Weltliche Lebensformen von Frauen im 10. Jahrhundert

Das Zeugnis der erzählenden Quellen

Das 10. Jahrhundert wurde von der historischen Forschung mit vielen Schlagworten belegt. So sprach die ältere Forschung von einem >dunklen< oder >finsteren< Jahrhundert und meinte damit vor allem den Mangel an Autoren, sie sprach vom Zeitalter des >Hurenregiments< und der Nomokratie< und spielte damit auf die politischen Verhältnisse in Rom, die Abhängigkeit des Papsttums von weltlichen Machthabern und den Einfluß einiger adliger Frauen an, denen zeitgenössische Historiogra-phen einen unmoralischen Lebenswandel vorwarfen.[1] Auf der anderen Seite erblickte man im 10. Jahrhundert eine >ottonische Renaissance< oder zumindest eine >renovatio< des karolingischen Erbes und kennzeichnete damit die mit der Konsolidierung der ottonischen Herrschaft einhergehende Wiederbelebung der Geschichtsschreibung und Bildung.[2] Solch einseitige Charakterisierungen führen nicht weit und lassen die vielfältigen und lebhaften Entwicklungen in diesem Jahrhundert in ihrer Heterogenität nicht erkennen. Ein wichtiges Zeugnis für die Ereignisse in dieser Zeit sind die erzählenden Quellen. Diese Quellengattung, deren methodische Probleme im vorangehenden Beitrag dieses Bandes am Beispiel Gregors von Tours schon erörtert wurden, gibt nicht nur Auskunft über die politische Geschichte und die Ideenwelt der Autoren, sondern bietet auch zahlreiche Informationen zu weiblichen Lebensformen. Allerdings konzentrieren sich diese Quellen fast ausschließlich auf königliche und adlige Frauen, so daß im folgenden nur von diesen Frauen die Rede sein kann.
Einige erzählende Quellen des 10. Jahrhunderts wurden von der historischen Forschung bisher herangezogen, um das Frauenbild der Autoren oder bestimmte Ideale zu analysieren, diese Arbeiten beschäftigten sich jedoch nicht mit der Lebensrealität von Frauen.[3] Wertet man diese Quellengruppe aber systematisch aus, geht man mit einem engmaschigen Frageraster an sie heran, denn lassen sich sowohl Aussagen zum Frauenbild der Geschichtsschreiber, zu Leitbildern und Normen wie auch Aussagen zur Lebenssituation von Frauen machen. Ziel meiner Untersuchung ist es, die Möglichkeiten und Grenzen der Aussagefähigkeit von erzählenden Quellen aufzuzeigen und einige Aspekte und Informationen zu beschreiben, die die Geschichtsschreiber zu Idealen und Normen und zu weltlichen Lebensformen von Frauen bieten.

1. Die Quellen

Im Mittelpunkt dieses Aufsatzes stehen folgende Werke, die zu den wichtigsten erzählenden Quellen des ostfränkisch-deutschen Raumes gehören:

Autor Werk Entstehungszeit
Liudprand von Cremona Antapodosis
Historia Ottonis
Legatio ad Imperatorem
Constantinopolitanum
Nicephotam Phocam
ab 958
964/965

969

Adalbert von Magdeburg Continuatio Regionis 966-968
Widukind von Korvei Rerum gestarum Saxonicarum libri tres 958/967/968/973
Hrotsvit von Gandersheim Gesta Ottonis 962-965
unbekannt
unbekannt
Vita Mathildis antiquior
Vita Mathildis posterior
um 973
um 1002-1012
Odilo von Cluny Epitaphium Adelheidis nach 999
unbekannt Annales Quedlinburgenses nach 1002
Thietmar von Merseburg Chronicon 1012-1018
     
     

Alle diese Werke entstanden in der Mitte des 10. und zu Beginn des 11. Jahrhunderts. Adalberts Fortsetzung der Chronik Reginos von Prüm und die Quedlinburger Annalen sind annalistische Werke, die zu jedem Jahr nur kurz und knapp diejenigen Ereignisse zusammenfassen, die die Autoren für wichtig erachteten. Die Viten der Königin Mathilde (gest. 968) und der Kaiserin Adelheid (gest. 999) gehören der hagiogra-phischen Literatur an, stellen jedoch einen >neuen< Typus dieser Quellengattung dar, da beide Frauen ein weltliches Leben führten und in ihren Lebensbeschreibungen auch als königliche Heilige stilisiert werden.[5] Alle genannten Quellen orientieren sich am sächsischen Herrscherhaus und stellen die Königsfamilie oder eines ihrer Mitglieder in den Mittelpunkt ihrer Darstellung. Dies hat zur Folge, daß das sächsische Herrscherhaus überwiegend idealtypisch beschrieben wird, die Feinde des Königtums dagegen diffamiert und verurteilt werden.[6] Alle Verfasser sind geistlichen Standes, von den meisten ist ihre hochadlige Herkunft bekannt.
Obwohl Frauen in der Darstellung der Quellen unterrepräsentiert sind -mit Ausnahme der Viten und Hrotsvits Werken -, ist eine enge Beziehung der Autoren zu Frauen feststellbar: Der Bischof Luidprand von Cremona schrieb seine Antapodosis, um an dem italienischen Königspaar Berengea II. und Willa, bei dem er aus unbekannten Gründen in Ungnade gefallen war, literarische Rache zu nehmen. Seinen Gesandtschaftsbericht adressierte er auch an die Kaiserin Adelheid. Widukind von Korvei widmete seine Sachsengeschichte der Kaisertochter Mathilde von Quedlinburg. Die Kanonisse Hrotsvit von Gandersheim wurde von ihrer Lehrerin Gerberga zur Abfassung ihrer Gesta Ottonis veranlaßt und stellt in ihren Dramen und Legenden gottesfürchtige Frauen in den Mittelpunkt. Der Hauptzweck der Viten ist die Verherrlichung des Lebens zweier Herrscherinnen, die Quedlinburger Annalen schenken den Frauen des Königshauses besondere Aufmerksamheit, und der Bischof Thietmar von Merseburg erzählt oft von seinen weiblichen Verwandten. Nur Adalbert von Magdeburg fällt aus diesem Rahmen.
Neben diesen Gemeinsamkeiten bestehen jedoch große Unterschiede in Stil, Erfahrungshorizont, Zuverlässigkeit und der politischen Intention der einzelnen Autoren. Zudem muß noch berücksichtigt werden, daß es bis auf Hrotsvit von Gandersheim nur Männer sind, die sich über Frauen äußern.[7]
Diese erzählenden Quellen vermitteln nun zum einen - gewollt oder ungewollt - Werturteile, Gerüchte und Falschmeldungen über Frauen, die man bei genauer Kenntnis der Intention der Autoren nicht unkritisch übernehmen darf. Solche Aussagen geben Auskunft über die Ansichten der Autoren und spiegeln - vor allem wenn sie vermehrt und in verschiedenen Quellen auftauchen - die Leitbilder und Normen der damaligen Zeit wider. Zum anderen ermöglichen die erzählenden Quellen Einblicke in die Lebensrealität von Frauen im 10. Jahrhundert. Durch den engen Entstehungszeitraum der Quellen ist zwar eine gewisse gegenseitige Kontrolle und Ergänzung möglich; doch sind Aussagen über die gesamtgesellschaftliche Situation von Frauen aufgrund einer alleinigen Analyse der erzählenden Quellen selbstverständlich nicht möglich. Zu diesem Vorhaben müßte man noch andere zeitgenössische Quellen wie Gesetzestexte, Urkunden, Dotationen, Testamente, Briefe, Konzilsbeschlüsse, Memorialquellen, wirtschaftliche und archäologische Quellen heranziehen und so die Informationen der erzählenden Quellen überprüfen, ergänzen und gegebenenfalls korrigieren.

2. Die >richtige< Lebensform: Ideal und Normen

Will man die Wertvorstellungen dieses Zeitraums darstellen, dann muß man zwischen Standesidealen und christlichen Normen unterscheiden und bedenken, daß die Geschichtsschreiber sowohl geistlichen Standes als auch adliger Herkunft waren. Die in den Quellen beschriebenen Tugenden oder Laster einer Person geben dabei niemals die volle Lebensrealität wieder. Die Funktion von Idealen ist es gerade, ein unerreichbares Verhaltensmodell zu bieten, an dem sich die Menschen orientieren und abmühen sollen. Mit dem Aufruf zur >imitatio< eines als idealtypisch dargestellten Lebenslaufes konnten die in den Quellen geforderten Wertvorstellungen somit indirekt Einfluß auf menschliche Lebensformen nehmen.
»Daher hören Ideale nicht auf, eine wesentliche Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung zu spielen: Sie fügen sich in diese als einer der Faktoren ein, die auf das menschliche Verhalten einwirken.«[8]
Besitz, Reichtum und militärische Kampfkraft reichen im Frühmittelalter als Machtgrundlage für Herrschaft nicht aus. Wichtig ist die vornehme Herkunft, die nobilitas.[9] Die Autoren der erzählenden Quellen beschreiben bei Männern und Frauen ausführlich die Vornehmheit des Geschlechterverbandes. Bei den Frauen des sächsischen Herrscherhauses wird stellenweise ein regelrechter Ahnenkult betrieben, der auch dazu dienen soll, die Gleichrangigkeit des ottonischen mit dem karolingischen Herrschergeschlecht zu betonen.[10] Im 10. Jahrhundert ist sowohl die Abstammung von agnatischer Seite wie auch von kognatischer Seite von Bedeutung. Aufgeführt wird stets die vornehmere Herkunft, bei Adligen diejenige Verwandtschaftslinie, die näher in Verbindung zum Herrscherhaus steht. Erst ab dem 11. Jahrhundert setzt sich ein rein agnatischer Familienverband durch.[11]
Der Adel ist aber nicht nur angeboren, er soll durch ruhmvolle Taten auch bewährt werden. Hrotsvit schreibt, daß die Kaiserin Adelheid ihrem Adel durch königliche Taten entsprach.[12] Vor allem die Viten versuchen, den Seelenadel (nobilitas mentis) höher zu bewerten als den Blutsadel (nobilitas carnis), wobei unter Seelenadel hauptsächlich christliche Tugenden verstanden werden. Mit dieser Gegenüberstellung von Abstammungs- und Gesinnungsadel sollen Frauen dazu angehalten werden, ihre Herkunft durch christliche Werke zu überbieten. Stets gekoppelt mit Adligkeit ist die physische und seelische Schönheit, pulchritudo. Wer adlig ist, ist zugleich auch schön. Damit ist jedoch nicht so sehr das tatsächliche Aussehen gemeint, sondern vielmehr ein intakter und unversehrter Körper, der im Mittelalter Voraussetzung für Handlungs- und Rechtsfähigkeit war.[13] Physische Gebrechen und Krankheiten galten als Strafe Gottes. Während man über Otto I. (936-973) wenigstens noch erfährt, daß er einen Bart trug und graue Haare hatte,[14] ist die Beschreibung von Frauen äußerst vage und läßt keinen Rückschluß auf ihr Äußeres zu. Das Schönheitsideal dient jedoch nicht nur dem Herrscherlob, sondern hat daneben auch die Funktion zur Pflege und Reinerhaltung des Körpers aufzurufen. Das Gesicht wurde als Spiegel der Seele betrachtet,[15] und bei Adligen, die innerlich rein, makellos und frei von Sünde sein sollten, mußte das Äußere auch den inneren Vorzügen entsprechen. Aus der Lebensbeschreibung des Erzbischofs Brun von Köln, eines Sohnes Heinrichs I. (919-936), geht hervor, daß die Oberschicht im 10. Jahrhundert auch Zeit und Mühe auf die Körperpflege verwendet hat.[16] Die Viten hingegen versuchen, die inneren Tugenden höher zu bewerten als die äußeren,[17] da die Kirche der unsterblichen Seele einen höheren Wert beimaß als dem sterblichen Körper.
Zu einem mittelalterlichen Herrscher gehört neben vornehmer Abstammung und Schönheit auch die äußere Prachtentfaltung, die magnificentia, die hier am Beispiel von Kleidung und Schmuck erläuert werden soll. Sie ist sinnlich wahrnehmbares Indiz für Adligkeit, Macht und Ansehen. Den Forderungen nach standesgemäßer Kleidung und Schmuck müssen Männer und Frauen entsprechen, die uns als kostbar gekleidet beschrieben werden. Weltliche Frauen sind jedoch einem Normenkonflikt ausgesetzt. Einerseits sollen sie sich prachtvoll kleiden und ihren gesellschaftlichen Rang gebührend repräsentieren, andererseits fordert die Kirche von ihnen einen weitgehenden Verzicht auf Prunk und tritt für Freigebigkeit gegenüber der Kirche und den Armen ein.[18] Besonders die Viten heben lobend hervor, wenn Frauen auf kostbare Gewänder und Schmuck verzichten. Liudprand ist der Ansicht, daß der Wunsch nach zuviel Schmuck leicht zu Habgier führe. Der Sturz des Markgrafen von Tuszien - so Luidprand - sei der Habgier seiner Gattin Willa zuzuschreiben, da sich keine Frau in ganz Tuszien noch getraute, Schmuck anzulegen.[19]
Ein weiteres Leitbild, das in den Quellen genannt wird, ist Klugheit. Weisheit und Kenntnis gehören zu einem idealen Herrscher und sind wichtig für seine Herrschaftsfähigkeit. >Sapientia< und >prudentia< müssen aber nicht gleichbedeutend mit literarischer Bildung sein, obgleich auch diese bei Männern und Frauen gerühmt wird. Die Bildung, die bei Frauen gelobt wird, scheint auch den damaligen Verhältnissen entsprochen zu haben. Die meisten Frauen des ottonischen Herrscherhauses waren hochgebildet, standen teilweise in Briefkontakt mit Gelehrten und verfügten meist über eine bessere Bildung als ihre Männer.[20]
Hrotsvit von Gandersheim ist schließlich ein Beispiel für die literarischen Kenntnisse geistlicher Frauen. Neben Weisheit und Klugheit wird bei Männern noch List und Verschlagenheit gegenüber politischen Gegnern hervorgehoben. Als schlau werden nur italienische Frauen charakterisiert, und diese Eigenschaft ist bei ihnen eher negativ gemeint. Denn nach Liudprand besteht die >calliditas< dieser Frauen gerade in der Übertölpelung von Männern und in ihrer Durchsetzungskraft.[21] Zu den bisher aufgezählten Leitbildern kommen noch die christlichen Tugenden hinzu, an denen sich Angehörige der Oberschicht orientieren sollen. Auffallend ist, daß sich die Geschichtsschreiber dabei in stärkerem Maße an Frauen wenden. Frauen sollen freigebig, wohltätig, gottes-fürchtig, demütig und bescheiden sein und sich in Mäßigung und Selbstbeherrschung üben.[22] Die Bereiche Armenfürsorge und Wohltätigkeit sind dabei besonders ausgeprägt und erscheinen als eigentliches Betätigungsfeld königlicher und adliger Frauen. Mit der Aufforderung zu karitativen Werken, mit denen Frauen auch einen Teil ihrer Zeit verbracht zu haben scheinen,[23] versuchten Geistliche, Einfluß auf Königtum und Adel zu nehmen, und wandten sich dabei besonders an Frauen. Als Lohn für ihre christlichen Tätigkeiten können Frauen das ewige Seelenheil erwerben und trotz ihres weltlichen Standes zu Heiligen erklärt worden. Odilo von Cluny hatte mit seiner Gedenkschrift auch großen Einfluß auf die tatsächlich erfolgte Heiligsprechung der Kaiserin Adelheid, die im Jahre 1097 - fast hundert Jahre nach ihrem Tode - kanonisiert wurde.[24]
Die Verdammung von >Unsittlichkeit< und das Lob der Keuschheit stellen ein weiteres christliches Ideal dar. Die meisten Quellen mit Ausnahme von Liudprand und Thietmar klammern den Bereich Sexualität in ihren Werken aus. Dieses überwiegende Schweigen der Quellen und die Tatsache, daß ein nackter Körper bei Liudprand Lachen oder Scham hervorruft,[25] läßt vermuten, daß dieses Thema eine Tabuzone berührte. Während Theitmar von Merseburg in erster Linie die Folgen unerlaubter männlicher Lust beschreibt und für Enthaltsamkeit an den von der Kirche festgesetzten Tagen eintritt,[26] gesteht Liudprand auch Frauen Sexualität zu. Sie dient italienischen Frauen - Liudprand äußert sich nur über deren Sexualität - zur Lustbefriedigung und Aufrechterhaltung ihrer politischen Machtpositionen. Mehrmals beklagt er sich, daß Rom von Huren beherrscht sei.[27] Mit dieser Verknüpfung von Sexualität und Herrschaft will Liudprand die italienischen Frauen diffamieren und kritisieren.
Die zuvor beschriebenen Ideale und Normen galten vielfach für Männer und Frauen. Daneben treten in den Quellen noch Verhaltensweisen zutage, die als >typisch weiblich bzw. männlich< bezeichnet werden, wobei sowohl Männern weibliche als auch Frauen männliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Männer erscheinen als weiblich, wenn sie Gefühle zeigen und gegen die für sie aufgestellten Verhaltensmuster verstoßen. Ungeduld, Leichtsinn und Nachgiebigkeit erscheinen als weibliche Eigenschaften und sind stets negativ gemeint.[28] Mut, Standhaftigkeit und Geduld hingegen sind .typisch< männliche Ideale.[29] In den Quellen wird auch noch von der grundsätzlichen Schwäche des weiblichen Geschlechts ausgegangen, eine Vorstellung, die auf die aristotelische Lehre von der menschlichen Natur und christliche Anschauungen zurückgeht und dazu diente, die Herrschaft des Mannes über die Frau als natürlich und gottgegeben darzustellen.[30] Selbst Hrots-vit von Gandersheim macht sich diesen Topos zu eigen. Sie bringt ihre vermeintliche Schwäche aber immer dann ins Spiel, wenn sie sich für die Art ihrer Geschichtsschreibung gegenüber möglichen Kritikern rechtfertigen oder entschuldigen will. So überliefert sie keine Nachrichten über Kriegsgeschehnisse und die Kaiserkrönung Ottos I., da dies ihrer Ansicht nach Männersache und kein Thema für das >schwache Geschlecht< sei.[31] Ob sie selbst an die >Schwäche< ihres Geschlechts glaubte, ist schwer zu entscheiden, zumal in ihren Dramen und Legenden Frauen als Heldinnen der Keuschheit auftreten, die sich selbstbewußt gegen ihre feindliche Umwelt durchsetzen können.
Frauen waren nach frühmittelalterlichen Vorstellungen jedoch in der Lage, ihre .natürliche< Schwäche zu überwinden, indem sie ihr Geschlecht verleugneten und männliche Tugenden wie Mut und Uner-schrockenheit zeigten. Paßten sich Frauen an dieses Normen an, dann werden sie in den Quellen als >virilis< bezeichnet, was stets eine Anerkennung bedeutet. Er werden jedoch nur solche Frauen >virilis< genannt, die eine tatsächliche Machtstellung innehatten und denen eine gewisse Regierungsfähigkeit nicht abgesprochen werden konnte.[32] Die Leistungen dieser Frauen wurden gewürdigt, gleichzeitig aber in den Bereich der Männerwelt gerückt und somit als Ausnahme gekennzeichnet. Auf keinen Fall sollten alle >männlichen< Verhaltensweisen übernommen werden. Thietmar von Merseburg beklagt sich über eine slawische Frau, die übermäßig trank, wie ein Kriegsmann ritt und im Zorn einen Mann tötete. Seiner Ansicht hätte sie besser die Spindel führen und ihre Raserei durch Geduld zügeln sollen.[33]
Die Ideale, die in den Quellen beschrieben werden, stellten hohe Anforderungen an königliche und adlige Frauen. Durch kostbare Kleidung, einen makellosen Körper, Klugheit und Bildung sollten sie ihre vornehme Herkunft repräsentieren und hatten sich in einem stärkeren Maße als Männer an christlichen Tugenden zu orientieren. Sie mußten die richtige Balance zwischen weltlichen Repräsentationsaufgaben und den von der Kirche geforderten christlichen Verhaltensweisen finden. Waren Frauen nicht freigebig, konnte sie der Vorwurf der Habgier treffen. Zeigten sie sich in kostbarer Kleidung, blieb ihnen der Vorwurf der Eitelkeit nicht erspart. Widmeten sie sich allzusehr der Armenfürsorge, konnte ihre adlige Würde gemindert werden. Traten sie in der Politik zu stark in den Vordergrund, konnten sie moralisch verurteilt oder verleumdet werden. In dieser widersprüchlichen Normenwelt lebten königliche und adlige Frauen des 10. und beginnenden 11. Jahrhunderts.

3. Weltliche Lebensformen von Frauen

Neben Idealen und Normen überliefern die erzählenden Quellen noch vielfältige Informationen über die Lebenssituation von Frauen. Sie berichten von Mädchen, Bräuten, Ehefrauen, Konkubinen, Müttern, Witwen und geistlichen Frauen. Über die Kindheit von Frauen erfährt man verhältnismäßg wenig. Sie scheinen die ersten Lebensjahre im Kreise ihrer Familie verbracht zu haben, ein Teil von ihnen wurde schon in jungen Jahren in den Schutz von Klostermauern gegeben - die Klosteraufnahme erfolgte meist im Alter von sieben Jahren [34] -, wo sie eine standesgemäße Ausbildung erhielten.[35] Dort blieben sie bis zu ihrer Eheschließung, die in für unsere Begriffe jugendlichem Alter erfolgen konnte. Mädchen galten mit 12 Jahren, Jungen meist mit 14 Jahren als heiratsfähig. Andere Frauen verbrachten ihr ganzes Leben im Kloster, einige wenige konnten das Amt einer Äbtissin übernehmen, was ebenfalls im Alter von 12 Jahren geschehen konnte.[36] Nach den erzählenden Quellen zu urteilen, scheint es im 10. Jahrhundert nur die Lebensformen Ehe oder Kloster gegeben zu haben. Aus Urkunden dieser Zeit geht jedoch hervor, daß Frauen auch unverheiratet blieben und ihnen dennoch ein gewisser politischer Handlungsspielraum zugestanden wurde.[37] Reicher fließen die Informationen der Quellen zum Lebensabschnitt Ehe. Diese Lebensform schuf für Frauen die rechtlichen und materiellen Grundvoraussetzungen für ihr weiteres Leben als Ehefrauen, Mütter oder Witwen. Zwar begann sich im 9. Jahrhundert die monogame Ehe durchzusetzen, was nach Ansicht von S. F. Wemple zu einer verbesserten Stellung von Ehefrauen führte,[38] doch war durch biblische Tradition die Unterordnung der Frau innerhalb der Ehe festgelegt, die weltlichen Gesetze billigten der Ehefrau nur eine eingeschränkte Rechtsfähigkeit zu und stellten sie unter die Ehevormundschaft des Mannes. Bei der Beschreibung der Heiratsmotive gehen die Autoren der erzählenden Quellen fast ausschließlich vom Vorteil des Mannes, des Bräutigams, Vaters oder Bruders der Braut aus. Frauen wurden aufgrund ihres Vermögens, ihrer Herkunft oder aus politischen Motiven geheiratet. Töchter wurden verheiratet, um die Machtstellung der Familie zu sichern oder zu erhöhen und um Frieden mit politischen Gegnern zu schließen. Wenn es politisch opportun erschien, holte man vereinzelt sogar Töchter, die bereits den Schleier genommen hatten, als Heiratskandidatinnen aus dem Kloster und verheiratete sie.[39] Der Kreis der möglichen Ehepartner war innerhalb der Oberschicht im Frühmittelalter sehr begrenzt. Heiraten sollten ebenbürtig sein, da sich nach den Vorstellungen dieser Zeit »Rang und Wert des Menschen durch das Blut fortpflanzten«.[40] Eine unebenbürtige Heirat verletzte die Ehre eines Adligen und wurde als Schande empfunden, eine Verbindung mit einem vornehmen Geschlecht bedeutete dagegen eine Steigerung des Ansehens und brachte die Unterstützung eines neuen adligen Familienverbandes mit sich. Die Wichtigkeit der Ebenbürtigkeit geht aus den Quellen deutlich hervor, da bei jeder Eheschließung der soziale Status des Ehepartners genau vermerkt wird. Als das sächsische Herrscherhaus durch die Kaiserkrönung Ottos I. im Jahre 962 auf dem Höhepunkt seiner Macht angelangt war, wurde es immer schwieriger, passende Ehepartner für die kaiserlichen Töchter zu finden. So blieben von den drei Töchtern Ottos II. (973-983) und Theophanos die beiden ältesten unverheiratet und wurden Äbtissinnen. Die jüngste Tochter ging eine unebenbürtige Ehe mit einem Pfalzgrafen ein, was nach Thietmar von Merseburg von vielen Adligen kritisiert wurde.[41] War der passende Ehepartner ausgesucht, dann setzte die Ehewerbung ein. Ehewerbung und Verlobung waren eine Angelegenheit der Familien, die meist von und unter Männern ausgehandelt wurde. Die Wünsche und die Zustimmung der Braut standen im Hintergrund und scheinen nicht ausschlaggebend gewesen zu sein, was auch die Verlobungen im Kindesalter bestätigen.[42]
Für eine gültige Muntehe waren öffentliche Verlobung, Dotierung, Übergabe und feierliche Heimführung der Braut und der Vollzug des Beilagers erforderlich. Am Morgen nach der Brautnacht erhielt die Frau von ihrem Ehemann eine Morgengabe, die wie die >dos< zu ihrer Witwenversorgung diente. Der Großteil der erzählenden Quellen berichtet nicht ausführlich über den Gang einer Eheschließung. Dies ist wahrscheinlich damit zu erklären, daß die Bedingungen für eine Eheschließung so bekannt und selbstverständlich waren, daß nicht näher darauf eingegangen werden mußte. Doch gehen aus den stereotypen Formulierungen wie >uxorem accipere<, >uxorem ducere< und >coniugem dare<[43] deutlich der Besitzanspruch des Mannes und seine Handlungsinitiative hervor. Die Frau ist Objekt, sie wird verheiratet oder zur Ehe genommen. Die Frau ist nur dann grammatikalisches Subjekt, wenn sie unter ihrem Stand
heiratete oder einen Angehörigen eines verachteten Volksstammes ehelichte.[44]
Bei einer zweiten Eheschließung scheinen Frauen über ein größeres Mitspracherecht verfügt zu haben. Sie standen zwar als Witwen unter der Vormundschaft ihres nächsten männlichen Verwandten, doch gibt es Quellenbeispiele, aus denen hervorgeht, daß sich Ehewerber direkt an die Frau wandten, teilweise wird ihre Zustimmung zu einer erneuten Eheschließung ausdrücklich erwähnt.[45]
Bisher war nur von dotierten Muntehen die Rede. Das Konkubinat, auch Kebsverhältnis, stellte eine Lebensform dar, die eheähnliche Züge annehmen konnte, in der die Frau aber keinerlei rechtlichen Anspruch auf materielle Versorgung hatte. Kriegsgefangene und unfreie Frauen konnten zum Konkubinat gezwungen werden, der Mann konnte dieses Verhältnis jederzeit auflösen. Die erzählenden Quellen des 10. Jahrhunderts bieten nur wenige Informationen über Konkubinen. Über ihre Existenz erfährt man meist nur im Zusammenhang mit der Aufzählung unehelicher Kinder. Nur Liudprand von Cremona berichtet ausführlich über die von ihm als unsittlich charakterisierten Konkubinen König Hugos von Italien (gest. 947). Dieser hatte während seiner dritten Ehe drei Konkubinen, die ihm zahlreiche Kinder gebaren, die er später in bedeutende Positionen einsetzte. Angeblich war der König von seinen Konkubinen so betört, daß er seine rechtmäßige Ehefrau verschmähte.[46] Die Frage, ob die wenigen Zeugnisse über Konkubinen darauf schließen lassen, daß sich die Kirche mit ihrer Forderung nach der monogamen, unauflösbaren Ehe weitgehend durchgesetzt hatte, kann erst durch das Studium anderer Quellen beantwortet werden.
Die Vermögensverhältnisse spielten eine wichtige Rolle für die Stellung, den Einfluß und die Handlungsmöglichkeiten von Frauen. Die erzählenden Quellen informieren uns über die finanziellen Verhältnisse von Frauen aus der Oberschicht fast nur in Verbindung mit Schenkungen an Kirchen und Klöster und geben somit ein ungenaues und unzureichendes Bild wieder. Falls keine Brüder vorhanden waren, konnten Frauen nach einigen Volksrechten erben, daneben konnten sie über ihr Wittum verfügen und erhielten im Laufe ihrer Ehe manchmal beträchtliche Schenkungen von ihren Ehemännern, so daß sie große Besitztümer ansammeln konnten.[47]
Berichten die erzählenden Quellen über die politischen Aufgaben und Tätigkeiten von Ehefrauen aus dem ostfränkisch-deutschen Reich, dann erscheinen Frauen - neben der Wahrnehmung von Repräsentationsaufgaben und der Verwaltung des Königsschatzes im Kriegsfalle - stets als Unterstützende und Helfende. Der Ehemann wird in den Vordergrund gestellt, seine Frau steht ihm durch Gebete und Fürbitten bei. Auf dem Sterbebett dankt Heinrich I. (gest. 936) seiner Frau Mathilde für ihren Gerechtigkeitssinn, ihre Diplomatie und ihren Rat.[48] Daneben werden die karitativen Tätigkeiten von Ehefrauen hervorgehoben. Würde man nur die erzählenden Quellen zu Rate ziehen, so ergäbe sich ein falsches Bild von den Zuständigkeitsbereichen und Aufgaben königlicher und adliger Frauen. Ihre Interventionen in Urkunden, ihre Schenkungen, Briefe und ihr indirekter Einfluß müssen noch bei der Beurteilung ihres Aktionsradius berücksichtigt werden. Ein Königtum kam jedenfalls ohne eine Königin nicht aus. So berichtet Hrotsvit, wie liebevoll Otto I. nach dem Tode seiner Ehefrau Edith (gest. 946) seine Schwiegertochter Ida behandelte. Sie weilte im Rang einer Königin am Hofe und reiste gleich einer Königin durch das Land.[49] Ida mußte die Repräsentationsaufgaben der verstorbenen Edith übernehmen, bis Otto I. im Jahre 951 eine zweite Ehe einging.
Anders werden die italienischen Ehefrauen von Liudprand von Cre-mona geschildert. Sie erscheinen als aktiv Handelnde, werden jedoch gleichzeitig als Intrigantinnen und Anstifterinnen zu Gewalttaten abqualifiziert.[50] Der Einfluß dieser Frauen in Oberitalien und in Rom wird auch noch von anderen Quellen erwähnt,[51] die berichten, daß Frauen zu Beginn des 10. Jahrhunderts eine Rolle bei der Besetzung des italienischen Königtums und Papsttums spielten. Die Schwäche des Königtums und Papsttums scheint nicht nur einigen mächtigen oberitalienischen Markgrafen und römischen Adligen, sondern auch ihren Frauen vermehrten Einfluß gebracht zu haben.
Eine Ehefrau hatte nicht allein von vornehmer Abstammung zu sein, Reichtum mit in die Ehe zu bringen und ihren Ehemann zu unterstützen. Darüber gehörte es zu ihren wichtigsten Aufgaben, Kinder auf die Welt zu bringen. Diese Funktion königlicher und adliger Frauen geht aus den Quellen überdeutlich hervor. Wenn man auch oft nicht viel über das Leben von Frauen erfährt, ihre Abstammung, der Stand ihres Ehemannes und die Zahl ihrer Nachkommen, vor allem ihrer Söhne, werden immer erwähnt. Wenn von Nachkommen berichtet wird, dann fast ausschließlich vom Standpunkt des Mannes. Die Frau gebiert und schenkt dem Manne Kinder, bei Liudprand steht die Zeugungsfähigkeit des Mannes im Vordergrund.[52] Kinder, in erster Linie Söhne, waren im Frühmittelalter von größter Wichtigkeit, um Besitz, Reichtum und Ämter weitergeben zu können. Da im 10. Jahrhundert nur ein legitimer Nachfolger die Herrschaft übernehmen durfte und von kirchlicher Seite her versucht wurde, die Wiederverheiratung nach einer Ehescheidung auszuschließen,[53] stellte Kinderlosigkeit eine große Bedrohung für eine Familie dar. Söhne spielten eine wichtige Rolle für die gesellschaftliche Position von Frauen. War eine Frau verwitwet und ihr Sohn noch unmündig, dann konnte sie nach dem Gewohnheitsrecht für ihn die Vormundschaftsregierung übernehmen. Als Otto IL 983 starb, wurden der Mutter des designierten Nachfolgers Ottos III., Theophano, und seiner Großmutter Adelheid nach einigen politischen Machtkämpfen die Regentschaft übertragen.[54] Auch für Oberitalien gibt es Beispiele für die Vormundschaftsregierung von Müttern unmündiger Söhne.[55] Bei Volljährigkeit des Sohnes hing der verbleibende Einfluß der Mutter von einem guten Einvernehmen ab. War das Mutter-Sohn-Verhältnis getrübt, dann mußten sich Frauen gelegentlich unfreiwillig aus dem politischen Leben zurückziehen.[56] Wenn Söhne bereits verheiratet waren, konnten Mütter in Konkurrenz zu ihren Schwiegertöchtern geraten. So mußte sich die Königinwitwe Mathilde, die Mutter Ottos L, auf Betreiben ihrer Söhne in ein Kloster begeben. Ihre Viten betonen zwar, daß die Ursache für den Konflikt Mathildes Freigebigkeit gegenüber der Kirche gewesen sei,[57] ausschlaggebend für ihren verminderten Einfluß wird aber auch die Tatsache gewesen sein, daß Otto I. eine angelsächsische Prinzessin geheiratet hatte, die vornehmerer Herkunft als Mathilde war. Nun ermahnt zwar gerade die Schwiegertochter Edith immer wieder ihren Ehemann, sich mit seiner Mutter zu versöhnen und diese wieder die erste Stelle im Königreich einnehmen zu lassen,[58] die Viten hätten dies aber nicht hervorheben müssen, wenn die Königinmutter durch diese Heirat nicht ihre Machtstellung verloren hätte. Mathilde tritt erst nach dem Tode Ediths wieder vermehrt in Urkunden auf und wird dort als >nostra domina< tituliert.[59] Zwischen der Kaiserin Adelheid und ihrer Schwiegertochter Theophano kamen die Differenzen während der Vormundschaftsregierung für Otto III. offen zum Ausbruch. Adelheid mußte sich nach Italien zurückziehen, Theophano hinderte sie am freien Verfügungsrecht über ihr deutsches Wittum und griff auch in die Finanzverwaltung der Lombardei, die zum Zuständigkeitsbereich Adelheids gehörte, ein.[60]
Erst nach dem Tode Theophanos (gest. 991) konnte Adelheid die Regentschaft für ihren Enkel allein übernehmen, wurde jedoch nach dessen Volljährigkeit von ihm ebenfalls aus der Politik gedrängt.61 Söhne waren somit die Voraussetzung für die Machtstellung, die eine Witwe noch einnehmen konnte. Im Falle einer Vormundschaftsregierung konnten sie teilweise eine bedeutendere Stellung innehaben als zu Lebzeiten ihrer Ehemänner. Söhne konnten ihre Mütter aber auch leicht zum Rückzug aus der Politik zwingen. Vielen Witwen blieb daher nur die Möglichkeit - zogen sie keine Zweitehe vor -, in ein Kloster zu gehen. Der Klostereintritt verwitweter Frauen konnte somit neben religiösen Motiven und einem Schutzbedürfnis seine Ursache in einem gespannten Mutter-Sohn-Verhältnis haben.
Den Berichten der erzählenden Quellen über die letzten Lebensstunden und den Tod königlicher und adliger Frauen kann man entnehmen, daß diese Frauen in vertrauter Umgebung sterben wollten und sich in Klöstern oder Kirchen bestatten ließen, die sie selbst gegründet hatten oder zu denen sie in enger Beziehung standen.[62] Der Begräbnisort spielte eine wichtige Rolle für die Verehrung der Verstorbenen, manchmal wurden diese Orte Ziele von Wallfahrten und Zentren kultischer Verehrung.[63] Durch Fürbitten und das Verfassen von Gedenkschriften wurde dafür gesorgt, daß das Andenken an die Verstorbenen bewahrt wurde und sie nicht so leicht in Vergessenheit gerieten.
Dieser kurze Überblick über Lebensformen von Frauen im 10. Jahrhundert, bei dem nicht alle Aspekte und Informationen berücksichtigt werden konnten, mag angedeutet haben, welch reichhaltiges, lebendiges und interessantes Quellenmaterial die erzählenden Quellen des 10. Jahrhunderts darstellen. Sie bieten Einblicke in die damalige Ideenwelt, tradieren adlige und christliche Wertvorstellungen, schildern das Verhältnis von Frauen zu ihren Familienmitgliedern und ihrer Umwelt und berichten über die Aufgaben und Tätigkeiten von Ehefrauen, Müttern und Witwen. Gleichzeitig wurden aber auch die Grenzen dieser Quellengattung sichtbar: Während die Intentionen, die die Autoren mit der Propagierung von Leitbildern verfolgen, teilweise aus den Quellen selbst hervorgehen oder aufgrund unseres Wissens über die Persönlichkeit und Lebenswelt der Geschichtsschreiber erschlossen werden können, sind die Berichte über die Lebensbedingungen von Frauen durch Werturteile oftmals verdeckt und verzerrt. Augenfälligstes Beispiel ist hier Liudprand von Cremona, dessen Geschichtsschreibung wir zwar wichtige Informationen zum Leben adliger italienischer Frauen verdanken, die jedoch durch seine Tendenz, diese Frauen zu kritisieren und bloßzustellen, manchmal unglaubwürdig ist. Oftmals kann man solche Aussagen nicht mehr durch andere Quellen überprüfen und entscheiden, was Gerücht und was historische Realität ist. Darüber hinaus konzentrieren sich die Quellen nur auf bestimmte Lebensbereiche: Die Kindheit von Frauen, ihre rechtliche Stellung, ihre Vermögensverhältnisse und genauen Tätigkeitsbereiche werden nur am Rande erwähnt, unverheiratete Frauen und Frauen der Unterschicht treten in den Darstellungen so gut wie gar nicht auf. Dies kann durch Unkenntnis, Interesselosigkeit, Rücksichtnahme auf das Herrscherhaus oder durch die Tendenz, weltliche Herrscher und geistliche Würdenträger in den Vordergrund zu stellen, erklärt werden. Bei kritischer Lesung erhellen die erzählenden Quellen jedoch insgesamt wichtige Teilaspekte weiblicher Lebensformen im 10. Jahrhundert. Ihre systematische Auswertung erschließt erste Bausteine für die Geschichte von Frauen in diesem Zeitraum, die durch Heranziehung anderer Quellen noch geschrieben werden muß.

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