Frauen in der traditionellen Gesellschaft Koreas
Der Wandel der traditionellen koreanischen Gesellschaft von der durch Schamanismus, Taoismus und Buddhismus geprägten Lebensweise zur neokonfuzianischen Gesellschaftsordnung [1] fand beim Übergang zur Yi Dynastie (1392-1910) im 14. Jahrhundert statt. Die patriarchalische Struktur der koreanischen Gesellschaft hatte sich schon vorher ausgebildet, doch die Stellung der Frauen war vor dem Übergang zum Neo-konfuzianismus noch relativ gleichberechtigt. Die Produktionssphären von Männern und Frauen waren in verhältnismäßig gleichwertige Bereiche getrennt, wobei die Frauen in ihrer Sphäre das Sagen behielten. Das allgemeine kulturelle Leben in den Dörfern wie auch der herrschenden Schichten wurde entscheidend von Frauen mitgestaltet.
Durch den Neokonfuzianismus verschob sich der Lebensrahmen von der Stammes- bzw. Dorfgemeinschaft zur Familie bzw. zum Familienclan als Mikrokosmos der Gesellschaft, die ebenso wie die Familie eine hierarchische Ordnung mit einem strengen Verhaltenskodex erhielt, der insbesondere die Frauen fesselte. Die Ansprüche an die Qualität und Tugend, Sanftheit wie Treue der Ehefrauen als Quelle für das Wohlergehen der Familie wurden völlig überhöht. Im krassen Gegensatz hierzu wurde die Frau dem Diktat von Ehemann und Söhnen (nach dem Tod des Ehemanns) kompromißlos untergeordnet und gesellschaftlich sehr niedrig geachtet. Jede ihrer Verhaltensweisen wurde reglementiert. Sie wurde verheiratet, ohne gefragt zu werden, und mußte sich in die Familie ihres Mannes einordnen. Sie durfte auch dann nicht zu ihrer eigenen Familie zurückkehren, wenn sie schlecht behandelt wurde. Als Witwe durfte sie nicht wieder heiraten. Es gab sieben Regeln;[2] wenn eine Ehefrau diese nicht einhielt, wurde sie bestraft bzw. verstoßen. Neben der Treue und Sanftheit war die wichtigste Tugend für Frauen die Unwissenheit, deshalb wurde ihnen der Zugang zu Bildung und »Wissenschaft« untersagt.
Die neokonfuzianische Ordnung wurde während des gesellschaftlichen Zerfalls im vergangenen Jahrhundert durch Volksaufstände, insbesondere die Donghak-Bewegung [3] in Frage gestellt. Sie proklamierte die Gleichberechtigung der Menschen von Geburt an. Frauen sollten sich wieder verheiraten dürfen. Außerdem sprach man sich gegen den Verkauf von Töchtern und die Frühheirat von Mädchen aus. Zahlreiche Frauen schlössen sich dieser Bewegung an und gingen auf die Straße, um gegen Ausbeutung und frauenfeindliche Normen zu demonstrieren. Eine der wichtigsten Forderungen war die formale Schulbildung für Mädchen, die erstmals 1883 von der amerikanischen Missionarin Scranton vorgeschlagen wurde. Zunächst fand ihr Vorhaben keinen Widerhall, aber schließlich gelang ihr die Gründung der Mädchenschule Eh Wha Hak Dang, die sich zur heutigen Eh Wha Frauenuniversität weiterentwickelte. Durch die formale Bildung bekamen Frauen immer mehr Selbstbewußtsein, das dann im Rahmen der nationalen Befreiungsbewegung gegen die japanische Kolonialherrschaft verstärkt wurde.
Frauenbewegung unter der
japanischen Herrschaft (1910-1945)
Nach der Kolonialisierung Koreas durch Japan entwickelte sich die Frauenbewegung in Korea zunächst als Bestandteil der nationalen Befreiungsbewegung. Erst allmählich erweiterten sich ihre Arbeitsbereiche und Programme. Alle Frauengruppen waren sich einig in der Forderung nach der Schulbildung für Mädchen und der Aufhebung gesellschaftlicher Mißstände. Eine große Kluft bestand jedoch zwischen sozialistisch und eher bürgerlich orientierten Gruppen. Erstere engagierten sich für Streiks der Arbeiterinnen mit Forderungen für Lohnerhöhungen und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sie waren viel radikaler in ihren Zielen. Dagegen blieben viele bürgerliche Frauen bei der Forderung nach Bildung stehen. Trotz des starken Engagements der Frauen blieben die Frauengruppen in jener Zeit den männlichen Gruppen noch stark untergeordnet. Oft führten sie nur deren Anweisungen aus. Bei der Auflösung von politischen männlichen Gruppen wurden auch die Frauengruppen aufgelöst. Ein Beispiel dafür war »Kun U Hoe«, in der sich bürgerliche und sozialistische Frauen vereinigten.
Obwohl die koreanischen Frauengruppen wenig Kontakte mit dem Ausland hatten, wurden ihre Ziele und auch der Lebensstil gebildeter Frauen in den Städten von modernen Entwicklungen in Japan beeinflußt. Japan war das erste Land in Asien, das intensiv mit westlichen bürgerlich-liberalen wie auch sozialistischen und kommunistischen Ideen in Berührung gekommen war. Koreanische Männer und Frauen, die in Japan studiert hatten, verkörperten neue Ideale und galten als Vorbilder für ein besseres Leben. Viele sind jedoch im harten Gegensatz zur japanischen Kolonialmacht gescheitert. Andere kollaborierten mit den Japanern.
Korea wurde in den dreißiger Jahren im Krieg gegen China zum Brückenkopf und im Übergang zum Zweiten Weltkrieg zur Kriegsreserve. Hunderttausende mußten mit den Japanern an die Front, darunter über 200 000 Koreanerinnen, die für »persönliche Dienste« für die japanischen Soldaten bestimmt waren. Die koreanische Bevölkerung war schockiert, doch es gab auch einflußreiche Koreanerinnen, die die Zwangsprostitution an der Front als gute »Taten« für den japanischen Kaiser propagierten. Der Krieg reichte auch tief in die Lebenssphäre der daheimgebliebenen Frauen. Viele mußten die Arbeit ihrer rekrutierten Männer ersetzen oder in Fabriken arbeiten gehen. Die alte, neo-konfuzianische Ordnung wurde daher gründlich erschüttert.
Teilung des Landes, Korea-Krieg und
Umbruch der koreanischen Gesellschaft (1945-1960)
Nach der Niederlage der Japaner wurde Korea durch die USA und die Sowjetunion besetzt.[4] Der Übergang zur Unabhängigkeit sollte schrittweise erfolgen, doch im aufkommenden Kalten Krieg war die Teilung in einen sozialistischen Norden und einen von den USA abhängigen, antikommunistischen Süden nur eine Frage der Zeit. Das Machtvakuum, das die Japaner hinterlassen hatten, wurde im Norden von der kommunistischen Partei und im Süden von konservativen, militärischen und korrupten Kräften unter Führung von Syngman Rhee mit der Unterstützung der USA übernommen. Das japanische Vermögen wurde unter äußerst undurchsichtigen Bedingungen von wenigen Familien Südkoreas übernommen, nur die Landreform, mit einer relativ egalitären Vergabe des Landes schien ein Lichtblick zu sein.
Die Frauen Südkoreas waren durch die wirtschaftlich harte Kolonialzeit gut vorbereitet, um auch in den Wirren der 40er und 50er Jahre ihren »Mann« zu stehen. Im Zeichen der Not wurde ihre ökonomische Bedeutung weiter gestärkt. Ihre kulturelle Emanzipation wurde nun durch die Flut amerikanischer Ideale und Werte im Positiven wie Negativen überformt. Die sozialistisch orientierte Frauenbewegung war in den 40er und 50er Jahren im Süden Koreas weitgehend verschwunden, sie mußte der antikommunistischen Verfolgung durch Flucht in den Norden entgehen. Nach der Befreiung von der japanischen Unterdrückung bildete sich eine neue, eher bürgerliche Trägerschicht heraus, die stark christlich und durch die USA geprägt war.
Infolge der westlich orientierten Verfassung wurden viele bürgerliche Grundrechte eingeführt, wie die formelle Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen. Im Rahmen der amerikanischen Kulturpolitik wurde ein neues Erziehungssystem [5] aufgebaut, das Mädchen vergleichsweise viele Chancen gab und im Rahmen des traditionellen Bildungsethos eifrig genutzt wurde. So entstand trotz der korrupten Herrschaft eine neue Gesellschaftsstruktur mit neuen Schichten. Die Übernahme amerikanischer Werte ermutigte viele Frauen Koreas zu einer Karriere in der »neuen« Gesellschaft. Die Zahl politisch aktiver Frauen wuchs, einige erreichten sogar Ministerämter. Ihr politisches Engagement hatte vorwiegend persönliche Motivation, doch folgten sie weitgehend den politischen Interessen ihrer männlichen Kollegen. Durch den Einzug vieler Frauen ins politische Leben wurde ein neues Zeichen gesetzt; das traditionelle Bild — die Politik sei Sache der Männer —, geriet durcheinander. Die politisch hervorgetretenen Frauen beeinflußten in erster Linie die Meinungsbildung hinsichtlich der Erziehung und Frauenpolitik. Diese Politik war aber auf die Städte und Zentren ausgerichtet, obwohl der größte Teil der Bevölkerung in den ländlichen Gegenden lebte. Entsprechend wurden die Landfrauen herzlich wenig tangiert.
Frauen im Zeichen des »koreanischen Wirtschaftswunders«
Nach dem Waffenstillstand (1953) konsolidierte sich die gesellschaftliche Situation Südkoreas nur sehr langsam. Die Konflikte wuchsen, heftige Studentendemonstrationen erschütterten das Land. Schließlich sah sich Syngman Rhee zum Rücktritt gezwungen. Nach einer kurzen demokratischen Phase mit heftigen nationalen Auseinandersetzungen ergriff Park Chung-Hee 1962 die Macht nach einem Militärputsch und errichtete eine Militärdiktatur, die sich 1972 im Rahmen der sogenannten Yu-Shin Verfassung (Erneuerung)[6] Legitimität zu schaffen versuchte. Kennzeichnend für die Aera Park Chung-Hee waren totaler Anti-kommunismus und rigide Unterdrückung jeglicher demokratischer Opposition. Die Gefängnisse füllten sich und die Studentenrevolten wurden brutal niedergeworfen. Erst Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre zeigte die Diktatur Auflösungserscheinungen. Die demokratische Bewegung war nach und nach breiter geworden, bis schließlich Park Chung-Hee vom Geheimdienstchef ermordet wurde. Die kurze demokratische Phase 1980 wurde erneut durch einen Militärputsch durch Chon Dow-Han unterbrochen. Heute befindet sich Südkorea im schwierigen Wandlungsprozeß zu einer zeitgemäßeren Demokratie, die aber durch die Gefahr von Rückschlägen ständig bedroht ist.
Der demokratische Widerstand gegen die Militärdiktatur wurde natürlich auch von Frauen getragen, doch von größerer Bedeutung ist die Differenzierung der koreanischen Gesellschaft und der Beitrag der Frauen im Zeichen des »koreanischen Wirtschaftswunders«. Mit Park Chung-Hee begann das sogenannte »koreanische Entwicklungsmodell« einer äußerst konzentrierten Exportdiktatur. Durch Gesetze, Preisregulierungen, polizeiliche und militärische Maßnahmen wurden niedrige Löhne und »Arbeitsfrieden« für ein frühkapitalistisches Entwicklungsmodell sichergestellt, in dem Frauenarbeit in Leichtlohngruppen eines der herausragendsten Merkmale ist. Es gibt kaum ein Industrialisierungsmodell, wo so viele junge Mädchen unter härtesten Bedingungen in Fabriken der Textil- und Elektronikindustrie zum Aufbau einer Industrie beigetragen haben. Zu Hause schöpften die Frauen alle Möglichkeiten ihrer Subsistenz aus, um ihre Familien bei den niedrigen Löhnen durchzubringen. Bauern und Bäuerinnen versorgten das Land trotz billiger Lebensmittelpreise weitgehend mit Lebensmitteln und jungen Arbeitskräften. Schließlich basiert das »Wunder« auf vielen tausend jungen Krankenschwestern und Bergarbeitern, die nach Europa bzw. Amerika geschickt wurden, und von deren Heimatüberweisungen z.B. Maschinen gekauft werden konnten, sowie auf tausenden von Mädchen, denen als einzige Lebensalternative die Arbeit in Bars und Bordells in Japan und Korea blieb, wodurch japanische Devisen ins Land kamen.
Die Bewegung der Arbeiterinnen erfuhr bereits in den 70er Jahren auf eher individueller Ebene Unterstützung von seiten der studentischen Bewegung. Manche Studentinnen gingen in die Arbeitswelt, sie studierten gemeinsam mit den Arbeiterinnen die ihnen gesetzlich zugesicherten Rechte und kämpften für deren Einhaltung. Diese Studentinnen waren eine Art Verbindungsglied zwischen den Arbeiterinnen, den intellektuellen Frauen und der Frauenbewegung. Die Mehrheit der intellektuellen Frauen kümmerte sich aber kaum um die Arbeiterinnen. Erst in den letzten Jahren kam es zu einer stärkeren Einbeziehung der Arbeiterinnenbewegung in die allgemeine demokratische Bewegung und umgekehrt.
Wenig Beachtung fand auch die Bewegung der Bäuerinnen, die in den kleinen Dörfern besonders vereinzelt waren, die sich aber seit Anfang der 80er Jahre verstärkt organisieren. Bis heute gehen nur vereinzelt Frauen aus der Stadt aufs Land, um mit den Bäuerinnen zusammenzuarbeiten. Die Bäuerinnen kämpften für ihr Überleben im Rahmen der Agrarpreispolitik. Durch die schlechte Ernährungssituation und harte körperliche Arbeit leiden mehr als 60% der Bäuerinnen an chronischen Krankheiten. Da die medizinische Infrastruktur im ländlichen Gebiet weitgehend fehlt und Behandlungskosten selbst aufgebracht werden müssen, geht die Landbevölkerung selten zum Arzt.
Das »koreanische Wirtschaftswunder« brachte unter den Frauen auch Gewinner hervor. Eine beträchtliche Zahl partizipierte am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg ihrer Schicht und identifizierte sich mit den Zielen Park Chung-Hees. So entstanden auch regierungskonforme, finanziell unterstützte Frauengruppen. Manche dieser Frauen machten politische »Karriere«. Als Beispiel können 10 Parlamentarierinnen genannt werden, die von Park Chung-Hee direkt ernannt wurden. Zwei weitere wurden noch vom Volk gewählt, so daß in den 70er Jahren immerhin 5,6% der Parlamentarier Frauen waren. Dies war der höchste Anteil in der bisherigen koreanischen Geschichte. Aber diese Parlamentarierinnen übten mehr oder minder eine Alibifunktion aus.
Trotz vieler berechtigter Kritiken muß als positiv vermerkt werden, daß während der Ära Park Chung-Hee ungewöhnlich viele Mädchen Zugang zu formeller Bildung und insbesondere auch zur höheren Bildung erhielten. Schließlich hat die Industrialisierung Koreas auch zu einem Aufbrechen der gesellschaftlichen Strukturen geführt, obwohl der Grad der Demokratisierung bis heute weit hinter dem industriellen Entwicklungsstand hinterherhinkt.
Da die radikaldemokratische Bewegung so unnachgiebig unterdrückt wurde, orientierte sich die Frauenbewegung eher auf unverfängliche Randbereiche, die aber auch den Kampf für Sozial- und Menschenrechte beinhalteten. Christliche Vereinigungen bildeten oft einen wichtigen Rahmen. Als weitere Tätigkeitsbereiche der Frauenbewegung können genannt werden:
- Die Änderung in der bürgerlichen Gesetzgebung: Zwar wurde die Verfassung nach der Befreiung (1945) neu verabschiedet, aber das diesbezügliche Gesetz konnte auf Grund des Korea-Krieges nicht durchgeführt werden. Erst 1958 wurde der erste Entwurf für Änderungen im bürgerlichen Recht vorgelegt. In diesem Gesetz blieb die unterschiedliche Stellung von Mann und Frau z.B. in Hinblick auf die Erbschaft zuungunsten der Frau bestehen, so daß das in der Verfassung vorgesehene Gleichberechtigungsprinzip nicht erfüllt wurde. Dank der Bemühungen der koreanischen Frauenbewegung und engagierter Parlamentarierinnen wurde ein Teil der bürgerlichen Gesetzgebung 1977 zugunsten der Frauen geändert. Im weiteren hat auch der Einsatz von Frauen für ihre Rechte Gesetzesänderungen zur Folge. 1985 wurde einer 25jährigen Frau, die gerade geheiratet hatte, ihre Arbeitsstelle gekündigt. Eine solche Behandlung war bis dahin gang und gäbe, und deshalb verheimlichten viele Frauen ihre Heirat, bis sie schwanger wurden. Dieses Mal legte die Frau gerichtlich Klage ein — ohne Erfolg. Daraufhin gingen Frauen mit dem Spruch »Wir wollen nicht bereits mit 25 Jahren in Rente gehen« auf die Straße. 1988 trat das diesbezügliche Gesetz in Kraft.
- In den 80er Jahren setzten sich immer mehr Frauen mit frauenspezifischen Mißständen auseinander. Ein Beispiel ist das Problem der Vergewaltigung, die von den betroffenen Frauen meist verheimlicht wird, weil die vergewaltigten Frauen in der Gesellschaft geächtet werden, da sie nicht mehr dem Prinzip Jungfräulichkeit genügen. 1983 wurde das Komitee »Women's Hotline« für die Beratung betroffener Frauen und die Zusammenarbeit mit ihnen gegründet. 1984 wurden sexuelle Mißhandlungen von Studentinnen bekannt, eine große Kampagne wurde veranstaltet. 1986 wurden weibliche politische Gefangene sexuell gefoltert. Frauen wollten dies nicht mehr dulden und gingen gegen die Militärregierung vor, die solch menschenunwürdige Praktiken angewendet hatte. Es wurde ein »Komitee für Gegenmaßnahmen zur sexuellen Folterung« gegründet.
- Im Rahmen der staatlichen Tourismusförderung [7] entwickelte sich seit den 70er Jahren der Sextourismus, der die Menschenwürde der Frauen verletzt. Die »Korea Church Women United« startete während der Vorbereitung der Olympischen Spiele eine Kampagne, die sie auf die Drohung der Regierung hin abbrechen mußte. Sie konnte nur auf moralischer Ebene auf die mit dem Sextourismus verbundenen Probleme und die AIDS-Gefahr durch die ausländischen Gäste hinweisen. Ein »Rehabilitationszentrum« für Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, konnte wegen fehlender Finanzen noch nicht realisiert werden.
- Die Frauenbewegung der 80er Jahre begründete auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Neben der großen Anzahl der auf Privatebene initiierten Frauenstudiengruppen wurde auf Regierungsebene das Frauenentwicklungsinstitut (Korean Women's Development Institute) im Oktober 1984 gegründet. An den Universitäten wurden mehr und mehr auf Frauen bezogene Themen angeboten und Forschungsinstitute eingerichtet, z.B. 1982 eine Fakultät für das Frauenstudium mit Magistergrad an der Frauenuniversität Eh Wha.
Eine gute Ausbildung bedeutet nicht nur gesellschaftliches Prestige, sondern entscheidende berufliche und finanzielle Vorteile. Die Eltern versuchen, ihren Kindern eine möglichst hohe Ausbildung zu ermöglichen, auch wenn die Schulgelder (mit Ausnahme der Grundschule) privat aufgebracht werden müssen. Heute sind mehr als 90% der Bevölkerung alphabetisiert. Die Anzahl der Studentinnen stieg: 1965 stellten Mädchen einen Anteil von 33,5% und 1983 von etwa 41% aller Schüler und Studenten (diese Zahl beinhaltet die Studentinnen mit einem zweijährigen pädagogischen und einem dreijährigen »College«-Studium). Unter den Studienrichtungen bildet der pädagogische Hochschulbereich den Hauptanteil mit 84% (1983). Der Anteil der an der Universität beschäftigten Frauen betrug 1983 nur 17% und der Professorinnen weniger als 3%. Die Akademikerinnen gehen nach dem Studium weniger einer Tätigkeit nach als die Frauen mit Fachhochschulabschluß oder Abitur. Der Grund scheint mir, daß sich die Frauen mit ihrem Studienabschluß im Heiratsalter befinden und viele von ihnen ihr Studium nicht als »Qualifikation« für ihren Beruf sehen, sondern als ein Ticket für eine standesgemäße Heirat.
Die heutige Frauenbewegung
Das gesellschaftliche System ist seit alters her zentralistisch aufgebaut und orientiert sich an der herrschenden Elite, die vorwiegend von Männern bestimmt wird. Die politische Aktivität ist besonders stark durch hierarchische Denkweisen geprägt, die immer noch auf der konfuzianischen Tradition fußen. Die regierenden Schichten hatten ihre Machtmittel weitgehend ohne Kontrolle und Korrektive von unten monopolisiert. Viele dieser Elemente sind auch innerhalb der Frauenbewegung zu beobachten. Die frühere städtische Frauenbewegung orientierte sich an von Männern dominierten politischen Gruppen. Oft wurde die Arbeit von Frauengruppen nach außen von Männern vertreten. Auch innerhalb der Frauengruppen herrschte eine klare hierarchische Ordnung, die erst in den 80er Jahren, im Zuge der Demokratisierung des Landes weitgehend erschüttert wurde. Die junge Generation der Frauen wird sich ihrer Probleme durch höhere Ausbildung und Erfahrungen in politischen Aktivitäten immer bewußter und lehnt autoritäre Strukturen immer mehr ab. Jüngere Frauen können ihre Vorstellungen klarer ver-balisieren und lassen sich ungern von oben ihre Ziele und Aufgaben diktieren.
Früher war die Frauenbewegung eine Angelegenheit intellektueller Frauen der städtischen Mittelschicht, heute nehmen immer mehr Arbeiterinnen und Bäuerinnen teil. In vielen kleinen Städten wurden basisorientierte, autonome Frauengruppen gebildet, die ihre Aufgaben erweiterten. Sie bestimmen ihre Arbeit unabhängig, was zum Teil zu einer Zersplitterung führte. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre haben sich aber immer mehr Frauengruppen zusammengeschlossen. So wurde am 8.3.1987 der »Korea Frauen Verein« (han guk yo sung dan che yon hap) von 21 Frauengruppen und Organisationen gegründet, 1988 waren es bereits 24 Gruppen. Die Ziele des Vereins gehen weit über die traditionellen Forderungen hinaus: von der Unterstützung für arme Frauen und die politische Bewegung, bis hin zu Feldern, die vor kurzem noch als Tabuthemen galten.
Trotz des wachsenden Selbstbewußtseins der Frauen ist ihre Wirksamkeit in politischen Gremien noch gering. Bei der letzten, 13. Parlamentswahl wurden zwar einige der Frauen gewählt, die für die nationalen Wahlbezirke kandidierten, aber von den 13 Kandidatinnen für die lokalen Wahlbezirke keine. Die Interpretationen darüber gehen auseinander: Manche Frauen meinen, die Kandidatinnen konnten sich auf Grund ihrer finanziell schlechten Lage nicht gut auf die Wahl vorbereiten, während viele männliche Kandidaten zusätzliche Gelder mobilisierten. Andere meinen, daß die Frauen aufgrund ihrer langen Abwesenheit von der Politik nicht genügend Erfahrungen sammeln konnten, um das politische Geschäft richtig einzuschätzen. Nicht zu übersehen waren die Vorurteile, die sogar unter den Frauen zu spüren sind, die den Frauen die Fähigkeiten für die Politik absprechen.
Die westliche Kultur beeinflußt den Wandel in Korea und damit auch die Entwicklung der Frauenbewegung. Aber die Schwerpunkte und Arbeitsbereiche der koreanischen Frauenbewegung sind völlig-andere: Während sich die westlichen Frauenbewegungen in den letzten zwei Jahrzehnten mit den Problemen der Hausarbeit und der Männergewalt usw. auseindergesetzt haben, haben sich koreanische Frauen in der Zusammenarbeit für die Demokratisierung des Landes vereint. Westliche Frauen versuchen, die ihnen zugesprochenen Rechte in der Praxis durchzusetzen, während die koreanischen Frauen darin ihren Erfolg am Rande erleben und sich in erster Linie auf die demokratische Entwicklung des Landes konzentrieren. Daneben kämpfen die Arbeiterinnen und Bäuerinnen und die Frauen aus den armen Vierteln für ihr Überleben.
Themen wie Hausarbeit und die Bedeutung der Subsistenzproduktion werden auch in Südkorea diskutiert: einige Wissenschaftlerinnen versuchen, die Lage der Hausarbeit in Südkorea zu analysieren und auf dieser Basis eigene Theoreme zu entwickeln. Aber manches wird nicht debattiert oder gar abgelehnt, z.B. die Frage der Gewalt in Ehe und Familie. Nach den konfuzianischen Werten ist die Familie immer noch »unantastbar«; bis dieser Bereich politisiert wird, dauert es wahrscheinlich noch sehr lange. Heute gehen die koreanischen Frauen selbstverständlich auf die Straße und fordern die Demokratie. Aber wenn sie nach Hause kommen, haben sie die Gewaltfrage längst vergessen. Es gibt sicherlich inzwischen viele geschlagene Frauen, die die Scheidung durchsetzen, aber das ist nur ein verschwindender Anteil.
An der Entwicklung der Theoriediskussion in Südkorea zeigt sich, daß einerseits die Ideen und Ziele der westlichen Frauenbewegung eine begrenzte Anwendung in Südkorea finden, andererseits ein Konflikt zwischen den eigenen und den westlichen kulturellen Wertvorstellungen besteht. Er wird verstärkt durch das polare Verhältnis zwischen horizontalem, frauenorientierten Schamanismus und Taoismus auf der einen und dem hierarchischen, vertikalen und männerorientierten Kon-fuzianismus auf der anderen Seite. Diese beiden Pole bilden eine Einheit in den Wertvorstellungen, wenn auch die konfuzianische Geisteskultur in vieler Hinsicht bis heute dominant ist. Die koreanische Geisteskultur wiederum stößt auf die importierten, materiell, analytisch und individuell orientierten Denkweisen des Westens. Im westlichen Denken wird der gesellschaftliche Wandel viel stärker als antagonistischer Kampf verstanden. Das gilt ganz besonders für große Teile der politischen Bewegungen und auch der Frauenbewegungen. Meiner Ansicht nach könnten sich die östliche und westliche Geisteskultur in der Frauenbewegung in Korea ergänzen. In der heutigen Gesellschaft Koreas, in der die Dominanz der Männer überall präsent ist, brauchen die Frauen eine radikale Frauenbewegung, um Fesseln zu sprengen und etwas in Bewegung zu setzen. Die westliche rationale und analytische Denkweise kann dafür von großer Bedeutung sein. Eine neue Qualität kann nur erreicht werden, wenn es gelingt, den schweren Weg zwischen östlichem Denken und westlichen Impulsen zu begehen.
Die heutige Frauenbewegung ist ein Bündel von bunten Gruppen, deren Inhalte und Arbeitsmethoden sehr unterschiedlich sind. Mit ihrer Vereinigung bewirkt die heutige Frauenbewegung den Wandel der Gesellschaft in vieler Hinsicht. Doch diese Einheit hat noch keine festen Wurzeln geschlagen und hat gerade einige grüne Blätter bekommen. Die Frauenbewegung wird sich in der nächsten Zeit in der komplexer werdenden Gesellschaft und der relativ »demokratischen« Lage, wie andere politische Gruppen, auch mit anderen Problemen als bisher beschäftigen. Dabei rückt die Debatte über die Vereinigung Koreas in den Vordergrund. In den 80er Jahren hat in der Bevölkerung die Diskussion über die Vereinigungspolitik angefangen, worüber bis dahin nur auf staatlicher Ebene diskutiert wurde. Studenten und politische Opponenten setzen sich dafür ein, daß die Vereinigungspolitik auf der Basis der Masse der Bevölkerung, der Nation und der Selbstbestimmung durchgeführt werden sollte. Die Frauenbewegung hat inzwischen dieses Problem aufgegriffen und sieht, daß die Vereinigung auch der Frauen ohne Vereinigung des Landes nicht möglich ist. Seit dem Korea-Krieg (1953) sind keine Besuche, kein Briefverkehr möglich. Um diese Trennung zu
überwinden, sollten wir Koreanerinnen unabhängig von der Weltanschauung zusammenkommen und für die Unabhängigkeit und Einheit der Nation gemeinsam eintreten. Eine wichtige Voraussetzung ist der freie gegenseitige Besuch und Informationsaustausch. Die Frauenbewegung hat hierfür auch in Zukunft vieles zu leisten.
Die Perspektive der Frauenbewegung abzuschätzen ist aus der momentanen Situation nicht einfach, denn die Demokratie hat sich in begrenztem Ausmaße durch die freie Präsidenten- und Parlamentswahl durchgesetzt. Die Frauenbewegung, die während der Präsidentenwahlperiode und vor den Olympischen Spielen den Höhepunkt erreicht hat, scheint eine Ruhepause eingelegt zu haben. Das soll nicht bedeuten, daß sie stagniert. Um die Frauenbewegung auf der nächsten Stufe fortzuführen, sollte ein Konzept erarbeitet werden, das möglichst alle Schichten von Frauen umfaßt. Dazu sollten die Frauen gemeinsam überlegen, wie sie weiter miteinander arbeiten, Handlungsspielräume der kleinen autonomen Gruppen auch behalten und nach ihren Bedürfnissen entfalten können. Auf dieser Basis können die Frauen eine Einheit auf der demokratischen und freiwilligen Ebene bilden und sich damit identifizieren.
Arbeiterinnenbewegung in Südkorea
Persönliche Vorbemerkung
Obwohl ich mich zur Arbeiterinnenbewegung zugehörig fühle und betroffen bin, kann ich nicht wie Frigga Haug (1988) meine Betroffenheit in der »Wir-Form« zum Ausdruck bringen. Ich lebe in zwei Welten bzw. Kulturen, in Europa und Asien; wenn ich in der »Wir-Form« schreibe, so meine ich damit die westdeutschen Frauen und die Frauen in Korea.[8] Dies bringt meine Zerrissenheit zum Ausdruck. Um die feministische Theorie in die Praxis einzubetten, muß ich meine Theoriebildung an der Basis orientieren, mit betroffenen Frauen Fragestellung, Arbeitsweisen und Strategien entwickeln. Dies ist nicht immer einfach, da es enorme Anstrengungen erfordert. Ich habe dies beim Organisieren der Rundreise der zwei Arbeiterinnen aus Korea erlebt; die Erwartungen der eingeladenen Frauen und der Frauen in der BRD waren völlig unterschiedlich. Es war mir nicht möglich, die Probleme zu artikulieren und zu vermitteln.
Meine Beschäftigung mit der Arbeiterinnenbewegung entstand zum einen aus der drängenden politischen Notwendigkeit, zum anderen aus meiner eigenen Lebensgeschichte. Als Soziologin und ehemalige Arbeitsimmigrantin (ich kam 1970 als Krankenschwester nach West-Berlin) kann ich mich sowohl in die Situation der Arbeiterinnen versetzen als auch eine theoretische Perspektive entwickeln. Dieser Dualismus macht es für mich oft schwer, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Ich sehe zeitweilig die Gefahr, von mir und meiner eigenen Betroffenheit nicht Abstand nehmen zu können.
Einleitung
Das Entstehen der Arbeiterinnenbewegung in Korea ist im Zusammenhang mit der fremdbestimmten kolonialen Industrialisierung und den katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen zu sehen. Ich stelle hier nur die Situation der Arbeiterinnen von der Kolonialzeit (1910-1945) bis zur Industrialisierung (1960 bis heute) dar. Die Situation unter der amerikanischen Besatzung (1945-48), die für die soziale Bewegung eine wesentliche Rolle gespielt hat, fehlt in diesem Aufsatz. Ich möchte dazu nur einige Fragen aufwerfen: Wo waren die Arbeiterinnen und die Frauenbewegung während der amerikanischen Besatzungszeit? Standen sie im Schatten der amerikanischen Überschußproduktion, die sie bis Anfang der 60er Jahre kostenlos mit Lebensmitteln versorgte? Wie kam es, daß die koreanische soziale Bewegung erst zu Beginn der 80er Jahre diese Zeit kritisch reflektierte, diese Reflexion sich zum Antiamerikanismus wandelte?
Seit Mitte der 70er Jahre unterstützt die soziale Bewegung die Arbeiterinnen. Die jungen Frauen von der Akademie der Christen und von »Women's Studies« an den Frauenuniversitäten entwickelten zusammen ein Bildungsprogramm für die Arbeiterinnen. Diejenigen, die dieses Bildungsprogramm absolvierten, wurden in ihren Betrieben aktiv. Sie gründeten Gewerkschaften und setzten ihre Interessen durch (z.B. bei Y-H, Control-Data und in vielen Textilbetrieben). Sie sind heute tragende Kräfte der YONO, ein Arbeiterinnenverein, der seit 1987 in Iri, Pusan, Puchun und Seoul organisiert ist. In den 80er Jahren entstand die Boykottbewegung des akademischen Hausfrauenbundes, der zusammen mit streikenden Arbeiterinnen beschloß, keine Produkte der entsprechenden Unternehmen zu kaufen. Um politisch effektiver arbeiten zu können, vereinigten sich im Jahr 1987 22 Frauengruppen unter dem Namen YOYON. Der Kwang-zu-Minjung-Widerstand vom 18. Mai 1980 stellt einen Wendepunkt in der sozialen wie auch der Arbeiterbewegung dar. Parallel dazu forderte die Arbeiterinnenbewegung nicht nur die Sicherung der Existenz durch höhere Löhne, sondern auch politische Rechte.
Die Kolonialzeit 1919-1945
Die Entwicklung Koreas wurde durch die gewaltsame Integration in den japanischen Wirtschaftsraum als Kolonie geprägt. Korea lieferte billige Agrarprodukte, die Hälfte der Reisernte wurde nach Japan exportiert. Im Jahre 1944 waren 32% der koreanischen Arbeitskräfte in der japanischen Rüstungsindustrie tätig (Kim, Youngmo 1971). Es ist in der Welt wenig bekannt, daß der Atombombe der Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki auch zwangsdeportierte Arbeiter aus Korea zum Opfer fielen. Von der christlichen Frauenvereinigung KYO-YO wird die Zahl auf 50 000 Opfer geschätzt; von den 40 000, die heute noch an den Folgen leiden, lebt die Hälfte in Korea.
Japanische Imperialisten lockten über 200 000 Frauen aus den ärmsten Familien, vorwiegend Bauernfamilien, mit Arbeitsversprechungen von ihren Familien fort. Die Frauen mußten jung, gesund und unverheiratet sein, sie sind unter dem Namen Jongshindae als Prostituierte im chinesisch-japanischen Krieg in Kwandong eingesetzt worden. Ihre Spuren reichten bis Singapur. Diese Frauen wurden von der Polizei »Women's Spiritual Patriotic Service Corps« oder »Military Laundry Division«, später dann »Spiritual Service Corps« genannt. Eine Frau mußte pro Tag ca. 50 Soldaten »bedienen«. Nach dem Krieg konnten sie, wenn sie überlebten, aufgrund dieser Schande nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren.
Mit Beginn der totalen Assimilationspolitik 1931 verboten die japanischen Kolonialherren die koreanische Sprache im Schulunterricht. Die Koreaner »durften« ihre Familiennamen japanisieren, wer von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch machte, erhielt keine Lebensmittelkarten oder durfte seine Kinder nicht in die Schule schicken. Überreste dieser Namensgebung sind heute noch vorhanden, so z.B. bei den weiblichen Vornamen mit der Endung »za«. In Deutschland lebende Koreanerinnen transkribieren dies mit »ja« (z.B. Min-ja).
Im Jahre 1930 arbeiteten 46,9% der erwerbstätigen Frauen 12 Stunden pro Tag, nicht einmal 1% acht Stunden pro Tag. In der Textilindustrie arbeiteten sogar 82,2% der Frauen mehr als 12 Stunden pro Tag. Junge koreanische Arbeiterinnen hatten die längste Arbeitszeit und erhielten dafür den geringsten Lohn, ca. ein Sechstel des Lohns ihrer japanischen männlichen Kollegen (Lee, Hyo Che 1978). 23,3% der gesamten Industrie beschäftigten die Arbeiterinnen, ohne ihnen freie Tage zu gewähren. 68,7% der Industriearbeiterinnen bekamen 10 Tage im Jahr frei (ebd., 57f.). Die Zahl der Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten war entsprechend hoch.
Der Widerstand der Arbeiterinnen gegen die Kolonialherren war zunächst unorganisiert und von der spontan emotionalen Empörung über die unmenschlichen Lebensbedingungen getragen. Der Druck der Unternehmer auf die Arbeiterinnen war brutal: Fehlproduktionen wurden zu dieser Zeit vom Lohn abgezogen bzw. die entsprechenden Frauen wurden sogar mit Strafen belegt; trotz Kaufkraftverlust und Anstieg der Lebensmittelpreise wurden Lohnsenkungen vorgenommen. Der erste organisierte Widerstand von Arbeiterinnen fand im Jahr 1923 statt. Arbeiterinnen aus vier Gummifabriken, die außerhalb Seouls lagen (Kyung-soung, Headong, Bingu, Kyunhae), gründeten eine Gewerkschaft, die über 200 Frauen zählte. Um die Unterstützung anderer Gewerkschaften zu erreichen, organisierten sie Frauen-Veranstaltungen. Sie wandten sich gegen Lohnsenkungen und forderten die Entlassung der japanischen Vorarbeiter. Nach fünf Tagen Streik beschlossen sie einen Hungerstreik, da die Gummifabrikbesitzer Gegenmaßnahmen ergriffen hatten: Sie entließen die streikenden Arbeiterinnen und verhinderten deren Neueinstellung in anderen Betrieben.
Durch den Hungerstreik erreichten die Frauen eine landesweite Solidarität der Gewerkschaften. Sie bekamen Hilfe von vielen Frauenorganisationen, koreanischen Widerstandsgruppen und japanischen Sozialisten. Dadurch konnte ihr Streik erfolgreich beendet werden. Bis 1931 wurden dann sieben weitere, von Arbeiterinnen organisierte, eingetragene Gewerkschaften gegründet. Aus Zeitungsquellen geht hervor, daß es sogar noch mehr Arbeiterinnengewerkschaften gegeben haben muß (Dong-a-il-bo 1939). Ab 1931 verfolgten die Kolonialherren die Gewerkschaften wie auch die Sozialisten und verboten ihre Organisationen. Der Widerstand sollte im Keim erstickt werden. Die Arbeiterinnen konnten sich nur im Untergrund weiter organisieren. Die Gewerkschaftsfrauen richteten sich vor allem an städtische Fabrikarbeiterinnen. Zunächst sahen sie die Notwendigkeit des organisierten Widerstands gegen die brutale Ausbeutung der Kolonialherren, die sich besonders gegen Frauen richtete. Noch wichtiger war ihnen der Kampf um nationale Befreiung. Die Forderung »Gleichstellung mit den männlichen Kollegen« hatte demgegenüber nur zweitrangige Bedeutung.[9]
Industrialisierung
Die ökonomische Entwicklung und der Strukturwandel der Erwerbsbevölkerung im Industrialisierungsprozeß, der in den 60er Jahren einsetzte, veränderte die koreanische Gesellschaft drastisch. In nur einem Vierteljahrhundert wurde das Agrarland in einen Industriestaat umgewandelt. Die traditionellen Werte gingen verloren; alte Menschen wurden verachtet, Discotanz wurde modern, Coca-Cola wurde gern getrunken. Die Verlagerung der Arbeitsstätte vom Land zur Stadt verlief für den Mann reibungslos; dies wurde sofort als richtig und notwendig erkannt. Für die Frauen stellte sich die Entscheidung zwischen Familie und Beruf jedoch wesentlich schwieriger dar. Eine Mitwirkung am Produktionsprozeß ist für die Frauen meist nur innerhalb des Hauses möglich. Daher gibt es viele Firmen, die, auf Verlagsarbeiter angewiesen, sich an Hausfrauen wenden. Frauen, die in Heimarbeit beschäftigt sind, werden noch geringer entlohnt als Fabrikarbeiterinnen. Dazu kommt noch, daß sie nicht sozialversichert sind. Heimarbeit wird weder in den Sozialwissenschaften noch in der Frauenbewegung thematisiert. Daher gibt es auch keinerlei Organisationsansätze, um die Rechte dieser Frauen durchzusetzen. Übliche Aktionen der Unternehmen bei Streiks sind die Scheinschließungen der Produktionsstätten. Sind die Produktionsmittel mobil (wie z.B. in der Textil- und Elektroindustrie), so wird die Arbeit in Heimarbeit fortgesetzt.
Eine von den »Notruf-Frauen« gestartete Umfrage auf der Straße in einem renomierten Viertel Seouls spiegelt die Ansichten vieler Koreaner wider. »Was halten Sie von der Gleichberechtigung der Frauen am Arbeitsplatz?« Die Antwort von meist jüngeren Männern auf diese Frage war: »Gleichberechtigung ist ja selbstverständlich, aber meine Frau darf nicht arbeiten gehen« (Dong-a-il-bo 16.2.1987). Wenn eine Frau nach der Heirat ihrem Beruf nachgeht, heißt es in Korea: Sie hat sich nicht gut verheiratet. Diese Atmosphäre diskriminiert die verheiratete Frau am Arbeitsplatz. Sie bekommt meist die schmutzigste, am niedrigsten entlohnte, schwierigste Arbeit. Die Frauen nehmen diese Bedingungen hin, da der Lohn des Mannes für die Existenzsicherung nicht ausreicht.
Im Jahr 1986 betrug der Anteil der Frauen an der arbeitenden Bevölkerung 39,1%. Sie arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft und Fischerei (38,9%), in der Produktion (21,1%), als Verkäuferinnen (16,5%) sowie im Öffentlichen Dienst (12,0%), nur wenige Frauen arbeiten in der Verwaltung (7,9%), als Fachkräfte (3,2%) oder als Leitung in der Verwaltung (0,2%). (Vgl. Social-Indicators in Korea 1987, 354) Heimarbeit und Subsistenzproduktion sind in dieser Statistik nicht erfaßt. Je höher ein Beruf in der sozialen und Lohnhierarchie steht, desto seltener wird er von Frauen ausgeübt (Dong-a-Ryungam 1987). 84,2% der erwerbstätigen Frauen sind unter 29 Jahre alt und praktisch ebenso viele auch unverheiratet (Shin II Ryung 1985,170). Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Arbeitszeit der Koreanerinnen extrem hoch: 54,1 Stunden pro Woche (Han Kere Shihmun 3.3.89).
Im Jahr 1980 schrieb die ehemalige Control-Data-Arbeiterin Lee Young Soon (1984, 40), daß die koreanischen Arbeiterinnen am koreanischen Warenkorb gemessen nur 1 /12 des Lohnes ihrer amerikanischen Kolleginnen bekamen, die die gleichen Chips wie sie produzierten. Frauen erhalten bei gleicher Arbeit nur die Hälfte des Lohns ihrer männlichen Kollegen. Der allgemein niedrige Lohn der Arbeiter beruht auf dem noch niedrigeren Lohn der Arbeiterinnen. Durch die Forderung der Arbeiterinnen — gleiche Arbeit, gleicher Lohn — fühlten sich die Arbeiter bedroht, sie befürchteten, ihren Lohn teilen zu müssen. Dieses nutzen die Unternehmen, um den Konkurrenzkampf in der Arbeiterschaft zu fördern.
Eine Frau ist Haupternährerin ihrer Familie, wenn der Vater verstorben und die Mutter krank ist. Trotzdem erhalten alleinverdienende Frauen keinen Familienzuschlag, weil sie juristisch nicht als Familienoberhaupt fungieren dürfen. Seit 1953 bemüht sich die Frauenrechtsorganisation, gegen das herrschende Familienrecht vorzugehen. Am 24.2.1989 wurde dieses im Parlament abgelehnt, mit der Begründung: Wenn die Männer ihre Position als Familienoberhaupt abgeben, wer soll dann die Eltern versorgen?
Widerstand
Am 13. November 1970 verbrannte sich der Schneider Chun Tae-il in Ost-Seoul und hinterließ die Botschaft an Unternehmer und Regierung: »Wir sind keine Maschinen, haltet das Arbeitsrecht ein!« »Laßt mich nicht umsonst gestorben sein«, waren seine Worte an die Widerstandsbewegungen. Mit seinem Tod wollte er die Öffentlichkeit auf die katastrophale Situation der Arbeiterinnen im Textilbereich aufmerksam machen. Chun Tae-il ist zum Symbol der Arbeiterbewegung in Korea geworden. Sein Tod wurde von kirchlichen Organisationen, fortschrittlichen Wissenschaftlerinnen und freien Gewerkschaften aufgegriffen (Shin, Il-Ryung; Cho, Hyung; Akademie der Christen; Industriemission; Katholische Arbeiterjugend). Diese Gruppen führten zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen durch, um politische Forderungen und Widerstandsstrategien zu entwickeln. Bis Mitte der 80er Jahre gab es kaum eine nennenswerte organisierte Arbeiterinnenbewegung, man sprach sogar von einem geringeren Organisationsgrad als während der japanischen Kolonialzeit.
Es gibt verschiedene Organisationsformen für Arbeiterinnen:
- die Freien Gewerkschaften, die von den entlassenen Arbeiterinnen gegründet worden sind, wie z.B. der Arbeiterinnenverein YONO;
- die »Gelbe Gewerkschaft«, die unter ihrem Dachverband die höchste Mitgliederzahl aufweist, sie steht der Regierung und den Unternehmern näher als den Arbeitern;
- die Gewerkschaften in den Betrieben. Sie sind auf Betriebsebene oder regional organisiert. Sie haben Verbindung zu den Freien Gewerkschaften. Durch die Betriebsgewerkschaften (Demokratische Gewerkschaften) verliert die »Gelbe Gewerkschaft« Mitglieder und Einfluß. Die Demokratischen Gewerkschaften sind nach der Demokratisierungserklärung Roh Tae Woos vom 29. Juni 1987, der am 21. Januar 1988 Präsident wurde, entstanden. Allein bis September 1987 wurden 1060 neue Gewerkschaften gegründet (Dong-a-il-bo 10.9.87).
Die Freien Gewerkschaften haben es sich zur Aufgabe gemacht, Chun Tae-ils Ziele zu verwirklichen: sie organisieren die verschiedenen Streiks; großer Wert wird auf gewerkschaftliche Bildungsarbeit gelegt. Diese unterliegt starker Polizeikontrolle, z.B. wurde die Bildungsstätte (die mit Hilfe der deutschen NGOs entstanden ist) von der Polizei überwacht und die Teilnehmerinnen von Veranstaltungen ferngehalten und bedroht. Trotz dieser staatlichen Diskriminierung sind die Kurse stets voll belegt. Die Arbeit Chun Tae-ils wurde von seiner Mutter und Schwester fortgesetzt. Die Mutter Lee So Sun, die sehr aktiv ist, ist nicht unter ihrem Namen, sondern als Mutter Chun Tae-ils bekannt. An diesem Beispiel kann man erkennen, daß die patriarchalische Gesellschaftsform Koreas auch in der Arbeiterbewegung zum Ausdruck kommt. Eine Frau wird durch einen Mann bekannt, Vater, Ehemann oder Sohn.
Dong-Il-Textilarbeiterinnen
1976 gründeten Arbeiterinnen in der Dong-il-Textilfabrik in In-Tchun (Hafenstadt nahe Seoul) eine Gewerkschaft. Die Antwort des Unternehmens war der »Kauf« von Arbeitern, die die Arbeiterinnen brutal zusammenschlugen und diese mit menschlichen Exkrementen Übergossen — damit sollte die Versammlung zerstreut und die Frauen diskriminiert werden. Gegen die eingreifende Polizei wehrten sich die Arbeiterinnen, indem sie ihren Oberkörper entblößten, um so vor Polizeiübergriffen geschützt zu sein. Trotzdem wurden 72 Gewerkschafterinnen verhaftet, ihre Namen erschienen auf den sogenannten Schwarzen Listen. »Wir arbeiten, bis unsere Hände blutig sind, damit unsere Firma große Gewinne erzielt. Aber wenn sie in Krisen gerät, liegen wir auf der Straße. Wo ist das Recht, das uns schützt? Juristisch verankerte Rechte wollen wir durch unsere Gewerkschaft wahrnehmen. Die Firmenleitung tut alles, wahrhaftig alles, um diese Gewerkschaft zu zerschlagen. Die Firmenleitung jagt uns auf die Straße. Um existieren zu können, gehen wir auf die Suche nach Arbeit. Wir finden keine, denn wir stehen auf den Schwarzen Listen, dazu sind wir noch als 'Kommunistinnen' denunziert. Wir müssen hart arbeiten, um existieren zu können« (Jungnam Suk 1988, 158).
Dieser Widerstand blieb erfolglos, doch die entlassenen Arbeiterinnen sind weiter aktiv an der Bildung von Gewerkschaften beteiligt, organisieren Streiks und stehen mit Rat und Tat zur Verfügung. Sie gehören zu den Gründerinnen des Arbeiterinnenvereins YONO.
Y-H-Widerstand
Diese Firma, eine ausschließlich für den Export arbeitende Aktiengesellschaft, stellte Kleidung und Perücken her. Y-H ist die Abkürzung des Fabrikbesitzers Young Ho, der als US-Staatsbürger koreanischer Herkunft in den USA lebt und in Korea arbeiten ließ. Der Betrieb nahm 1966 seine Arbeit mit nur 10 Arbeiterinnen auf, schon 1970 hatte sich ihre Zahl auf 4.000 erhöht, es wurden Waren im Wert von einer Million Dollar (Y-H Nodongchohabsa 1980) exportiert. Ebenso wie die koreanische Wirtschaft entwickelte sich dieser Betrieb in einem atemberaubenden Tempo. Die Gewinne beruhen auf dem geringen Lohn der Arbeiterinnen.
Im Frühjahr 1979 gründeten die Arbeiterinnen Gewerkschaften, um den Anteil am Gewinn in Anspruch zu nehmen, der ihren Leistungen entspricht, um ein menschenwürdigeres Leben führen zu können. Die Antwort der Firmenleitung war die Entlassung der fünf Organisatorinnen. Zwei Monate später mußten aufgrund des gesellschaftlichen Drucks zwei Gewerkschafterinnen wieder eingestellt werden. Dies war ein kleiner Sieg für die Gewerkschaft, die zwei Monate nach ihrer Gründung nun aktiv arbeiten konnte. Nach 1979 übernahm der korrupte Schwager Young Hos das Unternehmen, Y-H geriet in die Krise (Cho Hung). 1979 waren nur noch 500 Frauen beschäftigt; um eine Scheinschließung zu vermeiden, streikten sie. Der Wendepunkt dieses Widerstands war der 11.8.1979; der Streik hatte durch die Besetzung des Parteibüros der Oppositionspartei NDP (Neue Demokratische Partei) von 200 Frauen eine neue politische Qualität erreicht. Mit Unterstützung bekannter Intellektueller (Professoren, Pfarrer, Dichter) wurde eine breite Öffentlichkeit hergestellt.
Die Industriemission und die Akademie der Christen bildeten in den 70er Jahren die Arbeiter aus. Sie untersuchten die Situation der Arbeiter und ergriffen für diese Partei. Ihre Statistiken und Untersuchungsergebnisse waren anders als die der Regierung. Für den Y-H-Streik wurde die Industriemission von der Regierung für schuldig erklärt und der verantwortliche Pfarrer Lee Moon Young verhaftet. Das Menschenrechtskomitee der evangelischen Kirchenvereinigung Koreas veröffentlichte folgenden Aufruf:
»Wir sind empört und besorgt über die Schließung der Y-H-Handels-AG, den daraus folgenden Existenzkampf der über 300 Arbeiterinnen und die anschließenden Auseinandersetzungen sowie den dadurch verursachten Tod der Arbeiterin Kim Kyung Sook. Wir sind tief besorgt über die Polizei, die uns vor Gewalt und Morden schützen soll, die aber den verbrecherischen Unternehmer schützt, der von der Ausbeutung der Arbeiterinnen lebt und in den USA ein luxuriöses Leben führt. Wir bekommen den Eindruck, daß die Polizei Morde vertuscht, indem sie die Leiche heimlich entführt, verbrannt und schnell begraben hat.
Die Personen, die die Interessen der armen hilfesuchenden Arbeiterinnen vertreten, ob von der Oppositionspartei oder der Kirche, werden als kommunistische Keimzellen denunziert und ins Gefängnis geworfen. Das sind Unterdrückungsmechanismen dieses diktatorischen Regimes.
Wir werden nicht aufgeben, das verbietet uns unser Gewissen und unser Glaube, bis folgende Forderungen erfüllt sind:
1. Existenzsicherung für die Arbeiterinnen;
2. Rücktritt der höchsten Verantwortlichen bei der Polizei;
3. Erklärung des Todes von Kim Kyung Sook und öffentliche Entschuldigung vor dem Volk;
4. Freilassung aller Gefangenen, die aufgrund des Streiks in Haft sind;
5. grundlegende Regierungsreformen in der Unternehmenspolitik.«
Durch die Weiterführung des Streiks im Parteibüro der Opposition hatte die Gewerkschaft ihre offizielle Funktion verloren (Y-H-Gewerkschaftsgeschichte 1984, 251). Aber durch die Öffentlichkeit wurden ihnen große politische Aufmerksamkeit und Solidarität zuteil. In den Städten Busan und Masan kam es zu Demonstrationen von Studentinnen und Arbeiterinnen. Der Y-H-Widerstand soll zum Sturz des Park-Regimes geführt haben (ebd., 230). Dieser Widerstand endete mit Gefängnisstrafen für drei Gewerkschafterinnen, fünf Intellektuelle und einen Pfarrer. Eine Arbeiterin, Kim Kyung Sook, kam dabei ums Leben; sie stürzte aus dem Fenster des Parteibüros.[10]
Adler (BRD) — Widerstand bei Flair-Fashion
Im Jahre 1986 bekam die Koreanische Frauengruppe (KFG) in der BRD einen Brief von einer ehemaligen Krankenschwester, die nach Korea zurückgekehrt war. Sie berichtete über die Situation der Arbeiterinnen bei Flair-Fashion in Iri und bat, in Haibach, dem Hauptsitz des Unternehmens (Adler) nachzufragen, ob die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der Flair-Fashion-Arbeiterinnen Wille der Firmenleitung seien. Sie könne sich nicht vorstellen, daß ein Unternehmen aus einem demokratischen Land wie der Bundesrepublik Deutschland so brutal sein könne. Die KFG sollte die Situation in Korea bei Adler hier bekannt machen, sie leitete den Brief an die Firmenleitung und den Personalrat in Haibach weiter. Sie erhielt nicht einmal eine Eingangsbestätigung ihres Schreibens. Bei einem Treffen der BUKO-Frauen-Koordination in Siegen wandte sich die KFG an die bundesdeutschen Frauengruppen. Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes griff dieses Anliegen auf. Auf ihr Schreiben gab es erste Reaktionen der Firmenleitung. Auf die Forderung der Arbeiterinnen ist jedoch erst nach dem Anschlag der Roten Zora eingegangen worden (FAZ 18.8.87; FR 22.8.87; taz 18.8.87). — Der Widerstand bei Flair-Fashion hatte Erfolg. Eine Gewerkschaftsleiterin wurde gewählt, die mit der Firmenleitung verhandeln sollte; dies konnte nach dem Anschlag in die Tat umgesetzt werden, da die Firma jetzt dazu bereit war. Zwei gewerkschaftlich aktive Frauen wurden wieder eingestellt. Dieser Erfolg ist auch auf die vielen verschiedenen Gruppen und Personen im In- und Ausland zurückzuführen, die sich mit den Arbeiterinnen bei Flair-Fashion solidarisierten. Die Gewerkschaft in Iri ist gut organisiert: von der Firmenleitung eingesetzte Schlägertrapps wurden von der Gewerkschaft in Streikführer und Streikschützer umfunktioniert (vgl. Dischereit 1988; epd-Entwicklungspolitik-Materialien 1988).
Der Adler-Boykott in der Bundesrepublik hat den Sieg der Arbeiterinnen in Iri unterstützt. Koreanische Frauengruppen ergreifen »Boykottaktionen« als Druckmittel zur Unterstützung streikender Arbeiterinnen. Im Januar 1986 solidarisierten sich akademische Frauengruppen mit den Arbeiterinnen durch den Tomboy-Boykott. So wurden die Unternehmen gezwungen, die entlassenen Frauen wieder einzustellen und die katastrophalen Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dies führte schließlich zur Vereinigung der verschiedenen Frauen und Frauengruppen, die später YOYON gründeten. Viele Beispiele in Korea haben gezeigt, daß Konsumboykott sehr wohl eine erfolgreiche Strategie im Kampf gegen Ausbeutung und für die Forderungen der Frauenbewegung sein kann.[11]
Im Zusammenhang mit dem Flair-Fashion-Widerstand und der IWF-Weltbanktagung in Berlin wurden im Mai 1988 im Rahmen des ASA-Solifonds zwei Arbeiterinnen in die Bundesrepublik eingeladen, sie bereisten 11 Städte. Dies ist das erste Mal, daß Arbeiterinnen aus Südkorea ins Ausland reisten und ihre Lebensumstände öffentlich anprangerten. Lee Gumza aus Iri, die vier Jahre bei Flair-Fashion gearbeitet hatte, war empört, als sie in Neckartenzlingen bei Adler die Preise von Mänteln, Herren- und Damenbekleidung erfuhr. »So billig verkaufen sie. Unser Schweiß und unsere Anstrengungen sind nicht zu sehen. Sie kontrollieren uns so streng, wir dachten, das werden gute, teure Waren. Es ist kein Wunder, daß wir so niedrigen Lohn bekommen.« (Eine Dokumentation der Rundreise wird vom ASA-Solifond herausgegeben.)
Koreanische oppositionelle Gruppen waren begeistert, zwei Arbeiterinnen hier in Deutschland begrüßen zu können. Sie bejubelten dieses als »historischen Akt«. Als die Arbeiterinnen ihren Widerstand als »feministisch« bezeichneten und die Arbeiter außer acht ließen, kam schließlich nur lauwarme Unterstützung und Kritik. Die Ehefrauen dieser Oppositionellen vertraten ihre Männer, sie waren blind für die Situation der Arbeiterinnen, bezogen keine eigenen Positionen. Sie waren enttäuscht, keine Arbeiter, sondern Widerstandsfeste feministischer Arbeiterinnen vor sich zu haben.
Tod der 22 Arbeiterinnen in der Textilfabrik in An Jang
In der Nacht des 25. April 1988 sind bei einem Brand, der von einer Stoffhalle auf das obere Stockwerk, in dem die Unterkünfte der Arbeiterinnen waren, übergriff, 22 Arbeiterinnen ums Leben gekommen. Sie konnten das Gebäude nicht verlassen, da die Betriebsleitung sie eingesperrt hatte, um sie zur Nachtschicht zu zwingen. Diese grausame
Lebenssituation der Textilarbeiterinnen zu verändern, dafür setzen sich die Frauengruppen ein. Die Zustände in An Jang sind keine Ausnahme; fast alle Textilarbeiterinnen müssen unter solchen Bedingungen leben. (Tohanaui Mun Wha 1988, 7)
Arbeiterinnen organisieren sich
In Pu-chun, Iri, Busan und Seoul gründeten entlassene Arbeiterinnen den Arbeiterinnenverein YONO. Man hatte vor, als Vereinsnamen den von Kim Kyoung Sook zu tragen, entschied sich jedoch dann für YONO, da alle Arbeiterinnen zu diesem Verein Zugang haben sollten. YONO hat sich zum Ziel gesetzt, über die bisherigen Aktivitäten wie Bil-dungs-, Informations- und Solidaritätsarbeit hinaus unterschiedliche gewerkschaftliche Kleingruppen zu organisieren. Die Kleingruppen haben die Funktion, die gewerkschaftliche Arbeit auszubauen und damit die Organisation zu stärken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind folgende Aktivitäten erforderlich:
- Aufklärungsarbeit unter den Arbeiterinnen, damit diese ihre Arbeitsbedingungen verbessern und sich für ihre Rechte einsetzen;
- Mobilisierung der Ehefrauen von streikenden Arbeitern;
- Nachwuchskräfte für die Arbeiterinnenbewegung zu gewinnen, die auch für die Demokratisierung und Erlangung der unabhängigen Wiedervereinigung Koreas eintreten;
- Kampf gegen die patriarchalische Gesellschaft, Veränderung ihrer Wesenszüge (Gewohnheiten, Sprache etc.);
- vielfältige Bildungsprogramme, die die Arbeiterinnen ansprechen.
Um diese Ziele verwirklichen zu können, verfügt YONO seit dem 8. März 1989 über eigene Räume im Industrieviertel Kuro in Seoul. Die Etage, die von den Buddisten an YONO vermietet wurde, umfaßt ca. 250 qm. Dort wird Kinderbetreuung angeboten, es gibt eine Wäscherei, eine Beratungsstelle sowie eine Bildungsstätte mit Archiv. Um diese Räume finanzieren zu können, rief YONO seit September 1988 zu Spendenaktionen, Lieder- und Theaterabenden sowie Bildungsveranstaltungen auf, was auf gute Resonanz stieß. Unterstützt wurde YONO auch von Professoren, Schriftstellern, Künstlern, Nonnen, Mönchen und dem Akademischen Hausfrauenbund sowie Frauengruppen außerhalb Koreas, z.B. der KFG in der Bundesrepublik (YONO benötigt ständig finanzielle Hilfe, Information darüber gibt die KFG, Postlagerkarte 013471-38, 6000 Frankfurt/M. 90). Verwirklichung von Frauenkultur bedeutet auch die Durchsetzung der Rechte der Arbeiterinnen. Bis zum heutigen Tag wurde die Arbeit der Frauen, als Arbeiterinnen, als Bäuerinnen, als Heimarbeiterinnen, als Prostituierte und als Hausfrauen nicht vollwertig anerkannt. Ohne ihre Arbeit würde die koreanische Gesellschaft stillstehen. Folglich bringen die Frauen, die im Arbeitsprozeß Freude, Trauer, Niederlagen und Erfolge erlebt haben, dieses in der Frauenkultur zum Ausdruck, z.B. in Aufzeichnungen und Gedichten, die den Alltag und den Arbeitskampf widerspiegeln. Den Grundstein für diese Kultur legte die koreanische Frauenbewegung erst Mitte der 80er Jahre. Akademische Frauen unterstützten YONO und gründeten YOMIN (Frauen für Demokratie in Korea). Damit schlugen sie eine Brücke von der Theorie zur Praxis.