Das Theater: Frauenbilder

Die ganze Welt ist Bühne« und die Bühne ist ein Bordell: Für den Europäer der Frühen Neuzeit war der eine Vergleich so zutreffend wie der andere, und beide waren gleichermaßen komplex. Die Gleichsetzung von Schauspielhaus und Freudenhaus enthält zum einen ein negatives moralisches Urteil; zum anderen vermittelt sie sowohl die sexuelle Anziehungskraft wie die bedrohlichen Aspekte der Darstellung menschlicher Beziehungen und Identitäten im Theater. Ob als Ort der Unzucht angeprangert oder als universeller, erotisch aufgeladener »Spiegel der Natur« gefördert, rückte das Theater der Frühen Neuzeit die Frau in all ihren negativen, positiven und häufig ambivalenten Erscheinungsformen in den Vordergrund.
Theaterspielen wurde schon immer als anstößig oder gar pornographisch betrachtet, weil sich geschminkte und kostümierte Frauen vor einem weitgehend männlichen Publikum zur Schau stellten. Dies war einer der schwerwiegendsten Vorwürfe früher Christen — vor allem von Tertullian, Chrysostomus und Augustinus [1] - gegen das Theater, und im 16. Jahrhundert, als die weiblichen Tugenden der Keuschheit, Schweigsamkeit und des Gehorsams aufgewertet wurden und die Frau mehr denn je auf das Haus beschränkt war, wurde er erneut erhoben. Wenn eine Frau, die sich an ihrem Fenster sehen ließ, der Prostitution angeklagt werden konnte, was konnte erst daraus gefolgert werden, wenn sich Frauen auf einer Bühne bewegten, redeten, tanzten, sangen, umarmten, küßten, Ehebruch, Inzest oder gar Mord begingen?
Daß man dem Schauspielgewerbe sexuelle Zügellosigkeit unterstellte, wurde durch die Tatsache, daß diese kühnen Frauenfiguren damals größtenteils von jungen männlichen Schauspielern gespielt wurden, noch bestärkt: Homoerotik und sexuelle Zweideutigkeit machten es zu einer grundsätzlichen Herausforderung, wenn weibliche Darsteller auf der Bühne auftraten. Später wurden Berufsschauspielerinnen als Dirnen verachtet und als Künstlerinnen gerühmt, mitunter avancierten sie gar zu königlichen Mätressen. Die öffentliche Zurschaustellung von Frauen oder von Sexualität weckte bei Schauspielern wie bei den Zuschauern Ängste, Phantasien und tabuisierte Wünsche. Theatergruppen in Venedig, Madrid und London hatten darunter zu leiden, daß man ihr Gewerbe mit lockeren Sitten und Prostitution in Zusammenhang brachte, aber sie profitierten auch davon: Im 16. und 17. Jahrhundert war das Theaterspielen in einigen Städten zeitweise verboten (wie etwa 1642 in London), zeitweise aber wurde es enthusiastisch und über alle Maßen gefördert.
Diese Verbindung zwischen dem Theater und sexuellen Ausschweifungen wirft ein besonderes Licht auf die paradoxe Rolle der Frau im europäischen Drama der Frühen Neuzeit. Auch wenn Theaterautoren weibliche Rollen in der Regel nach den jeweils geltenden Normen ihrer Zeit entwarfen, konnten sie in ihren Stücken auch Frauen auftreten lassen, die gegen die Regeln geschlechtsbestimmten Verhaltens verstießen und häufig an eben diesen Regeln zerbrachen. Allein dadurch, daß sie auf die Bühne treten, sprechen und den Verlauf des Stückes beeinflussen, widersetzen sich selbst eher stereotype Figuren ihren jeweiligen von Fügsamkeit und Unterwürfigkeit geprägten Rollenvorbildern. In anderen Fällen, besonders in Stücken, in denen die Spannungen und Widersprüche von stürmischen sozialen Umbrüchen aufgezeigt werden, trifft man auf Frauen, die sich den Regeln ihrer männlich dominierten Welt abwechselnd unterordnen oder gegen sie aufbegehren, sie entlarven, überlisten oder ihnen zum Opfer fallen.
Ohne die Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern, Epochen und religiösen Anschauungen zu vernachlässigen, werde ich hier vornehmlich weibliche Rollen untersuchen, die sowohl das Theater als auch die jeweilige Gesellschaft charakterisieren. Es wird von normativen Rollen die Rede sein - die klassische Abfolge von jungfräulichem Mädchen, keuscher Ehefrau und zölibatärer Witwe -, aber auch von Rollen außerhalb der gesellschaftlichen Norm - Ehebrecherin, Prostituierte, Kurtisane und Kupplerin. Da die nachmittelalterliche und vorindustrielle Welt die Frau fast ausschließlich durch ihre Beziehung zum Mann definierte, stellen diese Rollen vor allem die Sexualität und den weiblichen Körper in den Vordergrund, eben genau jene Kräfte, die vermeintlich am meisten der patriarchalischen Herrschaft bedurften, diese jedoch gleichzeitig bedrohten. In diesem Kapitel wird es aber auch um bestimmte männliche Rollen gehen, inbesondere um den betrogenen Ehemann oder »Hahnrei« - das Gegenstück zur ehebrecherischen oder häufig nur des Ehebruchs verdächtigten Frau.
Das 18. Jahrhundert, in dem das professionelle Theater gesellschaftlich weitgehend anerkannt ist, eröffnet den Frauen als Schauspielerinnen und Dramatikerinnen neue soziale Rollen und Möglichkeiten, bringt aber auch neue Einschränkungen hervor. Welche Folgen hat es, daß nun im Theater weibliche Figuren von Frauen gespielt werden? Was können sich Frauenfiguren und Schauspielerinnen auf der Bühne und im Vergleich dazu außerhalb der Bühne erlauben? Inwiefern werden die sozialen Voraussetzungen und Erfahrungen der Frau im Theater verändert bzw. umgekehrt oder nachgebildet und in Grenzen gewiesen? Die reichhaltige Theaterproduktion dieser Zeit des Umbruchs zeichnet die tiefgreifenden und facettenreichen Veränderungen der Epoche nach und dient somit als aufschlußreiches Register miteinander konkurrierender und einander widersprechender Anschauungen, Sitten und Identitäten.

Die Prostituierte, Kupplerin und Kurtisane

Obgleich der spanische Autor Fernando de Rojas sein bekanntestes Werk Die Tragikomödie von Calisto und Melibea (1502) nannte und er es nicht für die Bühne vorgesehen haben mag, wurde es bald unter dem Namen seiner Hauptfigur »La Celestina« berühmt. Damit tritt eine Kupplerin mit all ihrer Klugheit, ihrem Charme, ihrer Verderbtheit und vor allem ihrer Verschlagenheit in den Mittelpunkt des Bühnengeschehens. Dieser eher populäre Titel macht deutlich, daß Celestina, die »alte Hure«, nicht nur alle anderen Figuren des Stücks in ihrem Bann hält, sondern auch das Publikum.
Von da an bereicherte und veränderte »La Celestina«, die bald in italienischer (1515), deutscher (1520), französischer (1527) und englischer Übersetzung bzw. Bearbeitung erschien, die dramaturgische Identität der »Lena«-Figur, die man aus den Römischen Komödien von Plautus und Terenz kannte. Die Kupplerin erscheint hier nicht einfach als zynische, geldgierige Beraterin eines jüngeren Freudenmädchens, sondern als komplexe Protagonistin, die von den sexuellen Ansichten der Gesellschaft - und denen des Publikums - zugleich profitiert und ausgenutzt wird. Ihr eigentlicher Name, »die Himmlische«, ist ein Oxymoron, das den Brauch der damaligen Prostituierten, sich ein schillerndes Pseudonym zuzulegen, treffend illustriert. Obwohl sie bereits im vorgerückten Alter dem Alkohol verfallen und »ein klein wenig Hexe« ist, wird Celestina anderweitig ihrem Namen gerecht: Sie ist vielerei Künste und Fertigkeiten kundig, einschließlich der Medizin, und wird von ihrem Hauptklienten Calisto buchstäblich vergöttert. Wie ihre Ebenbilder in der Wirklichkeit, strickt sie an ihrem eigenen Mythos mit - ein Verhalten, das es ihr ermöglicht, die Phantasien der Männer zu befriedigen und gleichzeitig deren Ressourcen aufzuzehren. In der Schilderung von Celestinas dämonischer Verschlagenheit, gepaart mit ihrer selbstbestimmten Wandelbarkeit, verfängt sich das Stück in dem Dilemma, einen vermeintlichen Urheber der Sünde zum Idol zu erhöhen. Wie bei zahlreichen ihrer Nachfahren auf der Bühne wird Celestinas Mangel an weiblicher Tugendhaftigkeit von ihrer männlichen »Virtus« aufgewogen.
Ob absichtlich oder nicht, viele Stücke stellen ihr Publikum vor die Wahl, die verwerflichen Ansichten und Handlungen einer »gefallenen Frau« zu vergeben oder ihren Mut, ihre Talente und ihre Klugheit zu schmähen. Beispiele für solche Figuren findet man in der Kupplerin Alvigia aus Aretinos La Cortigiana (1533), der Mätresse des Herzogs, Vittoria Corombona, in John Websters Der weiße Teufel (1612) und der intriganten Witwe Livia in Thomas Middletons Frauen fürchtet Frauen (ca. 1621). Wenn eine Kupplerin zwangsläufig etwas »Verdorbenes« oder ein vorlautes, unabhängiges »Mannweib« etwas »Ungeheuerliches« hatte, übten sie doch zugleich eine gewisse Faszination aus. In seiner Eigenschaft, solchen beunruhigenden Frauenfiguren Stimme, Kostüm und Bewegung zu verleihen, fungierte das Theater nicht nur als Zeuge, sondern auch als Vehikel solcher Widersprüche innerhalb der Geschlechterrollen der Frühen Neuzeit.
Es gibt einen aufschlußreichen Unterschied beispielsweise zwischen Ariostos La Lena (1528), für eine Karnevalaufführung am Hofe der Este in Ferrara geschrieben, und Shakerley Marmions Holland's Leaguer, ein Stück, das ein Jahrhundert später, 1631, am Londoner Salisbury Court Theater gespielt wurde. Marmions widerspenstige Kupplerfigur verkörpert die Stereotype ihres Gewerbes und spielt für die Handlung des Stückes eine untergeordnete Rolle. Im Gegensatz dazu geht Ariosts Titelheldin noch über die Figur der Celestina hinaus, nicht allein dadurch, daß sie eine ausgeprägte Identität erhält, sondern damit, daß hier eine Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht wird. Lena, von ihrem Ehemann in die Prostitution verkauft, von ihrem wohlhabenden Liebhaber mißhandelt und schlecht bezahlt, macht sich dennoch zur leidenschaftlichen Fürsprecherin von Bildung und Wissen, erreicht ihre eigentlichen Ziele und erweist sich als Hauptfigur des Stücks. Ungeachtet ihres Namens ist sie alles andere als eine stereotype Komödiengestalt, wohingegen Marmions Kupplerin eine Karikatur der bereits karikierten »Amazone« ist, eher eine Bedrohung, die man besser im Auge behält und zu zügeln versucht, als eine Frau, der es erlaubt ist, ihre kontroversen Ansichten zu äußern.
Die Popularität und unzweifelhafte Anziehungskraft solch provokativer und berüchtigter Frauenfiguren erzeugten Unbehagen, wie die Zensurbestrebungen sowohl weltlicher als auch religiöser Obrigkeiten bezeugen. Die Gleichsetzung des Theaters mit dem Bordell wird hier besonders eindringlich, da die in Bühnendarbietungen aufgeführten Worte und Handlungen von offiziellen Erlassen durchweg als »lasziv» oder gar »widernatürlich« angeprangert wurden. Dies ist auch der Tenor einer Verordnung, die im Dezember 1508 von dem Venezianischen Rat der Dieci erlassen wird und durch die jegliche Theateraufführungen verboten werden, insbesondere auf privaten Festen und Hochzeitsfeiern. Der zeitgenössische Chronist Marino Sanudo vermerkt, daß Prostituierte gelegentlich bei derartigen festlichen Anlässen auftraten, zumindest als Tänzerinnen.[2] In diesem Fall ist das Theaterprogramm buchstäblich pornographisch und das Publikum steht im Verdacht, aus willigen Freiern und Dirnen zu bestehen. In den folgenden drei Jahrhunderten kursierte weiterhin allgemein die Ansicht, daß Theaterstücke Gelegenheit oder zumindest Anreiz zu sexueller Ausschweifung böten. Beispielsweise wurden spanische Schauspieler und besonders Schauspielerinnen während des »Goldenen Zeitalters« (spätes 16. bis 17. Jahrhundert) von der Öffentlichkeit als unzüchtige Gotteslästerer und moralisch Verkommene geschmäht; in Frankreich wurden Schauspieler im 16. Jahrhundert im Rituale von Paris mit »Hurenmeistern« und »Frauen zweifelhaften Lebenswandels« verglichen, und folglich verwehrte man ihnen die heilige Kommunion sowie ein christliches Begräbnis (Moliere war das prominenteste Opfer dieser Maßnahme); in England schließlich veröffentlichte eine Reihe von Puritanern und Moralisten ausführliche und oft leidenschaftliche Abhandlungen gegen das Theater, unter ihnen John Rainoldes' The Overtbrow of Stage-Plays (1599), William Prynnes Histriomastix (1633) und Jeremy Colliers Short View of the Immorality and Profaneness of the English Stage (1698). Während der weitschweifige und halbverückte Prynne Theaterbesucher als »Ehebrecher, Ehebrecherinnen, Hurenmeister, Huren, Kuppler und
Kupplerinnen« bezeichnet, bringt Jean-Jacques Rousseau die Frauenfeindlichkeit der gegen das Theater Polemisierenden höchst lakonisch zum Ausdruck, indem er behauptet, daß Schauspielerinnen Schande über ihr Geschlecht bringen: »Wie kann ein Stand, dessen einzige Beschäftigung es ist, sich öffentlich, und was noch schlimmer ist, gegen Geld zu zeigen, sich für ehrbare Frauen schicken . . .?«[3]
Rousseaus Äußerung eignet sich vorzüglich, um den Standpunkt der krankhaft mißtrauischen Bühnen-Ehemänner wiederzugeben, die ihre Frauen der Untreue und damit der Prostitution verdächtigen. In Ben Jonsons Volpone (1605) beispielsweise sieht der besitzgierige Corvino seine Frau Celia ein Taschentuch aus ihrem Fenster zu dem Scharlatan »Scoto« (der verkleidete Volpone) hinunterwerfen, was er entsprechend der Gleichsetzung von Schauspielerin und Dirne interpretiert: »Du warst eine Schauspielerin mit deinem Taschentuch«, ruft er, nachdem er Celia bereits eine Hure genannt und ihr gesagt hatte: »Nimm eine Zither. Dame Eitelkeit, und mach deinen Handel mit dem tugendhaften Mann.«[4] Corvinos Worte bringen die Ansicht zum Ausdruck, daß Frauen, die sich allein in der Öffentlichkeit zeigten, die Aufmerksamkeit erregten und sich zwangsläufig für sexuelle Abenteuer feilböten. Gleichzeitig ist seine Anschuldigung auch eine Reaktion des Publikums: Indem er die Eigenschaften, die er bei einer Schauspielerin/Prostituierten erwartet, auf seine Frau projiziert, verrät der eifersüchtige Ehemann den Wunsch, daß sie diese Rolle erfolgreich spielt. Kurz gesagt, die Grenze zwischen »Ehefrau« und »Hure« kann fließend sein.
Da es im wirklichen Leben der Frauen nur wenige Rollen gab, die sie spielen durften, trifft man in den englischen Dramen des 17. Jahrhunderts häufig auf unglückliche Ehefrauen, ob sie sich nun in diese Rolle fügten oder sich ihr widersetzten. Obwohl sie heldenmütig sittsam und standfest ist, wird Desdemona in Shakespeares Othello (1604) als »Hure« und »Metze« gebrandmarkt und von dem Mann, der sie liebt, ermordet. Wenn eine Ehefrau überlebt, dann nur, indem sie sich der Erniedrigung durch ihren Mann entgegenstellt, manchmal mit Geduld und »Magie«, wie Hermione in Shakespeares Wintermärchen (ca. 1610), und manchmal mit Witz und Geschicklichkeit, wie Margery Pinchwife in William Wycherleys Die Frau vom Lande (1675). Wenn Margerys Mann, Mr. Pinchwife, droht, mit seinem Taschenmesser »Hure« in ihr Gesicht zu schreiben (IV II. 87), kommt darin der gewalttätige - und in diesem Fall vereitelte - männliche Wahn von der Unterwürfigkeit und Treue der Ehefrau zum Ausdruck, der gleichzeitig den sowohl komischen als auch tragischen Handlungsverlauf bestimmt.
Obgleich es irreführend wäre, Wycherleys Darstellung feministisch zu nennen, erweckt sein Porträt des grausamen und lächerlichen Mr. Pinchwife Sympathie für die Ehebrecherin Margery: Ihre verständlichen Tändeleien versetzen das Publikum in ein moralisches Dilemma. Auf fast komplementäre Weise erzeugen verschiedene Prostituiertenfiguren in englischen Dramen des 17. Jahrhunderts ein ähnliches Dilemma. In
ausgesprochen didaktischen Stücken wie How a Man May Choose a Good Wife From a Bad (1602) eines unbekannten Autors sowie in John Marstons The Dutch Courtesan (1605) wird der Prostituierten eine Art Strafe auferlegt, um dadurch die Keuschheit einer tugendhaften Frau kontrastierend zu unterstreichen. Das Auftreten sittlich verkommener Frauenfiguren neben lächerlichen und hinterhältigen Männerfiguren relativiert jedoch das negative Bild, das männliche Dramatiker von der Frau zu entwerfen suchen. Diese unterschiedliche Personengestaltung verdeutlicht zumindest ansatzweise, wie das zeitgenössische Theater aufgrund seines eigenen prekären Rufs der Verurteilung der »Unzucht« entgegenwirkt.
In dieser Hinsicht üben sowohl Dol Common aus Jonsons Der Alchimist (1610) als auch Angellica-Bianca aus Aphra Behns The Rover (1677) zwar verschiedenartig, jedoch gleichermaßen entschieden Kritik an jeglichen Versuchen, Vorschriften hinsichtlich der Sittlichkeit, Sexualität oder deren Bewertung durch das Theater zu verbreiten. Wie ihr Name besagt, könnte Dol ein gewöhnliches Straßenmädchen oder eine Hure sein, ihre Handlungen jedoch sind häufig außergewöhnlich. Sie eröffnet das Stück, indem sie ihre zankenden Komplizinnen Face und Subtle entwaffnet und an ihr »Dreier-Unternehmen« erinnert, demzufolge sie »alle Dinge gemeinsam« austragen wollen. Auf diese Weise
gewinnt sie die Ehre ihres ansonsten diskreditierten Namens zurück und veranlaßt ihre Gefährtinnen, sie »Dol Singular«, »Royal Dol« oder »Claridiana« zu nennen. Ihre eindrucksvollste Metamorphose erneuert die mythische Ikonographie von Königin Elisabeth: Sie erscheint als die »Queen of Faery« und betrügt so den leichtgläubigen Schreiber Dapper. Nach dem Muster der Alchimie, welche das gesamte Stück wie ein roter Faden durchzieht, erscheint Dol unter den führenden Alchimisten des Theaters, indem sie ihre schlichte Person in prächtige Trugbilder aus der Welt der Romanzen und der Gelehrsamkeit, der Könige und Götter verwandelt. Die Affinität ihres Gewerbes zum Theatermetier wird deutlich, und damit überschreitet die Figur in doppelter Hinsicht Grenzen, indem ihr Erfolg auf Selbsttäuschungen beruht, welche wiederum die Gedanken, Worte und Handlungen ihres Publikums bestimmen.
Behns Angellica-Bianca hingegen wird als die berühmteste Kurtisane ganz Italiens geschildert, als eine Frau, die monatlich 1000 Kronen für ihre Gunst berechnet und deren Bildnisse und Gesänge vom Balkon herab die Freier scharenweise anziehen. Darin ähnelt sie den verführerischen, aber heimtückischen Kurtisanen in den Theaterstücken vor der Restauration; innerhalb der libertären Theaterkultur im London des Jahres 1670 und aus dem Blickwinkel einer Autorin betrachtet, erscheint sie indes als eine sympathische Figur. Nicht ihre jungfräuliche, junge Rivalin Hellena, sondern sie selber spricht sich für eine höhere spirituelle Liebe zwischen Mann und Frau aus. Durch die Liebe von einer raffinierten Kurtisane in eine treue Liebhaberin verwandelt, erwartet sie nun von ihrem unsteten Geliebten einen ähnlichen Sinneswandel. Als sie - ganz dem Klischee einer Prostituierten entsprechend - sich durch einen Mord rächen will, der allerdings fehlschlägt, steht sie schließlich vor einer ungewissen Zukunft. Damit verdeutlicht Behn, daß Angellica nicht gänzlich die Vorurteile hinsichtlich ihrer Rolle als Kurtisane überwinden kann; dennoch gelingt es ihr, ihre persönliche Autonomie zu wahren.
Wenn indes die Prostituierte Jenny Diver aus John Gays Bettleroper (1728) Macheath seiner Pistole beraubt, tut sie dies im Dienste des Unternehmers Mr. Peachum: Die Prostituierte arbeitet nicht mehr selbständig, sondern als Angestellte. Im späten 18. Jahrhundert fügten sich englische Autoren den Konventionen des europäischen Festlandes und verbannten diesen Frauentyp gänzlich aus ihren Stücken. Damit verläuft das Schicksal der Prostituierten im Theater der Frühen Neuzeit parallel zu dem ihrer Entsprechungen in der Wirklichkeit, deren Tätigkeit im ausgehenden 15. Jahrhundert nicht nur geduldet, sondern offiziell sanktioniert war, bis sie schließlich vom späten 16. Jahrhundert an bis zum 18. Jahrhundert geächtet und häufig ins gesellschaftliche Abseits gedrängt wurde.[5]

Mädchen, Ehefrau oder Witwe?

Auch die Rolle der »ehrenhaften« Frau war in der Frühen Neuzeit sowohl auf der Bühne als auch in der Realität festgeschrieben. Während Shakespeares Jacques erklärt, daß ein Mann »sieben Lebensalter« habe, bekräftigt Herzog Vincentio von Wien in Maß für Maß die vorherrschende Ansicht, daß eine ehrbare Frau lediglich drei haben könne: Als Mariana erwidert, weder Mädchen noch Ehefrau, noch Witwe zu sein, erklärt der Herzog, daß sie folglich »gar nichts« sein könne. Daraufhin bemerkt der vorlaute Lucio schlau: »es wird wohl ein Schätzchen sein, denn die sind gewöhnlich weder Mädchen, Witwen, noch Frauen.« (V. I. 178-180)[6] Diese Zeilen benennen eindeutig die eine Frau zugestandenen sozialen Identitäten, welche - anders als die sieben Lebensalter des Mannes - einzig an ihre sexuelle Identität gebunden sind; d. h. sie sind abhängig von der Beziehung zu einem männlichen Partner. Doch die letzte Szene von Maß für Maß, ähnlich anderen von Shakespeare und seinen Zeitgenossen verfaßten Szenen, bringen die geschlechtsabhängige Kategorisierung auch wieder durcheinander. Während Mariana mit ihrem treulosen Gatten Angelo versöhnt wird, geht die Novizin Isabella nicht auf den Heiratsantrag des Herzogs ein: Die noch heute andauernde kritische Debatte dieser Fragen zeigt, daß sich dieser ungewisse Ausgang den Konventionen angemessenen Verhaltens von Frauen entzieht.
Mit anderen Worten: Weibliche Figuren konnten gegen geltende Normen verstoßen, selbst wenn sie die grundlegenden sexuellen und rechtlichen Einschränkungen der drei »Zustände des Frauseins« respektierten. Mehrere Stücke führten Frauengestalten ein, die ihre Jungfräulichkeit oder sexuelle Ehre bewahrten und dennoch eine Rolle für sich in Anspruch nahmen, die gewöhnlich Männern vorbehalten blieb. In solchen Fällen gerät die Stereotypisierung der jungen Frau als ideale Jungfrau, Ehefrau oder Witwe ins Wanken: Anstatt die Übereinstimmung zwischen weiblicher Keuschheit und stillem Gehorsam zu bestätigen, schlägt die Heldin des Stückes einen entgegengesetzten Weg ein, indem sie für das männliche Vorrecht der Unabhängigkeit optiert. Dementsprechend impliziert dieser Prozeß weiblicher Subjektwerdung häufig eine selbstbewußte Theatralität. Calderons Dona Angela, eine keusche Witwe, verwandelt sich in Die Dame Kobold (1629), um ihre Liebe zu Don Manuel auszuleben und sich dem Mißtrauen ihrer eifersüchtigen Brüder Don Luis und Don Juan zu entziehen. Von diesen beiden ehrbesessenen Männern in ihrem Zimmer eingesperrt, wendet sie listenreiche Tricks an, um sich deren inzestuöser Tyrannei zu entziehen und ihre eigenen Liebeswünsche erfüllt zu sehen: In
unterschiedlichen Situationen erscheint sie als Bühnenbildnerin. Regisseurin oder als Zauberin/Schauspielerin. Obgleich sie ein tragisches Ende findet, ist die Titelfigur von Websters Herzogin von Malfi (1614) ebenfalls eine heldenhafte Witwe, die eine geheime, jedoch legale Hochzeit mit ihrem Haushofmeister Antonio inszeniert. Wie Dona Angela akzeptiert die Herzogin die ihr gesetzten patriarchalischen Rollenvorgaben in gleichem Maße wie sie sich ihnen widersetzt: Einerseits verstößt sie gegen kein Gesetz oder Sakrament, und andererseits verweigert sie ihren Brüdern den Gehorsam, indem sie den Mann ihrer Wahl heiratet und trotz massiver Drohungen und Qualen eine beispiellose Ehe aufrecht erhält.
Durch ihre Klugheit, ihren Mut und ihre Gewandtheit decken diese beiden Protagonistinnen Widersprüche im konventionellen Muster des einsamen, zurückgezogenen Witwendaseins auf, das ihnen genau von den Männern auferlegt wird, die sie zu überwachen versuchen. Ein ähnliches Schema, das häufiger in Stücken behandelt wird, ist die Darstellung keuscher Mädchen bzw. Ehefrauen, die sich als Männer verkleiden. Auch hier wenden die Hauptfiguren Theatertechniken an, die es ihnen ermöglichen, einem beengenden Rollenkontext zu entschlüpfen, während sie gleichzeitig vorgeben, sich diesem zu fügen. Äußerste Zurückhaltung war das Ideal, das den Frauen anzustreben geboten wurde, und diese Gestalten verhielten sich in der Tat so unauffällig, daß sie letztlich jeglicher erkennbaren weiblichen Identität entbehrten. Zielscheibe des Spottes werden somit die männlichen Bühnenfiguren, die eine solche vollständige Umkehrung der Geschlechterrollen nicht erwarten und daher selten das »männliche« Äußere durchschauen. Auf einer zweiten Ebene werden darüber hinaus die Zuschauer hinters Licht geführt, da sich auch ihnen Identität aufgrund der Geschlechterrolle erschließt und das Geschlecht wiederum aufgrund der Kleidung. Somit verhöhnt sowohl Präsentation als auch Repräsentation die geschlechtsspezifischen Unterschiede in Kleidung und öffentlichem Auftreten, wie sie von kirchlicher und weltlicher Obrigkeit gemäß dem biblischen Verbot gegen das Anlegen von Kleidern des anderen Geschlechts vorgeschrieben werden (Deuteronomium 22, 5).
Wie diese Unterschiede gemeinhin definiert wurden, ist unklarer, doch gibt es Gründe genug anzunehmen, daß sie Gegenstand der Faszination und lebhafter Debatten waren. Soweit es um die wechselnde sexuelle Identität ging, konnten sich sowohl deren Verfechter als auch deren Kritiker auf mythische Vorbilder berufen, vornehmlich auf den »Androgyn«, den »Hermaphroditen« und die »Virago«. Diesen geschlechtlich ambivalenten und häufig bedrohlichen Gestalten konnte auch eine positive Interpretation zuteil werden (wie die biblische Judith, Ariostos Bradamante und Spensers Britomart bezeugen): Zumindest in ihrer Phantasie konnte sich ein Mädchen wie ein Mann benehmen und trotzdem seine Tugendhaftigkeit bewahren.
Weder mythische Herkunft noch ein gesellschaftlich gehobener Status charakterisieren jedoch die als Transvestit auftretende Santilla oder »Lidio Femina« in Bernardo Dovizi da Bibbienas La Calandria (1513). Vielmehr zeichnet sie sich durch eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrem Zwillingsbruder Lidio aus sowie durch ihre frappierende Gabe, in genau den richtigen Momenten an seine Stelle zu treten. Mit der Erfindung dieses Szenarios führt Bibbiena den Mythos von der idealen Androgynie in den Bereich der Komödie, der Täuschung und der niederen Stände ein. Das Motiv der identischen Zwillinge, das den Verlauf von Lidios unerlaubter Beziehung zu Calandros Frau Fulvia wie ein roter Faden durchzieht und verkompliziert, löst sich schließlich in einer glücklichen Wiedervereinigung und im Versprechen einer Doppelhochzeit auf. Wenngleich ihr Bruder Ehebruch begeht, bleibt Santilla keusch, obwohl Fulvia sie zweimal zu sich ins Bett lockt. Die Verwechslungsspiele des Stücks, das sowohl als Farce als auch als Romanze gelten kann, verhindern eine endgültige Festschreibung der weiblichen Hauptfigur entweder als Virago, die bösartigen Späßen Vorschub leistet, oder als Verkörperung jungfräulicher Unschuld.
La Calandria beeinflußte zahlreiche europäische Komödien, unter anderem Gl' Ingannati (153D der Accademici Intronati di Siena und Wycherleys Ein Freund der Wahrheit (1676). Beide Stücke zeigen eine Heldin, die sich als Mann verkleidet, um einem untreuen, egozentrischen und/oder brutalen männlichen Liebesobjekt zu dienen und dessen Hand zu gewinnen, und jedes dieser Stücke behandelt die Problematik, einer idealen »Mädchen«-Rolle zu genügen, auf seine Weise. Würde Lelia, Virginios Tochter in Gl' Ingannati, ihrem Vater gehorchen, müßte sie bis zum Tage ihrer vereinbahrten Eheschließung mit dem alten und gebrechlichen Gherardo in einem Kloster bleiben. Sie verkleidet sich also als Mann, um diesem Schicksal zu entgehen, nur um dadurch mit weiteren Gefahren und Verwicklungen konfrontiert zu werden. Zwar verteidigt sie das Tragen von Männerkleidung als ein Mittel zur Selbstbefreiung und einen Weg, die Nähe und das Vertrauen ihres Geliebten genießen zu können, doch erscheint es gleichzeitig als charakteristisches Verhalten von Prostituierten, als Grund öffentlicher Schande und Befleckung der Familienehre, als Verführung zu männlicher und weiblicher Homosexualität sowie als Symptom und Ursache des Wahnsinns. Das ganze Stück hindurch hält Lelia allerdings an jenen Eigenschaften der Tugendhaftigkeit fest, die ihre Verkleidung vermeintlich befleckt.
Wie Lelia weckt auch Fidelia, die Heldin aus Wycherleys Ein Freund der Wahrheit, in ihrer Männerkleidung das Begehren der Frau, die ihr geliebter Herr liebt; auch sie ist gezwungenermaßen eine Kupplerin, die zunächst von einer untreuen Ehefrau bestürmt und dann von deren Ehemann entkleidet, fast vergewaltigt und verletzt wird, bis sie schließlich durch einen glücklichen Zufall am Ende des Stückes mit ihrem Herren, dem frauen- und menschenfeindlichen Manly, verlobt wird. Fidelia hat allerdings keinen Zwillingsbruder, und sie agiert inmitten der extrem merkantilen und sexuell freizügigen Lebenswelt der englischen Restauration. Weit entfernt davon, sich etwaiger magischer Selbst-Verwandlungen zu erfreuen, leidet sie vielmehr darunter, Werkzeug sowohl ihres Dienstherren als auch ihrer Kontrahentin zu deren rücksichtslosen Befriedigung sexueller Triebe zu sein. Anstatt die Protagonistin willkürlich mit einem geschwisterlichen Doppelgänger auszustatten, bedenkt Wycherley sie gleichermaßen willkürlich mit einer Mitgift von 2000 Pfund: Geld steht im Mittelpunkt seiner Analyse der damaligen Geschlechterverhältnisse.
Im frühmodernen Drama stellt die Transvestie also mehr dar als eine bloße Gelegenheit für komische Verwechslungsspiele und romantische
Verstrickungen innerhalb der Handlung. Besonders hinsichtlich der im Stück bewußten Verwendung von sexueller Provokation ist das Verkleiden zugleich dramaturgisches Mittel und äußere Manifestation der Kritik an männlicher Begierde und Gewalt, am sexuellen Doppelspiel der Frauen sowie am System des Brauthandels, das derlei erotische Frevel und Betrügereien mitträgt.

Ehebrecherin und Hahnrei

Erst im Hinblick auf andere Theaterrollen für junge Frauen wird der provokative Aspekt dieser als Männer auftretenden Protagonistinnen wirklich deutlich. In zahlreichen Stücken kommen sittsame, stille und gehorsame Mädchen und Ehefrauen wie beispielsweise die »geduldige Griselda« vor und werden für ihr Verhalten gepriesen und belohnt. Andererseits war die Ehebrecherin eine ebenso geläufige und oft sehr komplexe Bühnenfigur.
Ihre Komplexität beruhte zum Teil auf einer engen Verbindung zwischen fiktionaler Dramatisierung weiblichen Ehebruchs und zeitgenössischen Ritualen der Beschämung der sich wiederverheiratenden Witwen oder unbeugsamen Ehefrauen und deren Gatten. Diese Rituale, die in Italien »mattinate«, in Frankreich »charivaris« und in England »rough music« genannt wurden, verhöhnten ihre Opfer mittels lärmender, aufsehenerregender Theatergags wie Schmuddelreime, schrille Lieder, schlüpfrige Requisiten und Transvestismus. In den Charivaris wurde der Ablauf der Hochzeitszeremonie samt ihrer Utensilien verdreht, indem statt Ringen Hörner, statt wohlklingender mißtönende Musik verwendet wurden und indem das Brautpaar statt des üblichen Schmucks die Kleider des jeweils anderen Geschlechts trug.[7] Die konkreten Fassungen und Motive dieser Riten unterschieden sich je nach Ort und Zeit, aber sie unterstellten durchweg wenigstens potentiellen Ehebruch und Auflehnung der Frau. Charivaris jedoch wirkten auf paradoxe Weise, da ihre lärmende, störende, aufrüherische Verspottung sexueller Fehltritte häufig mindestens ebenso anstößig wirkte. Überdies gibt es hier eine enge Verbindung zu Komödien, Farcen und Parodien, in denen alte, impotente oder treulose Ehegatten der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Die epische, possenhafte Sex-Komödie Betia (1524-27) von Angelo Beolco, genannt Ruzzante, stieß beispielsweise bei ihrem Publikum auf heftige Empörung. Diese Mißbilligung wurde offenbar von den eindeutig sexuellen Anspielungen und
unanständigen Szenen des Stückes provoziert, wie einer abschließenden Vier-Personen-Hochzeit und der Mattinata im vierten Akt, in der die Rückkehr des totgeglaubten Nale zu seiner bereits »untreu« gewordenen »Witwe« Tamia dargestellt wird.
Ruzzantes Drama rückt zwar den Ehebruch in den Vordergrund, ohne jedoch ein stereotypes Bild der Ehebrecherin zu vermitteln oder deren Handlungen zu verurteilen. In seinem Stück Des Ruzzante Rede, so er vom Schlachtfeld komme (ca. 1526) flieht Gnua, die Frau des Bauern Ruzzante, nach Venedig und in die Prostitution, bloß um wirtschaftlich überleben zu können. Ihren zerlumpten, verarmten Ehemann überzeugt sie von der Notwendigkeit ihres Handelns, und die beiden, ihren vom Krieg verwüsteten Feldern entflohen, bleiben getrennt. Wiederum zeigt der Dramatiker Ruzzante Bauersleute, die unter dem Druck sozialer und ökonomischer Verhältnisse handeln. In dieser Hinsicht ist die Frustration seiner Figur Ruzzante auf die Bemühungen des Dramatikers zurückzuführen, Karikaturen wie den verschmähten Liebhaber bei Petrarca oder den betrogenen, naiven Ehemann zu spielen. Im Rahmen von Ruzzantes »naturalistischem« Drama wird der Ehebruch zur wirtschaftlichen Notwendigkeit für seine pragmatischen Frauenfiguren und zur paradoxen Existenzberechtigung seiner gequälten und zugleich selbstquälerischen Protagonisten.
Trotz seiner Ausnahmestellung war Ruzzante jedoch nicht der einzige Dramatiker, der aufzeigte, inwiefern sowohl der wirtschaftliche Aspekt als auch die Psychopathologie des Ehebruchs darauf zurückzuführen war, daß die Frau allgemein als Besitz des Mannes, als schwach und unterwürfig, als unstetes sexuelles Wesen betrachtet wurde. Im patriarchalischen Mikrokosmos der einzelnen Familie fiel es daher dem Ehemann (dem souveränen Herrn) zu, die Kontrolle über Körper und Sexualität seiner Gattin zu führen, zumal allgemein angenommen wurde, daß Frauen dazu selbst nicht in der Lage wären.
In der Praxis traf diese patriarchalische Theorie von der absoluten Herrschaft des Mannes und der Unterwerfung der pflichtbewußten Ehefrau zwangsläufig auf Anpassungen und Abweichungen, und genau dieses Auseinanderklaffen zwischen Theorie und Praxis wurde durch die Darstellung der Ehebrecherin und des Hahnreis in den damaligen Theaterstücken thematisiert. In den Streitereien der zankenden Paare der italienischen mariazi sowie der französischen Farcen des 15. und 16. Jahrhunderts geht es doch gerade darum, wer »die Hosen anhat« bzw. wer das Sagen im Haus hat. Die Farce oder »debat« Les deux Maris et leurs deux Femmes (ca. 1500) führt beispielsweise die Gegensätzlichkeit zweier Ehefrauen vor Augen, einer keuschen, aber ungehorsamen (als »malle teste« beschrieben) und einer folgsamen, aber promiskuösen (»tendre au cul«). Während ihre Ehemänner darüber debattieren, welche der beiden Verbindungen vorzuziehen ist, wird deutlich, in welcher Zwickmühle sie sich befinden: Einerseits haben sie Angst davor, bevormundet zu werden, und andererseits befürchten sie, zum Hahnrei gemacht zu werden. Danach legen die Frauen ihre Ansichten über eheliche Beziehungen dar: Die eine (Alice) brüstet sich mit ihrem makellosen Ruf, die andere (Jeanne) betont zunächst ihr Bemühen, den »gens de biens« in den »cachettes« gefällig zu sein und zweitens ihren frommen Eifer hinsichtlich der Erfüllung des biblischen Gebots der multiplicamini. Schließlich werden dem Publikum Szenen aus dem Leben der beiden Paare vorgeführt: Alice und ihr betrunkener Ehemann Colin verprügeln und beschimpfen sich gegenseitig, letzterer beklagt sich schließlich darüber, von einer Frau bevormundet zu werden, während Jeanne und ihr ebenfalls betrunkener Gatte Mathieu miteinander zu schlafen versuchen, es ihnen aber wegen seiner Impotenz nicht gelingt. Der Ehrenkodex tritt zugunsten eines Autoritätskonzepts zurück, wodurch weniger die Frauen als vielmehr die starren Muster von Keuschheit und Gehorsam zur Zielscheibe des Spottes werden.
Diese Frauen, wie auch ihre späteren englischen Entsprechungen in Stücken wie Middletons A Chaste Maid in Cheapside (1613) und Jonsons Bartholomäusmarkt (1614) sind in erster Linie Objekte der Manipulationen anderer Figuren sowie der Satire des Verfassers. Kurzum, sie sind durchaus keine Heldengestalten. Vielmehr kommt das Heroische oder zumindest die Subjektivität eher tragischen Frauenfiguren zu, die für ihre Untreue Todesqualen erleiden müssen. Beispielsweise plant Alice Arden in Arden von Feversham (1592), einem Stück eines unbekannten Autors, ihrem Liebhaber zuliebe die Ermordung ihres Ehemannes. Während auf der Titelseite des ursprünglichen Quartos behauptet wird, das Stück werde »die große Bosheit und Durchtriebenheit einer verruchten Frau« zeigen, beschreibt es vielmehr ihre tragische Gewissenskrise, ihr Schwanken zwischen der Begierde für einen Mann, der hauptsächlich hinter ihrem Geld her ist, und dem Festhalten an ihren ehelichen Pflichten gegenüber einem Wucherer und eifersüchtigen Frauenfeind. Am Schluß des Stückes, als sie zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt ist, beschimpft und verflucht sie die Heuchelei ihres Geliebten, der sie eine Metze nennt, aber auch die Verlogenheiten der Liebeserklärungen von Männern: »Ach, Deinetwegen nur bin ich's geworden !/Was können Schwur und Bitten nicht erlangen/ Wenn die Gelegenheit den Mann begünstigt.« (V. Akt, Szene 5)[8]
Im Rahmen eines patriarchalischen Systems mit zumeist arrangierten Ehen wird der Ehebruch gelegentlich als eine Befreiung oder zumindest als ein Mittel der Selbsterkenntnis dargestellt. Obwohl es das Genre der Tragödie gebietet, daß die untreue Ehefrau bestraft und der Ehrenkodex aufrechterhalten wird, thematisieren zahlreiche tragische Stücke nicht nur die Tyrannei dieser Forderung, sondern auch die der männlichen Vorrechte, auf der sie basiert. Daher rührt die ständig wiederkehrende Kritik an den Ausschweifungen scheinheiliger Könige, Herzöge, Kardinäle und dekadenter Höflinge in den »Rachetragödien«.
Dementsprechend kann der verwerfliche Akt des Ehebruchs der vormals unterwürfigen Frau eine gewisse Macht verleihen, die es ihr ermöglicht, sich zum einen der Herrschaft ihres Partners zu widersetzen und zum anderen die verlogene höfische Gesellschaft bloßzustellen und sich an ihr zu rächen. Dieses Muster gilt beispielsweise für die Kurtisane Evadne in The Maid's Tragedy (1611) von Beaumont und Fletcher und ebenfalls für die erkaufte Braut/Herzogin Cassandra in Lope de Vegas Richter ... nicht Rächer! (1631). Beide protestieren und rebellieren mutig dagegen, ausgebeutet zu werden, ohne jedoch dem für ihren Ehebruch geforderten Tod zu entrinnen.
Die Grausamkeit der Doppelmoral sowie die damit verbundene Frauenfeindlichkeit und deren Grundlage in den Rivalitäten der Männer untereinander wird in Stücken wie Calderons Der Arzt seiner Ehre (1631) und Shakespeares Othello, Cymheline und Das Wintermärchen noch schärfer kritisiert. In all diesen Stücken verteidigt die vermeintlich auf Abwege geratene Frau heroisch ihre Unschuld, um letztlich den Tod zu finden, gleich ob real oder symbolisch. Wie Websters Vittoria Corombona feststellt, ist die patriarchalische Gerechtigkeit taub und blind und hört und sieht lediglich, was sie hören und sehen will.
In Cymbeline ist Posthumus' Psychose nicht nur eine individuelle, sondern eine kulturelle. So radikal er ist, seine Ansicht, daß Frauen melancholisch seien, unter der Herrschaft von Saturn stünden und deshalb zu Lasterhaftigkeit, Betrug und Wankelmut neigten, entspricht doch einer allgemein verbreiteten Auffassung. Daher war es die Pflicht der Ehemänner, diesen »weiblichen« Neigungen entgegenzuwirken und sie ihrer Aufsicht zu unterstellen. In England, wo die Gerichte in Fällen von Ehebruch gemeinhin Nachsicht übten, fand die Rechtsprechung und öffentliche Demütigung häufig auf der inoffiziellen Ebene der oben erwähnten »rough music«, Spottgedichte und »skimmington rides« statt. Diese inszenierten Veranstaltungen konnten sich zu reifen Darbietungen auswachsen, wie 1614 in Salisbury, wo Alice Mustian aus dem Stegreif eine Satire über den Ehebruch ihres Nachbarn aufführte. Das allseits bekannte Motiv der Hörner des Hahnreis lieferte Elemente des Monströsen, parodierte Fruchtbarkeitssymbole und lieferte dem zeitgenössischen Theater zahllose Bezüge. Der krankhaft eifersüchtige Leontes im Wintermärchen fühlt sie auf seiner Stirn wachsen, was ihn öffentlich als Hahnrei bloßstellen würde: Das äußerliche Symptom wird verinnerlicht und zeigt, daß Leontes so sehr an der Furcht vor einem Skandal leidet, daß er zu seiner eigenen Karikatur wird. Wie die ständig wiederkehrenden Metaphern des Stückes verdeutlichen, verfaßt und vollzieht Leontes sein eigenes fehlgeleitetes, gewaltsames und tragisches Beschämungsritual, als wolle er jemand anderem dabei zuvorkommen.
Ehebrecherin und Hahnrei erscheinen also in den verschiedensten Ausprägungen in frühmodernen Theaterstücken, wobei Ehefrauen, die ihrem Begehren nachgehen bzw. sich behaupten, riskant leben. Den ehebrecherischen Gatten oder Liebhaber erwartete eine geringere bzw. oftmals hinausgeschobene Strafe, gewöhnlich in Form eines Racheaktes. Im 18. Jahrhundert wurden untreue Ehemänner, selbst Don Juan
und seine Nachfahren auf französischen und englischen Bühnen, eher zu Möchtegernen als zu tatsächlich »Hörnenden«. Die Ehebrecherin
ihrerseits blieb nicht länger potentielle Heldin oder gar Hauptfigur im europäischen Drama: Ebenso wie die gleichermaßen gesetzüberschreitenden und unbeugsamen Figuren der Prostituierten und der Hexe wurde sie aus den Theaterdarbietungen verbannt.

Frauen als Schauspielerinnen und Dramatikerinnen

Eine der charakteristischen Eigenschaften der als Hexen verdächtigten Frauen, der »Furien« und »Megären«, war ihre Redegewandtheit, vor allem in der Öffentlichkeit. Nicht zufällig trug dieser Umstand dazu bei, Frauen generell von der Bühne fernzuhalten. Zahlreichen männlichen Autoren zufolge bestätigten diese sprechenden Rollen das Vorurteil von der schwatzhaften Frau, der man den Mund eher stopfen sollte, als sie sich darstellen zu lassen und der man es obendrein ohne weiteres zutraute, daß sie sich prostituierte. Laut Überlieferung tauchten in Europa während des gesamten Mittelalters und noch im 16. Jahrhundert weibliche Darsteller fast ausschließlich als Tänzerinnen, Akrobatinnen, stumme allegorische Figuren und vor allem als Sängerinnen auf. Im England der frühen Stuart-Herrschaft traten Damen aus Königshäusern und Aristokratie häufig in Maskenspielen und historischen Festspielen auf, ohne jedoch jemals einen einzigen Satz von sich zu geben. Vor die Entscheidung gestellt, den Stereotypen der schweigsamen bzw. geschwätzigen Frau entweder zu entsprechen oder sich ihnen zu widersetzen, kämpften Frauen jahrhundertelang darum, als Schauspielerinnen anerkannt zu werden: Die wenigen, die Theaterstücke verfaßten oder zur Aufführung brachten, stießen auf noch heftigeren Widerstand nicht nur von Seiten der Moralisten, sondern auch von rivalisierenden männlichen Autoren und Impresarios.
Die Auffassung, daß es von der Schauspielerin zur Prostituierten nur ein winziger Schritt sei. verfolgte die Frauen ständig, sowohl bevor als auch nachdem ihnen das Recht zugestanden worden war. als Berufsschauspielerinnen zu arbeiten. In Spanien erteilte der Rat von Kastilien, der unter dem Einfluß von Jesuiten und mächtigen Gönnern des Theaters stand, Schauspielerinnen um 1590 und im frühen 17. Jahrhundert zunächst Auftrittsverbot, um sie kurze Zeit später wieder zuzulassen. Es wurde behauptet, daß diese Frauen promiskuös seien und daher die Jungfrau Maria öffentlich entweihten, wann immer sie sie darstellten. Im Jahre 1574 gastierte eine italienische Truppe in England, wo Schauspielerinnen bis zur Wiedereröffnung der Theater im Jahre 1660 nicht zugelassen waren und für ihren »unsittlichen, schamlosen und widernatürlichen Lebenswandel« verunglimpft wurden. 1592 pries Thomas Nashe die englischen Schauspieler dafür, ihren italienischen Kollegen moralisch überlegen zu sein: Letztere wären »unzüchtige Komödianten«, die weibliche Rollen von Huren spielen ließen.[9]
In einzelnen Fällen, die jedoch oftmals für Skandale sorgten, traten Frauen dennoch in der Öffentlichkeit auf und erlangten so große Popularität, daß sie schließlich als professionelle Schauspielerinnen anerkannt wurden, obgleich sie von den Obrigkeiten getadelt und vom Publikum zuweilen tätlich beleidigt wurden, wie es einer Gruppe umherziehender französischer Schauspielerinnen 1629 in London widerfuhr. In Italien, Frankreich und Spanien fiel ihre Anerkennung mit der Professionalisierung der Schauspielkunst zusammen, insbesondere mit dem Aufkommen von Theatertruppen der commedia dell'arte im mittleren und späten 16. Jahrhundert. Auch wenn die Schauspielerei insgesamt eine unsichere und umstrittene Tätigkeit war - ein Zustand, der unverändert fortbestand -, konnten die Talentiertesten mit einigem Glück eine erfolgreiche Karriere machen. Isabella Andreini übernahm beispielsweise die Hauptrolle der prima donna innamorata in der führenden commedia-Truppe jener Tage, der Gelosi, und gemeinsam
mit ihrem Mann Francesco und dem Autor Flaminio Scala schrieb sie die verwickelten Szenarien, die zum Standard-Repertoire dieser Kunstform wurden, und brachte sie auch zur Aufführung. Es gelang ihr, die Rolle der jungen Verliebten so sehr weiterzuentwickeln, daß diese schließlich ihren Vornamen erhielt; für ihre Darstellung setzte sie nicht nur Slapsticktechniken, sondern auch die Verkleidung als Mann, philosophische Erörterungen, Parodien nach Art des Petrarca und Passagen von Boccaccio sowie ihrer eigenen Texte ein. In dem bekannten Stück Isabellas Wahnsinn, das sie selbst geschrieben haben soll, stellte sie ihre Fähigkeit unter Beweis, gleichzeitig alle anderen Rollen oder »Masken« der commedia, ob weibliche oder männliche, zu übernehmen: Pantalone, Graziano, Zanni, Pedrolino, Franceschina und andere. Überdies war sie dafür berühmt, in Tragödien und Pastoralen zu spielen und auch als Tänzerin aufzutreten. Ihre mustergültige Ehe sprach sie von dem Vorwurf der Hurerei frei, und es wurde ihr ein kirchliches Begräbnis zugestanden. Kurz gesagt, Isabella Andreini bewies, daß Frauen auch außerhalb des Haushalts eine Laufbahn einschlagen konnten, die eher künstlerisch als sexuell ausgerichtet war.
Dennoch konnte sie nicht dafür Gewähr leisten, daß die Öffentlichkeit die Schauspielerei als respektables Gewerbe betrachtete. In dem Jahrhundert nach Andreinis Tod im Jahre 1604 konnten selbst so talentierte und anerkannte Schauspielerinnen wie Madeleine und Armande Bejart, die viele von Molieres ausgefeiltesten Frauenrollen auf die Bühne brachten, Zielscheibe von Klatsch und Verunglimpfungen werden. Auch das ausführlich dokumentierte englische Theater der Restaurationszeit gibt Aufschluß über die zwischen Huldigung und Verachtung schwankende Haltung des Publikums gegenüber Schauspielerinnen. Die Novität weiblicher Darsteller lockte viele Zuschauer an. die Spaß daran fanden, Frauen in sexuell aufreizender männlicher Ausstaffierung sowie in reinen Frauenaufführungen auf der Bühne zu sehen, wie in Congreves Klassiker Liebe für Liebe (1705 und 1706). Einige wenige Schauspielerinnen, wie z. B. Neil Gwynn und Anne Bracegirdle, erlangten große Berühmtheit aufgrund ihrer außergewöhnlichen schauspielerischen Fähigkeiten. Häufig beendeten sie eine Vorstellung, indem sie Schlußreden von aktuellem Interesse an das Publikum richteten, ein weiterer Beweis für ihre Sonderstellung und Beliebtheit.
Andererseits hatten selbst die erfolgreichsten Schaupielerinnen der Restaurationszeit gegen Vorurteile, Diskriminierung und sexuelle Belästigungen zu kämpfen. Es wurde allgemein angenommen, daß Schauspielerinnen ein unmoralisches Leben führten; man verglich sie mit Prostituierten, und somit wurden sie häufig Opfer sexueller Zudringlichkeiten. Verbindungen zwischen Adeligen und Schauspielerinnen aus niederem Stande riefen allgemein Entrüstung und Ressentiments hervor, selbst wenn das Verhältnis, wie in dem berühmten Fall von Prinz Rupert und Margareth Hughes, in einer angesehenen, langfristigen Verbindung endete.[10] Wie in der heutigen Unterhaltungsbranche auch, verdienten Schauspielerinnen gewöhnlich weniger als ihre männlichen Kollegen und erlangten nur selten das privilegierte geistige und soziale Ansehen, das so mancher Schauspieler genoß.
Die Unzufriedenheit mit den bereits dargelegten sexistischen Anschauungen und Praktiken nährte die Arbeit damaliger Bühnenschriftstellerinnen, unter ihnen Mary de la Riviere Manley, Aphra Behn und Susannah Centlivre, die alle zwischen 1670 und 1720 ihre Theaterstücke verfaßten. Obgleich sie ihre Freunde und Fürsprecher in der männlichen Theatergemeinschaft hatten, sahen sie sich, allein aufgrund der Tatsache, daß sie Frauen waren, mit schier unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert. Behn, die erfolgreichste unter den sogenannten »weiblichen Köpfen« und in der Tat zu den vier oder fünf hervorragenden Dramatikern ihrer Zeit zählend, verteidigte ihre Kolleginnen leidenschaftlich und wortgewandt gegen männliche Diskriminierung. Sie spezialisierte sich auf Komödien mit sexuellen Intrigen, unzüchtigen Dialogen und ehebrecherischen Abenteuern. Nachdem sowohl weibliche als auch männliche Zuschauer gegen die Freizügigkeit ihres Stücks Sir Patient Fancy (1678) protestiert hatten, erklärte Behn in einem Vorwort, daß sie die Ursache dieser Vorwürfe in der Diskriminierung ihrer weiblichen Autorenschaft sah. In einem Nachwort zu demselben Stück klagt die Autorin ihr Publikum noch unerbittlicher an und verteidigt die weibliche Autorenschaft noch vehementer! Behn fordert die völlige Gleichberechtigung von männlichen und weiblichen Schriftstellern und macht das Recht der Frauen geltend, sich zu behaupten und das patriarchalische System zu bekämpfen, das ihnen strikte Untertänigkeit abverlangt. Sowohl in ihren Stücken als auch in ihrem eigenen Leben setzte Behn ihre feministischen Überzeugungen in die Tat um, wenn auch häufig auf subtilere und idiosynkratische Weise. Bevor sie zur ersten Berufsschriftstellerin der englischen Geschichte avancierte, hatte sie bereits außergewöhnliche Erfahrungen gemacht: Sie hatte fast ein Jahr auf oder in der Nähe einer Plantage in Surinam verbracht; sie hatte als Spionin und Nachrichtenagentin in den Niederlanden gearbeitet und eine Zeitlang in einem Schuldgefängnis zugebracht. Um ihre Schulden abzutragen, hatte sie mit dem Schreiben und Publizieren begonnen. Sie hatte es abgelehnt, den konventionellen Weg einzuschlagen, d. h. einen Ehemann zu finden und sich in einem häuslichen Leben einzurichten. Obwohl sie mehrere Liebesaffären hatte, sowohl mit Männern als auch mit Frauen, heiratete sie nach dem Ableben ihres Mannes 1665 nicht wieder und blieb bis zu ihrem Tod im Jahre 1689 ungebunden.[11]
Zahlreiche Stücke Behns drehen sich um die erzwungene Ehe sowie um die Bemühungen von Frauen, sich aus der Bevormundung durch Ihre Väter, Brüder und Ehemänner zu befreien. Der Kampf ihrer Protagonistinnen um Selbstbestimmung bot Behn hin und wieder die Gelegenheit, ein weiteres von ihr bevorzugtes Motiv einzubringen, nämlich die Verkleidung als Mann oder als weltgewandte Frau. So streifen Florinda und ihre Schwester Hellena in The Rover als Zigeuner verkleidet durch die Straßen von Neapel. Für Hellena ist dies eine völlige Kehrtwendung, da ihr Bruder versucht hatte, sie als Nonne in ein Kloster zu stecken. Wieder thematisiert Behn patriarchalische Taktiken, weibliche Sexualität zu unterdrücken, die wiederum überaus geschickte weibliche Strategien der Selbstbefreiung provozieren. Als sie ihre Absicht kundtut, ihren Bruder zu überlisten und einen Liebhaber ihrer eigenen Wahl zu finden, betont Hellena nachdrücklich: »Ich will nicht, daß jeder, der mich will, mich haben kann, sondern ich will den, der mir gefällt.« (III. i. 40-41) Sie beginnt mit dem draufgängerischen Frauenhelden Willmore zu flirten, indem sie Männerkleidung anlegt. Unterdessen lockt Lucetta, eine gewöhnliche Prostituierte, den grobschlächtigen Engländer Blunt zu einem ehebrecherischen Stelldichein in ihr Schlafzimmer, bloß um ihn auf raffinierte Weise zu bestehlen und ihn dann eine Falltreppe hinunterzustoßen. Abermals erschüttert eine kluge und unabhängige Frau die Überheblichkeit des Machismo. Es gibt auch eine poetische Gerechtigkeit in dem Stück, da Behn die vom Mann dominierte Institution der Ehe generell als gleichbedeutend mit der Prostitution betrachtet, vor allem, wenn der finanzielle Nutzen ihr vorrangiger Zweck ist. Ihre einfühlsamen Porträts von Prostituierten und Ehebrecherinnen enthalten eine offene Kritik an den ökonomischen Zwängen, denen die meisten Frauen in einer von Männern beherrschten, uneingeschränkt kapitalistischen Wirtschaft ausgesetzt sind. Schließlich stellen die Szenen in Behns Stücken, in denen ein sexueller Rollentausch stattfindet und in denen die Frauen den von ihnen begehrten Männern aktiv den Hof machen, nur eine von vielen Möglichkeiten dar, Behns andere Vision des Eros auf der Bühne umzusetzen.
Während Schauspielerinnen trotz einiger Rückschläge weiterhin Erfolge hatten, war die Ära der weiblichen Dramatiker bald vorbei: Nachdem 1730 die Licensing Act (eine Zensurverordnung) beschlossen wurde, hörten die Frauen auf, für die Bühne zu schreiben und konzentrierten sich auf das weniger anstößige Genre des Romans. Sowohl Umfang als auch Komplexität weiblicher Theaterrollen, die nun von Frauen gespielt wurden, reduzierten sich, und Grenzüberschreitungen jeglicher Art wurden in den Stücken entweder ganz vermieden oder stark eingeschränkt. Die Überarbeitung bzw. das vollständige Streichen der schlüpfrigen und grausamen Passagen aus Shakespeares Stücken ist ein aufschlußreiches Beispiel für diesen Trend. Auf dem Kontinent und in der Neuen Welt gab es niemanden, der die Nachfolge der Mexikanerin Sor Juana Ines de la Cruz (1651-1695) hätte antreten können, die sowohl autos sacramentales als auch ein abendfüllendes Stück nach Art der Komödien Calderons mit dem Titel Los empenos de una casa verfaßte, das 1683 aufgeführt wurde. Sor Juana, eine wortgewandte Dichterin und gleichzeitig eine Vorkämpferin für die Rechte der Frau auf dem Gebiet der Literatur und der Bildung, erfindet für dieses Stück eine Szene, in der der spanische Adelige Don Pedro dem als Frau verkleideten einfachen Mexikaner Castano den Hof macht. Die Verwirrung der Klassen und der Geschlechter parodiert sowohl aristokratische als auch männliche Phantasien der Verführung. Am Schluß des Stückes gelingt es Don Pedro dann auch tatsächlich nicht, die Hand seiner geliebten Dona Leonor zu gewinnen. Sor Juana enttarnt die Ideologie des Machismo von ihrem besonderen Standpunkt aus, dem einer mexikanischen feministischen Nonne.
Im folgenden Jahrhundert blieb es allerdings männlichen Dramatikern wie zum Beispiel Goldoni in Mirandolina (1752) und Beaumarchais in Figaros Hochzeit (1784) überlassen, die Versuche hochgestellter Herren, arbeitende Frauen zu verführen, zu verspotten. Wiederholt verkündet Goldonis florentinische Gastwirtin Mirandolina ihre Entschlossenheit, nicht zu heiraten und ihre geschätzte »liberta« zu behalten. Im Grunde jedoch dreht sich das Stück um Mirandolinas Wunsch, ihre Unabhängigkeit zu bewahren: Als ihre albernen aristokratischen Verehrer beschließen, sich für sie zu duellieren, verlobt sie sich rasch mit ihrem Angestellten Fabrizio, um einer Mesalliance in einer antiquierten Welt der Ehre, Titel und affektierter sozialer Umgangsformen zu entgehen. Wie im Falle von Susanne und Figaro, gibt ihr eine Heirat in die untere Mittelschicht Aussicht auf ein durch dauerhafte Kameradschaft und gesunden Menschenverstand bestimmtes Leben. In Beaumarchais' Stück werden die Pläne des Möchtegern-Ehebrechers Graf Almaviva von seiner Frau und deren Zofe vereitelt, was zu einer komischen Auflösung der Geschichte führt und die bewährte Fähigkeit von Frauen, Mißverständnisse im Hause aufzuklären, bestätigt.
Mit der Überhöhung des bürgerlichen Modells ehelicher Treue und Gemeinschaft kündigt Figaros Hochzeit sowohl einen gesellschaftlichen Umschwung als auch eine einschneidende Veränderung im Kontext der öffentlichen Erwartung an das Theater und die darin vorkommenden Frauenfiguren an. Das Theater sollte nicht länger als Bordell betrachtet werden oder gar als universeller Spiegel der Wirklichkeit, sondern als eine Schule für zivilisierte Werte und sexuellen Anstand: Die Zeit der viktorianischen Naiven und der moralisch gesunkenen, aber geläuterten Frau kündigte sich an.
Aus dem Englischen von Gisela Klose

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