Frauenmehrheit verpflichtet

Überlegungen zum Zusammenhang von erweiterter Frauenarbeit und kapitalistischem Wiederaufbau in Westdeutschland

1. Zur Verflechtung von »Alltag« und »Politik«

Der aktuelle Stand der Diskussion um die deutsche Nachkriegsgeschichte ist symptomatisch für die Mißachtung der Bedeutung der privaten Reproduktionsarbeit als ökonomische Basis kapitalistischer Produktion. Es ist angesichts der kaum noch zu überblickenden Fülle der Literatur zur Nachkriegszeit geradezu verblüffend und entlarvend für die ideologische Verhaftung wissenschaftlicher Arbeiten in patriarchalischen Denkstrukturen, daß bisher keiner der betreffenden Autoren auf die Idee kam, die Frage nach der politisch-ökonomischen Relevanz der Hausarbeit in der Nachkriegszeit und ihrer Bedeutung für den (kapitalistischen) Wiederaufbau zu stellen.
Dieses Defizit ist um so erstaunlicher, als die Entbehrung, der Mangel am Lebensnotwendigsten, die krasse Not der Bevölkerung in den ersten Nachkriegsjahren als Determinante der späteren gesellschaftlichen Entwicklung zur Reetablierung des kapitalistischen Systems immer wieder angeführt werden, wenn es darum geht, die angebliche politische Apathie der Bevölkerung und die mangelnde Konzentration »linker« Politiker auf die gezielte Verfolgung eines antifaschistischen, demokratischen gesellschaftlichen Neuaufbaus zu erklären. Ganz so, als hätte die Bedürfnisbefriedigung, die Sicherung menschlicher Existenz der »gesellschaftlichen Demokratisierung« im Wege gestanden und »politisches« Handeln blockiert, als hätten die »Banalitäten« des Nachkriegsalltags eine Konzentration auf »Wichtigeres« verhindert.
Was aber ist bei einer solchem Denken immanenten Abkoppelung des »Alltags« von der »Politik« überhaupt noch der Sinn politischen Handelns? Politischem Handeln vorgeschaltet ist doch zunächst einmal die Erhaltung und Sicherung menschlichen Lebens, oder vielmehr: Lebenserhaltung und Lebenssicherung ist bereits politisches Handeln, nur geschieht solches Handeln meist unreflektiert, ohne die Einsicht in seinen Stellenwert für das gesellschaftliche Ganze.
Solange dieser Stellenwert aber unbegriffen bleibt und das »Leben« von der »Politik« getrennt erscheint, müssen Begriffe wie Demokratisierung zwangsläufig formal und inhaltsleer bleiben.
Eine kritische Rekonstruktion der Nachkriegszeit aus frauengeschichtlicher Perspektive, die - ausgehend von aktuellen demokratischen Defiziten, in unserem Fall der nach wie vor bestehenden gesellschaftlichen Diskriminierung der Frau - nach den Gründen für die ungebrochene Kontinuität patriarchalisch-kapitalistischer Gesellschafts- und Bewußtseinsstrukturen fragt, muß demnach die vertrauten, aber künstlichen Trennungen von »Alltag« und »Politik«, »Leben« und »Arbeit«, »Privatheit« und »Öffentlichkeit« aufbrechen und die Interdependenz von menschlichem Alltagsleben und politischökonomischen Machtverhältnissen in den Blick nehmen.
In Anknüpfung an die von der Frauenforschung initiierte Diskussion um die Haus(frauen)arbeit als unverzichtbaren Bestandteil kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme sollen in diesem Beitrag die bisher gewonnenen theoretischen Hypothesen an der Geschichte der Frauenarbeit in der Nachkriegszeit überprüft, konkret: die Interdependenz von Hausarbeit und gesamtgesellschaftlicher Entwicklung und die Verknüpfung von privater Haus(frauen)arbeit und weiblicher Lohnarbeit untersucht werden.[1]

2. Auswirkungen ökonomischer Krisen auf die Frauenarbeit

Ökonomische Krisen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf das Leben, auf die Arbeit der Frauen. Was sie für die berufliche Situation der Frauen bedeuten, ist allgemein bekannt und wird ja gerade in der aktuellen Krisensituation von vielen Frauen (auch von den meisten der Autorinnen dieses Bandes) am eigenen Leib erfahren: noch weniger Aussichten als sonst auf einen qualifizierten Arbeitsplatz, verringerte Aufstiegsmöglichkeiten, ein stark reduziertes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen, eine verstärkt propagierte »Besinnung« auf die traditionelle Rolle als Hausfrau und Mutter, massiv »unterstützt« von flankierenden politischen Maßnahmen wie Streichung und Verteuerung von Kindergärten und -horten, Streichung des Mutterschaftsurlaubs, Stop von Reformversuchen wie Tagesmütter-Modell usw.
An dieser Aufzählung wird aber bereits deutlich, daß nicht nur die berufliche Situation der Frau, sondern auch ihr anderer Arbeitsbereich (der dann immer verstärkt ihr »eigentlicher« bzw. ihr »natürlicher« heißt) von den konjunkturellen Schwankungen nicht unberührt bleibt. Die Frauenzeitschriften bringen schon seit einiger Zeit wieder Tips zur Entlastung des knapper werdenden Haushaltsbudgets, die natürlich ein Mehr an zeitlichem Aufwand für die Hausarbeit bedeuten, schon das Einkaufen nimmt durch das Aufspüren günstiger Preise und Sonderangebote immer mehr Zeit in Anspruch, die Schließung von Kindergärten bedeutet vermehrte Beschäftigung mit dem Kind oder den Kindern, kurz: die Krise zieht Veränderungen auch in der Reproduktionssphäre nach sich, die Hausfrau paßt ihre Arbeit an die veränderten Rahmenbedingungen an, was für sie ein Mehr an Arbeitsaufwand bedeutet.
Die Verflechtung von Haus- und Lohnarbeit, die Abhängigkeit der kapitalistischen Ökonomie von der »Ökonomie des Hauses« wird in solchen Krisensituationen besonders deutlich, der ideologische Gehalt der Gleichsetzung von (männlichem) Lohneinkommen und familialer Existenzsicherung offensichtlich.

3. 1945: Ein Einschnitt im Leben der Frauen?

Was bedeutete die Nachkriegszeit - als eine spezifische Krisensituation besonderen Ausmaßes - für die Frauen? Inwiefern veränderte sich ihr Leben, ihre Arbeit durch das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Niederlage des Faschismus?
Das Jahr 1945, das Kriegsende war ein von vielen äußeren und inneren Faktoren beeinflußter Einschnitt unterschiedlichen Inhalts im Leben einzelner Bevölkerungsgruppen:

  • die Befreiung für die verschleppten Zwangsarbeiter(innen), Widerstandskämpfer(innen) und Verfolgten;
  • die Möglichkeit der Heimkehr für die Emigrant(inn)en;
  • die Niederlage und Angst vor Bestrafung für die Nazis und Mitläufer(innen);
  • die Flucht oder Vertreibung für die Bevölkerung der ehemaligen deutschen Ostgebiete;
  • das Ende unmittelbarer Lebensbedrohung durch Bomben und sonstige Kriegshandlungen für die Soldaten und den überwiegenden Teil der Zivilbevölkerung.

Die Bedeutung des Kriegsendes für »die« Frauen läßt sich also nicht verallgemeinern. Sie war so unterschiedlich wie die politische, berufliche, familiale Situation der betroffenen Frauen.
Eines aber war allen gemeinsam: das Kriegsende bot Gelegenheit zur Bestandsaufnahme, nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Bereich, die in vielen Fällen eine Bilanz der Zerstörung, des Verlustes war. Für den größten Teil der Bevölkerung stellte sich das Kriegsende nicht als »Neuanfang«, sondern als »Zusammenbruch« dar. Zusammenbruch nicht nur ihrer politischen Vorstellungen, sondern auch all dessen, was ein »geregeltes Leben« ausmacht:

  • als Vernichtung der Wohnung, des »Zuhause«, der Nachbarschaft, des Wohnviertels;
  • als Gefährdung der beruflichen Existenz, der begonnenen Berufsausbildung, der Aussicht auf einen Studienplatz;
  • als Zerstörung oder schwere Erschütterung menschlicher Beziehungen, auch und vor allem der ehelichen und familialen Beziehungen.

Mit dem Kriegsende waren viele zurückgeworfen auf einen Nullpunkt, auf einen Zustand, der vom Kampf ums Überleben und von quälender Ungewißheit über die Zukunft geprägt war. Schon bald nach der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Alliierten kam es zu akuten Ernährungsengpässen. War während des Krieges die Lebensmittelversorgung der deutschen Bevölkerung auf Kosten der Zwangsarbeiter(innen), der Kriegsgefangenen und der Bewohner(innen) der besetzten Länder immer sichergestellt gewesen, so mußten die Menschen in vielen Gegenden Deutschlands, insbesondere in den Industriegebieten und Großstädten, aufgrund der Kriegszerstörungen in der Landwirtschaft, des Verlustes der agrarischen Ostgebiete, der Zerstörung gewachsener Wirtschaftsbeziehungen durch die Zonengrenzen und der Zerstörung der Transportwege jetzt hungern.
Hinzu kam die große Wohnungsnot: in den Westzonen waren 45% aller Wohnungen völlig zerstört oder erheblich beschädigt, jedenfalls unbewohnbar.[2] Die Menschen hausten zusammengepfercht in dunklen und feuchten Bunkern und Kellern und in zugigen Trümmerwohnungen. Die meisten Großstädte waren völlig verwüstet, das Verkehrssystem zusammengebrochen. Die schlechten Wohnbedingungen führten im Verein mit dem Mangel an Waschmitteln und Seife, an zweckmäßiger Kleidung und ausgewogener, ausreichender Nahrung zur Verbreitung von Krankheiten und Ungeziefer, deren Bekämpfung durch den Mangel an Medikamenten, Krankenhausbetten und medizinischem Personal erschwert wurde.[3] Kinder und alte Leute waren besonders gefährdet, die Säuglingssterblichkeit war ungewöhnlich hoch.[4]
Die Verteilung der knappen Güter, die durch Lieferungen verschiedener alliierter Hilfsprogramme ergänzt wurden,[5] erfolgte über die Wirtschaftsämter nach einem Bezugsscheinsystem. Nicht nur Lebensmittel, auch Kleidung, Möbel und Hausrat gab es nur »auf Karten«. Die mit diesen Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen erhältlichen Waren reichten aber bei weitem nicht aus, um den notwendigsten Bedarf zu decken, zumal es oft genug vorkam, daß auch die ohnehin schon geringen, auf den Karten ausgedruckten Mengen aufgrund akuter Versorgungsengpässe nicht in der angegebenen Menge bereitstanden und die tatsächlichen Rationen zeitweise auf 850 Kalorien pro Tag herabsanken.[6] Von solchen Hungerrationen konnte natürlich auf die Dauer niemand existieren. Wer überleben wollte, mußte auf andere Mittel als die der offiziellen Zuteilungen zurückgreifen.
Trägerinnen des zermürbenden Überlebenskampfes gegen den Hunger und die Entbehrungen aller Art waren die Frauen. Zum einen waren sie aufgrund ihrer hauswirtschaftlichen Kenntnisse, die im Rahmen der Autarkiebestrebungen der Nazis bereits systematisch erweitert und für Kriegszwecke funktionalisiert worden waren,[7] prädestiniert für diese Art von Arbeit, zum anderen gab es bei Kriegsende in Deutschland 7,3 Millionen mehr Frauen als Männer. 3,76 Millionen deutscher Soldaten waren im Zweiten Weltkrieg gefallen, 11,7 Millionen befanden sich bei Kriegsende in Gefangenschaft, und 1946 waren 2 Millionen von ihnen immer noch nicht wieder nach Hause zurückgekehrt.[8] Die Besatzer und die von ihnen eingesetzten deutschen Verwaltungen waren also bei der Organisation des Überlebens auf die »Mitarbeit« der Frauen angewiesen, und sie brauchten die Frauen gleichzeitig als Ersatz für die fehlenden männlichen Arbeitskräfte, nicht nur bei Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten, sondern auch im Produktionsbereich. Denn entgegen der lange vorherrschenden Einschätzung des völligen Stillstands und der nur sehr schleppenden Ingangsetzung der Produktion in der unmittelbaren Nachkriegszeit steht inzwischen aufgrund neuerer Forschungsergebnisse fest, daß die industrielle Produktion bereits unmittelbar nach Kriegsende wieder in Gang kam und in der amerikanischen Zone im Dezember 1945 schon wieder 20% des Volumens von 1936 erreicht hatte.[9] Sie stieg im Bereich der Bizone in den folgenden Jahren kontinuierlich an und »vermittelt den Eindruck eines sich von Jahr zu Jahr verstärkenden Aufschwunges: 1936 100 / 1946 34 / 1947 40 / 1948 60«[10]
Das Schwergewicht der Produktion lag auf den Grundstoffindustrien; das sind diejenigen Betriebe, die die zur Weiterverarbeitung in anderen Produktionszweigen benötigten Rohstoffe, Halbwaren und Betriebsmittel herstellen. Im britisch-amerikanischen Besatzungsgebiet erreichten die Produktionsziffern bereits im Jahre 1946 in den Bereichen
Elektrizitäts- und Gasversorgung 85%
Bergbau (ohne Kohle)
78% Kohle  51%
des Standes von 1936.[11] Gleichzeitig waren die an die Haushalte ausgegebenen Kohlezuteilungen so unzureichend, daß im extrem strengen Winter 1946/47 die Temperaturen in vielen Wohnungen weit unter dem Gefrierpunkt lagen, viele Menschen Erfrierungen erlitten und sogar Todesfälle durch Erfrieren auftraten.[12] Völlig unzureichend waren auch die den einzelnen Haushaltungen zugeteilten Gas- und Strommengen.
Die Konzentration auf Produktionszweige der Grundstoffindustrien erfolgte also nicht etwa unter dem Aspekt der Versorgung der Bevölkerung, sondern weil sie Voraussetzung für die Wiederankurbelung der kapitalistischen Wirtschaft war. Gleichzeitig bedeutete diese Entscheidung die Hintansetzung der Verbrauchsgüterindustrien, und das hieß für die Bevölkerung, daß lebensnotwendige Waren nicht oder kaum über den Markt zu beziehen waren. Die Textil- und Bekleidungsindustrie im britisch-amerikanischen Besatzungsgebiet z. B. erreichte im Jahresdurchschnitt 1946 erst 20% ihres Produktionsoutputs von 1936.[13] Die Erfordernisse des Reproduktionsbereichs wurden also vernachlässigt zugunsten einer kapitalistischen Interessen dienenden Schwerpunktsetzung im Produktionsbereich, die zur Voraussetzung hatte, daß der Reproduktionsbereich »angemessen« reagierte und die Versorgungslücken ausfüllte, d. h. daß die Frauen ihre Arbeit diesen Bedingungen anpaßten.
Was sie auch taten! Der altbewährte Mechanismus des Auffangens ökonomischer Krisenauswirkungen auf die einzelnen Haushalte durch Intensivierung der Hausarbeit funktionierte auch jetzt.
Er funktionierte gerade jetzt, denn die Nationalsozialisten hatten die Frauen bestens und über Jahre hinweg in diese Technik der Krisenbewältigung eingeübt.
Die Hausarbeit hatte bereits in den ersten Jahren der NS-Herrschaft eine beträchtliche Erweiterung erfahren. Die aggressive Expansionspolitik der Nazis und die damit zusammenhängenden Autarkiebestrebungen der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik waren von einer Intensivierung und Ausweitung der Reproduktionsarbeit abhängig. Die Umstellung der Wirtschaft auf die Rüstungsproduktion, die zwangsläufig eine Drosselung der Konsumgüterproduktion implizierte, hatte eine Verknappung und Verteuerung der Konsumgüter zufolge, die durch Mehrarbeit im Haushalt aufgefangen wurde.[14]
Gleichzeitig funktionierte die weitgehende volkswirtschaftliche Selbstversorgung nur dann, wenn die Produktivität der Landwirtschaft gesichert bzw. gesteigert wurde. Auch das wurde nur erreicht durch die gesteigerte Ausnutzung weiblicher Arbeitskraft: mithelfende weibliche Familienangehörige, die die Arbeit der eingezogenen Männer mitübernahmen, weiblicher Arbeitsdienst, Pflichtjahrmädel«.
Durch die jahrelange Gewöhnung an diese Art weiblicher »Pflichterfüllung« waren die Frauen bestens vorbereitet auf die Anforderungen der Nachkriegszeit.
Ihr Arbeitsalltag in der Nachkriegszeit unterschied sich von ihrem nationalsozialistischen Arbeitsalltag im Krieg allenfalls graduell und zwar - sehen wir vom inneren Terror und Bomben ab - zuungunsten (!) der Nachkriegszeit, da die Verschlechterung der Versorgungslage einen noch erhöhten Arbeitsaufwand bedeutete. Das Kriegsende brachte hier substantiell keine Veränderung und konnte demzufolge auch nicht als »Bruch« in Form einer veränderten Qualität der Arbeit erfahren werden. Hausarbeit im gesellschaftlichen Rahmen des Nationalsozialismus oder in dem der Besatzungsregierungen blieb der Form nach gleich und konnte demzufolge auch nicht als verändert erlebt werden!
In den neueren Arbeiten zur deutschen Nachkriegsgeschichte hat eine zunehmende Akzentverschiebung stattgefunden von der Betonung der demokratischen »Chancen« der Jahre nach '45 auf die strukturelle und personelle Kontinuität des wirtschaftlichen und politischen Bereichs und vor allem auch auf die Kontinuität im politischen Bewußtsein der Bevölkerung, die eine grundlegende gesellschaftliche Neuordnung von vornherein in Frage stellte.
Ich habe mich eingangs von einer Sichtweise distanziert, die das mangelnde Interesse der Bevölkerung an Fragen der Sozialisierung, Bodenreform, Mitbestimmung als tragender Bestandteile struktureller Demokratisierung kritisiert und mit den überhandnehmenden existentiellen Problemen des Reproduktionsbereichs erklärt, Produktion und Reproduktion also scharf voneinander trennt und menschlichen Alltag als eine quasi »naturhafte« Sphäre aus der Gesellschaft ausklammert.
Es ist hier bereits deutlich geworden, daß die kapitalistische Ökonomie von einer Organisation der Reproduktionssphäre abhängt, die sie durch die Gratisarbeit der Frauen von den Kosten menschlicher Reproduktion weitgehend entlastet und so die Erzeugung und Abschöpfung von Mehrwert überhaupt erst ermöglicht. Wenn also »die« Wirtschaft und damit die Gesellschaft demokratisiert werden soll, dann muß der Reproduktionsbereich als ökonomischer Bereich in diese Demokratisierungsbemühungen mit einbezogen werden. Eine Gesellschaftskritik, die den Hebel ausschließlich bei einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse im Produktionsbereich ansetzt, übersieht die ökonomische Bedeutung der Reproduktionssphäre und versperrt den Blick darauf, wie sich Machtverhältnisse im Reproduktionsbereich manifestieren, wo politische Handlungsspielräume im Alltag der Bevölkerung anzusiedeln sind und warum sie nicht genutzt werden.
Es kommt mir deshalb im folgenden darauf an, den ökonomischen Gehalt der Frauenarbeit in der Nachkriegszeit herauszuarbeiten und exemplarisch aufzuzeigen.

  • daß die Grundlage ökonomisch-politischer Entscheidungen in der Nachkriegszeit nicht die Versorgung, die »Bedarfsdeckung« der Bevölkerung war, sondern die Produktionssteigerung zwecks Rekonstruktion der kapitalistischen Wirtschaft;
  • daß diese Prioritätssetzung von der Flexibilität des Reproduktionsbereichs, der weiteren Ausdehnung der Hausarbeit abhing;
  • daß die spezifische Situation der Nachkriegszeit (»Männermangel«) neben der Erweiterung der Hausarbeit kurzfristig eine qualitative Erweiterung weiblicher Lohnarbeit erforderte;
  • daß seitens der Administration Maßnahmen ergriffen wurden, die die Erfüllung beider an sich widersprüchlicher Anforderungen garantieren sollten;
  • daß weder die Überlebensarbeit der Frauen noch ihre Arbeit in »Männerberufen« gesellschaftlich anerkannt und honoriert wurde;
  • daß die langfristige Verfügbarkeit über die Arbeitskraft der Frau sowohl im Haushalt als auch in den typischen Frauenberufen einkalkuliert und sichergestellt wurde.

4. Die »Bewältigung« der Krise: Überlebensarbeit statt Protest

  • »Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen.
    Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.«[15]

Aus programmatischen politischen Erklärungen wie diesen dem »Ahlener Programm« der CDU entnommenen Sätzen, die ähnlich lautend von nahezu allen sich neu gründenden bzw. rekonstituierenden politischen Gruppierungen im Nachkriegsdeutschland abgegeben wurden, ist lange Zeit auf deren antikapitalistische Grundhaltung als Ausdruck einer zu sozialistischen Neuordnungsvorstellungen tendierenden »Stimmung« in der deutschen Bevölkerung geschlossen worden, die im Verein mit dem im Potsdamer Abkommen artikulierten Demokratisierungswillen der Besatzungsmächte die besten Voraussetzungen für einen demokratischen Neuaufbau »von Grund aus« zu bieten schien.
Die detailliertere Auswertung der durch den Ablauf der archivalischen Sperrfristen erweiterten Quellenbasis zur deutschen Nachkriegsgeschichte erbrachte jedoch eine weitestgehende Revision dieser optimistischen Einschätzung und eine Betonung der Kontinuität traditioneller politischer und ökonomischer Strukturen, die u. a. auch in der personellen Kontinuität der Bürokratie und der ökonomischen und politischen Eliten zum Ausdruck kommt.
Die inzwischen ebenfalls erfolgte Revision der Einschätzung der Jahre 1945-1947 als einer Periode wirtschaftlicher Stagnation[16] führte zu einer weiteren Relativierung der Interpretation der unmittelbaren Nachkriegszeit als einer für radikale Neuordnungsvorstellungen offenen Periode.
Mit der Wiederankurbelung der Produktion im Bereich der Grundstoffindustrien und der Hintansetzung der Verbrauchsgüterindustrien fielen Entscheidungen, die keineswegs dem »Wohlergehen unseres Volkes«[17] im Sinne der Bedarfsdeckung der Bevölkerung dienten, sondern bereits die Weichen für den kapitalistischen Wiederaufbau stellten.
Trotz der allgemein herrschenden Verunsicherung über die ökonomische und politische Zukunft Deutschlands in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die sich auch in der lange Zeit gültigen reflektierenden Einschätzung dieser ersten Jahre als einer Periode wirtschaftlicher Stagnation und Offenheit bezüglich der politischen Zukunft widerspiegelt, was vor allem an der Reparations- und Demontagefrage, den Plänen der Alliierten bezüglich »Entindustrialisierung« und »Reagrarisierung« Deutschlands und der davon geprägten amerikanischen Besatzungspolitik der ersten beiden Jahre [18]festgemacht wurde, liefen diese frühen Entscheidungen im Produktionsbereich auf die Rekonstruktion der kapitalistischen Wirtschaft hinaus.
Neuere Untersuchungen über die wirtschaftliche Entwicklung in der unmittelbaren Nachkriegszeit betonen die günstigen Ausgangsbedingungen im Produktionsbereich: Die Kriegszerstörungen waren längst nicht so hoch wie zunächst angenommen, und aufgrund der im Rahmen der Kriegsproduktion erfolgten Investitionen war der »reale industrielle Kapitalstock des britisch-amerikanischen Besatzungsgebietes in den Jahren 1936 bis 1945 trotz Bombenkrieg und - in den letzten Kriegsjahren - unterlassener Investitionen um mehr als 201/o gewachsen.«[19]

  • »Am Ausgangspunkt der Entwicklung waren alle Voraussetzungen gegeben, die eine schnelle Rückkehr der westdeutschen Wirtschaft auf ihren historischen Wachstumspfad ermöglichen mußten. Das gilt namentlich für die Faktoren Kapital und Arbeit. Die außergewöhnlichen Zuwachsraten der industriellen Produktion in den fünfziger Jahren ... sind weitgehend aus dieser Konstellation am Anfang des Wachstumsprozesses zu erklären.«[20]

Unbeachtet bleibt bei dieser Erklärung des »Wirtschaftswunders«, daß es sich bei dem beschriebenen »Faktor Arbeit« um Menschen handelte, die nicht einfach - wie Produktionsanlagen - vorhanden und damit einsetzbar waren, sondern am Leben erhalten werden mußten.
Erst die Gewährleistung ihrer Reproduktion machte die vorhandenen Arbeitskräfte überhaupt für die Produktion verwend- und verwertbar.
Wenn also im »Arbeitskräftepotential, wie es sich nach Kriegsende im Vergleich zu 1936 darbot, . . . die wichtigsten Grundlagen des Nachkriegswachstums eingeschlossen«[21] liegen (Hvhbg. D. S.), dann bedarf diese Aussage der Ergänzung, daß diese Grundlage nicht einfach naturhaft »da« war, sondern daß ihr Vorhandensein bereits eine ständige »Bearbeitung« voraussetzte.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit - d. h. in den Jahren vom Kriegsende bis zur Währungsreform - war die bloße Lebenserhaltung, das »Überleben« für den größten Teil der Bevölkerung zum zentralen Problem ihres Alltags geworden.
Da die Marktwirtschaft durch das Bewirtschaftungssystem weitestgehend außer Kraft gesetzt war, hatten die Lohneinkommen ihren Wert verloren, und soziale Unterschiede basierten nicht mehr auf der Höhe unterschiedlicher Geldeinkommen, sondern auf der Verfügungsgewalt über die knappen und begehrten Verbrauchsgüter, in erster Linie Lebensmittel. 1947 schrieb das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung:

  • »Für alle gebundenen Bereiche ist die soziale Differenzierung des Lebensstandards nach der Höhe der Einkommen beseitigt. An die Stelle des Einkommens sind die direkten Verfügungsmöglichkeiten über die Waren selbst getreten. Diese Verfügungsmöglichkeiten bestehen (...) in Sachvermögensbeständen, die mit ihren Nutzungen dem eigenen Verbrauch dienen oder als hochbegehrte Zahlungsmittel direkt oder indirekt verwendet werden; sie bestehen ferner in Zugriffsmöglichkeiten zu jenen Teilen der Produktion, die legal oder illegal der Bewirtschaftung entzogen werden können. Die am Geldeinkommen orientierte soziale Differenzierung der Lebenshaltung ist mit anderen Worten weitgehend durchkreuzt und überdeckt durch eine Differenzierung nach den effektiv greifbaren Verbrauchsmöglichkeiten. Je länger dieser Zustand anhält, zu desto tieferen Umschichtungen muß er führen. Dabei dringt die Bevorzugung derjenigen, die direkte Zugriffsmöglichkeiten zur Produktion haben, immer stärker durch. Denn die Vorzugsstellung des Sachvermögensbesitzers, die daneben heute noch eine Rolle spielt, schwindet im Lauf der Zeit in dem Umfang, in dem die Bestände aufgebraucht werden. Der höhere Bekleidungsstandard des Mittelstandes und der oberen Schichten etwa wird im Lauf der Jahre immer stärker eingeebnet, je mehr die Bestände an Kleidung und Wäsche ihrem natürlichen Ende entgegengehen.[22]

Sachwerte und vor allem Naturalien übernahmen also weitestgehend die Rolle des Geldes, und zwar nicht nur auf dem Schwarzen Markt, sondern auch als offizielles Arbeitsentgelt in Form von Naturallohnanteilen, die als Anreiz für die Übernahme von Arbeitsstellen in den für die Wiederankurbelung der Produktion zentralen Schlüsselindustrien »gezahlt« wurden.

  • »Die Ernährung war das wichtigste Problem und beeinflußte nicht nur Arbeitsfähigkeit und -leistung des einzelnen Arbeiters, sondern auch die allgemeine Arbeitsmoral. Fehlschichten aus physischem Leistungsunvermögen oder auch zur Beschaffung zusätzlicher Lebensmittel waren an der Tagesordnung. Wurde an einem Arbeitsplatz eine zusätzliche Mahlzeit gewährt, bewirkte das verstärkten Andrang. Schwere, kalorienzehrende Handarbeit wurde gemieden. Es bedurfte zusätzlicher Anreize, solche Arbeit anziehend zu machen.
    Leitstellen zum Zwecke der Anwerbung freiwilliger Arbeitskräfte für den Ruhrbergbau wurden errichtet, und die gebotenen Arbeitsanreize in Form von Zusatzrationen (Punktsystem) hatten zunächst den Erfolg, daß wöchentlich bis zu 1000 Arbeitskräfte angeworben werden konnten.«[23]

Die Außerkraftsetzung der offiziellen Geldwährung und die planwirtschaftlichen Maßnahmen, die das freie Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem offiziellen »weißen« Markt ersetzten, dürfen aber nicht zu der Annahme verleiten, die deutsche Wirtschaft sei »in weiten Teilen auf den archaischen ... Zustand einer Natural- und Subsistenzwirtschaft zurückgefallen«[24] Es ist zwar richtig, daß Schwarz- und Tauschhandel, Hamstern und Subsistenzproduktion das alltägliche Leben der Bevölkerung bestimmten. Das heißt aber nicht, daß der Kapitalismus vorübergehend außer Kraft gesetzt war und einer Subsistenzwirtschaft Platz gemacht hatte.
Die Funktion des Geldes übernahmen Sachwerte oder die »Zigarettenwährung«, und der Produktionssektor blieb - wie bereits aufgezeigt kapitalistischen Prinzipien unterworfen. Die den Alltag der Bevölkerung dominierenden Tauschgeschäfte und die bedeutende Rolle von Sachwerten und Naturalien für diesen Alltag sind kein Zeichen für den Rückgang des Kapitalismus, sondern sie waren im Gegenteil funktional für dessen ungestörten Wiederaufbau, für das Fortbestehen kapitalistischer Strukturen. Dieses ungebrochene Fortbestehen kapitalistischer Strukturen zeigt sich auch im Bewußtsein der Bevölkerung, und zwar nicht nur in der nachweisbaren Tolerierung, ja Befürwortung der Schwarzmarktgeschäfte und dem hohen sozialen Prestige der Schieber,[25] sondern auch darin, daß die Frauen die sich immer weiter verschlechternde Versorgungssituation gewissermaßen »akzeptierten«, indem sie ihre Anstrengungen, ihre Familien am Leben zu erhalten, eben verdoppelten und verdreifachten und erst dann und nur dann protestierten, wenn sich trotz intensivierter Bemühungen - und das hieß meist Arbeit bis zur Erschöpfung - kein Erfolg einstellte, wenn die Entbehrungen lebensbedrohend wurden. In solchen Situationen kam es dann zu Hungermärschen, zu Protestkundgebungen, zu Selbstjustizmaßnahmen gegen Schieber und Spekulanten. Verstärkt finden sich Hinweise auf solche spektakulären Maßnahmen seitens der Frauen für den Winter 1946/47, die Zeit der schlimmsten Versorgungskrise der Nachkriegsjahre. So berichteten die Zeitungen im Dezember 1946 wiederholt von Protestaktionen von Frauen »gegen den Hunger«:

  • »13. 12. 1946:
    Herne. Über 12 000 Frauen protestierten in Herne auf einer Großkundgebung gegen den Hunger. In einer Resolution wurden die Absetzung von SCHLANGE-SCHÖNINGEN (Vorsitzender des Zentralamtes für Ernährung und Landwirtschaft der britischen Zone, D. S.) und schärfste Strafen gegen Schwarzhändler und Schieber gefordert. Ferner wurde die Bildung einer Kommission aus Vertretern der Gewerkschaften und Parteien verlangt, die unverzüglich dafür Sorge tragen soll, die noch rückständigen Kartoffelmengen für die Wintereinkellerung sicherzustellen. Anschließend zogen 300 Frauen als Delegation zum Rathaus, um die Durchführung dieser Maßnahmen demonstrativ zu fordern
  • 20. 12. 1946:
    Aachen. Nachdem viele Bauern ihrer Ablieferungspflicht nicht nachgekommen sind und 1000 Zentner Obst, Gemüse und Kartoffeln dem Schwarzen Markt zugeführt wurden, schritt der Aachener Frauenausschuß zur ersten Selbsthilfe. Einige der größten Saboteure wurden herausgegriffen und ihre Bestrafung vom Frauenausschuß gefordert. Diese Bestrafung hatte eine solche Wirkung, daß nun die Händler so viel Gemüse nach Aachen schaffen, daß die Haushaltungen versorgt werden können.«[26]

Die Forderungen der Frauen gingen aber über eine Bestrafung der Schuldigen und die Behebung der akuten Engpässe nicht hinaus. Weder kritisierten sie die in diesen Mißständen zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Zusammenhänge, noch forderten sie als Sachverständige und Trägerinnen der Überlebensarbeit eine Beteiligung an den politischen Entscheidungen im ernährungswirtschaftlichen Bereich.
Die bewußtseinsmäßige Trennung von »Privatbereich« und »Politik« war zu sehr verinnerlicht. Lebenserhaltung wurde nur dann zu einer politischen Forderung, »wenn es nicht mehr anders ging«, d. h. wenn eine private Lösung nicht mehr möglich war, und sie wurde zurückgenommen, wenn ein akuter Mißstand beseitigt war. Da sie gar nicht als politische Forderung begriffen wurde, blieben die Proteste spontan und situativ und führten nicht zu politischer Organisation.
Abgesehen von solchen Protesten, die sich auf Situationen beschränkten, in denen die private Überlebensarbeit das Überleben eben nicht mehr sichern konnte, stellten sich die Frauen auf die durch die Prioritätssetzung im Produktionsbereich bedingte Situation im Reproduktionsbereich ein, indem sie die Hausarbeit intensivierten und erweiterten: Schlangestehen, Hamstern, Tauschhandel, Obst- und Gemüseanbau auf dem Balkon, im Schrebergarten, in eigens dafür freigegebenen Parks und Grünanlagen, Kleintierhaltung, Sammeln von wildwachsenden Kräutern, Pflanzen und Beeren, Ähren- und Kartoffelstoppeln, Wiederentdecken von Konservierungs- und Zubereitungsmethoden, Verrichtung von Hausund Landarbeiten gegen Naturallohn - alle zur Verfügung stehenden Register wurden gezogen, und alle diese Arbeiten wurden getan in dem Bewußtsein, sie für die Familie, für Verwandte, für Freunde oder Nachbarn, für nahestehende Menschen in derselben schlechten Situation, die verbindend wirkte, zu tun.
Und dieses Bewußtsein, das ja konstitutiv für die Funktionalisierung der privaten Hausarbeit im Kapitalismus ist, verstellte den Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung der Überlebensarbeit. Infolgedessen führten auch die Folgeprobleme, die sich aus der Überlebensarbeit ergaben, nicht zu Forderungen nach einer politischen Lösung, sondern wurden wiederum durch private Organisation aufgefangen. Das beste Beispiel dafür sind die Frauenwohngemeinschaften, die meist aus der gleichzeitigen Notwendigkeit von Kinderbeaufsichtigung und außerhäuslicher Arbeit (Berufsarbeit, Hamstern, Schwarzmarkt) entstanden und in denen sich die traditionelle geschlechtsspezifische Rollenteilung fortsetzte, lediglich mit dem Unterschied, daß hier eine Frau die Männerrolle übernahm.

  • »Zunächst müßte sich jede Frau, die eine starke Neigung zu einem Beruf in sich fühlt, darüber klar werden, daß sie nur dann in diesem Beruf wirklich etwas leisten kann, wenn sie sich ihm ungeteilt hingibt. Will sie nebenher ein privates Glück in Ehe und Kindern finden, dann gibt sie sich zur Hälfte auf. Eine solche Frau aber wird meist genug verdienen, um eine andere Frau - vielleicht eine Kriegerwitwe mit einem Kind - zu sich nehmen zu können, die ihr den Haushalt mitführt. Sie hat dann außer der häuslichen Entlastung noch die Befriedigung, für eine Familie zu sorgen. Sie ist gleichzeitig Haupt und Ernährer anderer Menschen, die ohne sie vielleicht kein Heim und keine Einnahmequelle hätten » Die Frauenfamilie sollte sich einbürgern. Wie viele Frauen, Mütter mit kleinen Kindern vor allem, wären froh, wenn sie in Heim und Haushalt bleiben und noch dazu ihren Haushalt selbst verdienen könnten! Und jene Berufsfrauen, die dann abends müde nach Hause kommen und sich an den gedeckten Tisch setzen könnten, wie dankbar würden sie das genießen, und wieviel leistungsfähiger würden sie sein!«[27]

Die Frauenfamilie also auch als Konzept für die Zukunft, als Lösungsmöglichkeit des »Frauenüberschusses«, ganz im Sinne der tradierten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung: das totale männliche Engagement im Beruf wird ebensowenig hinterfragt wie die Privatisierung der Hausarbeit und die patriarchalische Struktur der Familie - die »Berufsfrau« als »Haupt und Ernährer«!
Die allgemeine Not ließ die Menschen zwar generell - nicht nur räumlich enger zusammenrücken. Man war stärker aufeinander angewiesen, und deshalb ergaben sich »Notgemeinschaften«, die aus einer gemeinsamen Interessenlage heraus solidarisch handelten. Daraus aber auf eine auf die Dominanz der Frauen als die dem Leben verpflichteten Trägerinnen des Überlebenskampfes und Vertreterinnen humaner Prinzipien zurückzuführende Auflösung kapitalistischer Strukturen zu schließen, halte ich für verfehlt.[28]
Es gab nicht eine Gemeinschaft aller Frauen, die aufgrund ihrer »Verbundenheit mit dem Leben« »ohne persönliche Selbstdarstellunginteressen und Imponiergehabe ... gegen die ihnen wie Natur vorkommenden gesellschaftlichen Katastrophen«[29] kämpften. Vielmehr gab es nach wie vor ein soziales Gefälle, das, wie weiter oben ausgeführt, in der Nachkriegszeit an der Verfügungsgewalt über Sachwerte und Naturalien festzumachen ist, das die Frauen in Eigentümerinnen und Nicht-Eigentümerinnen spaltete und ihre Handlungsweisen bestimmte. Auch Frauen beuteten als Schwarzmarkthändlerinnen, Bäuerinnen, Schieberinnen andere Frauen (und Männer) aus.
An den Besitzschranken endete die Solidarität, es gab keine »klassenlose Gesellschaft der Frauen«. Beispielhaft dafür ist nicht nur das Verhalten der Schwarzmarkthändlerin gegenüber der hungrigen »Kundin«, sondern auch das Verhalten der Bäuerin gegenüber der Hamsterin und der Evakuierten, der Wohnungsinhaberin gegenüber der einquartierten Ausgebombten, der Einheimischen gegenüber der Flüchtlingsfrau:

  • "Frau D. ist eine junge Kriegerwitwe mit einem fünfjährigen Sohn. Ihr Mann war Ingenieur und fiel Ende des Krieges. Als seine Witwe im Juli 1945 nach Berlin zurückkehrte, knüpfte sie bald Beziehungen zu einem Schwarzhändler an. Ihr kleines Vermögen von 3 000 RM benutzte sie als Betriebskapital, und bald blühte ihr Handel mit den verschiedensten Waren auf. Er brachte mit wenig Arbeit viel Geld ein. Da sie damit ihren Sohn gut versorgen konnte, hielt sie ihre Handelstätigkeit für durchaus berechtigt. Vorstellungen ihrer Familie und deren Hinweise, daß sie mit einem Fuß im Zuchthaus stehe, glitten an ihr ab. Man wollte sie in einem bürgerlichen Beruf unterbringen. Sie widersetzte sich energisch. Sie ist bis heute bei ihrem Handel geblieben und zeigt sich ihrer Familie gegenüber hilfsbereit und freundlich. Nach wie vor erklärt sie, daß ihre Tätigkeit und die daraus erzielten hohen Einnahmen die ihr angemessene Form der Existenz seien.«[30]

Die vielgepriesene Hilfe, das in der Erinnerung glorifizierte und aller Konflikte entkleidete »Füreinanderdasein« beschränkte sich auch in der Nachkriegszeit weitgehend auf Angehörige der eigenen Familie, der Verwandtschaft, des Nachbarn- und Freundeskreises, wurde aber selbst in diesen Zusammenhängen eher als adäquate Reaktion auf die Not, nicht als solidarisches Handeln begriffen.
Die große Wohnungsnot in den Städten zwang viele Menschen zu einem Zusammenleben auf engstem Raum: Ausgebombte Verwandte, hilfsbedürftige alte Eltern, verwaiste Nichten und Neffen wurden aufgenommen, oft aber auch, um den ansonsten anstehenden »Zwangseinweisungen« von Flüchtlingen und Ausgebombten zu entgehen.[31] Das Zusammenleben in solcherart erweiterten Familienverbänden bedeutete durchaus nicht, daß diese »Großfamilien« nun in harmonischer Eintracht bei praktischer Arbeitsteilung antikapitalistische Prinzipien »lebten«.
Es finden sich zahlreiche zeitgenössische Zeitungs- und Zeitschriftenartikel über auftretende Querelen und Streitigkeiten, den von vielen geäußerten Wunsch, endlich wieder allein mit Mann und Kindern leben zu können, vor allem immer wieder: nicht mehr die Küche mit anderen teilen zu müssen; und ebenso zahlreich sind die Appelle an Geduld und Nächstenliebe, Verständnis für die Notlage anderer, insbesondere der

  • »Warum ist das Zusammenleben so schwer, warum verwandelt sich Freundschaft zuweilen in unerbittliche Feindschaft, wenn man unter einem Dache lebt? Warum zerreißen beste Familienbeziehungen, wenn die Umstände plötzlich ein Zusammensein auf engstem Raum fordern? ... Am eigenen Heim hängt besonders das Herz der Frau mit großer Liebe. ... Viele Menschen, die in den letzten Jahren etwas besaßen, haben klein, manchmal mit nichts angefangen... Sie verzichteten auf vieles, nur um sich ihr Heim so behaglich wie möglich zu gestalten, das für Mann und Frau nicht eine Anhäufung von mehr oder weniger nützlichen Gebrauchsgegenständen darstellte, sondern als manchmal einziger Besitz der Ausdruck ihrer ganzen Lebenshaltung, das Ergebnis ihres Fleißes, ihrer Sparsamkeit, ihrer ordentlichen Lebensführung war. Manch einer vertat, was er verdiente, und machte sich einen guten Tag, um heute mit dem Anspruch aufzutreten, daß andere ja zur Hilfe verpflichtet seien. Da sie nicht wissen, was es heißt, etwas mühsam zu erarbeiten, fehlt ihnen auch die Achtung und der Respekt vor dem Eigentum der Mitmenschen... Wer sein Heim noch besitzt - sei es auch noch so bescheiden - empfindet jede Einweisung Fremder als einen Einbruch in die privateste Sphäre und die intimsten Bezirke seines Lebens. Das hat gar nichts mit der meistens durchaus vorhandenen Erkenntnis zu tun, daß heute keiner mehr für sich leben kann. Jeder, der nicht zu seiner Familie gehört, nimmt ihm die Freiheit der Disposition, auch die Freiheit, wenigstens zu Hause über sich selbst und seine Habe zu verfügen...
    Wieder muß gesagt werden, die Frau hat es in diesem Zusammensein am schwersten. Es soll nicht behauptet werden, daß Frauen untereinander schwerer auskommen als Männer, aber leichter sicher auch nicht! Sie sind den meisten Teil der Zeit im Hause, sie stehen nicht mehr allein am eigenen Herd und sind nicht mehr ihr eigener Herr. Sie sehen besser als der Mann, wie ihr gepflegter Haushalt leidet und leiden selbst darunter. Wie sich all diese Probleme lösen lassen? Natürlich am besten dadurch, daß jeder wieder an einen eigenen Herd zurück darf, der wirklich Goldes wert ist. Aber solange sich das durch äußere Umstände noch nicht ermöglichen läßt, muß jeder versuchen, sich in die Lage des anderen zu versetzen, muß sich beständig erziehen, muß alle Kraft zusammennehmen, um auszukommen...«[32]

Die »Notgemeinschaften« erschienen wohl - wie dieser zeitgenössische Ausdruck schon verrät - den meisten weniger als erstrebenswerte neue Form des Zusammenlebens, für deren rechtliche Etablierung und Gleichstellung mit der Kleinfamilie es sich zu kämpfen lohnte, sondern vielmehr als durch die Not erzwungene Übergangserscheinung auf dem Weg zur Normalisierung des Alltags. Man sehnte sich allgemein nach dem Rückzug in die Kleinfamilie, danach, wieder »so wie früher« - und das heißt in einem funktionierenden kapitalistischen System - leben zu können.
Auf die Kleinfamilien selbst wirkte die Notsituation unterschiedlich. HILDE THURNWALD berichtet in ihrer 1948 erschienenen Untersuchung über die sozialen Verhältnisse von 498 Berliner Familien sowohl von einer stabilisierenden als auch von einer zerrüttenden Wirkung. In Einzelfällen kam es vor, daß die Familienmitglieder sich gegenseitig die Lebensmittelrationen streitig machten oder sogar stahlen, andererseits aber - und dies trifft besonders für die sogenannten »Restfamilien« zu -[34] lernten viele Familien, »gerade in der Not ... ihre egoistischen Wünsche zurückzustellen und statt dessen hilfreich und gut füreinander einzustehen.«[35]
Die Rolle der Mütter für den Zusammenhalt der Familien, ihre aufopfernde Haltung vor allem für die Kinder, ihre Bemühungen um die seelische Unterstützung ihrer Ehemänner, werden immer wieder hervorgehoben:

  • »Eine weitere Kategorie der besonders Notleidenden und Trägerin eines stillen Heldentums sind die vielen älteren Frauen und Mütter, die alles irgendwie zusätzliche, oft noch von ihren eigenen knappen Rationen, dem arbeitenden Manne und den heranwachsenden Kindern opfern. Sie verzichten auf Brot und Aufstrich oder Belag, um den anderen etwas auf den Weg mitgeben zu können.«[36]

Diese Haltung ist um so bemerkenswerter, als die Hausfrauen ironischerweise trotz ihrer strapaziösen Arbeit, die in den Quellen immer wieder als Schwerarbeit bezeichnet wird,[37] nur die Lebensmittelkarte V, d. h. die niedrigste Lebensmittelzuteilung für Erwachsene erhielten, während Pfarrer, Künstler und Schuldirektoren als Schwerarbeiter galten![38]
Auch bei den aufgrund ihres Schwarzmarktwertes äußerst wertvollen Zigarettenzuteilungen waren Hausfrauen benachteiligt:

  • »...nach Pressemeldungen werden von den amerikanischen Zigaretten, die demnächst in der Doppelzone ausgegeben werden sollen, alle Berufstätigen außer den Hausfrauen - zehn Stück erhalten. Die Meldung ist in mehreren Zeitungen erschienen und es kann sich deshalb kaum um einen Irrtum einer Redaktion handeln. Und vom Karneval waren wir, als die Veröffentlichung erfolgte, fast so weit entfernt wie vom 1. April. Inzwischen hat jedoch die Verfassung den Hausfrauenberuf als ordentlichen Beruf anerkannt und es hat sich überhaupt herumgesprochen, daß die Arbeit der meisten Hausfrauen der eines Schwerarbeiters gleichkommt.«[39]

Trotz der lebenserhaltenden Funktion, die der Hausarbeit in der Nachkriegszeit zukam und die aufgrund ihrer zentralen Rolle im Alltag der Bevölkerung und ihres öffentlichen Charakters ganz offensichtlich war, wurde sie also de facto nicht anerkannt.
Was zählte und materiell honoriert wurde, war nach wie vor die Arbeit in der Produktion und besonders die Arbeit in den für die Wiederankurbelung der kapitalistischen Wirtschaft zentralen Schlüsselindustrien.
Bergleute z. B. wurden als Schwerstarbeiter eingestuft und erhielten Sonderrationen.
Der faktischen Diskriminierung der Hausarbeit entsprach gerade in der Nachkriegszeit ihre besondere Idealisierung, die Betonung der »übermenschlichen« Leistungen »unserer« Frauen. Demgegenüber steht die konkrete und gezielte Einplanung der reproduktiven Leistungen der Frauen in die administrativen Wiederaufbaumaßnahmen, die den ideologischen Gehalt solcher Aussagen entlarvt und die strukturelle Bedingtheit der Reproduktionsarbeit erkennen läßt, die im folgenden an der Wiedereinführung des »Pflichtjahres« unter anderem Namen und den Bestimmungen über die Pflichtarbeit exemplarisch aufgezeigt werden soll.
Im September 1945 wurde in der Nordrhein-Provinz (und etwas später auch in anderen Regionen Deutschlands) eine etwas abgeänderte Version des »Pflichtjahres« wieder eingeführt, diesmal als »Land- und hauswirtschaftlicher Einsatz der weiblichen Jugend«[40] deklariert:

»Die Sicherung des land- und hauswirtschaftlichen Arbeitseinsatzes und die erzieherische Betreuung und hauswirtschaftliche Ertüchtigung der weiblichen Jugend erfordern den planmäßigen Einsatz der Jugendlichen in der Land- und Hauswirtschaft....

  • Ledige weibliche Arbeitskräfte unter 21 Jahren, die noch nicht als Arbeiterinnen oder Angestellte oder Lehrlinge beschäftigt waren, dürfen von privaten und öffentlichen Betrieben und Verwaltungen als Arbeiterinnen oder Angestellte oder Lehrlinge nur eingestellt werden, wenn sie mindestens ein Jahr lang mit Zustimmung des Arbeitsamtes in der Land- und Hauswirtschaft tätig waren und dies vom Arbeitsamt förmlich bescheinigt wird.«[41]

Man schlug mit dieser Verordnung mehrere Fliegen mit einer Klappe:

  1. wurde der Arbeitskräftemangel in Land- und Hauswirtschaft kostengünstig behoben;
  2. sicherte man den Arbeitskräftenachwuchs in diesen traditionell weiblichen und deshalb von den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung extrem unattraktiven Berufszweigen;
  3. wurden die Frauen auf ihre zukünftigen Aufgaben als Hausfrauen bestens vorbereitet.

Das »Pflichtjahr« war also einerseits eine aktuelle arbeitsmarktpolitische Maßnahme, die auch der hohen weiblichen Jugendarbeitslosigkeit entgegenwirkte, und diente andererseits der Kontinuität geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, wirkte also einer Aufhebung der Trennung von Produktion und Reproduktion entgegen.
Die unverblümte Anknüpfung an die nationalsozialistische Arbeitsmarktpolitik ist verblüffend. Die gewerkschaftlich organisierten Frauen wehrten sich denn auch unter ausdrücklichem Hinweis auf diese Kontinuität gegen eine solche Art von Arbeitslenkung und lehnten sie als gegen die erwerbstätigen Frauen gerichtet ab:

»Ein hauswirtschaftliches Pflichtjahr für weibliche Schulentlassene lehnen die Gewerkschaften ab. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß jedes Mädchen sich frei für einen Beruf entscheiden und nicht zur Hausarbeit gezwungen werden soll, wenn es andere Fähigkeiten und Neigungen hat.«[42]

  • »Sie alle wissen, daß das Pflichtjahr für junge schulentlassene Mädchen als Hausgehilfinnen-Lehrling aus dem Dritten Reich stammt. Gewisse Kreise, besonders Frauen-Verbände, sind es, die diesen Gedanken besonders propagieren.«[43]

Hinter dieser gewerkschaftlichen Kritik stand allerdings keine grundsätzliche Infragestellung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung als Basis kapitalistischer Gesellschaftssysteme:

  • »ist denn die Hausarbeit eine untergeordnete Tätigkeit, die man niemand zumuten kann? Ist nicht fast jede Frau gezwungen Hausarbeit zu machen, und macht sie diese nicht als etwas Selbstverständliches? ...
    Die hauswirtschaftliche Lehrzeit ist keine vergeudete Zeit, ob verheiratet oder nicht, das ganze Leben lang braucht die Frau auch gewisse hauswirtschaftliche Kenntnisse.«[44]

Die Zuweisung der Hausarbeit an die Frauen qua Geschlecht wurde also auch von den Gewerkschafterinnen nicht nur nicht problematisiert, sondern sogar vertreten. Die gesellschaftliche Funktion der Hausarbeit und der Zusammenhang zwischen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und Frauenunterdrückung wurde nicht thematisiert. Die gewerkschaftliche Kritik am »Pflichtjahr« beschränkte sich auf die Ablehnung der Diskriminierung der weiblichen Lohnabhängigen und nahm den sexistischen Gehalt dieser Maßnahme - die Diskriminierung der Frau als Frau - gar nicht wahr!
Auch die Bestimmungen über die Pflichtarbeit verdeutlichen die strukturelle Bedingtheit, die Indienstnahme der reproduktiven Gratisleistungen der Frauen für den kapitalistischen Wiederaufbau. Ab Sommer 1945, also schon unmittelbar nach Kriegsende, wurde in den einzelnen Ländern und Provinzen die Arbeitspflicht eingeführt, um eine Lenkung und Kontrolle des zur Verfügung stehenden Arbeitskräftepotentials zu ermöglichen. Männer zwischen 14 und 65 Jahren und Frauen zwischen 16 und 45 Jahren wurden bei Strafe der Sperrung ihrer Lebensmittelzuteilungen verpflichtet, sich bei den zuständigen Arbeitsämtern registrieren zu lassen, um im Bedarfsfall zu Pflichtarbeiten herangezogen zu werden. Ausgenommen von dieser Verpflichtung wurden alle Frauen, die Kinder unter 14 Jahren oder hilfsbedürftige Angehörige zu betreuen hatten.
Diese Bestimmung wirkt auf den ersten Blick positiv und könnte sogar als bedürfnisorientiert, als Rücksicht auf die Belange des Reproduktionsbereichs, mißverstanden werden. Es muß aber berücksichtigt werden, daß

  1. die verstärkte Beziehungsarbeit der Frauen für in vielen Fällen kranke, schwache und unterernährte alte Leute, Kriegsheimkehrer und eigene sowie »angenommene« Kinder den Staat von den Kosten für die anderenfalls notwendig werdende Heim- und Krankenhausunterbringung entband;[45]
  2. die Hausfrauen trotz der erschwerten und zeitlich ausgedehnteren Hausarbeit lediglich die Lebensmittelkarte Verhielten, die niedrigste Ration für Erwachsene. Die Diskriminierung der Hausarbeit gegenüber der Lohnarbeit blieb also trotz der objektiven Bedeutung der Hausarbeit für das Überleben bestehen;
  3. die Arbeitsüberlastung der Hausfrauen durch die sowohl quantitativ als auch qualitativ gestiegenen Anforderungen der Beziehungsarbeit bei gleichzeitiger Ausweitung der materiellen Versorgungsarbeit staatlicherseits ansonsten überhaupt nicht berücksichtigt wurde. Man verließ sich ganz einfach darauf, daß z. B. die Probleme der Kinderbeaufsichtigung »privat«, d. h. in Nachbarschaftshilfe, durch Großeltern oder Bekannte etc. gelöst wurden.

Die Befreiung der o. g. weiblichen Personengruppe von der Pflichtarbeit bei gleichzeitig weiterbestehender Diskriminierung der Hausarbeit kann also nicht als Indiz für bedürfnisorientierte Politik seitens der Regierenden gewertet werden, sondern verweist im Gegenteil auf eine im Vergleich mit Nicht-Krisenzeiten krassere Funktionalisierung der privaten Hausarbeit.
Es ist deutlich geworden, daß die objektiv gestiegene gesellschaftliche Bedeutung der Hausarbeit in der Nachkriegszeit, die Dominanz der reproduktiven Probleme im Alltag der Bevölkerung und die Rolle der Frauen als Trägerinnen des Überlebenskampfes nicht ein neues weibliches Selbstbewußtsein, eine Identitätserweiterung der Frauen zur Folge hatten.
Die Frauen erkannten nicht die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Arbeit und deren Funktionalisierung für den Wiederaufbau des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Sie erkannten ebensowenig wie die Arbeiter und die politische Führung der Linken den kausalen Zusammenhang zwischen der Notsituation, der Existenzkrise, dem Hunger auf der einen und den ökonomischen Prioritätssetzungen auf der anderen Seite. Mit zunehmender Verschlechterung der Versorgungssituation kam es zwar hier und da zu Hungermärschen und Streiks, oft von Frauen initiiert und dominiert; aber die gestellten Forderungen gingen über eine Behebung der schlimmsten Auswirkungen des kapitalistischen Wiederaufbaus nicht hinaus, sie trafen nicht seinen Kern: die Mißachtung menschlicher Bedürfnisse, menschlichen Lebens zugunsten materiellen Profits. Auch »linke« Politiker sahen mit zunehmender Verschlechterung der Versorgungssituation, die in der Existenzkrise des Hungerwinters 1946/47 ihren Höhepunkt erreichte, die einzige Lösung in einer »Normalisierung« der Produktion und verschoben die Durchsetzung ihrer gesellschaftspolitischen Forderungen auf später, ohne die Interdependenz zu erkennen.
Auf dem 1. außerordentlichen Bundeskongreß des DGB der britischen Zone im Juni 1948 sagte Hans Böckler zu der Verknüpfung der Gewährung von Marshall-Plan-Hilfe und Verzicht auf die Forderung nach Sozialisierung der Schlüsselindustrien:

  • »Vieles muß von uns hingenommen werden - einfach aus der Tatsache, weil dem Verhungernden sonst kein Ausweg bleibt. Er greift nach dem letzten, das ihm Rettung verspricht. In dieser Lage sind wir... Im Osten hört man oft die Meinung, der Plan ist gegen die Sozialisierung der Grundstoffindustrien und für die Wiederaufrüstung des Großkapitalismus. Das mag auch eine Nebenabsicht sein. Vermutlich ist es eine... Aber verringern sich diese Absichten in Amerika, wenn wir ablehnen, uns am Marshall-Plan zu beteiligen? Hat Amerika nicht die Möglichkeit, auch ohne Beteiligung der Westzone auf die Erhaltung der großkapitalistischen Bestrebungen hinzuarbeiten? ... Darum sage ich: Laßt uns alle Bedenken hintanstellen, laßt uns die Vorteile, die uns der Plan bietet - und er bietet auch uns Gewerkschaftlern große Vorteile - laßt uns diese Vorteile nützen.«[46]

5. Frauen stehen »ihren Mann«. Zur Entwicklung weiblicher Erwerbsarbeit in der Nachkriegszeit

Die Entwicklung der weiblichen Erwerbsarbeit nach '45 ist nicht zu trennen,von der Entwicklung der Reproduktionsarbeit. Wie an der Handhabung der Arbeitsplanung und -lenkung aufgezeigt wurde, bezogen die Behörden die für den kapitalistischen Wiederaufbau unverzichtbaren reproduktiven Leistungen der Frauen in die Planungen bezüglich der Ausnutzung des weiblichen Arbeitskräftereservoirs ganz konkret mit ein.
Der Zusammenhang zwischen gratis geleisteter weiblicher Überlebensarbeit und ökonomischer Entwicklung zeigt sich aber nicht nur an solchen Details, sondern auch im Gesamtmaßstab der ökonomischen Schwerpunktsetzung. Trotz des bestehenden existentiellen Bedarfs an Gebrauchsgütern aller Art blieb die »Disproportionalität zuungunsten der Konsumgüterindustrie«[47], die bereits für die Struktur der deutschen Wirtschaft vor und im Zweiten Weltkrieg charakteristisch war, bestehen. Wie bereits erwähnt, erfolgte die Wiederankurbelung der Produktion gemäß den Weisungen der Militärregierungen bevorzugt in den zur Grundstoffindustrie zählenden Betrieben.[48] Die für den kapitalistischen Wiederaufbau unabdingbare Konzentration auf diese Produktionszweige und die gleichzeitige Vernachlässigung der Gebrauchsgüterindustrie bedeuteten für die Frauen nicht nur unbezahlte Mehrarbeit, »Überlebensarbeit« im Reproduktionsbereich, sondern auch ein nur geringes Angebot an traditionell weiblichen Arbeitsplätzen in der Konsumgüterindustrie. Im Jahre 1946 beliefen sich die Produktionsziffern in den »weiblichen« Bereichen

Chemische Industrie auf 39%
Textil/Bekleidung auf 20%
Leder auf 34%
Metallindustrie auf 18%

des Standes von 1936 .[49]

Auch in der sowjetischen Besatzungszone wurde die Behebung der Notistuation nicht als legitime politische Forderung der Bevölkerung verstanden, sondern an die Steigerung der Produktion gebunden. Im Begleittext zu dieser 1947 veröffentlichten Karikatur war zu lesen: »Frauen und Mädchen Sachsens! Ihr habt euer Geschick in eurer eigenen Hand. Durch leichtfertige Arbeitsbummelei wird unsere Produktion und unsere Wirtschaft gefährdet. Darum haltet Arbeitsdisziplin! Weniger Produktion bedeutet weniger Zuteilung an euch! Nur angestrengte Arbeit aller hilft unsere augenblickliche Not beseitigen. Darum arbeite jede gute Arbeiterin und Angestellte ständig an der Verbesserung der Arbeitsweise, helfe durch aktive Mitarbeit an den Produktionsplänen die Leistung ihres Betriebes steigern.«
Frauen in der Geschichte V
Das Angebot an »weiblichen« Arbeitsplätzen blieb also nach Kriegsende weiterhin gering. Die Anzahl der beschäftigten Frauen in der nordrhein-westfälischen Textilindustrie betrug beispielsweise im Juni 1946 27087 gegenüber 90536 im Vergleichsmonat des Jahres 1938.
Gleichzeitig bestand eine große Nachfrage nach Arbeitskräften im Bereich der Grundstoff- und der Bauindustrie, traditionell männlichen Produktionszweigen.
Gründe für den Arbeitskräftemangel in diesen Branchen waren neben Tod und Gefangenschaft von Millionen deutscher Soldaten und der Befreiung der Zwangsarbeiter die Entvölkerung der Großstädte und der hohe Grad an Wohnraumzerstörung und -beschädigung sowie die Zerstörung des Verkehrs- und Transportsystems, die eine Ansiedlung von Arbeitskräften in der Nähe der Produktionsstätten und deren Versorgung zunächst verhinderte, trotz des in die Westzonen fließenden Flüchtlingsstromes, mit dem sehr viele qualifizierte Arbeitskräfte nach Westdeutschland kamen.
Diejenigen Frauen, die aufgrund mangelnder anderer Möglichkeiten der Existenzsicherung auf die Übernahme einer Arbeitsstelle angewiesen waren, sahen sich also mit einem großen Angebot an Schwerarbeitsplätzen und einer sehr geringen Nachfrage in den »weiblichen« Industriebranchen konfrontiert.
Wie bereits während des Krieges arbeiteten demzufolge auch in der Nachkriegszeit Frauen als »Männerersatz« auf typisch männlichen Arbeitsplätzen: als LKW-Fahrerinnen, Kranführerinnen, Maschinistinnen, Packerinnen, Matrosen und Schiffsjungen, bei Gleisbauarbeiten der Reichsbahn, als Abstecherinnen und Probenehmerinnen in Hochofenbetrieben und natürlich - bekanntestes Beispiel - im Baugewerbe.[51] Die faktische Erweiterung der Frauenrolle in der Nachkriegszeit resultierte also nicht allein aus der gestiegenen Bedeutung der Reproduktionsarbeit für die Lebenssicherung. Hinzu kam, daß viele Frauen aufgrund der kriegsbedingten Abwesenheit bzw. des Todes ihrer Männer auch die »offizielle« männliche Ernährerfunktion - die Erarbeitung eines gemäß der herrschenden Ideologie der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung den Familienunterhalt sichernden Lohneinkommens [52] - übernahmen, d. h. auch die nach systemimmanenten Kriterien als gesellschaftlich notwendig anerkannte (Lohn-)Arbeit verrichteten (vgl. Abb. 1-4).
Was brachte ihnen die Ausübung dieser Berufe und die offensichtliche Bewährung auf männlichen Arbeitsplätzen ein? Wurde sie öffentlich honoriert in Form einer langfristigen Öffnung männlicher Berufe für Frauen, einer Einräumung beruflicher Aufstiegsmöglichkeiten auch für Frauen, einer gezielten Verbesserung weiblicher Berufsausbildung, einer Angleichung weiblicher an männliche Löhne.
Frauen in der Geschichte V
Wurde auf die Doppelbelastung der erwerbstätigen Frauen eingegangen in einer Weise, die den gesellschaftlichen Wert der Hausarbeit anerkannte? Wurden staatlicher- oder betrieblicherseits Maßnahmen ergriffen, die den erwerbstätigen Frauen die Hausarbeit erleichterten und nicht gleichzeitig gegen die Frauen als Arbeitnehmerinnen gewendet wurden?
Wie gingen die Frauen selbst mit der Erwerbstätigkeit einerseits, der Doppelbelastung andererseits um? Setzten sie ihre Interessen als Hausfrau und Mutter gegenüber ihren Arbeitgebern, ihre Interessen als Berufstätige gegenüber ihren männlichen Partnern durch?
Sind Ansätze eines neuen Selbstbewußtseins, einer erweiterten weiblichen Identität durch die faktische Übernahme männlicher Funktionen im Produktionsbereich erkennbar?
Diesen Fragen soll exemplarisch anhand der Aufhebung des Arbeitsverbots für Frauen auf Baustellen - der offizielle Hintergrund für die Arbeit der berühmten »Trümmerfrauen« nachgegangen werden.
Der Schrumpfung des männlichen Arbeitskräftepotentials - der Anteil der leistungsstärksten 25-40-jährigen männlichen Arbeitskräfte an der Gesamtbevölkerung war von 27,3 % (1939) auf 17,6/o (1946) gesunken [53] - stand die dringende Notwendigkeit gegenüber, sofort nach Kriegsende mit Enttrümmerungs- und Instandsetzungsarbeiten zu beginnen, sollte die notdürftige Unterbringung der Bevölkerung vor allem in den Großstädten auch nur annähernd gewährleistet sein und das Ingangkommen der Produktion ermöglicht werden.
Da die Bevölkerung der Großstädte infolge der Evakuierungsmaßnahmen und Kiegszerstörungen stark zurückgegangen war - in Köln z. B. lebten von 730000 Einwohnern der Vorkriegszeit nur noch 40000 [54] waren die Behörden auf eine möglichst umfassende Ausschöpfung der noch vorhandenen Arbeitskraftreserven angewiesen. Die - wie bereits erwähnt - ab Sommer 1945 in den einzelnen Verwaltungsbezirken zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingeführte Arbeitsverpflichtung sollte den Einsatz der verbliebenen männlichen und weiblichen Arbeitskräfte zu gemeinnützigen und für den Wiederaufbau dringend erforderlichen Arbeiten ermöglichen. Es handelte sich dabei in der Hauptsache um Aufräumarbeiten, Instandsetzungsarbeiten und Arbeiten in verschiedenen Zweigen der Grundstoffindustrie.
Was den Einsatz der Frauen zu diesen Arbeiten betrifft, so waren die Behörden bemüht, in erster Linie ledige, junge Frauen, die noch nicht ganze Familien durch ihre Hausarbeit am Leben erhielten und deswegen als Hausarbeiterinnen entbehrlich waren, zu Pflichtarbeiten heranzuziehen:

  • »Es kommen in erster Linie die Angehörigen der Geburtsjahrgänge 1924-1926 in Frage; falls diese Jahrgänge nicht ausreichen, die Angehörigen der Geburtsjahrgänge 1923, 1922, 1921, 1927. . .. Die restlose Meldung der aufgerufenen Frauen kann durch eine besondere Kontrolle des in Frage kommenden Jahrgangs bei der Lebensmittelkartenausgabe sichergestellt werden.«[55]

Nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 29. 10. 1946 waren in der britischen Zone 7 291 Frauen als Arbeiterinnen im Bau- und Baunebengewerbe tätig, 7 686 in der Wirtschaftsgruppe Salinen, Torfgräberei und 6860 im Bereich Eisen- und Metallgewinnung.[56] Es ist jedoch nicht auszumachen, inwieweit es sich hierbei um Dienstverpflichtungen handelte und wie viele dieser Frauen auf ausgesprochenen Männerarbeitsplätzen beschäftigt waren. Insgesamt waren die Behörden bemüht, eine »umfassende Umschichtung vollarbeitsfähiger Männer zu schwerer Handarbeit« durchzuführen, »so daß erwerbsbeschränkte Kriegsbeschädigte und Frauen die leichteren Arbeiten übernehmen konnten«,[57] jedoch ließ sich diese Praxis aufgrund des Mangels an männlichen Arbeitskräften und der infolge der schlechten Ernährung stark geminderten Leistungsfähigkeit der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte nicht konsequent durchhalten. Hinzu kam, daß längst nicht alle Arbeitslosen sich bei den zuständigen Arbeitsämtern registrieren ließen. Wer seinen Lebensunterhalt aus anderen Quellen sichern konnte, verzichtete auf die Lebensmittelkarten und entzog sich der Arbeitsverpflichtung, die in den meisten Fällen Schwer- und Schwerstarbeit bedeutete.
Der Arbeitskräftemangel führte schließlich zu einer Verschärfung der Arbeitspflichtbestimmungen für Frauen. Der weitergehenden Ausschöpfung der weiblichen Arbeitskraftreserven standen Frauenarbeitsschutzbestimmungen entgegen, die u. a. die Beschäftigung von Frauen auf Bauten untersagten. Die von den Nationalsozialisten übernommenen Ausnahmebedingungen ermöglichten zwar die Heranziehung von Frauen auf der Basis von Sondergenehmigungen, jedoch war diese Praxis mit einem relativ hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Schon bald gingen deshalb die Provinzial- und Landesbehörden dazu über, Ausnahmegenehmigungen für ihre gesamten Amtsbereiche zu erteilen,[58] und mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 32 vom 10. 7. 1946 wurde dann die gesetzliche Handhabe für eine generelle Heranziehung von Frauen zu Bau- und Wiederaufbauarbeiten in allen Zonen geschaffen.
Auf der Grundlage dieses Gesetzes und seiner Durchführungsbestimmungen wurden Frauen fortan nicht nur zum Schutträumen und bei Bauarbeiten, sondern auch bei der Wiederaufbereitung (Steineklopfen) und Produktion von Baumaterialien (Ziegeleien, Zementindustrie) eingesetzt. Es wurde aber seitens der Arbeitsbehörden von Anfang an deutlich gemacht, daß es sich bei der Frauenarbeit im Baugewerbe nur um eine vorübergehende Erscheinung handeln könne. Der Ersatz- und Interimscharakter dieser Frauenarbeit wird sowohl im Kontrollratsgesetz selbst als auch in den dazugehörigen Ausführungsbestimmungen deutlich:

  • »In Anbetracht des großen Mangels an tauglichen männlichen Arbeitskräften in gewissen Teilen Deutschlands ...«[60]

heißt es im Kontrollratsgesetz und

  • »Solange die gegenwärtige Knappheit an männlichen Arbeitskräften im Baugewerbe besteht, müssen viel weibliche Arbeitskräfte verwendet werden«[61]

in den Ausführungsbestimmungen.
Dementsprechend wurden die im Baugewerbe beschäftigten Frauen lediglich als Hilfsarbeiterinnen eingesetzt, weil »die durch Anlernung hervorgerufene stärkere Bindung von Frauen an typisch männliche Berufe unerwünscht«[62] sei. Den Frauen wurde damit von vornherein die Chance genommen, sich - da sie nun einmal zu diesen Arbeiten verpflichtet wurden und nicht selten auch Gefallen daran fanden - zu Facharbeiterinnen ausbilden zu lassen und damit ihre berufliche Zukunft besser abzusichern. Anträge von Frauen auf Umschulung zur Maurerin z. B. wurden von den Arbeitsbehörden abgelehnt wegen der Absturzgefahr bei Arbeiten auf Leitern und Gerüsten:

  • »Durch die weit geringere Zahl an roten Blutkörperchen und auch durch die kleinere Ausbildung des Herzens besteht bei Überanstrengung, aber auch insbesondere während der monatlichen Tage bei der Frau in viel größerem Maße und Umfang die Möglichkeit und damit die Wahrscheinlichkeit, daß sie Schwindelanfällen ausgesetzt ist, als der Mann. Ich halte es unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte nicht für zweckmäßig, Frauen im Baugewerbe oder in anderen Betrieben, wo sie in erheblichem Umfange der Absturzgefahr ausgesetzt ist, zu beschäftigen.«[63]

»Beschäftigt« wurden die Frauen natürlich trotzdem, nur erwuchs ihnen aus dieser Beschäftigung nicht das Recht auf eine Ausbildung. Solange »Not am Mann« war, zählten solche Argumente wenig, und Schutzmaßnahmen wurden außer Kraft gesetzt. Einer eventuellen Ableitung von Ansprüchen seitens der betroffenen Frauen wurde aber gleichzeitig vorgebeugt durch den Verweis auf den Interimscharakter dieser Lösung, die »eigentlich« die Körperkräfte der Frau übersteige und ihrer Konstitution nicht entspreche. Den Frauen wurde damit von vornherein die Möglichkeit einer Bewährung auf diesen Arbeitsplätzen genommen. Und während mit dem Verweis auf ihre besondere Schutzbedürftigkeit der Frau der Zugang zu den lukrativeren qualifizierten Männerberufen versperrt wurde, interessierte sich keine der mit dem Arbeitsschutz beauftragten Behörden für die gesundheitsschädigenden Wirkungen, die die Kraftakte der Hausfrauen und Landarbeiterinnen bei der Erfüllung der Reproduktionsarbeit nach sich zogen.
Dieser Zusammenhang ist jedoch nur scheinbar widersprüchlich. Die Ausbeutung der reproduktiven Arbeitskraft der Frau macht es erforderlich, ihrer Ausbeutung im Produktionsbereich Grenzen zu setzen durch Mutterschutz und Frauenarbeitsschutz. Gleichzeitig werden genau diese Schutzmaßnahmen dazu benutzt, die Frau als Lohnarbeitskraft zu diskriminieren. Sie erfüllen so eine doppelte Funktion: Zum einen sichern sie die reproduktiven Leistungen auch der erwerbstätigen Frauen. Zum anderen gewährleisten sie das Fortbestehen des geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktes, indem sie gegen die Frau als Lohnarbeitskraft gewendet werden.
Die Verweigerung einer Ausbildung von Frauen für männliche und damit qualifizierte und aussichtsreiche Berufe ist systemimmanent völlig logisch, denn die Aussicht auf eine Karriere im Beruf wäre eine reale Alternative zu einem Leben als Ehefrau und Mutter gewesen und beinhaltete die Gefahr, die Bereitschaft der Frauen zur Familiengründung zu senken. Familiengründung, das war gleichbedeutend mit dem Verzicht auf berufliches Engagement, und dieser Verzicht war juristisch sanktioniert durch die Verpflichtung der Frau zur Hausarbeit.[64]
Eine Lockerung des geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktes hätte auf lange Sicht die gesamtgesellschaftliche geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, auf die der Kapitalismus angewiesen ist, gefährden können!
Die gegen die Beschäftigung von Frauen in Männerberufen angeführten Argumente beschränkten sich aber nicht auf die angebliche körperliche Ungeeignetheit der Frau. Die Gewährleistung der Erfüllung »weiblicher« Aufgaben in der Familie und »männlicher« Aufgaben im Beruf machte es erforderlich, nicht nur den Körper der Frau gegen »übermäßige«, d. h. ihre Reproduktionsleistungen gefährdende Beanspruchung zu schützen, sondern darüber hinaus auch die geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen, Denkmuster und Gefühle zu sichern. Das heißt, die Frau mußte nicht nur vor zu hoher körperlicher Belastung, sondern auch vor »unweiblichen« Einflüssen »geschützt« werden. Denn die Arbeit im Haus stellt bestimmte Anforderungen, die durch die Arbeit außerhalb des Hauses nicht gefährdet werden dürfen. Diese Anforderungen betreffen sowohl die materielle als auch die psychische Hausarbeit und die sexuellen Verhaltensweisen. Die Gefährdung der darauf abgestimmten weiblichen Verhaltensdispositionen durch die Arbeit in Männerberufen wurde deutlich artikuliert:

  • »Wenn sich dieser Einsatz (im Baugewerbe, D.S.) bei den derzeitigen Verhältnissen nicht vermeiden läßt, so bleibt doch bestehen, daß die in Deutschland neuartige Beschäftigung von Frauen in der Bauwirtschaft wegen der hohen körperlichen Anforderungen und der Gefahr psychischer Verrohung an sich unerwünscht ist... Der Baueinsatz der Frau kann nur eine vorübergehende Notmaßnahme sein.«[65]

Arbeiten wie die im Baugewerbe, die mit Staub, Schmutz und Lärm verbunden waren und zudem durch den rauhen »Umgangston« der männlichen Kollegen geprägt waren, wurden als negative Einflüsse nicht nur auf die Haushaltsführung, sondern auch auf die Moral der Frauen eingeschätzt:

  • »Findet sie nun an ihrem Arbeitsplatz nicht die gewohnte Ordnung und Sauberkeit und hat auch keine Möglichkeit, diese herzustellen ... (besteht die Gefahr) » . I daß sie sich mit der Zeit an diesen Zustand gewöhnt, und die Unordentlichkeit und Unsauberkeit im Betrieb nicht mehr empfindet. Sehr leicht verliert sie dann auch in ihrem Haushalt den Blick dafür und läßt den Kindern und dem Heim nicht mehr die erforderliche Pflege zukommen.«[66]
    »Werkfürsorgerinnen und Fabrikpflegerinnen klagen, daß es bei den Frauen, die längere Zeit mit diesen (schmutzigen, D.S.) Arbeiten beschäftigt werden, nicht nur an äußerer Gepflegtheit fehle, sondern daß sie auch in sittlicher Hinsicht unterhalb der anderen Arbeiterinnen stehen. Man vermisse bei ihnen das Feine, Zarte der äußeren Form wie die vornehme und zurückhaltende Haltung der sittlich hochstehenden Frau.«[67]

6. Der Start ins »Wirtschaftswunder": mehr Lebensqualität?

Das Beispiel der »Trümmerfrauen« zeigt, daß die durch die Krise bedingte kurzfristige Öffnung männlicher Berufe für Frauen von den Rahmenbedingungen her nicht als emanzipatorische Chance, als die sie vielfach mißverstanden wird, interpretiert werden kann. Der Einsatz von Frauen in Männerberufen war von vornherein als Übergangslösung angelegt, und es stand fest, daß die Arbeitsverbote bei Auffüllung der entstandenen Lücken in den Reihen der männlichen Arbeitskräfte wieder in Kraft treten würden. Eine langfristige Erschließung neuer Berufsmöglichkeiten für Frauen ist bisher immer nur unter Rentabilitätsaspekten erfolgt, daß heißt: Frauen wurden solche Arbeitsplätze zugänglich gemacht, an denen sie aufgrund ihrer Sozialisation zur Hausarbeit besonders gut, besser als Männer, funktionierten. So »erschloß« z. B. die Rationalisierungswelle der 20er Jahre den Frauen neue, nämlich Fließbandarbeitsplätze, weil sie aufgrund ihrer antrainierten Eigenschaften, Verhaltensweisen und Denkstrukturen - Geduld, Fingerfertigkeit, Geschicklichkeit, familienorientierte Arbeitsmotivation zum einen effektiver arbeiteten als Männer und zum anderen die Monotonie der Fließbandarbeit bereitwilliger hinnahmen.[68] Dasselbe Muster zeigt sich Ende der 40er Jahre an der Eröffnung von Berufsmöglichkeiten für Frauen im sozialpflegerischen Bereich, die durch die langfristigen Kriegsfolgen Jugendverwahrlosung, Jugendkriminalität, Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingselend, Kriegswaisen etc. - dringend notwendig geworden war. Auch zu dieser Art von Arbeit waren die Frauen aufgrund ihrer Sozialisation zur »Beziehungsarbeit«[69] besonders gut geeignet und effektiv einsetzbar.
Die Verweigerung einer langfristigen Öffnung »männlicher« Berufe für Frauen kann nicht mit einer ideologischen Verhaftung der maßgeblichen gesellschaftlichen Instanzen in alten Rollenklischees oder allein mit der Funktion der Frauen als ökonomische Reserve, für die der Haushalt lediglich eine Rückzugsstätte darstellt, erklärt werden. Sie verweist vielmehr im Kern auf das ökonomische, kapitalistische Interesse an der Sicherung der unbezahlten weiblichen Reproduktionsleistungen, deren gesellschaftliche Bedeutung, die »Schaffung des realen menschlichen Arbeitsvermögens«[70] als Basis kapitalistischer Produktion in der Nachkriegszeit besonders deutlich wird. Aufgrund ihrer Flexibilität konnte die Reproduktionssphäre durch immer weitere Ausdehnung der Hausarbeit zur Subsistenzproduktion den Produktionsbereich weitestgehend von den für die Lebenserhaltung der Arbeitskraft notwendigen Versorgungsleistungen entlasten und die Reproduktionskosten auf ein Minimum reduzieren. Die »Überlebensarbeit« schuf so die Voraussetzung für den »(vor allem nach der Währungsreform einsetzenden) grandiosen Akkumulationsprozeß privaten Kapitals«.[71]
Ohne die private Überlebensarbeit der Frauen hätte die Schwerpunktsetzung im Produktionsbereich - Ankurbelung der Basisindustrien, Hortung von Gütern bis zur Währungsreform - nicht bzw. nicht so kostengünstig funktioniert, was den Start ins »Wirtschaftswunder« erheblich verzögert bzw. in Frage gestellt hätte. Die häufig vertretene »linke« These, »das allgemeine Tempo des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs Westdeutschlands (sei) ein Indiz für den Ausbeutungsgrad der Arbeiter«[72] (Hvhbg. D.S.), greift also zu kurz, denn

  1. Übersieht sie die Ausbeutung der Hausfrauen, deren Arbeit der Lohnarbeit notwendig vorgeschaltet ist und
  2. waren es nicht nur Arbeiter, sondern auch Arbeiterinnen, die zugunsten erhöhter Kapitalakkumulation ausgebeutet wurden, und zwar doppelt: nämlich als Hausfrauen und als Arbeiterinnen!

Die auf den ersten Blick häufig widersprüchlich oder als ideologische Befangenheit erscheinenden Planungs- und Lenkungsmaßnahmen der Nachkriegsbehörden im Bereich der Frauenarbeit - einerseits Arbeitsverpflichtung und Aufhebung von Frauenarbeitsschutzbetimmungen, andererseits Arbeitsbefreiung für Frauen mit Familie und Betonung der besonderen Schutzbedürftigkeit der Frau - erklären sich in diesem Interpretationszusammenhang als zwei Seiten derselben Medaille: Sie bestimmen sich aus dem notwendigen Einsatz der Frauen als Überlebensarbeiterinnen einerseits und vorübergehendem Ersatz für männliche Arbeitskräfte andererseits. Daß diese Arbeit der Frauen zwar hochgelobt wurde, aber keine »Chance« im Sinne einer Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau darstellte, gar nicht darstellen konnte, wurde spätestens mit der Währungsreform vollends deutlich. Nachdem durch die Geldreform und die allmähliche Aufhebung des Bewirtschaftssystems der Lohn wieder etwas wert und die Lohnarbeit infolgedessen wieder attraktiv war, setzte fast sofort die Verdrängung der Frauen von den männlichen Arbeitsplätzen ein, wobei ganz unverblümt damit argumentiert wurde, daß man sie nun - da wieder genügend männliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen - nicht mehr brauche:

  • »Inzwischen haben sich die Verhältnisse geändert. Fachkundige männliche Arbeitskräfte stehen durch die Rückkehr der Kriegsgefangenen und als Folge der Währungsumstellung und der Aufbesserung der Löhne in der Binnenschiffahrt wieder zur Verfügung... So wertvoll die Hilfeleistung der Frauen in den Zeiten der Not gewesen ist, so ergibt sich nunmehr doch die Notwendigkeit, die Verwendung von Frauen an Bord von Binnenschiffen auf das vor dem Kriege bestehende Maß zurückzuführen.«[73]

Eine ähnliche Entwicklung wie hier für die Binnenschiffahrt geschildert, vollzog sich auch in den anderen Branchen. Auch um »geschlechtsneutrale« Arbeitsplätze mußten die Frauen bangen. Die »Doppelverdiener-Kampagnen« - bekannt aus den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg und aus dem Nationalsozialismus - setzten wieder ein. Verheiratete Arbeitnehmerinnen, deren Männer nicht arbeitslos waren, wurden entlassen, mit dem Argument, sie nähmen stellenlosen Familienvätern die Arbeitsplätze weg und gefährdeten so die Existenzsicherung dieser Familien. Dieses Argument galt natürlich nicht für Arbeitnehmerinnen, die durch Männer nicht ersetzbar waren! Über Entlassung oder Weiterbeschäftigung entschieden allein ökonomische Verwertungsaspekte.
Und was bedeutete die Währungsreform für die Arbeit der Hausfrauen? Wurde die Hausarbeit von heute auf morgen weniger beschwerlich, weniger anstrengend, weniger zeitintensiv, weil der offizielle Markt wieder funktionierte? Eines ist sicher~ Es gab »über Nacht« fast alles wieder zu kaufen, nachdem die gehorteten Warenbestände aufgelöst worden waren; die Schaufenster waren wieder voll. Nur: Wer verfügte schon über das »nötige Kleingeld«, um die angebotenen Waren auch tatsächlich kaufen zu können? Ganz im Sinne der Stabilisierung der deutschen Wirtschaft, und das hieß zugunsten steigender Unternehmergewinne und dem davon zu erwartenden Investitionsanreiz, fiel zwar die Preisbindung fast aller bis dahin bewirtschafteten Waren unmittelbar nach der Währungsreform. Nur die wichtigsten Rohstoffe und Nahrungsmittel unterlagen weiterhin der Preiskontrolle.[74] Der Lohnstop jedoch blieb noch bis zum November 1948 in Kraft, während »sich die Lebenshaltungskosten im zweiten Halbjahr 1948 um 17% erhöhten, und... die Arbeitslosenzahlen sich bis Jahresende auf fast eine Million verdoppelten«.[75]
Die »Mangelbewirtschaftung« lief also in den meisten Familien zunächst weiter! Nach wie vor stabilisierte sich die kapitalistische Wirtschaft auf Kosten der Hauswirtschaft, auf dem Rücken der Frauen.
Und wenn es nach dem Wegfall des Lohnstops tatsächlich langsam »wieder aufwärts« ging, die im Krieg verlorene Wohnungseinrichtung, Hausrat und Kleidung Stück für Stück durch Kauf wieder ergänzt werden konnte, die Familie also wieder Konsumtionsfunktion hatte, so deshalb, weil die Hausfrauen das Geld für derartige Anschaffungen nach wie vor durch zusätzliche Hausarbeit verdienten. Kartoffeln wurden eben nicht gekauft, sondern selbst angebaut, Kleider auch weiterhin selbst genäht und Pullover selbst gestrickt; statt Konserven zu kaufen, wurde selbst eingekocht, eingelegt, entsaftet etc. und das so eingesparte Geld für Waren ausgegeben, die man selbst nicht ohne weiteres herstellen konnte wie Möbel und Haushaltsgegenstände.
Die Familie als institutioneller Rahmen privater Hausfrauenarbeit funktionierte damit weiterhin ganz im Sinne des Systems. Entsprechend dem anhaltenden wirtschaftlichen Aufwärtstrend verschob sich diese Funktion nun zunehmend von der Überlebenssicherung auf den Konsum. Die Basis für diesen Konsum blieb weiterhin die Hausarbeit. Ihre Flexibilität und ihr besonderer Charakter, der sie auf der subjektiven Erlebnisebene als »Arbeit aus Liebe« und damit als Privatangelegenheit erscheinen läßt, machen die Hausarbeit und die bürgerliche Kleinfamilie zur unverzichtbaren Basis kapitalistischer Gesellschaften.

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