»Wissen heißt leben ...«
Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert
»Das eine sein und das andere auch sein eine paradoxe Konstruktion«. Schon die Titel einiger Beiträge zu diesem Band zeigen auf, daß wir uns dem Thema »weibliche Bildung« nicht nur beschreibend nähern konnten und wollten, sondern daß vielen von uns sich bei der Behandlung der unterschiedlichsten Quellen und Gegenstände, die sich mit Theorie, Lebenswelt, Bildungseinrichtungen und Produktion über und von Frauen befaßten, bereits eine theoretische Vorstellung von Widersprüchlichkeit aufdrängte. Einige Beiträge haben diese Widersprüchlichkeit explizit zu ihrem Thema gemacht, andere entwickeln sie mehr implizit anhand eines spezifischen Bereiches oder einer spezifischen Entwicklung innerhalb eines Bereiches. Wir wollen in dieser Einleitung versuchen, dem Anlaß der Veröffentlichung gerecht zu werden: Die Beiträge sind alle entstanden für eine Tagung, die unter dem Titel »Von der Polarisierung der Geschlechtscharaktere bis zur formalen Gleichstellung der Frau Weibliche Bildung vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1920« im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld (ZiF) stattgefunden hat. Die Initiative zu dieser Tagung ging aus von Frauen, die als Erziehungswissenschaftlerinnen an der Gründung der Interdisziplinären Forschungsgruppe Frauenforschung der Universität Bielefeld (IFF) beteiligt waren und die mit dieser Tagung eine Art Bestandsaufnahme und die Projektierung des historischen Aspektes einer der drei Forschungsschwerpunkte der IFF, "Weibliche Bildung" geplant hatten. Als wir die Tagung planten, hatten wir keine sehr präzise Vorstellung davon, wie es zu einer gemeinsamen theoretischen Anstrengung bei diesem Treffen kommen könnte, formulierten wir doch noch sehr vage in dem Antrag an das ZiF ebenso wie in dem Brief an die Frauenforscherinnen, von denen wir wußten oder annahmen, daß sie zum Thema beitragen könnten:
»Bereits vorhandene Ansätze, die zu einer Neuformulierung einer solchen Theorie (der weiblichen Bildungsgeschichte) jenseits bekannter Defizit- oder Ergänzungstheorien führen, sollen zusammengetragen und gegebenenfalls konkurrierend diskutiert werden.«
Auch bei der Durchsicht der eingegangenen Beiträge zeichnete sich uns noch kein klares Bild von dem ab, was man so schön die "Forschungslage" nennt. Thematisch weit auseinanderliegende Aufsätze, die sich auf den unterschiedlichsten Ebenen der Analyse bewegten, schienen uns allenfalls zuzulassen, eine nicht gerade befriedigende Ordnung nach Themengruppen vorzunehmen. Als non plus ultra der theoretischen Durchdringung stand für uns KARIN HAUSENs These von der "Polarisierung der Geschlechtscharaktere", nicht zufällig machte der Titel der Tagung hier eine Anleihe.
KARIN HAUSENs These ist für die meisten von uns wahrscheinlich zentral bei der Annäherung an die Gegenstände der "Frauengeschichte" gewesen. Sie bezeichnet nach wie vor eine Ebene der Theoriebildung, die unaufgebbar ist: in ihr ist der Diskurs der Männer zum Thema "Geschlechterverhältnis" auf der Basis der sozialgeschichtlichen Veränderungsprozesse an der entscheidenden Nahtstelle der neuzeitlichen Geschichte von Patriarchat und Kapitalismus rekonstruiert. Es kann also nur darum gehen, zu sehen, was wir dieser These hinzuzufügen haben. Die Tagung, für die die in diesem Buch abgedruckten Beiträge geschrieben waren, hat für die Teilnehmerinnen und hoffentlich auch für die Leserinnen und Leser dieser Beiträge neue Gesichtspunkte und weiterführende theoretische Aspekte zur Analyse von Frauengeschichte hinzugefügt. Die allgemeinste und zugleich konkreteste Ebene unserer Diskussionen soll deshalb hier von uns einleitend zur Sprache kommen. Wir hoffen, daß wir die Diskussionen angemessen, präzise und verständlich wiedergeben und somit Leser/n/innen eine Orientierungshilfe durch die Vielfalt der Beiträge geben, die die rein deskriptive Ebene verläßt und den "roten Faden", der sie durchzieht, aufzeigt.
Geht man davon aus, daß die These von der "Polarisierung der Geschlechtscharaktere" Ausgangspunkt vieler der Arbeiten gewesen sein mag, so ist zunächst auffällig, daß in einem großen Teil der Beiträge der Versuch gemacht wird, eine Annäherung an den Gegenstand über Quellen, Dokumente, künstlerische Produktion, Trivialliteratur und Theorien vorzunehmen, deren Urheberinnen Frauen selbst waren. Damit hat sich die Ausgangslage verschoben: wir versuchen stärker von den Betroffenen aus zu sehen. Nun ist dies Vorgehen in der neueren Sozialgeschichte auch nicht gerade revolutionär. Insofern bewegten die meisten der Beiträge sich ganz im Rahmen der fortgeschritteneren Methodendiskussion einer sozialwissenschaftlich orientierten Geschichts- und Literaturgeschichtsforschung. Bedeutungsvoll und weiterführend für die allgemeine Diskussion ist u. E. jedoch, daß diese Veränderung der Blickrichtung nicht blind in die andere Richtung gemacht hat, die Blickrichtung auf die objektiven Rahmenbedingungen der männlich geprägten Lebens-und Weltauffassung beibehält. Das bedeutet für die theoretische Durchdringung des Stoffes, daß die Beziehung dieser beiden Blickrichtungen zum Thema unserer Diskussion gemacht werden konnte. Es wird nicht heroische Geschichte nun als "Frauengeschichte" geschrieben, und es werden nicht in hagiographischer Manier angebliche Vorkämpferinnen einer besseren Frauenwelt dargestellt, sondern das Interesse ist auf die Widersprüchlichkeit von Frauenleben, Frauenbildung und Frauenkunst im -Untersuchungszeitraum gerichtet. SIGRID WEIGEL hat an anderer Stelle über den Erkenntniswert solchen Bemühens für die Literaturgeschichte gesagt:
"Die sooft beschworene Parteilichkeit feministischer Literaturhistorie darf aber nicht die Form von Aschenputtels (...) Sortierarbeit annehmen: die guten ins (Frauenbewegungs)töpfchen, die schlechten werden den Netzen männlicher Geschichtsschreibung überlassen; produktiv wird diese Parteilichkeit vielmehr, wenn die Texte und Lebensgeschichten historischer Frauen - ihre Widersprüchlichkeiten, Probleme, ihre Fehler und auch ihr Scheitern eingeschlossen - als Lernmaterial für Frauen gelesen und untersucht werden." (Weigel 1983, 84)
Diese Aussage erwies sich als übertragbar auf andere Bereiche von Frauengeschichte und hat Auswirkungen selbst in der Anwendung auf die Theoriebildung von Männern zum Geschlechterverhältnis.
Wir sprechen wohl für alle Teilnehmerinnen an dieser Zusammenkunft, wenn wir auch an dieser Stelle nochmal unserem fast schon beglückten Erstaunen Ausdruck verleihen, daß es möglich war, trotz aller Zersplitterung der Disziplinen, (die zwar nicht unsere Schuld ist, der wir aber natürlich auch als Wissenschaftlerinnen. ausgeliefert sind), trotz aller Dogmatismen in den Einzelwissenschaften, aus denen die Teilnehmerinnen kamen (auch hier sind wir nicht unbedingt urheberlich tätig, aber doch wohl kräftig auch mit am Werke) und gerade in einer sich parteilich verstehenden Wissenschaft wie der Frauenforschung, in dieser Weise zusammenzukommen, zu diskutieren und feststellen zu können: wir haben ein gemeinsames Interesse, wir haben unabhängig voneinander ähnliche Wege gefunden, dieses Interesse wissenschaftlich umzusetzen und wir kommen gemeinsam ein Stück weiter in unserer Erkenntnis.
Nun zu den einzelnen Beiträgen: Im ersten Themenkomplex "Die bürgerliche Frau - eine unmögliche Konstruktion?" sind in erster Linie Beiträge zusammengefaßt, die sich mit der ideologischen Entwicklung und der gesellschaftlichen Durchsetzung des bürgerlichen Modells der Geschlechterpolarität auseinandersetzen.
Der Aufsatz von Annette Kuhn. "Das Geschlecht - eine historische Kategorie?", der hier an erster Stelle aufgeführt ist, wurde auf der Tagung als Abschlußvortrag gehalten. Da eigentlich erst im Anschluß an diesen Vortrag die verschiedenen Diskussionsstränge zusammenliefen und die Verbindungslinien zu den einzelnen Themengebieten und den verschiedenartigen Zugängen zu ihnen deutlich sichtbar wurden, haben wir uns entschlossen, den Beitrag von ANNETTE KUHN in seiner Funktion als Leitfaden und Orientierungshilfe für die Leserin/der Leser den anderen Beiträgen voranzuschicken.
In der herrschenden patriarchalischen Geschichtsforschung wird bis heute, selbst von namhaften Sozialhistorikern die Auffassung vertreten, der Begriff des Geschlechts sei, im Gegensatz zum Klassenbegriff, kein historisch entstandener Begriff, sondern vielmehr eine Naturkonstante und als solche ohne jede historische Relevanz. ANNETTE KUHN versucht demgegenüber in ihrem Beitrag "Das Geschlecht - eine historische Kategorie?", Geschlecht als einen Begriff zu fassen, der sich erst in einem ganz bestimmten historischen Zusammenhang entwickelt hat. Aus dieser Auffassung folgt, daß die an das Geschlecht gebundenen sozialen Zuschreibungen nicht zeitlos gültig, natürlich und somit unwandelbar sind. Als Produkt der bürgerlich-patriarchalischen Gesellschaft ist der weibliche Geschlechtscharakter vielmehr der gesellschaftlichen Veränderung zugänglich. Die historische und soziale Bedingtheit von Weiblichkeit wird am Beispiel der Andersartigkeit und der Widersprüchlichkeit weiblicher Lebenszusammenhänge deutlich sichtbar.
LIESELOTTE STEINBRÜGGE geht in ihrem Beitrag "Die Aufteilung des Menschen. Zur anthropologischen Bestimmung der Frau in Diderots Encyclopédie" der Frage nach, welcher Stellenwert der Frau in der enzyklopädischen Wissenskatalogisierung und -systematisierung zukommt. DIDEROT entwickelt den Prototyp des bürgerlichen Menschen in Abgrenzung zum aristokratischen Menschenideal des Feudalismus. Diese Art der Ableitung erfolgt sowohl für den Mann als auch für die Frau, ist zunächst also unabhängig vom Geschlecht. Während jedoch der Formulierung des bürgerlichen Menschenbildes beim Mann die positive Neubewertung von Arbeit zugrunde liegt, wird der Bereich der Frauenarbeit in Handwerk, Landwirtschaft und Wissenschaft vollständig unterschlagen und ersetzt durch eine spezifische Komponente der weiblichen Natur: durch die Gebärfähigkeit. Die Festlegung der Frau auf ihre biologischen Funktionen, die zunächst aus rein bevölkerungspolitischem Interesse erfolgte, zog in der Folge, mit der Durchsetzung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, den fast völligen Ausschluß der Frauen von allen Bereichen des öffentlichen Lebens nach sich. Die Gründe dafür liegen in den Erfordernissen kapitalistischer Produktionsverhältnisse, in denen die Familie als angeblich privater Ort der individuellen Reproduktion fungiert.
CHRISTINE GARBEs Aufsatz über "Sophie oder die heimliche Macht der Frauen. Zur Konzeption des Weiblichen bei Jean-Jacques Rousseau" steht ganz im Zeichen der Präzisierung bereits formulierter Thesen zum Konstrukt von Weiblichkeit bei ROUSSEAU. CHRISTINE GARBE geht aus von einer Kritik der in der "Neuen" Frauenbewegung gängigen ROUSSEAU-Interpretation, die sein Konzept von Weiblichkeit als bloße Negation von Männlichkeit versteht. Garbes Auffassung zufolge läßt sich jedoch das Rousseausche, auf Ergänzung der Geschlechter angelegte Konstrukt von Weiblichkeit, das eng mit dem Begriff der Schamhaftigkeit verknüpft ist, interpretieren als ein Versuch, Weiblichkeit gerade nicht als Negativum, sondern als eine zweite Positivität neben der Positivität von Männlichkeit zu begreifen.
Diese gewagte Konstruktion bringt für Rousseau methodisch einige Probleme mit sich, die er zu umgehen versucht, indem er zwei Logiken bzw. zwei qualitativ verschiedene Handlungsstrategien konstruiert. Das Problem der Geschlechtsdifferenz erscheint bei Rousseau demnach als ein Problem unterschiedlicher Aktionsformen: der Mann handelt direkt, die Frau auf dem Umweg der List, der Verführung, der Koketterie. Handeln beide Geschlechter nach der ihnen zugewiesenen Maxime, so bleibt die Welt in Ordnung. Die ganze Absurdität dieser Konstruktion wird deutlich am Beispiel des Willens, den Rousseau beiden Geschlechtern zugesteht. Zur Durchsetzung ihres Willens müssen Mann und Frau einen unterschiedlichen Weg nehmen: er befiehlt und sie läßt sich befehlen, was sie tun will! Weiblichkeit bei Rousseau, wahrlich eine unmögliche Konstruktion!
"Von geistigen Müttern und anderen Bildern der Mütterlichkeit in HELENE LANGEs Autobiographie" handelt der Diskussionsbeitrag ILSE BREHMERS. HELENE LANGEs inhaltliche Bestimmung des Prinzips der geistigen Mütterlichkeit steht im Mittelpunkt der Erörterung. Dieses Prinzip basiert auf der Annahme der psychischen Differenz der Geschlechter, die Mann und Frau jeweils unterschiedliche Kulturaufgaben zuweist. Die Kulturaufgabe der Frau ist eng verknüpft mit der biologischen Fähigkeit zur Mutterschaft, die die Frau zur Erzieherin der nachfolgenden Generation prädestiniert. HELENE LANGE zufolge erschöpft sich jedoch der Kulturauftrag der Frau nicht in der Erziehung eigener Kinder, sondern erstreckt sich auch auf den Bereich außerhäuslicher pädagogischer Erwerbsarbeit in Kindergarten, Schule etc. Sowohl der pädagogische Auftrag der Frau in der Familie als auch im Beruf wird somit abgeleitet aus der Natur der Frau, aus ihrer potenziellen Fähigkeit zur Mutterschaft. Trotz ihrer gemeinsamen Wurzeln schließen sich jedoch in der Konzeption HELENE LANGEs leibliche Mutterschaft und geistige Mütterlichkeit gegenseitig aus. In der Erörterung des daraus resultierenden Lehrerinnenzölibats versucht die Autorin die Gründe HELENE LANGEs für diesen "Unvereinbarkeitsbeschluß" herauszuarbeiten.
Der Aufsatz von BARBARA BRICK über "Die Mütter der Nation. Zu HELENE LANGEs Begründung einer weiblichen Kultur" knüpft inhaltlich an den vorhergehenden Beitrag an. BARBARA BRICK geht der Frage nach, aus welcher Motivation heraus HELENE LANGE die bürgerlich-patriarchalische Annahme der Geschlechterpolarität aufgrei-ft und ins Positive wendet.
HELENE LANGEs Entwurf einer "weiblichen Kultur" baut auf einer Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise auf, die mit ihrer immer differenzierter werdenden Arbeitsteilung den einzelnen Menschen zum "mechanischem Werkzeug" herabwürdigt und ihn damit als Individuum praktisch auslöscht. Ausgehend von einer Kritik der einseitig auf den kapitalistischen Produktionsprozeß ausgerichteten Frauenemanzipationsstrategie der sozialdemokratischen Arbeiter- und Frauenbewegung, die diesen Tendenzen individueller Entfremdung im Produktionsbereich nicht Rechnung trägt, entwickelt HELENE LANGE ihren resignierenden Entwurf einer alternativen "weiblichen" Kultur im Bereich der Familie. Die Familie erscheint ihr als letzter Hort persönlicher Freiheit und Individualität, dessen Aufgabe die Kompensation des gesellschaftlichen Freiheits- und des kulturellen Sinnverlust ist. Resignierend erscheint dieser Entwurf insofern, da vor der Übermacht des Kapitals als letzter Ausweg nur die Flucht in den Schoß der Familie bleibt.
In dem folgenden Beitrag von ILKA RIEMANN und MONIKA SIMMEL über "Bildung zur Weiblichkeit durch soziale Arbeit" wird die Diskussion über das Prinzip der geistigen Mütterlichkeit noch einmal aufgenommen. Die beiden Autorinnen stellen die These auf, daß dem Bildungsideal der geistigen Mütterlichkeit eine entscheidende Bedeutung bei der Herausbildung des weiblichen Geschlechtscharakters zukommt. Besondere Aufmerksamkeit widmen die Autorinnen dabei der Erörterung des Zusammenhangs zwischen geistiger Mütterlichkeit und Sexualität. Nach Ansicht von ILKA RIEMANN und MONIKA SIMMEL ist die völlige sexuelle Enthaltsamkeit der Preis, den die geistig mütterlich wirkenden Frauen für ihre Anerkennung als öffentlich wirkende Menschen zahlen mußten. In seiner ursprüiiglichen Konzeption bezog sich dieses Bildungsideal ausschließlich auf den Beruf der Erzieherin, heute hat es sich weit über diesen Beruf hinaus als Orientierungsmuster für die meisten Frauenberufe (Lehrerin, Sozialarbeiterin, Krankenschwester, Sekretärin etc.) durchgesetzt. Dabei kommt es, wie am Beispiel des Sekretärinnenberufs deutlich wird, weniger auf die Art der Tätigkeit an, als auf die Form, in der sie ausgeübt wird.
Im 19. Jahrhundert galt die Bildungskonzeption der geistigen Mütterlichkeit zunächst nur für bürgerliche Frauen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzt sie sich jedoch auch in der Arbeiterschaft und deren Organisationen durch.
An dieser Stelle knüpft nun der Beitrag von ELKE KLEINAU "Über den Einfluß bürgerlicher Vorstellungen von Beruf, Ehe und Familie auf die sozialistische Frauenbewegung" an. Entgegen dem politischen Selbstverständnis der deutschen Sozialdemokratie, die das bürgerliche Ehe- und Familienideal bereits überwunden zu haben glaubt und daher die Unterdrückung der proletarischen Frau im sogenannten privaten Bereich als nicht existent einstuft, läßt sich der Niederschlag bürgerlich-patriarchalischer Weiblichkeitsideologie auch in der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie nachweisen. Konsequenz dieser unvollständigen Analyse der Unterdrückung der Frau in Beruf und Familie ist die einseitig auf den Produktionsbereich ausgerichtete Frauenbefreiungsstrategie, die der doppelten Ausbeutung der Proletarierin als Klassen- und als Geschlechtswesen nicht Rechnung trägt.
Der zweite Themenkomplex "Befreiung durch Bildung?" steht im Zeichen der häuslichen und schulischen Erziehung von Mädchen im 19. Jahrhundert. HELGA GRUBITZSCH unternimmt in ihrem Beitrag Der Kampf der Frauen um die Bildung zu Beginn des 19. Jahrhunjerts" den Versuch einer alternativen Geschichtsschreibung für den Bereich des Mädchenschulwesens in Frankreich. Bis heute wird in der Pädagogik, abgesehen von einzelnen frauenforscherischen Initiativen, die Geschichte der Mädchenerziehung und -bildung entlang den Erziehungskonzeptionen, Gesetzen und Reformen männlicher Wissenschaftler geschrieben. HELGA GRUBITZSCH vertritt demgegenüber die These, daß die Frauen sich jede Reform im Bereich schulischer Bildung selbst haben erkämpfen müssen.
Erste Forderungen von Frauen nach staatlichen, unentgeltlichen Mädchenschulen finden sich bereits 1789, zu Beginn der Französischen Revolution. Da der Staat jedoch wenig Interesse zeigt, den gestellten Forderungen nachzukommen, entstehen eine Reihe, von Frauen gegründeter, privat finanzierter Schulprojekte. Mit der Gründung privater Mädchenschulen geht es einem Teil der Frauen jedoch nicht nur um die Kompensation unzureichender staatlicher Angebote im Bildungsbereich. Da sie der Vermittlung des herrschenden patriarchalischen Wissens und den patriarchalischen Strukturen in den Staatsschulen zunehmend kritisch gegenüberstehen, erscheint ihnen die Forderung, Mädchen den gleichen Zugang zu den gleichen Bildungsinhalten wie Jungen zu ermöglichen, ausgesprochen problematisch.
JOANNE SCHNEIDERs Beitrag über "Das Schulerlebnis der bayrischen Mädchen" setzt sich mit der Situation des bayrischen Mädchenschulwesens zu Anfang des 19. Jahrhunderts auseinander. Am Beispiel zweier Münchener Schulen, dem Max-Josef-Institut, einem Pensionat für Töchter des deutschen Adels, sowie der Nymphenburger Schule, einer höheren Töchterschule für Mädchen der mittleren Stände, untersucht Joanne Schneider die in diesen Schulen vermittelten Bildungsideale. Sie kommt dabei zu dem Schluß, das vorrangige Ziel beider Schulen sei die Erziehung der Mädchen zu guten Ehefrauen und Müttern. Einige unterschiedliche Schwerpunktsetzungen lassen sich dabei aus der Zugehörigkeit der Schülerinnen zu unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten erklären, da die Mädchen jeweils auf das Leben ihrer Gesellschaftsschicht vorbereitet werden. So sind z. B. in der Nymphenburger Schule erste Ansätze zu einer beruflichen Bildung von Mädchen zu verzeichnen, die sich mit ziemlicher Sicherheit auf die, im Gegensatz zum Adel, schlechte ökonomische Situation des bürgerlichen Mittelstandes zurückführen lassen.
Im Mittelpunkt des Aufsatzes von DAGMAR LADJ-TEICHMANN "Weibliche Bildung im 19. Jahrhundert: Fesselung von Kopf, Hand und Herz?" steht die Erörterung des Stellenwerts der Handarbeit in der häuslichen und schulischen Mädchenerziehung. Die Autorin vertritt die These, daß der Handarbeit eine bisher nicht beachtete Aufgabe bei der Entwicklung des weiblichen Geschlechtscharakters zukommt. Während in der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion über den Stellenwert der Handarbeit in der Mädchenerziehung der Eindruck vermittelt wird, die Handarbeit habe keine erkennbare Funktion, sie sei vielmehr völlig sinnlos, hat den Ausführungen DAGMAR LADJ-TEICHMANNs zufolge die Handarbeit zwei klar erkennbare Funktionen. Zum einen stellt die Handarbeit ein ausgezeichnetes Disziplinierungsmittel bei der Einübung bürgerlicher, spezifisch weiblicher Arbeitstugenden dar. Zum anderen versinnbildlicht jedoch in einer ausschließlich am Tauschwert orientierten warenproduz~"terenden Gesellschaft die Handarbeit durch ihr Festhalten am Gebrauchswert, der Dinge, auch die Möglichkeit eines Rückzugbereichs, "in dem nicht-kapitalistische Erinnerung bewahrt und soziale Utopie weiter gedacht werden" kann.
Der Beitrag von ANNE SCHLÜTER "Wissenschaft für die Frauen? Frauen für die Wissenschaft!" beschäftigt sich mit der Situation der ersten Generation von Wissenschaftlerinnen an deutschen Hochschulen und Universitäten. Die Möglichkeit, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen, erhielten die Frauen erst nach Ende des Ersten Weltkrieges mit der Verabschiedung des Habilitationsrechts. Trotz der gegebenen formalen Voraussetzungen arbeiteten Wissenschaftlerinnen in der Regel jedoch, im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, weiterhin in ökonomisch unabgesicherten Positionen. Ungeachtet ihrer hohen wissenschaftlichen Qualifikation wurden nur wenige von ihnen zur Professorin ernannt.
Entgegen der düsteren Prognose der Gegner des Frauenstudiums, der Einzug der Frauen in die Wissenschaft führe zu einem Qualitätsverlust von Wissenschaft, ist festzuhalten, daß Frauen, trotz schlechter äußerer Bedingungen, wie fehlende ökonomische Absicherung, unzureichende Ausstattung mit Instrumenten, Apparaten, Laboratorien etc., in erheblichem Maße durch neue Erkenntnisse und die Einführung neuer Disziplinen den Stand der Wissenschaft vorangetrieben haben. Auf dem Hintergrund dieser Information geht ANNE SCHLÜTER nun der Frage nach: Was waren das eigentlich für Frauen, die sich trotz aller Hindernisse, die man ihnen in den Weg legte, bewußt für den Beruf der Wissenschaftlerin entschieden haben? War ihre Sozialisation eine andere als die normale weibliche? Zur Beantwortung dieser Frage zieht die Autorin biographisches und autobiographisches Material hinzu.
JULIANE JACOBI-DITTRICH setzt sich in ihrem Beitrag "Hausfrau, Gattin und Mutter - Lebensläufe und Bildungsgänge von Frauen im 19. Jahrhundert" ebenfalls mit autobiographischen Quellen auseinander. Thema des Beitrags ist die Erforschung des Zusammenhangs zwischen allgemein verbindlichen Sozialisationszielen und den individuellen Sozialisationsbedingungen von Mädchen im vorigen Jahrhundert. Anhand autobiographischer Zeugnisse (Autobiographien, Schlüsselromane, Briefe) untersucht die Autorin die Kindheit von neun Frauen, die alle über das, für Mädchen bürgerlicher Schichten verbindliche Sozialisationsziel "Hausfrau, Gattin und Mutter" hinaus in politischen Zusammenhängen tätig gewesen sind. Die Autorin geht dabei von der These aus, daß sich in den Lebensläufen dieser Frauen gängige Muster von Mädchensozialisation finden lassen, daß aber darüber hinausgehend auch alternative Identifikationsangebote vorgelegen haben müssen, die den Frauen den Ausbruch aus der weiblichen Rolle ermöglicht haben. Im Gegensatz zu männlichen Lebensläufen und Bildungsgängen im 19. Jahrhundert verlaufen die der Frauen nicht gradlinig. Sie sind voller Widersprüche und Brüche und sind ursprünglich nicht auf das spätere Lebensziel hin konzipiert. In einem Punkt knüpft der Beitrag von JULIANE JACOBIDITTRICH direkt an der von JOANNE SCHNEIDER schulgeschichtlich abgeleiteten These vom Zusammenhang zwischen beruflicher Bildung und ökonomischer Familiensituation an. Die Auswertung der ausgewählten Autobiographien läßt die Vermutung zu, daß den beruflichen Ambitionen der Töchter um so weniger Widerstand entgegengesetzt wurde, je schlechter die ökonomische Situation der Familie war.
DAGMAR GRENZ behandelt in ihrem Aufsatz "Das eine sein und das andere auch sein" die Widersprüchlichkeit des Frauenbildes in der bürgerlichen Mädchenliteratur vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1920. Ihren Angaben zufolge sind Widersprüche im Frauenbild seit den Anfängen der Mädchenliteratur nachweisbar. In Texten der Aufklärung werden diese Widersprüche jedoch noch offen dargestellt und auch als solche artikuliert. In späteren Texten erscheinen diese Widersprüche immer weniger greifbar. Die Ursache dafür liegt DAGMAR GRENZ zufolge in der Psychologisierung bestimmter, zuvor an soziale Funktionen gebundene Eigenschaften, die nunmehr zur Natur der Frau erklärt werden.
Die Ursprünge widersprüchlicher Frauenbilder in der Mädchenliteratur illustriert die Verfasserin am Beispiel von Schillers "schöner Seele", als dem klassischen Text, der ihrer Meinung nach die Mädchenliteratur indirekt nachhaltig beeinflußt hat. Zwei in sich widersprüchliche Argumentationsstränge lassen sich in der Schillerschen Konzeption ausmachen: Zum einen soll die Frau in der "von kapitalistisch-patriarchalischen Normen geprägten bürgerlichen Gesellschaft leben und gleichzeitig ein Ideal erfüllen, das diese gesellschaftlichen Normen transzendiert", zum anderen werden "die der Frau zugeschriebenen idealen Eigenschaften, die als Gegenbild zur bürgerlichen Realität entworfen sind, ... dazu benutzt, die Frau für eben diese Realität für unfähig zu erklären".
In der Mädchenliteratur setzt sich dieses Weiblichkeitsbild nicht in reiner Form durch. Das klassische Ideal wird im christlich-idealistischen Sinne umgeformt und mit philanthropischen und romantischen Elementen vermischt. Die romantischen Anteile, die sich im Bild der hingebungsvoll liebenden Weiblichkeit ausdrücken, bilden dabei häufig das Bindeglied zwischen der klassischen Interpretation der Frau als "schöner, frommer Seele" und der philanthropischen Vorstellung von der treusorgenden, biederen Hausfrau.
Im Mittelpunkt des dritten Themenkomplexes "Von der Muse zur Künstlerin" stehen Beiträge, die sich mit der Darstellung der Frauen in der Kunst sowie der künstlerischen Betätigung von Frauen in der Malerei, der Musik und der Literatur befassen.
Thema des Beitrags von ELLEN SPICKERNAGEL "Zur Anmut erzogen - Weibliche Körpersprache im 18. Jahrhundert" ist die Verdrängung der feudalbarocken Menschendarstellung durch das bürgerliche Menschenbild in der darstellenden Kunst. Während im Zentrum der bildlichen Darstellung des Mannes jedoch die Arbeit steht, stehen Frauenbilder in Mimik und Gestik ganz im Zeichen von Anmut und Schönheit. Der Vergleich mit Kunstproduktionen des 17. Jahrhunderts macht deutlich, daß in der älteren Malerei auch die Darstellung der Frau in Arbeitszusammenhängen überwiegt. Im 18. Jahrhundert, im Zuge der Polarisierung der Geschlechtscharaktere, werden dagegen Frauen in Ausübung einer Tätigkeit abgebildet, die eher der "Linie der Schönheit" folgt. Nicht die zielgerichtete, produktorientierte Arbeit der Frau ist für den Maler mehr von Interesse, sondern die ästhetisch wirkende Darstellung weiblicher Tätigkeit, die als schön und anmutig gilt, weil sie "unbelastet vom Einsatz in planvolle Arbeit" erscheint. An dieser Stelle werden Parallelen zum Beitrag von Lieselotte Steinbrügge sichtbar. Sowohl auf der theoretischenphilosophischen Ebene bei DIDEROT als auch in der künstlerischen bildlichen Darstellung der Frau erfolgt gegen Ende des 18. Jahrhunderts, im Zuge der gesellschaftlichen Durchsetzung des bürgerlichen Frauenideals, die Verdrängung von Frauenarbeit.
Der Aufsatz RUTH-ELLEN B. JOERES' über "Selbstbewußte Geschichten" beschäftigt sich mit Frauenbiographien aus dem 19. Jahrhundert. Die heutige frauenforscherische Auseinandersetzung mit dieser Literaturgattung bildet der Autorin zufolge einen möglichen Zugang zur Erforschung von Frauengeschichte. RUTH-ELLEN B. JOERES geht dabei von der These aus, daß möglicherweise bereits für die Frauen des 19. Jahrhunderts die Lektüre von Frauenbiographien diese Funktion gehabt hat. Da den Frauen der Zugang zur Hochschule versperrt blieb, die herrschende patriarchalische Geschichtsforschung zudem den Stellenwert von Frauenexistenz in der Geschichte vollständig ignorierte, waren die Lebensbeschreibungen bekannter und unbekannter Frauen das einzige Medium, das Frauen die Möglichkeit bot, sich selbst als Subjekt und Objekt der Geschichte zu begreifen. Das vorhandene Bewußtsein der Verfasserin/des Verfassers über die Unterdrückung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft stellt dabei das entscheidende Kriterium dar, sollen Biographien diese ihnen zugewiesene Funktion erfüllen. Eine Variable, die sich u. U. unterschiedlich auf den Bewußtseinsstand auswirken kann, ist das Geschlecht. Gegenstand der Untersuchung von RUTH-ELLEN B. JOERES ist nunmehr, ob und welche Auswirkungen das Geschlecht des Verfassers auf die Auswahl und den Zugang zum Sujet hat.
Der Beitrag von SIGRID WEIGEL beschäftigt sich mit dem "Dreifachcharakter weiblicher Schreibarbeit" im 19. Jahrhundert. Voraussetzung einer Diskussion über weibliche Kunstproduktion ist SIGRID WEIGEL zufolge die Bestimmung des Stellenwerts der Frau im kulturellen Prozeß. Vorrangige Aufgabe einer solchen Analyse ist die Klärung der Frage, welchen Anteil die Literatur als Kunstgattung an der Bestimmung von Weiblichkeit hat und welche Funktion sie der Frau in der Kunst zuweist. Des weiteren muß die besondere Problematik von Frauenpublizistik berücksichtigt werden: unzureichende Schulbildung, fehlende Berufsmöglichkeiten, diskriminierende Verlegerpraktiken, presserechtliche Einschränkungen sind an dieser Stelle zu nennen. Erst auf dem Hintergrund dieser Informationen kann die Frage nach der Eigenständigkeit weiblicher Kunsterzeugnisse gestellt werden. SIGRID WEIGEL kommt zusammenfassend zu dem Schluß, daß sich die Literaturproduktion von Frauen bewegt im Spannungsfeld zwischen "Emanzipationsanstrengung, Erwerbsarbeit und Kunstanspruch". Weibliche Schriftsteller sehen sich dabei einem unauflösbaren Dilemma gegenüber: als Erwerbsarbeit, d. h. zur Sicherung des Lebensunterhalts ist der Beruf der Schriftstellerin nur im herrschenden patriarchalischen Literaturbetrieb zu realisieren, dabei bleibt jedoch der Anspruch auf Emanzipation sowie der einer eigenständigen Frauenliteratur häufig auf der Strecke.
REGULA VENSKE kritisiert in ihrem Beitrag "Über Widersprüche im Emanzipationsverständnis der FANNY LEWALD" Tendenzen in der Frauengeschichtsforschung, die in ihren Bemühungen um die "Aufhebung der Geschichtslosigkeit der Frau" die wiederentdeckten Frauen in der Geschichte verherrlichen als Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation. Dabei wird dem Begriff der Frauenemanzipation seine heutige Bedeutung unterlegt. Dieser deterministischen Geschichtsauffassung, die die Lebensgeschichten der Frauen mit ihren ganzen Brüchen und Widersprüchlichkeiten einseitig verkürzt in Hinblick auf das zu erreichende Emanzipationsziel, stellt REGULA VENSKE entgegen, "daß eine kritische Analyse der Versäumnisse und emanzipatorischen Kompromisse unter Umständen eher zu einer sachlichen historischen Wertung beitragen kann...". Am Beispiel von Leben und Werk der Romanschriftstellerin FANNY LEWALD zeigt REGULA VENSKE diese der Emanzipation und der Entwicklung einer eigenständigen Frauenkunst hinderlichen Widersprüche und Brüche auf. Der von ihr vorgeschlagene Zugang begreift Frauengeschichte als "Dialektik von Alltag und Emanzipation", wobei Alltag zu verstehen ist als "Metapher der Disziplinierung menschlicher Sinnlichkeit, der Entfremdung aller physischen und geistigen Sinne des Menschen auf den Sinn des Habens".
Thema des Aufsatzes von EVA RIEGER über "Die geistreichen, aber verwahrlosten Weiber" in der Musikgeschichte ist die musikalische Bildung von Frauen und Mädchen im 19. Jahrhundert. Gegenstand der Untersuchung ist sowohl der Stellenwert der Musik in der Erziehung von Mädchen bürgerlicher Schichten als auch die bestehenden Ausbildungsmöglichkeiten und -hindernisse auf dem Weg zur Berufsmusikerin.
Im Bürgertum des 19. Jahrhunderts spielte die musikalische Ausbildung der Mädchen eine große Rolle. Klavier- und Gesangsstunden sind aus der höheren Töchterbildung ebensowenig wegzudenken wie der unvermeidliche Strickstrumpf. Künstlerische Begabung war in diesem Zusammenhang ohne jede Bedeutung, sie war sogar eher hinderlich. Eltern und Pädagogen waren ängstlich darauf bedacht, daß die künstlerisch-technischen Fähigkeiten der Mädchen das Maß des Dilettantischen nicht überschritten. Den Mädchen stand nur eine beschränkte Auswahl von Instrumenten zur Verfügung. Neben dem Klavier setzte sich vor allem die Harfe, aber auch die Laute und die Zither als typisches Fraueninstrument durch. Andere Instrumente, wie das Horn, das Violoncello das Fagott und die Trompete galten als typische Männerinstrumente. Frauen wurde vom Spielen dieser Instrumente dringend abgeraten, da sie sich nicht mit den "Grazien des weiblichen Geschlechts" vertrugen. In Anlehnung an ELLEN SPICKERNAGEL könnte man auch sagen, die kraftvolle Lautstärke der Blechinstrumente und die breitbeinige Sitzhaltung beim Violoncello entsprachen nicht der männlichen Vorstellung von weiblicher Anmut und Schönheit. Die Möglichkeit, mit der Ausübung von Musik den Lebensunterhalt zu bestreiten, war für Frauen im 19. Jahrhundert denkbar gering. Der Beruf der Sängerin war in Deutschland der erste auch Frauen zugängliche Beruf im Bereich der Musik. Die Ausübung des Berufs einer Orchestermusikerin und einer Solo-Instrumentalistin setzte in der Regel das Studium an einem Konservatorium oder einer Musikschule voraus. Anfänglich waren Frauen nur in den Fächern Klavier und Gesang zugelassen. Fest angestellte Orchestermusikerinnen haben um die Jahrhundertwende jedoch Seltenheitswert. (Daß die Maxime "je mehr Frauen, desto prestigeärmer das Orchester" noch heute gültig ist, konnte frau ja erst kürzlich am Beispiel der Berliner Philharmoniker verfolgen.) Einen Ausweg aus dieser beruflichen Misere erhofften sich Musikerinnen von der Gründung reiner Frauenorchester. Diese galten jedoch als "exotische Variante" und im Bereich der "ernsthaften" Musik als nicht hoffähig.
Was den Beruf der Komponistin und der Dirigentin angeht, kann man von einer Potenzierung der Ausbildungs- und Berufsausübungshindernisse ausgehen.
Dem größten Teil der Frauen blieb nur übrig, ihr Leben als schlechtbezahlte Privatmusiklehrerin zu fristen. Da in diesem Bereich lange Zeit keine verbindlichen Ausbildungsrichtlinien existierten, hatten die Berufsmusikerinnen stark mit der Konkurrenz unausgebildeter Kräfte zu kämpfen.
RENATE BERGER untersucht in ihrem Beitrag "Auf der Suche nach Künstlerinnen" die Ursachen für den Ausschluß von Künstlerinnen vom Aktstudium. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war das Aktstudium eine unabdingbare Voraussetzung "hoher Kunst". Der Ausschluß der Frauen vom Aktstudium verwies die Künstlerinnen somit auf die geringer gewerteten Bereiche der Malerei.
Ausgangspunkt der Überlegungen RENATE BERGERs ist die Analyse der Maler-Modell-Beziehung. Sittliche Bedenken gegenüber der Teilnahme von Frauen am Aktstudium erscheinen plausibel lediglich im Kontext bürgerlich-patriarchalischer Doppelmoral, war doch der sexuelle Verkehr mit weiblichen Modellen für viele Maler eine wesentliche Voraussetzung ihrer Arbeit. RENATE BERGER zufolge ist die Beziehung zwischen Maler und Modell gekennzeichnet durch ein deutliches Machtgefälle zuungunsten des Modells. Auf einer zunächst noch vordergründigen Ebene besitzt der (bekleidete) Künstler in seiner Eigenschaft als Käufer die Macht, den unbekleideten Körper des Modells wie eine Ware zu taxieren, Unzulänglichkeiten und Unschönes zu bemängeln, Ekel oder Anerkennung zu bezeugen. Er selbst steht jedoch außerhalb jeder kritischen Wertung seitens des Modells. Die Machtstruktur reicht jedoch deutlich tiefer. Die Möglichkeit der gewaltsamen sexuellen Bemächtigung des Modells durch den Künstler ist zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen. Verbale Rückversicherungen seitens des Künstlers haben, in Anbetracht der schlechten ökonomischen Lage der Modelle, häufig nur legitimatorischen Charakter. Die Einstellung des Künstlers zu dem von ihm ökonomisch abhängigen Modell ist geprägt von kaum verborgener Verachtung, die sich RENATE BERGER zufolge nicht allein aus sozialen Unterschieden heraus erklären läßt. Klassenunterschiede bestehen ebenfalls zwischen Malern und ihren männlichen Modellen. Die Beziehung zum weiblichen Modell muß daher über den Klassenaspekt hinaus noch eine geschlechtsgebundene Bedeutung haben. Die spezifische Verachtung des Künstlers gegenüber dem weiblichen Modell resultiert aus einer vom Künstler vorgenommenen Trennung zwischen "Weib" und "Frau". Dem Weib wird dabei eindeutig der Bereich des ungehemmten Trieblebens zugeordnet, der Frau der der Kulturleistung. Ursache der Verachtung des weiblichen Modells ist daher die für die künstlerische Selbstachtung des Malers "notwendige" Distanzierung gegenüber der eigenen tierischen Natur.
Diese genannten Aspekte der Maler-Modell-Beziehung lassen ahnen, warum es von männlicher Seite derart heftigen Widerstand gegen die Zulassung der Frauen zum Aktstudium gab. Die Umkehr der Rollen (Malerin - männliches Modell) ließ die Umkehrung des gesamten Machtgefüges befürchten.
Im folgenden soll der Versuch von uns gemacht werden, den Selbstverständigungsprozeß, der auf der Basis der referierten Beiträge stattgefunden hat, zu rekonstruieren. Dabei geht es uns weniger darum, die Diskussionen im einzelnen wiederzugeben, als darum, relevante Diskussionspunkte, auf die wir immer wieder anhand der einzelnen Beiträge zurückgekommen sind, aufzuzeigen.
Angefangen haben wir mit der Diskussion der "paradoxen Konstruktion" bei ROUSSEAU. CHRISTINE GARBEs Interpretation des 5. Kapitels des Emile über die Erziehung der Sophie anhand einer theoretischen Rekonstruktion der Bedeutungen für "besoins" und "désire" (Bedürfnisse und Begehren) für die Geschlechterbeziehungen zeigte die Komplexität der rousseauschen Geschlechterphilosophie auf, die erst im Anschluß an ROUSSEAU im Laufe des folgenden Jahrhunderts zur platten Geschlechterpolarität verkommen ist. Bei ROUSSEAU sind die Beziehungen der Geschlechter zueinander in sich noch beweglich, und die Paradoxie, die er für das "natürliche" und "zu erziehende Wesen" der Frau hält, kann als Erklärungsversuch für das Selbstbewußtsein von Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft herangezogen werden.
ANNETTE KUHNs Abschlußvortrag über "Das Geschlecht - eine historische Kategorie?" (in diesem Band an den Anfang gestellt) brachte unsere Diskussion zurück auf die sehr allgemeine und zugleich sehr konkrete politische Ebene, auf der noch einmal deutlich wurde: feministische Wissenschaft kann sich nicht im Anwenden methodischer Postulate der Sichtweise "von unten" erschöpfen, sondern wird nur dann dem Emanzipationsinteresse von uns als Frauen und Wissenschaftlerinnen in dieser patriarchalisch-kapitalistischen Gesellschaft ernsthaft gerecht werden können, wenn wir der Widersprüchlichkeit unseres Gegenstandes, d. h. unserer Geschichte und unserer gegenwärtigen Lebenspraxis auf die Spur kommen. Es kann uns weder um "Desiderate im Objektbereich" gehen, wenn wir feministische Wissenschaft betreiben wollen, noch um die Entdeckung und Verkündigung einer besseren "Frauenkultur" oder "Frauenökonomie", die es immer schon gegeben hat und die uns utopischer Maßstab wäre. Vielmehr muß es darum gehen, die zwei Produktionsweisen, die patriarchalisch-kapitalistische und die Familienökonomie, die von Frauen produziert wird, in ihren Machtbeziehungen zueinander zu analysieren. Ein historisches Beispiel, das gerade in jüngerer Zeit in der feministischen Diskussion gerne herangezogen wird, ist das sogenannte "Nachkriegsmatriarchat" nach 1945. Wenige Jahre haben Frauen damals mangels Männer und aufgrund des scheinbaren Zusammenbruchs des ökonomischen Systems in Deutschland auf der Basis der Familienökonomie die gesellschaftliche Reproduktion maßgeblich organisiert. ANNETTE KUHN hat sehr deutlich gemacht, daß dies nur eine scheinbare Veränderung der kapitalistisch-patriarchalischen Ökonomie war, da das System keineswegs wirklich zusammengebrochen war, sondern sich vielmehr eine kleine Erholungspause gönnte, um nach der Regelung gewisser weltpolitischer Konstellationen um so machtvoller die patriarchalische Wirtschaftswundergesellschaft der fünfziger Jahre wiedererstehen zu lassen. An diesem Beispiel wurde besonders deutlich, daß die Familienökonomie der Frauen zwar zum notwendigen, aber zum untergeordneten Bestandteil der herrschenden Ökonomie gehört und aus dieser Konstellation heraus ihre Widersprüche produziert. Die "moral economy" (THOMPSON 1979) ist auf der politischen Ebene die historisch unterlegene Produktionsweise, und ihre Restitution als "weibliche Ökonomie" kann nicht unabhängig von einer Kritik der kapitalistischen Produktionsweise stattfinden. Hüten wir uns deshalb, sie als die überlegene darzustellen, und hüten wir uns auch, sie aus der Natur der Frauen quasi ontologisch ableiten zu wollen: dies wäre nicht nur historisch falsch, sondern produzierte auch eine Ideologie, die die gegenwärtige Situation von Frauen verschleiert statt eine theoretische Durchdringung dieser Situation zu ermöglichen. Daß es sich bei "Geschlecht" um eine ausschließlich natürliche Kategorie handele, ist uns lange genug von Männern weisgemacht worden und hat zu allen Zeiten bei Frauen Widerstände hervorgerufen.
Auf die Widersprüchlichkeit eines Begriffes von Weiblichkeit als natürlicher Kategorie im ROUSSEAUschen Konstrukt ist bereits hingewiesen worden, ebenso wie auf die Potenzen dieser Paradoxie. Weniger paradox, eindeutiger in der Absicht der Domestizierung des weiblichen Geschlechts ist von DIDEROT und D'ALEMBERT die bürgerliche Frau in Absetzung zur "unnatürlichen" adligen in der Enzyklopädie definiert worden. Wird der bürgerliche Mann durch Arbeit definiert, definieren sie die Frau durch ihre natürliche Gebärfähigkeit, so als ob in ihrem Leben Arbeit nicht vorhanden sei. Hier begegnen wir den Anfängen des bewußtseinsmäßigen Verdrängungsprozesses der "moral economy", die ihren besonders eklatanten Niederschlag in der Kunstproduktion des Zeitraums zwischen 1750 und 1800 hat, wie ELLEN SPICKERNAGEL an ausgewählten Beispielen verdeutlichen konnte: Die Darstellung weiblicher Arbeit wird zur dekorativen Geste. Der gesamte Kunstproduktionsprozeß des 19. Jahrhunderts hat dann sowohl auf der Ebene der ästhetischen Kategorien als auch in seiner sozialen Funktionsweise durch Ausschluß und Behinderung von Kunstproduzentinnen gemäß dem Prinzip der Geschlechterpolarisierung gearbeitet (JOERES, WEIGEL, VENSKE, RIEGER, BERGER).
Ebenso wurden die Bildungsbeschränkungen für Frauen gesamtgesellschaftlich mit der Zuschreibung einer "Natur", der alle wichtigen Bereiche von Bildung und Wissenschaft wesensfremd seien, begründet (SCHNEIDER, SCHLÜTER). In Frankreich haben sich einzelne Frauen im Kontext sozialer Bewegungen eigenständig und selbstbewußt dagegen zur Wehr gesetzt (GRUBITZSCH), während in Deutschland hier wesentlich weniger offensive Strategien zu finden sind. Bildungsgeschichtlich läßt sich dies für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders deutlich bei GLEIM aufzeigen (JACOBI-DITTRICH), wird aber auch in der überwiegend von Frauen verfaßten Mädchenliteratur der zweiten Hälfte des Jahrhunderts deutlich (GRENZ). Für die erste Frauenbewegung ist dieser Gesichtspunkt besonders kritisch zu untersuchen, haben doch maßgebliche Führerinnen dieser Bewegung nun gerade im Gegenzug versucht, die Bildungsbestrebungen für Frauen selbst auch aus einer spezifischen "weiblichen Kultur" abzuleiten, die von "geistiger Mütterlichkeit" geprägt ist. Damit wird Natur wieder zur Begründung und Legitimation von Bildung, politischem Einflußbereich und herrschenden Machtverhältnissen herangezogen (BREHMER, BRICK). Die Diskussion dieser Positionen in der ersten Frauenbewegung, die bis in die Sozialdemokratie hineingewirkt haben (KLEINAU), brachte uns immer wieder auf die aktuelle Diskussion: Was heißt es heute für uns als feministische Wissenschaftlerinnen, wenn wir uns mit den Konstrukten des "Weiblichen" auseinandersetzen? Zeigen nicht unsere Untersuchungen zur Geschichte von Frauen in den beiden letzten Jahrhunderten überdeutlich, daß diese Konstrukte immer dazu gedient haben, unsere politische Machtlosigkeit zu zementieren? Das Interesse an "wesensmäßigen Eigenschaften" von Frauen wird nicht dazu führen können, für Frauen Strategien zur Überwindung von Unterdrückung und Machtlosigkeit aufzuzeigen, weil es die Konstitutionsbedingungen von je historisch spezifischen Frauenbildern und die darin verborgenen sprengenden Widersprüche in dieser kapitalistisch-patriarchalischen Gesellschaft nicht im Blick hat.
Deshalb wird wohl auch kritisch anzumerken sein, daß das Thema unserer Tagung: "Weibliche Bildung - Von der Polarisierung der Geschlechtscharaktere zur formalen Gleichstellung der Frau" einer Reformulierung bedarf. Der Gebrauch des Adjektivs "weiblich" ist irreführend, zu leicht kann dies als eine Kategorisierung auf der Basis der "Natur der Frau" gedeutet werden. Wir sollten lieber über Bildung von Frauen, Bildung durch Frauen oder kurz "Frauenbildung" sprechen. Frauengeschichte ist nicht abgelöst von Patriarchatsgeschichte zu behandeln, in der Frauengeschichte ist nicht das "bessere Erbe" der Geschichte in Reinkultur aufbewahrt, und aus der Frauengeschichte wird es für uns keine unkritisch zu übernehmenden Vorbilder für Bildung und Lebenspraxis geben. HELGA GRUBITZSCHs Bild von uns als "Grenzgängerinnen", bezogen auf unsere politische Tätigkeit als Feministinnen, gilt auch für unsere wissenschaftliche Tätigkeit. Wir können uns nicht in eine bessere Frauenwelt abkapseln, sondern müssen uns auch immer auf den allgemeinen gesellschaftlichen Kontext beziehen. Nur dann wird deutlich, wie in je spezifischer Weise die sogenannte "Frauenfrage" enthalten, unterdrückt, verdrängt, unsichtbar gemacht oder auch zum Vorschein gebracht wird. Noch ist unser Selbstbewußtsein als Frauen doppelt definiert durch die Frauenbilder von Männern und durch Ansätze einer eigenen Identität.
Die Beiträge zur Bildungsgeschichte von Frauen in diesem Band haben alle ein Stück weitergeführt, diese Doppelexistenz von Frauen als Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Lehrerinnen, Wissenschaftlerinnen und Politikerinnen biographisch, literatur- und kunsttheoretisch, soziologisch, ökonomiekritisch und schulgeschichtlich aufzuhellen. Sie können als der Versuch gewertet werden, Spurensicherung von Frauenexistenz zu betreiben, die uns über die Bedingungen unserer eigenen Identitätsbildung aufklärt.