Auf die Tatsache, daß die Frauen im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung in den westdeutschen Parlamenten - Kommunalvertretungen, Landtagen und im Bundestag - nur schwach vertreten, also unterrepräsentiert sind, ist bereits hingewiesen worden. Es ist kein Geheimnis, ja erscheint beinahe selbstverständlich, daß sich dieses Mißverhältnis nicht auf den politischen Bereich beschränkt, sondern in unserer gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit erkennbar ist und sogar als einer ihrer wesentlichen Bestandteile erscheint.[1]
Ohne auf die nachfolgenden Untersuchungen der Gründe für den »Minderheitsstatus« der Frau im politischen Bereich vorgreifen 2u müssen, ist eine Grundursache, die »Wurzel des Übels«, von vornherein erkennbar, beinahe greifbar. Sie ist jedoch nicht im Wesen der Frau zu sehen. Auch dann nicht, wenn gerade dieses Wesen nach immer noch weit überwiegender Meinung »im Grunde unvereinbar« mit außerhäuslicher Tätigkeit überhaupt und vor allem mit der Politik sei. Nach dieser Auffassung zeichnet sich die Frau in der Bundesrepublik auch heute noch dadurch aus, daß ihr »Sachlichkeit und Abstraktionsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen im Beruf abgehen und ... schöpferische Begabung, Initiative, geistige und emotionale Selbständigkeit, politischer Verstand fehlen«.[2] Die eigentliche Ursache ist vielmehr gerade dieses Vorurteil von der weiblichen Beschränktheit, durch das die Frau in einer Weise manipuliert wird, daß von sich bestätigenden Erwartungen (self-fulfilling prophecy) gesprochen werden muß. Für M. von Brentano bieten sich drei Hypothesen, mit denen die Inferiorität der Frau apodiktisch behauptet wird:
- Frauen können nicht so sein;
- Frauen wollen nicht so sein;
- Frauen sollen nicht so sein.
Diesen Circulus vitiosus, der unüberwindbar erscheint, kennzeichnet dieselbe Verfasserin so: »Die reale Macht gesellschaftlicher Vorurteile schafft und zementiert die Verhältnisse, die eine empirische Widerlegung unmöglich machen.«[3] Der Frau tritt dieses Vorurteil als eine Rollenerwartung gegenüber, der sich nur wenige Frauen entziehen. Die Mehrzahl der Frauen paßt sich an. Helge Pross kennzeichnet die folgenschweren Verhaltensweisen, die sich aus der Rollenkonformität dieser Frauen ergeben, so:
»Wohl lehrte die Erfahrung - im Beruf, in der Familie, die Erfahrung der Kriegs - und Nachkriegsjahre -, daß sie [die Frauen] fähiger sind, als die herkömmliche Auffassung zugesteht. Zugleich aber haben sie die Theorie der weiblichen Inferiorität so weit verinnerlicht, daß das Selbstbewußtsein, das zur Behauptung im beruflichen Konkurrenzkampf unentbehrlich ist, sich nicht hinreichend entwickelt. Diese Lähmung ist eine der schlimmsten Wirkungen der überlieferten Klischees. Sie haben noch weitere widrige Folgen. Einer vermutlich großen Anzahl von Frauen dienen sie als Alibi für Trägheit, Bequemlichkeit, Indifferenz. Sie nehmen die Theorie der weiblichen Schwäche zum Vorwand, um sich vor der Anstrengung, die für das von ihnen selbst gewünschte Fortkommen nötig ist, zu drücken.«[4]
Je weniger der Frau zugetraut wird, um so unsicherer wird sie. Ihre Initiative erlahmt, sie verhält sich reaktiv. Vor allem aber unterliegt sie dem Gefühl, nichts ändern zu können. Sie resigniert, und indem sie sich nach der überkommenen Rollennorm richtet, vermeidet sie Konflikte und schafft sich einen Raum der Sicherheit und Geborgenheit. Durch dieses Verhalten aber bestätigt und erfüllt sie gerade die alten Vorurteile.[5] Diese Vorurteile prägen sämtliche Lebensbereiche. Sie bestimmen zum einen selbst dann noch die Verhaltensweisen der Frau, wenn sie sich parteipolitisch engagiert hat, zum anderen bewirken sie eine Soziallage der weiblichen Bevölkerung, die sie strukturell benachteiligt, politisch aktiv zu werden. Sowohl im gesellschaftlichen als auch im politischen Bereich ist eine rechtlich verankerte Gleichberechtigung jedoch so lange wertlos, wie keine Chance besteht, die gleichen Rechte wahrnehmen zu können.
So wird im Zeitalter der Leistungsgesellschaft etwa auf eine gute Schul- und Berufsausbildung der Mädchen noch immer geringer Wert gelegt, ganz abgesehen von der immanenten Möglichkeit eines persönlichkeitsbildenden Effekts. Eine Qualifikation der Frau für Führungspositionen wird dadurch weitgehend eingeschränkt. Die überwiegend einseitige Berufswahl ist ein weiterer Aspekt, wenn auch heute schon Frauen in zunehmendem Maße außer in den traditionellen sozialen und pädagogischen Berufen beispielsweise auch als Juristinnen oder Wirtschaftswissenschaftlerinnen tätig sind.
Frauen sind verhältnismäßig häufiger als Männer in den untersten beruflichen Stellungen beschäftigt - so vor allem als ungelernte Arbeiterinnen. Die berufliche Tätigkeit der Frau kann aber nur dann ein Weg in die Öffentlichkeit und in das politische Engagement sein, wenn sie mit Verantwortung verbunden ist. Rein mechanische, nur die physischen Kräfte beanspruchende Arbeit wird ihr keine Möglichkeit zur Verantwortung erschließen.
Gleichberechtigung wird, wie empirische Untersuchungen zeigen, von den Männern nur insoweit bejaht, als die allgemeine Rechtsgleichheit gemeint ist. So akzeptiert die Mehrheit der männlichen Bevölkerung die Berufstätigkeit der Frau nur insoweit, »als sie die Frauen in niedrige Stellen hineinführt, sie von den für sie allein wichtig erachteten familialen Aufgaben nicht ablenkt und sie der Politik fernhält«.[6] Diese Haltung findet ihren wirksamen Niederschlag in dem »virtuellen Ausschluß der Frauen aus mittleren und höheren Führungspositionen in der Arbeitssphäre und der Politik«.[7]
Bleibt der Frau aber der Aufstieg versperrt, kann sie auch keine Führungseigenschaften entwickeln. Es fehlen oder verkümmern Routine, Redegewandtheit und vor allem Selbstbewußtsein, um sich im politischen Leben behaupten zu können. Solange Frauen in Führungspositionen eine Seltenheit sind, darf es auch nicht verwundern, daß es nur wenige populäre Frauen gibt. Dabei hat gerade der Popularitätsfaktor etwa im politischen Bereich bei der Nominierung von Kandidaten ganz erhebliches Gewicht. Aufgrund dieses Mangels bieten sich auch den sowieso nicht gerade zahlreichen Frauen in Berufs- und Wirtschaftsverbänden nur geringe Chancen, zu den führenden Mitgliedern gezählt zu werden und sich damit für ein politisches Mandat zu empfehlen.
Welche Auswirkungen die sozialstrukturelle Lage der Frau auf die Beteiligung von Frauen in Partei und Parlament hat, wird im folgenden zu zeigen sein. Neben der traditionellen Rollennorm kennt die Gegenwart auch Rollenvorstellungen, die der Frau die Bewährung in allen Lebensbereichen als vollgültige Partnerin des Mannes zugestehen.[8] Weil es eine einheitlich vorgeschriebene soziale Rolle der Frau nicht mehr gibt, gehen die folgenden Untersuchungen der Beteiligung der Frauen in Parteien und Parlamenten von der dem allgemeinen Vorurteil widersprechenden Hypothese aus, daß es die Frau ebensowenig gibt wie den Mann. Je nach Alter, Schulbildung, Beruf und anderen Merkmalen unterscheiden sich Frauen wie Männer in ihren Interessenlagen und Verhaltensweisen.[9] Das hat zur Folge, daß »vieles im sozialen Verhalten der Frau, das als primär gegebener Zug ihres Wesens angesehen worden war, . . . sich als ein geschichtlich und kulturell bedingtes Merkmal entpuppt (hat)«.[10] Schelsky vermutet, »daß gerade in unserem gegenwärtigen Gesellschaftszustand eine derartige hohe Variabilität der Frau besteht«,[11] und folgert weiter, aufgrund dieses Gesellschaftszustandes verliere der soziale Status der Frau so sehr seine grundsätzliche Spannung zu dem des Mannes, »daß nun die Differenzierung in den sozialen Interessenlagen der Frauen untereinander gewichtiger wird als deren Gemeinsamkeit gegenüber dem Manne, womit die Frau nun in der Tat den sozialen Strukturprinzipien der >männlichen< Welt gleichberechtigt unterworfen ist«.[12]
Bremmes 1956 vorgelegte Untersuchung über die Wahlbeteiligung der Frau hat bestätigt, daß die Unterschiede im Verhalten der Geschlechter in diesem Bereich geringer sind als die zwischen sozialen und demographischen Gruppen.[13] Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird Sandmann-Bremme sowohl für die Wahlbeteiligung in den letzten Jahren als auch für das Wählerverhalten der Frau im zweiten Band dieser Reihe differenziert belegen.
Für die Frau in Partei und Parlament bedeutet die zitierte Hypothese von Schelsky, daß die Frauen, soweit sie Parteipositionen und Mandate erreicht haben, sich in ihren demographischen und sozialen Merkmalen und in ihrer politischen Karriere nicht von denen der Männer unterscheiden und dem gleichen Ausleseprozeß unterliegen. Diese Hypothese wird hier vornehmlich für die Landtags- und Bundestagsabgeordneten überprüft.[14]