Juli 1750: In Paris bricht ein Aufstand aus, da mitten auf der Straße Kinder entführt wurden, von einer übereifrigen Polizei, die den Befehl hatte, die Straßen von Gassenjungen zu säubern. Die aufgebrachten Frauen und Männer protestieren dagegen. Während die einen sich mit den Inspektoren anlegen, auf die der Verdacht dieser Gemeinheit fällt, suchen andere in den naheliegenden Gefängnissen nach ihren Kindern.
Hier sagt Anne-Francoise Cornet aus, die Frau eines Uhrmachermeisters. Sie erzählt ganz genau, wie diese Tage des Wartens aussahen, bevor sie ihren festgenommenen Sohn wiederbekam. Sie unternahm eine demarche nach der anderen, sie ging zur Polizei und verlangte nach ihrem Kind, wobei sie ihre mageren Kenntnisse dazu nutzte, ihr Ziel zu erreichen.
Eine würdevolle Aussage, eine standfeste Frau, deren Schmerz groß ist, und die vor allem ihr soziales Wissen auf erstaunliche Weise einsetzt, um eine kurze Unterredung mit den Verantwortlichen der Polizei zu erhalten: Anne-Francoise Cornet ist eine Handwerkerin wie alle anderen im 18. Jahrhundert, sie will Einfluß nehmen auf das Ereignis, sie zögert nicht, mit den Autoritäten zu verhandeln, und beweist dabei, wie wenig sie sich über die politischen Verhältnisse und die Polizei täuscht, die sie nicht als Partnerin anerkennen will. Sie ist Subjekt der Geschichte, staatsbürgerlich und politisch verantwortlich. Ihr Bericht ist genauso beharrlich wie ihre Taten und Hoffnungen.
Anne-Francoise Cornet, vierundvierzig Jahre alt, Frau von Pierre Miliard, Uhrmachermeister, wohnhaft in der Rue Royale.
A.F.
»... was den Aufruhr betrifft, so hat sie nichts gesehen und weiß von nichts. Was den an einem Sonntag gegen Ende September erfolgten Abtransport von Kindern betrifft, so kam sie gerade von einem Besuch eines ihrer Kinder zurück, das bei einem Uhrmacher in Saint Denis de la Chastre wohnt, und bemerkte einen Haufen Kinder aus ihrem Viertel, die ihr sagten, ihr Sohn sei festgenommen worden und befinde sich im Grand Chatelet, worauf sie sich sofort dorthin begab und auf dem Hof ihr Kind fand, das weinte und ihr sagte, Bruxelles hätte es festgenommen, als es mit zwei anderen Kindern aus dem Viertel auf den Stufen der Reiterstatue der Place Royale mit Pfennigen spielte. Eines der Kinder heißt Lucas und ist der Sohn eines Mannes, der in der Wache war, und das andere, Toussaint, ist der Sohn einer Witwe, die im Haushalt arbeitet und Flickarbeiten macht. Sie ging sofort nach Hause, damit ihr Mann nichts davon erfahre, aber er wußte es bereits. Gegen 8 oder 9 Uhr abends wurde ihr mitgeteilt, daß der Inspektor Bruxelles auf dem Nachhauseweg war zum Hotel de Nicolai. Sie lief dorthin und fand ihn im Säulengang, verlangte nach ihrem Kind und bot ihm an, die Kosten zu bezahlen. Er antwortete ihr, daß das nicht der richtige Zeitpunkt wäre, daß er jetzt nicht Herr darüber wäre, daß
weder sie noch ihr Kind sterben würden, wenn sie zwei Tage ohne ihr Kind wäre. Da sie erfahren hatte, daß er um 10 Uhr bei Tobary, einem Weinhändler, der ihr gegenüber wohnte, zu Abend essen sollte, ging sie wieder dorthin und bat ihn, ihr Kind zurückzugeben. Bruxelles sagte, daß sie sich gedulden müsse, daß das Kind nicht lange bleiben würde. Gleich am folgenden Tag bemühte sie sich, ihr Kind zurückzubekommen, griff zum Mittel der Bittschrift, die sie dem Generalleutnant Berryer mehrere Male präsentierte. Da sie damit nichts erreichte, gewann sie die Protektion von Herrn von Montrevaux über den Malermeister Bligny, der sie Herrn von Montrevaux vorstellte. Dieser gab ihr einen Brief für den Procureur des Königs, der ihm nach Asnieres geschickt wurde. Da sie keine Antwort von ihrem Kind bekam, ging sie wieder zu Herrn von Montrevaux, wo sie erfuhr, daß der Procureur des Königs bei ihm war und besagter Inspektor Bruxelles sich im Vorzimmer befand. Als dieser gegangen war, bezahlte sie Herrn von Montrevaux, der ihr versprach, daß sie ihr Kind noch am selben Tag zurückbekommen würde. Da dies aber nach drei Tagen noch nicht der Fall war, ging sie wieder zu Herrn von Montrevaux, der sehr überrascht war und ihr einen Brief für den Generalleutnant der Polizei, Berryer, mitgab. Trotz dieses Briefes war sie noch 4 Tage ohne ihr Kind, und am Sonntag, vierzehn Tage, nachdem ihr Sohn festgenommen worden war, wurde er zusammen mit 10 anderen entlassen. Sie brachte das Entlassungsschreiben für ihren Sohn und die anderen zur Gerichtsregistratur, dies kostete sie 36 Sols für die Registratur, 50 Sols für das Gefängnis, 36 Sols für den Empfang, wobei sie dem Polizeioffizier nichts gab.«[1]
Aus dem Französischen von Roswitha Schmid