Ein Unterrichtsmodell für die Sekundarstufe I
-
Die vier Stunden dieser Unterrichtseinheit, deren Erarbeitung in einem Geschichtsdidaktik-Seminar an der Universität Hamburg erfolgte, wurden Ende Januar/Anfang Februar 1979 in zwei neunten und einer achten Klasse einer Hamburger Realschule gehalten.[1]
I. Einleitung
Die Tatsache, daß Frauen in der Französischen Revolution eine hervorragende Rolle gespielt haben, wird von der Geschichtswissenschaft gern verschwiegen, daher auch im Geschichtsunterricht so gut wie nie behandelt. Nahezu unbekannt ist, daß Frauen über ihre Beteiligung an revolutionären Kämpfen hinaus bereits während der Französischen Revolution die Forderung nach voller Gleichberechtigung aufgestellt haben.[2]
Die 1789 erklärten Menschenrechte erwiesen sich in der Praxis schnell als bloße Männerrechte. Kurz vor Verabschiedung der Verfassung von 1791 brachten daher Frauen die »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« in die nur aus Männern bestehende Nationalversammlung ein und verlangten, als Vertreterinnen der Nation in eben diese Nationalversammlung aufgenommen zu werden. Diese Erklärung ist weitgehend analog zur Menschenrechtserkärung formuliert und fordert explizit gleiche Rechte für Frau und Mann. 1791 nimmt in Frankreich die moderne Frauenbewegung ihren Anfang.
Der zeitliche Abstand zu einem historischen Ereignis erleichtert es dem Schüler, auch heute noch bestehende Stereotype als solche zu erkennen. Dabei ist es unumgänglich, über die Entwicklung Bescheid zu wissen, die zur heutigen relativen Gleichberechtigung der Frau geführt hat. Gerade die in dieser Unterrichtseinheit behandelte Problematik scheint uns geeignet, dem Ziel gerecht zu werden, Schülerinnen und Schülern die Diskriminierung der Frau bewußter zu machen. Wir meinen, daß es notwendig ist, zu wissen, daß seit Verkündung der Menschenrechte Frauen versucht haben, diese für alle Menschen zu verwirklichen. Wir betrachten die in dieser Unterrichtseinheit behandelten ersten Ansätze der Frauenbewegung als Teil der demokratischen Bewegung in der Französischen Revolution. Die Frauen, die die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin verfaßt haben, hatten gemeinsam mit Männern für die Ziele der Revolution gekämpft. Sie wandten sich erst dann gegen die revolutionären Männer, als sie merkten, daß diese die Prinzipien der Revolution - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - nicht für die Frauen gelten lassen wollten. Es ist viel erreicht, wenn die Schüler in der Unterrichtseinheit diese Problematik erfassen. Daher haben wir die Inhalte weitgehend auf die Gegenüberstellung, »die Frauen - die Männer« reduziert. Weitere Differenzierungen, insbesondere schichtsspezifische Unterscheidungen zwischen den Frauen sowie Erhellung der extremen Situation des Jahres II, die auch Ursache für die staatliche Repression gegen die Frauenbewegung war, haben wir aus Gründen der Klarheit und Verständlichkeit aus der Unterrichtseinheit herausgehalten.
Solange das Defizit der Nichtbehandlung von Frauengeschichte im Geschichtsunterricht besteht, ist es notwendig, diese in gesonderten Unterrichtseinheiten zu behandeln. Besser wäre es, diese Inhalte in den »normalen« Geschichtsunterricht einzubinden. Dies würde größere Möglichkeiten zur Differenzierung bieten und dem Eindruck vorbeugen, daß Frauenbewegung etwas sei, was losgelöst von anderer Geschichte zu behandeln wäre.
Auf expliziten Gegenwartsbezug ist bewußt verzichtet worden, implizit ist er durch die persönliche Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler ohnehin ständig vorhanden, da wir diese Unterrichtseinheit nicht als etwas in sich Abgeschlossenes ansehen, sondern als ein Stück Frauengeschichte, an das sich andere Stücke anschließen sollten.
II. Die Unterrichtseinheit
Das Hauptlernziel ist bewußt einfach formuliert: Die Schüler sollen lernen, daß Frauen bereits in der Französischen Revolution volle Gleichberechtigung gefordert haben, diese Forderungen aber nicht durchsetzen konnten. Um dieses Lernziel zu erreichen, haben wir folgende Struktur diskutiert und erprobt:
- 1. Stunde: Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin und die Erklärung der Menschenrechte.
- 2. Stunde: Die Beteiligung der Frauen an den Kämpfen der Französischen Revolution.
- 3. Stunde: Die Reaktion der regierenden Männer auf die Forderungen der Frauen.
- 4. Stunde: Problematisierung der Begründung für die unterschiedlichen Auffassungen von Männern und Frauen
Die Gegenüberstellung von Textauszügen aus der Erklärung der Menschenrechte und der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin bildet über ihre methodische Funktion hinaus eine Einführung nicht nur in die Problematik der ersten Stunde, sondern der gesamten Unterrichtseinheit.
1. Stunde
Stundenlernziel
Die Schüler sollen lernen, daß während der Französischen Revolution eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin veröffentlicht wurde, weil auch nach der Erklärung der Menschenrechte die Unterdrückung der Frau fortdauerte.
Feinlernziel
- Die Schüler sollen lernen, daß 1791, also zwei Jahre nach der Erklärung der Menschenrechte, Frauen unter Führung von Olympe de Gou-ges und Rosa Lacombe eine Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin veröffentlichten.
- Die Schüler sollen lernen, daß die Frauen in dieser Erklärung die Gültigkeit der Menschenrechte auch für sich forderten, vor allem Freiheit, Gleichheit, Recht auf Eigentum, Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung, Meinungsfreiheit, Recht auf politische Mitbestimmung.
- Die Schüler sollen lernen, daß diese Erklärung auf die gesellschaftliche, rechtliche und wirtschaftliche Unterdrückung der Frau zurückzuführen war.
Vorbemerkung zum Verlauf der Stunde
Die Unterrichtsstunde sollte mit einer kurzen Einführung in die Thematik und Zielsetzung der Unterrichtseinheit beginnen, um die Schüler über die Arbeit in den nächsten Stunden zu orientieren. Dabei wird der Lehrer auf Grund der Reaktion der Schüler erste Aufschlüsse über die Motivation und gegebenenfalls Widerstände erhalten. Die Ereignisse der Französischen Revolution sollten den Schülern in groben Zügen bekannt sein, eventuell müssen sie zu Beginn der Stunde noch einmal wiederholt werden. Dies ist notwendig, um die Rolle der Frau während dieser Zeit richtig erfassen und einordnen zu können. In der zweiten Phase soll eine Gegenüberstellung von Auszügen aus der Erklärung der Menschenrechte und der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin stattfinden, um die Schüler mit der Problematik der Unterrichtseinheit zu konfrontieren, da diese Texte die Diskrepanz zwischen den Menschenrechten und deren Verwirklichung besonders deutlich werden lassen.
Eine abschließende, möglichst schriftliche Ergebnissicherung ist wichtig, da die Inhalte dieser Stunde die Grundlage für die folgenden bilden und später darauf zurückgegriffen werden soll.
Verlaufsplanung
Die Schüler erfahren zunächst, daß in den folgenden Stunden die Stellung und das Verhalten der Frau während der Französischen Revolution behandelt werden soll. Um die Schüler auf das Thema hinzuführen, werden sie mit Auszügen aus der Erklärung der Menschenrechte und der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin konfrontiert.
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789)
- Art. 1: Die Menschen sind frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.
- Art.2: Der Zweck jeder staatlichen Vereinigung ist der Schutz der natürlichenund unveräußerlichen Menschenrechte. Diese Rechte sind Freiheit, Sicherheit, Eigentum und Widerstand gegen Unterdrückung.
- Art. 4: Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. Also hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen keine anderen Grenzen als jene, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß dieser gleichen Rechte sichern.
- Art. 10: Niemand darf wegen seiner Meinung verfolgt werden.
- Art. 16: Eine Gesellschaft, in der die Garantie der Rechte nicht gesichert ist, hat keine Verfassung.
- Art. 17: Das Eigentum ist ein unverletzliches Recht.
Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (1791)
- Art. 1: Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten.
- Art. 2: Der Zweck der staatlichen Vereinigung ist der Schutz der natürlichen und unveräußerlichen Rechte sowohl der Frau als auch des Mannes. Diese Rechte sind Freiheit, Sicherheit, Eigentum und besonders das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung.
- Art. 4: Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, den anderen zurückzugeben, was ihnen gehört. So wird die Frau an der Ausübung ihrer natürlichen Rechte nur durch die fortdauernde Tyrannei, die der Mann ihr entgegensetzt, gehindert. Nach den Gesetzen der Natur und der Vernunft müssen diese Hindernisse abgeschafft werden.
- Art. 10: Niemand darf wegen seiner Meinung verfolgt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muß gleichermaßen das Recht haben, die Rednerbühne zu besteigen.
- Art. 16: Eine Gesellschaft, in der die Garantie der Rechte nicht gesichert ist, hat keine Verfassung. Es besteht keine Verfassung, wenn die Mehrheit des Volkes an ihrem Zustandekommen nicht mitgewirkt hat.
- Art. 17: Das Eigentum gehört beiden Geschlechtern vereint oder einzeln. Jede Person hat darauf ein unverletzliches Anrecht.[3]
- Der Text wird von Schülern vorgelesen, eventuell mit verteilten Rollen (Junge/Mädchen).
- Die Schüler sollen danach die Möglichkeit zu spontanen Stellungnahmen erhalten.
An dieser Stelle ist es wichtig, die Aufmerksamkeit der Schüler auf die Fragestellung zu lenken: Warum war es nötig, die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin trotz der Existenz der Menschenrechte zu fordern?
Erarbeitung
In dieser Phase sollen die Schüler erkennen, daß die Frauen die Gültigkeit der Menschenrechte auch für sich forderten. Aus ihren konkreten Forderungen sollen die Schüler auf die rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Frauen in dieser Zeit schließen. Dazu bietet sich folgende Möglichkeit an:
- Die konkreten Forderungen der Frauen werden erarbeitet.
- Es wird herausgearbeitet, gegen wen sich die jeweilige Definition des Staatszweckes richtet (Art. 2). Das Bürgertum hat mit seiner Freiheits- und Gleichheits-Deklaration die ehemals herrschende Klasse entmachtet; die Frauen bezwecken das Gleiche mit den die Frauen beherrschenden Männern.
- Daraus kann man auf die Ursachen für diese Forderungen schließen, nämlich, daß die Situation der Frauen durch Unfreiheit und Abhängigkeit gekennzeichnet war.
Zur Erarbeitung der Situation der Frauen während dieser Zeit ist eine zusätzliche Information des Lehres notwendig, die in Form eines kurzen Vortrages oder ergänzend in das Klassengespräch eingebracht werden kann.
Zur Situation der Frau:[4]
- Frauen besaßen kein Wahlrecht.
- Von der allgemeinen Verelendung des französischen Volkes vor und während der Französischen Revolution waren die Frauen besonders betroffen, insbesondere die Frauen, die ohne Familie Kinder ernähren mußten.
- Ledige Frauen hatten keine juristische Handhabe, die Väter ihrer Kinder zu Unterhaltszahlungen heranzuziehen.
- Es gab keine Schul- und Berufsausbildung für Mädchen; auch nach den Vorstellungen führender Revolutionäre sollten Mädchen an öffentlichen Schulen - wenn überhaupt - mit weniger Schuljahren als die Jungen teilnehmen.
- Frauen waren aus den Zünften ausgeschlossen, es gab also kaum eine Möglichkeit für sie, selbständig und eigenverantwortlich zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt angemessen zu bestreiten.
- Folglich waren immer mehr Frauen gezwungen, von der Prostitution zu leben.
- Einziger »Besitz« von Frauen war Jugend und Schönheit, aber auch dieser Besitz mußte für eine vorteilhafte Heirat preisgegeben werden.
Ergebnissicherung
Zur Sicherung der Ergebnisse dient ein Tafelbild, welches die konkreten Forderungen der Frauen festhält. Es empfiehlt sich, zusätzlich einen Merksatz mit dem Inhalt des Stundenlernziels zu notieren.
2. Stunde
Stundenlernziel
Die Schüler sollen lernen, daß Frauen auch deshalb die Einhaltung der Menschenrechte für sich forderten, weil sie gemeinsam mit den Männern für das Erreichen revolutionärer Ziele gekämpft haben.
Feinlernziel
Die Schüler sollen lernen, daß Frauen sich in Frauenvereinen organisierten, um ihr Recht zu erlangen.
Vorbemerkung zum Verlauf der Stunde
Das erste Lernziel wird in einem Zitat von Olympe de Gouges angesprochen und im Folgenden durch Schilderung eines Ereignisses aus der Französischen Revolution belegt, an dem Frauen in besonderem Maße Anteil hatten: Rathaussturm und Zug der Pariser Frauen nach Versailles am 5. Oktober 1789. Hierbei ist es wichtig herauszustellen, daß Frauen gemeinsam mit Männern gekämpft haben. Am Ende der Stunde weist der Lehrer auf die Bedeutung der entstehenden Frauenvereine für die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin hin. Verlaufsplanung
Hypothesenbildung: Zunächst werden die Schüler mit einem Zitat von Olympe de Gouges konfrontiert:
»Frauen, wacht auf! Die Stimme der Vernunft läßt sich auf der ganzen Welt vernehmen! Erkennt eure Rechte! ... Der Mann hat eurer Kräfte bedurft, um seine Ketten zu zerbrechen. In Freiheit gesetzt, ist er nun selbst ungerecht geworden gegen seine Gefährtin. O Frauen: Frauen, wann hört ihr auf, blind zu sein ? Welches sind die Vorteile, die ihr aus der Revolution gezogen habt...«[5]
Danach erhalten die Schüler Gelegenheit zu spontanen Äußerungen.
Erarbeitung
Die Richtigkeit der Behauptung, daß der Mann der Kräfte der Frauen bedurfte, um seine Ketten zu zerbrechen, wird anhand des folgenden Textes überprüft, den der Lehrer auf verschiedene Art einsetzen kann:
- Vorlesen
- Nacherzählen
- Vorlegen eines Textauszugs
Zum Verständnis der im Text beschriebenen Ereignisse ist folgende Vorinformation notwendig:
Die Volkserhebung vom Oktober 1789 führte die Revolution vom Juli zu ihrem vorläufigen Ende und sicherte den Triumph der Bourgeoisie. Solange sich der Hof in Versailles befand, waren der König und die royalistische Minderheit der Abgeordneten in der Lage, das Verfassungsprogramm der Nationalversammlung zu blockieren, der König weigerte sich u. a., der Abschaffung der Feudalordnung zuzustimmen und auf sein Vetorecht zu verzichten. Obwohl die Mehrheit der Nationalversammlung zum Kompromiß in Form eines »suspensiven Einspruchsrechts« bereit war, hatte sich der Hof entschlossen, den toten Punkt in den Verhandlungen durch Hinweis auf seine Machtmittel zu überwinden und beorderte königstreues Militär herbei. Die Empörung der Pariser über diese Situation wurde noch verstärkt durch die schon länger anhaltende Brotknappheit in der Hauptstadt, gegen die besonders die Frauen schon seit Wochen protestierten.[6]
- »Die revolutionäre Volksbewegung in der Hauptstadt kam zum Sieden. Was die .Patrioten' zum Handeln bestimmte, war die Arroganz, welche die Royalisten am 2. Oktober bei dem Bankett der Leibwache zur Schau stellten. Wie es hieß, wurde die blau-weiß-rote Kokarde mit Füßen getreten, die Königin und ihre Kinder aber mit mystischer Hingabe empfangen. Der Vorfall wurde am nächsten Tag in Paris eifrig kolportiert, und die patriotische Presse rief nach Rache. Danton setzte im Club de Cordeliers eine Resolution durch, in der Lafayette aufgefordert wurde, mit einem Ultimatum nach Versailles zu gehen; und Des-moulins wiederholte seinen Appell an die Pariser, den König in die Hauptstadt zu holen. Am Sonntag, dem 4. Oktober, wurden Gruppen von Frauen ,mittleren Standes' im Palais Royal gesehen, eine zwischen 30 und 40 Jahre alt, .deren Kleidung eine gehobene Herkunft verriet', hielt eine Rede. Es ging das Gerücht, am nächsten Tag werde nach Versailles gezogen. So begann die Oktoberrevolution. ..
Am Morgen des 5. Oktober brach die Erhebung gleichzeitig auf den Pariser Märkten und im Faubourg Saint -Antoine aus. In beiden Fällen waren Frauen die Anführerinnen, und an den nun folgenden Aktionen nahmen, wie aus zahlreichen und von einander abweichenden Berichten hervorgeht, Frauen aller gesellschaftlichen Klassen teil, Fischweiber und Marktweiber, Arbeiterinnen aus der Vorstadt, gutgekleidete Bürgerinnen und ,des femmes à chapeau'
Fournier l' Americain, der die örtliche Nationalgarde befehligte und der führende Agitator des Distriktes war, hörte die Sturmglocke um sieben Uhr läuten und lief zum Rathaus. Inzwischen zwangen im Faubourg Staint-Antoine Frauen den Messner der Kirche von Saint-Marguerite, die Sturmglocke zu läuten und die Bürger zu den Waffen zu rufen ... Zwischen sieben und acht Uhr sah ein Rechtsanwalt aus demselben Faubourg eine Menge von 40 oder 50 Frauen, die bei der Porte Saint-Antoine laut nach Brot riefen.
Von den Ausgangspunkten der Erhebung her strömten die Frauen nun alle vor dem Hotel de Ville zusammen. Vor allem wollten sie Brot, als nächstes vermutlich Waffen und Munition für ihre Männer. Ein Tuchhändler, der um halb neun an der alten Markthalle vorbeiging, sah, wie Gruppen von Frauen Passanten aufhielten und sie zwangen, mit ihnen zum Hotel de Ville zu ziehen, ,um Brot zu bekommen'. Die Wachen wurden entwaffnet und ihre Gewehre den Männern übergeben, die den Frauen auf dem Fuß folgten und sie zum Vorgehen ermutigen. Ein anderer Augenzeuge, ein Kassier im Hotel de Ville, beschreibt, wie um halb zehn Uhr zahlreiche Frauen sowie einige Männer die Stiegen heraufstürzten und in alle Amtsräume eindrangen. Ein Zeuge sagte aus, sie hätten Stöcke und Piken gehabt, während ein anderer behauptete, sie seien mit Äxten, Eisenstangen, Knüppeln und Gewehren bewaffnet gewesen. Ein Kassier, der es wagte, den Eindringenden Vorhaltungen zu machen, wurde von diesen belehrt, sie seien ,Herren und Herrinnen eben dieses Hotel de Ville'. Auf der Suche nach Waffen und Schießpulver zerrissen die Demonstranten Dokumente und Akten, und ein Paket von hundert 1000-Livres-Noten städtischer Gelder verschwand aus einem Kasten. Doch war die Menge weder auf Geld noch auf Beute aus. Der Schatzmeister der Stadt teilte der Polizei später mit, daß über dreieinhalb Millionen Livres in Bargeld und Papieren unberührt geblieben waren, und auch die fehlenden Banknoten wurden wenige Wochen später vollständig zurückerstattet. Nachdem sie vom Turm die Sturmglocke geläutet hatten, zogen sich die Demonstranten um etwa elf Uhr auf die naheliegende Place de Greve zurück. Soweit waren die Dinge gediehen, als Maillard und seine .volontaires' auf dem Schauplatz erschienen. Seiner Darstellung zufolge bedrohten die Frauen das Leben Baillys und Lafayettes. Ob Maillard nun wirklich eine Katastrophe abzuwenden glaubte oder ob er nur den politischen Zielen der .Patrioten' diente, er ließ sich jedenfalls dazu überreden, die Frauen auf dem 20 Kilometer langen Marsch nach Versailles anzuführen, um vom König und der Nationalversammlung Brot für Paris zu verlangen. Als sie am frühen Nachmittag aufbrachen, nahmen sie die Kanone aus dem Chätelet mit und zwangen, laut Hardy, Frauen, die ihnen unterwegs begegneten, gleich welchen Standes, selbst die ,femmes ä chapeau', sich ihnen anzuschließen.
So verstärkt, überschritten die Massen den Fluß auf die Seite der Cite, folgten dem Quai des Orfevres zum Pont-Neuf, überschritten die Seine aufs neue, zogen am Louvre vorbei durch die Gärten der Tuilerien und hielten, zu einer Anzahl von 6000 oder 7000 angewachsen, auf der Place Louis XV. Auf der Place des Armes an den Champs-Elysees erklärten sich der Darstellung Maillards zufolge die Frauen bereit, den Weg unbewaffnet fortzusetzen. Am frühen Abend trafen die Marschierenden in Versailles ein, steuerten direkt auf die Nationalversammlung zu, die eben eine Sitzung abhielt, drängten sich neben den erschrockenen Abgeordneten in die Bänke und warteten, daß Maillard ihre Petition vortrage. An den Röcken hingen ihnen Säbel und Jagdmesser. In seiner Rede zitierte Maillard reichlich aus dem populären neuen Pamphlet ,Quand aurons-nous du pain?', in dem eher die Behörden als die Bäcker für die Knappheit verantwortlich gemacht wurden. Er schloß mit zwei Forderungen: Brotversorgung für die Hauptstadt und Bestrafung der Leibgarden, welche die Kokarde beleidigt hatten. Verschiedene Abgeordnete erwiderten mit beschwichtigenden Versicherungen. Wütende Rufe von ,à bas la calotte:' richteten sich an die Geistlichkeit, Robespierre hingegen wurde unter achtungsvollem Schweigen angehört. Danach rief man nach ,nôtre petite mere Mirabeau'. Eine Abordnung von sechs Frauen wurde gewählt, die beim König vorsprechen sollte. Der Marquis de Paroy bezeichnete zwei davon als ,assez bien'. Die Sitzung kam zu einem mehr oder weniger geordneten Abschluß.
Inzwischen war in Paris, durch die Sturmglocken zusammengerufen, die Nationalgarde auf die Place de Greve geströmt. Der Ruf: ,Nach Versailles!' wurde laut. Was Lafayette in diesem Augenblick wollte, bleibt unklar. Es scheint, daß er stundenlang zögerte, sich an die Spitze eines Unternehmens zu stellen, das nicht anders denn als bewaffnete Erhebung anzusehen war; er suchte also Zeit zu gewinnen und hielt Fourier zufolge, lange Reden. Schließlich gab er dem Volksbegehren nach und befahl den Abmarsch. Die Truppen, die an diesem Abend zwischen zehn Uhr und Mitternacht in Versailles einzogen, bestanden aus drei Kompanien Grenadieren, einer Kompanie Füsilieren, die drei Kanonen hatten, 20 000 Mann der Pariser Nationalgarde und einem gemischten Haufen von 700 oder 800 Männern, die mit Gewehren, Stöcken und Piken bewaffnet waren. Früh am Morgen kam es zu einem Zusammenstoß zwischen den Parisern und der Leibgarde, die den Palast bewachte. Mehreren Demonstranten war es gelungen, in das Schloß einzudringen und bis in die Gemächer der Königin vorzustoßen. Im Verlauf dieses Zwischenfalls erschoß ein Leibgardist aus einem Fenster den draußen stehenden siebzehnjährigen Freiwilligen und Kunsttischlergesellen Jerôme Lheritier aus dem Faubourg Saint-Antoine. Zur Wut gereizt, erschlug die Menge zwei Leibgardisten und trennte ihnen die Köpfe ab. Die Ordnung wurde durch die Pariser Nationalgarde wiederhergestellt, während sich vor dem Schloß große Volksmengen drängten, die warteten, daß etwas geschähe. Nach der Meinung der Nationalgarden, zumindest der Kleinhändler, Handwerksmeister und Gesellen, die einen Arbeitstag verloren hatten, indem sie mit Lafayette nach Versailles gezogen waren, gab es jetzt nur eine Lösung: Der König mußte dazu gebracht werden, nach Paris zurückzukehren, ob ihr oberster Befehlshaber dies wollte oder nicht. Dies geht auch aus der Zeugenaussage der Elisabeth Gerard, ,Bürgerin von Paris' hervor, die im Chatelet angab, ,daß in Versailles das ganze Volk ohne Unterschied, und besonders die vielen Schlossergesellen, gesagt hätten, sie hätten den Tag verloren; wenn der König jetzt nicht nach Paris käme und die Leibgardisten nicht erschlagen würden, dann müßte der Kopf Lafayettes auf eine Pike...
Als der König, die Königin und Lafayette auf dem Balkon des Schlosses erschienen, erhob sich der laute Ruf: ,Nach Paris!,,. Wenige Stunden später trat die königliche Familie unter dem Geleit der Nationalgarde und der Frauen ihren umjubelten Rückzug nach der Hauptstadt an.«[7]
Der Text kann zeigen, daß Frauen gemeinsam mit Männern gekämpft haben, in diesem Fall sogar die treibende Kraft waren.
Information über die Bildung von Frauenvereinen
An dieser Stelle gibt der Lehrer etwa folgende Information: »Die Frauen begriffen, daß, um zu ihrem Recht zu kommen, sie Macht haben müßten, Macht sich nur erobern ließ, wenn sie sich organisierten und in Massen zusammenständen, so riefen sie in ganz Frankreich Frauenvereine ins Leben ... und beteiligten sich auch an Versammlungen der Männer.«[8] Ein Ergebnis der Arbeit dieser Frauenvereine war die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin.
3. Stunde
Stundenlernziel
Die Schüler sollen lernen, daß nahezu alle Männer den Frauen die Gleichberechtigung mit der Begründung absprachen, daß dies gegen die natürliche Rollenverteilung sei.
Feinlernziele
Die Schüler sollen lernen, daß die Männer auf die Emanzipationsversuche der Frauen ablehnend reagierten und die Regierung Einschränkungen der Rechte der Frauen vornahm.
Die Schüler sollen lernen, daß A. Chaumette als Vertreter der regierenden Männer diese negative Einstellung mit der angeblich natürlichen Rollenverteilung begründet.
Vorbemerkungen zum Verlauf der Stunde
Den Schwerpunkt dieser Stunde bildet die Erarbeitung der Begründung der Reaktion der Männer, die anhand der Analyse einer Rede des radikalen Jakobiners A. Chaumette durchgeführt wird. Diese Quelle hat zwei Funktionen: Zum einen soll sie eine Reaktion der Männer illustrieren, zum anderen hat sie die Aufgabe, die Argumentation der Männer exemplarisch darzulegen.
Verlaufsplanung
In Anknüpfung an die vorangegangene Stunde wird die Frage nach der Reaktion der Männer auf die Aktionen der Frauen gestellt.
Beantwortung der gestellten Frage:
Die Schüler stellen Vermutungen über die mögliche Reaktion der Männer an.
Die richtigen Vermutungen der Schüler werden von dem Lehrer zusammengefaßt und durch zusätzliche Informationen ergänzt. Die Reaktion der Männer:
Olympe de Gouges und einige andere Frauen wurden 1793 enthauptet. Der Konvent beschloß ein Verbot aller Frauenvereine. Die Frauen protestierten trotzdem weiter gegen ihre Unterdrückung. Es folgte ein Verbot für die Frauen, Konventsitzungen und andere öffentliche Versammlungen zu besuchen.
Bei Zuwiderhandlungen wurden die Frauen als Aufrührerinnen behandelt, d. h. sie wurden enthauptet.[9]
Daraus ergibt sich die Frage nach den Gründen der Männer für diese Reaktion.
Erarbeitung
Die Schüler stellen Vermutungen an, welche Gründe die Männer für ihre Reaktion gehabt haben könnten.
Um die Begründung der Männer herauszuarbeiten, wird eine Rede von A. Chaumette herangezogen.
Eine einleitende Information des Lehrers dient dazu, diese Rede in den Gesamtzusammenhang einzuordnen.
Inhaltliche Einführung: Durch die von den europäischen Großmächten drohende Kriegsgefahr sah der Konvent die junge Republik bedroht und rief die Männer zur Verteidigung an die Waffen. Diesem Aufruf wollten auch die Pariser Frauen folgen, um gemeinsam mit den Männern die Ergebnisse der Revolution zu verteidigen.
»Seit wann ist es den Frauen gestattet, ihr Geschlecht abzuschwören und sich zu Männern zu machen? Seit wann ist es Gebrauch, sie die fromme Sorge ihres Haushaltes, die Wiege ihrer Kinder verlassen zu sehen, um auf die öffentlichen Plätze zu kommen, von der Tribüne herab Reden zu halten, in die Reihe der Truppen zu treten, mit einem Worte, Pflichten zu erfüllen, welche die Natur dem Manne allein zugeteilt hat? - Die Natur hat zu dem Manne gesagt: Sei Mann! Die Wettrennen, die Jagd, der Ackerbau, die Politik und die Anstrengungen aller Art sind dein Vorrecht! Sie hat zu dem Weibe gesagt: Sei Weib: Die Sorge für deine Kinder, die Details des Haushaltes, die süße Unruhe der Mutterschaft, das sind deine Arbeiten! - Unkluge Frauen, warum wollt ihr Männer werden? Sind die Menschen nicht genug geteilt? Was bedürft ihr mehr? Im Namen der Natur, bleibt, was ihr seid; und weit entfernt, uns um die Gefahren eines so stürmischen Lebens zu beneiden. Begnügt euch damit, sie uns im Schöße unserer Familien vergessen zu machen, indem ihr unsere Augen ruhen lasset auf dem entzückenden Schauspiel unserer durch eure zärtliche Sorge glücklichen Kinder.«[10]
Zur Auswertung der Quelle im Sinne der Fragestellung bietet sich folgende Vorgehensweise an: Es wird ein Arbeitsauftrag gegeben, der in Einzel- oder Gruppenarbeit ausgeführt wird:
Anfertigung einer Tabelle, in die eingetragen wird, was Chaumette als Aufgaben der Frau/ des Mannes bezeichnet.
Unterstreichen und in einem Satz formulieren, wie Chaumette seine Auffassungen begründet.
Ergebnissicherung
Tafelbild
Aufgabe 1: | |
Was bezeichnet Chaumette als die Aufgaben der Frauen? | Was bezeichnet Chaumette als dieAufgaben der Männer? |
Haushalt | Wettrennen |
Sorge um die Kinder | Jagd |
Kinder gebären | Politik |
Den Mann die Sorgen vergessen zu lassen | Kriegsdienst |
Aufgabe 2: | |
Wie begründet Chaumette seine Meinung? Frauen und Männer sind von Natur aus ungleich und haben daher verschiedene Rollen zugeteilt bekommen. |
4. Stunde
Stundenlernziel
Die Schüler sollen lernen, daß sich hinter der Berufung der Männer auf die Natur das Interesse verbarg, weiterhin die Vorteile genießen zu wollen, die sich für sie aus der Unterdrückung der Frau ergaben.
Feinlernziele
Die Schüler sollen lernen, daß die Verfasserinnen der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin und der radikale Jakobiner Chaumette ihre Auffassungen von der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau durch die Natur begründen.
Die Schüler sollen lernen, daß die Verfasserinnen der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin die Gültigkeit der Menschenrechte auch für Frauen durchsetzen wollten, während sich die Männer mit ihren Interessen im Widerspruch zu den Menschenrechten befanden.
Vorbemerkung zum Verlauf der Stunde
Zunächst wird die Problemstellung erarbeitet: Wie ist es zu erklären, daß die Männer und Frauen ihre gegensätzlichen Auffassungen mit der Natur begründen. An dieser Stelle liegt es nahe, den unterschiedlichen Naturbegriff zu problematisieren. Um diesen Schritt zu erleichtern erarbeiten die Schüler zunächst die unterschiedlichen Interessen von Männern und Frauen. Zum Abschluß der Unterrichtseinheit sollen die Schüler die Beziehung zwischen den genannten Interessen und den Menschenrechten herstellen und dazu Stellung nehmen.
Verlaufsplanung
Problemstellung
In Anknüpfung an die Ergebnisse der letzten Stunde wird die Begründung für Chaumettes Auffassung erneut an der Tafel festgehalten. In dem nun folgenden Schritt wird die Begründung der Frauen für ihre Auffassung anhand der Artikel 1, 2, 4 aus der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin erarbeitet und in einem Satz etwa folgenden Inhalts an der Tafel festgehalten: Frauen und Männer haben nach den Gesetzen der Natur und der Vernunft gleiche Rechte. Aus der Gegenüberstellung an der Tafel ergibt sich die Frage: Wie ist es zu erklären, daß die Frauen und Männer gegensätzliche Auffassungen mit gleicher Begründung vertreten?
Vermutungen der Schüler zur Problemstellung
Problemlösung durch Einführung einer neuen Fragestellung
In dieser Phase stellen die Schüler fest, daß die Frauen und Männer unterschiedliche und gegensätzlich Interessen hatten. Die Schüler erarbeiten am Text der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin das Interesse der Frauen, nämlich Gleichberechtigung zu erlangen.
Die Schüler erarbeiten mit Hilfe der Chaumette - Rede das Interesse der Männer an der Aufrechterhaltung der Unterdrückung der Frauen. Die Schüler erkennen, daß Frauen und Männer den Naturbegriff interessengebunden verwenden.
Anhand von Artikel 4 der Erklärung der Menschenrechte und der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin können die Schüler zu der Einsicht gelangen, daß die Männer gegen die von ihnen selbst feierlich verkündeten Menschenrechte verstießen, indem sie die Forderungen der Frauen nicht akzeptierten.
Ergebnissicherung
Zur Sicherung der Ergebnisse dient das in der Stunde entwickelte Tafelbild.
Tafelbild Um 1790 in Frankreich
Behauptung der Männer: (Chaumette) | Interesse der Männer an der Durchsetzung ihrer Auffassung: |
Frauen und Männer sind von Natur ungleich und haben daher von der Natur ungleiche Aufgaben und Rollen zugewiesen bekommen. |
keine Teilung der Herrschaft mit den Frauen weiter Bedienung der Männer durch die Frauen |
Behauptung der Frauen: (Olympe de Gouges)
Frauen und Männer haben nach den Gesetzen der Natur und der Vernunft gleiche Rechte. |
Interesse der Frauen an der Durchsetzung ihrer Auffassung:
Gleichberechtigung: Meinungsfreiheit, politische Beteiligung, gleiche Bildungschancen, keine Unterdrückung durch den Mann |
III. Schlußbemerkung
Abschließend möchten wir auf einige Reaktionen der Schüler auf dieses für sie neue Unterrichtsthema hinweisen.
Während des Verlaufs der gesamten Unterrichtseinheit beteiligten sich die Schüler mit regem Interesse. Ihre Beiträge ließen auf eine starke Motivation schließen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen. Viele fühlten sich persönlich betroffen und hatten daher häufig Schwierigkeiten, zwischen historischer und gegenwärtiger Situation zu unterscheiden.