Frauenbilder I

Bilder können auf unterschiedliche Weise betrachtet werden. Die hier vorgestellten Abbildungen lassen sich mit Hilfe der knappen Bildunterschriften verstehen. Man kann sie aber auch in einem viel weiteren Sinne als bildliche Entsprechungen, Ergänzungen oder Erklärungen der in den verschiedenen Beiträgen dieses Bandes angesprochenen Themen begreifen: Revolution, Subversion, Sexualität, Familie, Arbeit, Feminismus, Identität und Darstellung. Das vorangegangene Kapitel »Bilder - Schein und Erscheinung, Muße und Subsistenz« erläutert den Ort, den Bilder in der Geschichte der visuellen Kultur des 19. Jahrhunderts haben. In diesem Kapitel werden anhand ausgewählter Bilder Sinnzusammenhänge und visuelle Strategien erläutert.

Madonna, Verführerin, Muse

Das Bad (1891-92) (Abb. 1) von Mary Cassatt, Judith (1901) von Gustav Klimt (Abb. 2) und Die Freiheit, das Volk führend (1830) (Abb. 3) von Eugene Delacroix zeigen die drei Frauenstereotypen der hohen Kunst: Madonna, Verführerin und Muse. Doch jedes dieser Gemälde modernisiert sein Stereotyp auf eine für das 19- Jahrhundert typische Weise. Cassatts Madonna, eine bürgerliche Mutter mit Tochter, signalisiert zum einen das Ende religiöser Themen in der Kunst, vor allem in den protestantischen Ländern, aber auch in Frankreich. Es transportiert zum anderen das wachsende Interesse an Bildern von kleinen Mädchen und an der Mutter-Tochter-Beziehung. Die von Cassatt gemalte mütterliche Figur badet ihr Kind - ein alltägliches Ereignis, mit dem jeder Betrachter aus der Mittelschicht sich identifizieren kann. Cassatt wahrt die Tradition, indem sie Mütterlichkeit als körperliche Beziehung betont; die Zentralaxe ihres Bildes ist dort, wo Haut und Haut einander berühren.
Die Ästhetik des Fin de siede schwelgte in erotischen Darstellungen und brachte damit auch latente Ängste vor der sexuellen Macht von Frauen an die Oberfläche. Klimts Bild eines weiblichen Körpers spielt mit dem Kontrast von reichlich dargestellter nackter Haut und dem kostbar verzierten Gold. Judiths spürbare Sinnlichkeit verführt und wirkt gleichzeitig abstoßend. Judith nähert sich dem Betrachter, lädt ihn mit glänzendem, geöffnetem Mund und entblößter Brust ein. Doch ihr Name erinnert daran, daß sie eine gefährliche Frau ist, eine Frau, die um der Zerstörung willen verführt.

Die Revolution

Die Freiheit von Delacroix führt Männer mit dem Versprechen der Demokratie in die Revolution. Delacroix stellte sie unerschrocken als Frau des Volkes dar, braun und muskulös, eine Frau, die über die Barrikaden hinweg auf uns zuschreitet. Sie bleibt die unerreichte Verkörperung der »Marianne«, des Emblems der französischen Republik.

David faßte den Ort der Frauen in der Ideologie der Französischen Revolution mit seinem Schwur der Horatier (1784-85) (Abb. 4) zusammen. Die drei Brüder schwören, entweder den Sieg über die korrupten Curatier davonzutragen oder zu sterben. Auf der einen Seite befinden sich die Männer: fest vereint, einem gemeinsamen Ziel verpflichtet, von ihrem Vater ermahnt, zu solch mitleidlosen Waffen der Gerechtigkeit zu werden, wie es die Schwerter sind, die seine Hand umklammert. Auf der anderen Seite befinden sich die Frauen: von Gefühl überwältigt,  hingesunken,  anmutig im sanften Rhythmus der Gesten und des Faltenwurfs vereint. Jede Seite gibt der anderen ihren Sinn Männlichkeit und Weiblichkeit stehen im Gegensatz zueinander. Einzige Verbindung zwischen ihnen ist der kleine Junge, der, von der Gruppe der Frauen unbemerkt, die Männer anschaut, um von ihrem Beispiel zu lernen.
Mit seinen Entwürfen für die Revolutionsfeierlichkeiten setzte David seine Ideen in die Praxis um. Obwohl diese Bilder die neuen politischen Ideale dramatisch in Szene setzten, wurden Frauen innerhalb der revolutionären Parameter weiterhin auf ihre traditionellen Rollen verwiesen. In La fete de l'Etre supreme von 1794 (Abb. 5) sind Frauen dargestellt als Gruppe weißgekleideter Jungfrauen oder als allegorische Versinnbildlichung des in der Kutsche des Reichtums fahrenden Überflusses oder der Weisheit, die aufscheint aus dem vom Feuer verschlungenen Bollwerk des Atheismus.
Frauen wurden so gut wie nie als aktiv an der Revolution teilnehmende individuelle Personen dargestellt, sondern allenfalls als Mitwirkende in kollektiven politischen Aktionen, in denen es um unmittelbare materielle Bedürfnisse ging, oder häufiger noch als Symbole der die Reinheit der revolutionären Ziele garantierenden häuslichen und keuschen Tugenden.

Der häusliche Raum

Die bürgerliche Ideologie der ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts verankerte tugendhafte Frauen fest in der häuslichen Sphäre. Im Rahmen der Amateurkunst, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts überall in Europa stark verbreitet war, stellten Frauen sich auch selbst in ihrer häuslichen Rolle dar, bisweilen humorvoll oder mit kritischem Scharfblick. Diana Sperlings lebhaftes Aquarell von 1816 zeigt eine abendliche Tanzveranstaltung im Rahmen der Familie. Frauen sind in der Überzahl; eine Frau tanzt beschwingt für sich allein; ein kleines Mädchen sitzt auf einem Stuhl am Bildrand und schaut aus dem Bild heraus den Betrachter an. Am Klavier sorgt eine andere Amateurkünstlerin, Sperlings Pendant auf dem Gebiet der Musik, für die musikalische Begleitung.
Bests Gouache von 1847 zeigt ihren Ehemann am Klavier und ihre drei Kinder, die das Musik- und Eßzimmer betreten, in dem der Tisch für die Familie gedeckt ist. Best stellt die Möbel ihres Heims mit so großer Detailtreue dar, daß wir ihre Selbsteinschätzung als Künstlerin erkennen. Das untere der in der linken Bildhälfte wiedergegebenen Bilder ist Bests Hochzeitsporträt ihres Ehemannes. Dieses Porträt sieht uns von der linken, ihre Söhne sehen uns von der rechten Bildseite an. Best hat ihre Werke symmetrisch komponiert; auch sie und ihr Ehemann sind symmetrisch vorgestellt: Er spielt ihr gegenüber Klavier, während sie malt.
Die Amateurkunst der Frauen verblieb in der häuslichen Sphäre; Männer dagegen malten Bilder vom privaten Leben für die öffentliche Sphäre. Companion to Manhood von George Elgar Hicks, Teil eines Women 's Mission genannten Tryptichons, ist eine der vielen, in der Mitte des Jahrhunderts von Künstlern aus der Mittelschicht für das Bürgertum gemalten häuslichen Szenen. Umgeben von Zeichen ehrbarer Häuslichkeit - Herd, Teppich, behaglicher Frühstückstisch, poliertes Silber - tröstet eine Frau ihren Ehemann, der gerade von einem Todesfall erfahren hat. Sie ist für ihn hingebungsvoller Trost, doch er für sie aufrecht stehende Kraft. Die Bilder von Sperling und Best wurden auf Papier gemalt, in Alben eingeklebt und innerhalb der Familie vererbt. Hick malte sein Bild virtuos und realistisch in der angesehenen Öltechnik auf Leinwand. Sobald es fertig war, wurde es öffentlich ausgestellt und gehört heute zur Sammlung der Tate Gallery, dem englischen Nationalmuseum.

Das Kleidungssymbol

Junge Saint-Simonistin, Stich von Maleuvre; 1832. Parts, Bibliotheque Nationale

Nichts unterscheidet die beiden Geschlechter oberflächlicher und hartnäckiger zugleich als  die Kleidung.  In keinem anderen Jahrhundert waren männliche und weibliche Kleidungsstücke so verschieden, wurde eine Verletzung der Kleidungsvorschriften so sorgfältig überwacht und so  gern  zur Verdeutlichung  von Konformität und Abweichung benutzt wie im  19. Jahrhundert.  Die Junge Saint-Simonistin (Abb. 9), 1832 von Maleuvre gemalt, wirkt auf einen Betrachter des 20. Jahrhunderts zart und zierlich, für einen Betrachter des  19. Jahrhunderts entsprach ihr Kostüm aber ihrem revolutionären Denken. Ihr Kleid war betont einfach und reichte gerade bis kurz unters Knie  -  kurz  genug, um  das, was sie darunter trug,  als  Hosen  erkennen  zu  lassen.  Hosen symbolisierten Männlichkeit. Sie zu tragen, kam der Forderung nach Männerrechten gleich.
So brachte George Sand mit ihrer vollkommen männlichen Kleidung ihre radikale Haltung deutlicher noch als mit ihrem männlichen Pseudonym oder selbst dem Inhalt ihrer Schriften zum Ausdruck. Ihre äußere Erscheinung stand sinnbildlich für den Gehalt  ihres  Denkens.  Lorentz' Porträt von Sand (Abb. 10) aus dem Jahre 1842 mokiert sich zum Beispiel über ihre politischen Meinungen — dargestellt als Zeitungsschlagzeilen -, indem  es ihr  Aussehen ins Lächerliche zieht.  Was  Sand zeigen will, so lautet die Bildunterschrift, ist, daß das »Genie kein Geschlecht hat«.Ihr Argument wird lächerlich gemacht, ist aber zumindest richtig verstanden und  wiedergegeben worden.
»Je me fiche bien de votre Madame Sand qui empeche les femmes de racommoder les pantalons!« (Eure Madame Sand, die Frauen davon abbringt, Hosen zu flicken, ist mir völlig egal), ruft in der Bildunterschrift zu einer Lithographie von Honore Daumier ein verletzter Ehemann seiner nach Unabhängigkeit strebenden Frau zu. Daumier, sonst überzeugter Fortschrittler, sparte seine konservative Wut für Feministinnen mit literarischen Neigungen auf. Auf einem anderen Bild seiner »Bas-Bleu«-(Blaustrumpf-)Serie (Abb. 11) weigert sich eine Frau zornig, einen Knopf an die Hose ihres Mannes anzunähen. Dieser, ein Bild des Jammers, seine Hände schlaff vor sein Geschlecht haltend, klagt, daß seine Frau nicht mehr nur »die Hosen anhat«, sondern sie ihm jetzt auch noch an den Kopf wirft.
Die Druckgraphiken von Maleuvre, Lorentz und Daumier behandeln die Geschlechterproblematik in einer Weise, die in der hohen Kunst undenkbar wäre. Verbesserungen der Lithographie- und Holzschnitttechniken in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts ermöglichten eine weite Verbreitung billiger Bilder, die zeitkritische Themen aufgriffen und diese mit Hilfe des Wechselspiels von Bild und Bildunterschrift kommentierten. So konnte »richtige« Weiblichkeit als populäres Bild verbreitet und ebenso jede Abweichung davon visualisiert werden. Frauenbilder wurden in Diskussionen über die Stellung der Frau in der Gesellschaft nun zu wirksamen Instrumenten. Man bezog sich auf Darstellungen, als seien diese unumstößliche Tatsachen.

Zur selben Zeit schuf die Romantik neue Bilder der Weiblichkeit. George Sand konnte karikiert, aber auch als begeisterte Zuhörerin der Lisztschen Musik dargestellt werden (Abb. 12). Wenn die künstlerische Inspiration, wie die Romantiker meinten, den universellen Naturkräften entstammte, dann hatten alle Künste denselben Ursprung, und wenn alle Menschen vor der Natur gleich waren, dann waren alle Künstler vor der genialen Schöpferkraft gleich. Danhauser malte Sand in einer Gruppe von gleichgestellten Musikern und Schriftstellern. Sand, links, wird mit Daniel Stern (Pseudonym von Marie d'Agoult), rechts, verglichen und kontrastiert; sie trägt Männerkleidung und raucht eine Zigarette, während Stern ein elegantes Kleid anhat. Sand gehört zur Gruppe der männlichen Genies auf der linken Bildseite, und man kann sie tatsächlich nicht von den anderen unterscheiden.
Zur Zeit der Romantik war die in weißen Tüll gehüllte Ballerina die vollkommene Verkörperung des Ideals weiblicher Vergeistigung. Zwei typisch romantische Ballette - La Sylphide, 1832 uraufgeführt mit der Tänzerin Marie Taglioni in der Hauptrolle, und Giselle, bei dessen Premiere 1841 Carlotta Grisi die Titelrolle tanzte - stellen die Heldinnen als Geistwesen dar. Die Zartheit ihrer Erscheinung ließ die Kraft ihrer aufopfernden und tragischen Liebe um so deutlicher hervortreten. Taglioni war die erste Ballerina, die auf ihren Zehenspitzen tanzte, eine kräftezehrende Technik, welche die Illusion der Schwerelosigkeit schaffen sollte. Auf einem der zahlreichen populären Bilder von der  Taglioni hat Deveria (Abb. 13) einfach die materielle Voraussetzung der Illusion - die Spitzenschuhe - weggelassen: Die Tänzerin schwebt barfuß über dem Boden.

Bilder als Massenprodukte

Einige traditionelle Bilder von Weiblichkeit behielten weiterhin ihre Bedeutung für die Vorstellungswelt von Frauen. Doch auch sie wurden im 19. Jahrhundert industriemäßig und mittelständisch umgeprägt. Religiöse Bilder (Abb. 14) hatten schon immer zum Repertoire populärer Druckgraphik gehört. Mit dem Aufkommen von Massenproduktion konnten sie jetzt jedoch in sehr viel größerer Zahl verbreitet und gesammelt werden. Sie waren nun kleinformatig und wurden bisweilen nach dem Druck von Hand koloriert und mit Spitzen-Streifen umgeben. Heiligenbildchen wurden häufig auf Meßbüchern angebracht. Heilige wurden nun nicht länger als unbestechliche Richter, sondern als sanfte, gütige und meistens androgyne junge Männer dargestellt. Damit trugen die Heiligenbildchen wesentlich zur Feminisierung der Religion bei. Viele Bildchen scheinen speziell zu dem Zweck, Mädchen das katholische Rollenmodell und vor allem die Jungfrau Maria nahezubringen, gestaltet worden zu sein.
Die Expansion und Diversifikation des Marktes für Druckerzeugnisse führte zur Spezialisierung. In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts entwickelte sich ein auf die Darstellung bürgerlicher Weiblichkeit spezialisiertes Druckgenre, das sich an Frauen aus der Mittelschicht wandte (Abb. 15). Dieser Typ von Drucken war ein Mittelding zwischen den Amateurbildern, die Frauen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gemacht hatten, und den ab den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts immer populärer werdenden Frauenbildern in Modezeichnungen (Abb. 16). Modezeichnungen selbst lieferten anschauliche Übergänge zwischen scheinbar neutralen Bildern und solchen, die seit dem letzten Drittel des Jahrhunderts Frauendarstellungen offen für kommerzielle  Zwecke einsetzten. Werbeanzeigen (Abb. 17).  Mode Zeichnungen und Drucke zeigten Frauen durchgehend als unbewegte, ausdruckslose, erlesen gekleidete Mannequins in Räumen und Dekors, die Weiblichkeit symbolisieren. Häusliche Innenräume, Gärten, Ferienorte der Familie, Kirchen und Tanzsäle wurden mit der Zeit ergänzt um urbane Orte wie Museen, Kaufhäuser und Bahnhöfe. Die beabsichtigte Identifizierung sollte sich nicht auf eine individuelle Person, sondern auf eine durch Raum und Kleidung definierte Inszenierung von Weiblichkeit richten.
Diese als Ware vermarktete Identität stellte die Gräfin de Castiglione in ihren über 400 zwischen 1856 und 1865 und 1895 bis 1898 entstandenen photographischen Selbstporträts zur Schau. Auf mehreren Photographien präsentiert sie sich selbst ausdrücklich als Objekt von Visionen, indem sie Bilderrahmen und Spiegel einsetzt, um die Künstlichkeit herauszustellen (Abb. 18). In ihrer Selbstdarstellung betont sie die extravagante Oberfläche, die ein eigenes inneres Sein überdeckt.

Kunst jenseits des Mainstream

Indem sie die strittigen Bereiche der hohen Kunst und der Sexualität mieden, konnten Künstlerinnen zwar kaum Ansehen erringen, wohl aber neue wirtschaftliche Möglichkeiten und Ausdrucksformen erschließen. Kunstgewerbe und weniger angesehene Genres der Malerei ermöglichten es Frauen nicht nur, außerhalb des Hauses Geld zu verdienen, sondern boten ihnen auch Gelegenheit, dem Dilemma des weiblichen Subjekts zu entkommen. Das Miniatur-Selbstbildnis auf Emaille von Marthe Leclerc (Abb. 19) ist erst 1917 entstanden, doch fängt es gleichwohl die im 19. Jahrhundert von einem kunsthandwerklichen Beruf gebotene Sicherheit ein. Leclerc wird von ihrem Handwerkszeug wie von einem sicheren Raum abgeschirmt. Ihr Selbstbildnis enthält ebensoviele Hinweise auf ihre Kunstfertigkeit (Gipsabdruck, Bilder, leerer Kerzenhalter, ein offenes, die Außenwelt spiegelndes Fenster) wie das Bild von Castiglione. Doch anders als diese imaginisiert sich Marthe Leclerc als eine in ihre Arbeit versunkene Frau und nicht als Schaustück für den Blick des Betrachters.
Frauen entwarfen Welten, in denen Geschlechtsunterschiede abgemildert waren. Rosa Boniteur (1822-99) und Beatrix Potter machten auf je unterschiedliche Weise außerordentlich erfolgreich mit Tierbildern Karriere. Rosa Bonheur - wie George Sand für ihre Männerkleidung berühmt - erhielt 1848 im Rahmen der offiziellen Gemäldeausstellung des Pariser Salons eine Goldmedaille, 1865 die französische Ehrenlegion-Medaille und wurde 1894 zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Ihre Gemälde und die Reproduktionsrechte brachten riesige Summen Geld ein. Der Pferdemarkt von 1853 (Abb. 20) wurde zunächst einem Londoner Händler für 40 000 Franc, danach einem amerikanischen Sammler für 55 000 Dollar verkauft.
Die Aquarelle von Beatrix Potter sind so klein und phantasievoll wie die Ölgemälde Rosa Bonheurs groß und realistisch sind, ihr Erfolg übertraf jedoch mit der Zeit sogar den der Ölbilder. Potter hatte keinerlei berufliche Ausbildung. Ihre frühen Kinderbücher entstanden aus bebilderten Briefen, die sie ihren kleinen Freunden schickte. Das erste hieß Peter Rabbit (Abb. 21). Erstmals im Oktober 1902 in einer Auflage von 8000 gedruckt, wurden bis Ende des Jahres zwei weitere Auflagen erforderlich, so daß 28000 Exemplare auf dem Markt waren. Potters Popularität hält bis heute an; ihre Arbeit wird immer noch reproduziert und unzählige Male imitiert. Ihre Bücher werden bis heute verlegt, ihre Originalzeichnungen werden von Museen gesammelt und waren kürzlich in einer Ausstellung zu sehen.
Ähnlich wie Potters Werk sind inzwischen auch amerikanische Quilts der Marginalität entrissen. Früher als anonyme Erzeugnisse abgetan, schätzt man diese Steppdecken heute wegen der individuellen Kreativität, die in den schönsten Stücken zum Ausdruck kommt, und wegen der kollektiven Arbeit von Frauen, die schließlich zu einem Gesamtwerk zusammengefügt wird. Amerikanische Quilt-Macherinnen wählten gewöhnlich abstrakte oder äußert stilisierte Motive. Ihre Bildthemen behandelten aber auch Aspekte des Privatlebens wie Freundschaft, Tod und Ehe und selbst öffentliche Probleme wie religiöse Überzeugungen, Abschaffung der Sklaverei und Alkoholverbot.
Harriet Powers hat auf ihrem Bible Quilt von 1886 (Abb. 22) in fünfzehn Szenen aus der Apokalypse die Bestrafung der Ungläubigen und die Erlösung der Unschuldigen dargestellt. Dieser Quilt gehört zu den wenigen erhaltenen Kunstwerken, die das afrikanische Bilderbe der Schwarzen in Amerika belegen. Powers hat geschickt den für die Form des alten Königreichs Dahomey typischen Stil und dessen Applique-Technik mit amerikanischen Quiltformen und -techniken vereint und ein ebenso kraft- wie kunstvolles Bild von Menschen, Tieren. Gott und dem Paradies geschaffen. In der Mitte des unteren Randes verweist ein weibliches Schwein,  Symbol der Unabhängigkeit, auf den von den Sklaven zurückgelegten Weg zur Freiheit.

Aus dem Englischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff

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