Einleitung

Die Errungenschaften der Frauenbewegungen in den außereuropäischen [1] kapitalistischen Ländern sind auf den ersten Blick denen der westeuropäischen Frauenbewegungen vergleichbar. Der erneute Aufbruch der Bewegungen Ende der 60er Jahre ging von den Frauen der Mittelschicht v.a. an den Universitäten aus. Die bewegten und bewegenden Frauen    erkämpften Gleichstellungsgesetze, es gelang fast an allen Universitäten Frauenstudien zu institutionalisieren. Wie bei den westeuropäischen Feministinnen war die durch die herrschende Kultur vermittelte Unterdrückung der Frauen ein wichtiger Ansatzpunkt. Sie organisieren sich autonom, betreiben Frauenhäuser und Frauenzentren, sie gründen Selbsterfahrungsgruppen u.v.m. Sie gehen mit spektakulären Forderungen und Aktionen an die Öffentlichkeit und verbreiten ihre Vorstellungen von Frauenbefreiung in autonom produzierten feministischen Zeitschriften. Die Erwerbsquote, sie liegt zwischen 39 % und 44 % (in den USA beträgt sie sogar 41%), sieht besser aus als sie ist, denn sie enthält eine große Zahl von Teilzeitbeschäftigten. Während die Anzahl der weiblichen Studierenden ständig wächst, sind Frauen in den Parlamenten nur mit der Lupe zu finden. Die Ähnlichkeiten mit den Ländern des europäischen Kapitalismus verwundern zunächst nicht, da die Länder eine vergleichbare ökonomische Struktur haben, zudem sind es bis auf Japan und Israel Kolonialländer mit importierten europäischen Kulturen.
Mit der Einwanderung waren Vorstellungen über eine neue Gesellschaft verbunden, die so sein sollte wie die alte — nur besser. Darin lag nicht nur eine Chance für 'rauhbeinige Abenteurer mit der Axt auf der Schulter, der Flinte im Anschlag und den konkreten Träumen, sich mit Hilfe der eigenen Hände Arbeit alles nur Erdenkliche aufbauen zu können', sondern auch eine Chance für die einwandernden Frauen. So wurden z.B. in Neuseeland die Frauen europäischer Herkunft früher zur Universität zugelassen als in ihrem ehemaligen Heimatland (zumeist England), und sie erkämpften sich als erste in der Welt das aktive Wahlrecht. Israel mag ein herausragendes Beispiel sein, wenn wir die Gleichberechtigungsansprüche der Einwanderlnnen in den 40er Jahren nachlesen, die mit den Vorstellungen der Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung verknüpft waren. Mochte die Kolonialisierung z.T. Vorteile für die einwandernden Frauen bringen, weil in einigen Gesetzen von Anfang an die Gleichberechtigung der Geschlechter formuliert wurde, war sie immer verheerend für alle nicht-weißen ethnischen Gruppen. Die Indianerinnen und die Aborigines wurden ermordet oder in Reservate gepfercht. In Neuseeland, wo die Einwandernden mit den Maoris den Vertrag von Waitangi schlössen, hatten die Maori-Frauen vor der Kolonialisierung ein hohes Ansehen, das sie bis heute nicht wieder erlangten.

Stand der Frauenbewegungen

In fast allen Ländern haben die Frauenbewegungen eine sozialistische Tradition, die ihnen im Neubeginn der Bewegung vor ca 20 Jahren verlorengegangen zu sein scheint. Fast alle Bewegungen dieser Länder orientieren sich an den Feministinnen in den USA. Eine Ausnahme bildet das unmittelbare Nachbarland Canada mit einer starken sozialistisch-feministischen Bewegung, die bisher kaum über die Ländergrenzen gedrungen ist, da auch für (nicht-englischsprachige) westeuropäische Feministinnen die US-amerikanische Lektüre (von den Werken Betty Friedans als einer führenden Kraft zu Beginn der Women's Lib.-Bewegung, bis zur Auseinandersetzung zum Zusammenhang von Marxismus und Feminismus, dokumentiert von Lydia Sargent 1983) zugänglicher ist als die canadische, die in der Bundesrepublik erst vor kurzem inbesondere durch Romane und Erzählungen in den Blick geriet, während theoretische Entwürfe (z.B. von Mary O'Brien 1981) bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurden. [2] Die Bücher und die Aktionsformen der Feministinnen in den USA wurden von den Bewegungen in den anderen Ländern aufgegriffen und zum Vorbild und zur Ermutigung für die Frauen in den 60er und 70er Jahren in der ganzen Welt. Erleichtert wird dies durch die gleiche Sprache bzw. durch den leichten Zugang zum Englischen in den Bildungsschichten. Forderungen, Aktionsformen und die Form der Selbsterfahrungsgruppen (consciousness-raising groups) wurden erfolgreich übernommen, Frauenzentren errichtet u.v.m. Für Aktionen und Gruppenbildungen und Formierungen der neuen Frauenbewegungen überhaupt hatte dies eine berauschende Wirkung und gab kurz- und mittelfristig den Bewegungen weltweit einen ungeheuren Schub.
Da wir in der BRD sehen, daß der Zugang zur Frauenbewegung schwieriger wird, die Gruppen oft nicht öffentlich tagen, Vernetzungen nur sporadisch Zustandekommen, die Geschichte der Bewegung sich kaum in den Institutionen, z.B. in der Schule, materialisiert, baten wir eine unserer Redakteurinnen, die vor einigen Jahren in die USA ging, um einen Erfahrungsbericht. Deutlich wird, daß eine große Aufgabe darin bestehen wird, der nachwachsenden Generation die Frauenbewegung und ihre politischen Traditionen zugänglicher zu machen.
Vieles ist erreicht, doch ähnlich wie in Westeuropa ist eine gewisse Stagnation der Bewegungen nicht zu übersehen. Die Verstaatlichungen von Frauenfragen haben auch hier lähmend gewirkt, da insbesondere die feministischen Wissenschaftlerinnen in den Universitätsbetrieb eingebunden sind. Fast stärker noch als in Westeuropa scheinen feministische Wissenschaften von der politischen Bewegung getrennt zu existieren. Zum einen kommt in fest allen Beiträgen eine Hilflosigkeit zum Ausdruck, die unterschiedlichen feministischen Bewegungen und Gruppierungen mit ihren vielen Fragen, Problemen, Erfolgen und Mißerfolgen zu bündeln und die Trennung zwischen den wissenschaftlich arbeitenden Feministinnen und denen im Feld von Politik und Kultur aufzuheben. Die phantasievollen Anregungen zu Aktions- und Organisationsformen aus den USA (z.T. auch aus Westeuropa) könnten zu der Überlegung Anlaß geben, einen fortwährenden internationalen Ideenaustausch zu praktizieren.
Erstaunt hat uns der Versuch, in ähnlicher Weise mit Studien, Analysen und theoretischen Ansätzen umzugehen, indem sie rezipiert werden, ohne sie in die je nationalen politischen und sozialen Probleme analytisch einzubinden und gegebenenfalls umzuschreiben und neu zu durchdringen, dies kann die Bewegungen in eine Sackgasse führen. Theorie und Erfahrung stehen dann bloß nebeneinander. In einigen Ländern (Japan, Neuseeland) hat dies zur Folge, daß Theorien diskutiert und weggelegt werden, daß eine theoretische Mode die nächste ablöst, ohne Einfuß zu nehmen auf das Handeln der Frauen. Es könnte sein, daß das Fehlen von weiblichen organischen Intellektuellen in der Bewegung zur Folge hat, daß den theoretischen Begriffen der Werkzeugcharakter fehlt. Wenn Feminismus eine Kompetenz ist, dann brauchen wir in der Bewegung Lehrende, die sie vermitteln — in allen Ländern.
Unsere Beiträge weisen auf einen Mangel in der Aufarbeitung der historischen Kämpfe und Errungenschaften der Frauen(bewegungen) hin. Zum Ausdruck kommt dies, wenn die Autorinnen der alten Frauenbewegung Raum geben, um zu zeigen, daß auch importierte Anregungen aus dem Ausland nur dann genutzt werden können, wenn der Boden dafür bereitet ist. Wir nehmen dies zum Anlaß, an die US-amerikanische Frauenrechtlerin Charlotte Perkins Gilman zu erinnern, deren theoretische Werke und deren Einfluß auf die alte US-amerikanische Frauenbewegung weitgehend unbekannt geblieben sind.
In Japan, wo die Produktions- und die individuelle Reproduktionswelt stärker als in allen anderen Ländern geschlechtsspezifisch getrennt sind, verhindert das Fehlen einer umfassenden feministischen Gesellschaftsanalyse die Entwicklung allgemeiner Lösungen, die die geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen aufheben und so die Männer-und Frauenwelten transzendieren müßten. So können die Frauenunterdrückungen in ihrer Gesamtheit nicht erfaßt werden, ohne beide Bereiche und ihren Trennungszusammenhang zu analysieren.
Der Vergleich unter den Ländern mit kapitalistischen Wirtschaftssystemen zeigt einmal mehr, daß die Produktionsweise nicht das allein Bestimmende ist; Lebensweise, Religion, Regierungsform, das Verhältnis zu unterdrückten Ethnien sind Koordinaten im Diagramm der weltweiten Frauenunterdrückung. Kapitalismus und Patriarchat kleben zusammen wie Pech und Schwefel, doch nicht überall an den gleichen Stellen und auf die gleiche Weise.
So lehren uns die Beiträge in diesem Band: Bildung führt nicht unbedingt in die Erwerbstätigkeit, und die Erwerbstätigkeit ist nicht in jeder Gesellschaft Voraussetzung für einen Einstieg von Frauen in die sozialen Bewegungen. In einem Land wie Japan, wo das Kollektiv Priorität vor dem Individuum hat, gilt die These über die isolierten Hausfrauen mit den geringeren Möglichkeiten sich zu organisieren nicht, da gerade sie aktiv in der Frauenbewegung sind. Welches Wissen über die Zusammenhänge individueller und kollektiver Erfahrungen brauchen wir, um weitere Anknüpfungspunkte zu finden, die Handlungsräume der Frauen weltweit zu vergrößern? Geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen sind je nach Geschichte und Kampf der Frauen unterschiedlich; was in einem Land als weitere Domäne auch für Frauen erkämpft werden muß, gehört in einem anderen zu den Selbstverständlichkeiten. Deutlich werden die Grenzen, an die wir stoßen, wenn wir einzelne Forderungen stellen, ohne den gesamtgesellschaftlichen Kontext, in den sie eingebunden sind, mitzuanalysieren und in unsere Strategien einzubeziehen.

Schwarze Frauen und Ureinwohnerinnen

Unser Plan, aus jedem Land einen Beitrag einer schwarzen Frau oder/und einer Ureinwohnerin zu veröffentlichen, ließ sich nur für die schwarze Frauenbewegung in den USA realisieren. Das liegt zum einen daran, daß sich Frauen dieser Gruppen noch kaum formiert haben oder gerade dabei sind. Konnte sich die weiße US-amerikanische Frauenbewegung — in Anlehnung an den Kampf der Schwarzen gegen Rassismus — formieren als eine Bewegung gegen den Sexismus, bestand sie doch über Jahrzehnte hinweg fast ausschließlich aus weißen Feministinnen.
Weder in den Kämpfen der Schwarzen noch der Feministinnen kam die spezifische Unterdrückung der schwarzen Frauen vor. Deutlich wird, daß es keine allgemeine Befreiung ohne Frauenbefreiung und keine Frauenbefreiung ohne Befreiung aller Frauen geben kann.
Wie unsere Beiträge dokumentieren, kommen auch die weißen Frauen kaum noch umhin, auf die Situation und Bewegungen der Frauen aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen einzugehen. Gespannt sein können wir auf die zukünftigen Entwicklungen von Frauenbewegungen der Maoris, der indianischen Gruppen und der Aborigines. Sie beginnen sich in den Bewegungen einen Raum zu schaffen, als Frauen ihrer Gruppe und zusammen mit den Frauen, deren Vorfahren europäischer Herkunft sind. Anders als die in Reservaten abgekapselten Aborigines in Australien, ist die Kultur der Maoris zunehmend selbstverständlicher Bestandteil der neuseeländischen, was vermutlich eine Voraussetzung für eine Formierung von Feministinnen in dieser Gruppe ist. Die Maori-Frauen veranstalten Kongresse und bringen zunehmend ihre Anliegen in die Frauenbefreiungsbewegung Neuseelands ein.
Die Voraussetzungen für feministischen Widerstand sind sehr unterschiedlich und hängen sowohl von der Kultur, der Art der ausgrenzenden Eingrenzung und schließlich auch der Geographie ab. Letzteres wird in keinem Land so deutlich wie in Australien, wo sich bislang kulturelle Vernetzungen von Feministinnen insgesamt als schwierig erwiesen. Zu vermuten ist, daß die Aborigines-Frauen noch weniger Zugang zu den Massenmedien haben als die weißen Feministinnen. Wenn es immer noch ein Problem für Feministinnen ist, unübersehbar und unüberhörbar zu werden, wäre die Aneignung der Medien ein strategischer Schachzug, um immer laut und unmißverständlich sagen zu können, wer wir sind, was ist und was wir wollen.

Barbara Ketelhut

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Einleitung