- (* Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Magister-Arbeit »Die politischen und sozialen Vorstellungen der deutschen Frauenzeitschriften zwischen 1945-1949« (Eine quantitative und qualitative Analyse), die bei Prof. Gerd Schumann, Technische Hochschule Darmstadt, am Fachbereich Politikwissenschaft 1983 angefertigt wurde
Im Gegensatz zu landläufigen Vorstellungen, in der Frauenpublizistik in den Jahren nach 1945 hätte es in Deutschland keine für die Belange der weiblichen Bevölkerung engagierte Frauenpresse gegeben, ist festzustellen, daß sich schon seit 1945 eine wachsende Zahl von (mitunter allerdings nur kurzlebigen) Frauenzeitschriften herausbildeten, die, was inhaltliches Niveau, Realitätsbezug, Thematisierung von Gleichberechtigungsforderungen und thematisches und weltanschauliches Spektrum angeht, qualitativ weit über dem im Vergleich dazu monotonen, thematisch vorwiegend auf Bereiche wie Mode und Unterhaltung eingeengten Frauenzeitschriftenangebot der fünfziger und sechziger Jahre stand.[1]
1. Charakterisierung repräsentativer Frauenzeitschriften
1. »Frauenwelt«
Als erste Frauenzeitschrift erschien nach dem Krieg im Dezember 1945 die »Frauenwelt«, Zeitschrift für alle Gebiete des Frauenlebens. Diese Zeitschrift wurde 1928 unter dem Namen «Nürnberger Hausfrauenzeitung« gegründet und im Februar 1937 von den Nationalsozialisten verboten. Im April 1937 sollte ein Flugblatt, das die Hintergründe des Verbots enthüllte, an die Leserinnen der ehemaligen Hausfrauenzeitschrift gesandt werden, der Inhalt wurde jedoch schon vorher von dem Setzer der Druckerei an die Nazis verraten. Die Herausgeberin ROSINE SPEICHER wurde daraufhin verhaftet und mußte eine Strafe in einem Konzentrationslager verbringen. Anlaß des Verbots war ein Artikel im Februar 1937 »Nicht mitzuhassen, mitzulieben sind wir da« ..., »der sich gegen die sittliche Verderbnis der Jugend durch den Stürmer und die pornographischen Reden des Herrn STREICHER«[2] gerichtet hatte.
Im Dezember 1945 erschien dann unter dem neuen Namen >Frauenwelt<, aber von der alten Herausgeberin ROSINE SPEICHER in Nürnberg die erste Nummer nach dem Krieg. Sie startete mit einer Auflage von 23 000 Exemplaren und erschien alle 14 Tage.
Die neue Leserin wurde folgendermaßen begrüßt:
- »Es ist uns ein Bedürfnis, unsere alten und neuen Leserinnen herzlich zu begrüßen. Nach fast 9 Jahren, die ein geballtes, schreckliches Geschehen einschließen, können wir zu unserer Freude mit Genehmigung der Amerikanischen Militär-Regierung wiederum das schöne Vertrauensverhältnis zu den Frauen aufnehmen, das 1937 gewaltsam zerstört und unterbrochen wurde. Die Aufgabe unseres Blattes, das sich nun >Frauenwelt< nennt und zweimal monatlich erscheint, sehen wir in der Behandlung sämtlicher Probleme, die Frauen berühren. Neben den geistigen und kulturellen Fragen, wollen wir den akuten praktischen Sorgen der Haushaltsführung größte Aufmerksamkeit schenken. Auch das Kapitel Kleidung soll den ihm gebührenden Raum in der Frauenwelt finden. Mit ganzer Liebe wollen wir uns den so wichtigen Angelegenheiten der Jugend widmen und sie zur Mitarbeit heranzuziehen suchen. Wir wissen, daß unser Vorhaben nicht leicht ist, und eine schwere Verpflichtung einschließt. Unsere geschätzte Leserschaft bitten wir, uns in unseren Bestrebungen zu unterstützen und einen recht regen Kontakt mit der Schriftleitung der Frauenwelt zu pflegen«[3]
Mitglied der Redaktion war neben ROSINE SPEICHER noch Dr. ERNA LUISE LANGER. Die Zeitschrift erschien in einem eigenen Verlag, das heißt es handelte sich hier um eine der Zeitschriften dieser Zeit, die von einer Frau für andere Frauen eigenverantwortlich herausgegeben wurde. Welche Bedeutung sie der eigenen Herausgeberschaft zumaß, machte ROSINE SPEICHER in einem Leitartikel aus dem Jahre 1946 deutlich:
- »Sollten die Frauen nicht wenigstens einmal ihre eigene Presse in die Hand nehmen, sie durch Verständnis und Mitarbeit fördern! Sollte in der weiblichen Ausschaltung aus der Presse nicht ein Grund zu suchen sein für die nicht begehrte Arbeit der Frau im öffentlichen Leben. Die Presse ist noch immer eine Macht, und die Einflußnahme auf sie muß erstrebt werden, denn von hier aus kann manches, wenn nicht alles erreicht werden. Es wird sich als notwendig erweisen, daß Frauen wenigstens die von Frauen geleitete Presse stützen und ihr ihre verpflichtende Mitarbeit angedeihen lassen...«[4]
Die Zeitschrift war im freien Zeitungsverkauf und im Abonnement zu beziehen. Sie kostete zuerst 0,30 DM, ab April 1946 0,40 DM, und nach der Währungsreform 0,50 DM und schließlich ab Oktober 1949 0,70 DM.
Die >Frauenwelt< war eher konventionell aufgemacht, besaß nur wenig Bilder, und die Artikel waren zwei- oder dreispaltig gedruckt. Das Titelblatt zeigte meistens eine Frauengestalt aus der Kulturgeschichte. Die äußerliche Aufmachung veränderte sich im untersuchten Zeitraum nur insofern, als statt eines schwarz-weißen Schutzumschlages ein bunter Schutzumschlag genommen wurde.
Der Leserkreis der >Frauenwelt< läßt sich heute nicht mehr genau bestimmen. EDITH KOWOHL spricht von einer nicht sehr kultivierten, aber doch interessanten Frau aus der Provinz.[5]
Die Auflagenhöhe der Zeitschrift (soweit bekannt), entwickelte sich von 1945 bis 1949 folgendermaßen:
Dezember '45 = 23 000, ab August '46 = 35 000, ab November '48 = 50 000 und ab Dezember '49 = 50 000.[6]
2. »Sie« - Die Wochenzeitung für Frauenrecht und Menschenrecht
Die erste Nummer der Zeitschrift »Sie« erschien am 1. Dezember 1945 in Berlin, mit einer Auflage von 125 000 Exemplaren. Die amerikanische Militärregierung hatte die Lizensgenehmigung RUTH FRIEDRICH, HELMUT KINDLER und HEINZ ULLSTEIN erteilt. Die Redaktionsleitung übernahm HELMUT KINDLER. Die Zeitschrift erschien zuerst in dem neugegründeten Verlag F. U. K. (FRIEDRICH/ULLSTEIN/KINDLER). Ab dem 24.8. 1947 wurde die »Sie« vom Verlag HEINZ ULLSTEIN und HELMUT KINDLER herausgegeben und ab dem 13. 2. 1949 vom HEINZ ULLSTEIN Verlag. 1948 übernahm für kurze Zeit NINA RAVEN-ULLSTEIN die Chefredaktion, wurde aber kurze Zeit später von FRITZ PRENGEL abgelöst, der bis Ende des Untersuchungszeitraums die Chefredaktion innehatte. Die Zeitschrift kostete in Berlin 0,50 DM und in den Westzonen 0,60 DM. Es handelte sich um eine Zeitschrift, die für Frauen herausgegeben wurde, aber unter männlicher Leitung stand. Anspruch dieser Wochenzeitschrift war, den Leserinnen in der schweren Nachkriegszeit beizustehen und ihnen einen positiven Weg in die Zukunft zu weisen. Die Leserinnen wurden u. a. mit folgenden Sätzen in der Anfangs-Nummer im Dezember 1945 begrüßt:
»... Dann reden wir über unsere kleinen und großen Sorgen - und vergessen nicht, daß das Leben selbst heute voller großer und kleiner Freuden ist. Wir wollen auch Themen besprechen, die nicht immer zu Wort kommen, ganz einfach wollen wir sie besprechen, ohne allgemeine Redensarten, von Frau zu Frau ...«[7] Anfänglich war die Zeitschrift nur auf Frauen zugeschnitten, aber schon ab Mitte 1946 läßt sich darauf schließen, daß die Herausgeber sich auch an Männer wenden wollten. Ab 18. September 1949 nannte sich die Zeitschrift dann auch nicht mehr >Sie< - Die Wochenzeitung für Frauenrecht und Menschenrecht, sondern >Sie< - Berliner Illustrierte Wochenzeitung.
Die >Sie< hatte im Gegensatz zu den anderen untersuchten Zeitschriften das Format einer normalen Tageszeitung und war auch vom Umbruch als solche gestaltet. Die Sprache war einfach und verständlich, Überschriften waren meistens fettgedruckt. Die einzige Ausnahme bildete das Titelblatt, hier wurden neben dem Titel - unter rotfarbigem Druck - die Themen der Ausgabe kurz angezeigt; der Rest der Seite teilte sich auf in einen Leitartikel zu einem bestimmten aktuellen politischen Thema und ein Bild (das meistens eine Frau oder mehrere Frauen aus den Nachkriegsjahren darstellte).
Die Auflagenhöhe läßt sich nicht genau rekonstruieren, in der Zeitschrift selbst wurde nur einmal die Höhe von 125 000 genannt.
3. »Die Welt der Frau« - Eine Monatszeitschrift für Kultur, Familie, Haus und Beruf
Im Juli 1946 erschien die >Welt der Frau< in Stuttgart, Herausgeberin und Redakteurin war ANNEMARIE WEBER. ANNEMARIE WEBER wurde 1903 in Kiel geboren und war vor 1933 Chefredakteurin der >Kölnischen Zeitung<. Ab November 1946 teilte sie sich die Redaktion mit LISBETH PFEIFFER. LISBETH PFEIFFER wurde 1915 in Stuttgart geboren und war seit 1943 Mitarbeiterin an verschiedenen württembergischen Tageszeitungen gewesen.
Die Zeitschrift erschien monatlich in der Deutschen-Verlagsanstalt GmbH in Stuttgart und kostete durchgehend 1,- DM. Ab 1949 erschien eine zusätzliche Ausgabe mit einer Modebeilage für 1,35 DM, die aber nur im Abbonnement erhältlich war. Die Auflagenhöhe blieb nach eigenen Angaben mit 50 000 in dem untersuchten Zeitraum konstant.
Die Zeitschrift Die Welt der Frau war eher konventionell aufgemacht, aufreißerische Artikel konnte man nicht finden. Sie war fast durchweg zweispaltig umbrochen und verfügte nur über wenige Bilder. Die Sprachlichkeit war sehr anspruchsvoll, im Inhalt wurde ein frauenrechtlerischer Standpunkt vertreten. EDITH KOWOHL vermutet einen Leserinnenkreis mit höherer Schulbildung, der es gewohnt war, »den Inhalt auch über den Weg der Abstraktion aufzunehmen, also mehr zu denken«.[8]
In der ersten Nummer erschien nur ein kurzes Geleitwort mit einem Gedicht. Erst im Januar 1947, nachdem Leserinnen eine Stellungnahme zu der neuen Zeitschrift vermißt hatten, schrieb ANNEMARIE WEBER einen längeren Artikel, der den gesamten Inhalt der Zeitschrift (in dem untersuchten Zeitraum) charakterisierte:
»...Und die Herausgeberin hatte es besonders gut gemeint, indem sie ihre Leser mit allen Bekenntnissen verschonte. Sie hatte geglaubt, daß es ihr nach und nach vielleicht gelingen würde, ihre Wünsche und Pläne in der Zeitschrift darzutun, auch ohne daß sie ausgesprochen würden; und um es ganz genau zu sagen: trotz des Wunsches mancher Leserinnen, wird sie nichts und niemand dazu bringen, zu erklären was wir wollen. Aber über etwas anderes gebe ich gern Auskunft, darüber nämlich, was ich von der Welt der Frau halte, zu deren Existenz ich mich im Titel der Zeitschrift bekenne.(...) Da es in unseren Tagen wenige Lebensgebiete gibt, auf denen nicht auch Frauen tätig sind, wäre (...) der Stoff der Gespräche unbegrenzt. Das der Frauenzeitschrift Eigentümliche wäre eben nur, daß sich das Gespräch in weiblicher Gesellschaft abspielt, und daß es die Welt der Frau ist, um die es geht. Womit wir wieder bei der Welt der Frau angelangt wären.(...) MARIA JOCHUM schrieb vor einiger Zeit in den Frankfurter Heften, daß wichtiger als die Besetzung von leitenden Posten durch die Frau dies sei, sich die Kräfte zu vergegenwärtigen, die von der Frau aus in das öffentliche Leben einströmen könnten und die sich vermutlich eher auf eine veränderte Haltung als auf neue Inhalte beziehen würden. Die Zeit, da es üblich war, Frauen über Bäche und Gräben zu helfen, ist noch nicht so lange vergangen, indessen ist der Zuwachs an Kraft und Geschmeidigkeit, zu der der Sport den Frauen verholfen hat, ihnen nur zugute gekommen, und er steht ihnen, vor allem wenn sie jung sind. Aber die Erfahrungen zweier Kriege haben gelehrt, daß sich die Frau in die Position des Hundes und des Pferdes begeben hat, von denen der italienische Katzenfreund RAJBERTI gesagt hat, sie hätten ihre Freiheit verloren, weil sie sich - im Gegensatz zur Katze - allzu nah mit dem Menschen eingelassen hätten. Die Frau, die heute übermüdet und überbürdet ihr Gepäck von einem überfüllten Zug in einen anderen schleift, ist das erschütternde Gegenbild zu der Frau, der man über den Bach half. Aber sie ist nicht nur das erschütternde Gegenbild: der leise Widerwille gegen das Gehetzte ihrer Erscheinung und der Vorzug in der Behandlung, der heute wie eh und je gut aussehenden und gelassenen Frauen zuteil wird, sollten der Frau deutlicher als alle Überlegungen sagen, daß vor allem sie auf einem Irrweg ist. Sie hat sich ihrer Ansprüche begeben, sie hat sich darauf eingelassen, daß der Mann ihren Kräften und ihrer Verwendbarkeit in allen Lebenslagen geschmeichelt hat, und sie hat gegen ihren besseren Willen durch Gedankenlosigkeit dazu geholfen, den Karren tiefer in den Schlamm zu stoßen, den sie hätte aufhalten sollen. Man muß den Frauen - da ihre Tradition in der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten noch jung ist - eine gewisse Schuldlosigkeit an der Vergangenheit unseres Volkes zubilligen; inzwischen aber hat ihr die Gleichberechtigung den vollen Anteil an der Verantwortung für die Zukunft aufgebürdet. Und weil das Erhalten und das Bewahren, das Behüten des Jungen und Ungeschützten ihr Teil ist, darum wird ihre Schuld, wenn sie jetzt versagt, unverhältnismäßig viel größer werden als die des Mannes, in dessen Wesen das Zerstörende und Abenteuerliche ebenso liegt wie das Gute.(...) Und diesmal geht es nicht mehr darum, daß die Frauen wiederum das ihre tun, die Wunden heilen zu helfen, die geschlagen worden sind. Diesmal geht es dem Geschlagenen ans Leben, wenn die Frauen es nicht endlich ernstlich unternehmen, ihre Welt und ihre Ansichten von der Wohlfahrt der Welt durchzusetzen und zu verteidigen.(...)... der höfische Frauenkult des Mittelalters empfing seinen Glanz vom Kult der Mutter Gottes, und von diesem Glanz lebt noch heute die COURTOISIE, jene gleichsam betonte Ehrfurcht, die man den Frauen überall da erweist, wo Sitten und Formen noch Tradition haben. Und diese Ehrfurcht wurde von jeher einem Wesen erwiesen, das sie nicht hätte erzwingen können, wenn es nicht im Mann läge, die Welt der Frau als den Gegenpol der seinigen verehren zu wollen. Bekennen wir uns immer mehr und immer eindeutiger zu ihr, nur das kann unser Beitrag für die Zukunft sein, denn die Welt hat in diesen Tagen mehr Bedarf an Müttern als an Vätern. Und jede Frau muß diesen Beitrag leisten, denn er ist im Parlament sinnlos, wenn nicht im Hause und gegen den Nächsten damit begonnen wird.«***417.4.9**
4. »Der Regenbogen« - Die Zeitschrift für die Frau
Im Februar 1946 erschien die erste Nummer des >Regenbogen<. Sie wurde von MARIA PFEFFER im MICHAEL BECKSTEIN Verlag in München herausgegeben, der auch die Lizenz erhalten hatte. Im Jahre 1948 übernahm ANNEMARIE RANECKER die Schriftleitung, herausgegeben wurde die Zeitschrift aber weiterhin von MARIA PFEFFER. Die Zeitschrift kostete monatlich 1,- DM und wurde zu 90% im Abbonnement vertrieben. Die Auflagenhöhe blieb (soweit bekannt) mit 35 000 Exemplaren konstant.
Auf der zweiten Seite der Zeitschrift, ist durchweg ein Leitartikel zu finden, der meistens von MARIA PFEFFER geschrieben wurde. Auch diese Zeitschrift war eher konventionell aufgemacht. Die Artikel waren zwei- bis dreispaltig gedruckt und der Bildteil war hier, wie bei der >Welt der Frau<, sehr gering. Da auch hier keine Leseranalyse zu finden war, ist der Leserkreis sehr schwer zu bestimmen. Die Leserin wurde in der ersten Nummer mit den Zielen bekannt gemacht und gleichzeitig über den ungewöhnlichen Namen der Zeitschrift >Regenbogen< aufgeklärt:
- »...Es steckt uns auch allen von dem großen Unwetter noch der Schrecken und die Müdigkeit im Blut. Doch es ist vorüber, und der Regenbogen, vom Sonnenlicht hervorgezaubert, schwingt sich leuchtend über die noch tränennasse Erde. So haben wir unsere Zeitschrift nach diesem alten biblischen Sinnbild der Hoffnung, des Friedens und der Versöhnung benannt.
Ehe wir an die Arbeit gingen, haben wir uns mit vielen Frauen aus den verschiedensten Kreisen unterhalten und sie gefragt: Was erwarten Sie sich von einer neuen Frauenzeitschrift? Die Antwort war ziemlich einheitlich. Alle wollten viel Praktisches: Kochrezepte, nützliche Winke, eine Modeseite... kurz, Rat und Hilfe in den Sorgen des Alltags. Sie wünschten sich außerdem Anregung und Unterhaltung: Erzählungen oder einen Roman, gute Gedichte, eine kulturelle Seite.
Viele sagten: Unser Gesichtskreis muß wieder weiter werden. Wir haben all die Jahre wie hinter einer Mauer gelebt und möchten wieder wissen, wie es in der Welt aussieht. (...) In einem Punkt allerdings waren die Meinungen geteilt. Viele sagten: Von Politik wollen wir nun nichts mehr wissen. Es waren vor allem junge Frauen, die nur die Politik der letzten dreizehn Jahre kennen. Nun stehen sie fassungslos vor dem Unheil, das die Politik angerichtet hat. Und wissen nicht, daß sie in einem Denkfehler befangen sind. Wir wollen gewiß keine Politik betreiben; das ist die Aufgabe der Zeitungen und Parteiblätter. Aber wir dürfen uns vor den brennenden Tagesfragen nicht verschließen, sondern müssen versuchen, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. (...)
Daß wir endlich wieder einen freien Blick in die Welt tun dürfen, werden alle Frauen begrüßen. Unsere bisherigen Vorstellungen waren allzu einseitig. Wir wollen nach und nach Berichte über die Frauen der verschiedensten Länder bringen, über Beruf und Ehe, Familienleben, soziale Stellung, geistige Haltung usw. (...)
Eine sogenannte Witzseite bringen wir nicht. Um alten, abgestandenen Humor aufzuwärmen, war uns der Raum zu schade. Der neue Humor muß erst langsam wieder wachsen ... die meisten Leute sind auch der Meinung, daß wir vorläufig wirklich noch nichts zu lachen hätten.«[10]
HANS CARL HEIDRICH, der im Herbst 1949 die Chefredaktion des Regenbogens übernahm, schrieb im Oktober 1949 noch einmal über die Ziele der Zeitschrift. Im großen und ganzen ging es ihm darum, daß der Regenbogen ein kulturpolitisches Magazin sein solle und in Alltagsproblemen Hilfe zu leisten habe. In diesem Artikel kritisierte er die überall neu erscheinenden Boulevardblätter, die jegliche Probleme des Alltagslebens verdrängen würden.[11]
5. »Constanze« - Die Zeitschrift für die Frau
Die Zeitschrift >Constanze< erschien zum ersten Mal im März 1948. Sie wurde im Constanze-Verlag in Hamburg herausgegeben. Chefredakteur war HANS HUFFZKY und er blieb es auch während des gesamten untersuchten Zeitraums. Die Zeitschrift erschien alle 14 Tage und kostete 1,20 DM. Ab August 1948 wurde der Preis schon um die Hälfte auf 0,60 DM gesenkt, was durch den sprunghaft steigenden Absatz möglich war, Die Auflagenhöhe wurde im Januar 1949 in der Zeitschrift selbst mit 300 000 angegeben, und am Ende des untersuchten Zeitraums im Dezember 1949 lag sie sogar bei 390 000.
Die Zeitschrift besaß als einzige von den untersuchten Zeitschriften eine plakative und fast aufreißerisch wirkende Aufmachung. Der Text war in drei bis vier Spalten angeordnet und wurde vielfach durch Bilder aufgelockert. Die Zeitschrift war durch ihre Aufmachung schnell lesbar, und EDITH KOWOHL schließt deshalb wohl nicht zu Unrecht auf ein Großstadtpublikum.[12] Dies bestätigt auch eine Leseranalyse des Instituts für Demoskopie in Allensbach aus dem Jahre 1949. Danach lebten 41% der Leser(innen) in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern.[13]
Der Leser(innen)kreis setzte sich zu 39% aus Angestellten, zu 20% aus Selbständigen in Handel und Gewerbe, zu 23% aus Arbeitern und zu 18% aus Angehörigen sonstiger Berufe zusammen. Der Hausfrauenanteil betrug 30%. Interessant ist, daß der Männeranteil unter den regelmäßigen Lesern dieser Untersuchung zufolge immerhin 28% ausmachte.
30% der Constanze-Leser waren unter 30 Jahre, 45% zwischen 30 und 49 Jahre, 21% zwischen 50 und 65 Jahre und 4% über 65 Jahre alt.
63% der festen Leserschaft waren Protestanten, 29% Katholiken, 8% bekannten sich zu anderen Konfessionen oder waren konfessionslos.[14]
Die Redaktion der Constanze stellte in der ersten Nummer ihr Zielpublikum vor:
- »...hier bin ich! Darf ich mich, bitte, vorstellen? Ich heiße CONSTANZE und bin eine Zeitschrift für die Frau. Familiennamen habe ich keinen. (...) Wenn übrigens eines Tages doch einmal ein Mann vom Einwohnermeldeamt käme und meinte: CONSTANZE - Sie müssen sich endlich einen Familiennamen zulegen, sonst können wir Ihnen keine Lebensmittelkarten mehr aushändigen! - nun, dann würde ich eben sagen: Bitte, nennen Sie mich Müller oder Schulze, Leutert oder Bastian, wie's gerade kommt, wo gerade noch ein Loch frei ist - und was heißen soll: daß ich mich als ein Stück von jeder von Ihnen fühle, liebe Leserin, (...) daß ich mich trotz meines auf Silber polierten Namens CONSTANZE als eine mittlere Frau unseres Volkes und unserer Zeit fühle.
Statt eines Progammes möchte ich Ihnen lieber ein Versprechen geben:
Ich, CONSTANZE, will mich ehrlich bemühen, Dir, liebe Leserin, eine nahe und nächste Begleiterin durch die Mühsal Deiner Tage zu sein (um Gottes willen, jetzt bin ich schon ins Du vorgedrungen - sehen Sie, so nah begleite ich Sie schon). (...) Die deutschen Frauen leiden heute nicht allein an ihrem eigenen materiellen Leid und dem, das für Ihre Seele daraus erwächst. Sie leiden, nachwirkend, auch an dem, was war. Und sei es bloß die Scham, die sie ergreift, wenn sie hören, wozu Deutsche fähig waren in den vergangenen Jahren. (...) Welche Frau trägt nicht mit an der Last des antwortheischenden Schweigens, in das die Millionen Gemordeter und Gefallener dies- und jenseits unserer Grenzen gehüllt sind? Und welche Frau vernimmt nicht den Heimwehschrei der vielen Hunderttausende, die in allen Windrichtungen noch gefangen sind? All dieses Leid, diesen Schmerz und diese Last tragen helfen und umzuwandeln in neue Einsicht, neue Kraft und neues Ja zum Leben - dessen will ich mich mit allen Kräften mühen.
Liebe Leserin (...), ich wollte bei meiner Begrüßung gar nicht so ernst werden. Aber nun hast Du mich gleich ganz, sozusagen von vorne und hinten, von außen und innen. Und so will ich auch immer zu Dir kommen (...). Eines will ich übrigens immer versuchen: mich immer so verständlich wie möglich auszudrücken! Ich möchte zwar auf Papier drucken, aber nicht Papier schreiben. Verstanden? Und genehmigt?«[15]
2. Krise von Ehe und Familie[16]
Im Oktober 1946 stellte bereits WALTHER von HOLLANDER in der Zeitschrift >Die Welt der Frau< die Frage Wie überwinden wir die Ehekrise?«. Er schildert fünf ausgewählte Ehen, die infolge der Kriegsereignisse zur Scheidung führten und ordnet diese Schicksale ein in eine Betrachtung der allgemeinen »Kulturkrise«, die seit Beginn des Jahrhunderts zu beobachten sei und nach Kriegszeiten nur besonders verschärft hervortrete. Eine neue Stellung der Geschlechter zueinander, die der neuen Stellung der Frau gegenüber Beruf und Sexualität entspreche, sei notwendig, um die Institution der Ehe auf lange Sicht aufrechtzuerhalten.[17] Auch AGNES von ZAHN-HARNACK geht in einem Artikel der >Welt der Frau< von Auflösungstendenzen in der Ehe aus, versucht aber noch stärker als HOLLANDER die Notwendigkeit zur Sicherung der lebenslänglichen und unauflöslichen Einehe hervorzuheben. Dabei geht sie davon aus, daß das Ideal von Ehe und von Familie in der Zeit des Naitonalsozialismus trotz aller offiziellen Heiligsprechung eben gerade nicht verwirklicht worden sei, weil die Rollentrennung der Geschlechter das Miteinander verschüttet habe. Der Mann sei nur noch Erzeuger, nicht im eigentlichen Sinne Vater gewesen. Kinder hätten jedoch neben der in der NS-Zeit viel beschworenen Mütterlichkeit auch ein Anrecht auf Väterlichkeit. Beide zusammen könnten sich nur in der Ehe entfalten. Dabei sieht AGNES von ZAHN-HARNACK durchaus die sich entwickelnden Lebensformen neben der traditionellen Familie und die Brutalität, die in vielen Ehen tatsächlich vorherrscht, was sie jedoch nicht hindert, an einer Idealvorstellung der Ehe festzuhalten:
- »So sehen wir den Wert der unauflöslichen, lebenslänglichen Einehe. Wir wissen, daß sie sich in hunderttausenden von Fällen vielleicht nur einmal so verwirklicht. Wir wissen, daß es innerhalb der Ehe sklavische Knechtschaft, brutale körperliche und seelische Vergewaltigung, Entfaltung von schrankenlosem Egoismus und satte, unfruchtbare Selbstzufriedenheit gibt. Wir wissen, daß auch außerhalb der Ehe, in freien Verbindungen oder ganz unabhängig von einem Lebenspartner sich Menschen im wahrsten Sinne des Wortes v o l l e n d e n. Wir wissen auch, daß die Ehe unter allen Berufen der s c h w e r s t e Beruf ist; daß keine Ehe gut ist von Anfang bis zu Ende, daß sie ein tägliches Wagnis darstellt, eine tägliche, wache Bereitschaft; eine beständige Anspannung unserer leiblichen und seelischen Kräfte. Wir wissen, daß sie ein ungeheures Opfer an Freiheit für Mann und Frau bedeutet. Man ist nie mehr allein weder im erwünschten, noch im unerwünschten Sinne. Mir drückt sich das immer am s t ä r k s t e n aus in Briefen aus Arbeiterkreisen. Vom Tage ihrer Verheiratung an unterschreibt die junge Frau nie anders als... es grüßt Sie etc. Friedel N. N. und M a n n, und vom Tage der Geburt ihres ersten Kindes an unterschreibt sie jedesmal: und F a m i l i e. Sie denkt sich nicht mehr als Einzelwesen, und sie ist es auch nicht mehr, genau so wenig wie der Mann. Aber auch wenn uns dies Wissen um die Unzulänglichkeit in der Verwirklichung ganz gegenwärtig ist, glauben wir doch, daß eine gute Ehe den Schaden von tausenden von unvollkommenen, mißglückten Ehen aufwiegt. Und wenn wir das glauben, so müssen wir uns bemühen, die jungen Menschen von der Idee der Ehe zu überzeugen und sie daraufhin zu erziehen.[18]
Nicht in allen Artikeln dieser Zeit wird die gewachsene Scheu vor der Ehe und die hohe Zahl der Scheidungen im Zusammenhang mit einem gewandelten Bewußtsein der Frauen gesehen. Oft werden die Auflösungstendenzen in der Familie nur ganz pragmatisch gedeutet: Durch die Schwierigkeiten, eine adäquate Wohnung zu finden, um sich familiengerecht einzurichten, durch mangelnde materielle Sicherheit überhaupt wird der - allerdings nur vorläufige - Verzicht auf Gründung einer Familie erklärt.
WALTER von HOLLANDER, der in fast allen damaligen Frauenzeitschriften in essayistischer Form zu Fragen des neuzeitlichen Beziehungslebens Stellung nimmt, sieht die Krise der Ehe grundsätzlicher. Die reine Erklärung aus der materiellen Notlage hält er für eingleisig:
- »Man kann sich auf den Standpunkt stellen, daß alle diese materiellen Schwierigkeiten eines Tages vorbei sein werden und daß es sich nur darum handelt, diese Krisenzeiten einigermaßen zu überstehen, um aus der Krise der Ehe endgültig herauszukommen. Aber es scheint uns das eine etwas oberflächliche Betrachtungsweise. Denn alle Nöte, die unser Leben so dunkel gemacht haben, einschließlich der Nöte von Krieg, Nachkrieg und Umbruch, sind ja nicht zufälliger Natur, sondern sie entstammen einer allgemeinen tiefliegenden Unruhe, einer von den Wurzeln her aufsteigenden Unzufriedenheit mit den Einrichtungen der Welt, einem nicht zu dämpfenden Gefühl des Ungenügens an den Formen und Möglichkeiten des menschlichen Lebens und Zusammenlebens. (...) Man könnte demnach die Ehe als eine in den Zeiten der Unruhe unzeitgemäße Einrichtung bezeichnen. Eine Einrichtung, die in der Spannung zwischen der ihr gebührenden Ruhe und der zunächst unaufhebbaren Unruhe der Zeit einfach zerreißen muß. Diese etwas seltsame Erklärung der gegenwärtigen Ehekrise mag den meisten etwas weit hergeholt scheinen. Und sie wird auch nur von denjenigen angenommen werden können, die fähig sind zu begreifen, wie sehr sie in ihrem persönlichen Leben an die allgemeinsten Umstände gebunden sind, und die auf der anderen Seite es als ihre Pflicht empfinden, den allgemeinen Umständen so weit wie möglich zu widerstehen, damit sie zu einem persönlichen Leben überhaupt kommen können. Die anderen aber werden versuchen, diese oder jene äußere Folge des inneren Weltzustandes abzustellen, in der Meinung, dadurch ihre Ehe oder die Ehe als Institution retten zu können. So werden eben die einen meinen, daß man nur die kläglichen äußeren Umstände verbessern müsse, an denen eine Unzahl von Ehen sich augenscheinlich zerreibt, um so zu einer Heilung der Ehekrise zu kommen. Sie bedenken nicht, daß auch in den glücklichsten Ländern die Ehen nicht glücklicher sind, als bei uns. (...) Die größte Unruhe, von der wir eingangs sprachen, hat das Gefühl für das Recht des einen Menschen an den anderen völlig ausgelöscht. Kaum ein erwachsener Mensch glaubt, daß ein anderer Erwachsener Rechte auf ihr haben könnte und in der Tat hat kein Kräftiger an den gleich Kräftigen ein Recht oder einen Anspruch. Ein Recht haben höchstens die Kinder auf uns. Niemals die Partner. Und so scheint es uns, als ob die Ehe nur dann zu retten ist, wenn man rücksichtslos alle bürgerlichen Rechte, die mit ihr verknüpft sind, aus ihr ausbricht. In einer Zeit, in der nichts vom bürgerlichen Wohlstand, nichts von Sicherheit, nichts von fundierter Zukunft übrig geblieben ist, kann unmöglich eine Form der Ehe aufrecht erhalten bleiben, in der die Rechte des bürgerlichen Zeitalters, in der die längst verjährten Besitzrechte verankert und verewigt sind. Die Ehe kann keine Versorgungsanstalt mehr sein und eigentlich hätte sie nie eine sein dürfen, ihrer Natur und ihrem Ziel nach. Sie kann sich erst wieder erholen, wenn sie, von den schweren Belastungen der unzeitgemäßen Besitzrechte befreit, wieder ihren natürlichen Sinn bekommt. Und dann könnte es sogar sein, daß viel öfter als bisher in ihr der schöne und menschliche Verwandlungsprozeß von Liebe zu ehrlicher, ehelicher Zusammengehörigkeit gefunden werden würde. Daß damit die Probleme der Ehe nicht gelöst sind, wissen wir. Aber die tödliche Erkrankung könnte von hier aus vielleicht doch noch geheilt werden.«[19]
In den folgenden Nummern der Frauenwelt werden Leserinnen zu der von HOLLANDER aufgeworfenen Frage zitiert, wobei das nach Meinung der Redaktion überraschende und erfreuliche Ergebnis zutage tritt, daß nur eine einzige Zuschrift die Frage Ist die Ehe noch zu retten deutlich mit Nein beantwortete. ROSINE SPEICHER, Herausgeberin der Frauenwelt überschreibt in Heft 13/1948 dann auch ihren Leitartikel programmatisch mit: Die Ehe ist noch zu retten, distanziert sich von den Ausführungen HOLLANDERS, denen ein wegweisendes neues Moment[20] fehle und die sie an AUGUST BEBELs Kritik der bürgerlichen Ehe als Stütze des Kapitalismus erinnern. ROSINE SPEICHER vertraut demgegenüber auf den Widerstand gegen die Zerbröckelung der Ehe, indem sie als Sakrament gesehen wird und man ihre Unauflöslichkeit und Unverletzbarkeit als von Gott gegeben annimmt.[21] Auch von der Sprachlichkeit her interessant ist ROSINE SPEICHERs Schlußfolgerung:
- »Die Ehe ist zu retten von fraulich mütterlichen Impulsen her, die einer ethischen und verstandesmäßigen Fundierung bedürfen. Die Frau erfaßt intuitiv ihre Sendung zur Ordnung der sexualethischen und ehelichen Angelegenheiten, die in ihre Aufgabe, Leben zu gebären, einbezogen ist. Mag Bindungslosigkeit und pöbelhafte Sucht zur Entpflichtung an der Ehe rütteln, die seherische frauliche Lebensnähe wird einen Damm aufrichten und das Strombett für neues Leben hüten.«[22]
Zu ähnlichen Folgerungen gelangen mehrere Autorinnen auch in der Zeitschrift Regenbogen. Nur durch den Mut und die Selbstverleugnung der Frau, ihre Liebe (auch wenn sie nicht erwidert wird) und ihr warmes Herz, seien Ehe und Familie zu retten: »Die Ehe in Ordnung zu halten, ist Sache der Frau.«[23] Die Belohnung für all die Mühen liefere dann ein »sinnerfülltes Leben, - und mehr gibt es doch nicht.«[24]
Um den allgemeinen Eindruck von den unglücklichen Ehen entgegenzuwirken, veranstaltete der Regenbogen 1949 eine Umfrage, die auch wunschgemäß zu dem Ergebnis führte: »Es gibt auch glückliche Ehen.« Unter dieser Überschrift heißt es dann weiter: »Man spricht immer von unglücklichen Ehen, von Scheidungen und Krisen. Aber von glücklichen Ehen sprich man kaum. Wir wollen heute den Anfang machen. Schon das erste Herumhorchen bestätigte unsere Vermutung: Es gibt viel mehr glückliche Ehen als man annehmen mag im Angesicht der allgemeinen Unkerei über die zweifelhafte Zukunft der Ehe.«[2] Nach diesem positiven Anfang forderte der "Regenbogen die Leserschaft zu Einsendungen auf. Die »schönsten Geschichten von glücklichen Ehen«[26] sollen veröffentlicht und honoriert werden. Interessant ist, daß die Artikel, in denen die Ehe erneut allgemein gepriesen und den Schwarzmalern und Untergangspropheten eine Absage erteilt wird, sich gegen Ende des Jahres 1949 häufen, nachdem in den Jahren zuvor die Berichte über die Krise von Ehe und Familie die Spalten füllten. Ganz offenbar spiegelt sich hier die beginnende Restauration alter Verhältnisse auch in der Berichterstattung über das Beziehungsleben. Statt düsterer Prognosen und Kritik an den traditonellen Institutionen lebt jetzt die Schönfärberei wieder auf. Besonders >Frauenwelt< und >Regenbogen< (vgl. Abb. 1) überbieten sich an neuer Eheeuphorie, während die >Constanze< zwar - offenbar durch Leserkritik an der durchweg ehekritischen Berichterstattung herausgefordert - einen Bericht über »Die ganz und gar glückliche Ehe« bringt, diesem aber folgenden Vorsatz voranstellt:
- »Der ehefeindliche Wind der Constanze scheint sich darin zu genügen, immer nur über die Ehekrisis und Ehescheidungen zu berichten, als ob es nicht auch noch glückliche Ehen gäbe! Wäre es nicht besser, statt desssen lieber diese glücklichen Ehen hervorzuheben?« Das ist eine Stelle aus einer Leserzuschrift. Sie stammt von einer Frau, die selbst - unglücklich verheiratet ist. Sicher möchte diese Frau nichts Geringeres, als recht vielen anderen ihr eigenes Los ersparen nun, genau das möchte Constanze auch. Der Unterschied liegt also in der Wahl der Mittel. Man kann vor der Wirklichkeit die Augen verschließen und die Ehekrisis verschweigen - wird sie damit besser? Oder man kann die Dinge beim Namen nennen, die Ursachen der Krisis aufzeigen, Wege zu ihrer Heilung suchen so hat Constanze es bisher gehalten. Das Bild der glücklichen Ehe freilich, selbst wenn es noch so selten ist, wird dabei als Anschauungsbeispiel nicht minder wichtig sein. Von einer solchen ganz und gar glücklichen Ehe möchten wir Ihnen hier auf dieser Seite berichten.«[27]
Mit Rückgang der Scheidungsziffern in den fünfziger Jahren und dem gleichzeitigen Anstieg der Heiratsquoten wurde auch die kritische Beleuchtung der Institution von Ehe und Familie in den Hintergrund der Berichterstattung gedrängt.
Scheidungsquoten, bezogen auf 10 000 Einwohner[28]
1939 | 8,9 |
1946 | 11,2 |
1947 | 16,8 |
1948 | 18,8 |
1949 | 16,9 |
1950 | 15,7 |
1951 | 11,6 |
1952 | 10,5 |
1953 | 9,7 |
1954 | 9,0 |
3. Scheidungen und Scheidungsrecht
Dem eben zitierten Anspruch der Constanze gemäß, die Dinge beim Namen zu nennen, die Ursachen der Krisis aufzuzeigen, Wege zu ihrer Heilung zu suchen [29] widmet sich diese Zeitschrift ausgiebig dem Problem der Ehescheidung und gibt den betroffenen Frauen mit Hilfe von Rechtsexperten wichtige Auskünfte, um ihre Interessen in den anstehenden Verfahren zu sichern. In Sonderberichten wird aus dem Sitzungssaal eines Landgerichts, in dem Ehescheidungen durchgeführt werden, berichtet, wobei es insbesondere um die Rechtslage geht, die die Frau nach wie vor benachteiligt. Die Frage des Unterhaltsanspruches steht bei der Berichterstattung im Vordergrund. Aufgrund des 1948 (und, nebenbei gesagt, bis in die siebziger Jahre hinein) geltenden Scheidungsrechts war die Schuldfrage ausschlaggebend für den Unterhaltsanspruch, so daß viele Frauen glaubten, »den Schritt aus der Versorgungsehe nicht wagen zu können, und die deshalb eine Katastrophen-Ehe der Scheidungs-Katastrophe«[30] vorzogen.
Bei den Berichten in der Constanze über Scheidungsverfahren fließt jeweils eine deutliche Kritik an den geltenden Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches mit ein:
- »Pausenlos klappert die Scheidungsmühle der Landgerichte. Fast ins Uferlose ist die Flut der Ehescheidungsklagen angeschwollen. Mit 40- 50 Scheidungen je Tag hält Berlin den Rekord der Scheidungsfreudigkeit in Deutschland. Aber Hamburg und Hannover liegen dicht auf, und noch macht sich kein Rückgang bemerkbar. Als wichtigste Ursachen werden angegeben: Auseinanderleben durch jahrelange Trennung, überstürzte Eheschließung während des Krieges, die äußere und innere Not unserer Zeit. Doch ein Blick auf die Statistik lehrt, daß die Kurve der Ehescheidungsziffern seit Jahrzehnten stetig aufwärtsstrebt - daß es sich hier also nicht nur um eine Nachkriegserscheinung handelt. Die Ursache dieser Entwicklung liegt also tiefer. Die Frau von heute sucht Selbständigkeit und Gleichberechtigung - findet sie das in der heutigen Ehe? Die Rechte und Pflichten der Ehe sind im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) abgezirkelt. 200 Paragraphen allein regeln das eheliche Güterrecht und 600 Paragraphen das sogenannte Familienrecht. An ihren Paragraphen aber sollt ihr sie erkennen die Ehe des BGB: Die Frau unter der rechtlichen Vormundschaft des Mannes die Mitgift ausgehandelt wie der Preis beim Pferdekauf - die elterliche Gewalt allein vom Mann ausgeübt. Die Frau versorgt den Mann mit allen Diensten (einschließlich der Liebe), und er versorgt sie mit Wirtschaftsgeld. Das Ganze nennt sich darum Versorgungsehe und - ist heute wie zu alten Zeiten die gesetzliche Regel. Die Scheidungsrichter können ein Lied davon anstimmen, daß oft bei Scheidungsverhandlungen die Parteien nur deshalb um die Schuldfrage mit äußerster Erbitterung streiten, weil von ihr der Unterhaltsanspruch der Frau an den Mann, also ihre Versorgung abhängt.«[31]
Daneben werden in der regelmäßigen Kolumne mit praktischen Rechtstips (»Constanze weiß Bescheid«) Fragen von Leserinnen zu besonderen Problemen bei der Ehescheidung, im Unehelichenrecht und bei Unterhaltungszahlungen beantwortet. In der >Frauenwelt< erscheint bereits 1946 eine Erläuterung des am 1. 3. 1946 in Kraft getretenen neuen Ehegesetzes des Allierten Kontrollrats, das allerdings, was die Ehescheidung anbelangt, fast unverändert die 1938 im nationalsozialistischen Ehegesetz erlassenen Bestimmungen übernimmt. Fragwürdig ist auch die Regelung des Unterhaltsrechts in dem neuen Ehegesetz. Danach wird zwar der schuldig Geschiedene zur Unterhaltspflicht verpflichtet, diese erlischt jedoch, wenn der oder die Unterhaltsberechtigte beispielsweise »gegen den Willen des Unterhaltspflichtigen einen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel führt (Konkubinat).«[32]
4. Die Erörterung der »Mutterfamilie«
Großes Aufsehen in der Öffentlichkeit erregten zwischen 1947 und 1949 die Thesen der Studienrätin Dr. DOROTHEA KLAJE, die in einer Broschüre bereits 1947 und in einer Eingabe an den Parlamentarischen Rat Anfang 1949 ihre Vorstellungen einer »Mutterfamilie« darlegte, mit der zugleich die Probleme des Frauenüberschusses, der rechtlichen und ökonomischen Benachteiligung der Frau und der Krise von Ehe und Familie gelöst werden sollten. Durch die Einführung einer matriarchalischen Ordnung erstrebte Frau KLAJE nicht weniger als eine »völlige Reformierung unserer Gesellschaftsordnung«.[33] Die Eingabe von Frau KLAJE erreichte aber nie den Hauptausschuß im Parlamentarischen Rat, da sie wohl vielfach für zu utopisch angesehen wurde und den Männern ein Mitspracherecht bei der Erziehung der Kinder versagte. Ihre Überlegungen, in denen frauenrechtlerische Thesen mit völkisch verklärter Mutterschaftsmystik verbunden sind, lösten trotz mancher skurriler Züge in den Frauenzeitschriften eine Auseinandersetzung aus, die sich über zahlreiche Nummern hinzog und zu der sowohl Leser und Leserinnen Stellung nahmen, als auch die damaligen Wortführerinnen der Frauenbewegung Beiträge lieferten. In all diesen Beiträgen spiegeln sich die Zeitumstände, mitunter aber auch in Sprache und ideologischen Hintergrund Fragmente der nationalsozialistischen Vergangenheit. Vor allem aber ist hier das Bemühen zu spüren, die Position der Frau in der Gesellschaft zu stärken, wobei auch die überkommenen Institutionen von Ehe und Familie zur Diskussion standen. Bedenkt man, daß diese Institutionen später in den Jahren der christlich-demokratischen Familienpolitik erneut verklärt wurden und geradezu eine Heiligsprechung erfuhren, erscheint die Offenheit, mit der hier andere Lebensformen zumindest erörtert wurden (auch wenn sich die meisten Veröffentlichungen nach gründlicher Prüfung von den Vorstellungen der DOROTHEA KLAJE abgrenzen), außerordentlich bemerkenswert.
Die Zeitschrift >Welt der Frau< stellte die damals noch unveröffentlichte Broschüre von DOROTHEA KLAJE in ihrer Nummer 3/47 in umfangreichen Auszügen auf mehreren Seiten erstmals vor. Ausgehend von einer Kritik der Kleinfamilie und dem Hinweis auf den akuten Frauenüberschuß und den daraus folgenden zwangsweisen Verzicht zahlloser Frauen auf Kinder und Familie, entwickelte D. KLAJE ihr Konzept der Mutterfamilie, das konkret durch die Zeitumstände ausgelöst wurde, darüber hinaus aber ganz grundsätzlich einen neuen familienpolitischen Weg für die entwickelten Gesellschaften des 20. Jahrhunderts zu finden suchte.
Zunächst stützt DOROTHEA KLAJE ihre Argumentation mit der veränderten Funktion der Familie:
- »Die Kleinfamilie in ihrer heutigen Gestalt kann nicht mehr als die Zelle des Staates' angesehen werden, aus welcher allein die Kräfte des Volkes wachsen. Dazu ist ihre Nachkommenschaft zu gering und außerdem lebt neben ihr im Staate das große Heer der Ledigen, die doch auch Glieder des Volkskörpers sind, ohne einer Familie zugerechnet werden zu können. Es ist eine der Folgen des heraufgekommenen Individualismus, daß die Zahl der Ledigen im 20. Jahrhundert so stark zugenommen hat. Jedoch sind diese Menschen durchaus nicht ohne Wert für das Volksganze, wenn sie auch außerhalb einer Familie stehen. Künstler und bedeutende Wissenschaftler sind auch in früheren Zeiten schon große Einsame gewesen, sie haben außerhalb des Volksganzen gestanden, nicht in dem Sinne, daß sie ihm feindlich, sondern daß sie ihm voraus waren. Sie handelten vielfach unbewußt, aus dem stürmischen Drang des Genies heraus, vielfach aber auch bewußt, aus sittlicher Liebe heraus. Indessen bedeutet es einen Schaden für das Volksganze, wenn die Absonderung Erwachsener e r z w u n g e n ist. Und das ist heute bei einem großen Teil der Fall, besonders bei den Frauen. Der Frauenüberschuß, der in Deutschland geradezu riesenhafte Maße angenommen hat, ist nach den bestehenden Sittengesetzen von der Mutterschaft und damit von einem Leben in der Familie ausgeschlossen. Denn die vaterrechtliche Geisteshaltung der abendländischen Kulturwelt hat den Unterschied zwischen ehelichen und unehelichen Müttern geschaffen und aus dem natürlichen Recht der Frau, Mutter zu sein, eine Schande gemacht, wenn der Mutterschaft nicht eine Heirat vorausgeht. Oft sind aber die alleinbleibenden Mädchen gerade die klügsten und besten, denn die Mädchen der nordeuropäischen Völker sind oft in ihrer Jugend herb, und verschlossen und entwickeln sich erst später zu schöner Fülle. Daß gerade sie dem natürlichen Frauenleben fernbleiben müssen, ist ein ernsthafter Störungsfaktor der inneren Harmonie der Völker. Denn in gut veranlagten Menschen drängt es beständig zum Handeln. Können sie die ihnen gemäßen Tätigkeiten nicht ausüben, so staut sich diese Kraft in ihrem Innern, bis sie sich einen ungesunden Ausweg sucht. Dieser Ausweg ist bei der Frau, die die ihr vorbestimmte Funktion der Mutterschaft nicht erfüllen darf, die Hysterie, die um so bösere Formen annehmen muß, je lebendiger die Seele der Frau von Natur ist.«[34]
Erst durch die Kinder wird eine Familie zur Familie:
- »Was wird durch die Gründung der Familie gewollt? Die Antwort kann nur in dem Teile der Lebensgemeinschaft gesucht werden, die die Familie erst zur Familie macht: in den Kindern. Denn Mann und Frau bilden noch keine Familie, sie gehören einer anderen Lebenseinheit an, der Ehe. Liegt in den Kindern der Zweck der Familie, so ist es klar, daß es sich nur um ihre Erziehung handeln kann. Die Familie ist eine Gemeinschaft von Erwachsenen und Unerwachsenen zum Zwecke der Erziehung der Unerwachsenen. Hieraus ergibt sich zugleich, daß die Familie eine zeitlich begrenzte Gemeinschaft ist. Sie beginnt mit der Geburt des ersten Kindes und endet, wenn alle Kinder erwachsen sind. Die Erziehenden bilden dann, ebensowenig wie vorher, eine Familie.«[35]
Dabei gründet DOROTHEA KLAJE auf materialistischen Vorstellungen:
»Wir behaupten, daß die Sehnsucht nach Kindern von Natur nicht in den Mann gelegt ist, wie alle primitiven Völker beweisen, die von dem Zusammenhang zwischen Zeugung und Geburt, also auch von Vaterschaft nichts wissen. Und wenn auch die Erkenntnis gewonnen ist, daß die Kinder Ergebnisse eines Zeugungsvorganges zwischen Mann und Weib sind, bedarf es noch jahrhundertelanger Kultivierung, einer Sublimierung des Urtriebes, ehe aus dem Erzeuger ein Vater wird. Das Vatertum steigt immer aus dem Bewußtsein, ist eine Angelegenheit der Pflicht, das heißt, des wollenden Bewußtseins.
- Die richtige Bewertung eines Gefühls kann nur dann erfolgen, wenn man es aus Brauch und Sitte herausschält. Betrachten wir daher Mutter- und Vaterliebe, so erkennen wir, welch ein gewaltiger Unterschied zwischen beiden besteht. Die Mutterliebe ist ein Urtrieb, ist ein Gefühl, das der Menschheit schlechthin eigen ist, ganz gleichgültig, ob es sich um eine Angehörige eines Volkes von höchster Kultur oder um eine Primitive handelt. Die Vaterliebe aber ist ein Erzeugnis der Kultur, ist anerzogen, nicht angeboren. Noch heute können wir das in den europäischen Völkern an der Einstellung der Väter zu ihren unehelichen Kindern sehen. Schon ihre Zeugung ist immer ungewollt. Auch wenn das Kind geboren ist, erwacht keineswegs Liebe des Vaters zu ihm, wie es doch der Fall sein müßte, wenn das Vatergefühl ein Urtrieb wäre. Die unehelichen Väter stehen vielmehr ihren Abkömmlingen mit Gleichgültigkeit gegenüber und unterziehen sich der vom Staate auferlegten Unterhaltspflicht selten freiwillig, sondern erst auf ein Gerichtsurteil hin.
Wie unlogisch ist eine Gesellschaftsordnung, die den Wert der Ehe dadurch zu begründen sucht, daß sie dem Mann in seiner Vaterschaft sittliche Verantwortung auferlegt, gleichzeitig aber die brutale Abfertigung des unehelichen Kindes durch einen noch dazu meist ungenügenden Geldbetrag duldet.«[36]
Aus diesem Konzept, das rousseauistische und materialistische Vorstellungen verbindet, gelangt sie zur Begründung der Mutterfamilie:
- »Ich hatte die Familie als eine Gemeinschaft von Erwachsenen und Unerwachsenen zum Zwecke der Erziehung der Unerwachsenen herausgeschält. Im Sinne dieser Definition ist es klar, daß auch eine alleinstehende Frau mit ihren Kindern eine Familie bildet. Wir finden diese Fälle heute schon bei früher Verwitwung der Mutter und in den seefahrenden Berufen der Völker. In den seltensten Fällen wird ja die Frau wirklich allein stehen. Wenn sie keinen Ehemann hat, so hat sie ihren Vater oder einen Bruder zur Seite, mit dem sie sich in den wichtigsten Dingen des Lebens berät. Der starke Antrieb zur Heimgründung, der den Frauen der weißen Rasse eigen ist, findet dann auch in dieser Form der Familie sein schönstes Genügen. Nach einigen Autoren ist dieser Antrieb immer mit der Sehnsucht nach einem Ehegefährten verknüpft. Aber dies muß ich aus meinen eigenen Erfahrungen heraus bestreiten. Während meiner eigenen Studienzeit, die in die Jahre nach 1918 fiel, wo die Heiratsmöglichkeiten für die Mädchen denkbar schlecht waren, habe ich unter den Studentinnen immer wieder die Meinung gefunden, daß sie die Ehe gar nicht so unbedingt brauchten, aber sehr gern ein Kind und ein eigenes Haus haben möchten. Nach unseren gesellschaftlichen Anschauungen war damals ihr erster Wunsch unerfüllbar, da sie mit einem unehelichen Kinde nicht in die höheren Berufe aufgenommen worden wären. Sie mußten also auf die Mutterschaft verzichten und wandten ihr ganzes Streben dahin, möglichst bald ein eigenes Heim zu besitzen. Nirgends habe ich soviel Sorgfalt und Liebe für die eigene Wohnung, für das eigene kleine Haus gefunden wie gerade bei den alleinstehenden, berufstätigen Frauen. Folgt ein Staat den vorgeschlagenen Änderungen, so ergibt sich folgendes Bild: Jede Mutter bildet mit ihren Kindern eine Familie. Die junge Mutter der Zukunft in allen Ständen hat einen Beruf, durch den sie sich ihren Unterhalt beschafft. Natürlich kann eine einzelne Frau nur sich selber ernähren und nicht noch Kinder dazu. Das ist ja aber auch nicht nötig. Sie erhält vom Staate Kindergelder, die den erwerbsfähigen Männern und kinderlosen Frauen durch Steuern abgenommen und entsprechend dem Stande der Mutter und den sich nach der Begabung richtenden Bildungsaussichten ihrer Kinder vergeben werden. Diese Kindergelder dürfen nicht zu gering bemessen sein, damit auch wirklich die ganze Erziehung davon bestritten werden kann. Es soll aber kein »Muttersold« gezahlt werden, keine Rente für die Mutter, sondern Kindergelder, welche die Frau nicht davon entbinden, für ihren eigenen Unterhalt zu sorgen. Dies gewinnt vor allem Bedeutung für die Zeit, wenn die Kinder erwachsen sind und das Haus der Mutter verlassen. Dieser Zeitpunkt wird bei der Einführung der Mutterfamilie verhältnismäßig früh eintreten und die Frau in der Vollkraft ihrer Jahre antreffen. Dann braucht ihr Leben nicht leer zu sein, sondern sie kann auch noch weiterhin ihre Fähigkeiten im Beruf einsetzen. Indessen soll der Beruf in Zukunft die Mutter nicht so belasten wie heute den Mann oder die berufstätige Frau. Sonst würde zwischen Mutter und Kindern dieselbe Entfremdung eintreten, wie sie heute zwischen Vätern und Kindern häufig ist. So wird die Mutter etwa die Hälfte der heutigen Arbeit leisten können, so - um ein Beispiel herauszugreifen - als Büroangestellte vier Stunden täglich statt wie in der Jetztzeit acht. Sie wird sich, wenn ihr Beruf außer Haus führt, mit einer anderen Frau zusammentun müssen, deren berufliche Neigungen die Hauswirtschaft umfassen und die daher die Besorgung des Haushalts übernimmt. Dieses Zusammenleben zweier Frauen findet man schon heute oft verwirklicht. Die mir bekannten alleinstehenden Frauen der höheren Berufe, Studienrätinnen, Ärztinnen, Musiklehrerinnen, Malerinnen, leben mit einer Freundin oder einer Stütze zusammen, die ihren Haushalt führt. Daß dies Zusammenleben meistens nur durch den Tod getrennt wird, spricht für seinen inneren Gehalt. Man könnte sagen, daß dies Zusammenleben zweier Frauen mit Kindern an eine heutige Ehe erinnere, indem der eine Partner im Hause, der andere außerhalb wirke. Daß dies eine oberflächliche Betrachtungsweise ist, muß jedermann einleuchten. Denn die Ehe ist ein seelisch-leibliches Miteinander, während das Zusammenleben zweier Frauen auf wirtschaftlicher Basis erfolgt. Gerade unter den Hausangestellten finden sich so viele gesunde und schöne Mädchen, die spät oder gar nicht zur Ehe kommen und für die Mutterschaft verloren sind. Wieviel lieber würden sie sich der Kinderpflege in dem Hause, in dem sie dienen, widmen, wenn es ihnen nur vergönnt wäre, ein eigenes Kind mitaufzuziehen. (Schon heute gibt es zahlreiche Familien, die das Kind ihrer Hausangestellten mit aufziehen und die Verläßlichkeit einer solchen Mutter besonders schätzen). Der Vater des Kindes kann, auch wenn er nicht die Ehe mit der Mutter schließt, Einwirkung auf die Seele des Kindes gewinnen, wenn er gewillt ist, die Aufgabe der Vaterschaft, die im Geistigen wurzelt, zu erfassen und zu verwirklichen. Verstehende Freundschaftsverhältnisse, aufgebaut auf Dankbarkeit, Vertrauen und Ehrfurcht auf der einen Seite, Liebe und Wohlwollen auf der andern, wie wir sie heute vielfach zwischen Lehrer und Schüler finden, werden sich, wenn der Sinn der Vaterschaft richtig erkannt ist, im vertieftem Maße zwischen Vater und Kindern entwickeln. Schließt eine Frau mit einem oder zwei Kindern später eine Ehe mit einem Manne, der nicht der Vater ist, so wird er die Rolle des heutigen Stiefvaters einnehmen können und ebenso wie der leibliche Vater seine Beziehungen zu den Kindern auf verständnisvoller Freundschaft aufbauen.«[37]
DOROTHEA KLAJE schildert die positiven Erfahrungen von Frauen, die in einer Wirtschaftsgemeinschaft zusammenleben, um sich sodann nach zwei Seiten hin abzugrenzen: von den familienpolitischen Experimenten in der Sowjetunion in den zwanziger Jahren (»etwas Neues ist dort nicht vorhanden. Es wird genau wie in Europa geheiratete, geschieden und um Alimente geklagt«) aber ebenso von dem Verdacht, daß sich hinter ihren Thesen nationalsozialistische Ideen verbergen. Dieser Verdacht könnte sich vor allem durch die von den Nationalsozialisten geförderten »Lebensborn«-Heime für uneheliche Mütter herleiten. D. KLAJE weist jedoch darauf hin, daß die uneheliche Mutterschaft in der NS-Zeit durch diese Heime eher ausgegrenzt und verheimlicht werden sollte, weil sie als gesellschaftliche Schande galt. Eine rechtliche und öffentliche Anerkennung der unehelichen Mutter, wie von ihr angestrebt, wäre dagegen genau der umgekehrte Weg.
Entsprechend sollen die Kinder von vornherein den Namen der Mutter tragen und das Verhältnis zum Vater, wenn überhaupt ein solches besteht, lediglich freundschaftlicher und geistiger Natur sein, ohne daß irgendeine ökonomische oder rechtliche Beziehung bestünde. Der Mann soll als Familienoberhaupt abgelöst werden, während die Ehe als von der Mutterfamilie völlig unabhängige Institution durchaus weiter existieren kann, allerdings nicht als Versorgungsinstanz und auch nicht vom blinden Triebe zusammengekoppelt,[38] sondern als seelische und geistige Gemeinschaft reifer und ökonomisch unabhängiger Menschen. In der darauffolgenden Nummer beginnt in der >Welt der Frau< eine lange Kontroverse über die KLAJE'schen Thesen, bei der allerdings in der Grundfrage weitgehende Übereinstimmung besteht, wie sie auch unter dem Kürzel »A. M. T.« in einer Entgegnung formuliert wird:
- »Ich halte die Ziele, um die es Frau KLAJE geht, die Gleichstellung der unehelichen und der ehelichen Mutter und die Möglichkeit für jede Frau, eine Familie zu gründen, ohne heiraten zu müssen, für richtig, und erstrebenswert. Ich halte aber den Weg, den Frau KLAJE vorschlägt, zum mindesten für schwer gangbar und vor allem für umständlich.«[39]
Die Verfasserin sieht in ihren weiteren Ausführungen jedoch die vaterlose Familie nur als Notlösung an, und die bestehende Vormachtstellung des Mannes in der Familie nicht als juristisch bedingt sondern als naturgegeben: »Die Stellung des Mannes in der Familie (...) ergibt sich aus der naturgegebenen Anlage der Frau zu gefühlsmäßiger Labilität und Anfälligkeit, die sie nach Schutz und Geborgenheit verlangen läßt.«[40] Diese Geborgenheit könnte die Frau nur beim Manne finden, so daß auch die traditionelle Form der Familie ihre natürliche Berechtigung habe und alle anderen Lebensformen lediglich aus der Not der Zeit heraus Anerkennung finden müßten.
In der folgenden Nummer der Welt der Frau werden die vorangegangenen Beiträge vertieft. Eine Verfasserin (oder ein Verfasser?) mit dem Kürzel R. W. geht dabei besonders der Frage nach, wie es um das Geschlechtsleben der in den projektierten Mutterfamilien lebenden Frauen bestellt sein soll: »Bei dem Frauenüberschuß von sieben Millionen, den
unsere Erörterung zum Ausgang hat, kann es nicht anders sein, als daß die meisten unverheirateten Frauen, die eine Mutterfamilie gründen wollen, sich mit verheirateten Frauen deren Männer teilen - vorausgesetzt, daß nicht nur Junggesellen Väter in Mutterfamilien werden. Wo ist die Grenze gesetzt durch ein persönliches Gewissen? Ist ein Verlaß auf die wertvollen Frauen, daß sie bedachtsam den Partner wählen, keiner anderen Frau den Mann, keinen Kindern die ungeteilte Hingabe des Vaters nehmen?«[41]
R. W. sieht die Gefahr, daß die unverheiratete Mutter »in einem Gefühlsansturm bald von diesem, bald von jenem Manne ein Kind empfangen«[42] und die abendländische Kultur durch den Verfall der Sitten vollends in die Brüche gehen könnte. Ihr (sein?) aus religiösen Vorstellungen abgeleitetes Hohelied der Ehe gipfelt in der folgenden Passage:
- »Diese ihrem Wesen nach unauflösliche Ehe ist den zerstörerischen Mächten der Selbstsucht, der Roheit eines verantwortungslosen Geschlechtstriebs, der Gefühlswillkür des Herzens wie ein Stück Kulturland einer Urwaldwildnis abgerungen und einer höchsten Hoheit unterstellt.«[43]
Den aufgrund des Frauenüberschusses um die Freuden von Ehe und Familie gebrachten Frauen empfiehlt R. W. die Hingabe an die zahlreichen sozialen und caritativen Aufgaben, die sich in dieser Zeit stellen, bei deren Bewältigung sich ebenfalls eine Erfüllung finden ließe, eine Argumentation, die sich auch in vielen anderen Stellungnahmen, insbesondere in den Leserbriefen findet.
Die sowohl bei D. KLAJE als auch bei ihren Kontrahenten bzw. Kontrahentinnen vorherrschende Meinung, daß sich eine Frau nur in einem wie auch immer gearteten Familienleben (wenn schon ohne Mann, dann doch zumindest mit Kindern) wahrhaft verwirklichen könne, wird durch eine Stellungnahme von DORA BIER relativiert, die diese unter dem Titel »Die glückliche Alleinstehende« im Oktober 1948 in der >Welt der Frau< veröffentlichte. Die Verfasserin wehrt sich gegen die allgemeine Auffassung, »daß man das Geschick der Alleinstehenden als ein bedauernswertes Versagen der Vorsehung aufzufassen habe«.[44] Der alleinlebende Mensch werde in der Öffentlichkeit von vornherein als bemitleidenswerte Erscheinung angesehen, so daß viele alleinlebende Frauen, obwohl sie im Grunde mit ihrem Leben zufrieden sind, meinten, der allgemeinen Konvention genügen und in diese »wehmutgetränkte Betrachtung«[45] miteinstimmen zu müssen. Die Verfasserin stellt demgegenüber die Frage, ob sich denn wirklich jede Frau unbedingt einen Mann und ein Kind wünsche, und vermutet hinter dieser angeblichen Sehnsucht eine sehr verdächtige männliche Logik. Denn »wo Scheu und Angst vor dem Alleinbleiben nicht sehr groß sind, da wäre auf der anderen Seite auch die Bereitwilligkeit, dem Manne zuliebe, der sie davor bewahrt, allerlei Ungemach auf sich zu nehmen, nicht so bedingungslos vorhanden.«[46]
Die Verfasserin versucht sodann einige Vorteile des Alleinlebens zu schildern, die materielle Unabhängigkeit und die Freiheit des Urteils, die hingegen bei vielen Frauen nach der Verheiratung zu wünschen übrig lasse. Geistige und politische Bildung, Arbeit in einem befriedigenden Beruf seien ein ebensolcher Lebenssinn wie die Produktion von Nachkommen, wobei die Verfasserin vor Lebensrezepten warnt und dafür plädiert, daß sich jeder seine Perspektiven unabhängig von den engen Maßstäben der Umwelt gestalten solle (vgl. Abb. 2).
Wenn auch nicht ausdrücklich in den Zusammenhang mit der Diskussion um die uneheliche Mutterschaft gestellt, fällt doch ein weiterer Artikel in der >Welt der Frau< im Oktober 1949 auf, in dem sehr ausführlich dem Problem der künstlichen Befruchtung nachgegangen wird. Unter dem Titel »Kinder aus der Retorte« werden die medizinischen, rechtlichen und religiösen Probleme dieses Verfahrens dargelegt. Den sich hier äußernden Rechtsanwälten scheint »gerade in Deutschland mit seinem geradezu tragischen Frauenüberschuß eine Erörterung dieses Problems unumgänglich.«[47] Insbesondere wird der Frage nachgegangen, welche rechtliche Stellung ein aus einer künstlichen Befruchtung hervorgegangenes Kind einer ledigen Mutter hat und inwieweit der Samenspender zur Zahlung von Alimenten verpflichtet werden kann.
ROSINE SPEICHER, die Herausgeberin und Leitartikelschreiberin der Zeitschrift >Frauenwelt< geht in der Kritik an den in der Öffentlichkeit breit diskutierten (mitunter allerdings auch nur verstümmelt wiedergegebenen und damit zu Mißverständnissen herausfordernden) Vorstellungen von DOROTHEA KLAJE weiter. Sie sieht darin einen Auswuchs männlichen Denkens, das es zu bekämpfen gelte, und verkapptes nationalsozialistisches Gedankengut:
- »Die Überwindung des männlichen Denkens, die Abhängigkeit von der männlichen Mentalität muß auch auf dem Gebiete des Sittlich-Moralischen angestrebt werden. Auch hier muß die Frau zu den Quellen ihres Daseins finden. Die Führerrolle, die ihr gerade im Sittlichen zugefallen ist, muß wahrgenommen werden. Die geschlechts-egoistische männliche, frauenfeindliche Denkweise ist abzulehnen. Dann werden sich auch nicht Reformvorschläge auf diesem Gebiet in die Öffentlichkeit wagen, wie sie Frau Dr. KLAJE dem Parlamentarischen Rat in Bonn zuleitete. Von dem Faktum des Frauenüberschusses, diesem gut konservierten Schreckensgespenst ausgehend, bringt sie Ideen des Nationalsozialismus wieder zur Geltung und gute alte Bekannte, wie die Ehe auf Zeit erscheinen wieder. Das Interessanteste aber an diesem Reformplan ist der Vorschlag zur Einführung des Matriarchats, der Mutterfamilie. Die Frauen, meint Frau KLAJE in der Sie', werden den Weg der Mutterfamilie leicht beschreiten, da der Muttertrieb sie leiten wird. Für die Kinder aus der Mutterfamilie soll natürlich der Staat sorgen, der die Mittel hierfür von Männern und kinderlosen Frauen einheimsen soll. Der männliche Erzeuger der Kinder soll zu seinen Kindern in keinem Verhältnis stehen, er hat kein Anrecht und keinen Einfluß auf sie. Es wird ihm aber großzügig gestattet, den Kindern Schenkungen zu machen. Ob, wie in grauer Vorzeit, der Mutterbruder den Schutz der Mutterfamilie übernehmen soll, wird nicht gesagt. Wahrscheinlich wird die moderne Mutterfamilie der Frau KLAJE keines Schutzes bedürfen. In solchen Mutterfamilien wird es auch Kinder mehrerer Väter geben - das erschwert die Lage dieser Musterfamilie nicht. - Daneben läßt Frau KLAJE noch die Ehe bestehen, deren bisherige wesentliche Aufgabe, die Fortpflanzung der Menschheit, sie nicht gelten lassen will. Die Ehe auf Zeit soll den nicht zur Ehe kommenden Frauen ermöglichen, Mütter zu werden. Diese Ehe soll jederzeit auf einfachen Antrag beim Standesamt gelöst werden. Diese schönen Vorschläge wurden selbstverständlich im Namen der Kultur gemacht, im Namen der deutschen Kultur, die gerettet werden soll. Frau K LAJE ist Lehrerin - überlegen sich die Mütter, was dies bedeutet! Die Ideen dieser Frau werden auch auf den Unterricht ausstrahlen, sie werden die jungen Seelen beschatten. Man möchte glauben, die Antwort auf solche Reformpläne würden sich von selbst ergeben. Sie müßten sich ergeben, wären die sittlichen Frauenkräfte gesund und damit aktiv. So sehen wir nur, daß dieses verrückte Projekt einstweilen die Presse beschäftigt, daß es sogar in der Schweiz diskutiert wird, wenn auch hinter dem unverdienten Interesse fast restlos Ablehnung steht. Die von Frau KLAJE propagierte gesellschaftliche Neuordnung und sittliche Umwertung könnte bei manchen Frauen den Eindruck der Geltendmachung fraulicher Interessen erwecken. Es bedarf aber nur einer flüchtigen Prüfung, um festzustellen, daß hier die zerstörerischen männlichen Gedankengänge in Erscheinung treten, deren Ablehnung Voraussetzung für die Entwicklung des wahrhaft Fraulichen ist. Die Undurchführbarkeit des Projektes auf wirtschaftlichem Gebiet bedarf keiner Erwähnung. Hier aber sollte nur die kulturelle und sittliche Wirrnis aufgezeigt werden, die solche Pläne entstehen läßt.«[48]
Auch die Berliner Zeitschrift >Sie< stellte im Februar 1949 die Forderungen von DOROTHEA KLAJE vor, da diese in verschiedenen Tageszeitungen nur unvollständig zitiert worden seien und man der Leserschaft ein vollständiges Bild geben wolle.
Diese Thesen stießen ganz offenbar bei Lesern und Leserinnen auf höchstes Interesse. Über die folgenden sechs Nummern der >Sie< zieht sich eine breite Auseinandersetzung über die angeschnittenen Probleme hin, wobei die Redaktion jeweils gezwungen ist, zu betonen, daß es sich bei den abgedruckten Stellungnahmen nur um einen kleinen Bruchteil der eingegangenen Zuschriften handelt: »Es bedürfte einer Sondernummer, um die eingegangenen Zuschriften vollzählig und vollständig zu veröffentlichen. Die Redaktion sieht sich daher gezwungen, abgesehen von den ihrer Meinung nach unangebrachten satirischen, auch die Briefe unberücksichtigt zu lassen, die lediglich uneingeschränkt für oder gegen Frau Dr. KLAJEs Vorschläge Stellung nehmen.«[49]
Stattdessen wird versucht, die Auseinandersetzung durch neue Gesichtspunkte zu ergänzen und weiterzuführen. Auffällig in der >Sie< ist das Bemühen, statt philosophischer Spekulationen über den Wert des Mutterdaseins die konkrete Situation zu beleuchten. Hier kommen vor allem die Leser(innen) zu Wort, die eigene Erfahrungen beitragen, wobei die Skepsis gegenüber Vorstellungen zur Etablierung einer >Mutterfamilie< neben und alternativ zur traditionellen Familie überwiegt. Diese Skepsis speist sich zum einen aus christlichkonservativen Erwägungen, denen zufolge die bestehende Ordnung des Familienlebens natur- und gottgegeben sei, zum anderen aus der Überzeugung, daß es natürliche Anlagen bei Männern und Frauen gebe, die sie zu bestimmten Funktionen in der Gesellschaft befähigen bzw. nicht befähigen, und die Selbstverantwortung der Frau in der >Mutterfamilie< nicht zulassende Skepsis besteht aber bei einigen Kritikern und Kriterkerinnen auch gegenüber den von DOROTHEA KLAJE ins Auge gefaßten staatlichen Maßnahmen, um die ihr vorschwebende Institution zu sichern. Gegenüber staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre ist man jedoch aus verständlichen Gründen nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Ära sehr ablehnend eingestellt. AGNES ZAHN-HARNACK, feste Mitarbeiterin der >Sie<, wertet die Vorstellungen von der >Mutterfamilie< nur als zeitbedingte Reaktion auf den Frauenüberschuß, nicht aber als ernst zu nehmendes familienpolitisches Konzept für die weitere historische Entwicklung.
Den notwendigen Verzicht vieler unverheirateter Frauen auf die Mutterschaft und die damit verbundene »biologische Erfüllung«[50] sieht sie als Gegenbild zu den Kriegsverletzungen der Männer:
- »Die Härten für die in diesem Sinne kriegsverletzten Frauen müssen allerdings nach Möglichkeit gemildert werden. Tatsächlich haben die Betroffenen, hat die Gesellschaft hier schon zur Selbsthilfe gegriffen, indem sie eheähnliche Verhältnisse duldet, uneheliche Mutterschaft nicht mehr unbedingt diffamiert und so weiter. So unbefriedigend diese halblegalen Zwischenformen sind, so sind sie doch besser, als eine unter dem Druck der Nachkriegsverhältnisse vorgenommene Neuordnung, die Ehe und Familie in künstlicher Weise trennt, die man bei der Rückkehr in normale Verhältnisse nicht wieder loswerden würde, und bei der letztlich die Frau nicht die Gewinnende, sondern die Verliererin sein würde.«[51]
Unabhängig von ihrer Kritik an den KLAJE'SCHEN Vorstellungen setzt sich Agnes ZAHN-HARNACK in demselben Artikel ausdrücklich für eine Reform des Familienrechts, insbesondere des Güterrechts, des Scheidungsrechts, des Unehelichen-Rechts und bestimmter Abschnitte des Strafrechts ein, um so mit der Gleichberechtigung von Männern und Frauen Ernst zu machen. In derselben Ausgabe der >Sie< versucht NORA von KAPP, Vorsitzende der Antifaschistischen Frauenliga Bayerns, die bei DOROTHEA KLAJE etwas verschwommenen Forderungen auf die gesellschaftliche Realität zu beziehen und damit ihre Bedeutung zu würdigen:
- »Welche Freude, wenn aus der dumpfen uninteressierten Masse der Frauen einmal eine Frau den Mut hat, mit einer kühnen Idee, wenn sie auch vielleicht etwas über das Ziel hinausschießt, hervorzutreten! (...) Eheliche und uneheliche Kinder müßten bei dem Frauenüberschuß gleichgestellt werden, und die groteske Situation, daß selbst eine schuldlos geschiedene Frau nicht der alleinige Vormund ihrer Kinder werden kann, daß sie, ohne Zustimmung des Mannes, kein eigenes Bankkonto haben, geschweige denn über ihr selbstverdientes Geld verfügen darf, sind menschenunwürdige mittelalterliche Zwangsmaßnahmen, um die Frau in der vom Manne gewünschten Abhängigkeit zu halten. Es gilt diese Frage ganz ohne die bei uns übliche Sentimentalität anzupacken, denn die Männer werden keinesfalls gutwillig ihre Stellung aufgeben. (...) Viele wirtschaftliche, ethische und erbrechtliche Einwände werden sich gegen die 14 Punkte (von DOROTHEA KLAJE) erheben, und doch geht ein Klang durch sie, der lockt. Zweifellos bleibt, daß das Matriarchat eine der wenigen Möglichkeiten ist, einen Krieg zu verhindern, und allein darum wäre der Versuch ein humaner Verdienst.«[52]
Die grotesken Situationen, die die Verfasserin hier schildert, blieben das sei nebenbei bemerkt - noch bis weit in die fünfziger und sechziger Jahre hinein bestehen.
Die hier Ende der vierziger Jahre geführte Diskussion hatte, wenn man sie rückblickend betrachtet, fast einen utopisch zu nennenden Charakter.
In der Zeitschrift >Sie< wurde diese Theorie dann auch ständig durch Berichte über die Praxis des Familienlebens relativiert. Im April 1949 erschien ein großer Artikel über »Mutterfamilie in der Praxis«, in dem das Leben von Frauen geschildert wird, die durch die Zeitumstände (Tod des Ehemanns, Scheidung etc.) alleine mit ihren Kindern leben. Befragt nach ihren Lebensperspektiven kam bei allen von ihnen der Wunsch nach Wiederverheiratung, nach normalen Zuständen und einer normalen Familie zum Vorschein, eine deutliche Absage an ein dauerhaftes Konzept matriarchalischer Lebensformen.
5. Alleinlebende Frauen, Wohngemeinschaften, andere Beziehungskonzepte
Ebenfalls großen Umfang nimmt die Erörterung von Frauenfreundschaften ein. Ein Auszug aus dem Buch >Der Weg der Frau< von der amerikanischen Psychologin ESTHER HARDING erschien im November 1949 in der >Welt der Frau<, mit der Anmerkung, daß die hier geschilderten Erkenntnisse auch für deutsche Verhältnisse interessant und anregend seien. In dem abgedruckten Auszug geht es um Wohngemeinschaften von Frauen, um die neue Bewußtheit von Frauen und auch um ein gewandeltes äußeres Erscheinungsbild. Dabei wird nicht verkannt, daß sich in langjährigen Frauenfreundschaften und einer gemeinsamen Haushaltsführung leicht ähnliche Strukturen herausbilden können, die für die Ehe typisch sind: Angleichung aneinander, Verlust an Selbständigkeit, Verlust der eigenen Persönlichkeit in den Ritualen der Beziehung. Durch räumliche und geistige Distanz kann diesen Verschmelzungserscheinungen, die schließlich zur Monotonie führen, nach ESTHER HARDINGS Auffassung begegnet werden. Freundschaften zwischen Frauen bieten der Autorin zufolge jedoch eher eine Möglichkeit zur geistigen und seelischen Entfaltung, weil sie keiner biologischen Bestimmung unterworfen sind. ESTHER HARDING sieht die Frauenfreundschaften (als) einen Teil jener Bewegung, die schon in der sozialen Umwälzung der letzten achtzig oder hundert Jahre offenbar wurde. Ihre Wurzeln liegen in sozialen Menschheitsbewegungen von weittragender Bedeutung, wie zum Beispiel in den veränderten Wirtschaftsbedingungen, die wiederum eine Folge der Mechanisierung und Industrialisierung sind, und nicht zuletzt in den erwähnten Wandlungen, die sich in der Frau selbst vollzogen und zur sogenannten Frauenbewegung geführt haben.«[53]
Daß solche Fragestellungen in einer Frauenzeitschrift dieser Zeit aufgeworfen wurden, beweist, daß die Diskussion der Situation der Frau in dieser Zeit sich nicht auf den materiellen und rechtlichen Bereich beschränkte, sondern daß darüber hinaus die traditionellen Beziehungsformen zwischen Männern und Frauen in Frage gestellt und andere Lebensformen gesucht wurden. Die Tatsache, daß diese Diskussion nicht nur in Zeitschriften mit geringer Auflage wie der Welt der Frau, sondern unter anderen Gewichtungen in so auflagestarken Publikationen wie der Sie und der Constanze geführt wurden, verweist darauf, daß - zumindest zeitweise - eine Bereitschaft vorhanden war, Alternativen zur Ehe und Kleinfamilie zumindest zu überdenken. In der Zeitschrift Frauenwelt wurde in einem Artikel von HEDWIG STIEWE über die Situation unverheirateter Frauen im Mittelalter sogar die historische Dimension miteinbezogen: »Das Problem des Frauenüberschusses, mit dem sich die Gegenwart zu beschäftigen genötigt sieht, bestand auch im Mittelalter. (...) Wie wurden nun die alleinstehenden Frauen mit ihrem Leben fertig?«[54]
Zur Beantwortung dieser Frage werden die verschiedensten von Frauen selbst geschaffenen Einrichtungen in den mittelalterlichen Städten genannt, mit denen die Wohnungs- und Wirtschaftsfrage, die Altersversorgung und die Lebensgestaltung alleinstehender Frauen von diesen selbst in Angriff genommen wurden. Diese geschichtliche Betrachtung wird dann am Schluß des Artikels als nützlich für die Bewältigung gegenwärtiger Probleme beschrieben:
- »Was uns von der damaligen Zeit trennt, ist die Bewußtheit. Im übrigen lassen sich mancherlei Parallelen ziehen. Die Nöte der Jetztzeit führen wieder zur Bildung von Wohngemeinschaften. Die Sammlung um eine Feuerstelle, die Auswertung des beschränkten Wohnraums, der Ausgleich der Kräfte bei der Arbeitsverteilung machen eine gemeinsame Lebensgestaltung notwendig oder lassen sie doch wünschenswert erscheinen. Möchte es nur immer gelingen, ein ersprießliches Miteinander zu erreichen, zu neuen Lebensformen und zu einer erfüllten Daseinsgestaltung durchzudringen.«[55]
Daß es, um zu diesem erspießlichen Miteinander zu gelangen, einschneidender ökonomischer und juristischer Änderungen bedurfte, geriet hinter den wohlmeinenden philosophischen, psychologischen und historischen Erörterungen in den Frauenzeitschriften zumeist in den Hintergrund. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen, die zumeist aus dem 19. Jahrhundert entstammten, aber auch aktuelle Ausführungsbestimmungen sorgten eher dafür, alleinstehende Frauen noch weiter zu benachteiligen, als sie zu neuen Lebensformen zu ermutigen.
In einer Randnotiz wird dieses Problem von Dr. ALEXANDER LENZE in der >Frauenwelt< in einem Beitrag über das »ernste Problem« des Frauenüberschusses gestreift:
- »Jüngst ward für die deutschen Zonen ein Steuergesetz erlassen, das eine unverheiratete Frau erst mit 65 Jahren steuerlich den Verheirateten gleichsetzt. Vorher war das schon bei 50 Jahren der Fall. Diese Neuerung ist zweifellos hart für die berufstätigen Frauen, die ehelos sind. Sicherlich wollte man damit keine Bestrafung im Sinne einer Junggesellinsteuer. Doch zwingen die Verhältnisse, fiskalisch zu denken...«[56]
Die Berichterstattung in den Frauenzeitschriften über die Situation alleinstehender Frauen ist nicht frei von Schönfärbereien. Die positive Darstellung von Lebensformen ohne männliches Familienoberhaupt ist auffällig, dennoch bleibt immer die Frage, ob dahinter wirklich die Überzeugung steht, daß die herkömmliche Familienform sich überlebt hat und ihr nicht nachzuweinen sei, oder eher die pragmatische Erkenntnis, daß aufgrund der Zeitumstände das traditionelle Familienleben oftmals zerbrochen ist und den davon betroffenen Frauen durch entsprechende Artikel die Situation erträglich gemacht werden soll (vgl. Abb. 1). »Alleinstehend - doch nicht einsam« ist ein Artikel im >Regenbogen<[57] betitelt, in dem vier Schicksale alleinstehender Frauen geschildert werden, die bewußt auf die Heirat verzichtet haben und dabei allem Anschein nach glücklich sind und in ihrem Beruf und in sozialen Aufgaben Erfüllung finden. Auf den von Leserseite erwarteten Einwand, daß die hier vorgestellten Frauen wohl kaum repräsentativ wären und die Tragik vieler alleinstehender Frauen damit vergessen würde, kontert die Redaktion mit dem Hinweis auf die nicht seltenen Tragödien unglücklicher Ehefrauen.[58] Weitaus bedrückender ist das Bild alleinstehender Frauen und insbesondere alleinstehender Mütter, das in der Zeitschrift Constanze in mehreren Artikeln und Umfragen gezeichnet wird. WALTHER von HOLLANDER, langjähriger Spezialist für Frauenfragen, macht sich in der Constanze, wie es in der Einleitung zu seinem Artikel heißt, »zum Sprecher dieser stummen Armeen« der »Mütter ohne Männer«.[59] Zugleich werden die Leserinnen aufgefordert, die von HOLLANDER in ihrem Namen gestellten Forderungen zu überprüfen und ggf. zu präzisieren. HOLLANDER geht auch auf die Situation der Mutterfamilie ein, sieht sie aber nicht als theoretisches Gebilde, sondern als soziale Realität, die es von Seiten des Gesetzgebers unverzüglich zu legalisieren gelte:
- »Gleichberechtigung - auf dem Papier. Ein weiterer Wunsch der alleinstehenden Frauen ist der, daß mit der völligen Gleichberechtigung ernst gemacht wird. Dazu ist vor allem notwendig, daß eine Frau mit ihren Kindern, ganz einerlei, ob sie ihren Mann im Krieg verloren hat, ob sie sich hat scheiden lassen oder ob sie gar nicht verheiratet war, daß eine solche Mutterfamilie als Vollfamilie anerkannt wird. Was soll man zum Beispiel dazu sagen, daß eine Frau mit zwei Kindern, die sich mühsam genug das Studium selbst erarbeitet, an der Hamburger Universität zugelassen wird, für ihre Kinder aber weder Zuzugsgenehmigung noch Wohnraum bekommt, daß sie also vor die Wahl gestellt wird, entweder das Studium aufzugeben oder sich von ihren Kindern zu trennen. (Der Wohnungsbeamte sagte schlicht: Das mit dem Kinderkriegen hätten Sie sich eher überlegen müssen!) Was soll man dazu sagen, daß sich Vormundschaftsgerichte und Fürsorgeämter auch gegen den Willen der Mütter einschalten, Vorschriften machen, Vormünder einsetzen, auch dann, wenn diese Mütter sehr tüchtig und ordentlich die Kinder erziehen? Während, soviel ich weiß, Männer im unbeschränkten Besitz der Erziehungsgewalt sind, unbeaufsichtigt bleiben, auch dann, wenn sie ihre Kinder offensichtlich vernachlässigen.«[60]
Eine große Rundfrage unter alleinstehenden Müttern startete die Constanze im Juni 1948.[61] Gefragt wurde, welcher beruflichen Tätigkeit die angesprochenen Frauen nachgingen, wie hoch ihr Verdienst sei, wie ihre Kinder in dieser Zeit versorgt würden und ob sie die augenblickliche Situation nur als Notlösung betrachteten. Die Ergebnisse der Umfrage wurden in den folgenden Heften veröffentlicht. Die Antworten ergeben zusammengesetzt ein realistisches Panorama der Nachkriegssituation in Deutschland und der bedrückenden Lage jener Frauen, die zumeist ohne Berufsausbildung einfachste und erniedrigendste Tätigkeiten verrichteten, um durch den minimalen Verdienst sich und ihren Kindern das Überleben zu sichern. Diese Dokumente hier im einzelnen zu untersuchen, würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen, sie könnten jedoch Teil einer zu schreibenden Sozialgeschichte der Frau in den Nachkriegsjahren sein. Was im Rahmen dieser Arbeit festzuhalten ist, ist die Tatsache, daß von seiten der Frauenzeitschriften (insbesondere von der Constanze und der Sie) in einer Vielzahl von Reportagen und Veröffentlichungen von Leserstimmen soziale Wirklichkeit gezeigt wird - ganz im Gegensatz zur Illusions- und Verschleierungsstrategie, die zum Wesensbestandteil der Frauenzeitschriften und der sogenannten Regenbogenpresse in den fünfziger und sechziger Jahren wurde.Die Constanze versucht aber in Ansätzen über die reine Sozialreportage hinaus etwas vom gewandelten Bewußtsein jener Frauen zu vermitteln, die in den Nachkriegsjahren zunächst zwangsweise lernen mußten, auf eigenen Füßen zu stehen, bald aber daraus den Schluß zogen, daß es auch ohne Männer geht.
WALTHER von HOLLANDER schrieb unter dem Titel »Ein zweites Mal nicht!« einen großen Bericht über »Frauen, die nicht wieder heiraten wollen«[62] und kam dabei zu folgenden Schlußfolgerungen:
- »Fällt die materielle Sicherung durch die Ehe weg - und das ist heutzutage in den meisten Fällen der Fall - so sehen erfahrene und realistische Frauen keine Veranlassung, ihre Freiheit und Selbständigkeit gegen die Risiken einer Ehe einzutauschen.(...) Es kommt hinzu, daß heutzutage jede Frau, die über einen materiellen Rückhalt irgendwelcher Art verfügt - und sei es ihrer eigenen Hände Kraft - von Heiratsangeboten schwächlicher, entwurzelter, hoffnungsloser Männer geradezu verfolgt wird.«[63]
HOLLANDER sieht neben den drei Ständen der unverheirateten (aber eigentlich ehefreudigen) Frauen, der in Ehe und Familie Erfüllung findenden Frauen, und der wechselsüchtigen Frauen einen vierten Stand entstehen: jene Frauen, die aufgrund ihrer Erfahrung mit Männern bewußt keine neue Ehe eingehen wollen, was sie nicht hindert, dem Manne, mit dem sie sich aufgrund einer Zuneigung lose verbinden, treu zu sein, solange er ihre Selbständigkeit respektiert und ihre Gleichberechtigung anerkennt.[64]
Die Redaktion der Constanze hält es allerdings - angesichts der für manche Leser provozierend wirkenden Thesen des Verfassers - für angebracht, unter dem Artikel ein Hochzeitsfoto zu zeigen und HOLLANDERS Ansichten wie folgt zu relativieren:
- »Mag sein, daß WALTHER von HOLLANDER, der große Psychologe und verwegene Schlußfolgerer, in dem nebenstehenden Essay ein wenig zu weit geschritten ist in der Verallgemeinerung der Tatsache, daß viele Frauen kein zweites Mal den ergebnislosen Zirkel der bürgerlichen Ehe schlagen und lieber allein weiterfinden wollen...«[65]
Die Leserinnen werden alsdann zur Stellungnahme aufgefordert, wobei sich in den folgenden Heften in den abgedruckten Leserbriefen in der Tat zeigt, daß die Meinungen über den Sinn der Ehe von Frauenseite nicht ganz so ablehnend sind, wie Hollander unterstellt hatte.
Um dem in zahlreichen Zeitschriften erschienenen Wust von Erörterungen über das Problem des Frauenüberschusses die schlichte Meinung der Bevölkerung entgegenzustellen, beauftragte die Constanze im Herbst 1948 das Institut für statistische Markt- und Meinungsforschung, eine Umfrage in Hamburg und Schleswig-Holstein durchzuführen, bei der geklärt werden sollte, wie die Bürger und Bürgerinnen sich zur Mehr-Ehe oder Polygamie als Lösung der viel diskutierten Familienkrise stellten. Mit Erleichterung kann Constanze-Redakteurin PETRA LUND konstatieren, daß vier Fünftel aller Befragten nicht daran glaubten, daß sich die Mehr-Ehe in Deutschland ausbreiten würde (nur 13% der Befragten in Hamburg und 14% in Schleswig-Holstein) glaubten daran, nur 8% in Hamburg und nur 2% in Schleswig-Holstein würden der Umfrage zufolge selbst die Mehr-Ehe billigen. PETRA LUND schließt daraus, daß es mit der in ausländischen Zeitungen berichteten Demoralisierung des deutschen Volkes doch nicht so weit her sein kann: »Es wurde eine klare Antwort gegeben: Vielweiberei nein!«[66]
Eine weitere Umfrage desselben Meinungsforschungsinstituts zeigte aber, daß offenbar in der Bevölkerung dennoch eine hohe Toleranz für Beziehungsformen außerhalb der Ehe vorhanden war, solange sie nicht selbst zu neuen familienähnlichen Gebilden institutionalisiert werden. Auf die Frage »Ist die freie Liebe unmoralisch?« antworteten 29% der Befragten mit Ja, 61% mit Nein, 10% hatten keine Meinung.
Dieses deutliche Ergebnis veranlaßt die Berichterstatterin PETRA LUND zu der Folgerung, daß die mit >Modergeruch< behafteten deutschen Gesetzesparagraphen in deutlichem Widerspruch zu einem gewandelten Moralempfinden stünden:
- »Immer mehr Menschen unserer Zeit sehen in der amtlich bekundeten Ehe nicht mehr das einzige Ideal - weil vor allem die freie Entfaltung der Frau in der Gesetzesehe durch tausend einengende Bestimmungen unserer veralteten Paragraphen gehemmt wird.«[67]
Daraus wird die Forderung nach einer grundlegenden Reform des Eherechts abgeleitet, die insbesondere angesichts des realen Wandels der Lebens- und Beziehungsverhältnisse längst notwendig geworden sei:
- »Man sollte sich (vielleicht geben die hier genannten Zahlen das am klarsten wieder) nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich unsere Generation in aller Formlosigkeit anschickt, das Recht der freien Liebe zu einer selbstverständlichen Einrichtung zu machen. Der Widerstand, den tote Paragraphen dem entgegensetzen, wird eines Tages genauso formlos weggewischt sein.«[68]
Noch eine weitere Umfrage widmete die Constanze 1949 dem Beziehungsproblem. Ausgangspunkt war der damals durch die Presse gehende - sicher nicht vereinzelte - Fall eines Mannes, der erfahren hatte, daß seine Frau bei einem Bombenangriff umgekommen sei, sich wenig später neu verheiratete, dann aber von seiner ersten Frau, die den Krieg doch überlebt hatte, ausfindig gemacht wurde und nun gleich zweimal ehelich gebunden war. WALTHER von HOLLANDER stellte die Frage »Kann ein Mann zwei Frauen lieben«, beantwortete sie selbst nach langen Ausführungen mit ja, um sie dann an die Leser(innen) weiterzureichen. 819 Briefe erhielt die Constanze nach eigenen Angaben auf diese Frage, »Briefe, die das Leben schrieb«[69]: 371 Einsender (davon 264 Frauen) antworteten mit >Ja<, 173 (davon 105 Frauen) mit >Nein<. Aus den Ergebnissen der Umfrage, die in Form von Erlebnisberichten eingingen, bestritt die Constanze gleich mehrere Nummern, offenbar war dies ein Thema, was zu breiten Auseinandersetzungen und Spekulationen Anlaß bot.
Da wird ausgiebig und melodramatisch von Verschollenen berichtet, die unverhofft aus fernen Erdteilen zurückkehren und durch ihr Erscheinen ehemalige Ehefrauen oder Ehemänner in Verwirrung stürzen, von Liebesaffären mit Zwillingsschwestern und von den dubiosen Lebensverhältnissen, die im Zuge der Kriegsereignisse Menschen trennten und neu vereinten und für die seltsamsten Konstellationen sorgten. Oft ist hier nicht mehr zwischen sachlicher Berichterstattung und Suche nach menschlichen Sensationen zu unterscheiden, wie überhaupt seit Ende 1949 in der "Constanze" bei der Schilderung von Beziehungsaffären, trotz allem Einsatz für fortschrittliche Moralauffassungen und die Gleichberechtigung und Selbständigkeit der Frau, eine gewisse Effekthascherei nicht zu verkennen ist. Im Gegensatz zur eher theoretischen und bisweilen trockenen, aber durchweg sehr ernsthaften und engagierten Berichterstattung vor allem in der >Welt der Frau<, überwiegt in der Constanze jetzt das Bemühen, durch aufreißerische Themen in entsprechender Aufmachung Leser(innen) anzusprechen, menschliche Schicksale als kleine Dramen möglichst mit Happy End zu vermarkten. Diese Tendenz nimmt paradoxerweise zu, je mehr sich die realen Verhältnisse normalisieren. Noch sind es die kleinen Leute, deren Geschicke beschrieben werden, weil sie ungewöhnlich und aufregend genug sind, um die Leser zu interessieren, auch weil in dieser Zeit Identifikation mit Schicksalsgenossen gefragt ist. Die übersteigerte Dramatisierung dieser Schicksale zeigt jedoch bereits den Weg hin zur Darbietung des mal glanzvollen, mal unglücklichen Lebens und Liebens der Prominenz aus Showgeschäft und Hochadel - Themen, die in späteren Jahren für Schlagzeilen sorgen sollten.
6. Schlußbemerkung
Es stellt sich abschließend die Frage nach der Öffentlichkeit der untersuchten Frauenzeitschriften in dieser Zeit. Diese Frage läßt sich nur unter einem Vorbehalt beantworten, denn die geführten Auseinandersetzungen spielten sich eher in einem kleinen elitären Rahmen ab, da die meisten der damals erscheinenden Frauenzeitschriften nur eine geringe Auflage hatten.
Die Zeitschriften, die, wie sich in den Auflagenziffern zeigt (>Sie< 125 000 und >Constanze< 390 000), Massenwirkung erzielten, wandten sich nach 1949 statt abgehobener theoretischer Erörterungen eher pragmatischen Themen zu. Die Sie beschäftigte sich überwiegend mit Themen, die die Bevölkerung von Berlin oder direkt das tagespolitische Geschehen betrafen, und die Constanze suchte durch bildhafte und blumige Gestaltung, einfache Sprache und spektakuläre Themen die Aufmerksamkeit breitester Leserkreise zu gewinnen, was ihr ja auch schnellstens gelang.
Daß dieser Weg der Constanze sich kommerziell durchsetzte, Mode und Haushaltsthemen immer mehr in den Vordergrund traten und die eher in die Breite gehende, rationale Auseinandersetzung über die Lage der Frau verdrängten, ist auf der einen Seite das Versagen der Frauen selbst, aber doch vor allem auf die allgemeinen sozialen und politischen Veränderungen zurückzuführen, in deren Verlauf sich auch die traditionelle Ehe und Familie in Deutschland wieder festigen konnte.