Inkognito

Nicht nur das, was wir von Vater und
Mutter geerbt haben, geht in uns um.
Es sind alle erdenklichen alten,
toten Ansichten und allerhand alter toter Glaube ...
Nehme ich nur eine Zeitung in die Hand
und lese darin, so ist mir, als sähe ich Gespenster
zwischen den Zeilen schleichen.
Es müssen ringsum im ganzen Lande Gespenster leben.
Ibsen, »Gespenster

In herkömmlichen Berichten chinesischer Revolutionäre ist 1949, das Jahr der Befreiung und der Gründung der Volksrepublik, der magische Wendepunkt: Die bittere Vergangenheit war überwunden, und man blickte in eine strahlende Zukunft. Doch der 1. Oktober, ein offizieller Jubeltag der Nation, war in Tschiang Tschings Rückblick auf die Vergangenheit kein Freudentag; das heißt, sie erwähnte ihn gar nicht. Wir können nur Vermutungen anstellen, wie sie ihn empfunden haben mag.
Sie war zwar vom Land in die Metropole gekommen, war aus Höhlenwohnungen in eine Stadt eingezogen, die sieben Jahrhunderte lang die Kaiser Chinas und ihre Tausende von Bediensteten beherbergt hatte. Aber lebten nicht viele unerwünschte Kräfte der Vergangenheit, die Bürde einer kaiserlichen Geschichte in diesen Monumenten weiter? Würden sich in diesem verschachtelten Labyrinth von Palästen - ocker, türkis und violett in der Purpurnen Verbotenen Stadt - ihre unkomplizierten Beziehungen zu Mao und den grobschlächtigen Genossen unweigerlich ändern? Würde sie, wie so viele kaiserliche Gemahlinnen und Konkubinen in alter Zeit, in oberflächlich instandgehaltenen Frauenhäusern eingesperrt sein? Oder würde sie, wie die unbezähmbare Kaiserin-Witwe Tze-hsi, jahrelang hinter dem Thron agieren, um eines Tages selbst darauf zu sitzen?
Die folgenden Kapitel zeigen, wie Tschiang Tschings Einfluß auf einige Aktivitäten des Vorsitzenden langsam wuchs und wie ihre eigene Karriere langsam Gestalt gewann. Zu Anfang merkten das nur wenige. In Tschiang Tschings Erinnerung waren die fünfziger Jahre eine Zeit politischer und physischer Belastung, in der sich Krankheit und Genesung, Rückzug aus öffentlichen Ämtern und Wiederaufnahme früherer Funktionen abwechselten; jedoch war sie stets hinter den Kulissen aktiv. Während der gesamten fünfziger Jahre wurde sie kaum in der Presse erwähnt. Wenn sie über diese Zeit berichtete, war eine Tendenz zur Hypochondrie nicht zu übersehen - typisches Kennzeichen der jahrhundertealten wohlhabenden Schicht in China, die es sich leisten konnte, ihre Krankheiten zu kultivieren.
Wenn sie sich gesundheitlich wohlfühlte, versuchte sie, im Parteiapparat Fuß zu fassen; doch um sich einen festen Platz im Parteizentrum zu sichern, mußte sie erst bei den Massen und bei der Führung ihre Fähigkeiten beweisen. Daher verließ sie die Hauptstadt und bereiste das Land, leitete die umstrittene Wu Hsün-Untersuchung und nahm gegen den Willen der Führer, manchmal auch gegen den ihres Mannes - an den beiden großen revolutionären Bewegungen der frühen fünfziger Jahre teil: der Bodenreform und der Reform des Eherechts. Dabei wurde sie jedoch von argwöhnischen und eifersüchtigen Genossen gezwungen, inkognito zu arbeiten, sobald sie der Hauptstadt den Rücken kehrte. Diese aufgezwungene Anonymität sollte sie daran hindern, sich einen Namen zu machen und eine persönliche Gefolgschaft im Volk zu gewinnen.

Als der Vorsitzende und Tschiang Tsching mit einigen führenden Genossen und ihren Truppen im März 1949 in Peking eintrafen und das Zentrum, die Kaiserstadt, in Besitz nahmen, quartierten sie sich im Ostteil ein, der an die Tschung-nan-hai (wörtlich: Mittlerer See, Süd-See) grenzt. Jeder Führer erhielt mit seiner Familie - sofern sie den Krieg überlebt hatte - eine Wohnung in diesen ehemaligen Kaiserpalästen zugewiesen. Obwohl man lange Abschnitte der Stadtmauer abgerissen hatte, um den Verkehr auf den breiten Alleen zu erleichtern, konnten die Wohnungen der Führer doch von außen nicht eingesehen werden und waren der Öffentlichkeit ebenso wenig zuganglieb wie das Privatleben der Insassen. Tschiang Tschings und Maos Gemäeher waren durch kunstvoll geschnitzte und farbig bemalte Säulen im Ming-Stil getrennt und doch miteinander verbunden.
Seit der Gründung der Republik im Jahre 1912 war der frühere Kaiserbezirk, der viele ineinandergehende Paläste umfaßte und die Purpurne Verbotene Stadt hieß, der Öffentlichkeit zugänglich. Nach dem Sturz der Mandschu-Dynastie wurde er umbenannt und hieß von da an der »Alte Palast«. Die Kommunisten restaurierten die hochaufragenden Tore, die mit Wolkenmuster geschmückten Marmortreppenhäuser, die grandiosen Palastbauten und Hunderte von prächtig ausgestatteten Räumen und erklärten den ganzen Bereich zum Museum der kaiserlichen Vergangenheit. Er ist nun, mit Ausnahme der Tschung-nan-hai, täglich für das Volk geöffnet, dem es auch, wie einem gesagt wird, gehört.
Abgeschirmt in Luxusquartieren, Welten entfernt von den Bauernhütten, die sie während ihres Marsches bewohnt hatten, standen die Führer vor einem Problem, mit dem alle Begründer von Dynastien seit jeher konfrontiert worden sind: Wie konnten sie sich das Vertrauen des Volkes erhalten, nachdem sie aufgehört hatten, so einfach zu leben wie das Volk? Hatten nicht die vielversprechendsten Vorgänger der Kommunisten, die Taiping, ihre Volkstümlichkeit und damit ihren Einfluß auf das Volk dadurch verloren, daß sie nicht der Versuchung widerstanden, dem fürstlichen Luxus der Hauptstadt im Süden, Nanking, zu verfallen?
Im März 1949, erinnerte sich Tschiang Tsching, war sie körperlich so mitgenommen von dem zweijährigen Marsch, daß sie sich nachträglich fragte, wie sie überhaupt in der Endphase noch hatte durchhalten können. Als die Ämter geschaffen und die Posten verteilt wurden, beschlossen einige Genossen aus der Führung - anscheinend nicht auf Veranlassung des Vorsitzenden - sie in Anbetracht ihrer beeinträchtigten Gesundheit zu einer »medizinischen Kur« nach Moskau zu schicken. Warum, fragte ich sie, sollte sie Tausende von Kilometern in eine fremde Hauptstadt reisen, wenn sie so schwer krank war? Der jahrelange Krieg habe die meisten chinesischen Krankenhäuser zerstört, entgegnete sie. In den frühen fünfziger Jahren befanden sich die medizinischen Einrichtungen überall in einem verheerenden Zustand. Man fragte bei Stalin an, der sich dem Vorhaben geneigt zeigte. So wurde sie ein paar Tage nach ihrer Ankunft in Peking mit einigen Krankenschwestern und Leibwächtern in einen Zug verfrachtet, der durch Nord-China fuhr und dann das einzige fremde Land durchquerte, das sie kennenlernen sollte, die Sowjetunion. Am Moskauer Bahnhof wurde sie von einer Ambulanz abgeholt. Im Krankenhaus wurde ihr ein Zimmer zugewiesen, für das die Chinesen bezahlten (wie sie betonte). Ein Team von russischen Ärzten und Professoren untersuchte sie von Kopf bis Fuß, wobei sich herausstellte, daß mehrere Störungen die Ursache ihrer ständigen Fieberanfälle, ihrer Entkräftung und ihrer Auszehrung waren. Sie sei, erzählte sie, »nur noch Haut und Knochen« gewesen und habe nur noch »ganze zweiundvierzig Kilo« gewogen. Auf dem Krankenbett hörte sie zufällig mit an, wie die (übrigens äußerst standesbewußten) Ärzte und Professoren untereinander beratschlagten - zu jener Zeit konnte sie noch kaum Russisch - welches ihrer Leiden sie zuerst behandeln sollten.
Der Arzt, der sich hauptsächlich um sie kümmerte und mit dem sie in engeren Kontakt kam als mit den übrigen, war ein Professor namens Bolschoi. Als eine der Ursachen für ihr Fieber erwies sich eine Mandelentzündung; die Entzündung hatte an der rechten Mandel begonnen und dann auf die linke übergegriffen. Als ihr die Ärzte ankündigten, sie wollten als erstes eine Mandeloperation vornehmen, stand Tschiang Tsching auf und ging ohne fremde Hilfe in den Operationssaal. Sie habe wie ein »heldenhafter General« ausgesehen, sagten ihr die Krankenschwestern später (offensichtlich machte es ihr Spaß, mir zu berichten, was für ein Renommee sie gehabt hatte). Der Eingriff dauerte nur eine halbe Stunde, war jedoch sehr schwierig. Erst wurde die rechte Mandel entfernt, dann die linke.
Nachdem sie die Operation überstanden hatte, verordneten ihr die Ärzte eine Gewichtszunahme. Sie schickten sie mehr als 1500 Kilometer weit weg in den Süden nach Jalta, das für sein mildes Klima berühmt war. Einen Monat verbrachte sie in diesem luxuriösen Kurort am Schwarzen Meer, in dem sich einst die Zaren zur Sommerfrische aufgehalten hatten und der nun von erholungssuchenden und vergnügungslustigen Sowjetfunktionären besucht wurde. Auf der Rückreise nach Moskau Ende April begleiteten sie in ihrem Abteil zwei sowjetische Leibwächter und einige russische Köchinnen. Während der Reise im Schlafwagen erfuhr sie aus dem Radio, daß die kommunistischen chinesischen Streitkräfte in der Endphase des Befreiungskrieges die »Amethyst«, ein britisches Kriegsschiff, beschossen hatten. Die Nachricht wühlte sie bis ins Innerste auf. Und als sie dann hörte, daß der Vorsitzende Mao bei dieser Gelegenheit erklärt hatte: »Das chinesische Volk hat sich erhoben!«, brach sie in Tränen aus.[1] Ihr Gefühlsausbruch rief bei den Leibwächtern und Köchinnen, die sich keinen Reim darauf machen konnten, beträchtliche Aufregung hervor.
Die »Amethyst« sei ein britisches Kriegsschiff, und die Chinesen hätten gewagt, darauf zu schießen, machte sie ihnen klar. Nach Tschiang Tschings Rückkehr von Jalta ließ ihr Stalin eine Einladung zukommen. Ihre erste Begegnung verlief jedoch einigermaßen peinlich. Als sie und ihre Begleitung im Kreml eintrafen, waren Stalins Adjulanten sichtlich verwirrt: Sie hatten offensichtlich erwartet, der Vorsitzende Mao begleite sie und sei zu Verhandlungen bereit. Erst nach ihrer Rückkehr nach Peking im Herbst 1949 unternahm der Vorsitzende seine erste Reise in die Sowjetunion (er kam am 16. Dezember in Moskau an und kehrte am 4. März 1950 nach Peking zurück). In diesem Zusammenhang erwähnte sie, daß sie im Oktober 1949 zum Gründungsmitglied der Chinesisch-Sowjetischen Freundschaftsgesellschaft (deren Vorsitzender Liu Schao-tschi war) ernannt worden sei.
Als die Parteiführer im Frühjahr 1949 in Peking eintrafen, war China zur Hälfte befreit, und die Bodenreform hatte begonnen. Dabei ging man zunächst nach der durch Liu Schao-tschi vertretenen »rechten Linie« vor, die empfahl, sich auf die reichen Bauern zu stützen (anstatt sie zusammen mit den Grundherren zu enteignen).[2] Im Herbst dieses Jahres fühlte sich Tschiang Tsching dank ihres Aufenthalts in der Sowjetunion kräftiger als zuvor. Umgeben von einem großen Stab von Dienstboten empfand sie jedoch ihr Leben in der prunkvollen Residenz als beengend. So beschloß sie, zu einer Zeit, da die Bodenreform in vollem Gange war, eine Reise durch das Land zu unternehmen, um an Ort und Stelle die verschiedenen Pachtsysteme zu untersuchen. Als sie dem Vorsitzenden ihren Entschluß mitteilte, war er dagegen. Es folgten lange Debatten, aber sie setzte schließlich ihren Kopf durch. Als sie im Herbst 1949 ihre Vorbereitungen zur Abreise traf, fühlten sich einige andere Frauen verpflichtet, es ihr gleichzutun und als Mitglieder einer Vorhut aus der Hauptstadt ebenfalls das Land zu bereisen. Das heißt, die Ehefrauen einiger anderer Parteiführer (eine der seltenen Gelegenheiten, bei der sich Tschiang Tsching selbst als die Frau eines Parteiführers bezeichnete) folgten ihr aufs Land.[3] Für sie stellte dies eine großartige Gelegenheit dar, den Klassenkampf an der Basis zu führen. Sie war allerdings auf diesem Gebiet kein Neuling mehr. Bereits während der Nordwest-Offensive (die zu Beginn des Jahres 1948 eingesetzt hatte), hatte sie beim Sturz der Grundherren und der Neuaufteilung des Bodens gemäß dem Agrargesetzentwurf des Vorsitzenden mitgewirkt. Um sich der Bodenreformbewegung in Ostchina anzuschließen, fuhr sie mit dem Zug nach Schanghai, in die Stadt, die sie so gut kannte, die sie jedoch seit zwölf Jahren nicht mehr besucht hatte.
Sie war ungeheuer aufgeregt bei dem Gedanken, Schanghai wiederzusehen. Natürlich war sie sich darüber im klaren, daß sich inzwischen die politische Situation wie auch das kulturelle Leben grundsätzlich verändert hatten. Am Bahnhof in Schanghai wurde sie von Kao Kang und Jao Schu-schih empfangen, den Männern, die das Nordwest-Büro bzw. das Ostchina-Büro und damit das gesamte Ostgebiet beherrschten. Offensichtlich waren sie bereits über Tschiang Tschings Pläne informiert. Von dem Augenblick an, da sie den Fuß auf den Bahnsteig setzte, kontrollierten die beiden jeden ihrer Schritte in dem Gebiet, das sie als »ihr Territorium« betrachteten.
Ein paar Jahre später entdeckte man, was sie, Mao und andere, die auf ihrer Seite standen, damals noch nicht wußten, nämlich daß sowohl Kao Kang als auch Jao Schu-schih schon zu jener Zeit »Renegaten« waren, die die Kommunistische Partei verraten und sich dem Feind angeschlossen hatten.[4] Sie beschäftigten mehr als dreitausend Geheimagenten, die die Städte und das Land im Osten infiltrierten, ein ausgedehntes Gebiet, das noch in den frühen fünfziger Jahren weitgehend unter ihrem persönlichen Einfluß stand. Meistens verhandelte Tschiang Tsching mit Jao Schu-schih. Sofort nach ihrer Ankunft in Schanghai eröffnete sie ihm, sie wolle direkt auf die Dörfer, uni an Ort und Stelle mit ihren Untersuchungen über die Bodenreform zu beginnen. Er versuchte sie davon abzubringen mit der Begründung, es trieben sich überall so viele Geheimagenten herum (als ob es nicht vorwiegend seine eigenen gewesen wären!), daß er für ihre persönliche Sicherheit nicht garantieren könne - alles nur ein Vorwand, um seine eigenen Machenschaften zu kaschieren. Er ließ sie unablässig beobachten. Einmal, als sie im Geschäftsviertel von Schanghai einkaufen wollte, kam ihr Jao Schu-schih zuvor und bestand darauf, sie persönlich in ein Warenhaus zu begleiten, obwohl sie ausdrücklich alleine gehen wollte. Danach wurde sie stets entweder von einem Leiter des Staatssicherheitsdienstes oder vom Sekretär Jao Schuschih selbst begleitet. Wo immer sie auftauchten, waren sie von bewaffneten Geheimagenten umgeben, was den Eindruck erweckte, daß sie jeden Augenblick Gefahr lief, entführt zu werden. Dieses Gefühl war schon deshalb schrecklich, weil es sie nur allzu sehr an ihre frühere Zeit in Schanghai erinnerte. Jao Schu-schih und das bestimmte Auftreten »seiner Clique« brachten ihr zum Bewußtsein, daß sich die Verhältnisse in Ostchina seit der Befreiung nur oberflächlich geändert hatten. Jao Schu-schih hatte sie in einem Hotel mit dem Namen »Haus des Sieges« untergebracht. Um sie im Auge zu behalten, quartierte er sich für die Dauer ihres Aufenthalts ebenfalls dort ein. Zuerst gab man ihr ein Zimmer nach Süden mit Zentralheizung. In jenem Winter (1950), sagte Tschiang Tsching, sei ein geheiztes Zimmer unerläßlich für sie gewesen, da sie doch noch recht mager und gesundheitlich labil war. Doch inzwischen hatte Jao Schu-schih wohl gemerkt, daß die Lage ihres Zimmers ihre Kontakte zu einflußreichen Genossen erleichterte, wohingegen er sie doch von allen Leuten fernhalten wollte, die eine Machtstellung innehatten. Außerdem rechnete er wahrscheinlich damit, daß sie abreisen würde, wenn sie sich allzu unbehaglich fühlte. Er habe sich »wie ein Heuchler« benommen, sagte Tschiang Tsching. Er nahm einen Zimmertausch vor, so daß er die besten Räume nach Süden bekam. Sie wurde in ein eiskaltes düsteres Zimmer mit Blick nach Norden und ohne Zentralheizung in einen Seitenflügel umquartiert. Um sich zu wärmen, deckte sie sich mit allen ihren Kleidern zu und wickelte sich in soviel Bettzeug ein, wie sie nur auftreiben konnte. »Gehen Sie zum Arzt!« riet ihr Jao, als sie sich schließlich über ihre Schmerzen und ihr Fieber beklagte.
Das war nicht die von ihr beabsichtigte Lösung, also hielt sie weitedurch und trank literweise Wasser, um das Fieber zu senken. Am Ende kapitulierte er und gab ihr ein geheiztes Zimmer. Da ihr das Ostchina-Büro nicht half, wandte sie sich an Tschen I, den Oberbürgermeister von Schanghai (er hatte sowohl Schanghai als auch ihre Heimatprovinz Schantung befreit) und erzählte ihm von ihren Enttäuschungen. Er riet ihr, die Taktik zu ändern und sich mit Leuten aus dem Kulturbereich zu treffen, mit denen sie ja ohnehin private und berufliche Gemeinsamkeiten verbanden. Da Tschen I selbst ihr aus Zeitmangel nicht Gesellschaft leisten konnte, gab er ihr den Stellvertretenden Bürgermeister Pan Han-nien als Begleiter in Theater, Kinos und zu anderen kulturellen Veranstaltungen mit, an denen es in jenen Tagen nicht mangelte. Es stellte sich heraus, daß Pan Han-nien ein recht fragwürdiger Umgang war. Ober ihn kursierte das Gerücht, er sei in den dreißiger Jahren ein Anhänger Wang Mings gewesen, und außerdem entpuppte er sich später, ebenso wie Jao Schuh-schih, als ein »Renegat«, berichtete Tschiang Tsching gereizt. (Er wurde 1955 aus der Partei ausgeschlossen und eingesperrt.) Als Beauftragter für die Region Ostchina mußte sich Jao Schu-schih um Tschiang Tsching kümmern, allerdings bereitete es ihm einiges Kopfzerbrechen, wie er sie mit harmlosen Beschäftigungen ablenken konnte. Einmal lud er sie zu einer erweiterten Sitzung des von ihm geleiteten Parteikomitees von Ostchina ein und kündigte ihr vorher an, seine Frau werde auch dabei sein. Es wurde nie geklärt, ob er das erwähnt hatte, damit sich Tschiang Tsching in dieser Situation wohler fühlte (dieser äußerst wichtige Ausschuß bestand damals nur aus Männern), oder weil er sie herabsetzen wollte.[5] Er richtete es so ein, daß er während der Sitzung direkt gegenüber von Tschiang Tsching saß, und bezeichnete sie bei der Vorstellung spöttisch als »allerhöchst Bevollmächtigte«. Dies empörte sie zwar, aber sie konnte sich nicht dagegen wehren.[6] Sein Ziel und das seiner Kumpane war, so argwöhnte sie, sie dermaßen zu demütigen, daß sie sich aus dem Staub machte. Bald darauf verließ sie Schanghai und fuhr ungefähr hundert Kilometer westlich nach Wuhsi, einer größeren Industriestadt am Großen Kanal in der Provinz Kiangsu. Dort nahm sie an einer Sitzung des Kreiskomitees teil, wo sie erstmals mit einer politischen Strömung in Berührung kam, für die Ostchina damals bekannt war: dem »sich intern bekämpfenden rechten Flügel« (mit dieser Bezeichnung, die ihre äußerste Ablehnung verriet, waren offenbar Machtkämpfe zwischen Rechten gemeint). In Wuhsi begann sie ihre Arbeit mit einer Untersuchung über den historischen Hintergrund der gesamten Region.
Die Regierung der Taiping (deren Aufstand sich zwischen 1850 und 1864 in Süd- und Zentralchina ausgebreitet hatte) hatte ein Gesetz erlassen, wonach die Bauern Land auf Dauer pachten konnten. Jeder erhielt etwas weniger als ein mou[7] Boden zugeteilt. Ein so kleines Stück Land mußte sorgfältig gepflügt werden, außerdem mußte es gut gedüngt werden, wozu sowohl Menschen- als auch Hundekot genommen wurden. Da Ackerbau in so kleinem Maßstab nicht zum Leben ausreichte, wichen die Bauern auf verschiedene Nebenerwerbszweige aus. Im Umkreis von Wuhsi hatte man schon früher Tee und Seide erzeugt, weshalb die meisten Bauern auf einem Teil ihres Bodens Teesträucher oder Maulbeerbäume anbauten. Von Wuhsi aus fuhr Tschiang Tsching aufs Land, um die Tee- und Seidenindustrien zu besichtigen, die unter den Plünderungen der Japaner außerordentlich gelitten hatten. Noch in den fünfziger Jahren waren die Betriebe nicht in Funktion, und die Bauern drohten zu verhungern. Der Nahrungsmangel war so groß, daß ein Bauer fünfzig Kilo Seidenkokons für nicht weniger als zweihundert Kilo Reis verkaufte. Während der Besetzung der Provinz Kiangsu (1937-1945) hatten die Japaner im Verlauf des Aufbaus eines Verkehrssystems zahllose Maulbeerbäurne gefällt, die Grundlage der Seidenindustrie. Bis heute, sagte Tschiang Tsching, habe sich die Umgebung von Wuhsi und damit die gesamte Seidenindustrie Chinas noch nicht völlig von den Verwüstungen erholt. Die Teeindustrie hingegen funktioniere wieder fast einwandfrei. Tschiang Tsching fügte hinzu, daß Maulbeerbäume nach etwa fünf Jahren ihren vollen Ertrag lieferten, während Teebäume erst nach zehn oder sogar zwanzig Jahren und manchmal nach noch längerer Zeit geerntet werden könnten. Deshalb ist ihr Anbau ungemein arbeitsintensiv. Von Wuhsi kehrte Tschiang Tsching für kurze Zeit nach Schanghai zurück, dann fuhr sie heim nach Peking. Dort wurde ihr deutlich, daß Liu Schaotschi in der Bodenreform die »Linie der Großbauern« vertrat. Der Vorsitzende Mao bekämpfte diese Richtung zwar schon damals, aber es dauerte noch lange, bis sich die Beilegung ihres Streites zugunsten der Linie Maos konkret auf die Bodenreform auswirkte.[8] Ziemlich verärgert betonte Tschiang Tsching, daß die Rolle, die sie bei der Bodenreform gespielt hatte, der Offentlichkeit nie in ihrem ganzen Ausmaß vor Augen geführt worden sei. Jahrelang ersannen ihre Gegner immer wieder neue Tricks, um ihr Bild und das anderer Führer in der Öffentlichkeit zu entstellen. Ihre Mitwirkung an der Bodenreform im Gebiet von Wuhsi erfolgte inkognito.
Da heimlich Photos von ihr gemacht worden waren, ahnten einige vielleicht, wer sie war. Sicher war es nicht korrekt gewesen, sie ohne ihre Einwilligung zu photographieren. Aber da diese Photos bei späteren Nachforschungen nun einmal ausgegraben worden waren,[9] sollten sie wenigstens als Beweis für ihre Mitwirkung an der landwirtschaftlichen Revolution dienen. Aus einem gewöhnlichen braunen Umschlag zog Tschiang Tsching zwei vergilbte und zerknitterte Aufnahmen. Eine zeigte sie beim Dreschen, die andere beim Pflügen. Sie wolle zwar nicht, daß die beiden Photos in China veröffentlicht würden, doch könne ich das zweite Bild im Ausland publizieren, um zu beweisen, daß Frauen tatsächlich einen Pflug führen können, wenn auch die Männer dies nicht wahrhaben wollten. Später seien noch andere Photos heimlich und folglich unberechtigterweise von ihr gemacht worden, auch während der Kulturrevolution. Aber die würde sie jetzt noch nicht freigeben. Tschiang Tsching lehnte sich in ihren Sessel zurück und sprach nun in ihrem offiziellen Tonfall über die veränderte Rolle der Frauen: »Die chinesischen Frauen spielten eine wichtige Rolle bei allen Revolutionskämpfen in China. Nicht nur in der Bewegung des 4. Mai (1919) und in der Bewegung des 9. Dezember (1935), wie Sie bereits wissen, sondern auch während des ganzen Widerstandskrieges gegen die Japaner (1931-1945) und des Befreiungskrieges (1945-1949) kam den Frauen eine ungeheure Bedeutung als Kämpferinnen in der Miliz und bei der Unterstützung der Fronttruppen zu. In manchen Dörfern haben Frauen den größten Teil der Arbeit geleistet. Es hat sich ein ungeheurer Wandel vollzogen. Als ich 1952 erneut an der Bodenreform mitwirkte und dabei in ein anderes Gebiet kam, drückten sich die Männer faul herum und vergeudeten ihre Zeit in Teehäusern, während die Frauen die ganze Arbeit machten. Wenn eine Frau kam, um ihren Mann nach Hause zu holen, wurde sie beschimpft und geprügelt. Dennoch durften die Frauen nicht pflügen.
Deshalb habe ich damals eigenhändig gepflügt. Das Gebiet galt als ein »Musterkreis« der Kuomintang. Jetzt können Frauen pflügen und alle möglichen anderen Arbeiten verrichten. Sie dürfen jedoch Ihr Augenmerk nicht nur auf die Erfolge richten, die wir erzielt haben. Obwohl Frauen hohe Stellungen in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Erziehungswesen und auf anderen Gebieten, sogar in so entscheidenden Bereichen wie in der Verteidigungsindustrie einnehmen, ist manches noch immer rückständig geblieben. Das sollten Sie einmal untersuchen.«
Danach wandte sich Tschiang Tsching der internationalen Politik zu, die in ihren aktiven Interessen nur eine Randstellung einnahm, und ließ ein wahres Trommelfeuer von Anklagen über die erste »ausländische Aggression« gegen ihren neuen Staat los - die amerikanische »Invasion« Koreas. (Kommentare zu ihrer Version der Ereignisse und den von ihr zitierten Statistiken enthalten die Anmerkungen.) Am 1. Oktober 1950, berichtete sie, überschritten die Truppen der Vereinigten Staaten den 38. Breitengrad, rückten gegen die Flüsse Yalu und Tumen vor, beide innerhalb der Grenzen Chinas gelegen, und starteten von dort aus weitere Angriffe. Um das ganze Land für die Verteidigung zu mobilisieren, prägte der Vorsitzende Mao den Satz »Widersteht der U.S.Aggression und helft Korea«. Ferner schrieb er »Verteidigt das Land und eure Familien«, einen Aufsatz, dessen Titel ebenfalls zu einem populären Schlagwort wurde. Am 19. Oktober (offiziell am 25.) überschritten die chinesischen Freiwilligen den Fluß Yalu, um auf Seiten der Nordkoreaner zu kämpfen. Bis zum 10. Juni 1951 hatten die Chinesen die »amerikanischen Marionettentruppen« zum 38. Breitengrad zurückgetrieben. Am 27. Juli 1953 mußten die U.S.-Imperialisten schließlich einen Waffenstillstand unterzeichnen.
Der Krieg dauerte drei Jahre und einen Monat. Nach dem Waffenstillstand blieben die chinesischen Freiwilligen, die zwei Jahre und neun Monate gegen die amerikanischen Aggressoren gekämpft hatten, weiterhin in Korea. Tschiang Tschings Zahlen zufolge hatte der Feind 1,1 Millionen Soldaten, von denen 540000 aus den USA kamen, 520000 waren »koreanische Marionetten«, die Rhee unterstützten, und 48 000 waren »Marionetten« aus anderen Ländern.[10] Dank der chinesischen Hilfe für Nordkorea wurde der Feind in vier von den fünf großen Kampagnen geschlagen. Im vierten Feldzug hatte Peng Te-huai gegen die Befehle des Vorsitzenden Mao verstoßen.[11] Nach dem Ende des Krieges und dem Abschluß der Verhandlungen weigerten sich die Vereinigten Staaten, ihre koreanischen Kriegsgefangenen in die Heimat zurückzuschicken und verschifften sie nach Taiwan.[12] Für die Chinesen hingegen war es Ehrensache, die amerikanischen Kriegsgefangenen ihrem Volk zurückzugeben. Der Status Taiwans war lange Zeit nicht geklärt. Jahre vor Ausbruch des Koreakrieges hatten die Vereinigten Staaten erklärt, Taiwan sei chinesisches Territorium. Und so hatten sie sich an die Regelung gehalten! »Nun ja, wir werden Taiwan so oder so befreien«, sagte Tschiang Tsching bestimmt. Dann las sie einige Zahlen vor, die sie sich notiert hatte. Die chinesische Seite errang im Koreakrieg » glänzende Siege«. Es gab insgesamt 1 093 800 Verluste, davon 400 000 auf amerikanischer Seite und 397 000 auf Seiten anderer feindlicher Länder.[13] Die Chinesen erbeuteten 10 000 Flugzeuge, 560 Kanonenboote und mehr als 3000 Panzer.[14] Solche Zahlen, sagte Tschiang Tsching, illustrierten den Unterschied zwischen einem gerechten und einem ungerechten Krieg. Die Gerechtigkeit stand auf der Seite der Chinesen und der Nordkoreaner. Den chinesischen Freiwilligen gab der Vorsitzende Mao diese Anweisung mit auf den Weg: »Hegt jeden Berg, jeden Baum und jeden Grashalm in Korea!« Und daran hielten sie sich.
»General Eisenhower war eigentlich eine große Persönlichkeit«, sagte Tschiang Tsching mehrmals bei unserem Gespräch über den Koreakrieg. Bei seiner Bewerbung um die Präsidentschaft habe er versprochen, den Koreakrieg zu beenden, und als Präsident habe er auch danach gehandelt. Man respektierte es, daß er ihrem Territorium (China und seinen Nachbarstaaten) einen Besuch abstattete. Seine Absichten waren aufrichtig, wenn auch nur ein Waffenstillstand erzielt wurde. Nach dem Krieg überließ China den Koreanem das gesamte Kriegsmaterial, das ins Land geschafft worden war, und schickte zahlreiche Chinesen zum Wiederaufbau nach Korea. Warum China das getan habe? Weil Korea mit China verbunden sei - natürlich seien die Chinesen dankbar für die Bereitschaft der Koreaner gewesen, sich zu verteidigen, und aus diesem Grund hätten sie ihnen großzügig geholfen. Beim chinesischen Volk wurde die drohende Kriegsgefahr durch Presse, Filme und andere darstellende Künste gezielt ins Bewußtsein gerufen. Selbst eine der revolutionären Opern, »Sturm auf das Regiment »Weißer Tiger«, spiele in der Zeit des Koreakriegs, erklärte Tschiang Tsching, doch werde sie jetzt gerade überarbeitet.[15] Ich solle sie mir ansehen, wenn ich wieder einmal nach China käme. Um mir einen Einblick in den Koreakrieg aus chinesischer Sicht zu geben, arrangierte sie für mich am nächsten Vormittag eine Vorführung des Dokumentarfilms »Partisanen der Ebene«. Er weise einige Mängel auf, kündigte sie mir an, sei aber nicht langweilig.[16] Der Tod von Mao An-ying, dem ältesten Sohn des Vorsitzenden, im November 1950 im Koreakrieg griff tief in ihr und Maos Leben ein. Im Januar des folgenden Jahres zogen sie und der Vorsitzende sich aus Peking zurück und verbrachten einige Zeit in einem milderen Klima, wo sie sich ausruhen, schreiben und Filme sehen konnten. Tschiang Tsching stellte fest, daß einige der Filme zensiert werden mußten - und machte damit ihren ersten Schritt in Richtung auf die Führungsrolle, die sie in der Kulturrevolution spielen sollte.

In den dreißiger Jahren war Tschiang Tsching der Willkür von Filmproduzenten hilflos ausgeliefert gewesen. Nun kehrte sie bald nach der Befreiung auf die Bühne zurück: diesmal als oberster Zensor der gesamten chinesischeu Filmproduktion und ausgestattet mit beispiellosen Machtbefugnissen. In den frühen fünfziger Jahren lag die chinesische Filmindustrie mit ihren Archiven und internationalen Verbindungen noch weitgehend in den Händen unabhängiger Filmgesellschaften. Trotz der staatlichen Etablierung des chinesischen Marxismus und Mao Tse-tungs ausdrücklicher Verpflichtung (anläßlich der Aussprache in Jenan von 1942), ausschließlich die proletarisehe Kunst zu fördern, produzierten chinesische Regisseure noch immer eine Vielzahl von Spielfilmen, die sich im Stil an die Werke aus den zwanziger und dreißiger Jahren anlehnten, einer Zeit, als trotz der Kriegswirren viel Neues auf diesem Gebiet entstanden war. In den Städten war das Kino noch immer eine der beliebtesten Attraktionen, bis sich einige der kommunistischen Führer daran machten, den Film als Propagandamittel zum »Aufbau des Sozialismus« einzusetzen. Das Gebot, der Film müsse loyal gegenüber der Partei sein, kam im kulturellen Untergrund von Schanghai in den frühen dreißiger Jahren auf. Nach der Zerstörung Schanghais im Sommer 1937 durch die Japaner zogen ein paar unternehmungslustige Filmleute mit primitivster Ausrüstung nach Jenan und drehten dort Dokumentarfilme im kommunistischen Stil über die Agrarreform. Bislang war nur wenig Anschauungsmaterial über dieses Experiment an die Außenwelt gedrungen. Andere filmische Talente aus Schanghai flohen nach Hongkong und produzierten Dokumentarstreifen und patriotische Spielfilme. Gleichzeitig betrieb die Kuomintang Studios in Peking, Tschungking und Schanghai, solange diese Städte unter ihrem Einfluß standen.[17] Nach Japans Niederlage im Jahr 1945 übernahmen kommunistische Filmschaffende die hochentwickelten japanischen Filmstudios im mandschurischen Tschangtschun. Dort hatten japanische Profis und ihre chinesischen Mitarbeiter mehr als ein Jahrzehnt lang Unterhaltungsfilme produziert. Die technischen Anlagen der Japaner fielen zusammen mit den einst von der KMT kontrollierten privaten Studios dem kommunistischen Regime als Erbe zu.
Bald nach der Befreiung richtete das Zentralkomitee innerhalb der Propagandaabteilung ein Film-Büro ein, wo ehrgeizige Pläne für die Filmproduktion entwickelt wurden.[18] Um den Stil des von Moskau propagierten sozialistischen Realismus[19] erfolgreich durchzusetzen - damals bestand noch ein gutes Einvernehmen zwischen China und der Sowjetunion - mußte in den neuen Produktionen der individuelle, innerhalb vieler Jahre entwickelte Stil chinesischer Filmregisseure ausgemerzt werden. Außerdem galt es, die ausländischen, vorwiegend amerikanischen Filme zu verbannen, die nach wie vor den chinesischen Markt überschwemmten und »ausländischen Kapitalismus und Imperialismus« verkauften, wie Tschiang Tsching es ausdrückte. Was die puristischen Führer des Proletariats am meisten störte, war die ungeheure Beliebtheit dieser »verruchten« ausländischen Filme (die allerdings die puristische Proletarierin Tschiang Tsching auch weiterhin fesselten).[20] Sie mußte sich, ohne dabei auf wirklich tatkräftige Unterstützung von seiten ihrer Genossen rechnen zu können, mit dem Problem auseinandersetzen, wie man Filme für ein vorwiegend ländliches Publikum machen sollte, das sich mitten im Aufbau des Sozialismus befand. Es stand für sie fest, daß die Filme, an denen Großstädter in den dreißiger Jahren Gefallen gefunden und die zu ihrer kulturellen Bildung beigetragen hatten, einen ideologischen Aufruhr bei den jetzigen Konsumenten hervorrufen würden. Und dieses jetzige Publikum bestand praktisch aus der gesamten Bevölkerung Chinas, deren überwältigende Mehrheit Bauern waren.
Der schmerzhafte Prozeß der Umerziehung, die auch das Verbot der Ahnenverehrung, regionaler Kulte und volkstümlicher Theaterstücke einschloß und die religiösen Impulse in politische Bahnen lenkte, machte die Landbevölkerung ungemein anfällig für einen Rückfall. Solange bürgerliche chinesische und ausländische Filme überall zur Verfügung standen, würde der jeder kapitalistischen Gesellschaft innewohnende Individualismus, ihre Sentimentalität und ihr Materialismus mit dem Streben der Partei nach Umgestaltung der Arbeitsverhältnisse konkurrieren, die für den Aufbau des Sozialismus absolut notwendig war. Tschiang Tschings Ernennung zur Leiterin des Film-Büros beschleunigte ihren Entschluß, sich des Films und der übrigen Künste zu bedienen, um an einem historischen Wendepunkt die Einstellung der Menschen zur Vergangenheit umzuformen und neue Maßstäbe für die Gegenwart zu setzen. Das Ende der MandschuDynastie lag weniger als ein halbes Jahrhundert zurück und bot noch immer eine Menge historischer Stoffe. Darüberhinaus dienten Beurteilungen über den Niedergang und Sturz dieser Dynastie noch immer als Test für die gegenwärtige politische Ausrichtung. In der Zeit des Mandschu-Niedergangs angesiedelte Stoffe schlossen eine Fülle von Themen mit ein: den blutigen Boxeraufstand; die launische Kaiserin-Witwe Tze Hsi, allgemein in Erinnerung als Chinas jüngstes Beispiel einer »schlechten Herrscherin«; speichelleckende Eunuchen und widerspenstige Prinzen; ausländische Imperialisten, die durch die Acht-Mächte-Invasion der Verbotenen Stadt beinahe die Dynastie zu Fall gebracht hätten; die schamlose Kurtisane Sai Tschin-hua, von der manche glaubten, sie habe sich für das Vaterland prostituiert.
Nach Tschiang Tschings Meinung gehörte zu den umstrittensten Filmen über jene Zeit »Die geheime Hofgeschichte der Tsching-Dynastie«, die auf dem populären Schauspiel »Arglist des Kaisertums« von Yao Hsinnung beruhte. In der Diskussion, die durch diesen in Hongkong gedrehten Film ausgelöst wurde, ging es darum, ob die Niederschlagung des Boxeraufstandes durch die Kaiserin-Witwe als »patriotisch« zu werten sei, weil dadurch das Land vor den ausländischen Mächten gerettet worden war, oder als konterrevolutionär, weil sie den »proletarischen« Klassenkampf der Boxer gegen die herrschende Feudalklasse im Keim erstickte. »Die geheime Hofgeschichte der Tsching-Dynastie« irritierte Tschiang Tsching von Anfang an. Liu Schao-tschi hingegen lobte den Film als »patriotisch«. Der Vorsitzende Mao widersprach ihm jedoch; für ihn war der Film »verräterisch«. Es war richtig, daß die Acht Mächte in jener Spätzeit der Geschichte der Mandschu-Dynastie in China eingefallen waren, argumentierten Liu und seine Anhänger. Der Vorsitzende wich jedoch nicht von seiner Meinung ab.[21] Die Verfasser des Drehbuchs, berichtete Tschiang Tsching, hätten ihre Kritik ungemein geschickt zwischen den Zeilen versteckt; sie spezifizierte jedoch nicht, welche Kritik sie damit meinte. Tschiang Tsching ging weder auf den Hintergrund des Films noch auf die Handlung ein (vielleicht weil sie annahm, daß ich und jeder andere sie kenne). Es lohnt sich jedoch, sie kurz zu umreißen, schon deshalb, weil bekannt ist, daß solche literarischen Rekonstruktionen der Vergangenheit von Chinas Herrschern als Schlüsselromane gelesen wurden. Was den Regierenden schmeichelte, wurde gepriesen; was sie beleidigte, wurde verdammt, und die Verfasser bezahlten ihre Unverblümtheit manchmal mit dem Leben. Die Hauptperson dieses ungewöhnlichen, glänzend gemachten Films ist die Kaiserin-Witwe Tze Hsi, die weder vom Volk geliebt noch von späteren Historikern gerühmt wurde. Sie und ihr prächtiger Hofstaat versuchen, trotz des wachsenden inneren Widerstands, trotz fremder Invasion und des aufkommenden chinesischen Nationalismus weiterhin im alten kaiserlichen Glanz zu leben. Yao Hsin-nungs faszinierendes modernes Porträt zeigt Tze-Hsi als Liebhaberin exotischer Blumen, des Theaters (ihre extravagante Freilichtbühne steht noch heute im Bezirk des Kaiserpalastes) und der Photographie, einer damals neuen technischen Errungenschaft. Doch in ihren menschlichen Beziehungen ist sie ein wahrer Drache. Der junge Kaiser meint es zwar ehrlich, aber er wird durch die Witwe eingeschüchtert, und der Obereunuch, Li Lien-ying, ist ein lasterhafter Speichellecker. Schließlich zerfällt die Einheit innerhalb der kaiserlichen Familie dadurch, daß die Mandschu-Prinzen gemeinsame Sache mit den fremdenfeindlichen Boxern machen. Auf dem Höhepunkt der Krise rettet sich die Witwe, indem sie sich auf die Seite der Rebellen schlägt, jedoch am Ende ergreift sie erneut Partei für die Unterdrücker.
Eine dramatische Handlung entwickelt sich aus den Spannungen zwischen den Frauen an der Spitze: der Kaiserin-Witwe und der Frau des Kaisers, Dame Tschen. Die Witwe erkennt, daß die wahre Bedrohung ihrer Macht von Tschen ausgeht, nicht vom Kaiser (den sie leicht lenken kann). Deshalb muß sie verhindern, daß Tschen Einfluß auf den Kaiser gewinnt. Das Stück demonstriert eine historische Tatsache, die revolutionäre Führer ihrem Volk vielleicht lieber nicht zeigen wollten: daß die Macht über die Thronfolge in den Händen von Frauen liegt.
1949 bezeichnete die chinesische Pressegesellschaft in Hongkong, deren Mitglieder schon immer eine Vorliebe für extravagante Geschichten und spöttische Kritik an der kaiserlichen Vergangenheit gehabt hatten, »Die geheime Hofgeschichte der Tsching-Dynastie« als den besten Film des Jahres. Obwohl die kommunistische Regierung die Aufführung des Bühnenstücks (das die Vorlage zum Film gewesen war) in der Frühzeit der Volksrepublik verboten hatte, wurde die Filmversion einem begeisterten Publikum gezeigt bis Tschiang Tsching den Film schnitt.
Doch die Filmzensur allein vermochte weder der Geschichte ihre Faszination zu nehmen noch die Kontroverse zwischen den Führern zu beenden. 1954 wurde eine Opernversion mit dem Titel »Kaiser Kuang-hsü und die Perlenkonkubine« im Schaohsing-Stil produziert (der erfordert, daß alle Rollen mit Frauen besetzt werden). In den nächsten drei Jahren wurde die Oper in Schanghai, Nanking und Hangtschou in einer dem jeweiligen regionalen Stil angepaßten Bearbeitung aufgeführt. 1957, als Liu Schao-tschi auf dem Gipfel seiner Macht war, wurde das ursprüngliche Bühnenstück wieder in Peking gezeigt und auf eine offizielle Liste vorbildlicher Stücke gesetzt, was bedeutete, daß das Stück nicht nur für gut befunden wurde, sondern auch als nachahmenswertes Vorbild galt.
Während Maos Bewegung gegen die Rechten in den Jahren 1957 und 1958 wurden alle Fassungen von Yaos berühmt-berüchtigtem Meisterwerk wieder verboten. 1962 erlebte eine Opernversion ein kurzes Comeback, aber schon im nächsten Jahr verschwand sie wieder von den Bühnen. Im Jahr 1967, auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution, wetterte Yao Wen-yüan heftig gegen den Film und beschimpfte Tschou Yang und andere Verantwortliche in aller Öffentlichkeit, weil sie für ihn eingetreten waren. Tschi Pen-yü,[22] ein Mitglied der von Tschiang Tsching geleiteten Gruppe für die Kulturrevolution, brandmarkte sowohl den Film als auch Liu Schao-tschi, der ihn befürwortet hatte. Im Mai 1967 machte Mao Tse-tung den Film unschädlich (oder versuchte es zumindest), indem er anordnete, diesen unverwüstlichen Streifen wieder im ganzen Land zu zeigen, diesmal als »negatives Beispiel«.
Danach war jede Aufführung von einer heftigen Propagandakampagne begleitet, in der auf alle schädlichen politischen Merkmale des Film hingewiesen wurde.
Der lange Disput über die »Geheime Hofgeschichte« war nicht an sich bedeutsam, fuhr Tschiang Tsching fort, sondern deshalb, weil ein Zusammenhang mit weiterreichenden Problemen der Kulturpolitik bestand. Gleich nach der Befreiung war der Import von Hongkongfilmen verboten worden. Nach nicht allzu langer Zeit ignorierte das Kultusministerium diese Vorschrift, mit dem Erfolg, daß Hongkonger Filmgesellschaften den chinesischen Markt wieder mit »äußerst korrupten Filmen, die Cowboys in Jeans und dergleichen zeigten«, überschwemmten. Der wesentliche Fehler an der »Geheimen Hofgeschichte«, argumentierte Tschiang Tsching in bewährter rnarxistischer Manier, sei die Tatsache gewesen, daß eine k(ipitalistische Gesellschaft (die Kun-lun in Hongkong) den Film produziert habe. Diejenigen, die die Filmrechte für die Volksrepublik erwarben, waren »naiv«, wenn sie glaubten, der Film sei in Ordnung, solange sein Inhalt nicht plump reaktionär war.
Sofort nachdem Tschiang Tsching den Film gesehen hatte, berief sie bei sich zu Hause eine Sitzung ein, an der Kulturfunktionäre, Schriftsteller und Historiker teilnahmen. Gemeinsam beratschlagten sie, ob der Film dem Volk gezeigt werden dürfe - mit welchen Gefahren das verbunden war, schien (auf der Sitzung) keiner zu erkennen - oder ob er sofort verboten werden solle. Den Vorsitz führte Lu Ting-i, in seiner Eigenschaft als Leiter der Propagandaabteilung der Partei Tschiang Tschings Vorgesetzter. Unter den Gästen befanden sich zwei Historiker, die sie kaum kannte. Nach deren Meinung sollte dieser Film trotz seiner Mängel in China gezeigt werden, aus dem einfachen Grund, weil er »patriotisch« war: Er behandle das Thema der Nationalen Verteidigung positiv. Tschiang Tsching reagierte auf die weit hergeholte Begründung mit eisigem Schweigen. Die Weigerung der beiden, die enormen Auswirkungen des Films auf den Klassenkampf in Betracht zu ziehen, machte sie wütend. Aber damals empfand sie ihre Position noch nicht als stark genug, um ihnen offen entgegenzutreten. Lu Ting-i murmelte ein paar grobe Worte vor sich hin, dann verkündete er, der Film sei in der Tat »patriotisch«. Tschiang Tsching protestierte heftig und sagte, er sei »verräterisch«. Ein anderer Teilnehmer forderte sie auf, sich zu erheben und ihre Kritik an Lu, Liu und allen Verteidigern des Films öffentlich vorzubringen. Das tat sie denn auch, indem sie mit lauter Stimme wiederholte: »Er ist verräterisch!«
Noch vor dem Ende der Sitzung wies sie die beiden Historiker an, eine Kritik über den Film zu schreiben. Später setzte sie sich mit ihnen in Verbindung, um zu erfahren, was sie geschrieben hatten. Sie antworteten ihr ausweichend und erklärten, sie solle das Schriftstück im Hause des Parteihistorikers Hu Tschiao-mu, eines Mannes, dem der Vorsitzende und sie selbst Vertrauen schenkten, holen lassen. Wie sich herausstellte, war ihre Kritik, die nicht viel taugte, im Haus eines Feindes von Hu Tschiao-mu versteckt worden. Da es Tschiang Tsching nicht gelungen war, professionelle Historiker für ihren Standpunkt zu gewinnen, nahm sie die Angelegenheit selbst in die Hand und verbot den Film kurzerhand.
In den Jahren 1950 und 1951, in denen viele Filme produziert wurden und zahlreiche Filmfestivals stattfanden,[23] begutachtete sie weiterhin Filme und befand viele für ungeeignet. Einer der ärgerlichsten war »Söhne und Töchter von China und Korea«, der während des Koreakriegs gedreht worden war. Nachdem sie im Namen des Film-Büros seine Mängel dargelegt hatte, wären die für die Produktion des Films Verantwortlichen »beinahe entkommen«. Einer der Filmleute erwies sich als »Konterrevolutionär«, ein anderer als »Parteirenegat«, und die Filmgesellschaft hatte früher »Verrätern« gehört. Tschiang Tsching ließ den Stellvertretenden Kultusminister, Tschou Yang, suchen und fand ihn in dem bereits erwähnten Schanghaier Filmstudio. Tschiang Tsching machte ihn darauf aufmerksam, daß ein Film über ein so aktuelles Thema wie den Koreakrieg zwangsläufig politische Auswirkungen auf die Beziehungen mit dem »Bruderland« Korea haben mußte, dessen Sache China unterstützte.
Diese Auswirkungen durften nicht negativ sein. Sie forderte Tschou Yang daher auf, den Film entweder entsprechend den Prinzipien der Revolution zu verändern oder ihn zu verbieten.
»Scheinheilig stimmte er mir zu«, erzählte sie, »und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.« Tschiang Tsching fuhr zurück nach Peking, ohne genau zu wissen, wie er sich nun verhalten würde. Kurz darauf rief sie ihn im Studio an und bat ihn noch einmal, den Film zu überarbeiten. Er gab noch rechtzeitig nach und ließ ein paar Änderungen machen, die riesige Summen verschlangen. Tschen Po-ta und Hu Tschiaomu, die mit Tschou in Verbindung standen, teilten ihr in einem Ferngespräch mit, daß der Film »Söhne und Töchter von China und Korea« tatsächlich geändert worden sei und sie ihn sich anschauen solle. Inzwischen war sie des mühsamen Tauziehens um Änderungen überdrüssig und hatte keine Lust mehr, sich das Resultat anzusehen.
In ihrem Gespräch über die Filmzensur der frühen fünfziger Jahre tauchte erneut der Name Ting Ling auf. Damals stand Ting Ling, die 1952 den Stalin-Preis für ihren Roman über die Bodenreform »Die Sonne scheint über dem SangkanFluß« gewonnen hatte, im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie war in verschiedenen Ausschüssen der Kulturverwaltung tätig und Herausgeberin der »Literaturzeitung«, Chinas angesehenster Literaturzeitschrift, die damals eine beachtliche politische Unabhängigkeit genoß - im Vergleich zu dem, was kommen sollte. Tschiang Tschings Bemerkungen über Ting betrafen nicht deren Kunst oder Führungsrolle innerhalb des literarischen Bereichs, sondern qualifizierten sie schlicht als politische Abtrünnige ab. (Angesichts dieser stereotypen Verurteilung fragt man sich, ob Ting Ling und andere, die von den Machthabern ähnlich geschmäht wurden, je wieder auf der politischen Bühne erscheinen werden, um ihren Fall vor dem Volk und dem Staat darzulegen.)
Jahre zuvor, sagte Tschiang Tsching, hätten der Vorsitzende und seine Anhänger angenommen, daß Tschou Yang und Ting Ling zwei verschiedenen Fraktionen angehörten. Als Ting Ling in den späten fünfziger Jahren »vom rechten Weg abkam, ging sie über zum Feind« (vermutlich zur KMT und ihren literarischen Vertretern). Manche vermuteten sogar, sie sei eine »Geheimagentin« (der KMT), doch hatten sie keine Beweise. Als Lu Hsün sie in den dreißiger Jahren protegierte, hatte er offensichtlich keine Ahnung, daß sie eine Renegatin war. Hu Feng, Hsiao Tschün und andere Schriftsteller, mit denen Ting Ling sich verbündete, hatten sich wenigstens die Mühe gemacht, eine »revolutionäre Verkleidung« anzulegen. Ihre Klüngelei ging zurück auf die Zeit der Aussprache in Jenan (1942), als Ting Ling, Hu Feng, Hsiao Tschün und ihre Anhänger »sich von den Massen entfernten«. Den Parteiführern war schon damals klar, daß diese Schriftsteller dem »Sektierertum« frönten. Ein Jahrzehnt später hatte sich nichts daran geändert, und schließlich verfielen sie vollends dem Sektierertum.
In den frühen fünfziger Jahren war Ting Ling dazu übergegangen, »auf Bestellung« zu schreiben.[24] Als Ting Ling merkte, daß Tschiang Tsching nicht gut auf Tschou Yang zu sprechen war - vielleicht wollte sie sich auch bei der Frau des Vorsitzenden einschmeicheln, vermerkte Tschiang Tsching - erbot sie sich, ein paar kritische Artikel über Tschou Yang und seine irrigen Ansichten über die Filmzensur zu schreiben. So tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten könnten nicht allein durch Ting Lings Feder beigelegt werden, erwiderte ihr Tschiang Tsching damals. In unserem Interview fügte sie hinzu, »ihr und anderen ihresgleichen einfach eins über den Kopf zu geben« (das heißt, sie direkt anzugreifen), hätte auch nichts genützt!

1951 und 1952 sei der Vorsitzende zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, um sich viele Filme anzusehen und sie zu beurteilen, sagte Tschiang Tsching, und sie selbst sei zu sehr in ihre eigene Arbeit vertieft gewesen, um intensiv zu verfolgen, was er tat, und zusammen mit ihm in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Filmkritik war nur ein Randgebiet ihrer »eigentlichen Arbeit«, die sie so charakterisierte: alle »Überzeugungskraft« einzusetzen, um den Grundherren und der Bourgeoisie die Ziele der Bodenreform klar zu machen. Doch wie eindringlich sie auch ihre Empfehlungen vortrug, »keiner hörte« ihr damals zu, bemerkte sie sarkastisch.
Dennoch machte sie in jenen Jahren zwei Reisen in ländliche Gebiete, beide Male inkognito.[25] Obgleich einige führende Genossen sie als Tschiang Tsching erkannten, war sie für die dortige Bevölkerung doch Li Tschin - wie sie ursprünglich hieß. Beide Reisen hingen mit Problemen der Bodenreform zusammen. Während ihres ersten Aufenthalts auf dem Land, der acht Monate dauerte, widmete sie sich einer Untersuchung über den geschichtlichen Hintergrund des Lebens Wu Hsüns, einer bekannten Figur des 19. Jahrhunderts, die es vom Bettler zum Erzieher gebracht hatte; die zweite Reise betraf ebenfalls die Bodenreform und dauerte drei Monate.
Der Film »Das Leben Wu Hsüns« wurde ab Dezember 1950 im ganzen Land gezeigt.[26] Besorgt über seine möglichen Auswirkungen schrieb Tschiang Tsching einen einführenden Bericht über die Hintergründe sowie einen Artikel, in dem sie ihre Forschungsergebnisse zusammenfaßte. Gleich nach der Veröffentlichung »war der Feind entwaffnet«, sagte sie unheilverkündend, und der Film wurde sofort aus dem Verkehr gezogen. Danach wurde er nur noch ausgewählten Gruppen gezeigt, niemals mehr den Massen. Dieser Artikel stellte jedoch nur den Beginn mühevoller Ermittlungen dar.
Oberflächlich gesehen scheint die Wu-Hsün-Legende, die Tschiang Tsching nicht im Detail erzählte, eine simple Erfolgsgeschichte nach konfuzianischem Muster zu sein. Wu Hsün gelang der überraschende, dennoch nicht unmögliche soziale Sprung: von der verarmten Masse in die herrschende Klasse. Mit dem Wunder dieses Aufstiegs beschäftigten sich mehr als ein Jahrhundert lang die geschichtlichen Analysen führender Denker.[27] Tschiang Tsching war die erste, die eine marxistische Kritik sanktionierte.
Von Tschiang Tschings Beteiligung an der Wu-Hsün-Affäre wußte zwar die Öffentlichkeit bis zu dem jetzigen Interview nichts, doch war die Wu Hsün-Legende in ganz China bekannt. Der 1838 geborene Wu Hsün war das jüngste von sieben Kindern einer armen Familie aus dem Dorf Wutschang in der Provinz Schantung. Seine Eltern starben früh, so daß er sich mit Betteln durchs Leben schlagen mußte. Statt die milden Gaben aufzubrauchen, sparte er so viel wie möglich. Was er an Bargeld bekam, betrachtete er als Kapital, das er gegen Zinsen an Grundherren und Wucherer auslieh. Schließlich betrieb er sogar Bodenspekulation. In seinem fünfzigsten Lebensjahr verwirklichte er sein lebenslang gehegtes Ziel: In Nachahmung der sozial Höhergestellten aus der Mandschu-Dynastie gründete er unter seinem Namen eine Schule, die den Söhnen der Armen eine kostenlose Ausbildung gewährte. Die erste Schule wurde in der Stadt Liu-lin, nahe seinem Heimatdorf errichtet, die zweite 1889 im Kreis Kuan-tao und die dritte im Jahr seines Todes in der Stadt Lin-tsching - alle drei in der Provinz Schantung.[28]
Die Reaktionen auf den ungewöhnlichen Fall Wu Hsün waren verschiedenartig. Für die Angehörigen der alten herrschenden Klasse - Grundherren und gentry - war es schmeichelhaft, daß ein Mann aus dem Volk bestrebt war, ihrem Vorbild nachzueifern. Die Reformisten priesen sein Werk, weil es den Armen Bildung ermöglichte, ganz im Sinne von Konfuzius und der Demokratie. Die Kommunisten reagierten langsam, bis Tschiang Tsching dazu Stellung bezog. Wu Hsün weiterhin als Vorbild zu verehren, so argumentierte sie, sei gefährlich, weil er die jetzigen nationalen Ziele in Mißkredit brachte: die grundbesitzende Klasse zu stürzen, die konfuzianischen Gelehrten zu begraben und die These der Reformisten (aus der Sicht der Kommunisten gleichbedeutend mit Revisionisten, siehe Liu Schao-tschi) zu widerlegen, daß Bildung die Klassenunterschiede aufhebe und zu gesellschaftlichem und politischem Erfolg führe. Nach Tschiang Tschings Auffassung hatte Wu Hsün das Proletariat verraten, gemeinsame Sache mit den Konfuzianern gemacht und auch kapitalistische Praktiken nicht abgelehnt.
Tschiang Tschings Interesse an Wu Hsün wurde durch den Film geweckt, die neueste Aufbereitung seiner Legende. Während Tschou Yang und Hsia Yen die Fertigstellung des Films überwachten (er war schon vor der Befreiung von der China Motion Pieture Company unter der Regie des in Amerika ausgebildeten Sun Yü begonnen worden), brachte sie Einwände gegen deren Konzept vor. Zu jener Zeit nahm niemand ernst, was sie sagte. Es stand zwar nicht in ihrer Macht zu verhindern, daß die Produzenten den Film nach eigenem Gutdünken drehten, aber sie konnte zumindest jemanden beauftragen lassen, einen kritischen Artikel darüber zu schreiben, der seine reformistisehe Tendenz hervorhob. Sie sprach also bei dem Stellvertretenden Kultusminister, Tschou Yang, vor und machte ihm diesen Vorschlag. Doch der spottete nur über ihre Idee und erklärte: »Ich kann mit ein bißchen Reformismus schon fertig werden!« »Dann machen Sie nur so weiter mit Ihrem Reformismus!« schrie sie ihn an und warf die Tür hinter sich zu.
Nun mußte sie alleine handeln. Zuerst sammelte sie alles Material, das sie über die Hintergründe des Wu-Hsün-Falles auftreiben konnte; dann verfaßte sie eine Stellungnahme. In jenen Tagen waren manche »führende ältere Genossen« (sie nannte keine Namen) noch voll des Lobes über Wu Hsün.[29] Sie war die einzige, die Briefe und Artikel ausfindig machte, in denen verschiedene Ansichten zu diesem Thema zu Wort kamen, während sie ihre eigenen Thesen formulierte. Als sie alles Material beisammen hatte, präsentierte sie es dem Vorsitzenden. Er mißbilligte ihr Vorgehen, es kam zu einem Streit, und schließlich ließ sie ihn stehen. Die nächsten Tage blieb sie in ihren eigenen Räumen. Er mußte sich offenbar über ihre Abwesenheit gewundert haben, denn schließlich erschien er in ihrem Arbeitszimmer, wo sie hinter Stapeln von Büchern und Papieren kaum noch zu sehen war. »Du sitzt also immer noch über dieser Sache«, bemerkte er trocken.
Was er auch dagegen einwandte, er konnte sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Kurz darauf lud sie Tschen Po-ta und Hu Tschiao-mu, beide vertrauenswürdige Ideologen, zu sich ein, um über den Fall Wu Hsün zu sprechen. Sie wies sie auf die ideologischen Gefahren des Films hin. Vor allem die verharmlosende Darstellung der grundbesitzenden Klasse und das übermäßige Lob der Bildung als Leiter zum sozialen Aufstieg waren Aspekte, die zwangsläufig Eindruck auf zahllose Zuschauer machen mußten. Tschou Yang bekam bald Wind von ihrem Vorhaben; er erfuhr, welche Leute sie traf und welche Schriften sie in Auftrag gegeben hatte. Er begann ihr solche Schwierigkeiten zu bereiten, daß sie sich vor die Entscheidung gestellt sah, ob sie die Sache in Peking weiterverfolgen oder die Stadt verlassen und woanders arbeiten wollte.
So traf sie im späten Frühjahr 1951 Vorbereitungen, um der Wu-Hsün-Legende auf den Grund zu gehen. Dazu mußte sie ins westliche Schantung fahren, in die Gegend, in der er berühmt geworden war. Da sie und er im gleichen Teil der Provinz geboren waren, würde sie keine Schwierigkeiten mit dem Dialekt haben - ein Pluspunkt für das Unternehmen. Da Mao ihre Reise nicht billigte, trat sie als Genossin Li Tschin auf. Nach all den Jahren erinnerte sich bestimmt niemand mehr an ihren Mädchennamen, und sie genoß dadurch mehr Bewegungsfreiheit. Sie sei die erste führende Genossin gewesen, die dort echte Forschungsarbeit geleistet habe, sagte sie stolz.
Als Tschou Yang von ihrem Plan erfuhr, den er, wie sie wußte, ablehnte, gab er ihr seinen Sekretär (und Verfasser von kulturpolitischen Schriften) Tschung Tien-fei unter dem Vorwand mit, er würde ihr bei dem Unternehmen assistieren. Ferner wurde die »Volkszeitung« beauftragt, den Journalisten Yüan Schui-po mitzuschicken, der für das Pekinger Büro Berichte über ihre Nachforschungen liefern sollte. Anfangs hatte sie Vertrauen zu Tschung und Yüan, aber bald merkte sie, daß Tschung ein »Rechter« war, den man mitgeschickt hatte, um ihr Projekt zu unterwandern.
Zusammen mit ihren Helfern bestiegen die drei den Zug nach West-Schantung. Im Kreis Tangi stiegen sie in einen Jeep um. Durch den plötzlichen Klimawechsel holten sie sich alle eine Erkältung, und ständig tropften Nase und Augen. Außerdem hatte Tschiang Tsching Halsweh, das sie mit Penicillintabletten behandelte (an dieser Stelle erörterte sie wieder einmal ausführlich ihre Theorien über medizinische Selbstbehandlung). Mit Erkältungen konnte sie fertigwerden, unerträglich war aber, daß diese Männer, die ihr doch bei ihrer Untersuchung helfen sollten, nur sehr widerwillig auf sie hörten. Nur mit verbissener Hartnäckigkeit schaffte sie es, sie schließlich zur Mitarbeit zu bewegen.
In der Kreisregierung von Tang-i wurden sie von Tuan Tschun-tsching, dem Sekretär des örtlichen Parteikomitees, empfangen, einem weithin bekannten Verfechter von Wu Hsün. Da er keine Ahnung hatte, wer sie war, gerieten sie sofort in eine Auseinandersetzung über Wu Hsün. Tschiang Tsching versuchte ihn zu überzeugen, daß die weitere Verehrung eines solchen Mannes letztlich die Partei und das Land ruinieren würde. Dank ihrer Überredungskunst akzeptierte Sekretär Tuan schließlich ihren Standpunkt, erklärte sich zur Zusammenarbeit bereit und gab ihr sogleich Informationen.
Ein einflußreicher Grundbesitzer sei für die Verbreitung des Wu Hsun-Kultes in den letzten beiden Jahrzehnten verantwortlich gewesen, erklärte ihr Tuan. Er vermittelte ihr Kontakte zu Agenten, »Lakaien« und Soldaten des Grundbesitzers, die im Untergrund operierten. Als sie erfuhr, daß auch der Sohn des Grundherrn in die Sache verwickelt war, bat sie Tuan, alles über ihn herauszufinden und ihr die Ergebnisse der Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Der alte Grundherr hatte sogar noch mehr Soldaten als Huang Schih-jen, der berüchtigte Grundbesitzer aus dem Revolutionsballett »Das Weißhaarige Mädchen« (das unter ihrer Regie während der Kulturrevolution entstand). Bald durchschaute sie die Technik seiner groß angelegten Kampagne und wußte nun auch, daß in dieser Gegend und sicher auch anderswo Schurken wie er auf der Lauer lagen, die alle eifersüchtig die alten Klassenprivilegien hüteten. Während ihre Arbeit Fortschritte machte, tauchten plötzlich zwei andere Untersuchungsgruppen auf, die eine aus der Provinz Hopeh, die andere aus der Provinz Pingyüan.[30] Tschiang Tsching war sich nicht sicher, wer sie beauf tragt hatte. Yüan Schui-po und andere, die sie unterstützen sollten, waren gegen den Austausch von Informationen mit diesen anderen Gruppen, die sie als Rivalen betrachteten. Tschiang Tsching hingegen wollte die Informationen nicht monopolisieren. Sie war nicht nur bereit, ihre Entdeckungen und Erkenntnisse mit den anderen zu teilen, sondern sie wollte auch die »breite Masse« des Gebietes dafür einspannen, Material über die grundbesitzende Klasse zu sammeln. Dies gelang ihr auch, und ihr Team kam immer besser voran. Dadurch verloren die Gruppen aus Hopeh und Pingyüan das Interesse an der Untersuchung und zogen in andere Gegenden.
Während ihrer ganzen Arbeit hielten sie sich an den strengen Empirismus, den der Vorsitzende Mao in seinen Anweisungen zu wissenschaftlichen Untersuchungen propagierte. Schon in Peking hatte sie sich durch das Studium von geographischen Namensverzeichnissen und Geschichtswerken über das Gebiet von Schantung vorbereitet; in Schantung setzte sie dann ihre Recherchen fort und ergänzte sie durch viele persönliche Gespräche mit Einheimischen. Name, Alter, Tätigkeit und Erinnerungen an Wu Hsün wurden genau verzeichnet. Allmählich nahm der geschichtliche Hintergrund von Wu Hsüns Leben Gestalt an.
Nachdem Yüan Schui-po im Auftrag Tschiang Tschings ein paar Tage in Lin-tsching nachgeforscht hatte, rief er sie an und teilte ihr mit, er habe keine Hinweise auf Verbindungen von Wu Hsün zur Grundbesitzerklasse entdecken können. Enttäuscht drängte sie ihn, seine Anstrengungen zu verdoppeln, kurz danach kam sie ebenfalls nach Lin-tsching, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Unter dem Decknamen Li Tschin - ihre Anonymität blieb vollkommen gewahrt - hielt sie den Mitgliedern der Parteikomitees von Stadt und Bezirk eindringliche Vorträge über die unheilbringenden Einflüsse des »Geistes von Wu Hsün«. Beeindruckt und vielleicht auch erschrocken über ihre Darlegungen versprach man, sich für ihr Projekt einzusetzen und sie bei ihrer Rekonstruktion der ursprünglichen geschichtlichen Situation zu unterstützen.
Auf ihre Anordnung blieben Tschung Tien-fei und Yüan Schui-po in Lintsching zurück, während sie selbst in dem nahegelegenen Kreis Kuan mehrere Wochen lang anderen Aspekten der Geschichte von Wu Hsün nachging.
Die Untersuchungen dauerten den ganzen Sommer über bis zum Frühherbst. Daß sie während dieser langen Zeit ohne bestimmte Annehmlichkeiten auskommen mußte, an die sie sich inzwischen gewöhnt hatte, belastete ihre ohnehin angegriffene Gesundheit. Trotz der Schwindelanfälle, die sie immer wieder überkamen, arbeitete sie unermüdlich weiter.
Eines Tages meldete sich Yüan Schui-po aus Lin-tsching mit der Nachricht, er sei auf ein Grundbuch gestoßen, in dem Wu Hsün als Grundbesitzer eingetragen sei. Hocherfreut über das Beweismaterial ließ Tschiang Tsching das Buch sofort in den Kreis Kuan bringen. Dort fotografierten sie es ab und schickten eine Kopie an den Historiker Kuo Mo-jo, der ihre Untersuchung von Peking aus verfolgte.[31]
Bei der Rekonstruktion der Geschichte Wu Hsüns entdeckte Tschiang Tsching, daß sein Leben von tiefer Trauer und Enttäuschung geprägt war wie sie es bezeichnete - was in den früheren Lobeshymnen über ihn immer übersehen worden war. In Nachahmung seiner gesellschaftlichen Leitbilder gab er sich viel mit Frauen ab und legte sich mehrere Konkubinen zu. Eine von ihnen lebte damals noch und ließ sich bereitwillig interviewen.
Um die Motive für sein Verhalten zu erhellen, sezierten sie nicht nur seine Herkunft, sondern auch seine Beziehungen zu der Klasse, in die er später aufgerückt war. Arm geboren, schaffte er den Aufstieg, um dann nichts weiter zu sein als ein »gehorsamer Lakai der Grundbesitzerklasse«. Sie bemühten sich auch, ihn vor dem Hintergrund seiner Zeit zu sehen. Zum Beispiel gründete er seine erste Schule im Jahre 1888 in Liu-lin, damals eine der blühendsten Städte von ganz China. Die frommen Legenden über seine philanthropische Karriere verschwiegen jedoch, daß sich in diesem Gebiet um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als es an vielen Orten zu Unruhen kam, Tausende von Bauern zu einem Aufstand erhoben hatten - ein Ereignis, das sich in Wu Hsüns rückschrittlicher Laufbahn in keiner Weise spiegelte. Der aus Liu-lin gebürtige Banditengeneral Sung Tschingschih profilierte sich während anderer Bauernaufstände als ein hervorragender Führer.[32] Auch die Truppen der Schwarzen Flagge hatten hier gekämpft.[33] Die Provinz Pingyüan entstand 1949 im wesentlichen aus Teilen der Provinzen Honan und Schantung; sie wurde 1952 aufgelöst, als die früheren Provinzgrenzen wiederhergestellt wurden. Der Taiping-Führer Li Kaifang war einmal mit seinen Anhängern durch diese Gegend gezogen, aber die Taiping lehnten es ab, einheimische Bauernaufstände im westlichen Schantung zu unterstützen - sie ergriffen nur Partei für die Klasse der Grundbesitzer(!). Und auch Wu Hsün hatte an keiner einzigen Bauernrevolte teilgenommen. Spätere Biographen priesen ihn immer in den unterwürfigsten Tönen, in Wirklichkeit besaß er jedoch zu seinen Lebzeiten einen ganz anderen Ruf. Einige der alten Bauern, die von Tschiang Tsching und ihren Helfern befragt wurden, erinnerten sich noch an seinen Spitznamen Wu Toumou, den man ihm wegen seiner abstoßenden Erscheinung gegeben hatte von seinen Lippen troff der Speichel, ein Zeichen seiner Besitzgier.
Der schlimmste Fehler Wu Hsüns bestand nach Tschiang Tschings Ansicht darin, daß er seine ganze Energie für formale Bildung einsetzte. Für ihn war alles in Ordnung, wenn es nur ein paar Schulen mehr gab. Doch Tschiang Tschings eigene Nachforschungen in den Annalen der Schulen von Liu-lin ergaben, daß Wu Hsüns Schule zwar kostenlos war, den Ärmsten der Armen jedoch nicht offenstand. Ein paar Kinder von Mittelbauern durften aufgenommen werden, aber die von armen Bauern und Lohnarbeitern waren ausgeschlossen. Folglich konnten sich nur die Söhne von Mittelbauern die Grundlagen von Lesen und Schreiben aneignen und damit ihre Lebensbedingungen verbessern. Solche Tatsachen wurden von den Verteidigern der herrschenden Klasse übergangen. Nach dem Tode von Wu Hsün ehrte ihn der höchste Regierungsbeamte von Liu-lin - natürlich aus eigenem Interesse - indem er die von ihm gegründete Schule in »Wu-Hsün-Mittelschule« umbenannte und prächtige Denkmäler für ihn errichtete.
Im Verlauf der achtmonatigen Nachforschungen in Schantung schrieb Tschiang Tsching eine Reihe von Berichten, die sie dem Vorsitzenden zur Durchsicht vorlegte. Er überarbeitete jeden ihrer Artikel. Ein Teil der Literatur über Wu Hsün stamme sogar ganz aus der Feder des Vorsitzenden, fügte sie hinzu.[34]
Während der Untersuchungen veröffentlichte die »Volkszeitung« täglich ihre Berichte. Um die Berichterstattung in Gang zu halten, machten sie auch viele Interviews mit alten Leuten, deren Erinnerungen bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreichten. Mitglieder von Tschiang Tschings Team befragten sie einzeln und hielten auch oft Sitzungen mit der Bevölkerung ab. An die Alten heranzukommen, war nicht immer leicht. 1951 waren die noch lebenden Absolventen der Schulen von Wu Hsün alle über siebzig; ein paar hatten sogar die Hundert überschritten. An manchen von den ganz Alten war die Revolution spurlos vorübergegangen, und sie mißtrauten den Motiven der Befrager. Sie beschuldigten Tschiang Tsching und ihre Genossen, der Frage des »Reformismus« (die sich hier im Zusammenhang mit dem Konfuzianismus und der gesellschaftlichen Hierarchie stellte) nur deshalb nachzugehen, weil sie einer »höheren Klasse« angehörten, und schauten deshalb auf sie herab. (Es amüsierte Tschiang Tsching, daß man sie einmal für eine Reformistin gehalten hatte.) Als die Berichte der Gruppe erschienen und überall verbreitet wurden, fuhr sie wieder ernsthaft fort, fühlten sich einige der Alten, die Wu Hsün und seiner Legende immer die Treue gehalten hatten, zutiefst gedemütigt. Bloßgestellt waren aber auch jene Parteiführer, die sein Vorbild in den Himmel gehoben hatten. Sogar der Stellvertretende Minister für Kultur, Tschou Yang, der sich anfangs so hartnäckig gegen die von ihr betriebene Zerstörung der Legende gestellt hatte, war gezwungen, öffentliche Selbstkritik[35] zu üben, wie es im Sprachgebrauch der chinesischen Kommunisten heißt.

Nach Abschluß des Falles Wu Hsün kehrte Tschiang Tsching Anfang September 1951 nach Peking zurück. Doch von Ruhelosigkeit getrieben, beschloß sie, abermals aufs Land zu gehen, um ein zweites Mal an der Bodenreformbewegung teilzunehmen, die damals ihren Höhepunkt erreicht hatte. Beeindruckt von der Leistung, die sie soeben vollbracht hatte, unterstützte der Vorsitzende diesmal ihren Entschluß. Einige andere waren jedoch nach wie vor dagegen, daß sie direkte Verbindung zu den Massen aufnahm. Tschou Yang, noch immer Stellvertretender Minister für Kultur, entfachte unter den Parteichefs einen »heftigen Kampf«, in dem es darum ging, ob man sie ziehen lassen solle oder nicht. Am Ende setzte sie sich durch und schloß sich einer Gruppe an, der auch einige Parteiführer angehörten, unter anderen ein Politbüromitglied, der Wirtschaftswissenschaftler Li Hsien-nien. Sie reisten mit dem Zug nach Wuhan, einem bedeutenden Industriezentrum am Yangtse. Bei der Ankunft in Wuhan nötigte man Tschiang Tsching plötzlich, mit ihren Leibwächtern auszusteigen, während die anderen die Fahrt ins Landesinnere fortsetzten. Sie war wütend über diese Benachteiligung, konnte aber nichts dagegen unternehmen. Li Hsien-nien, den sie für einen Verfechter ihrer Sache hielt, blieb in Wutschang, einer nahegelegenen Stadt südlich des Yangtse.
Von Beginn an wurde ihre aufrichtige Absicht, auf die übliche Weise an der Bodenreform mitzuwirken, bei jedem Schritt hintertrieben. Schon die Zusammensetzung ihrer Arbeitsgruppe war äußerst merkwürdig - alle waren Leibwächter, mit Ausnahme von ihr.[36] Gemäß bestimmter Anweisungen von oben durfte ihre Gruppe die Umgebung von Wuhan nicht verlassen, und man erlaubte ihr auch nicht, unter den Bauern zu leben oder wenigstens mit ihnen in Kontakt zu kommen, es sei denn in Ausnahmefällen, die sie aber herbeiführen mußte. Oberdies zwang man sie, weiterhin inkognito als Li Tschin zu arbeiten, weil das Volk nicht ihre wahre Identität erfahren sollte.
Kaum hatte sich ihr Kontingent von Leibwächtern in einer Landgemeinde nahe Wuhan niedergelassen, als ihr das Parteikomitee der Region Zentralund Südchina seinen eigenen Sicherheitsbeauftragten schickte. Dieser zusätzliche Leibwächter war eine bullige Frau, die ständig eine Pistole trug und Tschiang Tsching auf Schritt und Tritt beschattete, was deren Arbeit sehr behinderte. Einmal beim Besuch im Haus eines Bauern hatte Tschiang Tsching gerade Platz genommen, als diese Person mit eisiger Stimme sagte: »Der Mann ist krank!« Tschiang Tsching erkannte, das dies nur ein Trick war, um sie aus dem Haus zu treiben, und so warf sie kurzerhand die Leibwächterin hinaus und setzte ihr Gespräch unter vier Augen fort.
Ein anderes Mal versuchte sie mit einer Kuhhirtin in Kontakt zu kommen, die vor kurzem in die örtliche Miliz eingezogen worden war. Kaum waren sie ins Gespräch gekommen, stellte sich die Leibwächterin breitbeinig zwischen sie. Tschiang Tsching fuhr sie an: »Stehen Sie als Leibwächterin unter oder über meiner Arbeit? Sie halten mich von den Massen fern!«
Die Taktiken dieser Frau waren höchst seltsam. Tschiang Tsching konnte nur vermuten, daß Tschou Yang, der so strikt gegen das ganze Unternehmen gewesen war, die Frau auf diese Tricks gebracht hatte. Immer wieder sagte sie zu Tschiang Tsching, sie müsse bessere Nahrung essen. In Wirklichkeit wollte sie etwas Besseres und erwartete, daß Tschiang Tsching es für sie beide bestellte. Was die Person am liebsten aß, waren »fette Sachen«, die wiederum Tschiang Tsching nicht mochte. Damit die Situation nicht langsam unerträglich wurde, bestimmte sie die - recht bescheidene - Menge, die täglich gekocht werden sollte. Das verärgerte nun die Leibwächterin derart, daß sie sich von ihrem Mann für die Dauer ihres Dienstes spezielle Gerichte schicken ließ.
Während der ganzen Zeit erfuhr die Leibwächterin nie die wahre Identität der Genossin Li Tschin. Nur Tschiang Tschings eigene Leibwächter, die mit ihr aus Peking gekommen waren, wußten, wer sie war, bewahrten darüber aber Stillschweigen. Auch der Vorsitzende des Kreisbauernverbandes, ein Mann, mit dem sie häufig zu tun hatte, hielt sie für eine Genossin wie alle anderen. Obwohl die Stadt Wuhan ganz in der Nähe lag, war die Gegend kulturell rückständig und dünn besiedelt. Mehr als zwei Jahre nach der Befreiung trieben sich noch immer Banditen und »Rowdygruppen« in den ausgedehnten Sumpfgebieten herum. Es war kaum zu glauben, daß dieses Gebiet früher unter der Kuomintang-Herrschaft als »Modellkreis« gegolten hatte. In Wirklichkeit war das Gebiet äußerst rückständig, und die Massen sträubten sich hartnäckig, sich für die Bodenreform mobilisieren zu lassen. Als Tschiang Tschings Arbeitsgruppe mit der Verfolgung von Mitgliedern der Unterdrückerklasse begann, mußte sie feststellen, daß sie gar nicht die gesetzliche Befugnis hatte, jemanden festzunehmen. Zu diesem Zweck mußten sie eine Anklage vor Gericht erheben, und das war mühsam und lästig. Während der ganzen Zeit ging ihre Gruppe nach der Regel vor, nur solche Grundherren zu »belangen« (was wohl bedeutete, sie zu töten), von denen man wußte, daß sie Morde begangen hatten.
Der Vorsitzende Mao und das Zentralkomitee hatten bestimmt, daß die Arbeitsgruppen sich bei der Durchführung der Bodenreform auf die Drei Berge (Feudalismus, bürokratischer Kapitalismus und Imperialismus) konzentrieren sollten, ein Ratschlag, den sie auch befolgten. Auf dem Land war ihr Hauptfeind die feudale Grundherrenklasse; sie hatten es jedoch nur auf jene Grundbesitzer abgesehen, die als die übelsten Mörder und Verbrecher bekannt waren; den übrigen gab man noch eine Chance. Die armen Bauern und die der unteren Mittelbauern, die die Mehrheit darstellten, standen teilweise in enger Beziehung zu den Mittelbauern, einer Gruppe, die ebenfalls verschont blieb. Was die reichen Bauern betraf, so durften sie alles Land behalten, das sie selbst bearbeitet hatten; das durch die Ausbeutung anderer erworbene Land wurde ihnen weggenommen.[37] Zur Bestätigung ihrer Aussage kramte Tschiang Tsching unter den Papieren auf ihrem Schoß und zog schließlich ein zerknittertes Exemplar des Bodenreformgesetzes vom 30. Juni 1950 hervor. Sie überflog es und las laut daraus vor.
Der erste Schritt bei der Bodenreform bestand darin, den Chef der »Ortstyrannen« ausfindig zu machen. Gewöhnlich war dieser auch das Oberhaupt der Organisation der Grundbesitzer. In der Regel gab es neben ihm viele kleinere Grundherren, deren Ländereien weit verstreut sein konnten. Tschiang Tschings Arbeitsgruppe beschloß, ihren Angriff gegen etwa acht bis zwanzig Prozent der schlimmsten Tyrannen unter den Grundherren zu richten. Einem von den »Ortstyrannen«, die von ihrem Team aufgespürt worden waren, hatte die Bevölkerung den Spitznamen »Pockennarben-Tschin« gegeben. Bei der Ausübung ihrer Macht stützten sich die Grundbesitzer auf ein Netz von Geheimagenten. Obwohl diese Männer eigentlich »geheime Sicherheitsagenten« sein sollten, verrieten sie sich durch verschiedenfarbige Armbinden und wurden so zu einer leichten Beute für Gangster und Mörder und nun auch für die Bodenreformer.
Es gelang Tschiang Tschings Aibeitsgruppe, allmählich der schlimmsten Ausbeuter habhaft zu werden und sie den Gerichten zu überantworten. Alle Maßnahmen, die sie trafen, wurden entsprechend dem Bodenreformgesetz ausgeführt. Mao und das Zentralkomitee hatten das Recht zur Bestrafung der Schuldigen ausschließlich den Provinzregierungen übertragen. (Darüber äußerte sich Tschiang Tsching nicht genauer.) Das Volksgericht machte die Strafe davon abhängig, welche Art von Verbrechen die Tyrannen an den einheimischen Bauern begangen hatten. Tschiang Tsching erinnerte sich an den beängstigenden Anblick der Massen, wenn sich ihr angestauter Haß entlud. Wenn die Leute außer Rand und Band gerieten, mußte ihre Arbeitsgruppe einschreiten, um zu verhindern, daß die Tyrannen an Ort und Stelle zu Tode geprügelt wurden. Oft mußten sie die Miliz holen und mit deren Hilfe die Gewalttätigkeiten des Mobs gegen die entlarvten Unterdrücker eindämmen. Einmal geriet eine Gerichtsverhandlung außer Kontrolle. Tschiang Tsching und andere Mitglieder ihrer Gruppe wurden tätlich angegriffen, während sie sich als Puffer zwischen die Tyrannen und die entfesselten Massen stellten, die sie alle zu zermalmen drohten.
Wenn die Massen sich wieder beruhigt hatten, packte die Arbeitsgruppe den Tyrannen und schleppte ihn vor das Volksgericht, das ihn zum Tode verurteilte. War die Arbeit gut gemacht, versetzte das Schauspiel der Hinrichtung das Volk in Ekstase. Nie würde Tschiang Tsching das faszinierende und grausame Drama vergessen, das sich, immer mit demselben Ablauf, während der Bodenreform abspielte - der Tyrann wurde angeklagt, die Massen wurden aufgeputscht, dann fällte man das Urteil, und schließlich erfolgte die öffentliche Hinrichtung.[38]
Zu der Zeit, als diese erschütternden Ereignisse stattfanden, wußte die Bevölkerung nie genau, wer Tschiang Tsching und die anderen Mitglieder ihrer Gruppe eigentlich waren. Aufgrund ihrer guten Ausrüstung vermuteten offenbar manche, sie hätten irgendeine »offizielle« Mission. Doch die Rolle Tschiang Tschings blieb ihnen ein Rätsel. Da sie eine Kamera dabei hatte und oft photographierte, hielten sie manche Bauern für eine Berufsphotographin. Wenn aber ein Photograph dabei war, dann, so folgerten sie, konnten die anderen nur Vertreter der Kreisregierung sein. Um die Mentalität dieser Bauern zu verstehen, erklärte Tschiang Tsching, müsse man sich vor Augen halten, daß für sie, deren Kenntnis von der Welt so beschränkt war, ein Vertreter der Kreisregierung die höchste Amtsperson war, der sie je in ihrem ganzen Leben begegnen würden. Da sie die anderen also für Amtspersonen hielten, erhöhte das auch den Respekt vor ihr.
Im Gesamtplan der Bodenreform war die Identifizierung und Hinrichtung der Ortstyrannen die erste Phase; die Neuverteilung des Bodens war der nächste Schritt. Nach Tschiang Tschings Erfahrung nahmen beide Etappen zusammen zehn bis zwölf Tage in Anspruch. Wenn die Neuverteilung des Bodens begann, nahm die Arbeitsgruppe die Einteilung in Klassen vor: Sie stellte fest, wer der Klasse der Grundherren, der reichen und der Mittelbauern angehörte. Dies bestimmte dann die Art der Neuverteilung. Da jedes Gebiet eine andere soziale Schichtung hatte, variierte dementsprechend die Anwendung des Bodenreformgesetzes.
Als Tschiang Tsching im Gebiet von Wuhan arbeitete, hörte sie Berichte von einer anderen Gegend, wo sowohl Vertreter des Kreises wie auch der Kreisregierung die reichen Bauern fälschlich als Grundherren und die Mittelbauern als reiche Bauern eingestuft hatten. Diese Manipulation der Klassenanalyse war von den verantwortlichen Genossen zweifellos beabsichtigt gewesen, sie hatte jedoch den Nachteil, daß die soziale Zielgruppe erweitert wurde. In ihrem Gebiet verstärkte Tschiang Tsching die Anstrengungen, um sinnlose Gewalttätigkeiten zu verhindern. Nach Abschluß ihrer Voruntersuchung rief sie die örtlichen Regierungsvertreter zusammen und fragte sie, welche Regeln sie selbst sich für das Verfahren gesetzt hätten. Sie klassifizierten zwischen sechzehn und zwanzig Prozent der einheimischen Bevölkerung als Grundherren und reiche Bauern. Diese Zahl sei zu hoch gegriffen, wandte sie ein, und dann wurde endlos über diese Frage debattiert.
Der schlaueste Trick, um mehr Land verteilen zu können, bestand darin, selbst Mittelbauern zu überreden, daß sie einen Teil ihres Bodens für die Umverteilung zur Verfügung stellten. Doch das Land dieser Kategorie von Bauern war normalerweise zu dürftig, als daß es sich gelohnt hätte. Da Tschiang Tsching nicht genügend Autorität besaß, um mit ihren Ansichten durchzudringen, telefonierte sie mit dem Parteikomitee der Provinz. Sie bat einige der örtlichen Amtsträger, sich neben sie zu stellen, damit sie das Gespräch mithören konnten. Eine solch unverantwortliche Erweiterung der Zielgruppe sabotiere die Parteipolitik, verkündete sie durchs Telefon. Die falsche Politik, Mittelbauern das Land wegzunehmen, müsse gestoppt werden.
Die Schwierigkeiten nahmen kein Ende. In jenem November 1951 suchte eine Kältewelle Zentralchina heim. Obwohl Tschiang Tsching stets Pelzmäntel und dicke Jacken trug, schlotterte sie vor Kälte und bekam blaue Lippen. Der Vorsitzende Mao, der regelmäßig über ihr Befinden informiert wurde, ließ ihren Wintermantel aus Peking schicken. Aber sie wagte es nicht, ihn zu tragen, weil das Material und der Schnitt so ausgefallen waren, daß die Leute vielleicht daran erkannt hätten, wer sie in Wirklichkeit war. Auch Li Hsien-nien erfuhr, daß sie wegen der bitteren Kälte nachts nicht mehr als zwei oder drei Stunden schlafen konnte und sich einen Husten zugezogen hatte, der sich zu einer Bronchitis entwickelt hatte. Er riet ihr, sie solle in Wutschang zum Arzt gehen. Das tat sie, aber die verordnete Medizin hatte wenig Erfolg. Kurz nachdem sie wieder auf ihrem ländlichen Posten war, schickte ihr Li Hsien-nien eine Fuhre Holzkohle. Jeden Abend machten nun ihre Leibwächter ein Feuer und ließen es die ganze Nacht brennen. Sie war dankbar für die Holzkohle, doch ihr ewiger Husten verging nicht. Um ihre Arbeit zu erledigen, mußte sie jeden Tag mehrere Stunden zu Fuß gehen, meist über unwegsames Gelände. Die dortige Bevölkerung war natürlich an das rauhe Winterklima gewöhnt. Einige der Bauern, die sahen, wie ihre Kräfte erlahmten, spotteten: »Wofür halten Sie sich eigentlich?«
Unter solchen Belastungen kämpfte sie ständig an zwei Fronten, »nach außen hin gegen die Grundherrn, innerlich gegen mich selbst«. Während sie bemüht war, ihre eigene Schwäche zu besiegen, betrieb sie mit ihrer Gruppe energisch die Einteilung der Klassen sowie die Verteilung von beweglichem Eigentum. Manche Grundherren, die wußten, was auf sie zukam, verfielen in ihrer Panik auf absurde Ideen. Einige hofften, ihre Garderobe zu retten, indem sie Dutzende von Anzügen oder langen Gewändem übereinander anzogen. Sie boten einen lächerlichen Anblick und konnten sich gar nicht mehr bewegen, aufgebläht wie sie waren! Aber nicht nur die Grundherren, auch die anderen brauchten lange, um sich auf die veränderte Situation einzustellen. Tschiang Tsching erinnerte sich an einen Lohnarbeiter, der überhaupt keine Kleidung besaß. Als man ihm eine Steppdecke und ein langes Gewand gab, wagte er es nicht, sie anzunehmen, weil er psychisch noch immer unter dem einschüchternden Druck des Grundherren stand, dem die Sachen gehört hatten. Natürlich konnten die Bauern auch gierig sein - sie kannten ja nichts anderes. Wenn Kleider, Betten, Bettzeug und Möbel verteilt wurden, rissen die armen Bauern und Lohnarbeiter, die solche Dinge noch nie besessen hatten, habsüchtig alles an sich, ohne an die anderen zu denken.
»Warum nehmt ihr eine große Steppdecke, wo ihr sie doch gar nicht braucht?« wies sie ein paar Landarbeiter zurecht. Ihnen mußte sie das Selbstverständliche erklären: Da die meisten Junggesellen waren (das heißt zu arm, um zu heiraten), brauchten sie Haushaltsgerät weniger dringend als arme Bauernfamilien, von denen viele noch nie ein Bett besessen hatten. Ein Teil von Tschiang Tschings Aufgabe bestand darin, die Bauern »großzügiges Denken« zu lehren, worunter sie Gerechtigkeit und Kooperation verstand.
Die Landverteilung brachte noch andere Probleme mit sich. Manche Bauern sträubten sich, sumpfige Felder anzunehmen oder Parzellen, die oft überschwemmt wurden. So mußte sie sie erst davon überzeugen, daß »feuchtes« Land bessere Ernten brachte. Dann gab es Streitigkeiten, wenn weit verstreute Felder einem einzigen Haushalt zugewiesen wurden, oder auch wenn es an die Verteilung von ungewöhnlich fruchtbarem Land ging.
Kuriose Situationen ergaben sich, wenn sie Hirten Häuser zuteilen wollten. Diese Nomaden hatten noch nie in Häusern gelebt und wußten kaum, was sie damit anfangen sollten. Selbst politische Aktivisten konnten verbohrt sein, wenn es darum ging, etwas anzunehmen. Keiner wollte etwas aus dem Haus eines anderen holen: Erst nachdem er politisch erweckt worden war, wagte er es, sich etwas anzueignen. Probleme entstanden auch jedesmal, wenn Zugtiere, Büffel und landwirtschaftliche Geräte verteilt wurden. Das alles wurde dringend gebraucht, war aber nicht in ausreichender Zahl vorhanden. In Tschiang Tschings Gebiet gab es bloß einen oder zwei Büffel zu verteilen.
Während dieser Phase der Bodenreform frischte sie ihr Wissen über sozialistische Theorie auf. Sie ließ nicht außer acht, daß im Prinzip und in der Praxis die wichtigste Aufgabe darin bestand, sich zu organisieren. Daraus folgte das nächste Stadium - die Schaffung einer neuen regionalen Regierung auf demokratischer Grundlage.
Da sie wußte, daß die Bauern erfüllt waren von utopischen Hoffnungen und nahezu außer sich vor Erregung über die bereits vollzogenen drastischen Änderungen, wagte sie nicht, an der Schlußsitzung der ganzen Gemeinde über die Bodenreform teilzunehrnen (vielleicht aus Angst vor dem Mob?). Als für sie und ihre Arbeitsgruppe die Zeit zur Abreise gekommen war, scharten sich die Bauern um sie mit Trommeln und Gongs. Unter den Leuten, die gekommen waren, um sie zu verabschieden, befand sich auch eine Witwe, die sich nicht von der Welt zurückgezogen hatte, wie es die Tradition befahl, sondern im Zuge der Bodenreform zur politischen Aktivistin geworden war. Mit tränenüberströmten Gesicht drängte sie sich zu Tschiang Tsching heran, und auch Tschiang Tsching weinte. Aus einem späteren Bericht über die Wahlen, die am nächsten Tag in jener Stadt abgehalten worden waren, erfuhr Tschiang Tsching, daß man diese Frau in die Bauernvereinigung gewählt hatte. Als sie ihren neuen Posten antrat, gestand sie den Massen, einmal Mitglied des Geheimbundes I Kuan Tao (der zur traditionellen Unterwelt gehörte) gewesen zu sein. In all den Tagen ihrer gemeinsamen Arbeit habe ihr die Frau das nie erzählt, bemerkte Tschiang Tsching skeptisch (möglicherweise verdächtigte sie die Frau, weiterhin für diese Untergrundorganisation gearbeitet zu haben).
Nach Abschluß der Bodenreform kehrte ihre Arbeitsgruppe nach Wuhan, der Provinzhauptstadt von Hupeh, zurück, um eine »Zusammenfassung« der geleisteten Arbeit vorzunehmen. Nicht immer hatte bei der Bodenreform die Gerechtigkeit gesiegt; die Abweichungen erklärten sich durch die verschiedenen politischen Orientierungen der zuständigen Beamten. Diejenigen, die zu weit nach links tendierten, benannten und verurteilten zu viele Grundherren, während diejenigen, die zu weit rechts standen, zu wenige benannten, mit dem Erfolg, daß viele Grundherren ungeschoren davonkamen. Das Problem, wie Mittelbauern zu identifizieren und zu behandeln seien, machte fast allen Gruppen, die an der Bodenreform teilnahmen, zu schaffen. Während der abschließenden Beratungen in Wuhan fragten Vertreter aus anderen Bezirken Tschiang Tsching und ihre Gruppe, nach welcher Seite sie tendierten (die Antwort war, daß sie die Mittelbauern schonungsvoll behandeln wollten). Auf Sitzungen in Wutschang, an denen sie anschließend teilnahmen, berichteten sowohl der Sekretär als auch der Vorsitzende des dortigen Parteikomitees, die Massen, bei denen sie die Reform durchgeführt hätten, seien überzeugt gewesen, daß ihr Wahlspruch »Hände weg von den Mittelbauern« getreulich befolgt worden sei.
Ihre nächste Station war Hankou, die dritte mit Wuhan verbundene Stadt am Yangtse, wo Teng Tze-hui für die Bodenreform zuständig war. Obgleich nominell Lin Piao für die Zentral- und Südregion verantwortlich war, bekam sie ihn dort nicht zu sehen. Bei der Bodenreformbewegung habe er nicht die geringste Arbeit geleistet, sagte sie.[39]
Nach dem IX. Parteikongreß im Jahre 1969 (bei dem Tschiang Tsching und Ye Tschün, die Frau Lin Piaos, als einzige Frauen in das Politbüro des Zentralkomitees gewählt wurden) beschloß Ye Tschün, »Staub aufzuwirbeln«, wie Tschiang Tsching es ausdrückte. Ye Tschün behauptete von sich, während der Bodenreformbewegung habe sie unten an der Basis gearbeitet, was überhaupt nicht stimmte. Außerdem sagte sie, daß es dort, wo Tschiang Tsching an der Bodenreform teilgenommen habe, nicht zu den geringsten Änderungen gekommen sei. Während Ye Tschün das alles vorbrachte, vermochte Tschiang Tsching ihren Zorn zu unterdrücken, aber gleich danach reichte sie beim Politbüro förmlich Beschwerde gegen Ye Tschüns falsche Beschuldigungen ein.
Zugegebenermaßen war man in der Gegend um Wuhan, wo sie die Bodenreform durchgeführt hatte, Veränderungen gegenüber nicht gerade aufgeschlossen. Abermals erwähnte sie, wie anmaßend es von der KMT gewesen sie, gerade dieses Gebiet zum Musterkreis zu erklären- nach kommunistischen Maßstäben war es äußerst rückständig. Alte Bräuche und reaktionäre politische Überzeugungen waren weitgehend ungebrochen. Selbst nach der Befreiung sickerten noch viele KMT-Mitglieder in das Gebiet ein und belästigten skrupellos Frauen und junge Leute. Fast die ganze Bevölkerung beteiligte sich an Glücksspielen. Oberall trieben sich Banditen herum, und man war sich seines Lebens nicht sicher. Selbst die Arbeiter waren widerspenstig. Sie hatte einen gekannt, der sich selber die Beine gebrochen hatte, um sich vor der Arbeit zu drücken.
Während sie in diesem »Musterbezirk« lebte, versetzte das Gerücht, ein Tiger treibe sich in der Gegend herum, die Bevölkerung in Angst und Schrecken.[40] Aber die Leute waren so eingeschüchtert, daß niemand es wagte, die Sache offiziell zu melden. Also ging sie personlich durch das Dorf und sagte den Leuten, sie sollten sich mit Stöcken bewaffnen und Wachen aufstellen. Als sie dann in einer Mondnacht auf ihrem Bett lag, durchdrang ein Gebrüll die Nacht. Ihr Leibwächter sprang auf und lief ängstlich hin und her. »Sie brauchen sich nicht zu fürchten«, beruhigte sie ihn. Jetzt gab sie zu, daß er mit seinem Gewehr keinen Tiger hätte in Schach halten können.
Etwa um diese Zeit wäre ein Kreisvorsteher beinahe von einem Tiger aufgefressen worden. Auf einem seiner Rundgänge schlug er eines Tages eine Abkürzung ein und befand sich auf einem schmalen Pfad, der durch dichtes Unterholz führte. Plötzlich hörte er ganz nah ein fürchterliches Tigergebrüll. »Mir standen die Haare zu Berge«, berichtete er später, denn ebenso gut wie Tschiang Tschings Leibwächter wußte er, daß seine Pistole ihn nicht hätte retten können. Zu seinem Glück befand er sich im tiefsten Busch. Was Tiger am meisten fürchten und unweigerlich angreifen, sind Menschen, die sich auf freiem Gelände bewegen. Tschiang Tsching wählte ihre Wege stets überlegt. »Und wie Sie sehen, bin ich nicht von einem Tiger aufgefressen worden!«

Ihre Mitwirkung bei der Bodenreform lenkte Tschiang Tschings Interesse auf ein anderes wichtiges Werk der Sozialgesetzgebung aus den frühen Jahren der Volksrepublik, das Ehereformgesetz, das im Mai 1950 verabschiedet wurde. Der wichtigste Zweck dieses Gesetzes war der Schutz der Frauen, wie Tschiang Tsching erklärte. Dennoch war die Durchführung dieser Reform sehr schwierig. In jeder Region widersetzten sich Leute aller Altersklassen, selbst die Jungen, die Hauptnutznießer der Reform waren, und es kam sogar häufig zu tätlichen Auseinandersetzungen.
Tschiang Tsching erinnerte sich deutlich an einen blutigen Fall, der sich in einer Gemeinde ereignete, wo sie gearbeitet hatte. Eines Tages entdeckten Dorfbewohner in einem Teich einen toten Mann, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Sie zogen ihn aus dem Wasser, aber der Körper war so zerschunden und aufgedunsen, daß man den Mann nicht identifizieren konnte. Offensichtlich war er nicht einfach ertrunken, sondern erschlagen und dann ins Wasser geworfen worden. Bald kursierte unter den verängstigten Dorfbewohnern das Gerücht, er sei von Geistern getötet worden.
Die mysteriöse Geschichte erregte Tschiang Tschings Neugier, und sie beschloß, alle nur möglichen Informationen über den Fall zu sammeln. Bald stieß sie bei ihren Nachforschungen auf eine Dorfbewohnerin, die sich mit ihrem Mann nicht verstanden hatte. »Dreckskopf« nannte sie ihn. Nachdem das neue Ehegesetz in Kraft war, wollte sie sich von ihm scheiden lassen. Aber darüber ließ er nicht mit sich reden. So nahmen sie und ihr Liebhaber das Gesetz selbst in die Hand und prügelten den Mann zu Tode. Es war sein Leichnam, den man aus dem Teich gezogen hatte, und sie und ihr Liebhaber hatten die Geistergeschichten in Umlauf gebracht, wahrscheinlich um die Aufmerksamkeit von sich abzulenken.
Ausgerüstet mit diesen Informationen, machten sich Tschiang Tsching und ihre Gruppe auf den Weg zu der Frau, die sie zusammen mit ihrem Liebhaber antrafen. Nach dem Verbleib ihres Mannes befragt, gab sie freimütig zu, daß sie und ihr Liebhaber ihn beseitigt hätten. Die Arbeitsgruppe ermunterte sie, offen über ihre Situation zu sprechen, und bald kamen die Einzelheiten zutage, die sie suchten - der Klassenhintergrund der drei Beteiligten: die Frau und ihr Ehemann waren arme Angehörige der Arbeiterklasse, und der Liebhaber war Tagelöhner. Alle drei waren sehr jung. Sie hatte zwei kleine Kinder, eines lag noch in den Windeln. Ihr Mann war ein ehemaliger Soldat, der nach der Befreiung entlassen worden war. Nachdem er dadurch sein festes Einkommen verloren hatte, lebten sie in jämmerlicher Armut.
Nach ihrem Geständnis, wurde die junge Frau als Mörderin vor Gericht gestellt. Während der ganzen Verhandlung »benahm sie sich wie ein Kind, so, als hätte sie gar nichts verbrochen«, sagte Tschiang Tsching mißbilligend. Die Frau und ihr Liebhaber wurden zum Tod verurteilt.
Ihre Geschichte sei typisch für die Tragödien gewesen, die sich überall im Land abgespielt hätten, fuhr Tschiang Tsching fort. Die Wurzeln lagen in dem alten Ehesystem. Wenn einer der Partner unzufrieden war und die Beziehung lösen wollte, gab ihn der andere mit größter Wahrscheinlichkeit nicht frei und verhinderte so die Anwendung des neuen Gesetzes. Selbstmord oder Mord waren dann oft die Folge.
Als der Fall immer größere Wellen schlug, suchte Tschiang Tsching den Kreisvorsteher auf und warf ihm vor, er nehme sich nicht genügend der Menschen an, die unter seiner Obhut standen. In diesem Fall, erklärte sie ihm, habe er es versäumt, das neue Ehegesetz zu propagieren. Er verteidigte sich lahm und führte als Begründung an, es sei so schwierig, das Gesetz in der Praxis durchzuführen. »Keiner kümmert sich um die Frauen«, räumte er ein.
Was die Reaktion der Öffentlichkeit betraf, so hatten alle Einheimischen nur ein einziges Interesse: Das Paar sollte auf der Stelle erschossen werden! Die Schuld traf aber auch jene, die die öffentliche Meinung dazu benutzt hatten, um die Scheidung des entzweiten Paares zu verhindern. Am meisten sträubten sich die Alten gegen das Ehegesetz und das darin garantierte Recht auf Scheidung.
Später wandelte dann die Provinzregierung das Todesurteil gegen die Frau und ihren Liebhaber in Zwangsarbeit um, die sie innerhalb ihres Heimatortes leisten mußten. Wie sich dann heraustellte, sagte Tschiang Tsching, habe sich keiner von den Leuten, die so offensichtlich für das Schicksal dieser Frau verantwortlich waren, dazu bereit gefunden, sie zu überwachen.
In dieser gleichen Gemeinde lebte eine Witwe mit mehreren Kindern, die an Malaria und akuter Lungenentzündung erkrankt war. Tschiang Tsching wollte sie aufsuchen, weil sie dachte, sie könne ihr vielleicht helfen. Ihre Mitarbeiter und Leibwächter versuchten jedoch, sie zurückzuhalten, weil sie fürchteten, sie könnte sich anstecken. Aber sie ließ sich nicht aufhalten. Bei ihrem Besuch fand sie die Frau mit erloschenen Augen vor- der Atem war fast nicht mehr hörbar. In dem tödlichen Schweigen waren die einzigen Laute das Schluchzen der Kinder draußen im Hof. Tschiang Tsching gab der Frau ein paar westliche Medikamente, das war alles, was sie hatte. Die Frau nahm sie zwei oder drei Tage lang ein, kam wieder zu Kräften und kehrte als neuer Mensch in die Gesellschaft zurück. Zum erstenmal in ihrem Leben begann die Frau sich aktiv für ihre Gemeinde zu engagieren. Da sie Witwe war, übertrug man ihr die Aufgabe, jene Mörderin, deren Todesstrafe ausgesetzt worden war, zu beaufsichtigen und, wenn nötig, zurechtzuweisen.
Was das Eheproblem im allgemeinen betreffe, fuhr Tschiang Tsching fort, so seien alte Bräuche in ländlichen Gebieten nicht ohne weiteres auszurotten. Selbst nach Inkrafttreten des neuen Ehegesetzes wurden die Ehen noch, wie seit Jahrhunderten üblich, von den Eltern oder von Heiratsvermittlern gestiftet. Die Hochzeitszeremonien folgten noch immer den alten Bräuchen, und der Aufwand, der dabei getrieben wurde, war oft so groß, daß ganze Familien dadurch auf ewig verschuldet blieben. Ein Mann konnte genötigt sein, der Braut oder ihrer Familie ein Fahrrad, eine Uhr, ein Radio oder ein anderes Gerät zu schenken. Die Braut, die stets eine neue Garderobe erhielt, putzte sich prächtig heraus für ihren Hochzeitszug in der Sänfte, und zahlreiche Gäste wurden festlich bewirtet. Eine sozialistische Gesellschaft könne derartige Verschwendungen nicht dulden, sagte Tschiang Tsching entrüstet.
Auch die Bodenreform wirkte sich nicht immer positiv für die Frauen aus. Obwohl das Bodenreformgesetz das Land Frauen und Männern zu gleichen Teilen zuwies, hieß das noch lange nicht, daß das Gesetz auch automatisch angewandt wurde. Da die Frauen nicht gewohnt waren, ihre Rechte geltend zu machen, nahmen sie es widerstandslos hin, wenn sie kleinere Parzellen oder minderwertiges Land zugeteilt erhielten. Wenn auch die Regierung das Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit vertrat, blieben die Frauen auf dem Land doch lange Zeit unterbezahlt, weil Männer jede nur erdenkliche List anzuwenden pflegen, um die besseren Posten und die damit verbundenen höheren Löhne zu ergattern. Typisch ist auch, daß die Männer landwirtschaftliches Gerät für sich allein beanspruchen und sich weigern, es mit den Frauen zu teilen, die ebenfalls ein Anrecht darauf haben. Es bedarf noch einer rigorosen politischen Erziehung, um die Landbevölkerung davon zu überzeugen, daß das Pflügen auch den Frauen zusteht. Die materielle Ungleichheit war auf dem Land immer größer als in den Städten, wo der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit bereitwilliger akzeptiert wurde.
Tschiang Tsching warnte abermals davor, Ideal und Wirklichkeit zu verwechseln. Die Frauen in China hätten noch einen weiten Weg vor sich.