Arabische Länder

Feminismus — oder die ewige Männlichkeit —
in der arabischen Welt*

  • (* Feminism — or the Eternal Masculine — in the Arab World. Zuerst erschienen in new left review 161, 1987; gekürzt.

Es ist schwer, Frustrationen herauszuschreien, wenn ein Schleier die Lippen versiegelt. Heute bedeckt der yashmak die Gesichter arabischer Frauen nur noch in wenigen Fällen. Aber es ist paradox: je zugänglicher die westliche Welt feministischen Argumentationen wird und sich an den »Erniedrigungen« stößt, denen arabische Frauen ausgesetzt sind, desto weniger machen die Frauen in den arabischen Ländern selbst den Mund auf! Das war nicht immer so. Die arabische Geschichte kennt Frauen, die sich gegen ihr Schicksal auflehnten und ihre Zeit durch Skandale erschütterten. Sie zeugt von Bewegungen, die jahrelange Kämpfe zwischen Progressiven und Traditionalisten auslösten und auf den Titelseiten einer blühenden Frauenpresse ihr Recht forderten.
Heute füllen sich die Straßen von Kairo und Beirut wieder mit schwarzvermummten Frauen, die ihre körperliche Existenz in der Un-anstößigkeit eines Umhangs verbergen. Der Fundamentalismus führt siegreiche Kampagnen mit dem Ziel, ihre Identität endgültig in den Moder religiöser Düsternis zu verbannen, und nur zaghaft verteidigen sich arabische Linke und Feministinnen gegen diese Flut.
Das Dasein arabischer Frauen ist von einem historischen Kontext geprägt, in dem die allumfassende, dominierende Wirklichkeit der Islam ist. Nach islamischer Doktrin kann das Individuum nur zu Harmonie und Frieden gelangen, indem es die alltäglichen Regeln der Muslime befolgt, als Teil der Umma,[1] der Gemeinschaft der Gläubigen.' Die Gesetze des Propheten — des Botschafters Allahs — müssen von Männern und Frauen als körperliche Verhaltensregeln wie als soziale Rolle befolgt werden. Auf diese Weise war der Islam immer schon nicht nur ein Glaube, sondern auch ein Identitätssystem — vergleichbar am ehesten einer »nationalen Zugehörigkeit«, noch bevor es Nationen und Nationalismus gab. Um zur Gemeinschaft zu gehören, genügte es nicht, sich zum Propheten zu bekennen, man mußte auch die Institutionen und gesellschaftlichen Sitten verteidigen. Es bedeutete die totale Anpassung an eine Lebensweise, die untrennbar mit einer Geisteshaltung verbunden war. Mohammed selbst hatte beide miteinander verschweißt, als er einen Staat gründete, um ein Glaubensbekenntnis zu realisieren.
Der komplexe Charakter dieser Zugehörigkeit ist von Moslems nie als Unterwerfung erlebt worden. Im Gegenteil wird ihre Vollständigkeit als Zeichen ihrer absoluten Wirklichkeit und Wahrheit verstanden. Die Harmonie ihrer Ordnung gibt Sicherheit. Opposition konnte sich ausschließlich als Differenz zu diesem politisch-geistigen Kosmos entwickeln. Die frühen Eroberungen und späteren Triumphe des Islam bewirkten eine Kontinuität durch die Jahrhunderte, die sich als eine Art beständiges, selbstverständliches Substrat im Unbewußten jedes Moslems niederschlug. Erst mit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und dem Entstehen von Nationalstaaten im 20. Jahrhundert hat die endlose Reproduktion moslemischer Identität begonnen, sich allmählich zu lockern. Seitdem ist die Arabische Welt hin und hergerissen zwischen den Ansprüchen der Islamischen Umma und den Loyalitäten der verschiedenen arabischen Staaten. Sobald die Bedeutung des moslemischen Anteils an der arabischen Identität nachgelassen hatte, wallte sie wieder auf, mächtiger und militanter als je zuvor. Moderne weltliche Politik von Nasser bis zu den Kommunistischen Parteien konnte nicht mehr tun, als auf dieses zweifache religiös-nationale Bewußtsein zu setzen. Es war nur zu einfach, Imperialisten und Ungläubige (Kufar) gleichzusetzen und so die Massen zu mobilisieren, die Diskriminierung der Islamischen Identität durch die Westliche Zivilisation zu rächen. Es ist sehr viel schwieriger, sie dazu zu bringen, den Imperialismus wegen seiner kapitalistischen Produktionsweise zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang bietet sich kaum ein besseres Symbol kultureller Beständigkeit an als die Abschottung der Frauen, eine Insel traditioneller Werte, die der alte Kolonialismus nicht erreichen konnte und der neue Kapitalismus nicht anrühren darf.

Männliche Ängste

In einer Hinsicht hat der Islam die Frau niemals unterschätzt. Die Idee eines schwächeren Geschlechts ist ihm fremd: es gibt keinen arabischen Ausdruck dafür (man versuchte es mit zartem Geschlecht, verwarf es aber bald wieder). Die moslemische Tradition zeigt eher eine gewisse Angst vor Frauen und vor der Intensität ihrer Bedürfnisse, Forderungen und potentiellen Fähigkeiten. Der moslemische Mann sieht die Frau als unkontrollierbar, unzähmbar, nur durch Zwänge zurückhaltbar. In der arabischen Tradition ist die Frau^ifnaf — ein Ausdruck, der sowohl für Schönheit als auch für Aufruhr steht: eine irdische Eva, die den Mann mit Charme und Undiszipliniertheit in Versuchung fuhren will. Der Ursprung dieses Frauenbildes, das sie als sexuell — aber auch sozial — aktives Wesen sieht, geht auf die nomadisierenden Stammesgesellschaften der arabischen Halbinsel vor Mohammed zurück. Der Islam festigte und änderte zugleich diese Rolle. Einerseits gab er jeder Frau, verheiratet oder nicht, das Recht, ihre ökonomischen Angelegenheiten selbst zu regeln, und ging von der Lebenskraft auch ihres (sexuellen) Verlangens aus. Auf der anderen Seite verbannte er, um die männliche Sicherheit zu gewährleisten, die Frauen in die Abgeschiedenheit — sowohl körperlich (das Gesetz des Schleiers), als auch gesellschaftlich (die Einführung abgetrennter Orte, Harems und Bäder). Der Islam behauptete nie, den Frauen fehle die Seele oder Kraft oder Intelligenz. Gerade deswegen erklärte der Prophet, Gott bevorzuge einfach einen Teil der Menschen, und verkündete inhaltlich unhaltbare Privilegien, die heute noch für gültig erklärt werden. Die Regeln hätten nicht so streng sein müssen, wenn der Islam von vornherein behauptet hätte, Frauen seien weniger fähig.
Folgerichtig unterscheidet sich die moslemische Haltung zur Sexualität völlig von der christlichen. Christliche Frömmigkeit schließt traditionell sexuelle Abstinenz mit ein — selbst die Ehe ist gemäß paulini-scher Tradition nicht mehr als ein Notbehelf. Für den Islam hingegen ist eine befriedigende Sexualität die Voraussetzung für soziale Harmonie in der Gemeinschaft. In der moslemischen Kultur fehlt jede Andeutung, daß Frauen etwa bevorzugten, ihre Sexualität zu sublimieren oder auch nur den Interessen der Fortpflanzung unterordneten. Gerade deshalb beschränkt der Islam ihre Bewegungsfreiheit auf Räume, die der Mann kontrollieren kann. Da beide, Mann und Frau, positiv geschlechtlich sind (das Paradies der Muslime ist ein Ort ewiger sinnlicher Freuden), müssen die Frauen unterdrückt werden, damit der Mann in legalem Rahmen, vom Staat gutgeheißen, seiner Promiskuität nachgehen kann. Anders als in der westlichen Tradition, wo Patriarchat und Puritanismus zu einer bedrückenden Synthese auf Kosten der Frauen verschmolzen, war hier das Patriarchat im Gegenteil von Grund auf lustorientiert. Ein arabisches Sprichwort verdeutlicht die ihm zugrundeliegende Auffassung: »Wo immer ein Mann und eine Frau sich zusammenfinden, spielt der Teufel die Anstandsdame«. Aber dieser Gegensatz intensivierte natürlich nur den letztendlichen Fanatismus des patriarchalischen Systems, das nach den Eroberungen gefestigt wurde. Von da an tolerierten Männer nicht mehr, daß Frauen auch nur in Gegenwart anderer Männer anwesend waren. Frauen wurden von allen Orten des öffentlichen Geschehens verbannt, ihre formalen Eigentums- und Wirtschaftsrechte verloren jede Bedeutung und konnten nach Belieben gesetzlich aberkannt werden.
Zu einer Zeit, wo der islamische Fundamentalismus ständig die altarabische Vergangenheit glorifiziert, ist es angebracht, sich die Tatsache in Erinnerung zu rufen, daß in jener Epoche Frauen noch nicht so weitreichend unterdrückt waren. Aisha selbst, die Lieblingsfrau des Propheten, eine hochintelligente und listige Frau, nahm sich das Recht, gegen eine Vergrößerung seines Haushalts Einspruch zu erheben, und es wird vermutet, daß ihr Vorgehen in den Gesprächen zwischen Allah und seinem Boten die göttliche Zustimmung fand. Als sie die 33. Sure des Koran studierte — »Oh Prophet, wir erlauben dir deine Gattinnen, denen du ihre Mitgift gabst, und (die Sklavinnen) die deine Rechte besitzen von dem, was dir Allah an Beute gab, und die Töchter deiner Onkel und Tanten mütterlicher- wie väterlicherseits, und eine jede gläubige Frau, wenn sie sich dem Propheten schenkt und der Prophet sie zu heiraten wünscht« —, soll sie sarkastisch bemerkt haben: »Wahrhaftig, Euer Herr ist sehr um Euer Vergnügen bemüht.« (Abbot 1986, 61) Es ist ihr zuzuschreiben, daß es eine signifikante Veränderung der Form der Anrede im Koran gibt. Das Buch wendet sich zunächst an die Gläubigen im grammatischen Maskulinum und wechselt mitten im Text zur geschlechtsneutralen Form des Wortes: sie soll dem Propheten erklärt haben, er diskriminiere die Frauen durch den Gebrauch der ersten Form, und er stimmte ihr zu und wechselte zur zweitgenannten über, während er Gottes Botschaft niederschrieb.
Wenige Generationen später noch konnte Sukaina, eine Enkelin des Kalifen Ali, auf die Frage, warum sie stets so lustig, ihre Schwester aber so ernst sei, erwidern, sie sei nach ihrer vor-islamischen Urgroßmutter benannt worden, ihre Schwester hingegen nach ihrer moslemischen Großmutter. Sie war berühmt für ihren Humor und Verstand. Einmal versammelte sie Dichter um sich und ließ sich aus ihren neuesten Werken vorlesen, dann urteilte sie darüber und bewertete sie danach, wie die Dichter ihre Frauen oder Geliebten beschrieben. Sie war auch für ihre Eleganz bekannt. Sie trug ihr üppiges Haar auf eine spezielle Art, die nach ihr benannt wurde, als die Frisur in Mode kam. Als allerdings auch Männer begannen, sie zu imitieren, ließ der fromme Kalif Omar Ibn Abd al-Aziz diese auspeitschen und ihnen die Köpfe scheren. Sukainas Zeitgenossin Aisha Bint Talha verschleierte niemals ihr Gesicht und tat die Einwände ihres Mannes mit den Worten ab: »Der Allmächtige hat mir Schönheit gegeben. Ich will, daß die Leute das sehen und verstehen, daß es eine Auszeichnung ist, die meinen hohen Rang betont. Ich verschleiere mich nicht. Niemand kann mir einen Vorwurf daraus machen, denn es gibt keinen Makel an mir, den ich verhüllen müßte.« (Walther 1981, 78f.) Beispiele wie diese kommen alle aus der gesellschaftlichen Elite der frühislamischen Zeit. Aber es ist unwahrscheinlich, daß der Widerstand der Frauen gegen ihre Entmündigung nur den Privilegierten vorbehalten war. Vermutlich vollzog sich die Veränderung im Leben des einfachen Volkes eher langsamer und schwieriger, besonders in erst kürzlich von oben bekehrten Gebieten. Dennoch herrschte am Ende der Abbassidenherrschaft eine umfassende Diskriminierung und Unterdrückung in der gesamten moslemischen Welt, die ein Jahrtausend überdauern sollte.

Das Aufkommen des modernen Nationalismus

Der moderne Nationalismus veränderte den Kontext für die Bestrebungen arabischer Frauen. Auf der einen Seite begründete die nationale Mobilisierung in einer Gesellschaft, die dem Auftauchen von Frauen in Männerdomänen grundsätzlich feindlich gegenüberstand, etwas völlig Neues — die Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln und zu sprechen. Unter diesem Zeichen organisierten arabische Frauen die ersten Demonstrationen. Frauenvereinigungen konnten gebildet werden. Anläßlich des ägyptischen Aufstands gegen die Briten im Jahre 1919 marschierten erstmals Frauen durch die Straßen, »lang lebe das unabhängige Ägypten« rufend. Unter ihnen war Hoda Sha'rawi, spätere Gründerin der Vereinigung Ägyptischer Frauen, noch verschleiert. Sie nahm gegen den Willen ihres Mannes teil, einem Cousin, an den sie im Alter von dreizehn Jahren verheiratet worden war. Zwei Jahre später demonstrierten palästinensische Frauen tief verschleiert in geschlossenen Autos fahrend gegen die zionistische Einwanderung. Der Kampf um nationale Emanzipation brachte ein begrenztes Maß an Bewegungsfreiheit für die Frauen mit sich.
Auf der anderen Seite kultivierte der neue Nationalismus viele der krassesten patriarchalischen Werte islamischer Tradition als unverzichtbare Teile arabischer Identität. 1911 definierte Suleiman Al-Salaimi, Gründer der Zeitschrift Al-Afaf (Reinheit), folgende Aufgaben: 1) die Formalrechte der Frauen zu sichern sowie ihre gesellschaftliche Gleichstellung; 2) die Enthüllung des Gesichts (Al-Sufiir) und die Vermischung der Geschlechter als Gefahr für Ruf und Ehre der Frauen zu bekämpfen; 3) die Männer, als allein Rechnung tragende für die Entartung der Sitten und die Ausbreitung des Übels von den Städten aufs Land, für die Einhaltung des Koran durch die Frauen verantwortlich und zu ihren lebenslangen Wächtern zu machen. (Khalifa 1973, 84) Die Widersprüche dieses Programms spuken durch die Geschichte der arabischen Frauen bis heute und spiegeln den Bruch zwischen der Verpflichtung zur Gleichheit und der fanatischen Konservierung völliger Ungleichheit im Namen der nationalen Identität und kulturellen Beständigkeit wider.
Diese Spannung hat Hoda Sha'rawis Laufbahn geprägt. Als Tochter einer aristokratischen Familie 1879 geboren, widmete sie schon früh ihr Leben der Emanzipation ägyptischer Frauen und dem Kampf gegen die Besatzung durch die Briten. (Sha'rawi 1986) Sie war mitverantwortlich für die Gründung der Bank of Egypt, zu der sie das Startkapital ihrem Familienvermögen entnommen haben soll. So radikal und engagiert sie im Kampf gegen die Briten und in den Fragen wirtschaftlicher und politischer Reformen zugunsten der Frauen war, blieb sie immer ängstlich besorgt darum, sich streng an den religiösen Kodex zu halten, der das Privatleben und die familiäre Stellung ihres Geschlechts beherrschte, und ihre Ergebenheit dem Koran und moslemischen Wertvorstellungen gegenüber zu beteuern. In höherem Alter präsidierte sie beim Ersten Pan-arabischen Kongreß der Frauenorganisationen in Kairo, wo eine Reihe von Forderungen entworfen wurde, wie das Stimmrecht für Frauen und das Recht, in offizielle Positionen gewählt zu werden sowie eine Beschränkung der männlichen Vorrechte in Scheidungsfragen und eine Einschränkung der legalen Polygamie auf Fälle, wo die Frau unfruchtbar oder unheilbar krank sei, schließlich die Festlegung des Min-destheiratsalters für Frauen auf sechzehn Jahre. Mit anderen Worten, Frauen forderten zwar wieder einmal die politische Gleichheit, wagten dabei aber nicht, gleiches für ihr Privatleben einzuklagen. Das Recht der Männer, ihre Frauen zu verstoßen, wenn es ihnen beliebte, sollte nicht abgeschafft, nur leicht eingeschränkt werden, Polygamie blieb männliches Vorrecht, nur im Umfang reduziert.
Es wäre historisch unfair, diese ersten zaghaften Pionierinnen der Frauenemanzipation zu kritisieren. Die Auseinandersetzung mit dem Islam war nicht einfach eine Frage des Mutes. Die eigentliche Schwierigkeit bestand darin, daß der Widerstand gegen den Islam nicht einfach ein Kampf gegen eine herrschende politische Macht war, sondern ebenso gegen tiefverwurzelte Bindungen, in denen die subjektive Identität einer Mehrheit der Bevölkerung zur Disposition stand. Der Islam ist ja, wie wir gesehen haben, nicht bloß eine Religion — er ist eine totale Ordnung, die das Denken und Handeln, das Politische und das Private unauflöslich verschweißt. Seine Autorität im alltäglichen Verhalten zurückzuweisen, heißt die Natur selbst herauszufordern. Daher wurden Frauen wie Hoda Sha'rawi oder Hifni Nassef, trotz ihres ultrapädagogischen Ansatzes, zu ihrer Zeit geschmäht und angegriffen; das war eine Epoche, in der der Feminismus noch nicht verstanden hatte, daß die politische Emanzipation erst der Anfang des Kampfes war. Die repressive Gewalt des Islam kann negativ aus der Geschichte der frühen Frauenpresse erschlossen werden, die zu Beginn des Jahrhunderts in Ägypten in bemerkenswertem Ausmaß blühte. Zwischen 1892 (dem Erscheinen des ersten Frauenmagazins in arabischer Sprache — Al-fatat) und 1913 erschienen nicht weniger als 15 Zeitschriften. Sie sprachen ihre Leserinnen als Ehefrauen und Mütter an, riefen sie aber auch auf, an der »Renaissance der Frauen« teilzuhaben und ihr Recht auf Bildung und Beruf einzuklagen.

Die post-kolonialen Regime

Der Zweite Weltkrieg war die Wende für den französischen und den britischen Kolonialismus im Nahen Osten. Die europäischen Mächte erlangten ihre Vorkriegsstellungen niemals zurück, nachdem formell auf den Irak, Syrien und den Libanon Verzicht geleistet wurde und die informellen Protektorate in den 50ern in Ägypten und im Irak gestürzt. und in Jordanien zersetzt wurden. Nationalistische Militärregime wurden die Norm, die sich der wirtschaftlichen Entwicklung-und der Staatsgründung im Rahmen eines zunehmend unabhängigen Kapitalismus verschrieben. Alle erklärten, die Lage der Frauen zu verbessern, indem sie ihnen eine Berufsausbildung und das Wahlrecht geben wollten. Ersteres war ein viel bedeutenderer Fortschritt als letzteres. Der Nasserismus in Ägypten konnte sich der Anzahl weiblicher Ärzte rühmen. Die Ba'ath-Regime in Syrien und Irak beglückwünschten sich wegen der Anzahl der ausgebildeten Sekretärinnen und Lehrerinnen, die jetzt leitende Stellen in öffentlichen Institutionen haben. All diese Staaten haben ihre »Frauenvereinigungen«, regierungstreue Massenorganisationen, die jeden Konflikt mit dem herrschenden System vermeiden. Die politischen Rechte von Frauen, vom Nationalstaat formal garantiert, sind bedeutungslos, da es sich um Militärdiktaturen der einen oder anderen Art handelt, in denen das Wahlrecht keine Bedeutung hat.
Wir sehen also, das Programm der frühen arabischen Frauenrechtlerinnen, so begrenzt es auch war, ist noch immer weit entfernt davon, realisiert zu sein. Sein Belle Epoque-Liberalismus mag uns heute naiv und anachronistisch erscheinen, aber immerhin war der Glaube an die Wirksamkeit der, wenn auch parlamentarischen, Demokratie aufrichtig, im Gegensatz zu dem Legionärpopulismus, der dann folgte. Die postkolonialen Staaten des Nahen Osten mußten unterentwickelte Länder regieren, in denen die Arbeiterbewegungen stark waren. Ihre Antwort war die eindringliche Beschwörung, den Geist der imperialistischen Demütigung auszutreiben. Denn abgesehen von der tatsächlichen Ausbeutung und Unterdrückung dieser Gebiete durch den Kolonialismus, deren bedeutendstes Symbol der Suezkanal war, gab es bei der moslemischen Bevölkerung des Nahen Ostens allgemein das schwerwiegende, tiefe Gefühl, erniedrigt worden zu sein. Der Kolonialismus wurde von den Arabern nicht nur als Beherrschung und Unterdrückung erlebt, sondern darüber hinaus als widerrechtliche Aneignung der Macht im ideell-religiösen Sinn. Die Hauptleidtragenden dieses Komplexes wurden nun die arabischen Frauen. Denn der nun folgende Kult um eine grandiose Vergangenheit und die »Überlegenheit unserer Werte über die der westlichen Welt« führten unvermeidlich zu einer erstickenden Strenge in Familienstrukturen und Gesetzgebung. Die Rechtfertigung für diese reaktionären Formen ist immer dieselbe. Wie oft mußte jede arabische Feministin sich schon den überheblichen Vers der Männer anhören: »Wollt ihr wie westliche Frauen werden, indem ihr die degenerierte Gesellschaft kopiert, die unser Feind ist?«
Die Entkolonialisierung begann in den maghrebinischen Ländern erst zehn Jahre später, Mitte der 50er Jahre, und fand erst mit dem Ende des Algerienkrieges ihren Abschluß. Die Herrschaft der Europäer hatte hier besonders lange angehalten und die Einflüsse saßen entsprechend tief. Während Tunesien und Marokko 1956 friedlich ihre Unabhängigkeit erlangten, mußten die Algerier einen acht Jahre währenden Krieg führen, um die Franzosen hinauszuwerfen. Man hätte erwarten können, daß der so viel größere Radikalismus der revolutionären Erfahrungen eine fortschrittlichere soziale Position der Frauen nach Erreichung der Unabhängigkeit zur Folge gehabt hätte, zumal die algerischen Frauen an den Kämpfen gegen die französische Besatzung teilnahmen und eine in den arabischen Ländern bis heute einmalige, wesentliche Rolle in militärischen wie auch politischen Angelegenheiten eingenommen hatten. Aber ironischerweise trat das genaue Gegenteil ein.
Algerien hatte weit mehr traumatisch unter der Einwirkung des französischen kulturellen Imperialismus zu leiden gehabt als die Nachbarländer, schon durch die Anwesenheit von mehr als drei Millionen französischen Siedlern. Der Befreiungskampf wurde daher in höherem Maße als in jedem anderen Land als ein Streit zwischen islamischer Tradition und christlicher Aggression erlebt, und so wurde die Unabhängigkeit identifiziert mit der Wiederherstellung bislang unterdrückter islamischer Sitten und Werte. Tatsächlich ist es eine Lektion aus den Erfahrungen dieser Zeit, daß der Status von Frauen als Kriegerinnen keineswegs notwendig eine Veränderung im persönlichen und gesellschaftlichen Status der Frau mit sich bringt, sobald die Kämpfe erstmal vorbei sind. Der erste Kongreß der Algerischen Frauenvereinigung erklärte 1966, sich »vollkommen dem Schutz der Familie durch Strukturen zu unterwerfen, die der Algerischen Persönlichkeit und Arabisch-Islamischen Kultur entsprechen«. Die Zeitung der Regierungspartei, Al-Moujahid, stellte »verantwortungsbewußte« algerische Frauen jenen gegenüber, die, befleckt mit europäischem Makel und Verderbtheit, glaubten, die Befreiung berechtige zu so abartiger Dekadenz wie »Make-up und unanständiger Kleidung«.
Obgleich Marokko eher ein Protektorat als eine Kolonie gewesen war, unterschied sich die gesetzliche Position der Frauen kaum von der im post-revolutionären Algerien. Im Gegensatz dazu repräsentiert Tunesien das Paradoxon eines Staates, der sich von allen arabischen Ländern am stärksten am Westen orientierte, aber dann auch die aufgeklärteste Frauenpolitik verfolgte. Da es von massiven Eingriffen französischer Kolonisatoren und einer feudalistischen Monarchie verschont blieb, ging Tunesien weniger traumatisiert aus der europäischen Herrschaft hervor als die anderen nordafrikanischen Staaten. Bourguiba verkündete nach Erlangung der Unabhängigkeit, die Stellung der Frauen in der tunesischen Gesellschaft würde im wesentlichen von ihrer persönlichen Entscheidung abhängen. Nicht nur wurden alle die Frau erniedrigenden Stellen aus dem Gesetzbuch entfernt, sondern der Präsident präsentierte sich auch öffentlich als Schirmherr unterdrückter und mißhandelter Frauen und ließ sich im Fernsehen übertragen, wie er in Häuser eindrang, um Mädchen aus den Klauen von Familien zu befreien, die sie fett fütterten, damit sie besser zu verheiraten wären, oder wie er junge Frauen von Ehemännern befreite, denen sie versprochen worden waren. Wie gemischt auch immer die Motive solcher Aktionen sein mochten, ist doch die gesellschaftliche Position der Frauen in Tunesien objektiv freier als in jedem anderen arabischen Staat.
Besucher des Libanon hatten jahrelang den Eindruck, dies sei das arabische Land, wo die Emanzipation der Frauen am weitesten gediehen sei. Tatsächlich ist der Libanon seit der Unabhängigkeit ein Gebiet voller Widersprüche für arabische Frauen. Zwar haben dort weit mehr Frauen eine auch bessere Ausbildung als irgendwoanders im Nahen Osten, aber ihre ökonomische Unabhängigkeit ist minimal und das Familienrecht sowie das Heiratsalter sind äußerst rückschrittlich und streng. So wurde erst vor drei Jahren ein Gesetz abgeschafft, wonach Frauen nicht ohne ausdrückliche Genehmigung ihres Ehemannes verreisen dürfen; allerdings hatte dieses Gesetz nur selten Anwendung gefunden. Kurz vor dem Bürgerkrieg blühte eine Frauenbewegung auf, die in allen Schichten und politischen Strömungen Fuß faßte und das Recht, über den eigenen Körper frei zu verfugen, sowie gesellschaftliche Veränderungen forcierte. Leider können wir nur spekulieren, was daraus geworden wäre, wenn nicht der Bürgerkrieg die libanesische Gesellschaft gesprengt hätte.
Die arabische Halbinsel, die Wiege des Islam, war von der Herrschaft der Briten nur verhältnismäßig leicht berührt, Saudi-Arabien und der Jemen waren niemals kolonialisiert worden, nur Aden war lange Zeit ein wesentlicher Stützpunkt, von dem die Briten schließlich nach langem Guerillakrieg siegreich vertrieben worden waren. Plötzlich landete nun Saudi-Arabien durch den Erfolg der OPEC mitten auf der ökonomischen Weltbühne und erlangte rasch die volle Souveränität. Die Konsequenzen waren höchst dramatisch. Die nun wirtschaftlich bei weitem reichsten Staaten der arabischen Welt sind zugleich mit Abstand die sozial rückschrittlichsten. Sie weisen eine karikaturenhafte Kombination aus modernster Technik und einem Archaismus in Geschlechterfragen auf, der auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen findet. In den oberen Klassen besuchen viele junge Frauen Universitäten oder werden nach Europa geschickt, um sich hoch zu qualifizieren. Gleichzeitig sind alle Schulen und Colleges absolut geschlechtergetrennt,  einzelne Frauen auf der Straße sind äußerst verdächtig, selbstverständlich werden junge Mädchen — oft schon bei ihrer Geburt beschlossen — an ihre Vettern verheiratet, und es gibt definitiv nicht einen Ort, wo Jugendliche beiden Geschlechts miteinander in Kommunikation treten könnten. Ärztinnen, Soziologinnen usw. können ihre Berufe nur in reinen Frauenmilieus ausüben.
Eine Frau kann Rektorin einer Universität sein, um ins Ausland zu reisen, braucht sie aber die Erlaubnis ihres männlichen Bewachers — sei es Vater, Bruder oder Ehemann. Die Abschlußzeugnisse der Universitäten sind im amerikanischen Stil mit kleinen Rahmen für die Fotos der Absolventen versehen — und die Hälfte der Rahmen bleibt leer, denn die erfolgreichen Absolventinnen dürfen niemals ihre Gesichter zeigen. Die desolate Situation der jungen Saudi-Frauen wird nur trauriger durch quälende Erinnerungen an Reisen nach Europa, und stundenlanges Videogucken hinter den Wänden ihrer häuslichen Kerker ist ihre einzige Zuflucht.
Kuwait, das 1960 unter der an der Regierung bleibenden Dynastie die Unabhängigkeit erlangte, hat sich an seinen riesigen Ölreserven, die weit größer sind als die Saudi-Arabiens, gesundgestoßen. Der Stadtstaat entwickelte bald das breiteste und höchstentwickelte Bildungssystem, für sowohl junge Männer als auch Frauen, in der arabischen Welt. In den frühen 70er Jahren ähnelte Kuwait weit mehr einer modernen westlichen Metropole als jede andere Stadt im Golfgebiet. Der Schleier war bei den jüngeren Generationen eine Seltenheit, Frauen fuhren Auto und bewegten sich frei überall in der Stadt. 1971 gründeten ein paar hundert Frauen den »Kuwaiti Women's Congress« und forderten das Wahlrecht. Diesen Kampf haben sie bis heute nicht gewonnen, und die kuwaitische Gesellschaft zeigt zunehmend reaktionäre Tendenzen mit Rückbesinnung auf den Islam. Der Schleier ist nunmehr modisch bunt und sehr populär, und es gilt als ehrenhafter, zweite oder dritte Nebenfrau zu sein, als einen Beruf zu haben.
Der größte Teil der arabischen Halbinsel wird nach wie vor von Dynastien regiert. Frauen haben keine politischen Rechte, Punkt und Schluß.
Das andere Extrem bildet der Südjemen. Nach der revolutionären Befreiung von der britischen Herrschaft entstand ein Staat, der — in bemerkenswertem Gegensatz zu Algerien — eine Reihe von wirtschaftlichen, sozialen, juristischen und ideologischen Reformen einleitete, die die radikalste Attacke auf frauenfeindliche Strukturen beinhaltete, die die arabische Welt je erlebt hat. Doch auch hier wurden Veränderungen mit islamischer Tradition legitimiert, um die männliche Bevölkerung nicht vor den Kopf zu stoßen. Für die Sache der Frauen wurde nur in Tunesien ähnliches erreicht wie hier.

Feminismus und Islam

Das Panorama der Situation von Frauen in arabischen Ländern vom Atlantik bis zum Golf bleibt also, auch wenn man alle regionalen Variationen bedenkt, finster. Was gibt es unter diesen Bedingungen überhaupt an Möglichkeiten für eine echte Frauenbewegung, wie sie andere Teile der Welt — seien sie entwickelt oder unterentwickelt — heute kennen? Die bittere Wirklichkeit ist, daß der arabische Feminismus, in der modernen Bedeutung des Begriffs, nur im europäischen und amerikanischen Studentenmilieu — wohin nur eine Handvoll entfliehen kann — und allenfalls noch in der wachsenden, aber immer noch unwesentlichen akademischen Literatur existiert. Der Doppelknoten, der die Emanzipation verhindert, ist die tief in die Kultur und Politik verwobe-ne Kombination von Religion und Nationalität, und die Bedeutung der Weiblichkeit in der Religion. Jede weibliche Auflehnung gegen die Zustände kann als Untreue gegen den Islam und Verrat an der Nation ausgelegt werden.
Diese Schwierigkeit ist nicht nur in der Geschichte der arabischen feministischen Literatur nachvollziehbar, sondern auch in der Gegenwart:
Einige der hervorragendsten Feministinnen unserer Zeit haben sich durch die Angriffe und die Isolation, der sie ausgesetzt sind, entmutigen lassen. Ijlal Khalifa zum Beispiel, Autorin einiger wichtiger Bücher zur Frauenbewegung in Ägypten und Palästina, schreibt heute, die osmani-sche Besatzung sei für arabische Frauen weit weniger demütigend gewesen als die britische, weil das Osmanische Reich immerhin demselben Glaubenskodex angehangen habe. (Khalifa 1973,151) Und Aziza al-Hibri, Philosophieprofessorin in Washington und Mitherausgeberin eines Buches über Feminismus und Marxismus, versucht gar, den Islam reinzuwaschen, er werde in bezug auf die Stellung der Frau nur falsch ausgelegt. (al-Hibri 1982, 218)
Leila Ahmad, die noch 1982 flammend verkündete, Feminismus und Islam seien unvereinbar, erlag ein Jahr später dem Druck falsch verstandenen Nationalgefühls und der Rivalität mit dem Westen und beschrieb nunmehr den Harem als eine dem Westen fehlende Zuflucht der Weiblichkeit! Während sie sich nach wie vor als Feministin bezeichnete, erklärte sie, die Begegnung mit dem anti-arabischen Rassismus, der amerikanischen Gesellschaft und deren heuchlerische Entrüstung über das Schicksal arabischer Frauen habe ihr die Notwendigkeit klargemacht, die Werte und sozialen Beziehungen ihrer eigenen Gesellschaft zu verteidigen. (Ahmad 1982b) Womit sie keine Ausnahme ist. Auch Nawal el Saadawi, die bekannteste von allen arabischen Feministinnen, bestätigt den Machismo (vermutlich unbewußt), wenn sie behauptet, arabische Frauen seien politischer als westliche — sie kämpften schließlich für die Veränderung des politischen Systems und nicht lediglich gegen frauenunterdrückende Auswirkungen, (el Saadawi 1981) Womit wir wieder soweit wären: Kämpfe für die Nation, aber laß die Finger von der Familienstruktur und nimm den Platz ein, den die Religion dir vorschreibt.
Solange die arabischen Frauenbewegungen danach streben — sei es aus taktischen Gründen, um sich Toleranz zu sichern, oder aufgrund von glühender Identifizierung mit der bestehenden Gesellschaft —, islamische Tradition mit Frauenemanzipation unter einen Hut zu bringen, werden sie am Ende zwangsläufig immer dahin kommen, daß sie sich mit der Unterdrückung, oder doch vielen Aspekten davon, arrangieren. Wenn Feminismus definiert ist als Kampf gegen jede überlieferte Tradition und triebmäßige Wertvorstellung bezüglich des Verhältnisses zwischen Männern und Frauen, dann muß der arabische Feminismus endlich aus dem Schatten hervor ans Tageslicht treten. Ich behaupte nicht, daß es leicht sein wird, oder daß die Alternative zu den gegenwärtigen Kompromissen auf der Hand liegt. Das Gewicht der Vergangenheit lastet schwer und drohend auf uns. Die Überzeugung, daß richtig ist, was heilig ist, wurzelt tief im Bewußtsein arabischer Männer und Frauen. Die Ankunft der Moderne in einem Milieu sozialer wie ökonomischer Unterentwicklung und rechtlicher wie familialer Rigidität hat einen beängstigenden Gleichgewichts- und Sicherheitsverlust mit sich gebracht, auch selbst für diejenigen, die die herrschenden Verhältnisse ablehnen. Feminismus hat noch nie zu einem neuen Gleichgewicht geführt. Die Entwicklung eines arabischen Feminismus wird schmerzhaft und gefahrvoll sein.

Aus dem Englischen von Else Laudan

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