Wir haben die Erbschaft der alten Spanier angetreten, diese scheint sich aber in den gesellschaftlichen Aspekten, besser gesagt, ideologischen Werten, die die verschiedenen sozialen Rollen der einzelnen charakterisieren, von der des übrigen Lateinamerika zu unterscheiden. Wir haben jegliche Verbindung zu der indianischen Kultur Amerikas aufgrund des raschen und frühzeitigen Völkermords in den Anfängen unserer Republik unter dem ersten Präsidenten, General Fructuso Rivera, verloren. Daher ist uns das Indioproblem unbekannt. Obwohl die Hauptstadt Montevideo zur Kolonialzeit das zweifelhafte Privileg besaß, eine wichtige Hafenstadt für den Sklavenhandel zu sein, wurde Uruguay, ein viehwirtschaftliches Land, in dem die Arbeitskraft von Sklaven nicht unbedingt erforderlich war, auch nicht durch den Einfluß der Schwarzen bereichert. Die Sklaverei war hauptsächlich auf den häuslichen Bereich beschränkt und wurde, verglichen mit dem übrigen Kontinent, frühzeitig abgeschafft.
Als Teil eines späten, erst im 18. Jahrhundert geschaffenen Vizekönigtums der Spanischen Krone erlebte die frühe »Banda Oriental«[1] nie solchen Glanz wie Peru, Neugranada, Neuspanien oder Buenos Aires, und es fehlte eine wirkliche, reinblütige Aristokratie. Die Hauptstadt Montevideo glich in ihren Anfängen einer wahren »Grenzmark«, einer Militärstadt, die gegründet worden war, um dem Vormarsch der Portugiesen im Gebiet des Rio de la Plata Einhalt zu gebieten.
In dieser primitiven und provinziellen Gesellschaft war die Situation der Frau freier, was ihre Unterordnung unter den Mann betraf, obgleich sie von den allgemeinen Merkmalen der Situation der spanischen Frau — der Bürde der arabischen und der patriarchalen Tradition und dem mittelalterlichen Katholizismus — geprägt war. Dom Pernetty hinterließ in seinen Reiseberichten von 1763 eine genaue Beschreibung der Frauen Montevideos:
- »Die Frauen haben in ihren Heimen dieselbe Freiheit wie zumindest die Frauen Frankreichs. Sie empfangen sehr gerne Besuch und lassen sich nicht bitten zu singen, zu tanzen und Harfe, Guitarre oder Mandoline zu spielen; sie sind darin viel entgegenkommender als die Französinnen. Wenn sie nicht tanzen, sitzen sie auf ihren Schemeln, die auf einem Podium im hinteren Teil des Gesellschaftsraums aufgestellt sind. Männer dürfen sich dort nur aufhalten, wenn sie eingeladen werden, und eine solche Gunstbezeigung ist Zeichen großer Vertrautheit.«
Die frühen Bewohnerinnen Montevideos genossen ähnliche Freiheiten wie die Französinnen jener Tage, wobei wir klarstellen müssen, daß sich dies auf die Frauen der Oberschicht bezieht, da die Frauen der Unterschicht nicht wert waren, in den Tagebüchern eines Reisenden vermerkt zu werden. Isidoro de Maria, ein Schriftsteller Ende des vergangenen Jahrhunderts, stellt in einer Chronik ihre Lage dar:
- »Sobald die Tore geöffnet wurden, verließen die armen schwarzen Wäscherinnen mit dem Bündel Wäsche auf dem Kopf in Gruppen die Stadt. Wenn sie sich bei der Rückkehr verspäteten, fanden sie die Tore verschlossen vor und mußten die Nacht draußen verbringen. Zuweilen wachten einige der unglücklichen Wäscherinnen, die unter freiem Himmel schliefen, von Ratten gebissen auf.«
Mit Ausnahme von Zeugnissen wie diesen wurde die Rolle, die die Frau bei der Kolonialisierung gespielt hat, nie näher betrachtet. Die Geschichtsschreibung Uruguays ignoriert praktisch die Tatsache, daß die Frauen ebenfalls an unserer Geschichte beteiligt waren, ebenso wie sie den Beitrag der Arbeiter außer acht läßt.
Nach der Erlangung der Unabhängigkeit verfällt das Land in fortwährende Bürgerkriege zwischen den beiden wichtigsten Parteien. Es gelingt ihm nicht, dem kontinentalen Muster der »lateinamerikanischen Anarchie« zu entgehen. Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts vollzieht sich eine Eingliederung in die Weltwirtschaft, die bereits in eine Phase der raschen Entwicklung des Kapitalismus, das Übergangsstadium zum Monopolkapitalismus, eingetreten war.
Die Verfassung von 1830 schließt die Frau aus dem staatsbürgerlichen Leben aus. Sie ist keine Staatsbürgerin, d.h. sie hat kein Wahlrecht und befindet sich in derselben Lage wie Tagelöhner, Hilfsarbeiter, Alkoholiker und Behinderte. Der juristische Standpunkt gegenüber dem weiblichen Geschlecht glich dem anderer Länder, die sich den Code Napoleon zum Vorbild nahmen. Was den Ehebruch betrifft, so entsprechen die geltenden Kriterien völlig dem Familienmodell, das sich durchsetzen sollte. Der Ehemann, der seine Frau beim Ehebruch ertappte, wurde strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen, wenn er sie verletzte oder sogar tötete. Das Scheidungsgesetz von 1907, das einen wahren Skandal darstellte, erkannte den Ehebruch der Frau immer als Grund an, den des Mannes jedoch nur, wenn er in der ehelichen Wohnung stattfand. Wenn es aufgrund des Ehebruchs der Frau zu einer Trennung kam, verlor die Frau alle in der Ehe erworbenen Güter. Diese Situation wurde erst durch die späteren Scheidungsgesetze teilweise geändert. Die Frau konnte weder als Vormund noch als Zeugin fungieren, was sie zu einer Person ohne zivilrechtliche Verantwortung machte. Der oligarchische Staat gab sich somit die rechtlichen Mittel, die seine soziale und wirtschaftliche Struktur aufrechterhielten und in der die patriarchale Familie die Achse und das Kernstück darstellte, das seinen Fortbestand ermöglichte.
In diesem politischen und rechtlichen Zusammenhang ist es nicht erstaunlich, daß die Frauen auch keinen Zugang zur Bildung hatten, da ihre einzige Aufgabe darin bestand, kurz nach Erreichen der Pubertät Mutter einer reichen Nachkommenschaft zu werden. Die erste Schule für Mädchen war während der Kolonialzeit im Jahr 1795 gegründet worden. Fast ein Jahrhundert später wurde die Schulbildung für Frauen noch immer aufs schärfste bekämpft. Die ab 1877 von Jose Pedro Varela vorangetriebene Schulreform öffnete der Frauenbildung weitere Horizonte. Die Zahl der Frauen, die den Beruf der Lehrerin ergriffen, wuchs im Laufe der Zeit an, heute stellen Frauen ca. 95% der Lehrerschaft. Mit den Reformen der Grundschulbildung ging eine Öffnung der höheren Schulbildung, die damals in den Händen der Universität lag, einher. 1879 erlaubte der Universitätsrat Luisa Dominguez auf ihren Wunsch und aufgrund eines befürwortenden Gutachtens des Dr. Antonio E. Vigil, freie Prüfungen in Philosophie und Mathematik abzulegen. Bei all diesen Reformen handelt es sich um Geschenke des Staats, die von Männern mit etwas fortschrittlicheren Ansichten als ihre Zeitgenossen gefördert wurden, und nicht um Errungenschaften des Kampfes einer Frauenrechtsbewegung mit eigenen Forderungen.
Die ersten Frauenrechtsbewegungen
Die ersten Frauenbewegungen tauchen Anfang unseres Jahrhunderts auf. Die politische Landschaft war praktisch seit Beginn von einem Zweiparteiensystem beherrscht: der »Partido Colorado« (Farbige Partei) und der »Partido Blanco« (Weiße Partei) (auch »Partido National«) — bis zur Gründung der »Frente Amplio« (Breite Front) im Jahre 1971, eine Koalition linker Parteien. Die »Frente Amplio« ist die einzige Macht, die das uruguayische Zweiparteiensystem zerschlagen kann. Innerhalb der »Partido Colorado« gewann die Strömung unter Jose Battle y Ordonez, die eine reformistische und liberale Richtung verfolgte, die Oberhand und prägte die politische Aktivität der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Ihre Politik führte zu einer demagogischen Praxis, die bestrebt war, die fortschrittlicheren Mitglieder der Gesellschaft auf ihre Seite zu ziehen. So treten ihr viele intellektuelle Anarchisten wie z.B. Domingo Arena bei. Battle benutzte die feministische Bewegung in seinem Kampf gegen den Einfluß der Kirche, denn wenn er die Frauen aus der eisernen Obhut des Ehemanns befreite (diese Obhut wurde von der damaligen Kirche abgesegnet), dann hätte die Kirche weniger Einfluß in den uruguayischen Familien. Die Frauen, die für ihre bürgerlichen und politischen Rechte kämpften, ließen die Rolle der gottesfürchtigen »guten Ehefrau mit Mantilla und Rosenkranz in der Hand«, die dem Manne Untertan ist, hinter sich. Battle war sich der Rolle wohl bewußt, die die Frau im Schöße der Familie als Aufbereite-rin von Ideologien spielte, und wußte dies gut zu nutzen.
Für die Analyse der Rolle der Frau in diesen Jahren sind die Veränderungen des demographischen Modells sehr wichtig.[2] Das erste Modell, das für das gesamte 18. und einen Großteil des 19. Jahrhunderts galt, war »geprägt von einem spektakulären Bevölkerungswachstum aufgrund von vier starken Einwanderungswellen und anhaltend hohen Geburtenraten. Die typische Familie bestand aus einer sehr jungen, fast noch jugendlichen Ehefrau, einem älteren Mann und zahlreichen Kindern. Die Fruchtbarkeit war ein gesellschaftlich anerkannter Wert, und der Tod, da vertraut und alltäglich, war ein kulturell akzeptiertes Ereignis.« Das zweite Modell begann sich bereits um 1880-90 abzuzeichnen. Das Bevölkerungswachstum verlangsamte sich. Zwischen 1900 und 1930 sind nur zwei kleinere Einwanderungswellen zu verzeichnen, und nach 1930 reißt jeder nennenswerte Zustrom aus dem Ausland ab. Die Geburtenzahl sinkt. Die Struktur der Familie verändert sich: Die reife Frau tritt an die Stelle der jugendlichen Mutter, und die Kinderzahl reicht nur, den Bevölkerungsstand zu halten. Die Frau als Mutter wird abgelöst durch die Frau als Angestellte, Arbeiterin und Berufstätige.
Die Ablösung eines demographischen Modells durch ein anderes gründet auf einer Veränderung in der Wirtschaft und der Politik des Landes. Nachdem sich die Zentralgewalt mit dem Militarismus der Jahre 1876-86 konsolidiert und mit Battle 1904 endgültig gefestigt hat, verschwinden die andauernden Bürgerkriege, die viele Menschenleben gefordert hatten. Die durch einen Zaun geschützte Farm ersetzt die wildwuchernde Farm, womit die Zahl des Personals, das für die Instandhaltung erforderlich ist, spürbar zurückgeht. Die Eisenbahn verdrängte die früheren Beförderungsmittel wie Fuhrwerk und Postkutsche mitsamt ihrem Personal. Die Industrie, die versuchte, in der Hauptstadt Fuß zu fassen, konnte keinesfalls die hohe Zahl von Arbeitslosen auffangen. Somit verfiel die früher übliche Familie mit 10-12 Kindern dem Elend und dem Hunger, da das Land soviele Einwohner nicht ernähren konnte. Das neue demographische Modell, ein Produkt des Elends, entsteht 1900, festigt sich zwischen 1900 und 1920 und fällt zeitlich mit der ersten feministischen Vereinigung zusammen.
Gemäß dem ersten demographischen Modell war der Lebensinhalt der Ehefrau ihre Kinder, die Bedienung des Mannes und der Haushalt. Nach ihrer Heirat mit einem viel älteren Mann kurz nach Erreichen der Pubertät wurde sie die Schülerin ihres Lehrers/Ehemanns und die Erzieherin ihrer Kinder/Schüler, nachdem sie bis zur Ehe die treue Tochter ihrer Eltern war und übergangslos aus der väterlichen Herrschaft in die des Ehemanns überging. Aufgrund der frühen Heirat — das Alter schwankte zwischen 14 und 18 Jahren, es war möglich, sie nach der ersten Menstruation zu verheiraten — litt die Frau nie unter einer großen sexuellen Repression und erfüllte zur Zufriedenheit ihre ehelichen »Pflichten«, die ihr zahlreiche Schwangerschaften bescherten. Als die Kindersterblichkeit dank der medizinischen Fortschritte zurückging, war es unbedingt erforderlich, die Geburtenrate zu senken. Da die Methoden der Empfängnisverhütung primitiv und hochgefährlich waren, blieb zur Einschränkung der Geburtenzahl keine andere Möglichkeit als die Enthaltsamkeit, und da die Geburtenzahl und die Zahl der Eheschließungen in engem Zusammenhang standen, war ein Rückgang der letzteren unumgänglich. Somit wurde das Heiratsalter der Frau auf 25 Jahre oder mehr heraufgesetzt.
Angesichts der »Doppelmoral«, die charakteristisch war für jene Zeit, wirkte sich diese Heraufsetzung des Heiratsalters zum Nachteil der Frauen aus und führte zu einer starken sexuellen Repression. Die Verlobungszeit zog sich unendlich in die Länge; bis zu acht Jahre, die die wirtschaftliche »Etablierung« des zukünftigen Ehemanns ermöglichten, waren an der Tagesordnung. Die Bräute nähten sehnsüchtig an ihrer Aussteuer, während dem Mann außereheliche Vergnügen vergönnt waren. Der Puritanismus und die Repression ergriffen die Gesellschaft, und der Jungfräulichkeitskult trat an die Stelle des Fruchtbarkeitskults.
- »Die typischen Auswirkungen der Sensibilität bei denen, die das neue demographische Modell anwandten — wohlhabende Schichten in Europa wie in der Gegend um den Rio de la Plata — waren pathologischen Charakters. Um 1900 kam es zu einem Anwachsen der 'Hysterie', der 'Nervenkrankheiten', wie die Ärzte und die Presse jener Zeit das nannten, woran hauptsächlich Frauen litten.
Die sexuelle Repression hatte also, wie Wilhelm Reich bemerkte, eine gesellschaftliche Funktion, und da die Ansichten der herrschenden Klasse zwangsläufig die Ansichten der gesamten Gesellschaft sind, herrschte in dem Fall der uruguayischen Gesellschaft eine starke Repression, die im wesentlichen den Frauen schadete.«
Den Frauen, die sich in völliger rechtlicher Abhängigkeit vom Manne befanden und die des großen Geschenks beraubt wurden, mit dem sie das vorherige Jahrhundert geschmückt hatte — der Fruchtbarkeit —, blieb kein anderer Weg als der der Ehe, in einer Gesellschaft, in der es nicht sehr viele finanziell gut gestellte Männer gab. Die Ehelosigkeit mit all ihrer Stigmatisierung beginnt sich auszubreiten, und die Figur der »alten Jungfer« wird zu einem Schreckgespenst, das von den damaligen Romanschreibern bis zu unserem volkstümlichen Liedgut, dem Tango, die heiratsfähigen jungen Frauen in Angst und Schrecken versetzt. Indem es sie von den Bürden der Mutterschaft erlöst, eröffnet dieses neue demographische Modell den Frauen jedoch andere Betätigungsfelder.
Das Interesse des aufkommenden industriellen Kapitalismus an vielen, billigen Arbeitskräften fiel zusammen mit dem Wunsch der Frauenemanzipationsbewegung selbst sowie mit der Unterstützung der damaligen radikalen Parteien — Anarchisten, Sozialisten, Anhänger von Battle — an einer Veränderung der Rolle der Frau. Im Jahre 1900 traten Frauen in den Arbeitsmarkt und in das Gebiet der Kultur ein. Die Öffnung der akademischen Laufbahnen ist das Verdienst zweier Frauen, beide feministische Aktivistinnen: Dr. Paulina Luisi und ihre Schwester, Dr. Clotilde Luisi, die 1908 bzw. 1911 die medizinische und juristische Fakultät absolvierten. Die Schwestern Luisi fielen auf durch ihren feministischen Aktivismus. Auf die Initiative von Paulina Luisi geht die Gründung des »Consejo Nacional de Mujeres« (Nationalrat der Frauen) am 30. September 1916 sowie die Herausgabe der Zeitschrift Accion Femenina zurück, deren erste Nummer im Juli 1917 erschien.
Schließlich wurde 1919 die »Alianza Uruguaya por el Sufragio Feme-nino« (Uruguayische Allianz für das Stimmrecht der Frau) gegründet, die aus einer Kommission des »Consejo Nacional de Mujeres« hervorging. Beide Gremien waren Unterorganisationen der beiden wichtigsten internationalen feministischen Organisationen jener Zeit: Der »Consejo Internacional de Mujeres« (Internationaler Frauenrat), gegründet 1888 in Washington, und die »Alianza Internacional para el Sufragio Femeni-no« (Internationale Allianz für das Stimmrecht der Frau), gegründet 1904 in England und den USA.
Die Schwestern Luisi waren ein Skandal für ihre Zeit, aber ihre Pionierhaltung führte dazu, daß die Frauen allmählich Zugang zu den übrigen akademischen Laufbahnen bekamen. Das alles trifft auf Frauen der besser gestellten Schichten zu, die sich den Luxus einer kostspieligen Universitätsausbildung erlauben konnten; den Frauen der Unterschicht blieb keine andere Wahl als die Werkstatt oder die Fabrik. Der militante Feminismus, d.h. die bewußte Annahme der neuen gesellschaftlichen Rolle, die die Demographie und die Gesellschaft Frauen zugewiesen hatten, entsteht zu jener Zeit als Ausdruck der Rebellion der Frauen der Oberschicht, Akademikerinnen und Lehrerinnen. Die Unterschicht kannte eine andere Art des Aktivismus in den Fabriken, der bis zur Gründung der Kommunistischen Partei im Jahre 1920 im wesentlichen anarchistische und sozialistische Richtungen verfolgte. Diese beiden Richtungen der Frauenrechtsbewegung setzten sich durch ihre wirtschaftlichen wie kulturellen Klassenunterschiede voneinander ab.
Die Organisierung und der Kampf der Frauen der Arbeiterklasse hatten ihren Ursprung viel früher. Diese Frauen kämpften in den Arbeiterorganisationen wie den sogenannten »Sociedades de resistencia« (Widerstandsgesellschaften) an der Seite ihrer männlichen Genossen. »Sociedades de resistencia« von Wäscherinnen und Büglerinnen gab es bereits 1901, dem Jahr, in dem Zigarettenarbeiterinnen in Streik traten. 1905 streikten die Näherinnen.
Die Anarchistinnen verteidigten die Prinzipien der »freien Liebe« oder der »sexuellen Freiheit«, was zur Bildung von Paaren führte, die, obwohl sie nicht aufs Standesamt gingen, solide, stark monogame Familien bildeten. Rechtsprechung wie Gesetzgebung erkannten schließlich diese reale Situation an. Nach einer Grundauffassung des Anarchismus kam der Emanzipation der Frau eine wesentliche Bedeutung zu, da durch sie sowohl die Grundlage der bürgerlichen Familie als auch die Unterordnung der Frau im patriarchalen System in Frage gestellt wurde.
Die feministische Bewegung, die das bürgerliche System nicht grundsätzlich in Frage stellt, sondern sich auf die Forderung nach politischen Bürgerrechten für die Frauen innerhalb dieses Systems beschränkt, entsteht auf Initiative der Lehrerin Maria Abella de Ramirez (1863-1926), die 1903 das erste feministische Zentrum in La Plata gründete. 1906 legte der »Internationale Kongreß über die Gedankenfreiheit« in Buenos Aires ein »Mindestprogramm feministischer Forderungen« mit folgenden Punkten vor:
- 1. Gleiche körperliche, moralische und intellektuelle Erziehung für beide Geschlechter.
- 2. Alle Berufe, die den Männern offenstanden, sollten auch den Frauen offenstehen.
In allen Sektoren des öffentlichen Lebens sollen Frauen mit gleichem Lohn und zu den gleichen Bedingungen wie Männer zugelassen sein. (...) - 7. Frauen sollen nicht gezwungen sein, dort zu leben, wo es dem Manne gefällt, sondern der eheliche Wohnsitz soll im gemeinsamen Einvernehmen der beiden Partner festgelegt werden. (...)
- II) Uneingeschränkte Scheidung, zu der der Wunsch einer der Partner genügt, denn wenn zur Eheschließung die Zustimmung beider Partner erforderlich ist, so reicht zur Scheidung der Wille einer Partei (...)
- 12. Abschaffung der Gefängnisstrafe wegen Ehebruchs (...)
- 13. Tolerierung der Prostitution ohne ihre gesetzliche Regelung. Die alleinstehende, volljährige Frau ist Herrin über sich selbst, sie hat volles Recht auf ihren Körper, sie kann damit tun, was sie will, wie die Männer, ohne dafür Steuer zahlen oder die Schikanen der Polizei erdulden zu müssen.«
Ohne die bedeutenden Widerstände außer acht zu lassen, die die feministischen Ideen hervorriefen, steht es außer Zweifel, daß die Feministinnen dank ihrer gesellschaftlichen Herkunft, ihrem kulturellen Niveau und ihren familiären Verbindungen relativ leicht Zugang zur Presse fanden, und, da der Battlismus ein Verbündeter des Feminismus war, fanden ihre Parolen Förderer innerhalb der Regierungspartei. Aber wenn Feministin zu sein in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts bedeutete, sich den mehr oder weniger ironischen, unverschämten Witzen der männlichen und reaktionären weiblichen Bevölkerung auszusetzen, wieviel schwerer war es dann, Frau und aktive Kommunistin oder Anarchistin zu sein.
In den 20er Jahren gewinnen die Mobilisierungen von Frauen durch Aktivistinnen der neu gegründeten Kommunistischen Partei, die auf politischer und gewerkschaftlicher Ebene stattfanden, an Bedeutung. Es bildete sich eine wichtige Bewegung, die die Rechte der Frau entschieden verteidigte, in der Julia Arevalo — Tabakarbeiterin und Mitbegründerin der Kommunistischen Partei, Abgeordnete und 1946, zu Beginn des sogenannten Kalten Krieges, die erste Senatorin Lateinamerikas — Bedeutung für den gesamten Kontinent erlangte.[3] Die kommunistischen Frauen traten für eine höhere Beteiligung von Frauen in den Gewerkschaften ein und forderten für einige Verbände mit starker aktiver weiblicher Mitgliedschaft die Einbeziehung von Frauen in die Streikkomitees und Gewerkschaftsführungen. Sie kämpften gegen das Mißtrauen und die Vorurteile gegen Frauen in den Massen des männlichen Proletariats. Sie verteidigten ebenfalls den Grundsatz des »gleichen Lohns für gleiche Arbeit« und kämpften dafür, dieses und andere Themen, die die arbeitende Frau betrafen, in das Kampfprogramm der Gewerkschaften mit aufzunehmen.
Der Battlismus war ein natürlicher Verbündeter des Feminismus: mit seinem ausgeprägten Reformismus, seinem Paternalismus versuchte er, einen Staat zu gründen, der über dem Klassenkampf stehen sollte, indem er Neuerungen durchführte, oft Zugeständnisse machte, um einen Status quo zu festigen. So erscheinen die Gesetze über die Scheidung (am 9. September 1913 wurde die Scheidung auf alleinigen Wunsch der Frau nach Ablauf von zwei Ehejahren beschlossen), das Wahlrecht und später die bürgerlichen Ehrenrechte (1946) in zweifelhaftem Licht. Wie die Historikerinnen Silvia Rodriguez Villamil und Graciela Sapriza in ihrem Buch »Mujer, Estado y Politica en el Uruguay del Siglo XX« (Frau, Staat und Politik im Uruguay des 20. Jahrhunderts) darlegen, hatte
- »die Erlangung des Wahlrechts einen lähmenden Effekt auf die feministischen Gruppen, deren Hauptziel angesichts der liberalen Ausrichtung, der die meisten von ihnen angehörten, nunmehr erreicht schien. Mit dem Stimmrecht traten außerdem die politischen Differenzen zwischen ihren Aktivistinnen deutlicher zutage. In Uruguay kommt vielleicht noch der Verlust des Ansehens aufgrund der Unterstützung hinzu, die eine Gruppe von Feministinnen der Diktatur von Terra angedeihen ließ. Schließlich war ein weiterer wichtiger Faktor die Absorbierung vieler Aktivistinnen durch den Battlismus, was zu einer Schwächung der autonomen feministischen Bewegung führte.«
Uruguay zu Zeiten der Krise und der Diktatur —
Erfolgreiche Integration der Frau in den Kampf
Der Niedergang der nationalen Wirtschaft, der zu der tiefgreifenden Strukturkrise der 60er Jahre führen sollte, wurde teilweise durch den Zweiten Weltkrieg verschleiert, der Uruguay als einem Exportland eine privilegierte Stellung verlieh. Durch die hohen Preise für Fleisch und Wolle auf dem Weltmarkt genoß Uruguay einen künstlichen wirtschaftlichen Wohlstand, der wenige Jahre nach Ende des Weltkriegs zu Ende ging. Die Parteien »Partido Blanco« und »Partido Colorado« beherrschten weiterhin die politische Landschaft in einem Zweiparteiensystem, das den linken Parteien, die am Ende der ersten Hälfte des Jahrhunderts wenig Bedeutung hatten, wenig Spielraum ließ. 1958 nahmen an dem Kampf um das Verfassungsgesetz, in dem die Autonomie der Universitäten beschlossen wurde und der unter der schon historischen Parole »Arbeiter und Studenten gemeinsam für den Fortschritt« geführt wurde, nicht wenige Studentinnen teil: bei Demonstrationen, Straßenkämpfen und der Besetzung der Universität, wo die Polizei bei den Prügeleien keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machte.
Angesichts der großen Wirkung der Kubanischen Revolution auf die uruguayische Linke entsteht eine starke staatliche Gegenoffensive, die von der »Allianz für den Fortschritt« gefördert wird und sich in einer gegen die Aufständischen gerichteten Politik äußert. 1961 tauchen die ersten faschistischen Studentenbanden auf, die von parapolizeilichen Gruppen unterstützt werden. Nach der Rede von Ernesto »Che« Guevara im Auditorium Maximum der Universität in Montevideo ermorden sie den Professor Arbelio Ramirez. 1962 wird die Studentin Soledad Barrett überfallen und mit Hakenkreuzen auf den Schenkeln gezeichnet. Dieses Attentat zeigt Charakteristiken, die zu Leitmotiven der späteren Diktatur werden: die politische Attacke und die Attacke auf die Frau in ihrer Weiblichkeit. 1968 kommt es zu Demonstrationen von Jugendlichen gegen die Wirtschaftskrise und die Repression. Am 14. August wird während einer Demonstration der Student Liber Arce von der Polizei getötet; das Besondere an diesem Tod ist, daß er einen Schock für das öffentliche Bewußtsein darstellt. Der Sarg wird von einer riesigen Trauergemeinde, zu der Mitglieder aller gesellschaftlichen Schichten zusammenströmen, zu Grabe getragen. Im allgemeinen eher passive Hausfrauen nehmen ebenfalls daran teil, denn in dem Tod dieses ersten Studenten sieht die Masse den möglichen Tod ihrer Kinder. Das liberale Uruguay gerät ins Wanken.
Im September desselben Jahres werden Susana Pintos und Hugo de los Santos ebenfalls bei Zusammenstößen mit der Polizei bei Straßendemonstrationen getötet. Sie gehörten der »Union de Juventudes Comu-nistas« an. Trotz des tiefsitzenden antikommunistischen Vorurteils, das noch immer in unserer Gesellschaft herrschte, kommt es am 27. September 1968 zu einer Demonstration von Frauen gegen die Ermordung von Studenten, an der, obwohl das Gros der Demonstrantinnen Mitglieder der Kommunistischen Partei sind, auch Frauen anderer Parteien teilnehmen. Die im Jahre 1968 entstehende Frauenrechtsbewegung ist eine Bewegung linker Frauen, die sich im Kampf gegen das Regime des Pacheco Areco, eine Art Vördiktatur, organisieren, die die Fahne der toten Studenten erhoben und damit in das Bewußtsein der Frauen dringen wollten. Es waren ihre Kinder, die dem Regime zum Opfer fielen.
Die modernen Frauenbewegungen tauchen in Uruguay erst nach dem Niedergang der Diktatur auf. Die Frauen hatten im Widerstand ihre Kräfte erprobt und unter Beweis gestellt. Oft nahmen sie die Stelle des Mannes ein, sei es als Aktivistin im Untergrund und im Gefängnis, sei es beim Unterhalt der Familien, während sich die Männer in Haft befanden. Die Diktatur dauerte von 1973 bis 1985, und während dieser Zeit waren wir völlig isoliert von dem, was in der Welt vor sich ging. Jede Organisation mußte im Untergrund stattfinden, und wenn man davon ausgeht, daß eine Militärdiktatur den auf die Spitze getriebenen Männerstaat darstellt, kann man sich vorstellen, wie es gewesen wäre, damals eine Frauenbewegung organisieren zu wollen. Außerdem bestand die dringlichere Aufgabe darin, die Diktatur zu stürzen, und dabei arbeiteten alle, Frauen und Männer, zusammen.
Zu dieser Zeit verzichtete Dr. Alba Roballa auf das Amt der Kulturministerin, sie lehnte die repressive Politik des Präsidenten Jorge Pacheco Areco ab, die bereits auf die Diktatur hindeutete, und gründete 1971 die »Frente Ampho« zusammen mit Splittergruppen der traditionellen und der linken Parteien. In der »Frente Amplio« waren weite Kreise der weiblichen Bevölkerung in den Kampf um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen integriert, an dem sich auch die Hausfrauen in sogenannten »Comites de Base«, die in den Stadtvierteln tätig waren, aktiv beteiligten.
Bei der Errichtung der Diktatur am 27. Juni 1973 und der späteren brutalen Unterdrückung kam es zu einem Phänomen, das eine genauere Betrachtung wert ist. Auf der einen Seite gibt es die bewußte Beteiligung der linken Frau, unabhängig von Gruppierungen — Kommunistische Partei, Sozialistische Partei, Christdemokratische Partei, Widerstand der Arbeiter- und Studentenschaft, Partei für den Sieg des Volkes —, und auf der anderen Seite gibt es die gewöhnliche, nicht politisch gebildete Frau, die ihrer nächsten Verwandten beraubt wird, die wegen ihres Widerstands gegen die Diktatur ins Gefängnis kommen. Diese Frauen »lernen«, machen neue Erfahrungen, wenn sie sich um das gefangene Familienmitglied, ob Ehemann, Bruder oder Sohn, kümmern, das »Päckchen« in die Haftanstalten bringen und die Demütigungen der Unterdrücker erdulden müssen. In den Familien wird die sogenannte »contraeducacion« (Gegenerziehung) erteilt, um die Bildungspläne der Diktatur, die Entstellung des studentischen Gedankenguts, zu verhindern.
Die »contraeducacion« war eines der interessantesten Phänomene nicht nur des organisierten Widerstands, sondern des Widerstands des ganzen Volkes. Da die Diktatur ihr eigenes Bildungssystem eingeführt hatte und das Ziel verfolgte, die gesamte Vergangenheit, all unsere demokratischen und revolutionären Werte aus dem Gedächtnis der Kinder und Jugendlichen zu löschen, waren es die Mütter, die die Erinnerung an die Vergangenheit aufrechterhielten. Die Gefangenen galten nicht als die Verbrecher, als die sie offiziell dargestellt wurden, sondern Revolutionäre, heldenhafte Männer und Frauen, die für die Freiheit kämpften. Unsere Geschichte, verfälscht und verraten — z.B. die Person des Jose Artigas, unseres größten Heldes des vergangenen Jahrhunderts — wurde mündlich weitergegeben, ebenso wie viele andere Dinge, die Einheit der Linken, die Einheit der Arbeiterklasse unter einer einzigen Spitzenorganisation (die CNT), unser internationalistischer Geist, unsere Solidarität mit Kuba. Allein die »contraeducacion«, zusammen mit dem organisierten Widerstand, ermöglichte es, daß die Jugendlichen, die ihre Bildung unter dem Regime erfahren haben, aus vollem Herzen »nein« zu dem Regime sagen konnten. Die Diktatur in Uruguay war die erste, die in einer Volksabstimmung (1980) unterlag, ähnlich den Ereignissen in Chile heute. Der Unterdrückungsapparat der Diktatur ist noch immer intakt und die Militärs, die sich Verbrechen gegen die Menschenrechte schuldig gemacht haben, sind noch immer nicht verurteilt. Die Demokratie, die wir zurückerobert haben, ist eine bürgerliche Demokratie, nicht die völlige Freiheit.
Es ist nicht verwunderlich, daß es nach der demokratischen Öffnung (1984/85) aufgrund der Erfahrungen mit der Diktatur zu einer wahren »feministischen Explosion« kommt. Im November 1984 wurden die nationalen Wahlen abgehalten, aus denen einmal mehr die »Partido Colorado« als Siegerin hervorging, bei der aber die »Frente Ampho« einen guten Durchschnitt an Stimmen auf sich vereinen konnte. Die Männer der »Partido Colorado« führen im gemeinsamen Einverständnis mit einigen Männern der »Partido Nacional« die Wirtschaftspolitik der Diktatur fort.
Es gibt derzeit unzählige Frauenrechtsbewegungen, aber es herrscht ein fundamentaler Unterschied zu den historischen feministischen Bewegungen: fast alle, sogar die Anhängerinnen des orthodoxen Feminismus, sind in linken Parteien aktiv. Sie sind sich bewußt, daß eine völlige Emanzipation der Frau innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft unmöglich ist, und daß der Strukturwandel der Gesellschaft eine grundlegende Voraussetzung für ihre Emanzipation ist. Viele dieser Organisationen entstanden als Teil der Widerstandsbewegung des Volkes gegen die Diktatur. Später konzentrierte sich ihre Tätigkeit auf frauenspezifische Forderungen. Sie umfassen ebenso die sogenannten »Organizaciones de economia populär« wie die Gruppen, deren zentrales Thema die Lage der Frau ist. Aus Anlaß des 8. März 1988 riefen 14 Organisationen zu Demonstrationen auf mit der Parole: »Internationaler Frauentag. Um unser Leben zu ändern, haben wir um unsere Rechte gekämpft. Heute verteidigen wir die Unterschriften«. Dies ist eine deutliche Anspielung auf die Volksabstimmung zur Durchsetzung des Volksentscheids gegen das Gesetz über die Verjährung der von den Militärs während der Diktatur begangenen Verbrechen. Wenn auch die Politik der linken Parteien die Emanzipation der Frauen immer förderte, haben sich diese durch ihre Teilnahme an dem Widerstand einen eigenen Platz in diesen Parteien erkämpft.
Schließlich ist ein recht bemerkenswertes Phänomen zu erwähnen, das an beiden Ufern des Rio de la Plata aufgetreten ist, in den beiden Ländern, die unter grausamen Militärdiktaturen gelitten haben. Es handelt sich um die Wiederaufwertung der Rollen der »Mutter« und »Ehefrau« mit Charakteristiken, die sich wesentlich von denen unterscheiden, die durch die patriarchale Gesellschaft aufgezwungen wurden, und die im Kampf Argentiniens ihren Ausdruck in den »Madres de la Plaza de Mayo« (Mütter der Plaza de Mayo) und in unserem Land im Vorstand der »Comision Pro-Referendum« (Kommission für den Volksentscheid) fanden, den sich drei Frauen teilen, die als Symbole dieses Kampfes gelten: Elisa Dellepiane de Michelini, Matilde Rodriguez Larreta de Guitierrez Ruiz, beide Ehefrauen zweier von der Diktatur ermordeter Senatoren, und Maria Ester Gatti de Islas, Großmutter des verschwundenen Mädchens Mariana Zaffaroni Islas. Es scheint, daß für die neue Gesellschaft, die sich in diesen beiden Ländern entwickelt, die Rollen der Mutter, Ehefrau und Großmutter andere Verpflichtungen bergen als die, deren Erfüllung früher von ihnen verlangt wurde. Sie akzeptieren den Kampf an der Seite und zusammen mit den Männern um eine gerechtere Gesellschaft.
Aus dem Spanischen von Daniela Winkler