Frauenemanzipation im deutschen Vormärz - was ist das? Diese Frage zu stellen ist notwendig, da der Emanzipationsbegriff inzwischen zu einer Allerweltsformel von bemerkenswerter Schwammigkeit herabgekommen ist. Außerdem fällt auf, daß sich die moderne Spezialliteratur um das spezifische Phänomen der Frauenemanzipation hartnäckig herumzudrücken scheint. So enthalten selbst umfangreiche Standardwerke wie Martin Greiffenhagens Emanzipation (1973) oder Günter Hartfiels Emanzipation Ideologischer Fetisch oder reale Chance? (1975) nicht einen einzigen Beitrag zur Frauenemanzipation. Von daher gesehen ist es nicht allzu verwunderlich, wenn auch in der Literatur des Vormärz die >Vormärzlerinnen< fast nirgendwo zu Wort kommen. Gert Mattenklotts und Klaus R. Scherpes Demokratisch-revolutionäre Literatur in Deutschland: Vormärz (1974) zum Beispiel enthält keinen einzigen Satz über demokratisch emanzipierte Autorinnen und Rainer Rosenbergs Literaturverhältnisse im deutschen Vormärz (1975) ganze zwei Sätze über Ida Hahn-Hahn und einen halben über Louise Otto-Peters.
Frauenemanzipation im deutschen Vormärz - eine Fata Morgana? Die vorliegenden Texte und Dokumente sollen das Gegenteil beweisen und veranschaulichen, daß der eigentliche Beginn der Frauenemanzipation in Deutschland das Jahrzehnt vor der Achtundvierziger-Revolution war. Sicherlich, die >emancipation< - die Entlassung der Kinder aus der väterlichen Gewalt als formaler Akt des Mündigwerdens - war bereits im römischen Recht verankert. Doch handelt es sich dabei gewissermaßen um eine einmalige, individuell vollzogene Handlung innerhalb gesellschaftlich festgefügter Herrschaftsverhältnisse. Die Wandlung des Emanzipationsbegriffes von einem rein juristischen Terminus zu einer generellen Befreiungsvokabel wurde erst durch das dynamische Geschichtsverständnis der Aufklärung in Gang gesetzt. Seit den Tagen der Französischen Revolution zum politischen Schlagwort erhoben, sprach man von der Emanzipation des dritten Standes, der amerikanischen Negersklaven, der Juden, des Fleisches und - vereinzelt auch von der der Frauen. Aus berechtigtem Argwohn, daß die laut proklamierten Droits de l'homme lediglich Männerrechte seien, stellte in Frankreich Olympe de Gouge dieser Erklärung 1791 ein eigenes Manifest gegenüber, und zwar die Verkündigung der Frauen- und Bürgerinnenrechte. In England trat etwa zur gleichen Zeit Mary Wollstonecraft mit der Verteidigung der Frauenrechte für die juristische Anerkennung ihrer Mitschwestern ein.
In Deutschland war die politische Entwicklung anders verlaufen. Das Fehlen einer Revolution wirkte sich auch auf die Frauen aus. Das solidarisierende Bewußtsein, Mitwirkende an einer totalen Umwälzung der bestehenden Gesellschaft zu sein, das in Frankreich in fast allen Städten zu der Bildung von Frauenvereinigungen geführt hatte - man denke nur an die Gesellschaft der revolutionären Republikanerinnen - hatte sich in Deutschland nicht ausbilden können. Die solipsistischen Aufbegehrerinnen der Romantik, wie Rahel Varnhagen von Ense, Caroline Schlegel-Schelling und Bettina von Arnim, deren Wirken sich zumeist auf die Berliner Salons konzentrierte, blieben Einzelstimmen, die sich weniger den Frauen im allgemeinen als vielmehr ihrem höchst persönlichen >Ich< gegenüber verpflichtet fühlten. Das änderte sich erst um die Wende der dreißiger zu den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts.
Wieder waren die Impulse aus Frankreich gekommen. Die Julirevolution und die Bewegung des Saint-Simonismus hatten zunächst einmal in den Köpfen der Männer den Gleichheitsideen zur Priorität verholfen. Was sie dabei besonders faszinierte, war der Schlachtruf von der »Emanzipation des Fleisches«. Unter der Parole »Wir ziehen unsern Weibern neue Hemden an« kämpfte man gegen »die Wassersuppenhochzeiten«, das heißt gegen die übliche Konvenienzehe, und plädierte für die »freie Wahlumarmung«.
Dies gilt es festzuhalten. Die Emanzipationsdiskussion in Deutschland wurde von Männern wie Heine, Gutzkow, Laube und Mundt in Gang gesetzt, die sich für eine ganz bestimmte Seite des Saint-Simonistischen Befreiungsprogramms begeisterten. Sie interessierte weniger das sozialutopische Konzept einer gerechteren Güterverteilung als vielmehr die Aussicht auf die »Rehabilitation der Materie«, das heißt die offenkundige Aufwertung der Sinneslust. Sie wollten die »femme libre« und träumten vom unbegrenzten Sexualgenuß. Das hatte zur Folge, daß der Emanzipationsbegriff ambivalent, ja geradezu zwielichtig wurde. Nur vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, wenn Louise OttoPeters, die ihr ganzes Leben in den Dienst der Frauenemanzipation gestellt hat, von sich behauptet, »nicht zu den Emanzipierten zu gehören«, und Karl Gutzkow in seiner Philosophie der Geschichte (1836) die Emanzipation der Frauen als die albernste Idee des jahrhunderts« verwirft. Sie meinten beide etwas anderes. Louise Otto-Peters und mit ihr die meisten Publizistinnen des Vormärz, die ernsthaft um eine Verbesserung der weiblichen Lebensverhältnisse bemüht waren, begegneten dem aus Frankreich kommenden Affranchissement des femmes mit Skepsis. Die hier geforderte Sexualfreiheit schien ihnen die falsche Alternative zur Status-quo-Moral zu sein und an der wirklichen Misere der Frau vorbeizugehen. Solange nirgendwo geklärt war, wovon die »femme libre« eigentlich leben und die potentiellen Früchte der »freien Wahlumarmung« ernähren sollte, blieb ein solches Konzept untauglich zur Reform. Moralische Freizügigkeit ließ sich ihrer Ansicht nach nur auf der Grundlage ökonomischer Unabhängigkeit verwirklichen, und davon waren die Frauen in der Vormärzära noch meilenweit entfernt. Eine solche sozialökonomische Gleichstellung fand ein Gutzkow nun wiederum »albern«. Seiner Ansicht nach - und damit sprach er durchaus für die Mehrzahl der damaligen Männer - waren Frauen biologisch auf Liebe fixiert und nicht zum Auftreten in der Öffentlichkeit gemacht.
Schon aus diesen Ausführungen wird deutlich, daß sich die Frage nach der Frauenemanzipation im Vormärz nicht so kategorisch beantworten läßt. Bereits die jeweilige Geschlechterzugehörigkeit bewirkte eine unterschiedliche Auslegung, und auch unter den Frauen selbst gab es voneinander abweichende Vorstellungen. Doch das liegt in der Sache begründet. Schließlich befinden wir uns erst in der Frühgeschichte der Frauenemanzipation, in der sich noch keine Bewegung konstituiert hat und noch nichts Programmatisches vorliegt. Die uns überlieferten emanzipatorischen Dokumente sind individuelle Zeugnisse der Rebellion gegen eine patriarchalische Gesellschaft, die der Frau nur den Platz des Arbeitstieres oder den der Repräsentationsfigur zuweist und diejenige zum Vorbild kürt, die nicht nur in der Kirche schweigt. Ihre Verfasserinnen gehören in der Mehrzahl dem Bürgertum und vereinzelt der Aristokratie an. Das bestimmt ihre besondere Akzentsetzung. Doch wäre es verfehlt und lediglich Zeugnis eines unhistorischen Emanzipationsverständnisses, hier bereits pauschalisierend von bürgerlicher Frauenemanzipation zu sprechen. Das Epitheton des Bürgerlichen traf weit eher auf die Bewegung der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zu als auf die Einzelkämpferinnen des vorrevolutionären Jahrzehnts.
Zwar nennt Louise Otto-Peters ihre Frauenzeitung, in die ihre vormärzlichen Emanzipationsgedanken eingeflossen sind, »Ein Organ für die höheren weiblichen Interessen«. Doch man darf sich nicht täuschen lassen. Bereits in der ersten Nummer wendet sie sich ausdrücklich an die Arbeiterinnen und erklärt, sich besonders ihren Nöten widmen zu wollen. »Unter Volk verstehe ich eben nicht nur [...] den sogenannten gebildeten >Bürger- und Bauernstand<, ich rechne auch den sogenannten >Pöbel< dazu«, hatte sie schon 1847 in Robert Blums Volkstaschenbuch Vorwärts erklärt und sich ebenso für die »Bildung und Erwerbstätigkeit der Mädchen der unteren Stände« eingesetzt. Auch von Louise Aston, Fanny Lewald und Luise Mühlbach gibt es genügend Dokumente, die ein sozial-emanzipatorisches Engagement gerade für Frauen der Unterschichten bezeugen. So ist es das Verdienst von Luise Mühlbach, in ihrem Roman Das Mädchen (1839) ein fast schon soziologisches Modell für den Lebenslauf einer Proletarierin entwickelt zu haben. Daß die Vormärz-Autorinnen die Frauenemanzipationsfrage nicht aus der Perspektive des Klassenkampfes sehen und auch gar nicht sehen konnten, ist zweifellos richtig. Doch sie deshalb gleich zu verharmlosen oder gar der politischen Unmündigkeit zu bezichtigen kann bloß derjenige fertigbringen, für den sich Geschichte als rnonokausaler Prozeß darstellt. Ganz ohne Frage hat die jeweilige Standeszugehörigkeit der Frauen ihre Emanzipationsforderungen entscheidend geprägt. Doch gleichzeitig gab es verbindende Gemeinsamkeiten. Der >Er-soll-dein-Herr-sein-Standpunkt< besaß klassenübergreifende Relevanz. Schließlich blieb selbst eine Peitsche aus Seide noch immer eine Peitsche. Wie selbstverständlich sexistisches Denken funktionierte, läßt sich schon aus der Tatsache ersehen, daß auch die Revolutionen nur die brüderliche Freiheit auf ihr Banner schrieben und die neuen Herren, welche die alten Knechtverhältnisse zerbrachen, den Schwestern durch Versammlungsverbot diese in der Tat nur für Brüder gedachte Freiheit schnellstens wieder entzogen. (Es sei kurz daran erinnert, daß der Konvent 1793 nicht nur alle politischen Frauenvereine, sondern ebenfalls die Teilnahme der Frauen an allen politischen Versammlungen verbot, sowie an das Vereins- und Versammlungsrechtverbot für deutsche Frauen im Jahre 1850.)
Ebenso verfälschend sind solche Unternehmungen wie die von Jutta Menschik, die das emanzipatorische Wirken der Frauen des Bürgertums als Gleichberechtigungsbeitrag, das der Proletarierinnen hingegen als Emanzipationsbewegung definieren. So verständlich ein gewisser Etikettierungshang auch sein mag, er muß abgelehnt werden, sobald er die Tatsachen verunklärt. Denn schließlich sind Gleichberechtigung und Emanzipation keine Alternativen, sondern Kausalitäten, und gleiche Rechte sind erst auf Grund einer vorangegangenen >emancipatio< zu erwirken.
Doch was läßt sich überhaupt Verbindliches zur Frauenemanzipation im deutschen Vormärz aussagen? Ist ein solcher Ansatz eigentlich legitim? Hat es nicht immer schon Dokumente einzelner rebellierender Frauen gegeben? Solche Zeugnisse sind in der Tat vorhanden. Lange schon bevor sich eine Olympe de Gouge oder Mary Wollstonecraft frauenrechtleriscw zu Wort meldeten, konnte man Proteste gegen die Unterdrückung ihres Geschlechts z. B. bei Marie de Gournay nachlesen (Egalité des hommes et des femmes, 1622; Grief des dames, 1626). Für Deutschland wäre die Schrift von Dorothea Christina Leporin zu nennen, die Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten, Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nöthig und nützlich es sey, Daß dieses Geschlecht sich befleisse, umständlich dargelegt wird (1742). Weitere Beispiele ließen sich anfügen. Wer sich ernsthaft mit der weiblichen Emanzipationsgeschichte auseinandersetzt, sollte jedoch keine Blütenlese treiben. Einzelne herausragende Gestalten ändern nichts an der Tatsache, daß der überwiegende Teil selbst der Frauen aus gehobenen Kreisen bis weit in das 18. Jahrhundert hinein von jeglicher höheren Bildung ausgeschlossen war und sich folglich gar nicht äußern konnte. Nur wenige Gelehrtentöchter und Adelsfrauen besaßen anderes Geschriebenes als Bibel, Gesang- und Erbauungsbuch oder vielleicht noch den Hauskalender. Es ist aufschlußreich, diesbezüglich einmal das Grimmsche Wörterbuch von 1852 anzusehen, das als Belehrungslektüre für die ganze Familie geplant war. »So könnte das Wörterbuch zum hausbedarf, und mit verlangen, oft mit Andacht gelesen werden«, heißt es dort. Und weiter vernimmt man: »Warum sollte sich nicht der vater ein paar wörter ausheben und sie abends mit den knaben durchgehend zugleich ihre sprachgabe prüfen und die eigene auffrischen.« Die Sprache der Mädchen brauchte diese überprüfung ganz offensichtlich nicht. Von ihnen ist gar nicht die Rede. Wahrscheinlich war das Tapisserienähen eine hinreichende Tätigkeit für sie. Diesem Umstand muß man Rechnung tragen, um die teils ungeschickte, teils auch gegen die grammatikalischen Regeln verstoßende Schreibweise der Vormärzlerinnen im richtigen Licht zu sehen. Im Vergleich zu ihren Brüdern waren sie alle Dilettanten.
Hinter der Grimmschen Unterlassungssünde steckt mehr als eine bloße Formalität. Hier wird auf unverblümte Weise deutlich, daß die Vermittlung und Vertiefung von Bildung und damit die Tradierung und Produktion von Kultur auch weiterhin nicht als etwas der gesamten Menschheit Aufgegebenes verstanden wird, sondern lediglich als Verbindlichkeit für den Mann gilt. Daß dadurch nicht nur die sprachlichen Fertigkeiten der Frau sich nicht entwickeln konnten, sondern ihre ganze Sozialisation negativ beeinflußt wurde, indem >man< produktive und kreative Potentialität bei ihr gar nicht voraussetzte, ist etwas, was in der traditionellen Wissenschaft nur allzuoft übersehen wird. Wäre dieses Phänomen wirklich in die literaturwissenschaftstheoretische Reflexion miteinbezogen worden, hätte die Frage nach der geringen Repräsentanz von Schriftstellerinnen nicht so hartnäckig wiederholt werden können. Da Männer als Trendsetter wirkten und die poetologischen Gesetze machten, wurde die männliche Wirklichkeitserfahrung als die einzig authentische gesetzt. Insofern ist es keineswegs verwunderlich, daß Frauen auf dem Gebiet des Romans - in der am wenigsten unter poetologischem Zwang stehenden Gattung - am stärksten wirksam waren. Hier konnten sie ihre eigenen Erfahrungen am ehesten zur Geltung bringen.
Doch zurück zur Frauenemanzipation im Vormärz. Das entscheidend Neue ist, daß sich in dieser Epoche erstmals eine größere Anzahl Frauen ihrer untergeordneten Stellung in der Gesellschaft bewußt wird und publizistisch darauf aufmerksam macht. Die Hauptursache für diese Unterdrückung wird in der vernachlässigten Mädchenerziehung gesehen. »Schickt die Mädchen auf die Universitäten und die Knaben in die Nähschule und Küche- nach drei Generationen werdet ihr wissen, [...] was es heißt, die Unterdrückten sein«, hatte Ida Hahn-Hahn bereits 1839 gefordert und damit das herrschende Kollenverständnis grundsätzlich in Frage gestellt. Der Protest gegen die unzulängliche Mädchenerziehung nimmt infolgedessen bei allen emanzipierten Autorinnen eine zentrale Stelle ein.
Wie notwendig die Abschaffung der weiblichen Bildungsmisere vor allem in Hinblick auf die späteren Versorgungsmöglichkeiten war, läßt sich schon an der alarmierenden Tatsache ersehen, daß in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland von den Frauen zwischen 15 und 50 Jahren noch nicht einmal die Hälfte verheiratet war. Und zwar betraf diese Ehelosigkeit vor allem die Frauen des Bürgertums, denn hier erwarteten die potentiellen Fhekandidaten Aussteuer und Vermögen, was bei der zunehmenden materiellen Notlage für den Familienvater besonders bei mehreren zu versorgenden Töchtern immer weniger zu ermöglichen war. Angesichts solcher ökonomischen Fakten war die bürgerliche Mädchenbildung nicht nur etwas Paradoxes, sondern geradezu Selbstmörderisches. Hier Abhilfe zu schaffen mußte das vordringlichste Ziel aller Ernanzipationsbemühungen sein. Solange das Ansehen der Familie weiterhin am Müßiggang der Mädchen gemessen wurde und die Kreditwürdigkeit der Väter durch die Berufstätigkeit der Töchter beeinträchtigt war, solange verarmte Familien ihre weiblichen Mitglieder nachts Näharbeit für den Erwerb verrichten ließen und tagsüber die standesgemäße Freizeitbeschäftigung des Stickens, stand die Hauptemanzipationsaufgabe noch bevor. Eine entscheidende Bewältigung hierbei leistete die Frauengeneration des Vormärz. Es ist ihr Verdienst, daß sie solche schreienden Mißstände erstmals vor ein größeres öffentlichkeitsforum brachte. In Vorträgen, Zeitungsaufsätzen und Romanen polemisierten sie gegen den weiblichen Rollenzwang, der jeglichem Humanitätsverständnis hohnsprach.
Dabei ist es aufschlußreich, daß die Frauen es anfangs noch nicht riskierten, unter ihrem eigenen Namen ins Licht der Öffentlichkeit zu treten. So unterzeichnete beispielsweise Louise Otto-Peters in den Vaterlandsblättern wie auch im Vorwärts stets mit Otto Stern. Fanny Lewald ließ ihre ersten beiden Romane anonym erscheinen, und auch Luise Dittmar begann ihre publizistische Tätigkeit unter strengster Geheimhaltung ihrer Verfasserschaft. Doch das war nur der Anfang. Der zunehmende Publikurnserfolg ließ die Autorinnen in der Folgezeit ihr Geheimnis aufgeben, mit dem Ergebnis, daß sie die erste Frauengeneration wurden, die sich die Schriftstellerei als Profession eroberten. Die Schreibfreudigkeit der Schriftstellerinnen im 18. Jahrhundert hatte stets den Charakter der Freizeitbeschäftigung oder auch des Nebenerwerbs gehabt und war noch keine regelrechte Berufsarbeit gewesen. Das änderte sich erst im deutschen Vormärz. Ein Vorgang, den der Literaturhistoriker Robert Prutz mit der aufschlußreichen Bemerkung kommentierte, »daß die Frauen eine Macht in der Literatur geworden sind«.
Interessant ist, daß sich schon in diesem frühen Stadium der Frauenemanzipation zwei unterschiedliche Tendenzen erkennen lassen, die auch heute noch die Hauptdivergenzen zwischen der traditionellen und der autonomen Frauenbewegung ausmachen. Während Autorinnen wie Fanny Lewald, Malvida von Meysenbug oder Louise Otto-Peters - um nur die herausragendsten zu erwähnen - weiterhin die Ehe als die eigentliche Bestimmung der Frau ansehen und nur im Fall einer Nicht-Verheiratung für die weibliche Berufstätigkeit plädieren, bekämpfen Mathilde Franziska Anneke, Louise Aston und Ida Gräfin Hahn-Hahn die Institution der Ehe als eine Fessel der Frau, die nur dazu dient, ihre Unterdrückupg noch wirksamer zu machen. Die unterschiedliche Standeszugehörigkeit der genannten Autorinnen gibt Auskunft darüber, daß es sich hier nicht etwa um standesbezogene Emanzipationsvorstellungen handelt, sondern beide Tendenzen sowohl von bürgerlicher als auch von aristokratischer Seite vertreten wurden. Auch über das, was als Frauenberuf geeignet war, gab es in beiden Lagern unterschiedliche Ansichten. Frauen wie Fanny Lewald empfahlen vor allem die pflegerischen und erzieherischen Berufe. Louise Aston hingegen - selber eine Mitstreiterin in der Revolutionsarmee - wollte auch auf diesem Sektor keinerlei Unterschiede von >männlich< und >weiblich< mehr gelten lassen und alle Bereiche den Schwestern geöffnet sehen.
Besonders bei Louise Aston und Mathilde Franziska Anneke lassen sich Emanzipationsvorstellungen erkennen, die man heute mit dem Schlagwort >feministisch< bezeichnen würde. So legte Anneke z. B. ausführlich dar, daß »die Befreiung des Weibes« die vordringlichste gesellschaftliche Aufgabe sei und »die soziale Frage« erst dann wirksam in Angriff genommen werden könne, wenn die Gleichstellung der Frau vorangegangen wäre. Damit vertrat die sozialistisch-feministische Frauenrechtlerin Anneke eine entschiedene Gegenposition zur »Nebenwiderspruchstheorie« ä la Engels, Bebel oder Zetkin. Mathilde Franziska Anneke, die nach der gescheiterten Revolution in die USA emigrierte, fand in Wisconsin den geeigneten Platz, auf dem sie mit ganzer Kraft für die Sache der Frauen kämpfen konnte. In Deutschland wirkte sich der Nachmärz für die Frauen besonders lährnend aus. Für sie bedeutete das Zurück-zurReaktion die Aufgabe des gerade erst so schwer erkämpften öffentlichen Wirkungsbereichs und die Rückkehr ins Heimelig-Heimische, ins eigentliche Biedermeier. »An Vereinen, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern«, so lautet der Paragraph des im Jahre 1850 herausgegebenen Vereins- und Versammlungsrechts, »dürfen keine Frauenspersonen teilnehmen.« Vor dem Hintergrund solcher Maßnahmen und Tendenzen mußten die hochgemuten Versuche zur Gleichstellung der Frau erst einmal scheitern. Doch bleibt es das Verdienst der Vormärzautorinnen, eine erste Bresche geschlagen zu haben in das Dickicht der herrschenden weiblichen Misere.