Die vergessene Frauenarbeit in der deutschen Nachkriegszeit

1. Die duale Ökonomie - ein Interpretationsansatz zur Wiederentdeckung der vergessenen Frauenarbeit?

Die Einführung eines neuen Interpretationsansatzes bedarf stets der Rechtfertigung. Gerade im Hinblick auf die deutsche Nachkriegsgeschichte ist eine solche Legitimation besonders erforderlich, da in jüngster Zeit auf diesem Gebiet eine rege Forschungstätigkeit herrscht, die die bisher vielfach begrenzte Interpretationssicht sprengt.[1] Auch läßt sich auf dem Gebiet der Frauengeschichte ein steigendes Interesse an der Nachkriegsgeschichte feststellen. Genügt es dann nicht, wenn sich die Frauengeschichtsforschung zur deutschen Nachkriegszeit an dieser allgemeinen Forschungstätigkeit in methodisch reflektierter Weise beteiligt und somit die besondere Bedeutung der Frauen für die Zeit nach '45 erschließt? Hier wird demgegenüber die These vertreten, daß ein erweiterter Theorieansatz notwendig ist, soll die Bedeutung der Frauengeschichte nach '45 erfaßt, zugleich aber auch die relativ geringen Veränderungen der geschlechtsspezifischen Einstellungen und der sozialen Lage der Frauen in der deutschen Nachkriegs-Gesellschaft begriffen werden.
Für die Erschließung der Frauengeschichte nach '45 bieten sich aus der gegenwärtigen Forschungssicht unterschiedliche methodische Zugänge an. Einerseits liegt es nahe, dem sowohl alltagsgeschichtlichen als auch dem sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Ansatz zu folgen. Im gleichen Maße aber knüpfen sich hohe Erwartungen an den familienökonomischen Ansatz, der sich für die Erfassung der Frauenarbeit in der Nachkriegszeit als besonders ergiebig erweist. Wo liegen die Grenzen dieser Interpretationsansätze, die erst einen Neuansatz rechtfertigen und mit dem Interpretationsmodell der dualen Ökonomie überwunden werden können?

1.1. Die Gefahr der Heroisierung und Enthistorisierung der Frauen in der alltagsgeschichtlichen Forschung

In der alltagsgeschichtlichen Forschung drängt sich Frauengeschichte gewissermaßen von allein auf. Denn nach den zeitgenössischen Zeugnissen sind es vorwiegend Frauen, die durch ihr Alltagshandeln das Überleben sichern. In den Trümmerlandschaften der Städte, in den Flüchtlingsströmen, auf den Dörfern: überall sind es in der Mehrzahl Frauen, die das bedrohte Leben der Kinder, der alten Menschen und der Männer zu retten suchen. Es gibt kaum eine zeitgenössische Darstellung, in der nicht das Problem der »männerlosen« Gesellschaft und des »Frauenüberschusses« dieser Jahre erörtert wird (vgl. Tab 1).

Tabelle 1: Die Verteilung der westdeutschen Bevölkerung auf Männer und Frauen 1939 und 1946
Frauen in der Geschichte V
In der Perspektive des Alltags gewinnt die Frauenarbeit, insbesondere die Frauenarbeit in der Reproduktionssphäre, die Herstellung einer Mahlzeit, die Sorge um Wohnung, Heizung und Kleidung, die Pflege der Mitmenschen usw. eine Bedeutung von existentiellem Rang. Frauenarbeit erweist sich in der Sicht des Alltags den »männlichen« Arbeitsweisen gegenüber als überlegen. Frauen sind in dieser Sicht stärker als Männer, das »erzwungene Matriarchat« der Nachkriegszeit verklärt sich zum Ideal einer besseren, für die Frauenemanzipation günstigen Gesellschaftsordnung. Ist aber diese Wertung zutreffend? Wird nicht die strukturelle Schwäche der Frauen und ihre Arbeitsweise, die diese Frauenarbeit auch als unproduktiv und ohnmächtig erscheinen läßt, vergessen? Die fast ins Unermeßliche gestiegene Alltagsarbeit der Frauen im erweiterten Reproduktionsbereich nach '45 kann sich in einer hochindustrialisierten kapitalistischen Gesellschaft nicht nur an den unmittelbaren Erfordernissen des Alltags messen. Sie muß sich auch am Maßstab der Produktion messen lassen. Wir müssen auch fragen, ob sie unter diesen Bedingungen des Kapitals die »überlegenere Produktionsweise« darstellt. Hier sind aus der Sicht der dualen Ökonomie Zweifel an der absoluten Überlegenheit der Produktionsweisen der Frauen angebracht.
Eine nähere Untersuchung der Darstellungen zum Alltagshandeln der Frauen in der Nachkriegszeit läßt auch Zweifel aufkommen, ob diese Sicht der Überlegenheit der Frauen im Alltag gleichbedeutend mit einer positiven Bewertung ihrer Arbeit als konstitutiv für die Nachkriegsgesellschaft zu bewerten ist. Denn die Hervorhebung der Frauenleistungen nach '45 geht in der Regel in den alltagsgeschichtlichen Darstellungen Hand in Hand mit der Betonung der Ausnahmesituation nach '45.[2] Die heroischen Leistungen der Frauen gelten, wie bei einem Betriebsunfall, als Ersatzleistungen, die möglichst schnell durch die Normalisierung der Gesellschaft überflüssig werden sollen.
Die das Überleben der Gesellschaft in diesen Jahren sichernde Frauenarbeit gilt somit als eine Ausnahmeerscheinung, die weiterhin als gesellschaftlich irrelevante Tätigkeit in »normalen Zeiten« gewertet werden kann. Es ist kein Zufall, daß in den Darstellungen zum Alltag in der Nachkriegsgeschichte Frauen nur bei den Beschreibungen des Zusammenbruchs vorherrschen, bei den Darstellungen der weiteren Entwicklung nach '45 langsam völlig aus der Nachkriegsgeschichte verschwinden. Auf die Darstellung des »erzwungenen Matriarchats« '45 folgt fast zwangsläufig in dieser Sicht die Darstellung des Aufbaus der patriarchalischen Normalität mit ihren festen, geschlechtsspezifischen Arbeits- und Rollenzuweisungen. In dieser Geschichtsauffassung haben die Frauen zwar einen festen Platz in der Gesellschaft als Hausfrauen und Zu-Verdienerinnen, einen Platz freilich, dem keine »eigentliche« Geschichte zukommt, der nur die enthistorisierte Heroisierung der Frauenarbeit zuläßt. In dieser Betrachtungsweise hat nicht die Geschichtsschreibung, sondern nur die Legendenbildung eine Chance.

1.2 Die ökonomischen Reduktionen in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Durch neuere sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Forschungen ist die These eines totalen Zusammenbruchs '45 und eines erst 1948 durch den Marshallplan ermöglichten wirtschaftlichen Aufschwungs der deutschen Produktion revidiert worden. Somit ist es auch nicht mehr möglich, die Begriffe: Zusammenbruch, Stunde Null, Chaos, wirtschaftliche Stagnation sorglos für die Charakterisierung der unmittelbaren Nachkriegszeit und für die Grundlegung der Frauengeschichte dieser Zeit anzuwenden. Vielmehr gilt es, die Traditionsstränge, an die '45 zunächst nur verschämt angeknüpft wurde, zu erfassen, Traditionsstränge, die die Gesamtorganisation der Gesellschaft, den Reproduktions- und Produktionsbereich betrafen. »Es gab keine Stunde Null, es war eine Stunde des improvisierten Wiederaufbaus, der verschämten Reparatur diskreditierter Kontinuität« (LUTZ NIETHAMMER).
»In Deutschland hat es keinen Wiederaufbau des Kapitalismus gegeben, weil er nicht untergegangen ist.«[3] Diese Einschätzung von HUSTER stimmt mit der Betonung der Kontinuität der spezifisch deutschen Form des »organisierten Kapitalismus« im Sinne eines engen, informellen Zusammenwirkens von Industrie, Banken und Staat anderer Autoren überein. »Dort, wo der Faschismus sich am radikalsten austobte, konnten auch private und halbprivate Unternehmen am unkontrolliertesten ihrem Gewinnstreben nachgehen.«[4] Dabei ist es einseitig, von einem nur von außen »erzwungenen Kapitalismus« zu sprechen. Vielmehr setzten sich, wesentlich unterstützt von wirtschaftlichen Interessen der USA, privatkapitalistische Tendenzen, die der deutschen sozio-ökonomischen Tradition entsprachen, nach '45 fast ungehemmt, allerdings zunächst lautlos durch.
Diese zunächst nur aus der Produktionssphäre begründete Sicht der Kontinuität der ökonomischen Struktur ist für die Einschätzung der Frauengeschichte nach '45 von zentraler Bedeutung. Denn kapitalistische Strukturen sind in der Neuzeit immer mit patriarchalischen Herrschaftsformen verbunden gewesen. Allerdings hat diese wirtschaftsgeschichtliche Forschungsrichtung Fragen zur Kontinuität (auch im Hinblick auf den Produktionsbereich) aufgeworfen, die aus der Sicht einer Ökonomie, die den Reproduktionsbereich ausspart, nicht befriedigend zu beantworten sind. Die Frauengeschichte, erschlossen aus der Sicht der dualen Ökonomie, vermag hier weiterzuhelfen. An zwei Fragen wollen wir auf diese Grenze des herrschenden wirtschaftlichen, auf die Produktionssphäre begrenzten Ansatzes hinweisen.
Aufgrund seiner Analyse der Ausgangsbedingungen der westdeutschen Produktion im Sommer 1945 gelangt ABELSHAUSER zum Ergebnis, daß von einem »Zusammenbruch des nationalsozialistischen Deutschland«, von einem »Nullpunkt« der deutschen Geschichte nicht gesprochen werden kann.[5] Es lag zwar nahe, den fast völligen Stillstand der Produktion auf die in den beiden letzten Kriegsjahren immer häufigeren und heftigeren Luftangriffe zurückzuführen. »Tatsächlich war im Mai 1945 die Substanz (Hervorhebung A. K.) des industriellen Anlagevermögens jedoch keineswegs entscheidend angegriffen. Bezogen auf das Vorkriegsjahr 1936 war das Brutto-Anlagevermögen der Industrie sogar um rund 20 v. H. angewachsen.«[6]
Halten wir im Sinne von ABELSHAUSER die wichtigsten Determinanten zur Restitution der westdeutschen Produktion fest. Nach ihm ging die deutsche Industrie mit einem »bemerkenswert großen und modernen Kapitalstock in die Nachkriegszeit«. Auch der wichtigste Produktionsfaktor, die menschliche Arbeitskraft, sei im Sommer '45 keineswegs knapp gewesen. Von einer entscheidenden Schwächung und gar strukturellen Fehlentwicklung der westdeutschen Industrie durch die Demontagen könne ebenso wenig die Rede sein wie von einer entscheidenden Behinderung durch die wirtschaftlichen Restriktionen der Besatzungsmächte. Kurzum: Die wirtschaftlichen Kräfte waren nach ABELSHAUSER insgesamt »so schwach nicht«.[7] »Den politischen Willen zum Wiederaufbau vorausgesetzt, war eine schnelle Rekonstruktion der westdeutschen Wirtschaft zu erwarten«.
Folgen wir dieser Interpretation, so sind neue Fragen an diese wirtschaftlichen Prämissen, Entwicklungstendenz und die Entscheidungsmöglichkeiten der Nachkriegszeit zu stellen. Können wir aus der Sicht der Frauengeschichte die Prämissen von ABELSHAUSER voll übernehmen? Können wir seiner Aussage zustimmen, daß die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen gar nicht so schlecht waren, daß reichliches »Arbeitskräftepotential« zur Verfügung stand? Folgen wir ABELSHAUSER, so fragt es sich auch, warum der Produktionsanstieg nach '45 so langsam vor sich ging? Vor allem sind aber in dieser Sicht die Ursachen und der Verlauf der ökonomischen Krise vom Winter 1946/47 bis Ende 1947 erklärungsbedürftig.
Hier greift der Ökonomieansatz, der die Reproduktionsbedingungen und somit die Bedingungen der umfassenden Frauenarbeit dieser Jahre nicht berücksichtigt, zu kurz. Die Aussage von ABELSHAUSER, die »Qualität des Arbeitskräftepotentials« habe sich nicht verschlechtert, die Qualifikationsstruktur hätte sich aus der Vorkriegszeit zumindest erhalten, wenn nicht sogar weiterentwickelt«, läßt sich aus der frauengeschichtlichen Sicht nicht halten. Für ABELSHAUSER wird das Anwachsen der weiblichen Bevölkerung beim allgemeinen Anstieg des Arbeitskräftepotentials in den Jahren 1939 bis 1946 (der männliche Anteil ging in diesen Jahren um 2 v. H. zurück!) als eine statistische Größe, unabhängig von den Reproduktionsanforderungen, gewertet. Die Quantität, die Qualität, aber auch die Grenzen der Frauenarbeit dieser Jahre werden völlig verkannt. Vor allem wird der sich verschärfende Widerspruch zwischen der Produktionsarbeit und der Reproduktionsarbeit, der für die Jahre 1945 bis 1947 charakteristisch ist, überhaupt nicht reflektiert. Produktion und Reproduktion bleiben hier zwei unverbundene Bereiche.
Diese ökonomische Reduktion in der herrschenden Wirtschaftsgeschichte verengt auch die Sicht der Wirtschaftskrise von '47. Bei ABELSHAUSER heißt es in diesem Zusammenhang:
Frauen in der Geschichte V

  • »Die auf den akuten Schwächeanfall folgende Lähmung des wirtschaftlichen Organismus hielt bis in den Sommer des Jahres 1947 hinein an, wenn auch die Produktion wieder auf das Niveau des Vorjahres anstieg... Es war klar: Entweder gelang es, jetzt die Lähmungskrise unter Aufbietung aller Kräfte ein für allemal zu überwinden, oder die Wirtschaft im Westen mußte endgültig auch an ihrer Substanz Schaden nehmen. Das Jahr 1947 wurde zum Entscheidungsjahr der westdeutschen Wirtschaft.«[8]

Eine befriedigende Erklärung für diese »Lähmung des wirtschaftlichen Organismus« finden wir bei ABELSHAUSER nicht. Die gesellschaftlichen Widersprüche, die sich aus dem Zusammenhang zwischen der seit 1945 immer größer werdenden Subsistenzkrise einerseits und der steigenden Produktion andererseits ergaben, und die die Besonderheit des Krisen- und Entscheidungsjahres 1947 ausmachen, vermag die auf den Produktionsbereich verengte ökonomische Betrachtungsweise ebenso wenig zu erfassen wie die in dieser Krisensituation liegenden gesamtgesellschaftlichen Möglichkeiten. Es wird zwar bei ABELSHAUSER bedauernd festgehalten, daß die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Entscheidungen von 1945 bis 1948 »nicht selten zu Lasten der Versorgung der Bevölkerung« gingen, daß erst durch diese sozialen Kosten die wirtschaftliche Rekonstruktion möglich war. Diese sozialen Kosten erscheinen hier aber als notwendige Opfer. Sie sind in dieser Sicht weder quantifizierbar noch qualifizierbar. Dazu müßten sie zunächst als Frauenarbeit identifiziert werden. Das ist aber in diesen Arbeiten nirgends geschehen. Die »Versorgung der Bevölkerung«, der zentrale Inhalt der Frauenarbeit, wird zu einer quantité negligable, Frauenarbeit, ein natürliches Opfer.

1.3 Die Familienökonomie: Chancen und Grenzen einer notwendigen frauengeschichtlichen Perspektive

Aus der bisherigen Kritik an der alltagsgeschichtlichen und den neueren wirtschaftsgeschichtlichen Ansätzen zur Nachkriegsgeschichte folgt gewissermaßen von selbst der Hinweis auf das familienökonomische Modell, das den Haushalt und die häusliche Frauenarbeit in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses stellt. Denn durch diesen Ansatz lassen sich schon festgestellte Fehleinschätzungen korrigieren. Hier gilt es aber, zunächst auch auf die Grenzen eines Modells hinzuweisen, das nur einen Aspekt der dualen Ökonomiebasis der Gesamtgesellschaft hervorhebt.
Das familienökonomische Modell, wie es zunächst von JOAN SCOTT und LOUISE TILLY entwickelt wurde,[9] liegt implizit zahlreichen frauengeschichtlichen Arbeiten zur Nachkriegszeit zugrunde. Im Mittelpunkt steht die immense häusliche Arbeit der Frauen, die sich in ihrem Ausmaß und in ihrer Struktur nicht nach den Gesetzen des Markts und des Lohns, sondern nach den Lebens- und Überlebensbedürfnissen der Familie bestimmt. Nach diesem Ansatz wird deutlich, daß Frauen nach '45 »härter als Männer« arbeiten, »mehr« als Männer zum Wohlergehen der Familie beitrugen, sich als »fähiger« als Männer angesichts unerwarteter Anforderungen erwiesen und im häuslichen Bereich mehr Macht als die Männer ausübten. Diesem Nachweis weiblicher Stärke steht die Beobachtung gegenüber, daß Frauen den ökonomischen Krisen des Systems wehrlos ausgesetzt waren und trotz ihrer Mehrarbeit langfristig weder in der Lage waren, das Existenzminimum der Familie alleine zu sichern, noch zu einem außerhäuslichen, öffentlichen Einfluß zu gelangen, noch die traditionellen geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen zu durchbrechen.
Die phänomenologische Beschreibung der Frauenarbeit in der Familienökonomie bildet eine unverzichtbare Basis für die Erschließung der Frauengeschichte nach '45. Dennoch bleibt das familienökonomische Modell begrenzt, indem es sich allein auf die Familienökonomie als einen isolierbaren, »traditionellen« Frauenbereich stützt. Somit gelangen auch die Autorinnen zu problematischen Wertungen hinsichtlich der Handlungsmöglichkeiten von Frauen. Bei den Frauen wird hier »eine Kontinuität traditioneller (d. h. vorindustrieller) Werte und Verhaltensweisen innerhalb sich verändernder Umstände vorausgesetzt. Alte Wertmuster existieren zusammen mit ausgedehnten strukturellen Veränderungen und werden von Menschen (d. h. von Frauen) benutzt, um sich an diese anzupassen.«[10]
Innerhalb dieses Modells wird weibliche Stärke als Reaktion auf gesellschaftliche Mißstände aufgezeigt, diese weibliche Stärke wird in ihrer Begrenzung, in ihrer gesellschaftlichen Ohnmacht festgeschrieben. Sie bleibt auf die häusliche Sphäre beschränkt.
Es fällt nicht schwer, die gesellschaftstheoretischen Prämissen dieser familienökonomischen Sicht, die zum einen in der konservativen Familienideologie des 19. Jahrhunderts, zum anderen in der Modernisierungstheorie liegen, zu erkennen. Für unseren Zusammenhang genügt es festzuhalten, daß der Ansatz der dualen Ökonomie bemüht ist, gerade diese Grenzen in der familienökonomischen Betrachtungsweise zu Überwinden. Es gilt nicht nur die Reproduktionsarbeit der Frauen nach '45 zu berücksichtigen; es gilt die Familienökonomie in ihrer strukturellen, konflikthaltigen und ungleichen Beziehung zur Marktökonomie zu begreifen. Ansätze hierzu liegen in der Erweiterung des familienökonomischen Modells im Hinblick auf eine feministisch begriffene Gesellschaftstheorie, die notwendiger Weise von der dualen Ökonomiestruktur der Gesellschaft auszugehen hat.[11]

2. Die Bedeutung der Theorie der dualen Ökonomie für die Frauengeschichte und für die Erschließung der deutschen Nachkriegsgeschichte

Der Begriff: »duale Ökonomie« ist bewußt gewählt worden, da die Interdependenz von marktbezogener Produktions- und familienbezogener Reproduktionsarbeit der Frauen in den Mittelpunkt der Betrachtungen gerückt werden soll.[12] Die Frauenarbeit definiert sich dabei erst im Spannungsfeld dieser dualen Struktur der Ökonomie. Somit wird hier von der Annahme ausgegangen, daß die »kapitalistische Produktionsweise die Reproduktion der beiden grundlegenden Bereiche gegenwärtiger gesellschaftlicher Produktion: Subsistenzproduktion und industrielle Produktion (umfaßt).[13]« Im Hinblick auf die Ökonomiestruktur der neuzeitlichen europäischen Gesellschaft wird in dieser Sicht ein Prozeß der Aufspaltung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit auf zwei Ökonomiebereiche, auf den außerhäuslichen und den häuslichen Produktionsbereich beobachtet, ein Prozeß, der zugleich mit einer Neuverteilung der Arbeitszuweisungen und -zumutungen zwischen den Geschlechtern und mit der Entstehung einer neuartigen, strukturellen, sozialen Ungleichheit der Frauen einherging.
An diesen Grundgedanken knüpfen wir an, wenn vom Ansatz der dualen Ökonomie aus die gesellschaftliche Lage und die gesellschaftliche Arbeit der Frauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit erfaßt werden soll. Allerdings gilt es, unsere Anfragen an die Nachkriegsgeschichte zu präzisieren. Bei welchen bisher strittigen Fragen der deutschen Nachkriegszeit kann der Ansatz der dualen Ökonomie weiterhelfen? Lassen sich bisher hervorgehobene Interpretationsgrenzen aus der Sicht der dualen Ökonomie überwinden?
Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses rückt aus der Sicht der dualen Ökonomie die Frage nach der Kontinuität der für die Frauengeschichte bestimmenden sozio-ökonomischen und der ideologischen Strukturen der deutschen Gesellschaft über den sogenannten »Punkt Null« hinweg. Denn in der skizzierten Sicht der dualen Ökonomie erscheint die Kontinuitätsfrage in einer auf den Reproduktionsbereich und somit auf den zentralen Arbeitsbereich der Frauen erweiterten Perspektive. Es gilt hiernach die Kontinuität im Ausmaß, in der Qualität und in den immanenten Grenzen der Frauenarbeit in den Krisensituationen des Kapitalismus nach '45 zu erfassen.
In der Sicht der dualen Ökonomie haben wir es im Hinblick auf das Verhältnis von häuslicher und außerhäuslicher Arbeit gerade in Krisenzeiten mit einer doppelten Bewegung zu tun. Diese doppelte, in sich widerspruchsvolle Bewegung des Kapitals läßt sich als eine Tendenz einmal zur Aufhebung der Familie und des Haushalts und zur Zerstörung der Reproduktionsgrundlage der Gesellschaft, zum anderen zur Hervorbringung neuer Kümmerformen der Subsistenzwirtschaft begreifen. Von dieser doppelten Bewegung her können wir eine Kontinuität in der ökonomischen Struktur der Gesellschaft aufzeigen, die sich seit der Wirtschaftskrise der 20er Jahre in besonders drastischer Weise durchgesetzt hat, die stets zu Lasten der arbeitenden Menschen, insbesondere aber zu Lasten der Frauen ging, und die sich, so unsere Ausgangsthese, in den Jahren 1945 bis 1948 in besonderer Weise bis zur Hunger- und Überlebenskrise des Jahres 1947 zuspitzte. Bei diesen Überlegungen knüpfen wir an Arbeiten aus dem Bereich sowohl der Frauen- als auch der Arbeitergeschichte an.
Für die Zeit der Weltwirtschaftskrise der Weimarer Zeit hat ANNEMARIE TRÖGER überzeugend aufzeigen können, wie in dieser Krise eine primitive »Subökonomie« mit vorkapitalistischen Zügen hervorgebracht wurde »die nicht nur ungeheuer unproduktiv, sondern auch verkrüppelt« war.[14] Diese »Subökonomie« stellte in der Weimarer Republik niemals - sehen wir von den höchstens 10% Selbsternährer und Ernährerinnen in der Landwirtschaft ab - eine autonome Subsistenzbasis dar; sie führte vielmehr die Frauen in eine verzweiflungsvolle »existenzielle Zange«. Die belastende und letztlich ausweglose Situation der für die »Subökonomie« oder Subsistenzwirtschaft arbeitenden und allein verantwortlichen Frauen hat sich im Faschismus nicht grundsätzlich geändert. Vielmehr setzte sich gerade in der Kriegswirtschaft die Tendenz zur »katastrophalen Zerstörung der eigenen Reproduktionsbedingungen« in einer bisher nicht gekannten, hemmungslosen Weise durch, während sich auch die Anforderungen an den »autarken«, »wehrhaften« Haushalt bis ins Unermeßliche steigerten. Diese fatale Tendenz zur Selbstzerstörung der Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft im deutschen Faschismus, gegen die die im Haushalt arbeitenden Frauen (d. h. alle Frauen) in erschöpfender und ohnmächtiger Weise anzukämpfen versuchten, wurde in den letzten Kriegsmonaten nur deshalb Einhalt geboten, weil der Kapitalismus »erst einmal entfesselt, zwar blind in sein eigenes Verderben taumelt, aber seine Repräsentanten lassen sich nicht mit Bewußtsein einen Abgrund hinunterstoßen«.[15] In den letzten Kriegsphasen, insbesondere seit dem Scheitern des 20. Juli 1944 gelang es den Vertretern des Kapitals zwar nicht, eine politische Alternative zur faschistischen Parteiherrschaft aufzubauen; die Ausführung des Nerobefehls, der die Zerstörung der Lebensgrundlage des deutschen Volkes anordnete, konnte aber verhindert werden. Die Rettung der Produktionsanlagen hatte allerdings Vorrang vor der Erhaltung der Reproduktionsbasis der Bevölkerung. Die Zerstörungen der letzten Kriegsmonate trafen in erster Linie die Lebens- und Arbeitsbereiche der Bevölkerung, d. h. vor allem der Frauen.
Mit Hilfe der Theorie der dualen Ökonomie wird es möglich, gerade die Krise der Subökonomie zu erfassen und somit die These von der sozioökonomischen Kontinuität der deutschen Gesellschaft im Bezug auf den Reproduktionsbereich zu vertiefen.
Die Frauenarbeit in der »Subökonomie« der Jahre 1945 bis 1948 hat gewiß ein sehr anderes Erscheinungsbild als in der Wirtschaftskrise der Weimarer Republik. Sie ist auch zu unterscheiden von den Formen der Frauenarbeit in der Subökonomie im terroristischen System des Faschismus, als fast alle Schranken zum Schutz des Menschen, insbesondere zum Schutz der weiblichen Arbeitskraft aufgehoben wurden. Dennoch stellt sich hier die Frage, ob nicht im Zeichen einer gesellschafts- und sozialpolitischen Kontinuität die Subsistenzwirtschaft der Frauen nach 1945 mit der umfangreichen und unentlohnten Frauenarbeit in diesem Bereich strukturell vergleichbar ist mit der Krise der Subökonomie in den 20er, 30er und 40er Jahren. Wurde nicht erst 1945 der vom Faschismus proklamierte »autarke Haushalt« zu einer harten und traurigen Realität? Sind nicht alle Frauen nach '45 zu Arbeiten in der Öffentlichkeit dienstverpflichtet worden? Kurzum: ist nicht die duale Ökonomie und ihr immanenter Zwang zur Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der flexiblen Arbeitskraft der Frauen ein Schlüssel für die sozioökonomische Kontinuität nach '45? Mit dieser These zur sozio-ökonomischen Kontinuität knüpfen wir an Forschungsergebnisse zur Kontinuität der geschlechtsspezifischen Stereotypen aus dem Bereich sowohl der Alltagsgeschichte als auch der Frauengeschichte an. Denn gerade diese Konstanz der Geschlechterrollenstereotypen in der Kriegs- und Nachkriegszeit, die im Widerspruch zu den erfahrbaren Realitäten von Frauen in diesen Jahren steht, ist in der jüngsten Forschung mit großer Verwunderung konstatiert worden.[16] Faktisch waren die Rollenzuweisungen zwischen den Geschlechtern in den Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit weitgehend aufgehoben, zugleich aber verfestigten sich die Geschlechterrollenstereotypen. In keinem der von LUTZ NIETHAMMER u. a. durchgeführten Interviews fanden die Interviewer »irgendeinen Hinweis, daß damals (d. h. in der Kriegs- und Nachkriegszeit A. K.) die Gültigkeit der Geschlechterstereotypen als gesellschaftliche Norm durch die realen Erfahrungen aufgebrochen wären.«[17] Die Kontinuität der dualen Struktur der Ökonomie, d. h. hier vor allem die Kontinuität der Arbeitsbedingungen der allein in die Verantwortung der Frau gestellten Subökonomie, die in Krisenzeiten Frauen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit führten, liefert eine materielle Erklärung für die Hartnäckigkeit, mit der Männer und Frauen an dem traditionellen Geschlechterstereotyp festhielten. Aus der Sicht dieser ungesicherten Existenzweise der Frauen in der Subökonomie wird das starre Festhalten der Frauen an den sie eingrenzenden traditionellen Rollenzuteilungen verständlicher. Das Wunschbild der glücklichen Hausfrau und Mutter gewinnt, wie die Parteiplakate der SPD und der CDU aus dem Jahre 1946 zeigen, gerade als Gegenbild zur Wirklichkeit an gesamtgesellschaftlicher Attraktivität (vgl. Abb. 2).

3. Das stille Wirken der Frauen: Überlegungen zur Bedeutung des Reproduktionsbereichs und der erweiterten Frauenarbeit in der Wirtschaftskrise von 1947

Aus den bisherigen Überlegungen zur dualen Ökonomie folgten mancherlei Annahmen zur Interpretation der Frauengeschichte und der allgemeinen Gesellschaftsgeschichte in der Formationsphase des westdeutschen Staates nach 1945. Im Mittelpunkt stand die These von einer Kontinuität der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der Geschlechtsideologie und der strukturellen Ungleichheit der Frauen, die in einem Offenen Widerspruch zu der faktischen Entwicklung der erweiterten Frauenarbeit im Reproduktionsbereich und zu den erfahrbaren Realitäten einer weiteren Auflösung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Nachkriegszeit stand.
Frauen in der Geschichte V
Diese These soll an der Frage der Entstehung der Wirtschaftskrise im Entscheidungsjahr 1947 überprüft werden. Ist der Reproduktionsbereich und die hier geleistete Frauenarbeit überhaupt in diesem Entscheidungsjahr als ökonomische Krisenursache erkannt und bewertet worden? Oder ließ sich auch in diesen Jahren der Ernährungsnot und der Hungerdemonstrationen die Reproduktionsarbeit der Frauen weiterhin als Naturressource betrachten und somit dem wirtschaftlichen Denken und Handeln entziehen?
Gerade in der Krisenzeit des Kapitalismus, die sich im Jahre 1947 zu einer Entscheidungskrise über die gesellschaftliche Neuordnung und über die Chancen der Neubestimmung des Verhältnisses von Kapital und Arbeit zuspitzte, kommt in dieser Perspektive der dualen Theorie der Frauenarbeit eine zentrale Bedeutung zu. Denn aus der Sicht der akuten Peproduktionskrise im Jahre 1947 und ausgehend von der theoretischen Notwendigkeit der Erfassung der scheinbar unbegrenzten Arbeitsbereitschaft und des scheinbar unermeßlichen Arbeitsvermögens der Frauen ist es durchaus angemessen, '47 von einer »revolutionären«, d. h. auf Veränderung drängenden Situation in der deutschen Nachkriegsgeschichte zu sprechen. An diesem Punkt setzt aus der Sicht der Frauengeschichte die Frage nach den »verpaßten Chancen« an. Veränderung heißt aber hier etwas Weitergehendes und Präziseres als in der Programmatik der Parteien und der Gewerkschaften. In fast allen politischen Äußerungen von der CDU bis zur KPD unmittelbar nach '45 wurde zwar die Vorrangigkeit der »Lebensinteressen« des deutschen Volkes gegenüber den Interessen des kapitalistischen Wirtschaftssystems betont. Die hier geforderte Orientierung der Wirtschaft an den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen geschah allerdings ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse der Frau, der Frauenarbeit in ihrer Abhängigkeit vom Markt, und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Die Hausfrauenarbeit wurde in diesem Zusammenhang der angestrebten gesellschaftlichen Veränderung weiterhin tabuisiert. Eine »revolutionäre«, d. h. eine grundlegende Veränderung der deutschen Nachkriegsgesellschaft hätte aber eine Veränderung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu ihrem wesentlichen Inhalt haben müssen.
Diese Annahme der gesellschaftspolitischen Bedeutung der Reproduktionsarbeit der Frauen in der Nachkriegszeit ist jedoch zunächst ein theoretisches Konstrukt, das mit den politischen Entscheidungen und den konkreten Erlebnissen der Frauen und ihrer täglichen Arbeit wenig, vielleicht gar nichts zu tun hat. Es gilt daher zu prüfen, ob die Frauenarbeit in der Wirtschaftskrise von 1947 überhaupt als politökonomische Größe begriffen wurde, ob wir von einer möglichen Politisierung der Bedürfnisse der Subökonomie, einer Umsetzung der Frauenarbeit im Reproduktionsbereich in politische Forderungen und gesellschaftliche Ansprüche an die reale Einlösung der Gleichheitsforderungen der Geschlechter sprechen und als Strategien der gesellschaftlichen Neuordnung in Betracht ziehen können.
Es muß betont werden, daß eine solche Anerkennung der Frauenarbeit im reproduktiven Bereich eine Neuerung von grundlegender Bedeutung darstellen würde. Denn die Reproduktionstätigkeiten der Frauen wurden stets nur als selbstverständliche Voraussetzung für das Funktionieren des Gesamtsystems angenommen. Hat sich in dieser Krise der Nachkriegszeit hier etwas geändert?

3.1 Die Verdrängung der Reproduktionsarbeit der Frauen in der Analyse der Wirtschaftskrise von 1947

Die These von einer tiefer liegenden, außerkonjunkturellen Verursachung der Wirtschaftskrise von 1947 ist nicht neu. Bei ABELSHAUSER heißt es in diesem Zusammenhang:

  • »Zum ersten Mal seit der ersten Berufszählung im Jahr 1882 - wahrscheinlich seit Beginn der Industrialisierung in Deutschland überhaupt - wurde damit (d. h. durch die Wirtschaftskrise von 1947. A. K.) in einem für das Reich repräsentativen Gebiet (Bizone) der stetige Trend der absoluten und relativen Expansion des industriellen Sektors aus anderen als konjunkturellen Gründen aufgehalten und sogar in sein Gegenteil verkehrt.«[18]

Damit verweist ABELSHAUSER indirekt auf den Reproduktionsbereich. Die Frauenarbeit in diesem Bereich wird allerdings nicht thematisiert. Der Zusammenbruch der Infrastruktur, insbesondere des Verkehr, wird als eine Belastung nur für die Produktion begriffen. Die tagelangen Hamsterfahrten der Frauen, die zur Aufrechterhaltung des Haushalts auch auf den Zugverkehr angewiesen waren, bleiben unerwähnt. Eine Erklärung der außerkonjunkturellen Gründe und des steigenden Widerspruchs zwischen Produktionsanstieg und gesamtwirtschaftlichem Zusammenbruch fehlt.
Diese Aussparung der Krise der Frauenarbeit im Reproduktionsbereich als Erklärungsfaktor für die Gesamtwirtschaftskrise von 1947 in der wissenschaftlichen Literatur steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu den zeitgenössischen Äußerungen. Als am 25. 6. 1947 der Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets erstmalig zusammentrat, hatte die Ernährungskrise einen so bedrohlichen Höhepunkt erreicht, daß das Bewußtsein der Überlebensnot, die bange Frage, ob es überhaupt in Westdeutschland den »produktiv tätigen Menschen« auf Dauer geben könne, die Reden des ersten Tages bestimmte. In seiner Eröffnungsrede sprach der Alterspräsident Schluck (CDU) vom Wirtschaftsrat als einem »Kind der Not«.

  • »Er ist nicht geboren aus der Erkenntnis heraus, daß dieser Weg beschritten werden mußte, um dem geschlagenen deutschen Volk wieder eine Zukunft zu geben, sondern er wurde geboren unter dem Druck furchtbarer Wehen, die zu einer Lösung drängten, wenn nicht ein Zusammensturz eintreten soll, aus dem es keinen Ausweg mehr geben würde. Zwei Jahre des Experimentierens habe das deutsche Volk und seine Wirtschaft fast zum Erliegen gebracht. Die Ernährung ist auf einem Tiefpunkt angelangt, auf dem es produktiv tätige Menschen auf die Dauer nicht mehr geben kann...«[19]

In ähnlicher Weise wurde von den anderen Rednern von der »alles überschattenden Ernährungskrise« gesprochen. Es wurde bemängelt, daß die wirtschaftliche Bedeutung der Ernährungsfrage von den Besatzungsmächten nicht erkannt bzw. nicht genügend berücksichtigt würde. In der Politik der Ernährung herrsche eine Politik des »Durchlavierens«:

  • »Wir erleben es heute, daß man die Ernährungsfrage mehr oder minder unter dem Gesichtspunkt betrachtet, als ob wir uns irgendwie durchlavieren müßten. Man sieht heute noch nicht, daß die Ernährung die zentrale Frage ist, daß das einzige volkswirtschaftliche Aktivum, unsere Arbeitskraft, zunächst einmal geschaffen werden muß« (Abgeordneter Blücher, FDB).[20] Für alle Redner stand fest: »Solange das deutsche Volk hungert, wie augenblicklich, solange ist es nicht möglich, wirtschaftliche Leistungen zu vollbringen. ..« (Dr. HOLZAPFEL, CDU).[21]

Es besteht kein Zweifel daran, daß für die Mitglieder des Wirtschaftsrats die Wirtschaftskrise als eine Krise der Reproduktionsbedingungen erfahren wurde. Die Not im Reproduktionsbereich, die Frage nach der Herstellung der Arbeitskraft stand im Zentrum ihrer Reden. Dennoch wäre es voreilig, aus diesen Äußerungen zu schließen, daß sie auch die wirtschaftliche Bedeutung des Reproduktionsbereiches und somit auch der Frauenarbeit erkannt hätten. Ein Zusammenhang zwischen Reproduktions- und Ernährungskrise einerseits und Frauenarbeit andererseits wurde noch keineswegs hergestellt.
Halten wir zunächst einige Fakten fest: Seit dem Katastrophenwinter 1946/47 hatte sich die Reproduktionskrise immer mehr zugespitzt. Alles drehte sich um die Kalorienziffern. Während noch im Winter 1944/45 eine Versorgung mit 2000 Kalorien pro Tag durchschnittlich für die Normalverbraucher möglich war, sank im 2. Quartal 1947 im Ruhrgebiet der Kalorienwert auf 750, d. h. auf einen Wert weit unter der Existenzmöglichkeit, herab. In einem Bericht der Gesundheitsverwaltung der Stadt Hamburg vom 18. April 1947 hieß es:

  • »Eine weitere unerwartete Belastung brachte das Jahr 1946 der Bevölkerung mit der Herabsetzung der Nahrungsrationen auf rund 1 100 Kalorien, eine Maßnahme, die besonders den Normalverbraucher aufs schwerste treffen mußte. Die äußeren Auswirkungen waren ein allgemeiner Rückgang im Körpergewicht, die inneren eine weitgehende Herabsetzung von Vitalität, Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Es beginnt ein Zustrom von Kranken mit schwersten Hungeroedemen zu den Krankenhäusern. Diese haben seit Mai des Jahres ununterbrochen einen Bestand von 200 Personen gehabt und jeweils im Durchschnitt 6 Wochen beherbergt, was einem wöchentlichen Durchschnitt von 170 Personen entspricht. Gestorben sind in der Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 256 der Patienten«.[22]

Aus Meldungen dieser Art war der drohende Zusammenbruch der Reproduktionsbedingungen und der Überlebensmöglichkeiten der Gesellschaft ablesbar. Aus ihnen gingen aber auch die ständig steigenden Arbeitsanforderungen an die Frauen hervor, die Anforderungen, die schließlich zu einer völligen Überforderung und zu einer Krise des Haushalts als Reproduktionsstätte führten. Die Hausarbeit weitete sich in einem bisher unbekannten Maße aus.[23] Frauen gerieten immer mehr in eine »existentielle Zange«.
Trotz dieser stetigen Ausdehnung der Frauenhausarbeit seit '45 und der ebenfalls steigenden existentiellen Bedeutung des Fraueneinsatzes für das Überleben, erfuhr in dieser akuten wirtschaftlichen Krise die kräftezehrende Frauenarbeit eine reale Entwertung. Frauen konnten trotz aller Mehrarbeit mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln »ihre« Aufgabe, die Erhaltung des Lebens, nicht bewältigen. Bei der Ernährung der Bevölkerung waren die tatsächlichen 1050 bis 950 Tageskalorien von jenen 3000, die noch 1946 als Richtschnur gesetzt wurden, immer mehr entfernt. 1946 starben in Hamburg täglich 1,2 Personen an Unterernährung. 10% der Hamburger Bevölkerung litt an akuten Hungeroedemen. Im Januar 1947 sank die Geburtenzahl.[24] Die Behörden sprachen von der »Auswirkung der Rationsverkürzungen vom Frühjahr 1946 auf den Zeugungswillen. Das Familienbudget einer Berliner Arbeiterfamilie vom Dezember 1947 wies Gesamtausgaben von 590,26 RM auf, wobei nur 293,20 DM durch das Einkommen des Ehemannes und die Vergütungen der beiden erwachsenen Kinder gedeckt wurden. Wo kam das restliche »Geld« von 297,06 RM, oder besser der entsprechende »Wert« her? Aus den Unterlagen ist nur zu erfahren, daß Frau B. jeden Monat dreimal Gemüse und Kartoffeln von ihren Eltern aus der britischen Zone holte. Die Reisekosten wurden mit 16 RM veranschlagt. Für die Lebensmittel gab sie den Eltern durchschnittlich 25 bis 30 RM. Sie verkaufte an Bekannte Gemüse zu mäßigen Schwarzmarktpreisen, um mindestens die Unkosten zu decken...[25]
Diese aufwendige Mehrarbeit der Frau reichte nicht mehr aus. Sie war lebensnotwendig, nicht aber lebenssichernd. Sie war nicht eine subsistenzsichernde Mehrheit, die sich beliebig erweitern ließ. Die Frauenarbeit geriet somit 1947 in ihre akuteste Krise seit dem Beginn der Industrialisierung in Deutschland. Die Krise des kapitalistischen Systems verschärfte die Krise der Frauenarbeit in der Subökonomie. Aufgrund dieser Tatsachen läßt sich unsere Ausgangsfrage wieder aufnehmen: Wurde in dieser akuten Krise die Frauen(haus)arbeit als »volkswirtschaftliches Aktivum« erkannt?
Für die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen schien es ganz selbstverständlich, daß in dieser Notzeit die Frauen die Hauptlast trugen. Die Publizistik berichtet ausgiebig von der Überlastung und den »übermenschlichen Kräften« der Frauen:

  • »Der Zweite Weltkrieg hat die Frau wiederum in Positionen gedrängt, die ihr neben den häuslichen Pflichten auch die des Ernährers der Familie und in unendlich vielen Fällen des Gründers einer neuen Existenz aufzwingen. Geliebte Menschen, Hab und Gut sind dem Zerstörungswahnsinn zum Opfer gefallen. Die Härten und Schwierigkeiten, mit denen die Frau heute zu kämpfen hat, haben in der deutschen Vergangenheit keine Parallele. Oftmals steht sie diesen Problemen ratlos gegenüber. Durch Flucht, Ausweisung und Bombenzerstörungen haben diese Frauen die Grundlage ihres Daseins verloren, sie haben keinen Hafen mehr, in dem sie nach des Tages Mühen Ruhe finden und Kraft sammeln könnten für den neuen Tag. Sie sollen etwas auferstehen lassen, das hinter unüberwindlichen Grenzen und unter Bombentrümmern versunken ist. Eine neue Heimat, ein neues Heim! Frauen sind in viel größerem Umfange von ihrer Wohnung und ihren äußeren Lebensverhältnissen abhängig als Männer. In Flüchtlingslagern, Bunkerunterkünften und Kellerbehausungen werden ihre seelischen Kräfte auf Belastungsproben gestellt, die nur starke Naturen überstehen können, ohne zu resignieren... In solchen Verhältnissen müssen Frauen übermenschliche Kräfte entwickeln, um ihren Familien das Leben einigermaßen erträglich zu machen. Wie oft müssen sie beschwichtigen und ausgleichen, obwohl sie selbst der Verzweiflung nahe sind.«[26]

Nach ihrem eigenen Selbstverständnis ebenso wie nach den Erwartungen der Männer sind die Frauen weiterhin allein zuständig für den Aufbau der »neuen Heimat«. Die veränderten Rahmenbedingungen, Zerstörung, Flucht, Not, Schwarzmarkt und Hamsterfahrten werden zwar immer wieder erwähnt; sie werden aber nur als vorübergehende Belastungen für die selbstverständlich von Frauen zu leistende Arbeit angesehen. Die Frage, ob nicht diese privatisierte Hausarbeit eine öffentliche Angelegenheit sei, die frauenpolitische und gesellschaftspolitische Maßnahmen erfordere, blieb ausgespart. Die akute Not wurde auch als Folge der Bombardierungen, der Flucht, des Krieges begriffen. Sie stand in keinem erfahrbaren Zusammenhang mit der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur und den programmatischen antikapitalistischen Äußerungen aller Politiker der ersten Stunde. Es war für die Frauen nicht der Augenblick, um über die Zusammenhänge von Kapitalismus, Faschismus und Antifeminismus nachzudenken. Sie verstanden ihre Aufgabe darin, »übermenschliche Kräfte« zu entwickeln.
Diese Diskrepanz zwischen der täglichen Erfahrung der bis ins Unermeßliche erweiterten Frauenarbeit und der ökonomisch-analytischen Erfassung der Ernährungskrise von '47 als einer Krise der gesellschaftlichen Bedingungen der Frauenarbeit spiegelt sich auch in dem ökonomischen Schrifttum des Jahres 1947 wider. Auch hier stand nicht nur die Produktions, sondern auch die Reproduktions- und Ernährungskrise im Vordergrund. Die Erkenntnis, daß »alle Deutschen - was Nahrung, Heizung und Unterkunft betrifft - auf das niedrigste Niveau herabgesunken (sind), das es jemals in hundert Jahren westlicher Geschichte gegeben hat«, wurde von fast allen Nationalökonomen geteilt.[27] Ebenfalls herrschte ein weitreichender Konsens, daß Kohle nicht automatisch Brot bedeutet, daß die Steigerung in der Produktion keineswegs von selbst zu einer Besserung der Lebensbedingungen führe. Allerdings die weiterreichende Überlegung, daß Brot erst von Frauen »besorgt« werden mußte, fehlte in den volkswirtschaftlichen Berechnungen. Die ökonomische Berechnung der Frauenarbeit mit ihrem spezifischen Zeitrhythmus und ihrem spezifischen personenorientierten Wertbezug gelang nicht. Den »Einheitswert« zur Berechnung des »Arbeitskräftepotentials« stellte weiterhin allein der Mann mit seiner »produktiven«, d. h. allein für die kapitalistische Produktion bemeßbaren Arbeitskraft dar.
Trotz dieser Unfähigkeit der herrschenden Nationalökonomie, die Frauenarbeit zu berechnen, gab es Versuche, die alleinige Orientierung der volkswirtschaftlichen Berechnungen an den Produktionsraten zu überwinden. Im Wirtschaftsbericht von 1947 übte WILHELM BAUER beispielsweise Kritik an den bisherigen Versuchen, aus dem »Bestand an Produktionsmitteln« den Lebensstandard eines Volkes rechnerisch zu ermitteln. Dabei hob er als Fehlerquelle hervor, daß »die ganze Sphäre der Hauswirtschaft« unberücksichtigt bleibe. Die Bedeutung des Haushalts will er aber nur für Länder mit »primitiven Wirtschaftsformen« gelten lassen.[28] Der Lebensstandard für Deutschland des Jahres 1947, dessen Natural- und Subsistenzwirtschaft unter das Niveau »primitiver Wirtschaftsformen« heruntergesunken war, dessen Produktionsentwicklung jedoch auf eine hohe Stufe des Industriekapitals verwies, entzog sich aber auch bei BAUER der genaueren Berechnung. Trotz seiner generellen Hinweise auf die ökonomische Bedeutung der Haushalte, finden auch bei ihm die deutschen Haushalte der Nachkriegszeit keine Beachtung. Deutschland ließe sich nur als kapitalistischer Industriestaat begreifen. Aus dieser Argumentation heraus hat er die »übermenschliche«, wir müssen auch sagen, die vielfach unmenschliche Frauenarbeit bei seiner Berechnung einfach vergessen. Die widersprüchliche Tatsache, daß Deutschland zwar arm, nicht aber unterentwickelt sei, ließ sich mit dem Instrumentarium der Nationalökonomen nicht erfassen. Somit blieb die »Armut«, gegen die die Frauen tagtäglich ankämpften, volkswirtschaftlich unberücksichtigt. Sie konnte bestenfalls zum Gegenstand der Wohlfahrt und der späteren staatlichen Wohlfahrtspolitik werden. Sie entzog sich aber somit der Gesellschaftspolitik und gesellschaftspolitischen Reformvorstellungen.
Frauenarbeit tauchte in den ökonomischen Studien der Zeit nur peripher auf. Frauen galten weiterhin als »Verbraucherinnen.« Dabei wurde den Frauen ein geringerer Einheitswert als dem Manne zugeschrieben: »als Einheit gilt der erwachsene Mann, Frauen und Kinder dagegen werden niedriger bewertet«. Gegenstand der volkswirtschaftlichen Berechnung und der gesellschaftspolitischen Spekulation blieb in diesen Jahren nur der sogenannte Frauenüberschuß. Die ökonomischen und gesellschaftspolitischen Überlegungen zu den Folgen des Frauenüberschusses sind aber, wie die folgende Prognose zur künftigen Lage der alleinstehenden Frauen zeigt, irreführend, da auch bei BAUER die Subökonomie unbeachtet, allein die Produktion einbezogen blieb.

  • »Die Zahl der arbeitenden Frauen wird daher sehr stark zunehmen. Die Zahl der Frauen im erwerbsfähigen Alter (15 bis unter 65 Jahre) ist heute schon um 4 Millionen oder 19 v. H. größer als vor dem Krieg. Rechnet man, daß der Prozentsatz der erwerbstätigen verheirateten und unverheirateten Frauen innerhalb der verschiedenen Altersgruppen ebenso hoch sein wird wie vor dem Krieg, so ergäbe dies ein gesamtes Angebot an weiblichen Arbeitskräften von 14,4 Millionen, das sind 3,3 Millionen oder etwa 30 v. H. mehr als 1939 (auf dem gleichen Gebiet wie heute). Die Hauptlast der Arbeitslosigkeit und des Kampfes um die Existenzmöglichkeiten, mit denen angesichts der Übervölkerung Deutschlands gerechnet werden muß, fällt deshalb auf die Schultern der Frauen, besonders der Frauen zwischen 20 und 40 Jahren. Eine Neuverteilung der Geschlechter auf die einzelnen Berufe ist unvermeidlich. Anfänge dieser Entwicklung sind jetzt bereits zu beobachten (Enttrümmerung der Städte). Viele Berufe, die nach alter Tradition ausschließlich Männern vorbehalten waren, werden sich mit Frauen auffüllen, so vor allem handwerkliche Berufe. In den Berufen, in denen bisher schon Männer und Frauen nebeneinander gearbeitet haben (so in vielen Industrien, im Einzelhandel, im Gastgewerbe usw.) werden in Zukunft die weiblichen Arbeitskräfte überwiegen. Denn die bisher typischen Frauenberufe: Hauswirtschaft, Gesundheitspflege, Fürsorge, Erziehung, Angestelltenberufe und bestimmte Berufe in der Industrie werden alles in allem nur begrenzte Möglichkeiten bieten, das zusätzliche Angebot an weiblichen Arbeitskräften aufzunehmen. Auch die gesellschaftliche Struktur wird künftig durch den Frauenüberschuß nachhaltig beeinflußt werden. Wenn Millionen von Frauen von der Ehe ausgeschlossen sind, wird die Frauenfrage mit allen ihren Problemen: gesellschaftliche Stellung der unehelichen Mutter und des unehelichen Kindes usw. erneut aufgerollt werden. Auch wird man die rechtliche Stellung der Frau, soweit dies noch nicht geschehen ist, den Gegebenheiten anpassen müssen. Die selbständige alleinstehende Frau wird nicht mehr Ausnahme, sondern Massenerscheinung sein.«[29]

Die Aussagen von BAUER sind typisch für die Art der Beachtung der Frauenarbeit in dem nationalökonomischen Schrifttum der Nachkriegszeit. Wir wissen, daß die künftige gesellschaftliche Struktur keineswegs durch den Frauenüberschuß »nachhaltig beeinflußt wurde«. Vielmehr wurde im Gegensatz zu den Überlegungen des Wirtschaftsberichts von 1947 in den 50er Jahren die alleinstehende Frau trotz ihrer numerischen Größe zu einer gesellschaftlichen Anormalität, die Frau als Familien-Ehefrau und Mutter zur gesellschaftlichen Norm.

Wir gelangen somit zu einem widerspruchsvollen Ergebnis:

  • 1. Das Krisenjahr 1947 ist ohne den drohenden Zusammenbruch im Reproduktionsbereich, den »alles überschattenden Hunger« einerseits und die »übermenschliche« Frauenarbeit nicht zu verstehen. Die Krisenursachen liegen primär im Reproduktions-, nicht im Produktionsbereich. Dennoch wird die von Frauen erbrachte »übermenschliche« Arbeit als eine weiterhin selbstverständliche Leistung betrachtet, die Frauen aufgrund ihres Wesens, ihrer Opferbereitschaft, Güte und Mütterlichkeit erbringen. In diesem Sinne sprach der Abgeordnete HOLZAPFEL (CDU) in der schon zitierten Rede vom 25. 6. 1947 den deutschen Hausfrauen »neben den arbeitenden Menschen« seine Anerkennung für ihren Opfermut aus: Ich darf in diesem Zusammenhang sagen: genau so anzuerkennen ist neben den arbeitenden Menschen auch der Opfermut der deutschen Hausfrauen.... (die) nicht wissen, was sie ihren Männern und ihren Kindern zu essen geben sollen...[30]
    Wie die übrigen Redner dieses Tages setzte er die Reproduktionsleistungen der Frauen, ihre alleinige Zuständigkeit für die Ermöglichung der Reproduktion des Daseins als selbstverständlich voraus. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wurde weiterhin als Naturgröße, die weibliche Arbeitskraft als eine unerschöpfliche Naturressource betrachtet. In diesem Kontext wird auch verständlich, warum die Ernährungskrise primär als eine Naturkatastrophe angesehen wurde, die nicht durch gesellschaftspolitisches Handeln beeinflußbar sei. Es überrascht daher nicht, wenn die Rede des Abgeordneten HOLZAPFELs in der Klage gipfelt:
    »Man erkennt nicht, daß wir vor allen Dingen Sehnsucht danach haben, wieder ehrlich zu werden, ehrlich, indem wir durch eine ausreichende Ernährung in die Lage versetzt werden, das, was wir essen, zu bezahlen - wir wollen nicht Kostgänger sein ehrlich aber auch im eigenen Volk; denn es ist entsetzlich zuzusehen, daß die Menschen, die ein langes Leben in Ordnung und Anstand verbracht haben, moralisch sich selbst vor die Hunde bringen.«[31] die »ausreichende Ernährung« bleibt Voraussetzung, nicht Gegenstand des volkswirtschaftlichen Denkens in einem »entwickelten« Land.
    2. Die Wirtschaftskrise '47 wurde zwar als eine Krise im Reproduktionsbereich erfahren; sie wurde allerdings nicht als eine solche begriffen. Eine Beziehung zwischen Reproduktionskrise und Krise der Hausfrauenarbeit wurde nicht hergestellt. Die widersprüchlichen Entwicklungen in dem Produktions- und Reproduktionsbereich in den Jahren 1945 bis 1947, die relativ stetige Aufwärtsentwicklung in der Produktion gegenüber der stetigen Abwärtsentwicklung im Reproduktionsbereich, waren nicht thematisierbar, da die Frauenarbeit im Reproduktionsbereich weiterhin als unerschöpfliche Naturgröße verstanden wurde. Daher blieb diese Disproportionalität in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung unbeachtet. Aus dieser Wahrnehmungsweise heraus ist es nicht verwunderlich, daß von einer Politisierung der Bedürfnisse des Reproduktionsbereichs und insbesondere der Bedürfnisse der Frauen, wie wir sie ansatzweise aus der Arbeitergeschichte kennen (es sei hier vor allem an Kampf um den 12-, später um den 8-Stunden-Tag gedacht), in der wirtschaftlichen Krisensituation der Nachkriegszeit nicht die Rede sein kann. Das Neben- und Gegeneinander von Produktionssteigerungen und primitivster, primär weiblicher Subsistenzwirtschaft, die Vorrangigkeit der nicht konsumtiven Industriezweige bei der Wirtschaftsplanung gingen zwar seit 1945 immer mehr zu Lasten der Frauen; diese Entwicklung wurde aber weder in ihrer frauenspezifischen Dimension noch in ihrer gesellschaftspolitischen Dimension erkannt. Daher genügte es in dieser Zeit, den Frauen für ihr aufopferungsvolles Tun öffentlich zu danken; mehr verlangten sie auch scheinbar nicht.

Frauen in der Geschichte V                                        Frauen in der Geschichte V
Tabelle 2: Kalorienwert der Lebensmittelrationen (erwachsener »Normalverbraucher« - pro Kopf) in der britischen Zone (arithmetisches Mittel der Sollzahlen der Zuteilungsperioden)* (Grafik: Gerhard Seidel)

1936 2 400 Kalorien** 100%
1945 1 502 62,6%
1946 1 397 58,2%
1947 1 419 59,1%
1948 1 574 65,6%

* Die Zahlen der amerikanischen und französischen Zone ergeben ein vergleichbares Bild
** Vom Völkerbund ermittelter Mindestwert (pro Kopf und Tag für Erwachsene ohne besondere Arbeitsbelastung

3. Die Ausweitung der Reproduktionsarbeit der Frauen und die immanenten Grenzen ihrer Mehrarbeit gehörten somit zu einer Erscheinung, die Frauen zwar betraf, nicht aber Zweifel an den Funktionen des weiblichen Haushalts und der Gültigkeit der weiblichen Geschlechterideologie aufkommen ließen. In diesem Sinne kommt ROTHENBERGER in seiner Studie zur Ernährungskrise 1947 zum Ergebnis:

  • »Auf den Schultern der Hausfrauen und Mütter ruhte die Hauptlast der Ernährungskrise. Ob das Familienleben weiter funktionierte, hing meist von der Kraft und Duldungsfähigkeit der Frauen ab. Sie beschafften, verteilten und kontrollierten die Lebensmittel und trugen damit die ganze nervliche und seelische Belastung, die mit der Ernährungskrise verbunden war. Die Gefahr, zum Prellbock unzufriedener und hungernder Familienmitglieder zu werden, war groß. Meist konnten die Kinder und der Ehemann nur dadurch halbwegs zufriedengestellt werden, daß die Mutter auf einen Teil der ihr zustehenden Rationen verzichtete. Zwar können Frauen physiologisch mit einem geringeren Kaloriensatz auskommen, aber die körperliche Belastung der Frau war, wenn man die langen Hamsterfahrten, die Holzsuche und das aufreibende Schlangestehen vor den Lebensmittelgeschäften bedenkt, sehr viel höher als in Normalzeiten. Die Hausfrauen und Mütter waren das letzte Glied in der Ernährungskette und haben physisch und seelisch die schwerste Last getragen. Wie sehr auch sie unter ernährungsbedingten Erschöpfungszuständen litten, sei am Beispiel jener Frau gezeigt, die ihre Fleischration stets für den großen Wasch tag reservierte, um die Arbeit überhaupt bewältigen zu können.«[32]

Diese Mehrarbeit der Frauen bleibt weiterhin privatisiert und somit gesellschaftspolitisch folgenlos. Das Urteil von ROTHENBERGER ist vordergründig zutreffend: die Hausfrauen und Mütter waren »das letzte Glied in der Ernährungskette«. »Wieso eigentlich?«, wäre aber auch hier zu fragen. Eine Antwort hierauf ist aber in dem Interpretationsrahmen von ROTHENBERGER nicht möglich, denn diese Frage setzt die Chance einer Veränderung der Geschlechterrollenideologie voraus.

3.2 »Wir haben aus Nichts noch etwas gemacht« zur Ambivalenz der Frauenarbeit in der Wirtschaftskrise von 1947

Unser Bild der stillen Frauenarbeit, die in der Nachkriegszeit die Reproduktionsbasis der Gesellschaft notdürftig sicherte, bleibt unvollständig, wird nicht der extensiven Frauenarbeit im Rahmen der vielfältigen Strategien der Besatzungsmächte, der deutschen Behörden, der politischen Organisationen der Parteien, der Gewerkschaften, der Konsumgenossenschaften, der Kirchen und Verbände zur Behebung der extremen Not der Zusammenbruchsgesellschaft nachgegangen. Denn bisher haben wir nur auf die ideologisch verzerrte Wahrnehmungsweise der Frauenarbeit hingewiesen, die trotz der veränderten Realität zu einer weiteren Tradierung geschlechtsspezifischer Stereotypen und zu einer Unsichtbarmachung der gesellschaftlichen Dimension der Frauenarbeit führte. Diese ideologische Verschleierung der Frauenarbeit im erweiterten Reproduktionsbereich steht aber in Verbindung mit der faktischen Hinzuziehung von Frauen durch diese Instanzen, um die tägliche Not zu bewältigen.
An dieser Stelle kann auf die erweiterte Frauenarbeit in den Frauenausschüssen, in politischen Körperschaften auf lokaler und regionaler Ebene, in konfessionellen Gruppen und Wohlfahrtsverbänden, in den Parteien, Gewerkschaften und Konsumgenossenschaften nicht eingegangen werden. Es muß hier genügen festzuhalten, daß die Besatzungsmächte und die deutschen Behörden auf diese erweiterte Frauenarbeit angewiesen waren, sollte sich die akute Not, insbesondere die prekäre Ernährungslage nicht zu einer Katastrophe ausweiten oder, wie von den
Besatzungsmächten befürchtet, zu größeren Unruhen führen. Wir können nur noch die Frage aufwerfen, ob sich durch diese Frauentätigkeiten die wirtschaftspolitischen Prioritäten zugunsten der gesellschaftlichen Anerkennung der Reproduktionsarbeit der Frauen und einer Aufbrechung der Geschlechterstereotypen geführt hat.
Diese Frage nach einer möglichen Neubestimmung der geschlechtsspezifischen Arbeitszuweisungen stellt sich gerade im Hinblick auf die Wirtschaftskrise 1947 mit besonderer Schärfe. Denn seit dem Frühjahr 1947 erfolgte von seiten der Besatzungsmächte und der deutschen Behörden notgedrungen eine veränderte Prioritätensetzung in den wirtschaftlichen Entscheidungen. Eine Stützung des Reproduktionsbereichs, man denke nur an die Einführung des Punktsystems als eines Förderungsanreizes im Kohlebergbau, an die neuen Wohnungsbauprogramme, an die Sonderzuteilen von Speck, Kaffee, Zigaretten, Zucker und Schnaps, die Care-Paket-Aktion seit 1947, an die Verstärkung der Wohlfahrtsprogramme usw., war unausweichlich. Eine Prioritätensetzung der wirtschaftspolitischen Entscheidung zugunsten des Bedarfs der Bevölkerung, d. h. eingreifendere Strukturveränderungen schienen 1947 unumgänglich. Die Überproduktion an Investitionsgütern, der weltweit eine Unterproduktion an Nahrungsmitteln gegenüberstand, stellte in der Krisensituation von 1947 die bisherigen wirtschaftlichen Maßnahmen zugunsten der Produktionssteigerung in Frage. Nun stand die »gesamte ökonomische Front«, d. h. auch die Nahrungsmittelproduktion zur Disposition. D. h. die Frage, ob eine Kapitalakkumulation weiterhin auf Kosten der Frauenarbeit im Reproduktionsbereich politisch und wirtschaftlich durchführbar sei, ließ sich 1947, im Jahre der Hungerstreiks und Massendemonstrationen gegen die Not, nicht mehr zurückdrängen.
Die Politik des Krisenmanagements im Jahre '47 zeichnete sich insgesamt als eine Politik der Einzelmaßnahmen aus, um strukturelle Änderungen zu verhindern. Es sei nur an den Bereich der Bodenreform, der Entkartellisierung, der Sozialisierung oder der Reform des Geldwesens gedacht. Zu Recht wird von einer Politik der Präjudizierung durch das Verbot des Präjudizes gesprochen, von einer Politik der Notmaßnahmen, um das vornehmliche Ziel der Restitution der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mit ihrer subökonomischen Basis in der frauenzentrierten Familie nicht zu gefährden. Daher kann nur begrenzt von einer neuen Prioritätensetzung im Krisenjahr '47 gesprochen werden. Die Devise lautete: »Speck statt Sozialisierung«. Die Arbeitskraft sollte erhalten bleiben, die grundsätzliche Gleichgültigkeit des Kapitals gegenüber den Reproduktionsbedingungen sollte aber nicht tangiert werden. Für die Frau hieß es: die Frauenarbeit für die Reproduktion mußte weiterhin unsichtbar bleiben. Eine Politisierung der erweiterten Frauenarbeit blieb insgesamt aus.
Frauen waren stolz darauf, noch aus Nichts etwas gemacht zu haben. Diese Arbeit sollte nach der gesellschaftspolitischen Vorstellung der Nachkriegszeit auch nicht zählen. Auch die Frauen haben ihre Mehrarbeit für die Reproduktion nicht eingeklagt. Sie forderten zwar größere Gleichberechtigung im öffentlichen Bereich, wollten aber ihren »natürlichen Platz zu Hause« nicht mit den Männern teilen. Typisch ist hier wieder die Aussage von INGRID GAMER, die trotz der Krise '47 darauf vertraute, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ganz von selbst stabilisieren, daß sich somit auch die natürliche Rollenzuteilung als »gesunder Ausgleich« wieder einstelle.

  • »Werden von der Frau die Pflichten der Männer verlangt, so müssen ihr auch die Rechte eingeräumt werden. Prüfen wir die Verfassungen der einzelnen Länder, so sind ihr diese Rechte zwar zugesichert, aber die entsprechenden Gesetze lassen auf sich warten. Dies gilt besonders für die verheiratete Frau, die vor dem Gesetz nach wie vor ziemlich rechtlos ist. Die Staatsführung muß sich darüber klar sein, daß die Berufstätigkeit der Frau in den kommenden Jahren noch mehr zunehmen wird, da nach dem ungeheuren Aderlaß des Krieges nicht für alle jungen Mädchen die Möglichkeit zur Gründung einer eigenen Familie besteht. Ganz abgesehen davon wird es in vielen Fällen für die Frauen nach wie vor notwendig sein, ihren Anteil zu den Lebenshaltungskosten beizutragen. Die überlebten Anschauungen der unerwünschten Konkurrenz in allen Berufen sollten endgültig beseitigt werden, um den gesunden Ausgleich zu schaffen.«[33]

Dieses Vertrauen auf die natürliche Entwicklung der Wirtschaft ging Hand in Hand mit der Annahme einer »gewissen Rückentwicklung« in der weiblichen Berufstätigkeit und einer Zurückführung der Frauen an ihre »natürliche« Stelle. Zugleich hofften Frauen wie INGRID GAMER auf eine neue »tatkräftige, verantwortungsvolle und sich ihrer Individualität bewußten« Frauengeneration, »die sich in keinerlei Schablone zwingen läßt.

  • »Gewiß ist es nicht erstrebenswert die Frauen aus ihrer natürlichen Atmosphäre herauszureißen und ihnen Pflichten der Männer aufzuerlegen, aber die Verhältnisse scheinen dazu zu zwingen. Sollten sich in einigen Jahrzehnten die Lücken etwas geschlossen haben und die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland als einigermaßen stabilisiert angesehen werden können, wird sich ganz von selbst eine gewisse Rückentwicklung einstellen. Daß heute eine völlig neue Generation Frauen heranwächst, unterliegt keinem Zweifel. Der überlebte Typ der »züchtigen Mutter und Hausfrau« stirbt vollends aus und macht einer tatkräftigen, verantwortungsvollen und sich ihrer Individualität völlig bewußten Generation Platz, die sich in keinerlei Schablone zwängen läßt«.[34]

Deutlich werden hier die Widersprüche in dem Frauenleben in der Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. In den Selbstzeugnissen der Frauen heißt es immer wieder- »Wir haben nichts als gearbeitet, wir haben aus Nichts noch etwas gemacht.«[35] Diese Arbeit ist aber nach ihrem Selbstverständnis völlig abgehoben von der Ebene der Politik und der Wirtschaft. Sie wird als Arbeit erfahren, nicht aber als Arbeit im politikökonomischen Sinne begriffen. Frauen erfuhren in diesen Jahren ihre individuelle Stärke; sie begriffen diese Stärke nicht als politische Macht und als Chance, geschlechtsspezifische Rollenverengungen im Hinblick auf beide Geschlechter in einem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu überwinden.
Damit gelangen wir zu dem frauen- und gesellschaftspolitischen Aspekt der dualen Ökonomie der Gesellschaft. Aus der Sicht der dualen Ökonomie kann erkannt werden, daß der »Typ der züchtigen Mutter und Hausfrau« von den ökonomischen Bedingungen her noch lange nicht überlebt ist. Die gesellschaftliche Ohnmacht der Frauen kann erst überwunden werden, wenn sie nicht weiterhin im blinden Vertrauen auf die Richtigkeit der gesellschaftlichen Ordnung und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ihre ganze Arbeitskraft den Verwertungsinteressen des Kapitals unterwerfen. Denn auch ihre »private« Reproduktionsarbeit wurde, wie die Krise von '47 zeigt, einseitig in den Dienst des Kapitals, nicht eines gesamtgesellschaftlichen Neubeginns gestellt, eines Neubeginns, der nicht vor der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung haltmacht.

4. Chancen einer Neubewertung der Frauenarbeit in der Nachkriegszeit. Rückfragen an den Interpretationsansatz der dualen Ökonomie

Eingangs wurde die These aufgestellt, daß der Interpretationsansatz der dualen Ökonomie manche Widersprüche, Ungereimtheiten und Unrichtigkeiten in der bisherigen Forschung zur Nachkriegsgeschichte aufzuheben vermag, gleichzeitig aber auch die in der Forschung vorherrschende Annahme von der Kontinuität der sozio-ökonomischen und ideologischen Strukturen über das Jahr '45 hinweg bestätigen und um den Aspekt der strukturellen Kontinuität im Bereich der Reproduktion vertiefen könne. Somit sei dieser Ansatz geeignet, neue Einsichten sowohl im Hinblick auf die Frauengeschichte als auch auf die allgemeine Geschichte zutage zu fördern. Inwieweit konnten diese weitreichenden Erwartungen eingelöst werden?
Gewiß sind auf der Basis dieses Beitrags nur Andeutungen möglich. Dennoch erwies sich am Beispiel einer ersten Analyse der Wirtschaftskrise von 1947, daß aus der Sicht der dualen Ökonomie bisherige Interpretationsgrenzen überwunden werden konnten. So zeigt sich beispielsweise, daß die fast übermenschliche Frauenarbeit in der akuten Reproduktionskrise der Nachkriegszeit nicht als eine heroische Ausnahmetätigkeit, sondern als Ausdruck der kapitalistischen Krisen und der strukturellen ungleichen sozioökonomischen Lage der Frauen in kapitalistischen Gesellschaften zu werten sei. Die subjektiven Erfahrungen der weiblichen Stärke in der Familienökonomie waren eng mit den Ohnmachtserfahrungen der Frauen gegenüber einer kapitalistischen Restitution verbunden. Diese Erfahrungsbasis blieb aber durch das Medium der Familienorientierung individualisiert; sie entwickelte sich weder zu klassen- noch zu frauenspezifischen Solidaritäten und Handlungen.
Aus dieser Sicht der dualen Ökonomie wurden manche Widersprüche im Frauenleben und in der allgemeinen Geschichte dieser Formationsphase in neuer Weise interpretierbar. In diesem Sinne konnten die Widersprüche zwischen weiblicher Stärke und weiblicher Schwäche als subjektive Verarbeitungen und stereotypisierte Spiegelungen der Widersprüche der Gesellschaft begriffen werden, die die Frauenarbeit in der Subökonomie existentiell brauchte, sie aber nicht politikökonomisch anzuerkennen fähig bzw. bereit gewesen ist. Auch die Widersprüchlichkeit in der Charakterisierung der Nachkriegsgesellschaft im Sinne der Kontinuität einerseits, des Zusammenbruchs andererseits gewann aus der Sicht der dualen Ökonomie an Plausibilität. Denn erst aus der dualen Sicht der Ökonomie wird die Gleichzeitigkeit von entwickelten kapitalistischen Strukturen und archaischen Formen der Subsistenzwirtschaft in der einen Nachkriegsgesellschaft erfaßbar. Kurzum: Die eingangs geäußerte Kritik an alltags- und wirtschaftsgeschichtlichen Ansätzen und an dem Modell der Familienökonomie konnte ansatzweise bestätigt werden.
Allerdings stoßen wir mit diesem Ansatz der dualen Ökonomie an methodische und gesellschaftstheoretische Grenzen. Gewiß ist es von Bedeutung, an dem bisher erzielten Ergebnis festzuhalten, daß das weibliche »Arbeitskräftepotential« in der Forschung zur deutschen Nachkriegszeit nicht angemessen erfaßt wird, da es sich nicht nach den Erfordernissen des Produktionssektors allein berechnen läßt. Diese Aussage führt uns aber an methodische und gesellschaftstheoretische Grenzen, die zwar durch den Ansatz der dualen Ökonomie erkennbar, allerdings erst durch eine feministische Gesellschaftstheorie voll erfaßbar werden. Denn wie läßt sich weibliche Arbeit bemessen? Wie läßt sich eine Gesellschaft theoretisch fassen, die dem Prinzip der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung aufkündigt? Wir geraten hier an begriffliche Grenzen, die sich nur unvollkommen mit dem Hinweis auch nachpatriarchalische Strukturen und Begriffe aufbrechen lassen.
Erinnern wir uns noch einmal an den Ausgangspunkt: Die Erwartungen einer gesellschaftlichen Erneuerung nach den Erschütterungen durch den Krieg und den Faschismus waren unmittelbar nach 1945 groß. Nach weniger als zwei Jahren standen Frauen und Männer »erschüttert vor dem Ergebnis« der allzu raschen Restauration.[36]
Dieses Urteil der Zeitgenossen, das in den neueren Forschungen zur Nachkriegsgeschichte bestätigt wird, findet aus der Sicht der dualen Ökonomie eine weitere Unterstützung. Die Kritik an dem Scheitern einer politischen Neuorientierung nach '45 und an der »raschen Restauration einer 1947 schon längst ausgebildeten politischen Denkungsart, für die sich das Dritte Reich lediglich als eine flüchtige, wenn nicht gar zufällige Episode darstelle«[37] , erfährt eine neue, bisher kaum beachtete Dimension. In dieser Sicht tritt die nach 1945 weiterhin unreflektierbar übernommene Annahme einer »natürlichen« geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und einer ihr entsprechenden Geschlechterrollenzuweisung als wesentlicher Faktor hervor, der im Verein mit anderen bekannteren Momenten dazu beitrug, daß eine gesellschaftliche Neuorientierung und eine Distanzierung vom Faschismus 1945 verhindert wurde.
In fast allen Verlautbarungen in der Nachkriegszeit wurde auf den Faktor »menschliche Arbeitskraft« hingewiesen. Noch am 22. April 1948 erklärte die SPD-Fraktion im Wirtschaftsrat im Hinblick auf den Marshall-Plan, daß der »wichtigste Faktor der deutschen Wirtschaft heute die Arbeitskraft (sei)«.

  • »Die deutschen arbeitenden Menschen müssen unter allen Umständen, sowohl physisch als auch seelisch, aus dem Zustand allgemeiner Hoffnungslosigkeit befreit werden. Sie bedürfen dazu nicht nur ausreichender Ernährung, Bekleidung und Behausung, sondern vor allem der Gewißheit, daß die Produkte ihrer Schaffenskraft dem gesamten deutschen Volke und nicht nur einer bevorrechteten kleinen Minderheit zugute kommen«.

Ihr Rezept war ein abstrakt gefaßtes Sozialisierungsprogramm. Welche Beziehung hatten aber diese Forderungen zu den »Umständen« der Menschen?
Bei der Durchsicht der zahlreichen kapitalismus-kritischen Dokumente dieser Art, die eine Orientierung der Wirtschaft an die Lebensbedingungen der Menschen proklamieren, ist immer wieder überraschend, wie weit sich diese Programmatik von Lebensbedürfnissen der Frauen und somit von den Reproduktionsbedürfnissen der Bevölkerung entfernt hatte.[38] Der gesellschaftspolitische Blick für die Reproduktionsbedürfnisse der Gesellschaft blieb in der Nachkriegszeit, trotz der akuten Not weiterhin verstellt. Die stillen Überlebensarbeiten der Frauen deckten diese gesellschaftliche Bedürfnisbasis zu: sehr zum Nachteil der Frauen und der Erneuerungsmöglichkeiten der deutschen Nachkriegsgesellschaft.
Eine Neubewertung der Frauenarbeit erfolgte nach 1945 nicht. Der Blick auf die Wirtschaftskrise dieser Zeit macht jedoch deutlich, daß eine Neubewertung nötig und möglich ist.

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