Thematische Fragestellung
Welche Auswirkungen haben gesellschaftliche, ökonomische und soziale Bedingungen und Prozesse auf den Lebenszusammenhang von Frauen?
Historische Thematik
Die gesellschaftliche Rollenzuweisung an die Arbeiterinnen des deutschen Kaiserreiches und ihre politische Entwicklung auf dem Hintergrund ihrer sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage.
Qualifikationen
- Fähigkeit zur mündigen Lebensge staltung.
- Fähigkeit zum demokratischen Denken und Handeln.
- Fähigkeit und Bereitschaft zum politischen Engagement.
- Fähigkeit und Bereitschaft, sich für bessere Lebensbedingungen anderer einzusetzen.
- Fähigkeit und Bereitschaft zur Parteinahme für Unterdrückte und Unterprivilegierte.
- Fähigkeit und Bereitschaft zum »grenzüberschreitenden« Denken.
- Bereitschaft, Emanzipation als Leitbegriff für die eigene Lebensgestaltung zu begreifen.
- Fähigkeit und Bereitschaft, Rollenzuweisungen zu überprüfen.
- Fähigkeit und Bereitschaft, gesellschaftlich nicht anerkanntes Rollenverhalten zu akzeptieren.
- Fähigkeit, die eigene Interessenlage zu erkennen.
- Fähigkeit zur Beurteilung des Zusammenhangs von ökonomischer Entwicklung und den Lebensbedingungen des einzelnen.
- Fähigkeit zur Analyse struktureller Entwicklungen.
- Fähigkeit, die Entwicklung gesellschaftlicher Gruppierungen in den Gesamtzusammenhang politischer Prozesse einzuordnen.
Übergeordnete Lernziele
- Kenntnis von den sozialen Verhältnissen in der Arbeiterklasse zwischen 1870 und 1914.
- Kenntnis von der Entwicklung der Frauenfabrikarbeit.
- Erkenntnis, daß die beruflichen Möglichkeiten der Frauen sehr eingeschränkt waren.
- Kenntnis von den Bedingungen der Ausbeutung der Frauen.
- Erkenntnis, daß die gewerkschaftliche Organisation Gegenmacht bedeutet.
- Kenntnis von der inferioren Stellung der Frau und deren Gründe.
- Kenntnis von der Streikfähigkeit der Arbeiterinnen.
- Erkenntnis, daß Rollenzuweisungen aufgrund gesellschaftlicher Bedingungen und kultureller Traditionen stattfinden.
- Erkenntnis, daß politisches Engagement Grundlage politischer Mündigkeit ist.
- Erkenntnis, daß eine Demokratie mündige Bürger braucht.
- Erkenntnis, daß entfremdete Arbeit ihre Auswirkungen auf das Bewußtsein der Frauen hatte.
- Erkenntnis der Veränderbarkeit der Geschlechtsrollen.
Historisch-politisches Lernziel
Einsicht, daß die Arbeiterinnen unter dem Druck der ökoomischen und sozialen Verhältnisse zu Gegenmachtstrategien gegen die Übermacht der Unternehmer greifen mußten, um ihre eigene wirtschaftliche Situation zu verbessern.
Unterrichtsverlauf mit Materialien
1. Unterrichtsschritt: Hypothesenbildung
Mögliche alternative Zugänge zur Hypothesenbildung und alternative Hypothesen:
Was bedeutet es in unserer Gesellschaft, eine Frau zu sein?
Frau sein heißt...
...den Haushalt in Ordnung halten
...die Hausarbeit demokratisch in der Familie aufteilen
...den Mann für sich arbeiten lassen
...Kinder kriegen
...ständig überlastet sein
...einen Doppelberuf haben
...Zeit für sich selber haben
...alles für die Kinder tun
...Streit in der Familie schlichten
...das Geld für die Familie verwalten
...nur für den Mann da sein
...immer selbst zurückstehen
...anpassungsfähig sein
...Freude verbreiten
...schön für den Mann sein
...zänkisch sein
...eitel sein
Was bedeutet es, eine Frau zu sein? Vervollständigen Sie diese Liste.
Material 2
»Dienen lerne bei Zeiten das Weib nach ihrer Bestimmung; Denn durch Dienen allein gelangt sie endlich zum Herrschen, Zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret.
Dienet die Schwester dem Bruder doch früh, sie dienet den Eltern, Und ihr Leben ist immer ein ewiges Gehen und Kommen,
Oder ein Heben und Tragen, Bereiten und Schaffen für Andre. Wohl ihr, wenn sie daran sich gewöhnt, daß kein Weg ihr zu sauer
Wird und die Stunden der Nacht ihr sind wie die Stunden des Tages, Daß ihr niemals die Arbeit zu klein und die Nadel zu fein dünkt,
Daß sie sich ganz vergißt und leben mag nur in Andern.
(Johann Wolfgang von Goethe, zit. nach: Wilhelm Heinrich Riehl, Die Familie, 1855, 109)
- Frauen gehörten nach Meinung früherer Generationen ins Haus. Das hat sich heute geändert.
- Dienen ist die eigentliche Bestimmung der Frau, auch heute noch.
- Frauen haben eine natürliche Begabung zur Hausarbeit.
- Nur der kann herrschen, der auch dienen gelernt hat.
- Weder dienen noch herrschen sind erstrebenswerte Tätigkeiten.
- Menschen sollen einander dienen
- Hausarbeit macht so viel Spaß, daß es egal ist, wie lang der Arbeitstag der Hausfrau ist.
- Für eine Frau ist es das höchste Glück, sich selbst zu vergessen, und ganz in anderen (im Mann und den Kindern) aufzugehen.
- »Die Welt ist das Haus des Mannes, das Haus ist die Welt der Frau«
Versuchen Sie, aufgrund des Goethe-Verses weitere gängige Meinungen über das Dasein der Hausfrau zu sammeln.
Material 3
Margaret Mead hat zwischen 1925 und 1933 in der Südsee mehrere kulturell verschiedene Völker beobachtet und beschrieben. Dabei ist auffallend, wie unterschiedlich das Rollenverständnis von männlich und weiblich sich je nach der Kultur und ihren Einflüssen von außen entwickelt hat bzw. wie groß auch die Unterschiede zu unseren eigenen kulturellen Erfahrungen mit den Rollen männlich/weiblich sind. Ihre Beobachtungen zeigen, daß viele Verhaltensnormen der uns vertrauten westlichen Gesellschaften nur scheinbar natürlichen Ursprungs sind.
Auszüge aus: Die Tchambuli vom See.
- »Die Tchambuli sind ein verhältnismäßig kleiner Stamm (...). Sie leben in drei Dörfern am Fluß des Tchambuli-Gebirges, und ihre Kulthäuser stehen wie langbeinige Vögel auf hohen Pfählen am Seeufer. Zwischen insgesamt fünfzehn Kulthäusern verläuft ein Weg, der bei niederem Wasserstand zu Fuß begangen, bei Hochwasser mit schmalen Kanus zurückgelegt wird (...). Das ist ein Männerweg, der von Frauen und Mädchen nur anläßlich eines Festes beschritten wird. (...)
Von jedem Kulthaus führt ein Weg die steilen, mit Felsen bedeckten Höhen zu den zwischen Bäumen versteckten Häusern der Frauen hinauf. Diese Häuser sind länger und niedriger als die der Männer; der Firstbalken ist gerade und flach. Langgestreckt und massiv stehen sie auf starken Pfosten; die Fußböden sind sorgfältig angelegt, kräftige Leitern führen zu jedem Eingang. (...) Die Wohnhäuser, auch 'Häuser der Frauen' genannt, sind durch einen Höhenweg miteinander verbunden, auf dem die Frauen von einem Haus zum andern gehen. In jedem Haus wohnen zwei bis vier Familien, und auf dem geräumigen Hof finden sich immer einige Frauen, die kochen, flechten und ihre Fischereigeräte ausbessern. Von ihrer energischen Aktivität geht eine heitere Stimmung von Solidarität, dauerhafter Zusammenarbeit und Gruppengeist aus, die in den lustig geschmückten Kulthäusern am Seeufer fehlt, wo jeder Mann vornehm auf seinem Platz sitzt und seine Gefährten genau beobachtet. Am frühen Morgen, wenn das erste Licht auf dem See liegt, sind die Menschen schon unterwegs. Die Frauen kommen mit ihren spitzen Regenumhängen auf den Köpfen die Anhöhen herunter und waten durch die Lotosblüten zu ihren schmalen Kanus, um nach ihren glockenförmigen, großen Fischreusen zu sehen oder sie wieder auszulegen. (...)
Das ungewöhnliche Bild des Zusammenhaltens und der Freundschaft zwischen zwei Ehefrauen und zwischen Schwiegermutter und Schwiegertöchtern kennzeichnet das Verhältnis der Tchambuli-Frauen untereinander. Die Tchambuli-Frauen arbeiten gemeinschaftlich; ein Dutzend findet sich zum Flechten eines der großen Moskitoschlafsäcke zusammen, deren Verkauf die meisten talibun und kinas ( = »Geld« in Form von Muscheln) einbringt. Gemeinsam kochen sie für ein Fest auf ihren Feuerstellen aus Lehm in runden Töpfen mit terrassenförmigen Aufsätzen, die dicht nebeneinaner stehen und von einem Platz zum anderen bewegt werden können. In jedem Wohnhaus sind ein bis zwei Dutzend Feuerstellen, so daß keine Frau allein in einer Ecke zu kochen braucht. Der ganze Betrieb erweckt den Eindruck von Kameradschaft und zielstrebiger, fröhlicher Arbeit, die von Neckereien und lebhaftem Geplapper belebt wird. Bei den Männern dagegen herrscht immer Spannung und gegenseitiges Mißtrauen. .. (...)
Trotz der männlichen Erbfolge und der Vielweiberei, bei der für die Frauen ein Kaufpreis erlegt werden muß - zwei Einrichtungen, von denen gewöhnlich angenommen wird, daß sie die Frau erniedrigen -, haben bei den Tchambuli die Frauen die eigentliche Macht. Das patrilineare System (= System männlicher Erbfolge) umfaßt Häuser und Landbesitz zum Bewohnen und zum Bestellen; von der Möglichkeit des Landbesteilens machen jedoch nur besonders tatkräftige Männer Gebrauch. (...)
Die Männer sind zwar dem Namen nach Eigentümer der Häuser, sie sind Familienoberhaupt und sogar Eigentümer ihrer Frauen, aber die eigentliche Initiative und Macht liegt in den Händen der Frau. (...)
Im Gegensatz zum Leben der Männer, das angefüllt ist mit kleinen Streitigkeiten, Mißverständnissen, Wiederversöhnungen, Dementis und Beteuerungen, denen Geschenke folgen, ist das Leben der Frauen ungewöhnlich frei von Gehässigkeit und Streit. Auf fünfzig Streitigkeiten der Männer kommt bei den Frauen höchstens eine. Ordentlich, emsig und ihrer Macht bewußt, sitzen sie mit ihren ungeschmückten Kahlköpfen lachend in Gruppen zusammen oder halten einen nächtlichen Tanz ohne Männer ab, bei dem jede Frau für sich allein den Tanzschritt ausführt, den sie am aufregendsten findet. Hier ist die Solidarität der Frauen, die Bedeutungslosigkeit der Männer wiederum erkennbar. Für dieses Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist das Wohnhaus der Tchambuli charakteristisch, in dem die Frauen unerschütterlich einträchtig die Mitte beherrschen, während die Männer sich an der Tür oder der Hausleiter herumdrük-ken, geduldet, aber nicht gebraucht werden und sich bald gern wieder in das Haus der Männer zurückziehen, wo sie selber kochen, ihr eigenes Feuerholz sammeln, fast wie Junggesellen leben und sich gegenseitig argwöhnisch beobachten.«
»Die Gespanntheit unter den Männern der Tchambuli entwickelt sich im Alter der Brautwerbung. Keiner weiß, auf wen die Wahl einer Frau fallen wird, man kann nur wünschen, hoffen und seine Altersgenossen scharf im Auge behalten.« Von den Frauen wird keine sexuelle Enthaltsamkeit verlangt. Wird eine junge Frau Witwe, so wird sie für die Gemeinschaft zu einer großen Belastung, weil keiner von ihr verlangt, daß sie enthaltsam lebt. Dadurch stiftet sie Verwirrung und jeder drängt sie, sich so bald wie möglich wieder zu verheiraten. »Der übliche Kommentar der Tchambuli lautet: 'Sind denn die Frauen passive, geschlechtslose Geschöpfe, von denen man verlangen kann, daß sie zusehen, wie mit den Formalitäten wegen des Brautpreises die Zeit vertrödelt wird? Von den Männern, bei denen ja das Sexuelle nicht so vordringlich ist, kann man eher erwarten, daß sie sich den Regeln und Vorschriften fügen.'« (Margaret Mead: Jugend und Sexualität in primitiven Gesellschaften, Band 3: Geschlecht und Temperament in drei primitiven Gesellschaften, München 1976, dtv Wissenschaftliche Reihe 4034, 216-234)
Versuchen Sie, aufgrund dieser Schilderung die Geschlechtsrollen in der Tchambuli-Gesellschaft festzulegen.
- Welche Eigenschaften gelten bei den Tchambuli als typisch weiblich, welche als typisch männlich?
- Vergleichen Sie diese Eigenschaften mit den oben anhand von Material 1 und 2 ermittelten Eigenschaften von Frauen in unserer Gesellschaft.
- Wie sind bei den Tchambuli Macht und Eigentum verteilt?
- Wie sieht das Familienleben aus?
- Wer sorgt für den Lebensunterhalt?
- Worauf führen Sie die Heiterkeit, Ausgeglichenheit und Solidarität bei den Frauen zurück?
- Warum sind die Männer mißtrauisch und zu Gehässigkeiten geneigt?
Material 4
Bericht über Versuche, das Rollenverhalten in unserer Gesellschaft zu verändern:
Geschlechtsrollenstereotypien entstehen und verfestigen sich in der Primärsozialisation:
- »Erfahrung und Forschung zeigen, daß. Frauen und Männer emotional-fürsorgliche Fähigkeiten entwickeln können und daß daher beide gleichermaßen fähig sind, Kinder von der Stunde ihrer Geburt an zu betreuen und aufzuziehen. 'Mutterschaft' wird allerdings oft in dem Sinn verstanden, daß man glaubt, allein die Erziehung des Kindes durch die biologische Mutter könne dessen gute Entwicklung gewährleisten. Diese Vorstellung ist eines der größten Hindernisse für das Aufbrechen der Rollenstereotypen für beide Geschlechter. Auch in der Frage des Stillens spielen ideologische Faktoren eine Rolle, die das Mutterschaftskonzept im genannten Sinn verfestigen helfen.
Eine der Maßnahmen, die der Frau eine größere Rollenflexibilität ermöglichen sollen, ist das .Babyjahr' das in einigen industrialisierten osteuropäischen Ländern berufstätigen Frauen unbezahlten oder teilbezahlten Urlaub unter Garantie des Arbeitsplatzes gewährt, während sie der Erziehung des Kleinkindes nachgehen. Diese Regelungen tragen letztlich jedoch wiederum dazu bei, die traditionellen Geschlechterrollen zu verfestigen.
Ein anderes Konzept ist die Doppelrolle für Frauen und Männer, das in Schweden Teil des Regierungsprogramms ist und eine Reihe neuer Gesetze bewirkt hat. Der sogenannte .Elternurlaub' gibt Müttern und Vätern die Möglichkeit, während einer bestimmten Zeitdauer bezahlten Urlaub zu nehmen, um das Kleinkind zu betreuen.« (Informationen für die Frau. Informationsdienst des »Deutschen Frauenrates und Bundesvereinigung deutscher Frauenverbände und Frauengruppen gemischter Verbände e.V.«, 5. Folge, Mai 1978, 12)
- Welche Fähigkeiten werden hier von Müttern wie von Vätern erwartet?
- Was versteht man normalerweise unter Mutterschaft und in welchem Sinne wird sie hier verstanden?
- Kann auch ein Mann eine gute »Mutter« sein?
- Welche Eigenschaften müßte ein Mann ausbauen, wenn er ein Kind über längere Zeit hin betreut, um die gute Entwicklung des Kindes zu gewährleisten?
- Ist das »Babyjahr« für die berufstätige Frau eine Entlastung?
- Welche Probleme kann die Einrichtung des »Babyjahres« aufwerfen?
- Bietet der »Elternurlaub« für die Frau bessere Möglichkeiten als das »Babyjahr«?
- Welche Vorstellungen erweckt ein Mann, der ein Baby wickelt, füttert, streichelt und ins Bett bringt, der Windeln wäscht und Babykost wärmt?
- Welche Vorstellungen erweckt eine Frau, die ein Baby wickelt, füttert, streichelt und ins Bett bringt, die Windeln wäscht und Babykost wärmt?
- Vergleichen Sie beide Vorstellungen. Woher kommen die Unterschiede?
- Ist es die natürliche Aufgabe der Frau, Kinder großzuziehen?
Material 5
Arthur Schopenhauer: Über die Weiber
»Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, daß das Weib weder zu großen geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. Es trägt die Schuld des Lebens nicht durch Tun, sondern durch Leiden ab, durch die Wehen der Geburt, die Sorgfalt für das Kind, die Unterwürfigkeit unter den Mann, dem es eine geduldige und aufheiternde Gefährtin sein soll. Die heftigsten Leiden, Freuden und Kraftäußerungen sind ihm nicht beschieden; sondern sein Leben soll stiller, unbedeutsamer und gelinder dahinfließen, als das des Manes, ohne wesentlich glücklicher oder unglücklicher zu sein.«
»Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen die Weiber sich gerade dadurch, daß sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit einem Worte, zeitlebens große Kinder sind: eine Art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist. Man betrachte nur ein Mädchen, wie sie tagelang mit einem Kinde tändelt, herumtanzt und singt, und denke sich, was ein Mann (...) an ihrer Stelle leisten könnte.« (§§ 363 und 364, zit. nach: Die Geschlechterrolle, Hrsg. Karl H. Bonner, München 1973, 27-28)
- Welche Aussagen werden über die körperlichen Kräfte der Frauen gemacht?
- Welche Haltung gegenüber dem Mann ist die richtige für eine Frau?
- Wozu eignen sich die Frauen am besten?
- Der Text ist zum erstenmal 1851 erschienen. Vergleichen Sie die Frau, die hier beschrieben wird, mit einer berufstätigen und erfolgreichen Frau von heute.
- Welche »Berufsaussichten« hatte ein Mädchen damals?
Material 6
»In unserem Grundgesetz steht seit fast 30 Jahren: 'Niemand darf wegen seines Geschlechts benachteiligt werden.' Das heißt auch: Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit. Wie kommen dennoch Unterschiede in der Entlohnung zustande? Obwohl die Löhne der Frauen in den letzten Jahren sogar relativ stärker gestiegen sind als die der Männer?«
Durchschnittliche Bruttostundenverdienste von weiblichen Industriearbeitern im Verhältnis zu denen der männlichen Industriearbeiter in Prozent (Verdienst der Männer mit 100% gesetzt):
1956 verdienten Frauen nur 63,8% des Männerverdiensts 1966 verdienten Frauen nur 68,8% des Männerverdienstes 1976 verdienten Frauen nur 72,6% des Männerverdienstes (aus: Frauen. Informationen, Tips und Ideen zum Nachschlagen und Weitersagen, hrsg. v. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)
Frauen klagen gegen ungleiche Bezahlung:
In einer Gelatinefabrik in Sobernheim in Rheinland-Pfalz haben im September 1978 fünf gewerkschaftlich organisierte Frauen gegen ihren Arbeitgeber geklagt. Sie wollen damit durchsetzen, daß sie für die gleiche Arbeit wie die Männer gleichen Lohn erhalten. Diese Frauen arbeiten mit Männern an der gleichen Maschine und tun dieselbe Arbeit. Trotzdem erhalten sie weniger Stundenlohn: die Männer bekommen DM 9,04 in der Stunde, die Frauen bekommen DM 8,64 in der Stunde. Das sind pro Stunde 40 Pfennige weniger.
Obwohl die Frauen schon seit Jahren gemeinsam mit dem Betriebsrat versuchen, diese Ungerechtigkeit abzuschaffen, ist der Unternehmer bis jetzt nicht zu einer Lohnerhöhung für die Frauen bereit gewesen. Nach Auskunft des Betriebsrates sind die Frauen in der »richtigen« Lohngruppe, d.h. die Männer erhalten über den für diese Arbeit vorgesehenen Lohn hinaus mehr Geld. Der Unternehmer begründet das damit, daß die Männer manchmal an anderer Stelle eingesetzt werden, wo sie »schwerere« Arbeit leisten müssen. Aber auch die Frauen werden manchmal anderswo eingesetzt: in der Packerei. Die Frauen müssen, wenn ihre Klage Erfolg hat, damit rechnen, daß sie entweder entlassen werden oder auf einen anderen Arbeitsplatz kommen. Der Unternehmer hat bereits angedroht, ihre Arbeitsplätze »wegzurationalisieren«, wenn das Urteil den Frauen Recht gibt.
- Warum verdienen die Männer mehr, als in der Lohngruppe für diese Arbeit vorgesehen ist?
- Wäre es gerechter, wenn die Frauen auch mehr verdienen würden?
- Welche Reaktionen könnte man bei den Männern vermuten, wenn sie nach Tarif bezahlt würden, also genau den gleichen Stundenlohn bekämen wie die Frauen ?
- Welche Versuche haben die Frauen bisher gemacht, um für die gleiche Arbeit wie die Männer auch den gleichen Lohn zu bekommen?
- Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes lautet: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.« Messen Sie den Fall aus Sobernheim an diesem Gleichheitsgrundsatz. Wird er eingehalten?
Mögliche alternative Hypothesen
- Frauen sind besonders geeignet, einen Haushalt zu führen und Kinder zu erziehen.
- Frauen können ohne Mühe Beruf, Hausarbeit, Ehe und Kindererziehung miteinander vereinbaren.
- Frauen können nur dann einen Beruf richtig ausfüllen, wenn sie nicht verheiratet sind.
- Frauen sind grundsätzlich anders als Männer veranlagt, weil sie Kinder bekommen und aufziehen.
- Frauen sind zur Erziehung von Kindern völlig ungeeignet, deshalb muß man Kinder erfahrenen Pädagogen anvertrauen.
- Frauen sind normalerweise verheiratet. Deshalb brauchen sie nicht so viel zu verdienen wie die Männer, weil diese die Familie ernähren.
- Frauen sind weniger leistungsfähig im Beruf, deshalb verdienen sie weniger.
- Frauen ordnen sich gerne unter.
- Frauen sind bescheiden und anspruchslos; deshalb brauchen sie nicht so viel zu verdienen.
- Im Gegensatz zu früher sind heute die Frauen emanzipiert.
- Frauen sind normalerweise sehr anspruchsvoll, deshalb arbeiten sie im Beruf, auch wenn sie verheiratet sind.
- Männer können genausogut Kinder großziehen wie Frauen.
- Frauen sind durch den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes dem Mann in jeder Beziehung gleichgestellt und brauchen keine Rechte einzuklagen.
- Frauen waren auch früher nicht unterprivilegiert
- Die Gleichberechtigung ist keine Selbstverständlichkeit, sie mußte erst erkämpft werden.
- Frauen sind selten über ihre Rechte informiert.
- Frauen setzen sich immer durch, vor allem, wenn es um ihre Rechte am Arbeitsplatz geht.
- Frauen sind häufig gewerkschaftlich organisiert.
2. Unterrichtsschritt: Historische Aufklärung
Teill:
Die soziale Not der Arbeiterinnen im Kaiserreich
Materialien zur Erarbeitung der Problemstellung
2. Der Lohn deckt nicht den Lebensunterhalt
- »Weil der Proletarier wenig verdient, kann er der Frau nur wenig Wirtschaftsgeld geben. Für wenig Geld bekommt die Frau bei Metzger und Bäcker nur wenig Ware. Sie muß rechnen und knausern, feilschen und sparen und sich zuletzt mit schlechter Qualität begnügen. Oft mutet es wie ein Wunder an, daß es ihr überhaupt gelingt, eine Mahlzeit auf den Tisch zu bringen. Da der Mann der Hauptverdiener ist, erhält er von den nahrhaften Speisen den größeren Anteil. Den Rest schiebt sie den Kindern zu. Sie selbst nimmt mit dem Überbleibsel oder einer billigen Zukost fürlieb. Es ist unbeschreiblich und unglaublich, welchen Heroismus der Entsagung oft Proletarierfrauen in aller Stille und unbedankt durch Jahre und Jahrzehnte vollbringen.
Freilich kommt es auch häufig vor, daß sich die Proletarierfrau auf Haushalt und Küche schlecht versteht. Eine Hauswirtschaft rationell zu führen und gut zu kochen sind Dinge, die gelernt sein wollen. Dazu gehört Anleitung, Zeit und Geld.
Weder das eine noch das andere steht dem proletarischen Mädchen vor seiner Verheiratung zu Gebote. Es kommt aus dem Milieu der Armut, hat von Kindesbeinen an mitarbeiten müssen, findet keine Gelegenheit, sich auf den Hausfrauenberuf irgendwie vorzubereiten. (...)
Der Proletarier hungert bereits im Mutterleibe. Ist er geboren, so erhält er statt der nahrhaften Muttermilch ein schäbiges Surrogat. An magerem Brei und Kartoffeln, Kartoffeln und Hering, Kartoffeln und Salz ißt er sich groß. Für das ganze Leben der meisten gilt der alte Vers: 'Kartoffeln in der Früh, Kartoffeln in der Brüh, Kartoffeln mit ihrem Kleid, Kartoffeln in Ewigkeit.' Oft muß er noch dankbar sein, wenn es zu Kartoffeln oder trockenem Brot überhaupt reicht.« (Otto Rühle, Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte des. Proletariats, Bd. 1, Berlin 1930, 300-302)
Erstellung von Leitfragen:
- In welcher Situation ist die Mutter auf dem Bild »Brot« von Käthe Kollwitz? Beschreiben Sie die persönliche Situation der Frau.
- Welche soziale Lage drückt das Bild aus? Verallgemeinern Sie die persönliche Situation.
- Verbinden Sie das Bild mit dem Text 2. Welche Parallelen können Sie feststellen?
- Welche Möglichkeiten hatte eine Proletarierfrau, ihre Kinder einigermaßen satt zu bekommen
- Was war das Hauptnahrungsmittel der Proletarier ?
- Welche Möglichkeiten boten sich an, den geringen Lohn des Mannes aufzubessern?
- Warum verstand die Arbeiterin so wenig von der Hauhaltsführung?
- Welche Folgen hat es, wenn zu wenig Geld da ist und die Hausfrau zu wenig vom Haushalt versteht?
- Können Sie anhand des Bildes und des Textes Aussagen über die seelische Lage der Arbeiterin machen?
- Welche Dinge halten wir heute für lebensnotwendig?....
Arbeitstext 1:
Haushaltsfithrung und Lebensweis eines besser gestellten Facharbeiters in Berlin 1890
- »Er ist in einer Bronzewarenwerkstätte als Former beschäftigt, ein fleißiger achtungswerter Mann, braver Gatte und Vater (...). Versammlungen besucht er fast gar nicht; ein Wirtshaus sehr selten. Seine Frau, ein früheres Dienstmädchen, ist trotz ihrer Kränklichkeit fleißig und haushälterisch. Die Wohnung besteht aus einem ziemlich geräumigen Zimmer, an das sich die Küche schließt. Obwohl Mann, Frau und zwei Kinder hier schlafen und leben, ist alles von peinlicher Sauberkeit. Geblümte Kattunvorhänge sind an den zwei Fenstern angebracht; bescheidene Blumen stehen auf den Brettern. Die eine Langmauer nehmen zwei Betten und ein einfaches Schlafsofa ein, das den Kinder zur Ruhestätte dient; die andere wird von einem Vertikow, einem Kleiderschrank und einem Waschtisch eingenommen. Ein Tisch und Stühle vervollständigen die Einrichtung.
Der Durchschnitt der Einnahmen ist 1700 Mark (Jahreseinkommen) (...). An Wohnungsmiete muß 259 Mark gezahlt werden. Diese kleinen Wohnungen sind, weil am meisten gesucht, trotz des Mangels an Ausstattung die teuersten (...). Wenn der Former am Samstag seinen Lohn empfangen hat, legt er den Teilbetrag für die Wohnungsmiete, die monatlich vorausbezahlt wird, beiseite. Die Frau erhält 18 Mark für den Haushalt der Woche, also 2,57 Mark für den Tag, 64 Pfennige für den Kopf; davon muß noch Beleuchtung bezahlt werden. Heizung begleicht der Mann (...)
Lehrreich ist der Tagesverbrauch an Nahrungsmitteln. Die Aufstellung ist nur eine durchschnittliche, da der Speisezettel nicht stets der gleiche ist. Stark ist der Verbrauch von Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Mehl, Brot und Milch. Von Fleischwaren werden neben billiger Wurst - mit der Brot bestrichen, aber nicht belegt wird - zumeist gehacktes Rindfleisch oder Lungen verwendet, zu Fleischklößen (Klops) oder .falschen Hasen' (Hackfleisch vermischt mit Semmelbröseln oder -Würfeln und dann mit etwas Fett ausgebacken). In Rücksicht auf Sonn- und Festtage wird Werktags sehr gespart.
Die Aufstellung zeigt folgende Durchschnittszahlen:
Mark | ||
Milch, 2-2 1/2 Liter | 0,36 - 0,45 | |
Fleisch, 1 - 2 Pfund | 0,70-1,40 | |
Gemüse, Kartoffeln, Hülsenfrüchte oder Reis | 0,05-0,15 | |
Kaffee oder Cichorie (Kaffeersatz) | 0,10-0,15 | |
Brot | 0,30 - 0,40 | |
Schrippen (gröbere Semmeln) zum Frühstück | 0,12-0,12 1/2 | |
Wurst | etwa | 0,30 - 0,30 |
Fett, Salz und Gewürze | etwa | 0,10-0,15 |
Mk. | 2,03-3,12 |
Das Mittel der beiden Zahlen ist 2,58 Mark, stimmt also mit dem für den Tag festgesetzten Betrag; da es aber nicht täglich erreicht wird, so bleibt ein Überschuß, der für Beleuchtung und kleine Pfennigausgaben verwendet wird. Auf Borg wird nicht das Geringste genommen, es ist das überhaupt die Hauptbedingungen, wenn ein kleiner Haushalt in Ordnung bleiben soll. Sind größere Ausgaben nötig, so wird jede Woche ein berechneter Teilbetrag beiseite gelegt, damit der Gegenstand bar bezahlt werden kann.
Der Mann nimmt am Morgen in einem Blechgefäß Kaffee mit, abends und mittags trinkt er 2 bis höchstens 3 Glas Bier, das Seidel zu 10 Pfennige (Schnaps trinkt er gar nicht), Werktags raucht er 2, Sonntags 3 Cigarren zu 3 Pfennige, in das Wirthaus* geht er vielleicht einmal in der Woche, aber ist dann spätestens um 10 1/2 zu Hause.
Ich stelle nun im folgenden die Zahlen zusammen, die ich in Erfahrung bringen konnte.
Jahreseinnahmen und -Ausgaben | Mark |
Einnahme | 1 700,- |
Ausgabe: | |
Wohnung | 259,- |
Haushalt | 924,- |
Steuern | 30,- |
Krankenkassen und andere Beiträge | 13,- |
Heizung, im Mittel | 45,00 |
Winterrock für den Mann | 30,00 |
Hut | 2,50 |
Stiefel für den Mann | 16,- |
Stiefel für die Frau | 11,- |
Stiefel für Kinder | 10,00 |
Kleideranschaffungen für Frau und Kinder | 23,00 |
Arzt und Apotheke für die Frau | 20,00 |
Zeitung, mit einem anderen zusammen 6 Mark, also | 3,00 |
Verschiedenes (Flickereien, Wäsche, Vergnügungen) | 64,- |
Mann (Getränke, Tabak, Groschensammlungen u.s.w.) | 162,- |
1 612,50 |
Im Jahre 1889 hat die Ersparnis 82 Mark betragen (...) Vergnügungen, die Geld kosten, sind sehr selten, Ausflüge nach dem Zoologischen Garten an »billigen Sonntagen«, wobei der »Freßkober« mitgenommen wird, oder in die Hasenheide, dazu reicht es noch; alle heiigen Zeiten, d. h. in Jahren einmal, geht man in ein billiges Rauchtheater. Damit sind die äußern Vergnügungen erschöpft. Der Mann hilft sich: er entlehnt Bücher aus den Volksbüchereien und liest des Abends, wenn er nicht zu müde ist; die Frau begnügt sich mit dem Roman und den örtlichen Nachrichten im »Blatt« oder redet mit den Nachbarinnen, sobald sie die Kinder zu Bett gebracht hat. (Deutsche Sozialgeschichte, Bd. II: 1870— 1914, hrsg. v. Gerhard A. Ritter und Jürgen Kocka, München 1974, 276- 278)
Texterschließungsfragen :
- Wie verteilt sich der durchschnittliche Jahresverdienst einer besser gestellten Arbeiterfamilie auf die Ausgaben.
- Wofür mußten Arbeiterhaushalte den größten Betrag aufbringen, wofür nur geringe Beträge?
- Vergleichen Sie die angegebenen Beträge für Kleidung mit den heutigen Preisen für Kleider und Schuhe. Welche Vermutungen können Sie anstellen über die Preisunterschiede zwischen Männer- und Frauenkleidung und -schuhen?
- Welche Vergnügungen konnte sich eine einigermaßen gut gestellte Arbeiterfamilie leisten?
- Welchen Betrag konnte der Mann jährlich für seine persönlichen Bedürfnisse ausgeben?
- Sind Angaben darüber gemacht, welche persönlichen Bedürfnisse die Frau hatte?
- Welche Unterschiede in der täglichen Freizeitbeschäftigung werden uns geschildert?
- Stellen Sie Vermutungen darüber an, was geschieht, wenn eine Familie weniger als 1700,-- Mark im Jahr zur Verfügung hat.
Arbeitstext 2:
Bericht über eine Untersuchung der Lebensverhältnisse der Heimarbeiterinnen
»Wir haben die Arbeiterinnen in solche gruppiert, die über und solche, die unter 7 Mk. (Wochenlohn) erhalten, weil wir diese Summe als das Minimum betrachten, das verausgabt werden muß, um sich ein Obdach zu verschaffen und das bloße Leben zu fristen. Es ergibt sich aus der folgenden Berechnung:
Mark | |
Für die mit einer anderen Person geteilte Kochstube wöchentlich | 1,50 |
Feuerung | 0,30 |
Spiritus zum Kochen | 0,20 |
Petroleum | 0,30 |
Wäsche | 0,15 |
Mehl, Gemüse, Gegräupe | 0,70 |
Kartoffeln | 0,15 |
Zwei Brote | 1 ,- |
Milch | 0,35 |
Salz, Schweden (Streichhölzer) etc. | 0,10 |
Kaffee | 0,40 |
Butter | 0,50 |
Schmalz | 0,38 |
Kassenbeitrag | 0,22 |
6,2 |
Diese Ernährung enthält keine Fleischkost und muß bei der anstrengenden Arbeit und sitzenden Lebensweise als ungenügend bezeichnet werden. Die Auslagen für den Haushalt, Schuhe und Kleidung, die sich im Lauf des Jahres herausstellen, können von dem Rest nicht gedeckt werden. Um diese zu bestreiten, muß die Nahrung in einer Weise reduziert werden, daß sie auch quantitativ nicht mehr ausreicht. Und doch (...) (verdient) eine große Anzahl von Frauen auch diesen Unterhalt noch nicht (...): Auch für (die Frauen) in der Lohnklasse von 7-9 Mk. muß ohne andere Hilfsquellen dies Dasein nur ein steter Kampf mit der Not sein. Jedenfalls kann man in diesem Lohn bei der starken Inanspruchnahme der Nervenkräfte ohne entsprechende Ernährungsmöglichkeit nicht den Ersatz für die Produktionskosten der Arbeit erblicken. Erst bei einem Verdienst von 9 Mk. an läßt sich eine dürftige Existenz ermöglichen, bei der wenigstens das physische Leben nicht zurückgeht. Doch um in ehrenwerter Weise auszukommen, bedarf es einer ungemein verständigen Ordnung der Bedürfnisse und ein Verzichtleisten auf jeden Genuß und jeden Schmuck des Daseins. Bei denen aber, die eine so entsagungsvolle Lebensführung nicht über sich gewinnen und die ein geringes Mehr für Kleidung oder Vergnügungen ausgeben, wird die Ernährung in vielen Fällen noch zu leiden haben.« (Gertrud Dyhrenfurth: Die hausindustriellen Arbeiterinnen in der Berliner Blusen-, Unterrock-, Schürzen- und Tricotkonfektion, Leipzig 1898, 58-59)
Texterschließungsfragen :
- In diesem Textbeispiel wird ein Wochenlohn von 7,- Mk. zugrunde gelegt, der als unbedingt notwendig für die Deckung des Existenzminimums ist. Rechnen Sie den Jahresverdienst aus, wenn keine Arbeitslosigkeit eintritt und vergleichen Sie die Einnahmen und Ausgaben mit Arbeitstext 1. Welche Unterschiede bestehen?
- Welche uns gewohnten Lebensmittel fehlen in der Wochenrechnung der Heimarbeiterin?
- Welche notwendigen Ausgaben sind ebenfalls nicht vorhanden?
- Welche Dinge sind lebensnotwendig?
- Worauf müssen die Arbeiterinnen verzichten?
- Es wird angegeben, daß eine große Anzahl von Frauen nicht einmal 7,— Mk. pro Woche verdienten. Auf welche Posten im aufgeführten Budget könnten sie am ehesten verzichten?
Arbeitstext 3: Warum gehen Frauen in die Fabrik?
Die folgende Tabelle wurde 1904 in Crimmitschau aufgestellt. Sie gibt den Verdienst der Frauen in Mark an. Zugeordnet ist jeweils die Anzahl der verheirateten Frauen (mit und ohne Kinder).
Verdienst in Mark | (Wochenlohn) | ||||
Verdienstklasse der Frauen: |
6-8 | 9 | 10-11 | 12-15 | 16 und mehr |
Anzahl der in diesen in Prozent: |
273
22,6 |
413
34,2 |
313
25,9 |
145
12,0 |
65
5.4 |
»Die Zahl der in Fabriken arbeitenden Frauen nimmt ab, sowie die Lohnklasse (des Mannes) von 18 M. erreicht ist.«
Ebenfalls in Crimmitschau wurde 1904 eine Tabelle über die Löhne verheirateter Frauen aufgestellt:
Verdienst in Mark | (Wochenlohn) | ||||
Verdienstklasse der Mäner: |
10-14 | 15-17 | 18-20 | 21-24 | |
Anzahl der in der Fabrikarbeitenden in Prozent: |
211
27,7 |
290
38,9 |
228
29,9 |
27
3,5 |
|
»Die Hauptmasse der Frauen ist in den Klassen von 9 und 9-12 M. zu finden. (...) Wie aus den angeführten Löhnen hervorgeht, begnügt sich ein Teil der Frauen mit einem sehr geringen Verdienst.« (Rose Otto: Über Fabrikarbeit verheirateter Frauen, Stuttgart 1910, 120-122)
Texterschließungsfragen :
- Um wieviel höher liegt der niedrigste und der höchste Lohn der Männer als der der Frauen?
- Bei einem Wochenlohn von 18,00 Mk. verdient ein Mann einen Jahreslohn von 936,00 Mk. Vergleichen Sie diesen Lohn mit dem in Arbeitstext 1 angegebenen.
- Bei welchem Männerlohn ist Frauenfabrikarbeit unbedingt notwendig gewesen?
- Vergleichen Sie die Frauen- mit den Männerlöhnen. Stellen Sie Vermutungen an, warum die Frauen so viel weniger verdienten als die Männer.
Arbeitstext 4: Warum Frauen arbeiten mußten
Aus den Tabellen in Arbeitstext 3 geht hervor, daß die Frauen im Vergleich mit den Männern und im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten sehr wenig verdienten. Schon damals haben viele Leute sich gefragt: Wenn die Frauen so wenig Geld für ihre Arbeit bekommen, warum gehen sie dann noch in die Fabrik? Bei Umfragen haben die Arbeiterinnen selbst ihre Gründe angegeben. Es wurden nicht nur die verheirateten Frauen gefragt, sondern auch Witwen, geschiedene Frauen, ledige Frauen mit und ohne Kinder, und Frauen, die von ihren Männern verlassen wurden. Frauen arbeiten in der Fabrik
- weil sie ihren Lebensunterhalt verdienen mußten,
- weil der Mann zu wenig verdiente,
- um Angehörige zu unterstützen,
- weil der Mann zum Unterhalt nichts beitrug,
- um Ersparnisse zu machen und Schulden abzubezahlen,
- um besser leben zu können (nach: Otto, a. a. O., 115).
Texterschließungsfragen:
- Vergleichen Sie Arbeitstext 3 und 4. Bei welcher Lohnkategorie der Männer scheint Frauenfabrikarbeit nicht mehr notwendig?
- Wenn erst der Lohn des Mannes und der Frau zusammen den Le bensunterhalt deckte, wie lebten dann alleinstehende Frauen bzw. ledi ge Frauen mit Kindern?
Bilderschließungsfragen :
- Welchen sozialen Klassen würden Sie die Menschen auf diesem Bild zuordnen?
- Welche Unterschiede bestehen zwischen diesen Menschen?
- Vervollständigen Sie die Frage: Welche soziale Situation steht dahinter?
- Das Bild dokumentiert soziale Not. Es ist aber auch eine Satire. Welche menschlichen Verhaltensweisen werden hier ironisch dargestellt?
Arbeitstext 5: Wohnen und Schlafen
»Das Zimmer von nur 15,2 Meter im Geviert enthielt ein Bett von gewöhnlichem Umfange, in welchem eine aus fünf Individuen (drei Erwachsenen und zwei kleinen Kindern) bestehende Famile gelagert war; die übrigen neun Personen beiderlei Geschlechts lagen jung und alt dicht nebeneinander schlafend unmittelbar auf dem harten, selbst nicht mit Stroh belegten Estrich. Alle ruhten hier in ihren meist zerlumpten Kleidern, ohne den Schutz einer noch so dürftigen Decke.
Dem Kopfe dieser erbarmungswürdigen Schläfer dienten einige Kleiderlappen, hier und da bei Kindern selbst der Körper des Nachbarn als Unterlage. In der Mitte war von den daselbst Gelagerten ein ganz schmaler, nur mühsam zu passierender Gang freigelassen, der zum zweiten verschlossenen Zimmer führte. Beim Eintritt in den soeben geschilderten Raum vernahmen wir ein Stöhnen in dieser Doppelreihe der Schlafenden, als ob jedem ein Alp auf der Brust läge. In der ganzen Stube war nicht ein Schrank oder ein sonstiger Behälter, in welchem man auch nur die kleinste Habseligkeit hätte aufbewahren können, auch nicht ein Glas mit Wasser zu einem Labetrunk, keine Vorrichtung zum Waschen und Kämmen in der Morgenstunde, kein Spiegelchen, kurz nichts, was zu den einfachsten Bedarfsgegenständen selbst des Ärmsten zählt. Auf dem nicht geheizten, aus unglasiertem Ton konstruierten Ofen stand eine vergitterte Laterne, deren Talgkerze aber der Hausordnung gemäß schon seit 10 Uhr gelöscht war. Auf dem Fußboden wimmelte es von allerlei Ungeziefer. (...)
Das Schrecklichste bot sich auf dem Dachbodenraum dar (...). Als ich fast betäubt von den fürchterlichen Sinnen- und Seeleneindrücken wieder ins Freie getreten war und unwillkürlich in die Worte: entsetzlich, entsetzlich! ausbrach, sagte mein Begleiter: Das war noch nicht das Ärgste, was hier zu sehen ist. Ich habe Entsetzlicheres gesehen; denn während einer meiner Untersuchungen betrat ich eine Arbeiterstube, in welcher inmitten von 15 Stubengenossen eine Wöchnerin, ein Typhuskranker und ein totes Kind vor mir lagen.« (Rühle, a. a. Q.,381-382)
Erschließungsfragen für Text und Bild:
- Unter welchen Bedingungen lebten Arbeiterinnen um die Jahr hundertwende?
- Vergleichen Sie die Schilderungen mit Arbeitstext 1. Welche Unter schiede fallen auf?
- Welche Folgen für die Gesundheit können solche Wohn- und Schlafverhältniss haben?
- Welche Einrichtungsgegenstände zeigt das Bild?
- Kann eine Frau unter solchen Bedingungen ein persönliches Leben führen?
- Warum schliefen so viele Menschen auf so engem Raum?
- Betrachten Sie das Bild unter dem Gesichtspunkt der Forderung nach Lebensqualität: Welche Bedürfnisse können hier gar nicht befriedigt werden?
Arbeitsmaterial 7: Aus der Wohnung gewiesen:
- Beschreiben Sie die Szene, die Sie sehen.
- Diese Frau hat ihre Miete nicht mehr zahlen können. Wie geht der Hauswirt vor?
- Warum heißt die Unterschrift »Die hilfreiche Regierung«?
- Stellen Sie Vermutungen darüber an, wo diese Frau nun wohnen könnte.
Arbeitstext 8: Die Veränderung der Arbeit der Frauen
»Früher charakterisierte sich die erwerbende oder wie wir zutreffender sagen sollten, die hervorbringende Tätigkeit der Ehefrau als unmittelbar oder mittelbar hauswirtschaftliche Arbeit, während heute die Erwerbsarbeit aus dem Hause hinausverlegt, der Produzent nicht mehr Besitzer und Verkäufer des Produkts, sondern lediglich Produktionswerkzeug, d. h. Lohnarbeiter ist. Das gilt für Hausindustrie und Heimarbeit ebenso wie für die Arbeit in der Fabrik, denn auch der Hausindustrielle ist in den allermeisten Fällen nur nomineller Eigentümer seines Produkts. Sonach früher: Produktive Arbeit im Haus, heute: Erwerbsarbeit, völlig losgelöst vom Haus und der Hauswirtschaft.
Damit ist die Frauenarbeit in eine neue Phase getreten. Sie ist nicht mehr individuell, nicht mehr zu beeinflussen von den Schwankungen des Temperaments und der jeweiligen Körperverfassung. Losgelöst von den Hemmungen sowohl wie von den Annehmlichkeiten des Hauses wird sie unpersönlich, zu einem Teil der Maschinerie, kurz zur reinen Lohnarbeit, die in bestimmter Zeit Bestimmtes leisten muß, gleichviel wie groß das Maß der dabei aufgewandten Nerven- und Muskelkraft, der dazu benötigten physischen und psychischen Werte ist. Mit der reinen Lohnarbeit beginnt eine trostlose Zeit für die weibliche Erwerbstätigkeit. Gleichwie Kohlen und Stahl verzehrt die Maschine ganze Geschlechter. Mann, Frau und Kinder zerrt sie in ihre zermalmende Umarmung.« (Henriette Fürth: Die Fabrikarbeit verheirateter Frauen, Frankfurt/Main 1902, 6-7)
Texterschließungsfragen:
- Wodurch unterscheidet sich die Fabrikarbeit von der häuslichen Tätigkeit der Frau?
- Welche Anforderungen stellt die Industriearbeit an die Frau?
- Warum wird der Lohnarbeiter hier »Produzent« genannt?
- Wodurch charakterisiert sich die Lohnarbeit?
- Welche Folgen hat die reine Lohnarbeit?
- Kann man nach diesem Text sagen, daß die Lohnarbeit die Frauen »befreit«?
Arbeitstext 9: Arbeitende Frauen
Die Schiefertafelmacherinnen.
»Der Transport der Rohtafeln geschieht in der Regel durch Frauen und Mädchen. .. Sie laden 1 1/2-2 Schock (1 Schock = 60 Stück) Tafelsteine in Körben von 50-60 kg und müssen damit öfters zweimal den Berg hinauf und zweimal hinunter keuchen. Sie dampfen im Winter wie ein röhrendämpfiges Pferd, man hört sie schon von weitem; sie sind in Schweiß gebadet und müssen sich in den Schnee setzen, um auszuruhen; davon zahllose Entzündungen der Lunge, die chronisch werden und mit Phthisis (Lungenschwindsucht) enden. Die Frauen laden alle so, daß die Last mehr nach vorn auf den Nacken zu liegen kommt. -Diese Art des Transportes ist eine unerschöpfliche Quelle von Brust- und Magenleiden.« (Jürgen Kuczynski: Die Geschichte der Arbeiter unter dem Kapitalismus, Band 18: Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart, Berlin 1963, 146)
Texterschließungsfragen:
- Vergleichen Sie diesen Text mit der Aussage: Frauen können keine schwere körperliche Arbeit verrichten, weil sie zu schwach sind!
- Wieviel Schiefertafeln wurden ungefähr bei jedem Transport von den Frauen getragen?
- Welche Folgen hatte diese schwere Arbeit?
- Stellen Sie Vermutungen an über die Ernährung dieser Frauen und vergleichen Sie damit Arbeitstext 2.
Arbeitsmaterial 10: Holz für den Küchenherd
Bilderschließungsfragen :
- Verrichtet diese Frau schwere oder leichte Arbeit?
- Wo hat sie Holz gesammelt?
- Warum kaufte sie keine Kohlen?
- Stellen Sie Vermutungen darüber an, was diese Frau noch zu tun hat, wenn sie nach Hause kommt.
Arbeitstext 11: Fabrikarbeit
Der folgende Bericht stammt von einer Sozialdemokratin, die über ihre Erfahrungen in der Fabrik schreibt. Vorher hatte sie Wäsche genäht, aber nicht genug dabei verdient:
»Etwas mehr verdienten wir wohl hier, zwei Taler in der Woche, dafür aber waren die Zustände in dieser Fabrik ganz furchtbar, und es hieß, wer ein paar Jahre dort arbeitet, hat die Schwindsucht. Unser Meister war gut, aber Macht hatte auch er nicht. Organisationen, die unser Interesse wahrnahmen, gab es nicht, ebenso wenig gab es eine Gewerbeaufsicht. So mußten wir diese Zustände eben hinnehmen.
Wir hatten von dicken Wolltupfen dünnere Stränge zu spinnen. Wenn nun die Wolle schleuderte und Schlingen warf, die wieder in Ordnung gebracht werden mußten, durfte nicht extra die Maschine angehalten werden, sondern wir mußten in das laufende Getriebe hineinfassen, in aller Geschwindigkeit die dicken Stellen herausnehmen, die Fäden wieder zusammenwirbeln und -knoten, damit sie durch die Öse gingen. Das gab zerschundene Hände und Kniee. Schlimm war hier so manches. Die Aborte lagen neben dem Arbeitssaal. Da noch alle Kanalisation fehlte, kam es nicht eben selten vor, daß sie überliefen und im Arbeitssaal eine kaum zu ertragende Luft verbreiteten. In dieser Luft mußten junge Menschen Tag für Tag arbeiten.
Dann mußte sehr oft nachts gearbeitet werden. Das geschah in der Weise, daß gewöhnlich die Nacht vom Freitag auf den Sonnabend eingelegt wurde. Der Sonnabend war dann aber nicht etwa frei, sondern mußte ebenso durchgearbeitet werden wie alle anderen Tage. Das heißt also, es waren drei Tagesschichten hintereinander, ohne nennenswerte Pausen dazwischen. In der Nacht gab es eine Tasse Kaffee, d. h. dicke Cichorienbrühe, die ich nicht herunterbringen konnte.« (Ottilie Baader: Ein steiniger Weg, Stuttgart 1921, 11)
Texterschließungsfragen:
- Wie waren zu jener Zeit die Arbeitsbedingungen in den Fabriken (berücksichtigen Sie Maschinenschutz, Hygiene, Pausen (Essen), Ventilation etc.)?
- Welche Krankheit wird in den Arbeitstexten immer wieder genannt, tritt also offenbar am häufigsten auf?
- Warum hielten die Arbeiterinnen die Maschinen nicht an, um die Fäden zu knüpfen?
- Warum ließen sich die Arbeiterinnen die geschilderten Fabrikzustände gefallen?
- Errechnen Sie die ungefähre Stundenzahl, die hintereinander gearbeitet werden mußte, wenn die Nachtschicht eingelegt wurde (der Sonnabend war ein voller Arbeitstag).
Bei der Diskussion der Unterrichtsmittel sind u. a. folgende Gesichtspunkte wichtig:
- Fabrikarbeit verheirateter Frauen war in den weitaus meisten Fällen ein Zwang, den die Not auf die Frauen ausübte. Der Lohn der Frauen wurde nicht nach Leistung berechnet, sondern als »Zuverdienst« zum Lohn des Mannes. Gegen diese ausbeuterische Praxis hatten die Frauen kaum eine Chance. Aufgrund ihrer Erziehung, ihrer Bedürfnislosigkeit und ihrer Unterwürfigkeit gegenüber jeder Autorität, aber auch wegen ihrer Vereinzelung und Unorganisiertheit waren sie fast hilflos.
- Die Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder waren katastrophal, weil die Männer sich normalerweise nicht um die Kinder und die Erziehung kümmerten, auch wenn sie zu Hause waren.
- Die Säuglingssterblichkeit war außerordentlich hoch.
- Die gesamte Lebenssituation der Proletarierin war eingeschränkt: sie hungerte, sie hatte keine Zeit für die Kinder und für sich selbst, sie konnte sich nur ganz selten ein neues Kleid oder neue Schuhe leisten, sie hatte fast nie eine Abwechslung.
- Prüfen Sie die zitierten Texte unter dem Gesichtspunkt, welche Aufgaben der Mann in der Familie übernahm.
Das Ausmaß des Elends der Frauen ist erschreckend. Zeichneten sich Möglichkeiten zur Veränderung ihrer Situation ab?
Möglichkeiten zur Veränderung der Lage der Frauen könnten sein:
- Verbot der Frauenarbeit
- staatliche Unterstützung armer Familien
- gewerkschaftliche Organisation und Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen
- Mitarbeit des Mannes im Haushalt und bei der Kindererziehung
- Entlastung der Frauen durch Kindergärten, Kinderhorte etc.
- Verbesserung der Schulbildung
- Wahlrecht für Frauen
- Arbeiterinnenschutzgesetzgebung
Intendierte Lernziele
- Kenntnis der sozialen Lage der Frauen in der Arbeiterklasse
- Kenntnis der eingeschränkten Lebenssituation der proletarischen Frau
- Kenntnis der Arbeitsbedingungen der Frauen
- Kenntnis des Tagesablaufs der Frauen
- Kenntnis des »Lebensstandards« der meisten Arbeiterfrauen.
- Erkenntnis, daß die soziale Lage der Arbeiterinnen nicht einheitlich war, sondern daß es in der Arbeiterklasse wirtschaftliche Differenzierungen gab.
- Kenntnis von der Schwere der Arbeit.
- Erkenntnis, daß es außerordentlich schwer für die Frauen war, sich individuell zu wehren.
- Erkenntnis, daß die Frauen arbeiten mußten, weil die Familie sonst noch mehr gehungert hätte.
- Erkenntnis, daß die Proletarierfrauen wenig Bedürfnisse hatten.
Zusammenfassung und Übergang zu Teil 2 der historischen Aufklärung
Die Erwerbsarbeit nahm die meiste Zeit der Arbeiterinnen in Anspruch. Für die Familie und den Haushalt blieb fast keine Zeit. Sie konnten sich selten satt essen, weil sie nicht genug verdienten und Einsparungen nur am Essen möglich waren. Sie ruinierten ihre Gesundheit in den Fabriken und in der Heimabeit an der Nähmaschine. Es wurde ihnen schwerste Arbeit zugemutet und selbst schwangere Frauen konnten sich nicht schonen. Die schlechten Arbeitsbedingungen bewirkten, daß die proletarischen Frauen fast alle krank waren, ohne daß sie sich je richtig erholen konnten.
Es wurden bereits Möglichkeiten zur Veränderung dieser Situation alternativ aufgezählt. In Teil 2 sollen einige davon auf ihre Realisierbarkeit hin geprüft werden.
Teil 2 der historischen Aufklärung: Frauen wehren sich:
Materialien zur Erarbeitung der Problemstellung Arbeitstext 12:
»Jede neue Erfindung, jede der Technik und Wissenschaft verdankte Verbesserung der industriellen Arbeitsweise erleichterte es, auch schwache Frauen zu beschäftigen, und machte andererseits menschliche Arbeitskraft überflüssig, schuf die industrielle Reservearmee der Arbeitslosen und drückte dadurch die Löhne stetig tiefer herunter. Der Lohn des Mannes reichte nicht mehr aus, den Unterhalt der Familie zu sichern, er deckte oft kaum den notwendigen Bedarf des ledigen Mannes. Der Unterhalt der Familie forderte sehr bald, daß der Erwerb der Frau zum Verdienst des Mannes ergänzend hinzutrat. Die Tätigkeit der Frau ward von einer ersparenden zu einer erwerbenden, die Frau selbst erhielt damit aber die Fähigkeit, auch ohne den Mann zu leben, sie gab der Frau zum ersten Male die Fähigkeit eines vollständig selbständigen Lebens. Die neuen Produktionsverhältnisse hatten also nicht bloß die wirtschaftliche Grundlage der bisherigen weiblichen Tätigkeit (in der Familie) zerstört, sie zersetzten zugleich damit auch die gesellschaftliche, die öffentliche Stellung, welche der Frau früher zukam, sie wälzten die alte, auf die Vorherrschaft des männ-lichen Oberhaupts begründete Familie um. Das vom häuslichen Herd umschlossene Wirken der Frau hatte bisher die Familie zusammen gehalten, die in die Fabrik verlegte Tätigkeit der Frau vernichtete das übliche Familienleben, legte aber auch den ersten Grundstein zu der ökonomischen Unabhängigkeit, damit überhaupt zu der Emanzipation des weiblichen Geschlechts.« (Clara Zetkin: Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart, Berlin 1889, 9)
Texterschließungsfragen:
- Wie hängen industrielle Produktionsweise und die außerhäusliche Erwerbsarbeit der Frauen zusammen?
- Welche Voraussetzungen müssen für die Berufstätigkeit der Frau gegeben sein?
- Welcher Faktor war entscheidend dafür, daß Frauen in die Fabriken gingen?
- Welche positiven Folgen sieht die Autorin in der Fabrikarbeit der Frauen?
- Vergleichen Sie diese Sichtweise mit den Informationen aus Teil 1. Ist eine Emanzipation der Frauen in der Gegenwart Clara Zetkins (1889) überhaupt möglich gewesen? Waren die Frauen ökonomisch unabhängig?
- Welche Auswirkungen auf die Familie, welche auf die gesellschaftliche Stellung der Frau sind in ihrer Berufstätigkeit enthalten?
- Welche Möglichkeiten erschließt die Berufstätigkeit der Frauen für ihre Emanzipation, wenn man die schlimmen Arbeitsbedingungen der damaligen Zeit ändert?
- Ist die Berufstätigkeit für die Emanzipation der Frauen tatsächlich notwendig?
Arbeitsmaterial 13: »Ein Weberaufstand«
Bildererschließungsfragen:
- Welche Menschen hat Käthe Kollwitz hier abgebildet?
- Wohin gehen sie? Stellen Sie Vermutungen über ihr Ziel an.
- Aus welcher sozialen Klasse kommen diese Menschen?
- Ist an der Haltung einzelner abzulesen, was sie bewegt?
- Welche Beweggründe könnte die Frau mit dem Kind haben, mitzugehen?
Arbeitstext 14: Organisierte Textilarbeiterinnen
»Nahezu eine halbe Million Frauen und Mädchen sind emsig jahrein, jahraus mit der Verarbeitung textiler Rohstoffe beschäftigt. Die vormals für den Selbstbedarf der Familie im Hause arbeitende Frau schafft heute in stauberfüllten Räumen der modernen Textilfabriken für den Bedarf des Weltmarktes. An sausenden und schnurrenden Maschinen läßt sie die weichen Fasern der Baumwollstaude, die Bastfaser des Flaches und die Faser der Schafwolle zusammendrehen zum Faden. Sie läßt an sausenden Webstühlen die Fäden sich verbinden zum feinsten Gewebe. An der Seite des Mannes steht sie an den gleichen Maschinen und fertigt die gleichen Produkte an. Neben der durchaus ungelernten Arbeiterin, deren Arbeit jede andere Person zu jeder Zeit ohne weiteres verrichten kann, steht die qualifizierte Arbeiterin, deren Tätigkeit lange Übung und besonderes Talent erfordert. (...)
Der Mangel in der Familie, das Bewußtsein, ohne Arbeit hungern zu müssen, treibt die Hunderttausende von Frauen und Mädchen zu dem endlosen Einerlei der Fabrikarbeit. Und diese große Mehrheit der Frauen und Mädchen findet nichts Widernatürliches im täglichen Mangel bei täglicher Arbeit. Gar viele glauben, der Zustand sei ein .gottgewollter'. Aber der Klassenkampf des Proletariats unserer Tage kann auch an ihnen nicht spurlos vorübergehen. Streiks und Lohnbewegungen, sozialistische Propaganda ziehen einen Teil dieser Proletarierinnen in den Strom der modernen Arbeiterbewegung. Sie organisieren sich. Nur schwer finden sie sich anfangs zurecht in dem neuen Milieu. Der Kampf, so meinen sie, ist nicht Sache der Frau. Die Frau und Mutter, die als Einzelperson den schweren Kampf ums Dasein so zähe führt, glaubt nicht teilnehmen zu dürfen an dem gleichen Kampfe, der in der Gesellschaft tobt. Nur einige heben sich als Erwachte heraus aus der Masse. Da gilt es, aus den Wenigen viel zu machen und die Schar der Organisierten zu vermehren. Ein Mittel hierzu ist die Vereinigung vieler organisierter Arbeiterinnen aus den verschiedensten Landesteilen zu Besprechungen über die Lage, die Arbeit, die Behandlung der Frauen und Mädchen und über vieles andere, wofür Frauen nur bei Frauen das nötige Verständnis finden können.
Diese Vereinigung der Textilarbeiterinnen hat stattgefunden. In zwölf Konferenzen in den verschiedensten Landesteilen Deutschlands waren etwa 500 Abgesandte der Arbeiterinnen der einzelnen Orte versammelt. Jede Konferenz war von zirka 50 weiblichen Delegierten besucht. Arbeiterinnen- und Mutterschutz sowie die gesellschaftliche Stellung der Frau wurde von je einem Referenten besprochen. (...)
Aufs neue wurde die alte Erfahrung bestätigt, daß wirklich lebhaftes Interesse der Frauen und Mädchen nur geweckt und intensive Mitarbeit derselben nur erreicht werden kann, wenn Arbeiterinnenfragen von Arbeiterinnen selbst in größerem, hauptsächlich aus Arbeiterinnen zusammengesetztem Kreise besprochen werden. In schneller Reihenfolge meldeteten sich die Arbeiterinnen in den vorgeschritteneren Bezirken zu Wort, und fließend und sicher sagten sie ihre Meinung; langsamer liefen die Meldungen ein in anderen Distrikten und schüchterner und unsicherer floß dort die Rede. Aber in allen Fällen war das Interesse der Teilnehmerinnen an den Verhandlungen, die etwa neun Stunden dauerten, bis zum Schlüsse äußerst rege. Da gab es kein Flüstern, kein Rutschen, kein Strecken und kein Dehnen, wie es sich oftmals bei Männerkonferenzen recht unliebsam bemerkbar macht. Ein großer Teil der weiblichen Delegierten hatte zum erstenmal Gelegenheit, an einer Konferenz teilzunehmen. Zum erstenmal hörten sie von Geschlechtsgenossinnen anderer Städte schildern, unter welchen Übeln die Arbeiterin leidet, und wie den Übeln zu begegnen sei. Als dann die gesellschaftliche Stellung der Frau in Vergangenheit und Gegenwart geschildert wurde, konnte es dem Beobachter nicht entgehen, daß einem großen Teil der Zuhörer sich eine neue Welt erschloß. Die kleine Konferenz kann tiefer pflügen als die große Versammlung, und die ausgeworfene Saat wird reiche Frucht tragen. Die Konferenzen werden wiederholt, die gleichen Personen sollen, soweit möglich, daran teilnehmen, und so wird (...) ein Stamm tätiger Genossinnen erstehen.. .«(Die Gleichheit Nr. 17 vom 23.5.1910)
Texterschließungsfragen:
- Wie beurteilen die Arbeiterinnen selbst ihre Fabrikarbeit?
- Welche Einstellung von Arbeiterinnen gegenüber gewerkschaftlicher Organisation wird hier geschildert?
- Wie sehen die Arbeiterinnen die Rolle der Frau in den Kämpfen um bessere Lebensbedingungen, die die Arbeiterklasse führt?
- Ist die Meinung der Frauen veränderbar?
- Sind Frauen bereit, sich zusammenzuschließen?
- Welche Möglichkeiten der Organisation zeigt der Text auf?
- Wie verhalten sich die Frauen auf den geschilderten Konferenzen? Welche Verhaltensweisen werden besonders hervorgehoben? Stellen Sie Vermutungen darüber an, warum dies Verhalten so besonders betont wird.
Arbeitstext 15: Das Ende eines Streiks
Ein Streik der Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter in Crimmitschau in Sachsen im Winter 1903/04, der zum Ziel hatte, den Zehnstundentag für die Textilindustrie im Bezirk Crimmitschau durchzusetzen, wurde von den Gewerkschaftsführern abgebrochen, als die Streikgelder ausgingen und Spenden anderer Einzelgewerkschaften ausblieben. Über die Haltung der Frauen bei dieser Niederlage berichtet nachstehender Artikel:
»Wie in der Zeit des Kampfes, so haben sich die Crimmitschauer Arbeiterinnen auch in dem schweren Augenblick voll bewährt, in welchem zur bedingungslosen Wiederaufnahme der Arbeit aufgerufen wurde. Als das betreffende Flugblatt gelesen worden war, von vielen mit feuchten Augen, kam es auf dem Streikbüro zu ergreifenden Szenen. Alte Männer weinten bitterlich, junge klagten : ,Ach, nun werden wir keine Arbeit bekommen, was soll aus unserer Familie werden?'
Aber der Kleinmut ging schnell vorüber, als die Frauen auf der Bildfläche erschienen. Sie waren voll Zuversicht und Stolz und kräftigten durch ihren Zuspruch zagende und klagende Männer. ,Was, Vater, du willst den Kopf hängen lassen?' hieß es da. ,Freuen sollst du dich, weil du kein Streikbrecher geworden bist.' ,Nur ruhig, Mann', klang es an anderer Stelle, ,wir wandern aus, es gibt noch Orte, wo in unserer Branche, noch fleißige und geschickte Leute gebraucht werden.' Als es am nächsten Tag in die Kontors zur Nachfrage nach Arbeit
ging, zeichneten sich die Frauen durch ihre gefaßte, würdige Haltung aus. Das war kein demütiges Bitten und Betteln ihrerseits, sondern eine einfache Meldung zur Wiederaufnahme der alten Beschäftigung. Und kein Weinen und Lamentieren antwortete, wenn erklärt wurde: ,Ihre Stelle ist besetzt', oder ,Für Sie habe ich keine Arbeit'. (...)
Unsere Frauen und Mädchen sind stolz darauf, daß sich aus ihren Reihen weniger Arbeitswillige (während des Streiks als Streikbrecher - B.G.) gefunden haben als unter den Männern.« (Die Gleichheit Nr. 4 vom 10.2.1904)
Texterschließungsfragen:
- Wer hat diesen Streik gewonnen - die Unternehmer oder die Arbeiterinnen und Arbeiter?
- Worum ging es bei diesem Streik?
- Was bedeutet: »bedingungslose Wiederaufnahme der Arbeit«?
- Welche Befürchtungen hegten die Männer, als der Streik ohne Erfolg abgebrochen wurde?
- Welche Machtmittel hatten die Unternehmer in der Hand, um nach Abbruch des Streiks die Arbeiterinnen und Arbeiter zu verunsichern?
- Welche Haltung zeichnete die Frauen aus?
- Wo hat es die meisten Streikbrecher gegeben - bei den Männern oder bei den Frauen?
Arbeitstext 16: Gleichberechtigung oder Emanzipation?
Zwei Definitionen:
- Emanzipation: Der Begriff »Emanzipation« entwickelt sich »als bürgerliche oder politische Gleichstellung aller derer, die in einem (...) Abhängigkeitsverhältnis zu andern standen oder stehen, dessen fortwährende Dauer nicht in der Natur der Sache oder Vernunft selbst begründet ist (...). In dem gedachten politischen Sinne wird namentlich dieser Begriff genommen, wenn man von der Emanzipation ganzer Volksklassen (...) redet, z.B. Emanzipation der Bauern, Bürger, Weiber, Juden, Katholiken u.s.w.« (Aus einem Lexikonartikel des Jahres 1840, zit. nach: Martin Greiffenhagen (Hrsg.), Emanzipation, Hamburg 1973,51)
- Gleichberechtigung: Gleichberechtigung von Mann und Frau; der Grundsatz, daß Mann und Frau auf allen Lebensgebieten unter Beachtung der natürlichen Unterschiede gleiche Rechte und Pflichten haben sollen. In der Bundesrepublik Deutschland seit dem 1.4.1953 geltendes Recht, (aus dem Kleinen Brockhaus von 1955)
Texterschließungsfragen:
- Vergleichen Sie beide Definitionen. Welche Unterschiede fallen auf?
- Was ist wesentlich beim Begriff »Emanzipation«?
- Worauf beschränkt sich der Begriff »Gleichberechtigung« ?
- Von welchem Abhängigkeitsverhältnis kann man sich emanzipieren?
- Ist Emanzipation nach dieser Definition ein einmaliger Akt oder ein Prozeß?
- Stellen Sie Vermutungen darüber an, auf welchen Lebensgebieten von Mann und Frau der Gleichberechtigungsgrundsatz gilt.
- Können Sie Gebiete nennen, auf denen er nicht gilt?
Arbeitstext 17:
Der Kampf um das Frauenwahlrecht
»Wir Sozialisten fordern das Frauenwahlrecht nicht als ein Naturrecht, das mit der Frau geboren wird. Wir fordern es als ein soziales Recht, das begründet ist in der revolutionierten wirtschaftlichen Tätigkeit, in dem revolutionierten gesellschaftlichen Sein und persönlichen Bewußtsein der Frau. Die bedarfswirtschaftende Hausfrau der guten alten Zeit ist durch die kapitalistische Produktion in das Altenstübchen verwiesen worden. Die berufstätige Frau, die mitten im Wirtschaftsleben und Schaffen der Gesellschaft steht, ist an ihrer Stelle der Typus geworden, welcher die sozial wichtigste Form der weiblichen wirtschaftlichen Tätigkeit repräsentiert. (...)
Wie der Mann, unter den gleichen Bedingungen wie er - oft unter noch härteren -, muß sie den Kampf aufnehmen mit dem feindlichen Leben, mag ihn äußere oder innere Lebensnot ihr aufdrängen. In diesem Kampfe bedarf sie voller politischer Rechte wie der Mann, denn solche Rechte sind Waffen, mittels deren sie ihre Interessen verteidigen kann und verteidigen muß. Mit ihrem sozialen Sein zusammen wird auch ihre Empfindungs- und Gedankenwelt revolutioniert. Als schreiende Ungerechtigkeit empfindet sie die politische Rechtlosigkeit, die das weibliche Geschlecht lange Jahrhunderte als selbstverständlich getragen. Im langsamen, schmerzensreichen Entwicklungsgange steigt die Frau aus der Enge des alten Familienlebens empor zum Forum des öffentlichen Lebens. Sie fordert ihre volle politische Gleichberechtigung - wie sie im Wahlrecht zum Ausdruck kommt - als soziale Lebensnotwendigkeit und als soziale Mündigkeitserklärung. Das Wahlrecht ist das notwendige politische Korrelat der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Frau.« (Zum Wahlrechtskampf vor dem 1. Weltkrieg siehe auch die Reproduktion des Plakats »Heraus mit dem Frauen-Wahlrecht«, 1914, erhältlich bei: Neuer Vorwärts Verlag, Godesberger Allee 108, 53 Bonn 2)
(Clara Zetkin: Rede zum Frauenwahlrecht auf dem Internationalen Sozialistenkongreß zu Stuttgart 1907, zit. nach: dies., Ausgewählte Reden und Schriften, Berlin (DDR) 1957, 345)
Texterschließungsfragen:
- Das Frauen Wahlrecht wurde in Deutschland 1918 eingeführt. Die Sozialdemokratische Partei und die Frauen hatten es schon lange vorher gefordert. Welche Gründe werden hier angegeben, die das Wahlrecht der Frauen motivieren?
- Wozu braucht die Frau politische Rechte?
- Wie hat sich das persönliche und gesellschaftliche Leben der Frauen verändert?
- Warum nehmen die Frauen ihre politische Rechtlosigkeit nicht mehr hin?
- Welcher Zusammenhang besteht zwischen Frauenwahlrecht und der wirtschaftlichen Selbständigkeit der Frauen?
- Vergleichen Sie diesen Text mit den beiden Definitionen aus Arbeitstext 16. Was wird in Clara Zetkins Rede gefordert: Gleichberechtigung oder Emanzipation?
Arbeit st ext 18: Frauen nutzen ihre wenigen politischen Rechte
An den Wahlkämpfen der Sozialdemokratischen Partei waren immer auch die Frauen beteiligt, obwohl sie selbst nicht wählen durften. So arbeiteten sie für die Wahlen zum Reichstag für die SPD, traten als Rednerinnen auf, organisierten Veranstaltungen und holten am Wahltag unentschlossene Männer an die Wahlurnen. Das Wahlergebnis im Jahre 1912 war ein großer Erfolg für die Partei: 1/3 aller Wahlberechtigten hatten die SPD gewählt (34,8 °/o aller Stimmen). Im Reichstag verfügte sie nun über 110 Sitze. Das Ergebnis dieser Wahl war auch ein Erfolg der Frauen:
»Bei keiner Wahl zuvor haben sich die Frauen so zahlreich und in so vorzüglicher Weise am Wahlkampf beteiligt wie diesmal. Sie können deshalb mit frohem Stolze und in vollster Berechtigung sagen, daß sie Wesentliches zu dem glänzenden Wahlsieg beigetragen haben, daß in diesem Siege auch ihre Arbeit, ihr Mühen mit verkörpert ist.
Das gilt von den zahlreichen Genossinnen, die rednerisch tätig waren, das gilt nicht weniger von den Tausenden und Zehntausenden Frauen, die freudig all die Unannehmlichkeiten und Mühen der technischen Wahlarbeiten auf sich genommen haben. Alle unsere rednerisch befähigten Genossinnen sind diesmal außerordentlich stark angespannt worden. Die Wünsche nach Entsendung von weiblichen Rednern, die an das Frauenbüro gelangten, waren sehr zahlreich, und das Frauenbüro war außerdem eifrig bemüht, Agitationstouren anzuregen, bei denen Genossinnen referierten und die nicht der speziellen Frauen-, sondern der Wahlagitation dienten.«
»Wie in keinem Wahlkampf zuvor ist (...) die Anteilnahme der Frauen bei der letzten Wahlbewegung zu konstatieren. Dadurch wurde der Reichstagswahlkampf in vielfacher Beziehung gleichzeitig zu einer wirksamen Demonstration für das Frauenwahlrecht. Einmal, weil durch ihre tätige Anteilnahme am politischen Kampfe weite Frauenkreise den politischen Befähigungsnachweis erbrachten ; ferner, weil in all den hundert und aber hundert Versammlungen, in denen die Frauen zur Mitarbeit aufgerufen und ihr Interesse an der Gestaltung des politischen Geschehens nachgewiesen wurde, auch die Forderung der politischen Gleichberechtigung der Frau eine starke Betonung erfuhr; außerdem sind durch den Wahlkampf große Schichten indifferenter Frauen aufgerüttelt, zum politischen Leben erweckt und damit in die Reihen der Wahlrechtskämpferinnen aufgerückt. Und schließlich bedeutet die durch den Wahlkampf erfolgte Stärkung der Partei einen wesentlichen Schritt vorwärts auf dem Wege zur Eroberung des demokratischen Frauenwahlrechts. Die Fraktion (der SPD -B.G.) hat denn auch sofort nach Eröffnung des Reichstags neben den übrigen Anträgen für Demokratisierung unseres Staatslebens einen Antrag für Einführung des Frauenwahlrechts eingebracht.« (Die Gleichheit Nr. 10 vom 5.2.1912, und Die Gleichheit Nr. 4 vom 13.11.1912)
Texterschließungsfragen :
- Welche Aufgaben haben die Frauen im Wahlkampf übernommen?
- Welche Erfolge verspricht sich die »Gleichheit« vom Wahlkampf für das Frauenwahlrecht?
- Obwohl die Frauen selbst nicht wählen durften, halfen sie unermüdlich im Wahlkampf. Für wen haben sie geworben?
- Frauen bewiesen ihre politischen Fähigkeiten bei dieser Wahl kampfarbeit. Mußten auch die Männer einen »politischen Befähi gungsnachweis« erbringen?
- Welche Schritte unternahm die Fraktion der SPD im Reichstag zur Anerkennung des Frauenwahlrechts?
Arbeitstext 19: Einiges zum Begriff »Emanzipation«
»Fremdbestimmung wird nicht als solche bedrückend empfunden, Selbstbestimmung nicht als solche beglückend erlebt, Befreiung deshalb nicht beliebig angestrebt; entscheidend ist vielmehr, wieweit gegebene soziale Abhängigkeiten die Befriedigung unserer Bedürfnisse (einschließlich der zugehörigen Betätigung unserer Fähigkeiten) erleichtern oder erschweren. Ohne die Kategorie der Bedürfnisse ist der Begriff der Emanzipation nahezu leer. Nun ist der Begriff der Bedürfnisse aber selbst alles andere als präzise, liegen menschliche Bedürfnisse nur in groben Umrissen unveränderlich fest: Essen und Trinken, Kleidung und Wohnen sind zur Selbsterhaltung, Sexualität ist zumindest zur Arterhaltung unumgänglich, und destruktiv-aggressive Tendenzen sind wenigstens so weit vorhanden, wie die vorgenannten Bedürfnisse zu kurz kommen; was wir zu uns nehmen, wie wir uns kleiden und wie wir wohnen möchten, welche Formen der sexuellen Befriedigung ersehnt und der Aggressionsabfuhr gesucht werden - all das jedoch ist historisch und biographisch hochgradig variabel. Variabel, aber nicht willkürlich verfügbar: Was wir uns wünschen können, hängt unter anderem davon ab, wieweit uns zugestanden wird, uns unserer Wünsche bewußt zu werden. Bewußt werden Wünsche auf dem Wege ihrer sprachlichen Formulierung, diese muß also erlaubt sein. Das Maß der jeweils möglichen Bedürfnisbefriedigung ist also gebunden an die Chancen freier Bedürfnisartikulation. Wir können jetzt unseren Emanzipationsbegriff schon ein wenig präzisieren: Emanzipation meint Verringerung von Beschränkungen für die Artikulation und Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Welche Gegebenheiten beschränken unsere Bedürfnisbefriedigung und Bedürfnisartikulation? Die historischen Emanzipationsbewegungen waren, (...), besonders gegen einseitige soziale Abhängigkeiten gerichtet, gegen Sklaverei, Knechtschaft, Diskriminierung. Insofern sind alle Emanzipationstendenzen egalitär. Sie zielen auf die Gleichheit der Rechte und Pflichten aller Gesellschaftsmitglieder. Weil die Ungleichheit ungleicher und die Gleichheit gleicher Rechte konkret nur so weit bestimmt werden kann, wie die Bedürfnisse der miteinander verglichenen Personen und Gruppen bekannt sind, gehört die Kontrolle der öffentlichen Meinung ebenso zu den Praktiken der Privilegierten wie das Postulat der Meinungsfreiheit zu den Forderungen ihrer Kontrahenten (Wolfgang Lempert: Zum Begriff der Emanzipation, in: Greiffenhagen (Hrsg.), Emanzipation, a.a.O., 218-19)
Texterschließungsfragen:
- Klären Sie die Bedeutung der Begriffe »Fremdbestimmung«, »Selbstbestimmung«, »Befreiung«, »Bedürfnis«, »Bedürfnisartikula tion«.
- Wodurch kann die Befriedigung unserer Bedürfnisse eingeschränkt werden?
- Was gehört zur Bedürfnisbefriedigung?
- Was kann die Folge sein, wenn Bedürfnisse zu kurz kommen?
- Warum müssen Wünsche sprachlich ausgedrückt werden können?
- Welche Beschränkungen müssen aufgehoben werden, um Emanzipation überhaupt möglich zu machen?
- Wogegen richteten sich die historischen Emanzipationsbewegungen?
- Welches Ziel haben Emanzipationstendenzen?
Mögliches verallgemeinerungsfähiges historisch-politisches Lernziel
Emanzipation von Teilgruppen der Gesellschaft basiert auf Veränderungen im wirtschaftlichen und politisch-gesellschaftlichen Sektor, durch Betroffenheit im sozialen Bereich und aufgrund von Aufklärung durch Diskussion, Kommunikation und Handlungsmotivation innerhalb der Gruppen.
3. Unterrichtsschritt: Hypothesenüberprüfung
Eine Wiederaufnahme der Hypothesendiskussion führt zu Aussagen über Verhalten und Emanzipationsgrad der Arbeiterinnen im Kaiserreich. Diese Aussagen sind erweiterungsfähig im Hinblick auf das Verhalten und die Rollenerwartungen der Frauen heute:
- Die Arbeiterinnen zwischen 1870 und 1914 haben gelernt, wie sie sich gegen die Übermacht der Unternehmer wehren konnten.
- Die Arbeiterinnen haben gewerkschaftliche Organisationsformen und Kampfformen benutzt, um für ihre Rechte einzutreten.
- Die Arbeiterinnen haben erkannt, daß ihre schlechte soziale Situation überwindbar war.
- Die Arbeiterinnen haben erkannt, daß ihre persönliche Situation gleichzeitig eine gesellschaftlich bedingt Lage war.
- Mit der Berufstätigkeit der Frau ist ein großer Schritt auf ihre Befreiung aus persönlichen Abhängigkeiten getan.
- Die Berufstätigkeit der Frau bedeutet noch nicht ihre endgültige Emanzipation.
- Die Doppelbelastung der Frau durch Beruf und Haushalt/Ehe/Kindererziehung ist durch eine Überprüfung der traditionellen Rollen Mann/Frau zu reduzieren.
- Gängige Stereotypen wie »eine schwache Frau« - »ein starker Mann« oder »die Frau gehört ins Haus« o. ä. haben sich seit der Durchsetzung der Berufstätigkeit der Frauen als falsch erwiesen.
- Erst die industrielle Arbeitswelt ermöglichte eine Berufstätigkeit für die große Masse der Frauen.
- Nach wie vor entspricht der Lohn der Frau nicht dem Lohn des Mannes; hier ist der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes nicht erfüllt.
- Wenn Frauen sich aus alten Verhaltensweisen lösen können, dann kann man dies auch von Männern erwarten. Männer können genausogut wie Frauen Kinder pflegen und großziehen.
Vorschläge zur Erschließung der Handlungsrelevanz
Nach wie vor stehen Frauen vor dem Problem der Doppelbelastung. Und auch heute noch leiden die Beziehungen zwischen Mann und Frau unter der Rollenfixierung. Auch heute noch sind viele Frauen nicht bereit, sich gewerkschaftlich zu organisieren; ein Grund liegt darin, daß die Gewerkschaften sich kaum die Mühe machen, um die Frauen zu werben.
- Die Infragestellung männlichen Rollenverhaltens hat bereits im Unterricht seinen Platz.
- Das Desinteresse der Mädchen an Organisationsformen zur eigenen Interessenvertretung ist ein Teil ihres Rollenverhaltens und muß genauso in Frage gestellt werden.
- Das bedeutet nicht, Jungen und Mädchen gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr müssen ihre gemeinsamen Interessen deutlich werden.
- Die Emanzipation der Frau muß zum gemeinsamen Interesse von Männern und Frauen werden, weil erst durch gegenseitiges Verstehen solidarisches Handeln entstehen kann.
- Das Interesse der Jungen an der Kindererziehung und -pflege kann genauso geweckt werden wie das Interesse der Mädchen an naturwissenschaftlich-technischen Vorgängen.
- Das Erlernen eines Berufes durch die Mädchen sollte als selbstverständliches Ziel erscheinen, auch wenn dem das Desinteresse eines großen Teils der Mädchen entgegensteht.
- Emanzipation kann nur durch emanzipatives, partnerschaftliches und demokratisches Verhalten aller Beteiligten erreicht werden.