Watson 1, 321, 323, 340, 381)

Die Beschreibung und die Beurteilung der Kaiserin ist äußerst uneinheitlich, fast widersprüchlich. Worin? Man kommt weiter, wenn man die Auswirkungen ihrer Regierung auf die Kaiserfamilie, die Kaiserinfamilie und die Bevölkerung einzeln durchgeht. Inwiefern verläßt die Kaiserin die typische chinesische Frauenrolle, inwiefern erfüllt sie sie? Manche Züge lassen sich auch aus der Tendenz der chinesischen Geschichtsschreibung erklären. Sie ist verantwortlich, daß die Kaiserinnen Chinas viel weniger bekannt sind als die Kaiser.
Regierung von Frauen an Stelle und im Namen von Kinderkaisern waren häufig. Vereinzelt haben Frauen sogar im eigenen Namen geherrscht, so Kaiserin Wu (690-705). Die Beamten und Gelehrten waren immer gegen weibliche Regenten: Sie wollten sich Frauen nicht unterordnen und fürchteten die Absetzung der Herrscherfamilie durch die Familie der Kaiserin. Frauen regierten wohl kaum grausamer als Männer, aber ihnen wurden alle möglichen Hinterlisten, Ausschweifungen und Morde nachgesagt. Entsprechend erscheinen sie in der Geschichtsschreibung bösartig entstellt. Schließlich wurde es verboten, Jahrbücher über eine Kaiserin zu verfassen. Statt dessen mußte immer der Name des Kaisers eingesetzt werden, auch wenn er ein Säugling oder ein Schwachsinniger war.
Ein krasses Beispiel von Verleumdungen und Entstellungen ist auch Kaiserin Hu-Shi von Wei (465-477). Angeekelt von den Tücken und Intrigen ihrer männlichen Gegner am Hofe wollte sie als buddhistische Nonne ins Kloster gehen. Um ein Chaos zu vermeiden, holte man sie an die Regierung zurück. Wenige Jahre darauf nahmen die Machenschaften wieder so zu, daß sie sich endgültig ins Kloster zurückzog, eine große Heilige wurde und das Land dem Bürgerkrieg überließ.
Eine andere Frau blieb zweitausend Jahre lang berühmt: die Adlige Pan Chao (ca. 50-120 n. Chr.). Sie war Großnichte einer vorbildlichen kaiserlichen Nebenfrau, Tochter eines bedeutenden Gelehrten und Schwester von Zwillingsbrüdern, des größten Feldherrn und des größten Historikers der Zeit. Mit vierzehn Jahren in die Ts'aoSippe verheiratet war sie bald Witwe mit mehreren Kindern, die sie sorgfältig erzog, verheiratete und in hohe Ämter brachte. Auf besonderen Wunsch des Kaisers vollendete sie das Werk von Vater und Bruder, eine der größten Leistungen der chinesischen Geschichtsschreibung. Daneben war sie Hofdichterin und Lehrerin der fünfzehnjährigen Kaiserin Teng.
105 n. Chr. wurde die fünfundzwanzigjährige Teng als Kaiserinwitwe und Kaiserinmutter Regentin des Reiches. Pan Chao, genannt »Tante Ts'ao«, blieb die wichtigste Beraterin und war einer der mächtigsten Menschen in China. Bei ihrem Tod nach etwa fünfundzwanzig Jahren Staatsdienst wurde Staatstrauer angeordnet. Von Pan Chaos Werken ist einiges erhalten: Gedichte, Gutachten, das Geschichtsbuch. Aber am interessantesten ist eine kleine Schrift über Mädchenerziehung, die äußerlich an die eigenen Töchter gerichtet, aber eigentlich für die kaiserlichen Prinzessinnen bestimmt war: »Verhaltensmaßregeln für Frauen«.

Q 47:

  • »Der normale Lebensweg einer Frau ... : Anspruchslos sein, nachgeben; respektieren und verehren; erst an andere Leute denken, dann an sich selbst; eigene Freundlichkeiten nicht erwähnen, eigene Fehler nicht leugnen; Vorwürfe ertragen und Tadel einstecken; mit Hochachtung und Ehrfurcht sich verhalten: solches Benehmen gilt als Beispiel für >Demut und Anpassungsbereitschaft<.
    Spät schlafen gehen und früh schon arbeiten; vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit immer ihre Kraft anstrengen; den Sinn auf die häuslichen Aufgaben richten und dabei weder Schwerem noch Leichtem ausweichen; das Nötige erledigen, Ordnung wahren, ihr Benehmen klar regeln: dieses Verhalten wird >Aufgehen in sorgfältiger Pflichterfüllung< genannt.
    Ruhig in ihrer Lebensart sein und aufrecht im Ziel-, dem Herrn und Ehemann dienen; sich selbst sauber und gelassen erhalten und keinem unpassenden Scherz oder Gelächter aussetzen; fleckenlos und ehrfürchtig Wein und Speise darbringen und vor den Altären der Eltern und Ahnen aufstellen: solches Betragen heißt Fortspinnen des unzerrissenen Fadens, der Opfer für die toten Vorfahren<.
    Wenn diese drei Verhaltensweisen gründlich eingeschärft sind, wird der Ruf einer Frau nie seinen Glanz verlieren. Erniedrigung und Beleidigung können ihr nicht begegnen. Wenn aber diese drei Benehmensregeln nicht beachtet werden: Wie könnte ihr Ruf dann weithin leuchten? Wie könnten Erniedrigung und Beleidigung ihrer Person vermieden werden?...
    Seine Söhne zu lehren und seine Töchter nicht zu lehren, heißt das nicht blind sein? Heißt das nicht, die Töchter zugunsten der Söhne benachteiligen?... Daraus folgt, daß auch Töchter ausgebildet werden sollten... Ehemann und Ehefrau wünschen, daß ihre Liebe lebenslang nicht zerschnitten wird. Aber wenn sie in den Räumen und inneren Gemächern sich überall folgen, umeinander kreisen und sich wiedertreffen, sind taktlose und begierige Annäherung die Folgen... Daraus geht Verachtung für die Gefühle des Ehemanns hervor. (Pan Chao, üb. nach Ayscough 239f., 241ff.)

Q 48:


Der größte Teil der »Verhaltensmaßregeln für Frauen« handelt davon, wie durch Gehorsam die Liebe des Gatten, die Achtung der Schwiegereltern und die Hilfe der Schwäger zu gewinnen sind. Auch das ist aufschlußreich dafür, ob Pan Chao die Interessen der chinesischen Frauen vertritt bzw. sich gegen die Rolle der Frauen auflehnt. In einem Punkt weicht sich aufgrund ganz persönlicher Erfahrungen jedenfalls vom früher (und später) Üblichen ab. Worin wohl?
Als Gelehrte und Künstlerin ist Pan Chao in China durchaus kein Einzelfall. Viele namenlose Volkslieder dürften von Frauen stammen; von einer Reihe adliger Damen sind ausdrücklich Gedichte überliefert. Tsai-yen (um 200 n. Chr.) beschreibt in achtzehn großen Gedichten ihre traurige Lebensgeschichte: Aus einer ersten Ehe wurde sie von Barbaren geraubt und mit deren Fürsten vermählt. Freigekauft und nach China zurückgekehrt konnte sie die Trennung von den Söhnen aus der zweiten Ehe nicht verschmerzen. Dsi-yä (um 330 n. Chr.) trug als Volkssängerin eigene Liebeslieder (manche sind erhalten) ergreifend vor. Sie wurde von vielen namhaften Dichtern nachgeahmt. Auch unter den größten Malern und Schriftkünstlern werden Frauen genannt. Eine uralte Volksballade berichtet über das traurige Leben der Schrei bersfrau Lan-chih (um 200 n. Chr.):

Q 49:

  • »Alt war sie erst siebzehn Jahre, als sie einem Mann vermählt ward.
    Dennoch konnte ihres Lebens froh von Herzen nie sie werden.
    Ihren Gatten, der im Amtshaus des Präfekten Sekretär war
    und dem sie stets treu ergeben, sah sie, ach, nur gar zu selten,
    saß daheim im öden Hause. Morgens früh beim Hähnekrähen trat heran sie
    an den Webstuhl, fing zu weben an und webte tief bis in die Nacht, die dunkle.
    Sie vollendete fünf Rollen im Verlaufe dreier Tage.
    Dennoch schalt die Schwiegermutter, daß zu träge sie und langsam.
    >Nein, ich webe nicht zu langsam, aber, ach, in diesem Hause
    hat es schwer die Schwiegertochter.
    All dem Quälen und dem Drängen bin ich leider nicht gewachsen.
    Denn so lange ich hierbleibe, kann ich nie genügend schaffen...<
    (Der Ehemann tritt liebevoll für seine Frau ein.)
    ...Ihm entgegnete die Mutter: >Deine Rede zeigt mir deutlich
    eine klägliche Gesinnung. Deine liebe Frau ermangelt
    ganz der Sitte und des Anstands, zeigt in allen ihrem Handeln
    störrisch sich und eigenwillig. Ja, ich hege lang gestauten
    Groll auf sie deshalb im Herzen.
    Wagst auch du dich aufzulehnen?
    Eine edle Jungfrau kenn ich... Lass um dieses holde Mädchen
    deine Mutter für dich werben. Und entlasse deine erste Gattin,
    die zu gar nichts tauget. Halte sie nicht länger bei dir!<
    Lange kniete Tsiau am Boden ehrerbietig vor der Mutter.
    Rede stand er ihr und Antwort, und er schloß mit diesen Worten:
    >Soll ich diese Frau verstoßen, werde ich in meinem Leben
    niemals eine andre freien.<
    Als die Mutter dies vernommen, schlug voll Wut sie auf die Bettstatt,
    sprach zu ihrem Sohne also: >Den Respekt verlernst du,Söhnchen,
    daß du wagst,in dieser Weise deine Frau in Schutz zu nehmen.
    Aus ist es mit meiner Nachsicht,
    und ich werde deinen Wünschen nun und nimmermehr nachgeben.<
    Stumm ward Tsiau und sprach kein Wort mehr, neigte nochmals sich zur Erde...«
    (Ballade von Lan-chih, um 200 n. Chr., üb. nach Forke 97ff.)

(Beide Ehegatten müssen gehorchen und sich scheiden. Dabei schwören sie sich ewige Treu und Ablehnung jeder anderen Heirat. Doch kurz darauf zwingen beide Familien die Geschiedenen zu neuen Verlöbnissen. Wieder müssen sie den Müttern gehorchen; aber nach einem letzten Treffen nehmen sich beide das Leben. Sie werden gemeinsam beerdigt; und ihre Geschichte soll allen Menschen, vor allem den Witwen, Mahnung und Warnung sein:)

  • »Daß für den Tod zwei Menschen sich trennen müssen,
    ist furchtbarer, als man mit Worten ausdrücken kann.
    Zu wissen, daß sie die Welt und alles darinnen verlassen
    und etwas tun, daß sich niemals zurücknehmen läßt.«
    (Ballade von Lan-chih, üb. nach Waley/Meister 101)

Die Geschichte zeigt klar die Verteilung der Gewalt in der Familie.
Warum muß der Sohn der Mutter nachgeben? Wer entscheidet über Ehen und Scheidungen? Benimmt sich die Schwiegermutter gemäß der oder gegen die Frauenrolle? Und Lan-chih? Aufschlußreich ist aber auch, daß diese Ballade überhaupt entstand und sich verbreitete. Darin ist eine klare Absicht zu erkennen. Auch Kritik oder gar Auflehnung?
Von ihren Männern verlassene Frauen, von ihren Schwiegermüttern tyrannisierte und ausgenutzte Schwiegertöchter kommen in den alten Volksliedern oft vor. Auch der Selbstmord scheint nicht selten gewesen zu sein, denn verstoßen zur eigenen Familie zurückzukehren oder sich elend allein durchs Leben zu schlagen, galt als die größere Schande. So nahm sich 206 v. Chr. die »Geliebte des Königs Yü« vor einer aussichtslosen Schlacht das Leben und 423 n. Chr. folgte die »Jungfrau vom Hua-Schan-Berge« ihrem Liebhaber freiwillig in den Tod.
Man weiß nicht genau, wann die Bauerntochter Mu-lan lebte (wahrscheinlich um 450 n. Chr.). Die alte Volksballade über sie kennt in China jedes Kind:

Q 50:

  • »Klick, klick - immer wieder klick, klick
    Mulan sitzt an der Tür beim Weben.
    Doch wenn man lauscht, hört man nicht nur das Weberschiffchen,
    sondern des Mädchens Seufzen und Schluchzen...
    >Ich las heute nacht die Liste der Krieger,
    der Khan verlangt viele Soldaten.
    Die Liste war in zwölf Rollen verzeichnet,
    und in jeder stand meines Vaters Namen.
    Meines Vaters Söhne sind noch nicht erwachsen,
    von meinen Brüdern ist keiner älter als ich.
    Oh laßt mich zum Markt, um Sattel und Pferd mir zu kaufen,
    und laßt als Soldat mich reiten statt meines Vaters.<...
    Wohl tausend Meilen wanderte sie auf den Wegen des Krieges,
    wie ein fliegender Vogel überwand sie Gebirge und Grenzen.
    Durch die Luft des Nordens hallte des Wächters Trommel,
    des Winters Licht erglänzte auf Kettenpanzern.
    Ihr Hauptmann kämpfte in hundert Schlachten und starb,
    die Krieger erlangten nach zehn Jahre Rast.
    Sie kehrten zurück und sahen des Kaisers Antlitz...
    Da sprach der Khan und fragte, was Mulan sich wünsche.
    >Oh, Mulan trägt kein Begehren, den Hof des Khans zu beraten.
    Doch ein Kamel hätte ich gerne, das tausend Meilen am Tag schafft
    und mich in die Heimat bringt.<
    Als Vater und Mutter von ihrer Rückkehr erfuhren,
    gingen sie bis an die Stadtmauer und geleiteten sie ins Haus...
    Sie warf ab den schweren Soldatenmantel
    und trug nun wieder ihr früheres Kleid.
    Sie stand am Fenster und band sich ihr dunkles Haar,
    sie ging zum Spiegel und steckte die gelben Kämme.
    Sie ging aus dem Haus und traf Kameraden am Wege:
    Die Kameraden verloren fast den Verstand.
    Sie hatten zusammen zwölf Jahre im Kriege gedient und niemals gemerkt,
    daß Mulan ein Mädchen gewesen.
    Denn der Hase schlägt beim Sitzen die Beine unter sich,
    die Häsin aber erkennt man an ihrem scheuen Blick.
    Doch läßt man sie nebeneinander rennen,
    wer vermöchte sie auseinander zu kennen?«
    (Ballade von Mu-lan, um 500 n. Chr., üb. nach Waley/Meister 118-120)

Q 51:


Mulan verhält sich ungewöhnlich. Aber ihre Motive und Taten bedeuten nicht nur einen Verstoß gegen die Sitte, sondern auch die Erfüllung typischer Frauenpflichten. Daraus kann man auch erklären, daß Mulan nicht am Hofe bleibt, sondern heimkehrt. Die Schlußwendung ist aufschlußreich: Ändert sich durch Mu-lans Taten etwas? Liegt in der Ballade ein Protest gegen die Lage der Frau?
Kriegsheldinnen sind in der chinesischen Geschichte gar nicht selten. In der ältesten Zeit wurden Frauen regelmäßig zum Festungsbau und bei ihrer Verteidigung eingesetzt. Die Schwestern Tseng-tse und Tseng-Oerr führten ungefähr 200 v. Chr. einen Aufstand an, Nü-hsiu rächte um 220 n. Chr. eine Beleidigung ihrer Familie und brachte den Beleidiger mit Schwert und Speer um.
Doch dazu ein Einwand: Was ist eigentlich typisch? Kann man überhaupt sagen, wie die Frauen im alten China durchschnittlich lebten? - Das ist tatsächlich sehr schwierig. Lü, Pan Chao, Lan-chih und Mu-lan gehörten ganz verschiedenen Schichten an: dem Kaiserhaus, dem Beamtenadel, dem Stadtbürgertum, den kleinen Leuten. Natürlich waren die Lage der Frauen, ihre Arbeit, ihre Ernährung, ihre Bildung, ihre Glücksträume je nach ihrem Besitz und ihrer Herkunft recht verschieden. Die Kaiserin wird kaum den ganzen Tag am Webstuhl gesessen, selten gehungert und nie ihren Vater als Soldaten vertreten haben. Die Bäuerin brauchte sich nicht vor jüngeren Nebenfrauen oder Tänzerinnen zu fürchten. Aber es gibt noch weitere Unterschiede, wie zwei typische Gedichte beweisen:

Q 52: Q 53:

»Zwischen mir und meinem Gatten
herrschet schöne Harmonie.
Folge ihm gleich einem Schatten,
der sich trennt vom Körper nie.
Eine Deck' uns nachts umhüllet,
ungeteilt und ungestückt.
Ist mit Baumwoll ausgefüllt
die auf einem Feld gepflückt.
Will uns Sonnenglut erhitzen,
fächelt uns ein Fächer kühl.
Schulter wir an Schulter sitzen,
wenn es kalt, auf gleichen Pfühl.
Seh ich lächeln den Geliebten,
bin ich glücklich auch und froh.
Stets, wenn Sorgen ihn betrübten,
auch von mir die Freude floh.
Kommt mein Mann einhergegangen,
geh an seiner Seit'  ich mit.
Und wohin ihn mag verlangen,
folg ich ihm auf Schritt und Tritt.
Trennen möchten wir uns nimmer,
bilden einen Leib zu zwein,
leben froh in einem Zimmer,
tot in einem Sarge sein.«
(Yang-fang, um 300 n. Chr. üb. nach
Forke 32f.)

 »Unsere Liebe war rein
wie der Schnee auf den Bergen,
weiß wie der Mond
zwischen Himmelsgewölk.
Doch man flüstert mir zu,
daß deine Liebe geteilt sei.
Drumm bin ich gekommen,
den Bruch zu vollziehn.
Heut laß uns trinken
den Becher voll Wein.
Doch morgen uns trennen
am große Kanal.
Wir schreiten dahin
am großen Kanal,
wo die Wasser sich scheiden
nach Osten und West.
Es ist kalt, sehr kalt,
wie Schnee so kalt.
So wein'ich als Frau.
Denn ich ward vermählt
und fand nicht den Mann,
dessen Herz ungeteilt,
der nie mich verläßt,
bis das Haar bleicht zu Schnee.«
(Wen Kün, um 100 n. Chr.,
üb. nach Waley/Meister 63)
   

Es lohnt sich, beide Gedichte näher zu betrachten, vor allem die Bilder und Vergleiche sind wichtig. Nicht nur das Glück beider Frauen ist sehr verschieden, sondern auch ihre Selbständigkeit. Wer ist stärker gleichgestellt? Zu beiden Gedichten ließen sich leicht ähnliche Texte beibringen. Aber das verschärft nur die Frage, welches Verhalten für Chinesen und Chinesinnen denn wirklich typisch war und welches eine seltene Ausnahme. Genau wissen wir das nicht. Das Zahlenverhältnis in den zufällig überlieferten Beispielen muß ja nicht mit dem in den Millionen Fällen übereinstimmen, von denen niemand berichtet.
Dennoch dürfte es »typisch« sein, daß Töchter, Frauen, Schwestern und Schwiegertöchter meist »gehorsam und unterdrückt« sind, Mütter, Großmütter und Schwiegermütter aber oft »selbstherrlich und herrschsüchtig«. Um 600 n. Chr. hatte die Stellung der Frauen sich gegenüber der ältesten Zeit schon sehr verschlechtert, aber sie war noch viel besser als etwa 1600 oder 1800 n. Chr. Die schmerzhafte, dernütigende und hilflos machende Verkrüppelung der Füße war noch unbekannt. Reine Zwangsheiraten und eigentliche Kinderheiraten (ab etwa sieben Jahren) waren noch unüblich. Im Konfliktsfall zwischen Mutter und Sohn hatte die Unterwerfung der Frau unter den Mann noch keinen Vorrang vor der Kindespflicht.

2.6 Unterdrückung ohne Ausweg?

Die ihre Familie begünstigende Kaiserin Lü, die zum Gehorsam aufrufende Schriftstellerin Pan Chao, die dem Ehemann treubleibende Selbstmörderin Lan-chih, die den Vater ersetzende Kriegerin Mu-lan, sie alle tun etwas Besonderes, Seltenes. Und deshalb sind sie bis heute berühmt geblieben. Aber ihre Taten sind doch typisch »weiblich«, protestieren nicht gegen die Vormacht der Männer, verlangen nicht Gleichberechtigung. Deshalb stellt sich die Frage, ob alle Menschen in China mit der Unterdrückung der Frauen einverstanden waren.

Q 54:

  • »Ein Land heißt >Nordende<... Die Menschen haben eine sanfte Art und folgen ihrer Natur, ohne zu zanken und zu streiten... Alte und Junge leben gleichberechtigt zusammen. Es gibt weder Herrscher noch Untertanen. Männer und Frauen treffen sich, wie sie wollen. Es gibt weder Heiratsvermittler noch Verlobungsgeschenke. Sie wohnen an den Ufern der Bäche und pflügen nicht und ernten nicht. Da das Klima warm ist, weben sie auch nicht und kleiden sich nicht. Sie sterben mit hundert Jahren, keine Krankheit, kein vorzeitiger Tod.« (Lieh-tse, spätestens 3. Jh. n. Chr., üb. nach Bauer 141f.)

Q 55:

  • »Im >Land des unendlichen Lebens< gibt es weder Könige noch Gesetze, weder Klassen noch Adelsränge... Knaben und Mädchen werden aus Lotosblüten geboren, so vermeiden sie die Berührung mit dem Mutterleib. Herbergen und Häuser, Paläste und Hallen sind alle mit den sieben Kostbarkeiten geschmückt. Allenthalben hängen von selbst - zum Pflücken bereit bessere Dinge herab, als sie menschliche Handwerker herstellen könnten. Gärten und Anlagen, Tümpel und Teiche erstrahlen in wundersamer Pracht.« (Chih Tun, 4. Jh. n. Chr., üb. nach Bauer 228)

Q 56:

  • »In diesem Lande sprießt der Reis von allein, man braucht sich nicht mit Pflügen und Säen zu befassen... Die Verwandtschaftsverhältnisse sind einheitlich geregelt, es gibt keine Vorurteile... Wenn sich bei den Leuten von Uttarakuru Männer und Frauen in der Liebe vereinigen wollen, dann folgen sie ganz ihrem Herzen. Sie zeigen, wonach ihnen der Sinn steht, indem sie einander Blicke zuwerfen. Wenn ein Mädchen so die Gefühle des Mannes erkennt, kommt sie allsogleich mit ihm mit. So wandern sie zusammen unter die Bäume...
    Die Kinder bleiben bei den Leuten von Uttarakuru nur sieben Tage im Mutterschoß, am achten Tag werden sie geboren. Die Mutter setzt das Kind nach der Geburt an einem Kreuzungspunkt von vier Straßen ab, gleichgültig, ob es nun ein Knabe oder ein Mädchen ist. Sie überläßt es sich selber und geht fort. Nachdem die Kinder (von anderen Menschen) sieben Tage lang genährt worden sind, sind sie auch schon erwachsen und sehen ganz so aus wie die Alten. Auch in der Größe sind sie nicht mehr von ihnen zu unterscheiden. .. So wird das ganze Reich wahrhaftig zu einer einzigen Familie.« (Dharmagupta, um 600 n. Chr. nach älterer Vorlage, üb. nach Bauer 234ff.)
    Ähnliche Paradiesesbeschreibungen gibt es auch in Europa; aber die chinesischen Besonderheiten werden deutlich, wo das Verhältnis von Alten und Jungen sowie von Männern und Frauen beschrieben wird. Man kann feststellen, daß selbst im Schlaraffenland noch gewisse Unterschiede gemacht werden. Was mögen solche Texte ausdrücken: Sehnsucht, Hoffnung, Unmöglichkeit, Illusion oder noch anderes? Neben ihnen gibt es realere Beschreibungen aus erdkundlich-geschichtlichen Büchern. Ein Beispiel:

Q 57:

  • »Das östliche Königreich der Frauen wird >goldene Familie< genannt. Es hat achtzig Städte und wird von einer Königin beherrscht... Es gibt über vierzigtausend Familien und zehntausend Soldaten. Die Herrscherin heißt Pin-chin, ihre weiblichen Beamten heißen Kao-pa-li und sind wie unsere Staatsminister. Sie beauftragen die Männer mit allen äußeren Obliegenheiten, und daher werden diese Beauftragte der Frauen' genannt. Aus dem Innern des Palastes erhalten die Männer die Befehle und geben sie weiter. Die Herrscherin hat in der Nähe ihrer Person einige hundert Frauen. Und jeden fünften Tag wird ein Staatsrat abgehalten. Stirbt die Herrscherin, so zahlt das Volk mehrere Myriaden Goldmünzen ein und wählt aus der königlichen Familie zwei kluge Frauen, eine zum Regieren und die andere als Aushilfskönigin...
    Die Frauen achten die Männer nicht hoch. Und Reiche halten sich immer eine große Anzahl männlicher Diener, die ihnen die Frisur richten und das Gesicht bunt mit Ton bemalen müssen, jeden Tag in einer anderen Farbe. Die Männer besorgen auch den Kriegsdienst und bewirtschaften den Boden. Die Söhne tragen den Familiennamen der Mutter. Das Land ist kalt und nur zum Anbau von Gerste geignet. Ihre Haustiere bestehen vornehmlich aus Schafen und Pferden. Es wird Gold gefunden. Ihre Gewohnheiten gleichen sehr denen von Indien... Wird die Königin beerdigt, so folgen ihr drei bis viermal zehn Menschen ins Grab.« (Tang Shu, üb. nach Eckstein-Diener 102).

Ob hier nur eine verkehrte Welt erfunden und ausgemalt wird oder ob wirklich ein »tibetanisches Frauenreich« bestand? Auch in der einheimischen Literatur gibt es Hinweise. Für die Chinesinnen jedenfalls war das nur ein Gedankenspiel, keine echte Chance. Fiauenbefreiung gab es bloß im phantastischen Traum und in unerreichbarer Ferne. Privates Glück bei der Wahl des »Eheherrn« löste das Problem nur ersatzweise und für einzelne. So war es kein Zufall, daß viele Frauen sich leidenschaftlich und weltflüchtig der aus Indien eingewanderten Religion Buddhas und ihren Hoffnungen zuwandten. Dabei verwandelten sie Kuan-yin, den »Helfer des Mitleids« zu einer neuen Gottheit: Kuanyin, der »Göttin der Barmherzigkeit«. Ihr vertrauten sie in ihrer Verzweiflung.

Q 58:


Daran setzt die Schlußfrage an: Wie steht es heute? Dauert die Frauenunterdrückung von viertausend Jahren in China noch an? Wurde inzwischen ein Ausweg gefunden? - Eine Behandlung der chinesischen
Zeitgeschichte aus der Sicht der Frauen wäre ein umfangreiches eigenes Thema, also sind nur knappe Andeutungen möglich. Seit 1911 ist China Republik, seit 1949 (nach dreißigjährigem Krieg und Bürgerkrieg) sozialistische Volkrepublik. Hier soll nicht untersucht werden, ob für die Mehrheit die Enteignung der Grundherrn und der Fabrikbesitzer ein Glück oder ein Unglück war, ob das sozialistische China sich schneller oder langsamer als ein entsprechendes marktwirtschaftliches Land von ständigem Hunger und ausländischer Einmischung befreit hat. Es wird nur gefragt: Wie hat die chinesische Revolution die Stellung der Frau verändert?

Q 59:

  • Die Lage um 1940: »Auf meinem Schulweg, der ein Stück weit über Land führte, fand ich eines Tages am Straßenrand ein neugeborenes Kind, das mit dem Spaten in Stücke gehauen war. Es stellte sich heraus, daß ein Bauernpaar statt eines Knaben immer nur Mädchen bekam, bis sie überzeugt waren, dahinter müsse ein Teufel stecken. Um ihm diesen Unfug zu legen, hatten sie dieses Mal Härte walten lassen.« (Chang Sin-Ren 59) - »Wir haben sehr viele Berichte über China gehört - aber welcher erzählt das Leben der alten Bäuerin aus den Bergen von Sinkiang mit den kleinen verstümmelten Füßen? Welcher ist jener Arbeiterin vom Kanal der roten Fahne gewidmet, die uns mit maßvollen Worten, fast lächelnd erzählte, daß sie im Alter von acht Jahren jeden Tag von ihrem Schwiegervater ausgepeitscht worden war? Welcher gehört jener jungen Tibetanerin, die sich der Träne nicht erwehren konnte, als sie uns sagte, daß der Feudalherr, der sie besaß, sie eines Tages erwischte, als sie fortlaufen wollte, sie mit den Füßen an den Schwanz seines Pferdes band und sie so im Galopp zu seinem Besitz zurückschleifte?... Was könnte schlimmer sein als die Situation der Frauen in der Feudalfamilie?« (Broyelle 121)

Q 60:

Q 61:

 

  • Die Lage um 1970: »Die Direktorinnen. Ob sie nun in Schulen (selbstverständlich), in Arbeitszentren (natürlich) oder in Fabrikzentren (schon weniger selbstverständlich) eingesetzt werden, immer übernehmen sie ihre Führungsaufgabe mit Selbstvertrauen und Ruhe. Ihre Berichte über Erreichtes oder Projektiertes, über Erfolge und Mängel ihrer Schule, ihres Zentrums oder ihrer Fabrik sind präzise und nüchtern, als sollten sie nur sorgfältig Selbstverständlichkeiten darlegen, als könne es gar nicht anders sein. Hiermit befinden sie sich im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, die sich ereifern... Ob in der Schule, in der Fabrik oder auf dem Land, immer sind diese >Direktorinnen< sich bewußt, daß sie die Stabilität, das Mögliche und die Grenzen zu garantieren haben; eine Art Zentrum der Vernunft, des Maßes, wenn nicht gar der >goldenen Mitte<...
    (Kristeva 207, 218)

Q 62:

  • Lehrerin über ihre Klasse: »Ich gab ihnen vor einiger Zeit das Aufsatzthema: >Was willst du werden, wenn du groß bist?< Einige sagten, daß sie in die Befreiungsarmee des chinesischen Volkes eintreten würden. Andere wollen Flieger werden, um >Chinas weite Grenzen< zu verteidigen, wie einer sich ausdrückte. Ein Mädchen wollte Lehrerin werden... Mehrere gaben Traktorführer als Berufsziel an, darunter viele Mädchen. >Wir müssen mehr Getreide ernten, und das macht man mit Maschinen.< Einige sagten nur, daß sie >verdiente Arbeiter< in der Landwirtschaft werden wollten. Einer schrieb >Handarbeiter<.
    Wenn wir den Kindern erzählen, daß die Frauen nunmehr alle Stellungen in der Gemeinschaft einnehmen können, liegt es ja auf der Hand, daß auch Mädchen Flieger und Soldat werden wollen. Die Ideale der Jungen und Mädchen sind so ziemlich dieselben. Sie lesen allerlei in den Zeitungen und sehen vieles im Kino. Und dann sprechen sie miteinander, was sie werden wollen. Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß die Mädchen in meiner Klasse stiller und fleißiger als die Jungen sind. Doch gibt es mehr begabte Jungen.« (Kou Chao-lan in Myrdal 1969, 284)

Die Texte und Bilder von Augenzeugen machen einige überaus rasche und günstige Wandlungen (Beruf, Familie, Haushalt, Bildung usw.) sichtbar; sie lassen erkennen, weiche Einflüsse die Frauenbefreiung fördern, welche (milderen) Vorurteile aber teilweise noch bestehen. Es lohnt sich, die Lebensaussichten von Großmutter und Enkelin zu vergleichen. Nicht nur die Verkrüppelung der Füße und die Zwangs- und Kinderheirat (Symbole der Frauenunterdrückung) sind gesetzlich verboten. Das Ehegesetz von 1950 schreibt strenge Gleichberechtigung vor. Aber »die Chinesen... gehen nicht davon aus, daß die Befreiung der Frauen sich verwirklichen lasse, indem man ihnen die juristische und ökonomische Gleichberechtigung >gewähre< aber sonst nichts... Die vorgegebenen >Werte< der Frau - in ihrer Beziehung zur Gesellschaft, zur Familie, zu den Männern, in ihrer Funktion als Mutter und Ehefrau sowie als Arbeiterin - werden neu eingeschätzt.« (Han Suyin in Broyelle 5).
In diesem Sinne glaubt die bekannte (im Westen lebende) Romanschreiberin, daß die Chinesinnen die Europäerinnen überholt haben.