Vordergründig betrachtet begann alles mit dem Fall »Fehmida und Allah Bux gegen den Staat« im Jahr 1981.[1] Fehmida, ein Mädchen der unteren Mittelschicht, verliebte sich in Allah Bux. Das war an sich schon schlimm genug, weiter kompliziert wurde die Geschichte durch den Umstand, daß Allah Bux, ein Busfahrer, bereits verheiratet war und aus einer niedrigeren Gesellschaftsschicht stammte. Das Liebespaar brannte durch und heiratete — da Polygamie im Islam erlaubt ist, war diese Eheschließung nicht das Problem. Das Problem war vielmehr, daß Fehmida es gewagt hatte, selbst über ihr Leben zu entscheiden und dazu noch gegen die Regeln ihrer Klasse verstoßen und in eine niedrigere soziale Schicht hineingeheiratet hatte. Fehmidas Eltern waren außer sich vor Zorn und versuchten mit allen Mitteln, ihre Tochter zur Rückkehr zu bewegen. Schließlich erstatteten sie mit der Begründung, daß ihre Tochter verführt worden sei, Anzeige bei der Polizei.
Als Fehmida aus Allah Bux' Haus herausgeholt wurde, war sie bereits schwanger. Vor Gericht stellte sich heraus, daß das Paar sich zwar mündlich die Ehe gelobt, es jedoch versäumt hatte, sie beim Standesamt registrieren zu lassen, wie die Familiengesetzgebung es seit 1961 vorschreibt. Die Nichteinhaltung dieses Gesetzes wird mit drei Monaten Gefängnis und/oder einem Bußgeld von 1000 Rs. bestraft. Die Gültigkeit der Ehe wird von der Unterlassung nicht beeinträchtigt. Ungeachtet diese Zusatzes verurteilte der Richter Allah Bux zum Tod durch Steinigung und Fehmida zu einer Strafe von 100 Schlägen, die zwei Monate nach der Niederkunft vollstreckt werden sollte.
Verlauf und Ausgang dieses Prozesses sind symptomatisch für die neue Regierungspolitik, und der Fall von Fehmida und Allah Bux gegen den Staat ist insofern wichtig, als daß er erstens auf die Verschiebungen innerhalb des Hauptdiskurses hinweist, die von General Zia-ul-Haq initiiert wurden, um die Aufmerksamkeit von seiner zweifelhaften politischen Legitimität abzulenken, und zweitens ein neues Bewußtsein bei den pakistanischen Frauen weckte.
General Zia-ul-Haq kam 1977 nach der Verhaftung von Premierminister Zulfiqar Ali Bhutto durch einen unblutigen Staatsstreich an die Macht. Nachdem er das Land unter Kriegsrecht gestellt hatte, verkündete Zia alsbald seine Absicht, das Strafrecht zu islamisieren. Um seine Position als Staatsoberhaupt zu festigen, nahm er Mitglieder der rechten Moslemischen Liga und der fundamentalistischen Jamaat-i-Islami in sein Kabinett auf. Mit dieser Maßnahme konnte er seine Macht sichern und ihr gleichzeitig einen demokratischen Anstrich verleihen. In den staatlich kontrollierten Medien wurde eine Kampagne gestartet, die die Bevölkerung aufforderte, den Gesetzen des Islam entsprechend zu leben. Die Frauen waren die Hauptzielgruppe dieser Propagandaaktion.
Die Frauen der gebildeten Schichten waren dadurch bereits stark beunruhigt, und das Schicksal von Fehmida und Allah Bux brachte das Faß zum Überlaufen. Die von Karachi aus operierende Frauenorganisation Shirkatgah rief alle Frauenorganisationen zu einem Treffen auf, das 1981 zur Bildung des Frauen-Aktionsforums (WAF) führte. Ziel war ein Zusammenschluß möglichst vieler einzelner Frauen und Gruppen, und nach zwei Jahren unterstützten ca. ein Dutzend Organisationen das WAF.
Zwei Faktoren kennzeichneten die Konfrontation zwischen den Frauen und dem Staat in den 80er Jahren:
- Der Staat setzte die in Pakistan stark emotional besetzte religiöse Thematik gezielt ein, um von den eigentlichen Problemen abzulenken.
- Der Konflikt zwischen autoritärem Staat und feministischem Diskurs in einer strikt patriarchalischen Gesellschaft manifestierte sich primär als Auseinandersetzung zwischen engagierten Frauen und orthodoxen Religionsvertretern.
Generell lassen sich in Pakistan zwei Hauptströmungen in Politik und Kultur unterscheiden: der traditionalistische bzw. fundamentalistische Diskurs auf der einen und der fortschrittliche oder weltliche Diskurs auf der anderen Seite. Diese Diskurse sind Teil des kolonialen Erbes Pakistans und können wiederum als repräsentativ für die machtpolitische Struktur des Landes betrachtet werden.
Historisch gesehen geht der traditionalistische Ansatz auf jene gesellschaftlichen Gruppen zurück, die auf die Kolonialisierung und den daraus resultierenden Machtverlust reagierten, indem sie sich an traditionelle Denk- und Verhaltensmuster klammerten. Der fortschrittliche Ansatz entwickelte sich dagegen aus den Teilen der moslemischen Gesellschaft, die es angesichts der kolonialen Realität für politisch sinnvoller hielten, sich dem herrschenden Diskurs nach Möglichkeit anzupassen, um nicht isoliert zu werden. Indem diese Gruppe sich die neuen, von den Briten mit ihrem Bildungssystem eingeführten Denk-und Wissensstrukturen aneignete und Funktionen im kolonialen Verwaltungsapparat besetzte, wurde sie allmählich zur neuen Eliteklasse der moslemischen Gesellschaft.[2] Die Traditionalisten verloren zunehmend an gesellschaftlichem Einfluß und wurden zu einer Randgruppe im Machtgefüge. Auf diese Weise wurde, was ursprünglich als Antwort auf die Kolonialisierung begonnen hatte, allmählich zur Grundlage neuer Klassenstrukturen und -Zusammensetzungen innerhalb der moslemischen Gesellschaft des Subkontinents.
Die Zeit nach 1886 führte auch zu grundlegenden Wandlungen des traditionellen islamischen Frauenbildes. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte sich vor allem in der neuen Elite allmählich die Idee der Frauenbildung durch, und nach und nach begannen die Frauen, sich ihrer gesellschaftlichen Stellung bewußt zu werden.
Frauen der fortschrittlicheren Kreise legten damals mit Zustimmung ihrer männlichen Familienmitglieder den Schleier ab. 1908 gründete eine kleine Gruppe von Frauen eine moslemische Frauenorganisation (Anjuman-i-Khawateen-i-Islam), nachdem sie die Isolation der traditionellen weiblichen Abgeschlossenheit durchbrochen hatten. Es war die erste Organisation dieser Art auf dem Subkontinent. Die Gruppe entwickelte Pläne zur Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten und zur Durchführung sozialer und rechtlicher Reformen für die Frauen.[3] Indem sie sich ein Forum schafften, von dem aus sie mit eigener Stimme und aus einer Frauenperspektive sprechen konnten, leiteten sie einen Prozeß der Selbstfindung und Emanzipation ein, wenn auch nur für Frauen ihrer eigenen Klasse. Ihre Aktivitäten führten im Jahr 1915 zur Ersten Gesamtindischen Konferenz moslemischer Frauen. Die Teilnehmerinnen waren überwiegend Ehefrauen moslemischer Pädagogen und Akademiker und repräsentierten als solche natürlich nur einen kleinen, ausgewählten Teil der Gesellschaft. Das Hauptthema der Konferenz war die Frauenbildung. Doch zwei Jahre später sorgten dieselben Frauen für heftige Unruhen in Lahore, als sie eine Resolution gegen die Polygamie verabschiedeten. Das Bemerkenswerte dieser Aktionen liegt vor allem darin, daß diese Frauen, obwohl sie innerhalb der sozio-kulturellen Parameter des Islam arbeiteten, keine Hemmungen hatten, religiös legitimierte Praktiken zu kritisieren, die sie als ungerecht und irrational empfanden.
1917 war auch das Jahr, im dem eine Delegation verschiedener indischer Frauenorganisationen mit dem damaligen Staatsminister E.S. Montagu zusammentraf. Die Frauen, zu denen auch die moslemische Begum Hasrat Mohani gehörte, forderten den Ausbau der Bildungseinrichtungen, eine bessere Gesundheits- und Familienfürsorge und das allgemeine Wahlrecht, wie man es den indischen Männern versprochen hatte. Es ist nicht überraschend, daß die Briten die letztgenannte Forderung der Frauen in den Montagu-Chemsford Reformvorschlägen für Indien nicht aufnahmen. 1918 bekundeten sowohl die Gesamtindische Moslemische Liga als auch der Indische Nationalkongreß ihre Befürwortung des Frauenwahlrechts. Auch die Frauen selbst erhoben diese Forderung erneut. 1928 schließlich hatten die Inderinnen sich die gleichen Stimmrechte erkämpft wie die Männer.
Der Kampf der Frauen um gleiche Rechte muß dabei als Teil allgemeiner politischen Entwicklungen verstanden werden. Sie beteiligten sich am politisch zentralen Ringen um Nationalstaatlichkeit und Unabhängigkeit und mobilisierten andere Frauen zur Unterstützung der Befreiungsbewegung. 1917 wurde ein weiteres starkes Tabu gebrochen: Bi Amma hielt anstelle ihres von den Briten inhaftierten Sohnes eine Rede auf der Jahrestagung der ausschließlich aus Männern bestehenden Moslemischen Liga. Die Tatsache, daß sie die Mutter eines Parteimitglieds war und ihr nur aufgrund ihres Alters und ihres Titels »Bi Amma« — wörtlich: »Frau Mutter« — überhaupt erlaubt wurde, diese Rede zu halten, macht die Beschränkungen deutlich, die den Frauen auferlegt waren; dennoch bedeutete dieses Ereignis einen wichtigen Schritt vorwärts, und bis 1921 hatten die Frauen sich im Zuge allgemeiner politischer Strömungen relativ große Bewegungsfreiheiten erkämpft.
1941 veranstalteten die Frauen ihre erste öffentliche Demonstration gegen die Verhaftung von antibritischen Widerständlern. Im' selben Jahr inhaftierte man auch zum ersten Mal Frauen, weil sie sich gegen die Regierung gestellt hatten. Mit dem Anwachsen des politischen Unmuts im Land beteiligten sich verstärkt auch Frauen an der politischen Arbeit. Viele Frauen legten den Schleier ab, provozierten ihre Verhaftung, wurden eingesperrt und mißhandelt. Tränengas und Polizeiknüppel wurden zu ständigen Begleitern ihrer Protestzüge, doch die Bewegung wurde immer stärker.
Mit dem Ende der Kolonialherrschaft 1947 entstanden zwei unabhängige Staaten auf dem Subkontinent. Das Datum markiert auch den Beginn einer neuen Phase der Frauengeschichte in dieser Region. Auch im unabhängigen Pakistan bestimmen die gegensätzlichen Positionen und Klasseninteressen des traditionalistischen und weltlichen Lagers den politischen Diskurs des Landes.
Was die Frauen betrifft, so sind Veränderungen im weiblichen Selbstbild wie auch überlieferte oder sich wandelnde Rollenzuschreibungen untrennbar mit dem sozialpolitischen Wandel in Pakistan verbunden. Nach 1947 bis in die späten 70er Jahre war die Haltung gegenüber Frauen einem ganz bestimmten Muster unterworfen. Die herrschende Klasse, einschließlich der westlich erzogenen, feudalen und akademischen Elite versuchte, einen modernen Nationalstaat nach westlichkapitalistischem Vorbild zu entwickeln. Im Rahmen dieser Konzeption befürwortete man den Eintritt der Frauen in die öffentliche Sphäre, wenn dieser Prozeß aufgrund der festverwurzelten traditionellen Rollenbilder auch nur sehr langsam und selektiv vorankam.
In diesen Jahren entstanden eine ganze Reihe von Frauenorganisationen. Die Loslösung von Indien und die Unabhängigkeit brachten viele Probleme mit sich. Zu den dringendsten gehörte die Umsiedlung der zahllosen Flüchtlinge. Eine kleine Gruppe unter Führung von Raana Liaqat, der Ehefrau von Pakistans erstem Premierminister, gründete 1948 einen Freiwilligen Frauendienst. Viele Frauen folgten ihrer Aufforderung, Hilfe zu leisten, und traten zum ersten Mal in die Öffentlichkeit. Ihre Arbeit bestand vorwiegend aus helfenden und unterstützenden Tätigkeiten und wurde daher gesellschaftlich akzeptiert. Bis 1949 war aus dem WVS die Gesamtpakistanische Frauenorganisation (APWA) entstanden.
Die APWA verstand sich als freiwillige, politisch nicht gebundene Organisation, die offen für alle pakistanischen Frauen über 16 Jahren war, gleichgültig welcher Klasse, Kaste, Hautfarbe oder Religion sie angehörten. Die Organisation wollte die Lebensbedingungen pakistanischer Frauen verbessern, ein neues Bewußtsein wecken und bessere Voraussetzungen für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen schaffen. Obwohl die Organisation sich hauptsächlich auf sozialem Gebiet engagierte, setzte sie sich 1953 z.B. auch für eine mindestens zehnjährige Frauenquote von zehn Sitzen in den National- und Regionalvertretungen ein; 1955 starteten Frauen innerhalb und außerhalb verschiedener Frauenorganisationen eine Kampagne gegen die polygame Zweitehe des damaligen Premierminister Mohammad Ali Bogra. Diese Kampagne führte zur Herausbildung der Vereinigten Front für die Rechte der Frau unter Leitung von Jehan Ära Shahnawaz. Auf den gemeinsamen Druck dieser beiden Organisationen hin wurde eine Familienrechts-Kommission gebildet und 1961 eine neue Familiengesetzgebung verabschiedet.
Innerhalb der Legislative haben darüber hinaus die beiden weiblichen Abgeordneten Jehan Ära Shahnawaz, eine erfahrene Streiterin der Moslemischen Liga, und Shaista Dcramullah, die aus Ostpakistan (dem späteren Bangladesch) stammte, den Kampf für die Gleichberechtigung der Frau entscheidend vorangetrieben. Auf ihre Initiative geht es zurück, daß 1948 dem Persönlichkeitsrecht Vorrang gegenüber dem bis dahin praktizierten Gewohnheitsrecht gegeben wurde und daß es gesetzlich anerkannt wurde, daß Frauen Besitz, einschließlich Grundbesitz, erben konnten.
1954 legte Jehan Ära Shahnawaz einen Verfassungsentwurf zur Gleichberechtigung der Frau vor. Zu den Hauptpunkten der Charta gehörten die rechtliche Gleichstellung, Chancengleichheit und gleiches Entgelt für gleiche Arbeit. Die Vorlage wurde von den Minderheitsvertretern und von den moslemischen Politikern gleichermaßen unterstützt und einstimmig angenommen.
All diese Veränderungen gehören zum Ethos der frühen Jahre. Man akzeptierte sie trotz des nicht zu überhörenden Widerspruchs der Geistlichkeit, weil sie in das Muster einer fortschrittlichen Islaminterpretation paßten, der man auch in anderen postkolonialen moslemischen Staaten der Dritten Welt aus ähnlichen Gründen folgte.
Die Familiengesetzgebung hat viel dazu beigetragen, die Stellung der pakistanischen Frau zu sichern und zu verbessern, weil diese Gesetze ein Mindestheiratsalter für Frauen und Männer festlegten und den Männern sowohl Zweitehen wie Scheidungen erschwerten, während den Frauen die Auflösung der Ehe, das sogenannte »Khula«,[4] erleichtert wurde. Obwohl die Frauen diese Verordnungen begrüßten, haben sie zu jenem historischen Zeitpunkt nicht für noch weitergehende Scheidungserleichterungen nach islamischen Recht gestritten, weil ihnen dazu sowohl die wirtschaftliche Unabhängigkeit als auch die genaue Kenntnis ihrer Rechte fehlte.
Ein Regierungswechsel im Jahr 1969 schaffte die Grundlage für die zwei Jahre später erfolgende Machtübernahme durch eine gewählte und allem Anschein nach fortschrittliche Regierung. Die Ablösung der Diktatur durch eine Demokratie als Ergebnis öffentlicher Massenproteste löste eine Welle des Optimismus und ein Gefühl des Neuanfangs im Land aus. Es war auch die Zeit, in der die Artikulation eines autonomen Feminismus auf internationaler Ebene nachdrücklich auf frauenspezifische Fragen aufmerksam machte. Nusrat Bhutto nahm 1975 an der internationalen Frauenkonferenz in Mexico City teil, und 1976 wurde eine Kommission zur Stellung der Frau gebildet. Man schenkte den Frauen-fragen von staatlicher Seite große Aufmerksamkeit, die Kommission sollte Probleme der Frauen in Pakistan untersuchen und die Situation der Frau verbessern, durch Reformen von Erbrecht, Vormundschaftsregelungen und Scheidungsrecht. — Obwohl die konkreten Auswirkungen dieser Maßnahmen auf berufstätige Frauen und aufstrebende Politikerinnen beschränkt blieben, leiteten diese Änderungen des zentralen politischen Diskurses doch einen Bewußtseinswandel bei allen Frauen ein. Unbewußte, nicht genau definierte und oft nur im Ansatz vorhandene Wünsche und Hoffnungen der früheren Jahre erhielten konkrete Gestalt und rückten ins Reich des Möglichen.
Logischerweise erfaßte der neue Kurs auch andere als die von offizieller Seite vorgesehenen Bereiche. Es kam zur Gründung zahlreicher linker bzw. sozialistischer Parteien und Organisationen. Zwar setzten sie sich überwiegend aus Männern zusammen, doch es entstanden auch einige reine Frauengruppen, von akademisch gebildeten Frauen, Studentinnen und Lehrerinnen gegründet. Sie unterrichteten sich selbst in den grundlegenden Ideen des Marxismus und Sozialismus und knüpften Kontakte zu Fabrikarbeiterinnen, Studentinnen und Frauen in den Elendsvierteln und Barackenstädten (Katchi abadies).
Eine sehr aktive Gruppe war der Frauenflügel der NSO (Nationale Studentenorganisation) in Punjab. Es entstanden u.a. die Frauenfront, Aurat und Shirkatgah. Die Frauenfront setzte sich aus linken Studentinnen der Punjab Universität zusammen, die der unteren Mittelschicht angehörten. Die Frauenfront stellte Kontakte unter den Fabrikarbeiterinnen her und unterstützte aktiv die weiblichen Angestellten eines in Lahore angesiedelten Pharmazieunternehmens.
Im Gegensatz zur Frauenfront gehörten den Organisationen Aurat und Shirkatgah hauptsächlich Frauen der Mittel- bis oberen Mittelschicht an. Aurat wurde 1976-77 von linksgerichteten Akademikerinnen und berufstätigen Frauen gegründet. Die relativ kleine Gruppe brachte eine Zeitung mit gleichem Namen heraus. Die Zeitung war in einfachem Urdu verfaßt. Mit Informationen über die sozialen und rechtlichen Bedingungen machte sie auf die doppelte Unterdrückung der Frau innerhalb der sozio-ökonomischen Hierarchien des Patriarchats aufmerksam. Shirkatgah widmete sich der Frauenforschung und wollte mit ihrer Arbeit bewußtseinsbildende Prozesse fördern. Zu dieser Organisation gehörten Frauen, die direkten Kontakt zu westlichen Frauenbewegungen hatten, wie z.B. pakistanische Studentinnen, die im Ausland studierten. Sie verstanden sich als eine Gruppe, die durch ständigen Druck die Rechte der Frauen sichern und ihnen in rechtlichen und gesundheitlichen Fragen beratend beistehen wollte.
Indem diese Frauen aktiv am politischen Geschehen teilnahmen, vor allem durch ihre Arbeit in linken politischen Gruppen, bildeten sich erste vorsichtige Kontakte zwischen Bildungselite und unterprivilegierten Frauen. Doch der Versuch, Frauenforderungen innerhalb patriarchaler Strukturen in übergreifende politische Ideologien einzupassen, ist letztlich gescheitert. Die Frauen sind sich bewußt geworden, daß die Diskriminierung von Frauen ein Merkmal und eine unabdingbare Voraussetzung des Patriarchats ist und daß eine Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung und der Lebensqualität von Frauen nur durch die grundsätzliche Umwandlung des sozio-symbolischen Bezugsrahmens erreicht werden kann.
Bhuttos Amtszeit war nur von kurzer Dauer; sechs Jahre später (1977) wurde das Land wieder unter Kriegsrecht gestellt. Die Wiedereinführung des Kriegsrechts und das Bündnis zwischen der Armee und einer im Aufstieg begriffenen Gruppe von Fundamentalisten, die beide im Gegensatz zu der vorigen eurozentrischen Oberklasse eine neue verbraucherorientierte und traditionalistische Bourgeoisie vertraten, brachte weitreichende und regressive Wandlungen des sozio-symbolischen Bezugsrahmens mit sich. Diese neue Klasse ging auf der Grundlage gemeinsamer ökonomischer Interessen ein Bündnis mit der etablierten herrschenden Klasse ein, verwarf aber das, was sie als Verworfenheit und als verwestlichte Werte ihrer postkolonialen Vorgänger ansah.
Da die Übernahme der Regierungsgewalt allein die kulturelle Hegemonie einer aufsteigenden Klasse nicht sichern kann, mußte der Kampf um die Vorherrschaft in den Bereichen der Religion, der Philosophie, der Moral, der Kunst, der Sprache und der Sitten und Gebräuche ausgefischten werden. In Übereinstimmung mit dieser machtstrategischen Logik begann die neugebildete herrschende Klasse, sich die bestehenden sozio-symbolischen Diskurse anzueignen und sie entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse umzuschreiben. Für diesen Zweck bediente sie sich der Medien, die sich als mächtige und effektive Werkzeuge erwiesen.
Die seit 1977 erfolgende Unterdrückung der Frauen wird allgemein als Teil einer fehlgeleiteten fundamentalistischen Reaktion auf die relativ liberale Haltung gegenüber Frauen, die mit der Bhutto-Ära verbunden wird, angesehen. Tatsächlich wird das puritanische und anscheinend nur auf die Moral gerichtete Bestreben der Regierung, die Gesellschaft durch eine Islamisierung zu »reinigen«, auf zwei Ebenen wirksam:
- Es dient dazu, die Aufmerksamkeit von der problematischen Frage der Legitimität der Militärregierung abzulenken und sie auf die Diskurse der Religion und der kulturellen Erweckung zu richten.
- Zur Herrschaft über die Frauen gehören Regierungsanweisungen an Beamtinnen, sich züchtig anzuziehen und den Körperschleier zu tragen, die Erzwingung einer einheitlichen Kleidung an Mädchenschulen und Universitäten und die Verfügung der rückschrittlichen Hadood-Verordnung von 1979, die islamische Strafen wie zum Beispiel die Prügelstrafe für Verbrechen wie Vergewaltigung, Ehebruch, Diebstahl und Alkoholkonsum vorschreibt; dies hat eine ganze Reihe von staatlichen Eingriffen in die verschiedensten Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens möglich gemacht.
Zwar schränken diese Gesetze die Rechte aller Bürger ein, da sie etwas, was normalerweise als ein Verbrechen gegen einen einzelnen angesehen wurde, in ein Verbrechen gegen den Staat umgewandelt haben, am härtesten betroffen sind aber die Frauen. Die Verordnung hat zum Beispiel zwei qualitativ völlig verschiedene Tatbestände miteinander verbunden, indem sie festlegt, daß sowohl für den Beweis einer Vergewaltigung als auch für den eines Ehebruchs vier männliche Zeugen notwendig sind. Da es extrem unwahrscheinlich ist, daß ein Mann, der vorhat, eine Vergewaltigung zu begehen (oder auch ein Paar, das einen Ehebruch plant) die Tat an einem öffentlichen Platz ausführen wird, ist es leicht möglich, daß das Opfer einer Vergewaltigung wegen Ehebruchs verurteilt wird. Dieses Argument ist keineswegs rein hypothetisch; es hat bereits Fälle gegeben, in denen Vergewaltigungsopfer wegen Ehebruch verurteilt und bestraft worden sind. Auf diese Weise wird die Vergewaltigung vereinfacht, und jede Frau ein potentielles Vergewaltigungsopfer.
Die Lage der Frauen wurde durch das vorgeschlagene Gesetz von »Qisas und Diyat« weiter gefährdet. Es bezieht sich auf die ausdrückliche Anordnung des Islam, nach der die Familie eines Ermordeten das Recht hat, entweder Vergeltung durch Exekution des Mörders oder aber Wiedergutmachung durch die Zahlung eines »Blutgeldes« zu verlangen. Dieses auf die Stammesgesellschaften der vorislamischen Zeit zurückgehende Gesetz ist barbarisch und anachronistisch, und seine Wiederbelebung in der heutigen Zeit ist an sich schon eine Ungeheuerlichkeit. Wiederum waren die Frauen die ersten Opfer dieses Gesetzes, da die Wiedergutmachung (Diyat) für eine Frau nur halb so hoch ist wie für einen Mann, so daß das Gesetz als eine Einladung zur Gewalt gegen Frauen gesehen werden kann. In einer Gesellschaft, in der die Frauen als Besitz gelten, was auch bedeutet, daß die männliche Ehre von ihrem Verhalten abhängig ist, ist das besonders gefährlich.
Obwohl der Vollzug dieser Gesetze willkürlich und selektiv ist, da es momentan drei Revisionsgerichte gibt, nämlich die Zivilgerichte, die Kriegsgerichte und die Shariat-Gerichte, haben sie doch eine systematische Abwertung der Frauen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung bewirkt. Indem die Machthabenden ständig auf der Verbindung von Sex und Sünde herumreiten und sich auf die Frau als die Quelle von Sünde oder Versuchung konzentrieren, haben sie die Aufmerksamkeit von »wirklichen« Problemen wie Armut, Arbeitslosigkeit, Vetternwirtschaft/ Korruption und der Frage der Rechtmäßigkeit ihrer eigenen Regierung abgelenkt und sie auf den Körper der Frau projiziert, die explizit als das Terrain dargestellt wird, auf dem die männlichen Machtspiele gespielt werden.
Der Fall Fehmida und Allah Bux hat die pakistanischen Frauen aufgerüttelt und zur Entstehung einer zusammenhängenden Frauenbewegung in Pakistan geführt. Die Frauen, die das WAF gründeten, kamen hauptsächlich aus der Mittel- und Oberschicht; viele von ihnen waren Töchter und Enkelinnen der Frauen, die an der pakistanischen Nationalbewegung beteiligt gewesen waren. Zum ersten Mal seit der Gründung Pakistans fühlten die Frauen dieser Klasse sich in ihren eigenen persönlichen Freiheiten bedroht. Das war hauptsächlich auf die Tatsache zurückzuführen, daß das Bündnis zwischen denen, die für die Rechte der Frauen eintraten, und den Führern der pakistanischen Nationalbewegung, die später zu einem Teil der politisch herrschenden Klasse wurden, zerbrochen war. Der durch General Zias Frauenpolitik verursachte Wandel führte zu der Erkenntnis, daß die Frauen selbst mobilisiert werden mußten, und daß die Lage der Frauen zunehmend unsicherer werden würde, wenn sich nicht eine große Zahl von Frauen ihrer Rechte bewußt werden würde.
Der Fall Fehmida und Allah Bux mobilisierte die Frauen, aber das vorgeschlagene Beweisrecht brachte sie dazu, ihren Protest öffentlich zu machen. Im April 1982 schlug der Rat für Islamische Weltanschauung ein neues, in Übereinstimmung mit dem Islam stehendes Zeugengesetz vor, daß das alte Gesetz von 1872 ersetzen sollte. Nach diesem Gesetz sind für den Beweis eines Verbrechens zwei männliche Zeugen nötig; wenn keine zwei männlichen Zeugen zur Verfügung stehen, sind ein männlicher und zwei weibliche Zeugen erforderlich. Das heißt mit anderen Worten, daß die Frau den Rechtsstatus eines »halben Mannes« erhält.
Das WAF griff dieses Problem mit dem Ziel auf, sowohl bei der Regierung Protest einzulegen als auch die Frauen über die Auswirkungen und die Bedeutung des Gesetzes zu informieren. Als die Rechtsanwältinnenvereinigung des Punjab im Februar 1983 dazu aufrief, zum Obersten Gericht des Punjab zu marschieren, um dort im Namen der Frauenorganisationen ein Memorandum zu überreichen, erreichte die Kampagne ihren Höhepunkt.
Was folgte, war in der kurzen Geschichte Pakistans noch nie dagewesen. Über 500 männliche und weibliche Polizisten kesselten 300 Frauen in einer der Hauptdurchgangsstraßen von Lahore ein. Die Frauen durchbrachen die Polizeisperre und versuchten weiterzugehen. Die meisten wurden gefaßt, geschlagen, die Straßen entlanggezerrt und in Polizeiwagen zusammengepfercht. Die Frauen, die bis zum Obersten Gericht durchkamen, wurden dort von männlichen Rechtsanwälten mit Girlanden empfangen.
Die Demonstration vom 12. Februar hatte einen ungeheuren Einfluß auf die Frauenbewegung. Die Politiker und die Regierung, die Linken und die Ultrarechten waren gezwungen, die Forderungen der Frauen zur Kenntnis zu nehmen. Für die Frauen selbst war es eine befreiende Erfahrung. Sie waren der Gewalt der Polizei gegenübergetreten, waren verhaftet worden und hatten es erfolgreich durchgestanden.
Wie der Begriff »Bewegung« andeutet, ist der Kampf der Frauen um ihre Rechte, der letzten Endes ein Ringen um eine nicht-patriarchale Gesellschaftsordnung ist, sowohl ein Entwicklungsprozeß als auch ein Machtkampf. Es ist der Frauenbewegung im Lauf der Jahre gelungen, unterschiedliche Meinungen zu Strategiefragen oder Themenschwerpunkten zu akzeptieren, ohne sich zu spalten. Ein Ergebnis kritischer Selbstanalysen war die Gründung kleiner Frauenorganisationen, die sich mit spezifischen Problemen der Frauenforschung beschäftigen. Die Arbeit wird jetzt also auf verschiedenen Ebenen durchgeführt — innerhalb der größeren Plattform des WAF, die als übergreifende und repräsentative Organisation stärker im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptablen agiert, und in kleineren Frauengruppen, die unkonventionellere und stärker feministische Perspektiven verfolgen können.
Am 29. Mai 1988 setzte Zia-ul-Haq seine vor drei Jahren ernannte Zivilregierung ab und löste das Marionettenparlament mit der Begründung auf, daß die Regierung korrupt und unfähig sei und sie das Ideal einer islamischen Gesellschaftsordnung, wie sie im Koran festgelegt ist, nicht engagiert genug zu verwirklichen suche. Diese tyrannische Machtdemonstration wurde durch einen Verfassungszusatz legitimiert, den der General zwei Jahre zuvor selbst eingeführt hatte.
Ungefähr zwei Wochen später, am 15. Juni, wandte Zia sich wiederum an die Nation. Diesmal verkündete er die Shariat-Verordnung. Die Sharia ist das sozio-religiöse Gesetz des Islam. Verständlicherweise versetzte diese Ankündigung engagierten Frauen und Männern einen Schock, und alle Frauenorganisationen begannen an sofortigen Gegenmaßnahmen zu arbeiten. Bei Protestmärschen wurden Frauen in den Straßen von Karachi, Lahore und Peshawar von Sondereinheiten der Polizei niedergeknüppelt und verhaftet. Auch Tränengas wurde eingesetzt. Die Frauenbewegung startete öffentliche Aufklärungsaktionen und bereitete Diskussionsgruppen und Versammlungen vor. Zias Tod setzte diesen Aktivitäten ein Ende, und eine neue Phase begann in der Geschichte Pakistans.
Am 16. November 1988 wurden in Pakistan zum ersten Mal nach elf langen Jahren allgemeine Wahlen abgehalten, und am 1. Dezember wurde Benazir Bhutto die erste weibliche Premierministerin der modernen islamischen Welt. Die Wahlen bedeuteten zweifellos das Ende der Militärdiktatur, und Benazirs Machtübernahme symbolisierte das Ende einer aggressiven und legalisierten Kampagne gegen Frauen und demokratische Normen.
Die Frauenbewegung reagierte mit einer Mischung von Aufregung und Vorsicht auf diesen Wandel. Sicher war jetzt eine Frau an der Macht, aber das hatte es schon öfter gegeben und mußte nicht notwendigerweise bedeuten, daß bessere Zeiten für Frauen kommen würden. Die politische Lage Pakistans wird dadurch kompliziert, daß Benazirs Partei zwar die Wahlen gewonnen hat, aber in den gesetzgebenden Gremien keine Zweidrittel-Mehrheit besitzt. Die Lobby der Fundamentalisten ist nicht bereit, die Macht aufzugeben und erpreßt die Regierung, indem sie weiterhin die islamische Karte ausspielt. Die Bedrohung durch die Shariat-Verordnung besteht weiterhin, und auch Benazir benutzt die religiöse Terminologie, um diejenigen, die in der Opposition einen harten Kurs einschlagen, zu beschwichtigen.
Soweit es die Frauenbewegung betrifft, hat es keinen entscheidenden Wandel in der Gesellschaft oder in der Gesetzgebung gegeben. Tatsächlich ist die Lage für Frauen jetzt sogar schwieriger geworden, da der Feind nicht mehr so leicht zu identifizieren ist. Da jetzt eine Frau an der Regierung ist, muß die Frauenbewegung einen Drahtseilakt vollführen, um das richtige Maß zwischen Protest und Unterstützung zu finden. Die pakistanischen Frauen stehen jetzt vor der Aufgabe, neue Strategien und Methoden in ihrem Kampf um einen revolutionären Wandel der Position der Frau in der Gesellschaft, am Arbeitsplatz und in der Familie zu entwickeln.
Aus dem Englischen von Maren Klostermann