Der medizinische und andere wissenschaftliche Diskurse

Angefangen von den Enzyklopädien des Mittelalters bis hin zu den verschiedenen Sammelwerken der Renaissance, von den Predigern der Gegenreformation bis zu den Rednern der Revolution mußte der medizinische Diskurs dazu herhalten, die der Frau in Familie und Gesellschaft zugewiesene Rolle zu rechtfertigen. Wenn Marie de Gournay sich bereits 1622 in L'Egalite des hommes et des femmes darüber entrüstet, daß eine bestimmte Sicht der weiblichen Physiologie als Vorwand für Diskriminierungen diente, so hatte sich daran zu Constance de Theis' Zeiten kaum etwas geändert. In ihrer Epitre aux femmes von 1797 nahm sie solche Vorurteile aufs Korn:

»Lassen wir den Anatomen, blind in seiner Wissenschaft,
/ kunstvoll die Stärke einer Faser berechnen,
/ und daraus den unwiderruflichen Schluß ziehen
/ daß seine Frau ihm ewigen Respekt schuldet.«

Die theoretische Basis dieses Diskurses war bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts gelegt worden: Die Palette der Möglichkeiten schloß dabei die aristotelische Doktrin, in der die Frau als unvollständig betrachtet wurde, ebenso ein wie die Lehren Galens, in denen sie auf ihr beunruhigend eigentümliches Organ - den Uterus - reduziert wurde. Die Frauenheilkunde blieb vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert gefangen in diesem Spektrum, was zweifellos einen raschen Fortschritt in der Anatomie und Biologie verhinderte. Aber das Fortleben der Stereotypen und die offensichtliche Reproduktion des Diskurses verbergen Entwicklungen und Einbrüche, die um so schwieriger zu analysieren sind, als sie nicht zwangsläufig mit den Wendepunkten der Medizingeschichte einhergehen. Zur Disposition stand vielleicht weniger die Kenntnis der eigentlichen Natur und Funktion der Geschlechter - diese wurde erst im 19. Jahrhundert geliefert - als die Art und Weise, in der die Geschlechterdifferenz auf die kosmische und soziale Ordnung einwirkte.

Die weibliche Natur

Dieses Thema ist an sich problematisch. Das Interesse der Naturwissenschaftler an der Frau war Teil eines allgemeinen Interesses an der menschlichen Fortpflanzung. Der Geschlechtsdimorphismus war für den Biologen wie für den Anatomen ein Geheimnis. Im Mittelalter gab es eine lebhafte Kontroverse zwischen den Anhängern des Aristoteles, welche die Frau als passives Gefäß für den Embryo betrachteten, und den Erben des Hippokrates, die den weiblichen Körper als in zweierlei Hinsicht aktiv ansahen: nämlich deshalb, weil er Samen und Nahrung produzierte, aus denen der Embryo sich herausbildete. Der Streit schien sich im 14. Jahrhundert gelegt und zu einem Kompromiß geführt zu haben, der in der Haltung Henri de Mondevilles zum Ausdruck kommt: Da für die menschliche Fortpflanzung sowohl der Körper des Mannes als auch der Körper der Frau erforderlich waren, erschien es nützlich, die Anatomie der Frau zu studieren, auch wenn diese Galen zufolge lediglich eine nach innen ausgestülpte Version des männlichen Körpers war.

Wozu über die Frau sprechen?

Die zahlreichen kommentierten Übersetzungen der Schriften Galens und Hippokrates' brachten im 16. Jahrhundert die Diskussion wieder in Gang, verliehen ihr aber eine andere Dimension, da sich der medizinische Diskurs nunmehr als praxis und doxa verstand. Obwohl durch keine bedeutende anatomische Entdeckung das Schema ins Wanken geriet, das bereits im 4. Jahrhundert vor Christus von Hierophilos aufgestellt worden war, bezeugen das Interesse der Studenten an Sezierungen von Frauen in den anatomischen Fakultäten bedeutender Universitäten sowie die immer zahlreicheren anatomischen Traktate und praktischen Handbücher in französischer Sprache, daß auf dem Gebiet der Gynäkologie und Geburtshilfe lebhaft geforscht wurde. Die Spezialisten der Frauenheilkunde erkannten gegen Ende der Renaissance, daß sich ihre Kunst verändert hat: Früher, so schreibt Jean Liebault im Thresor des remedes secrets pour les maladies des femmes (1585), hätten es die meisten der Traktate über die Pathologie vermieden, sich mit Frauenkrankheiten zu beschäftigen, denn die Materie galt als zu schwierig und zu undurchsichtig; heute verstünden die Ärzte die Lehren des Hippokrates besser und seien vom gleichen Geist der Nächstenliebe beseelt, um der Frau in ihren Bedrängnissen beizustehen. Vor allem begann der Arzt der Renaissance, die moralischen und sozialen Konsequenzen dieser Theorien zu ermessen: Wie konnte man einen Körper verachten und vernachlässigen, der eigens dazu geschaffen war, einen Mitmenschen zu empfangen und zu gebären? Ärzten des ausgehenden 16. Jahrhunderts wäre der misogyne Spott, der in einer Ausgabe der Practica von Arnaud de Villeneuve zu lesen ist, fast als Gotteslästerung erschienen: »Ich beschäftige mich hier, mit Gottes Hilfe, mit dem, was die Frauen betrifft, und da die Frauen zumeist bissige Tiere sind, werde ich anschließend den Biß der giftigen Tiere behandeln.«[1]
Wenn Mediziner nicht nur Kollegen und Hebammen, sondern alle Personen mit gesundem Menschenverstand - einschließlich Frauen anzusprechen suchten, konnte dies nicht ohne Einfluß auf das soziale Verhalten bleiben, selbst wenn dabei zumeist weitverbreitete Vorurteile artikuliert wurden. Warum empfinden die meisten Männer die Geburt einer Tochter als Schande, fragte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Mediziner Louys de Serres bei seinen Forschungen über die Sterilität. Nicht weil sie ein Geschöpf, das nach ihrem Bilde geschaffen wurde, verabscheuten, sondern weil sie unter dem Einfluß einer Tradition standen, die sich seit dem Altertum, seit Aristoteles und Galen, bis hin zu Rabelais und Tiraqueau, hartnäckig gehalten hatte.
Die meisten medizinischen Texte boten eine negative Sicht des weiblichen Geschlechts. War dies lediglich die Reproduktion kultureller Vorurteile, wie Louys de Serres zu verstehen gibt? Der Naturforscher der Renaissance ebenso wie der des ausgehenden Mittelalters war in der Tat Gefangener einer bestimmten Methodologie: Seine Beobachtungen des weiblichen Körpers sind Analogieschlüsse, die den männlichen Körper als Bezugspunkt nehmen. In seiner Würdigung Galens, der höchsten wissenschaftlichen Autorität, vergaß der Anatom niemals das eine grundlegende Prinzip: »Alle Zeugungsorgane des Mannes finden sich auch bei der Frau.« Der einzige Unterschied bestand in der unterschiedlichen Lage der Organe. Diese Beschreibung, die im übrigen das aristotelische Bild der Frau als eines unvollendeten Mannes beibehielt, bildete ein ernsthaftes Hindernis für den Fortschritt der Gynäkologie. Dies läßt sich ermessen an der Haltung von Philippe de Flesselles, eines Anhängers von Galen, der zwar vorgibt, seinen Lesern eine vollständige Beschreibung des menschlichen Körpers zu bieten, dabei aber die Anatomie der Frau unberücksichtigt läßt, weil »der Unterschied des Geschlechts nur ein zufälliger Unterschied ist«.[2] Das Traktat des Pariser Arztes wurde zu einem bedeutsamen Zeitpunkt veröffentlicht, nämlich kurz vor den revolutionären anatomischen Entdeckungen, die Wegbereiter der modernen Gynäkologie und Geburtshilfe werden sollten. Das berühmte Titelblatt der Fabrica von Vesalius, das einen Frauenkörper zeigt, um eine Anatomiestunde zu illustrieren, zeugt vom großen Interesse an diesen Studien. Aber die Abbildungen in den Kapiteln, die den Zeugungsorganen gewidmet sind, demonstrieren auch, wie sehr die Anatomen Gefangene der antiken Analogie blieben: Die Gebärmutter und der Gebärmutterhals weisen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den Genitalien des Mannes auf. Diese Darstellung, die Anlaß zu den verschiedensten Interpretationen solch unterschiedlicher Disziplinen wie der Teratologie oder der Psychoanalyse gegeben hat, mutet indes nicht ungewöhnlich an, wenn man die anderen Anatomen betrachtet, die ein dreiviertel Jahrhundert lang trotz unbestreitbarer Fortschritte in den anatomischen Beobachtungen eben diese Darstellung reproduzierten. Das erfolgreiche Werk Scipion Mercurios, La commare o riccoglitrice, das bis Ende des 17. Jahrhunderts immer wieder neu aufgelegt und übersetzt wurde, bietet hierfür ein
treffendes Beispiel.[3]
In La Dissection des parties du coips humain, erschienen 1546, mit Abbildungen des Chirurgen La Riviere, war Charles Estienne offensichtlich darum bemüht, eine zufriedenstellende Beschreibung der weiblichen Fortpflanzungsorgane zu liefern, die er ausdrücklich von denen des Mannes unterscheidet. Ihm lag daran, all das aufzuzeigen, was sich nicht im männlichen Körper finden ließ. Dennoch folgte seine rigorose Betrachtungsweise einem anderen Imperativ: dem Respekt vor der Autorität Galens. Nachdem er seine Freiheit als Wissenschaftler demonstriert hat, begleicht er daher seine Schuld mit einer orthodoxen Erklärung, die im Widerspruch zu seinen Beschreibungen steht, denn er ist weit davon entfernt, dem Meister widersprechen zu wollen! Man könnte hier natürlich Konformismus und übertriebene Vorsicht vermuten, fänden sich nicht ähnlich paradoxe Erklärungen bei zahlreichen anderen Autoren wieder, sogar bei denjenigen, die wie Ambroise Pare nicht immer blinden Gehorsam gegenüber den Griechen und Römern bewiesen. Der autodidaktische Chirurg erklärt in De l'anatomie, daß die Gebärmutter ein spezifisches Organ der Frau ist, im übrigen jedoch erinnert er sich des unerschütterlichen Grundsatzes, der sich auf die lapidare Formel bringen läßt, daß die Frau lediglich eine Inversion des Mannes sei.
Galens a priori stellt eine Grenze dar, die der Wissenschaftler seinen Beobachtungen setzt. Deshalb fühlt sich Pierre Franco bemüßigt, eine Rechtfertigung dafür zu liefern, daß er einige Kapitel seines chirurgischen Traktats der weiblichen Anatomie widmet: »Da die Kunst der Chirurgie häufig für die schamhaften Teile der Frau gebraucht wird, glauben wir, daß es nicht lächerlich ist, darüber zu schreiben ...[4]
Diese Haltung, die sich aus der analogischen Vorgehensweise erklärt, und die noch begünstigt wird durch die Zweideutigkeit der anatomischen Terminologie, kann sich auch dem Volksglauben nicht verschließen, der auf unterschiedlichen kulturellen Stufen in zahlreichen Schriften gegenwärtig ist. So wurden aus den Geschichten über die Umwandlung von Mädchen in Männer, die seit Plinius in den »Kuriositätensammlungen« zu finden waren, wissenschaftlich beglaubigte Tatsachen. Wenn der Vielschreiber Antoine Duverdier von dem Mißgeschick eines Bauernmädchens berichtet, das zum Zeitpunkt ihrer Menarche ein - bis dahin in ihrem Bauch verstecktes - männliches Glied aus sich herausstieß, so beruft er sich dabei auf den Arzt Amatus Lusitanus. Selbst Montaigne, der von ähnlichen Phänomenen weiß, verweist auf einen Bericht des Ambroise Pare. Sowohl der wissenschaftliche Diskurs als auch die Alltagsrede verbürgten sich wechselseitig und spiegelten immer das gleiche Bild wider: das eines unvollendeten oder mangelhaften weiblichen Körpers.

Weibliche Unvollkommenheit

Mediziner dagegen begnügten sich nicht damit, die charakteristischen Merkmale der weiblichen Anatomie zu beschreiben. Sie mußten gewissermaßen diesen seltsamen Fehltritt der Natur rationalisieren. Die Theorie der Temperamente — ein Vermächtnis der Antike - und ganz besonders die Lehren der Galenschen Physiologie wurden bereits im Mittelalter dazu herangezogen, den Geschlechtsdimorphismus zu erklären. Sie sollten die Grundlage des medizinischen Denkens bis ins 17. Jahrhundert hinein bleiben. Galen zufolge besaß die Frau, die von kalter und feuchter Beschaffenheit war, samenerzeugende Organe, die angeblich kälter und weicher waren als diejenigen des Mannes. Und da Kälte zusammenziehend und verengend wirkt, verblieben sie innerhalb des Körpers, ähnlich einer Blume, die mangels Sonne nie aufblühen kann. Der weibliche Körper, solchermaßen definiert durch
Ohnmacht und Schwäche, paßte nun vortrefflich in die Hierarchie der Geschöpfe zwischen Tier und Mann. Aus diesem Grunde nur konnten sich die Theorien Galens so lange halten, denn sie dienten nicht nur dazu, die weibliche Anatomie zu erklären, sie implizierten auch eine der Eigentümlichkeiten der weiblichen Physiologie, nämlich ihre Fehlkonstruktion.
Die Monatsblutung war das bezeichnendste Symptom dieser Fehlkonstruktion. Seit der Antike schrieben gelehrte Traktate und Enzyklopädien, autorisierte Texte und der Volksglaube diesem Ausfluß eine geheimnisvolle, unheilbringende Macht zu. Spuren dieser Ansichten finden sich nicht nur bei dem niederländischen Arzt Levin Lemnius, der sich für die okkulten Geheimnisse der Natur interessierte, sondern auch bei Jean Fernel, der beim Menstruationsausfluß zunächst zwischen zwei notwendigen Elementen unterscheidet - dem. welches das Kind in utero nährt, und dem, welches in Milch umgewandelt wird -. aber auch noch ein drittes benennt, das giftig ist und zum Zeitpunkt der Niederkunft ausgeschieden wird. Die Spezialisten für Frauenkrankheiten, als erster Jacob Sylvius, später Ambroise Pare, Giovanni Marinello und Jean Liebault. wandten sich selbstverständlich gegen
eine solche allzu irrationale Meinung, betrachteten allerdings ebenfalls diesen Ausfluß als »überflüssig« und durch übermäßige Feuchtigkeit und Kälte eines Temperaments verursacht, das nicht in der Lage war, die gesamten Nährstoffe in nützliches Blut umzuwandeln. Erst im Tratte des maladies des femmes grosses von Francois Mauriceau kann man eine Erklärung lesen, die sich endlich von jedweden negativen Zuschreibungen löst, auch wenn die Unkenntnis des Ovulationszyklus immer noch kein genaues Verständnis des Phänomens erlaubt.
In Traktaten über die praktische Medizin und in Werken der Naturphilosophie wird die Theorie der Temperamente bemüht, um die Sicht der gebrechlichen und unbeständigen weiblichen Natur zu rechtfertigen, die sich bereits im 14. Jahrhundert bei Guy de Chauliac findet, dessen Werke bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts neu herausgegeben und kommentiert wurden. Die Kontroverse über die Unfruchtbarkeit ist diesbezüglich sehr aufschlußreich. Das 1625 erschienene Buch von Louys de Serres, Discours de la nature. causes, signes et ciiration des empescbemens de la conception et de la sterilite des femmes, in dem dieser unverblümt behauptet, daß beide Geschlechter gleichermaßen unfruchtbar sein können, klagt das Verhalten seiner Zeitgenossen sowie die irrige Meinung seiner Kollegen an. Wie Serres zweifellos bei seiner Tätigkeit als praktischer Arzt feststellen konnte, beschuldigten gewöhnlich die Männer ihre Frauen, wenn die Geburt des ersten Kindes allzu lange auf sich warten ließ. Manchmal führte dies sogar dazu, daß sie die Scheidung einreichten. Was die Ärzte betraf, so blieben sie im Grunde genommen überzeugt davon, daß die Frau wie ein feuchtes und kaltes Feld leicht den fruchtbaren Samen des Mannes verderben lassen konnte, und interpretierten diesen Mangel als Zeichen göttlicher Gerechtigkeit: Es schien, daß »Gott die Frauen diesem Leiden besonders unterwerfen wollte, um ihren Stolz zu bekämpfen und um ihnen zu zeigen, daß sie viel unvollkommener sind als der Mann«.[5] Das medizinische Denken, das sich einmal auf diese Art Metaphysik eingelassen hatte, brauchte sich nicht mehr vor Widersprüchen zu fürchten: Wurde nicht gar behauptet, daß sehr schöne Frauen häufiger als andere unfruchtbar waren? Louys de Serres zeigte mühelos den Widersinn einer solchen Rede auf, die die Regeln der Physiologie außer acht ließ: Die Unfruchtbarkeit befiel eher häßliche Frauen, deren zänkischer Charakter ihr Temperament korrumpierte!
Aber so sehr sich auch Louys cle Serres und andere, wie Laurent Joubert oder Gaspard Bachot, darum bemühten, »gemeine Irrtümer und Darstellungen« zu bekämpfen, blieben Ärzte noch sehr lange unter deren Einfluß. Dies galt auch für Hebammen, deren eigene Erfahrungen sie doch eines besseren hätten belehren müssen. Louise Bourgeois, die gefeierte Hebamme Maria von Medicis, wies jene Frauen, die ihren Ehemann dafür verantwortlich machten, daß sie ohne Nachkommen blieben, mit den Worten zurecht: «Das liegt gewöhnlich nicht so häufig an den Männern als an den Frauen.«[6]
Kurzum, die Wissenschaft diente alles in allem lediglich der Bestätigung volkstümlichen Aberglaubens. Hatten nicht die Heiligen Grelichon, Paterne und Guignolet in ihrer Eigenschaft als Heiler sich besonders mit der Unfruchtbarkeit der Frau beschäftigt, während keiner von ihnen sein Talent darauf verwandte, einen solchen Defekt beim Mann zu suchen? Unfruchtbarkeit, die aus einem Mangel an Wärme oder aus einer Entgleisung der Säfte herrühren sollte, war per definitionem eine Frauenkrankheit.
Die Implikationen einer derartigen medizinischen Theorie beschränkten sich nicht auf die Physiologie. In den meisten Fällen verstanden sich Ärzte auch als Psychologen und entwarfen nach demselben System die moralische und intellektuelle Konstitution der Frau. In einer Tradition, die sich neben anderen auf Aristoteles berief, galt die Frau gemeinhin als schwach, aufbrausend, eifersüchtig und verlogen, der Mann hingegen als mutig, verständig, besonnen und tüchtig. Die in der Renaissance auflebende Wissenschaft versuchte den Beweis dafür zu erbringen, daß diese Eigenschaften die unvermeidlichen und notwendigen Konsequenzen des weiblichen Temperaments seien. Der Spanier Juan Huarte hatte dies mit großer Akribie demonstriert. In seinem Examen de ingenios para las sciencias, das sich eines unmittelbaren und dauerhaften Erfolgs erfreute und sogleich ins Lateinische sowie in die europäischen Volkssprachen übersetzt wurde, behauptet er, daß die Frau aufgrund ihrer kalten und feuchten Beschaffenheit nicht so viel Geist haben könne wie der Mann und es ihr daher versagt sei, sich erfolgreich auf literarischem und wissenschaftlichem Gebiet zu erweisen. Mittels einer hieb- und stichfesten Argumentation ging man daran, die Physiologie und Psychologie der Frau ein für alle Mal als angeborene Unvollkommenheit darzustellen. In Della fisiononua dell'huomo stellt Giambattista della Porta sogar einen engen Zusammenhang her zwischen Temperament, Physiognomie und den Sitten: Die Frau habe feuchtes Fleisch, ein enges Gesicht, kleine Augen, eine gerade Nase, und sei deshalb furchtsam, jähzornig und vor allem falsch; der Mann hingegen beweise durch sein breites und starkes Gesicht einen mutigen und gerechten Geist. Tieranalogien erlaubten im übrigen eine emblematische Darstellung des Unterschieds der Geschlechter: die Frau als Panther oder Rebhuhn, der Mann als Löwe oder Adler. Das Werk des neapolitanischen Physiologen, der sich für die okkulten Wissenschaften, die Gerichtsastrologie und die Magie begeisterte, fiel zweifellos etwas aus dem Rahmen, sein Erfolg jedoch war von Dauer. Nach seiner lateinischen Ausgabe von 1583 verbreitete es sich in verschiedenen italienischen Ausgaben, durch Übersetzungen ins Spanische, ins Arabische sowie ins Französische und übte seinen Einfluß auf Physiognomien, insbesondere auf Lavater, noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts aus.
Dieser allzu enge Determinismus, dessen wissenschaftliche Grundlagen durch andere medizinische Theorien erschüttert wurden - so zum Beispiel durch den Spiritualismus eines Jourdain Guibelet, der 1631 sein Examen de Vexamen des esprits veröffentlichte, um Juan Huarte anzugreifen. Dennoch hielten sich diese Theorien bis weit über das 17. Jahrhundert hinaus, da sie sich mühelos in die Ordnung der von der ganzen Gesellschaft übernommenen Werte einfügten. Die Diskurse der juristischen, theologischen und wissenschaftlichen Eliten dienten sich gegenseitig als Alibi, um die minderwertige Rolle zu rechtfertigen, in die sich das weibliche Geschlecht gestellt sah. Für zahlreiche
Theologen, unter ihnen Florimond de Raemond und Francois Garasse, war die gesellschaftliche Position der Frau durch ihre von den Medizinern definierte natürliche Gebrechlichkeit rigoros vorgezeichnet.

Die Frau als Gebärmutter

Diese Logik, aus der eine negative Vorstellung von der Hälfte der Menschheit erwächst, gipfelt in einem Paradoxon: Wenn die Frau wirklich das schwache Wesen ist, als das sie die Wissenschaft betrachtet, weshalb wurde sie dann eigentlich geschaffen? War sie vielleicht ein Irrtum der Natur? Aristoteles ermöglichte es zwar, die Existenz von Monstren zu erklären, und für Galen war die Verstümmelung der Frau Teil einer Teleologie, aber seit dem 16. Jahrhundert schienen Ärzte und Naturphilosophen sich nicht mehr mit solchen Vorstellungen zu begnügen. Die Kontroverse zwischen den Anhängern der erstarrten Lehre Galens und den Erforschern und Bewunderern des »großen Werkes der Natur« war symptomatisch für eine sich wandelnde Weltsicht: Die grundlegende Unvollkommenheit des weiblichen Geschlechts zu behaupten wäre gewissermaßen Gotteslästerung und wissenschaftliche Häresie gewesen. Pierre de La Primaudaye attackiert in La Suite de l'Academie francoise (1580), einem Werk, das er jenen Denkern widmete, die neugierig waren auf die Wunder der Schöpfung, vehement die irrige Meinung der Gelehrten und vor allem die vergleichende Methode, die sie auf Abwege geführt hatte. Seiner Meinung nach waren beide Geschlechter vollkommen in ihrer jeweiligen, vom Schöpfer gewollten Eigenart. Natürlich ging es diesem adligen Zeitgenossen Heinrichs III. ebenso wenig darum, ein Plädoyer zugunsten der Frauen zu halten, wie dem Philosophen Rene de Cerisiers, der dieselben Argumente in der Mitte des 17. Jahrhunderts ausführlich darlegte. Vielmehr beabsichtigte er, die Gelehrten vor den moralischen und religiösen Folgen einer maßlosen Herabsetzung des weiblichen Geschlechts zu warnen.
Manche Ärzte hatten diese Warnung sehr wohl verstanden. Die wissenschaftliche Definition der Geschlechterdifferenz mußte in Worte gefaßt werden, die dem teleologischen Credo, daß in der Natur alles seinen Zweck habe, nicht widersprachen. Die französische Version von Le Medecine partenenti alle infermita delle donne von Giovanni Marinello brachte dieses Anliegen zum Ausdruck. Jean Liebault äußert in einem Eingangskapitel, das im ursprünglichen Text nicht enthalten ist, seine Absicht, mit den Gesetzen der Naturphilosophie zu beweisen, daß die Frau kein unvollendeter Mann sei - denn konnte man etwa behaupten, daß das Werk der Natur unvollkommen sei, nur weil es zahlreiche und unterschiedliche Arten gab? So wie die kleinste von ihnen, die Ameise, gleichermaßen bewundernswert war wie die größte, der Elephant, zählte in der Schöpfungsordnung allein der Zweck,
für den jedes Ding geschaffen war. Diese Erklärung, die weit entfernt davon war, eine wissenschaftliche Beobachtung zu sein, übernahm lediglich Anschauungen der Kosmogonie der Renaissance. Liebault allerdings zog neue Schlüsse aus dieser Weltsicht. Dadurch, daß er jeder Art ihren eigenen inneren Wert zuerkannte, schuf er die alte Werteskala ab, nach der sich zwischen den Mineralen am untersten Ende und dem Manne am obersten Ende die mittleren Stufen befanden, auf denen die Tiere und Frauen angesiedelt waren.
Sowohl im Diskurs der Ärztephilosophen als auch in dem der Medizinethiker wurde die Frau berücksichtigt. Der weibliche Körper wurde nicht mehr als bloße mangelhafte Kopie des Mannes untersucht, sondern als vollendetes und einzigartiges Wesen. Um den Geschlechtsdimorphismus zu rechtfertigen, waren die Ärzte gezwungen, bis dahin unbestreitbare Konzepte zu hinterfragen. In den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts erschienen bestimmte Werke, die das Bedürfnis zum Ausdruck bringen, den medizinischen Kenntnisstand auf Vordermann zu bringen. So präsentierten Andre Du Laurens und sein Schüler Francois Ranchin alles, was mit der weiblichen Anatomie und der Fortpflanzung zu tun hat, in Form von »Kontroversen« und »Fragen«, um die divergierenden Ansichten zwischen der Antike und dem modernen Denken besser erfassen und schließlich aufzeigen zu können, daß die meisten Vorurteile auf die fehlende Kenntnis der Anatomie zurückzuführen waren. Von dem Augenblick an, wo der innere und äußere
Aufbau des weiblichen Körpers genati beschrieben worden war, erschien es absurd, weiterhin an der Behauptung festzuhalten, die Frau sei eine Verirrung der Natur: »Das Geschlecht der Frau ist nicht weniger in seiner Art vollendet als dasjenige des Mannes, und die Frau ist keineswegs ein zufälliges Tier, wie die Barbaren sagen, sondern ein
notwendiges Geschöpf, das von der Natur für sich selbst geschaffen wurde.«[7]
Die nachdrücklichen Worte des Rates der Fakultät von Paris zeigen bereits zur Genüge, daß die alte Meinung noch tief verwurzelt war. Das gegen Juan Huarte gerichtete Werk Jourdain Guibelets legt dies noch nachdrücklicher dar. Wenn der Spanier sich in Guibelets Augen schuldig gemacht hatte, so wegen seiner vorbehaltlosen Unterwerfung unter die Autorität Galens. die aufgrund der Fortschritte der Anatomie jedoch revidiert werden mußte. Da bekannt war, daß das Temperament die Organe nicht von ihrer Stelle bewegen konnte, und vor allem, daß die Genitalien des Mannes nicht denen der Frau gleichen, wurden alle Geschichten von Geschlechtsumwandlungen zur Fiktion erklärt. Guibelet und Du Laurens zufolge weisen jene Geschichten eher auf Fälle von Hermaphrodismus oder auf einen unnatürlichen Auswuchs der Klitoris hin.
Das störrische Festhalten an Juan Huartes Theorien war weder zu dessen Lebzeiten noch in den darauffolgenden Jahrzehnten ungewöhnlich. Guy Patin wählte 1624 als Thema seiner Doktorarbeit: »Kann die Frau sich in einen Mann verwandeln?« Auch wenn er selbst diese Frage negativ beantwortete, so kann vermutet werden, daß sie noch aktuell war. Im übrigen stellte der leitende Chirurg des Hotel-Dieu in Paris, Saviard, am Ende des 17. Jahrhunderts fest, daß manche Ärzte immer noch einen Vorfall der Gebärmutter mit einer Geschlechtsumwandlung verwechselten! Die Schrift Louis Barles', Les nouvelles decouvertes sur les organes des hommes servans a la generation aus dem Jahre 1675 verfolgte keine andere Absicht, als den weniger gelehrten Chirurgen und Ärzten das nahezubringen, was in Traktaten über die Anatomie bereits seit einem Jahrhundert zu lesen war.
Die Hartnäckigkeit von Irrlehren läßt sich zweifellos durch die fehlende Ausbildung in Anatomie erklären, aber auch durch den fortwährenden Einfluß des aristotelischen Prinzips. Für Ärzte schien klar zu sein, auch wenn natürlich der Begriff »Kastrationskomplex« noch nicht auftauchte, daß das weibliche Geschlecht immer danach strebte, die ihm mangelnde männliche Vollkommenheit zu erlangen. Wenn die Transsexualität als biologisch möglich dargestellt wurde, so wurde sie stets als »Virilisierung« gesehen. »Die Männer, die als solche in der mütterlichen Vulva geformt wurden«, schreibt Jacques Duval in seinem Tratte des hermaphrodits, »legen ihre männliche Natur nie ab und kehren nie zum weiblichen Geschlecht zurück, um so mehr, als alle Dinge zur Vollkommenheit neigen . . .«[8] Dieser Wunsch nach Vollendung äußerte sich ihm zufolge nicht nur in der Natur, sondern auch im Verhalten, denn Duval konstatiert, daß Hermaphroditen oft als Jungen getauft wurden, da ihre Eltern lieber einen Jungen als ein Mädchen großzogen.
Auch wenn der medizinische Diskurs darum bemüht war, einem Referenzsystem zu entkommen, das die anatomische Beobachtung sowie Fortschritte in der Therapie behinderte, so war er doch abhängig von einer Ordnung der Welt, die es zu legitimieren galt, indem gezeigt wurde, daß die Natur jedem Geschlecht seine Funktion vorgab. Die Vorläufer der Frauenheilkunde und Geburtshilfe, der Deutsche Rösslin, der Italiener Marinello und der Franzose Liebault, sehen somit die Rechtfertigung und den Schutz der Frau in der Erklärung des ihr eigenen Organs, durch das ihr Wesen völlig bestimmt wurde. Gerade weil die Gebärmutter das Behältnis war, in dem sich »ein kleines Gottesgeschöpf« bildete, und weil sie durch das Nervensystem und den Blutkreislauf mit den anderen Teilen des Körpers in Verbindung stand, stellte sie das wichtigste und edelste Organ dar, das gleichsam die Essenz des Weiblichen in sich barg. Die überragende Bedeutung, die der Gebärmutter von Ärzten und Anatomen zugestanden wurde, auch nach den am Ende des f 7. Jahrhunderts gemachten Entdeckungen über die Rolle der Eierstöcke, machte zwar die von den Peripatetikern übernommene Negativdefinition zunichte, verurteilte die Frau jedoch dazu, bloße Gefangene jenes seltsamen Organs zu sein, das in ihr wohnte.
Verborgen im Schutz der geheimnisvollen Winkel, in denen sich die Prozesse der Befruchtung und Schwangerschaft abspielten, wurden der Gebärmutter mysteriöse und symbolische Kräfte zugesprochen. In seinem Buch Matricis definiert Paracelsus dieses Organ - die Mutter als eine »kleinste Welt«, die in sich verschieden ist vom Makrokosmos und vom Mikrokosmos. Die Frau als Mutter ist nichts anderes als dieser »mundus conclusus«, und deshalb ist ihre Anatomie, Physiologie und Pathologie eine andere als die des Mannes. Die terminologische Ambivalenz ist hier signifikant: Das Gefäß, das das Kind empfängt und schützt, wird gemeinhin als Gebärmutter bezeichnet, weil der weibliche Körper eigens für dieses Organ konzipiert ist und weil die Frau nur aufgrund dieses Organs existiert. Man kann in der Theorie des Paracelsus leicht eine lange Tradition von Texten erkennen, die sich mehr oder weniger treu an den Timaios oder die Republik Piatons anlehnen, in denen die Gebärmutter mit einer eigenen inneren Macht ausgestattet wird.
Dieses beunruhigende Bild des weiblichen Organs - ein innerhalb eines unsteten Tieres herumwandelndes Tier - lauert hinter einer anderen Fragestellung, deren Langlebigkeit glauben läßt, daß sie mehr als eine bloße Provokation darstellte: Ist die Frau ein wahrhaft menschliches Geschöpf? Der Ursprung dieser Debatte ist höchst ungewiß. Angeblich läßt sie sich auf ein Konzil zurückführen, das 585 in Macon abgehalten wurde und auf dem ein Bischof behauptet haben soll, daß Frauen nicht unter die Menschen zu zählen seien. Diese Legende hielt sich derart hartnäckig, daß noch am Ende des 16. Jahrhunderts Simon Gedicus mit dem größten Ernst daranging, das Werk des deutschen Philosophen Acidalius, Midieres non esse bomines, zu widerlegen. Bis ans Ende des 18. Jahrhunderts hallt diese Polemik nach: Auf den Podesten der Revolutionsclubs geißelten Frauenrechtlerinnen die Zeit, in der sich eine Männergesellschaft die Frage gestellt hatte, ob Frauen eine Seele besäßen. Über den komischen Aspekt dieses Streits hinaus läßt sich die subtile Verbindung erkennen zwischen einer bloßen physiologischen Feststellung - dem Eigenleben des Uterus - und der diskriminierenden Reaktion, die Frauen als seltsam fremd daranstellen.
Daß eine Theorie, die die weibliche Identität an ihrem Anderssein festmachte, schließlich in eine Sackgasse führen mußte, läßt die Hindernisse vermuten, die die Medizin zu überwinden hatte, um sich von kulturellen Vorurteilen zu befreien. Denn sobald die Chirurgen und Anatomen dem Körper der Frau ihre Aufmerksamkeit zu widmen begannen, die ihr durch die Theorie des »unvollendeten Mannes« vorenthalten worden war, zwang ihr Mißtrauen gegenüber den noch unverstandenen Phänomenen der Weiblichkeit sie zu einer Haltung, die Frauen wiederum in eine einengende Typologie einordnete.
Auf den Mythos von der unvollkommenen Frau folgte der Mythos der Frau als Gebärmutter. Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert versuchen unzählige Texte, in denen die wissenschaftliche Terminologie der Metaphorik weicht, dieses seltsame »Tier« zu beschreiben. Doktor Rondibilis, der von Rabelais im dritten Buch von Gargantua und Pantagruel in Szene gesetzt wurde, war zwar eine fiktive Gestalt, die medizinischen Theorien allerdings, auf die er sich beruft, waren Teil des medizinischen Diskurses seiner Zeitgenossen, die in der Gebärmutter ein mächtiges Organ sahen, das »arme Frauenzimmer« plagte, aber auch der Zeitgenossen Rousseaus, die nicht daran zweifelten, daß dieses »aktive» Organ mit einem »besonderen Instinkt«[9] begabt war. Die Reihe ließe sich fortführen, über die Zeitgenossen Michelets, die sie als ein tyrannisches Organ betrachteten, das »fast alle Handlungen und Gemütsregungen der Frau einer Herrschaft» unterwirft, bis in unser Zeitalter:

»Wenn das Organ der weiblichen Sexualität dazu neigt, etwas zu verschlingen und sich einzuverleiben, wenn es jede psychische Bewegung in einem geschlossenen Kreis steuert, so kann man die Schwierigkeiten der Frau verstehen, aus sich selbst herauszutreten, die Grenzen ihres Gefühlslebens zu überschreiten . . .«[10]

Die kränkliche Frau

Die meisten Mediziner, sogar diejenigen, die die Idee von der weiblichen Unvollkommenheit verwarfen, glaubten, daß das eigentümliche Organ der Frau ihre sehr anfällige Physiologie und Psychologie bedinge. Der medizinische Diskurs, selbst wenn seine theoretische Basis sich veränderte, blieb Teil der allgemeinen Auffassung, nach der nun die Erregbarkeit des Uterus anstelle des feuchten Temperaments für die natürliche Minderwertigkeit der Frau verantwortlich gemacht werden sollte. Die zahlreichen volkssprachigen Werke über Frauenheilkunde und Geburtshilfe seit dem Ende des 16. Jahrhunderts berichten vom medizinischen Fortschritt, aber auch von einem neuen ärztlichen Bewußtsein: Die Frau war ein kränkliches Wesen, dem beigestanden werden mußte, damit es seinen bedauernswerten Status klaglos akzeptierte. Sogar die Hebamme Louise Bourgeois, deren beruflicher und familiärer Erfolg diese Ansicht aufs schärfste dementierte, war von dieser Vorstellung beeinflußt, und auf die Frage nach der offensichtlichen Ungerechtigkeit der Natur gegenüber ihrem eigenen Geschlecht fand sie lediglich eine metaphysische Antwort: Ohne die Leiden, die die Gebärmutter den Frauen verursachte, könnten diese in der Tat »an Gesundheit sowohl des Körpers als auch des Geistes den Männern gleich sein, aber Gott wollte sie in dieser Hinsicht geringer machen, um Neid zwischen den Geschlechtern zu verhüten«.[11]
Von der Hebamme Maria von Medicis konnte kaum erwartet werden, daß sie über die Meinungen Gelehrter und Volksmediziner hinausging. Sowohl Philibert Guibert, in Le Medecin charitable, als auch Francois Mauriceau, der berühmte Geburtshelfer, bestätigten im 17. Jahrhundert einstimmig die bereits von Hippokrates gemachte Beobachtung, die Gebärmutter sei Ursache der meisten Frauenkrankheiten. Hebammen, deren theoretische Ausbildung sicherlich nicht auf den letzten Erkenntnissen der Wissenschaft beruhte, vertraten diese Überzeugung noch länger. In ihrem 1754 erschienenen Abrege de l'art des accouchemens kritisierte Madame Le Boursier du Coudray die Hebammen auf dem Lande, die die Gebärmutter, »die sie Mutter nennen«, immer noch als die Quelle aller Frauenkrankheiten ansahen.
Jahrhundertelang basierte die Behandlung von Frauenkrankheiten auf der Medizinern, Moralisten und Theologen gemeinsamen Vorstellung, daß die Frau ihren Geschlechtsorganen unterworfen sei. Das Studium der Hysterie ist in dieser Hinsicht exemplarisch. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gehörte dieses Leiden ausschließlich in den Bereich der Pathologie der Frau, mehr noch, im medizinischen Diskurs war sie Symbol der Weiblichkeit. Neben dem gelehrten Begriff »Hysterie«, dessen Etymologie allerdings vielsagend ist, zog man anschaulichere Ausdrücke vor, wie »Atemnot der Gebärmutter« oder »Gebärmutteraufruhr«. Das grundlegende Symptom, das dem Arzt erlaubte, seine Diagnose zu stellen, waren ungewöhnliche Bewegungen der Gebärmutter, die sich mit heftigen Konvulsionen wie ein Tier in alle Richtungen warf. Chirurgen wie Ambroise Pare und Allgemeinmediziner wie Jean Fernel ließen sich gerne von einer solchen Metapher mitreißen und schrieben dem Organ gar ein autonomes Gefühlsleben und eigene Verhaltensweisen zu. So regte es sich über ärgerliche Dinge auf, aber beruhigte sich auch wieder, wenn ihm Angenehmes widerfuhr. Allerdings verwarf Fernel die von Platon übernommene Vorstellung von der Gebärmutter als Tier und glaubte, daß sie ein Organ wie der Magen oder der Darm sei, sich aber durch ihre Physiologie von den anderen Teilen des Körpers unterscheide. Die Ursache für einen hysterischen Anfall sei daher immer dieselbe: eine giftige Ausdünstung der Gebärmutter, die durch die Arterien und Poren des Körpers hindurch den ganzen Organismus bis ins Gehirn hinein in Mitleidenschaft ziehe.
Die medikamentöse Behandlung der Hysterie stützte sich daher auf die vermuteten Eigenschaften der Gebärmutter, vor allem ihre merkwürdige Geruchsempfindlichkeit, auf die wohlriechende Pessare und üble Dämpfe eine Wirkung ausüben sollten. Solche Heilmittel fanden sich zuhauf in volkstümlichen Arzneibüchern, selbstverständlich in Texten über die »Geheimnisse der Damen«, aber auch in Traktaten der gelehrten Medizin, die für die Ausbildung junger Ärzte bestimmt waren.
So bewegte sich der medizinische Diskurs hin und her zwischen anatomischen Defekten, den Ausuferungen der Sprache, die noch keinen wissenschaftlichen Kode gefunden hatte, und den Phantasmen, die durch den Mythos von der alles verschlingenden Gebärmutter inspiriert waren. Dementsprechend debattierten Ärzte über die wirksamste Methode, die Krankheit auszuschalten, nachdem das akute Stadium der Hysterie unter Kontrolle gebracht war. Den meisten Spezialisten für Frauenkrankheiten  zufolge  rührte  die  von  der  Gebärmutter  ausgeschiedene giftige Substanz aus dem Zurückhalten und der Zersetzung von Materie her, das heißt aus einer Fehlfunktion in der Absonderung von Blut und Samen, die auf die allgemeine Lebensweise der Frau zurückgeführt werden konnte. Hier stößt man auf die moralischen Implikationen einer solchen Ätiologie:

»Wenn eine Frau, vor allem wenn sie jung und sinnlich ist, gut im Fleisch, gut genährt und reich an Blut und Samen, entweder Nonne ist oder aus freiem Willen keusch lebt oder mit einem Mann verheiratet ist. der sich seiner Frau wenig hingibt, oder die Witwe eines Mannes ist, der diesem Vergnügen stark unterworfen war, und vom Begehren der Venus versucht wird, vom Blick eines Mannes, von schamlosen und lasziven Worten, von einem Kuß oder von der Berührung der Brüste oder der natürlichen Teile erregt wird, auch wenn das nur im Traum geschieht, so breitet sich ihr Samen in der Gebärmutter aus (. . .). wo er sich zersetzt (. . .) und zum Herzen und zum Gehirn bestimmte Ausdünstungen aufsteigen, die zu grausamen Anfällen führen.«[12]

Somit läßt sich die Hysterie auf wenige Worte reduzieren: Es war eine Krankheit der Frauen ohne Männer. Deshalb war die beste Behandlung für von ihr befallene junge Mädchen immer noch die Heirat. Obwohl einige Autoritäten, vor allem Jean Fernel, ihre Stimme gegen eine so simplifizierende Therapie erhoben, überlebte diese befremdliche Vorstellung von Weiblichkeit in populärwissenschaftlichen Werken und verschiedenen wissenschaftlichen Anthologien noch lange Zeit; zumal sich hier zwei Diskurse kreuzten - der eine durch die wissenschaftliche und philosophische Autorität legitimiert, der andere durch die Volksweisheit bestätigt: Die Gebärmutter war eine Art Schlund, ein Boden, der nie genug Wasser fassen konnte! Weil die Frau ihrem Geschlecht unterworfen war, folgte daraus, daß sie auch dem Mann unterworfen war. Der Philosoph Scipion Dupleix erklärte in einem Werk, das in nachvollziehbarer Form die wichtigsten Fragen der physikalischen und medizinischen Wissenschaft einem
breiten Publikum vorstellte, den »Appetit« der Gebärmutter als legitimen Wunsch nach Vollkommenheit, da die Frau erst in der Vereinigung mit dem Mann ihre Erfüllung fände.
In diesem Denkgebäude wurde die Hysterie zur Allegorie, in der die wissenschaftliche Beschreibung der Krankheit der Vorstellung von der weiblichen Natur wich. Es ist daher nicht verwunderlich, daß Mediziner lange Zeit nicht glauben wollten, daß diese Krankheit auch Männer befallen konnte. Deshalb mutete die 1681 erschienene Dissertation on the Hysterical Afj'ection des Engländers Sydenham, wonach die Gebärmutter nicht die erste Ursache für diese eher der Hypochondrie vergleichbare Krankheit sei, geradezu revolutionär an. Sie widersetzte sich zu vielen Vorurteilen, um sogleich akzeptiert zu werden. Erst als Mediziner im 18. Jahrhundert eine moralische Ätiologie der sogenannten »vapeurs« entwarfen, als deren hauptsächliches Opfer wiederum die Frau angesehen wurde, konnte endgültig die traditionelle Anschauung der Hysterie als »Wüten der Gebärmutter« aufgegeben werden.
Wegweisend war Joseph Raulins Traue des affections vaporeuses du sexe (1758), in dem er sich ironisch gegen die Vorurteile seiner Kollegen wandte und die alten Theorien über die eigentümliche Macht der Gebärmutter ad absurdum führte. Die Hysterie, die er als »affection vaporeuse« bezeichnet, sei gewissermaßen eine Gesellschaftskrankheit, die durch die schlechte Luft der großen Städte und das ungeregelte Leben der besseren Gesellschaft hervorgerufen werde. Daher konnte sie im Prinzip beide Geschlechter befallen. Dennoch seien Frauen sehr viel mehr als Männer durch die von Raulin und seinen Zeitgenossen als Krankheit des Jahrhunderts angesehenen »vapeurs« bedroht, da ihr Temperament empfindlicher Lind reizbarer sei und weil ihre müßiggängerische Lebensweise bereits einen pathogenen Zustand darstelle. Auch wenn die Vorherrschaft der Gebärmutter und ihrer »okkulten Eigenschaften« erschüttert war, so hielt sich das Vorurteil des Hippokrates doch hartnäckig. Raulin zufolge »übertreffen die Krankheiten der Frauen die der Männer um mehr als zweihundert«.[13]
Obgleich die weibliche Schwäche eher als ein Produkt der Kultur denn der Natur betrachtet wurde, so bestimmte sie dennoch das Schicksal der Frau in einem noch größeren Ausmaß. Für die Ärzte des 18. Jahrhunderts bedeuteten die hysterischen »vapeurs« eine Strafe, die die Frauen traf, welche ihre von der weisen Natur vorgezeichnete Rolle vergessen hatten. Bienville wendete sich nach der Veröffentlichung eines Traktats seines Landsmanns Tissot über die Onanie direkt an seine Leser, um seiner Drohung mehr Gewicht zu verleihen. Zwar räumt er ein, daß sein auf Französisch geschriebenes Buch La nymphomanie geschmacklos erscheinen mag, trotzdem hatte er nichts dagegen, daß es in die Hände junger Mädchen fiel, denn nur so könnten diese sich Gedanken über die Mängel ihres Geschlechts machen, ihre natürliche Schwäche spüren und die Prinzipien anerkennen, die sie vor dem Verderben schützen.
Der medizinische Diskurs, der sich hier als neu ausgibt, bleibt letztlich in einer völlig statischen Ideologie befangen. Bienvilles Quellen waren die Mediziner der Antike - Moschion, von dem er den Begriff der »Satyriasis« übernimmt - und die der Renaissance, insbesondere Jacob Sylvius, dem er zwar dadurch widerspricht, daß er die »Erotomanie« als eine Entgleisung der Nervenfasern definiert, von dem er aber fast Wort für Wort abschreibt, wenn er deren Opfer benennt: heftig verliebte junge Mädchen, junge Witwen, Frauen, die mit zu kalten Männern verheiratet sind. Leserinnen unzüchtiger Romane. . . Der Mediziner versteht sich hier bewußt als Moralist, und seine dramatischen Beschreibungen dienen nicht etwa der wissenschaftlichen Genauigkeit, sondern der wirksamen Erbauung.

Die Funktion der Frau

In Wirklichkeit konnte der Arzt weder ein Wissenschaftler sein, der sich ausschließlich der Forschung widmete, noch ein Philosoph, der sich nur mit ontologischen Fragen beschäftigte, weil die verschiedenen intellektuellen Sphären noch nicht klar voneinander geschieden waren und vor allem weil die Entwicklung der medizinischen Praxis, die nicht mehr nur Badern oder Hebammen überlassen wurde, dazu führte, daß er zum bevorzugten Ratgeber der Familie wurde. Seit dem 16. Jahrhundert war der Arzt mit einem größeren Sozialprestige ausgestattet und immer dazu aufgerufen, als wissenschaftlicher Garant der herrschenden Werte zu dienen.

Boden oder Samen?

Die zahlreichen Traktate über die menschliche Fortpflanzung, die in französischer Sprache erschienen, angefangen von den Übersetzungen Galens oder Jacob Sylvius' durch Guillaume Chrestien bis zu den Werken des Chirurgen Ambroise Pare, gehören somit nicht nur in den Bereich der Biologie. Den humanistischen Ärzten ging es auch darum, die Funktion eines jeden Geschlechts in der Natur oder in der Gesellschaft zu definieren. Natürlich interessierten sich nicht ausschließlich die Ärzte der Renaissance für die Embryologie. Im Mittelalter gab es ausgiebige Diskussionen zwischen Anhängern des Aristotelismus, der die Empfängnis als Einwirkung des männlichen Samens auf das Menstruationsblut der Frau ansah, und der von Hippokrates und Galen behaupteten und danach von den arabischen Ärzten des 11. Jahrhunderts verbreiteten Theorie des zweifachen Samens. Mit Beginn der Renaissance schien diese Kontroverse entschieden zu sein, und in den Enzyklopädien wie in der medizinischen Praxis gab man im allgemeinen der Theorie Galens, vermischt mit einer Prise Aristotelismus, den Vorzug: Die Frau trage zur Fortpflanzung mittels ihres Menstruationsbluts und ihres Samens bei, der jedoch im Vergleich zum männlichen Sperma minderwertig sei. Alle berühmten Spezialisten des 16. Jahrhunderts betrachteten die Zeugung als das Zusammenwirken dreier Elemente: des männlichen Samens, des weiblichen Samens und des Menstruationsbluts. Man könnte daher zu Recht annehmen, daß diese Akte solange geschlossen blieb, bis die Entdeckung der Eierstöcke durch den Holländer De Graaf zu einer völlig neuen Theorie führte. Dem war keinesfalls so, denn die Tradition, die seit Aristoteles der Frau jegliche aktive Funktion bei der Zeugung absprach, war in der Volksmeinung noch stark verbreitet, wie aus der Literatur ersichtlich ist. Aber auch unter Ärzten und Hebammen war dies der Fall. Man braucht nur die Occultes merveilles et secrets de Nature von Levin Lemnius zu lesen, der ein ganzes Kapitel der Nützlichkeit des weiblichen Samens widmete, um die gefährliche Meinung unwissender Hebammen zunichte zu machen, »die sich bemühen, die Frauen davon zu überzeugen, daß sie nur wenig zur Zeugung des Kindes beitragen und daß sie nur die Mühe haben, es neun Monate in ihrem Bauch zu tragen, als ob sie ihren Bauch den Männern nur vermieteten, in dem sie wie in einem Schiff ihre Ware tragen und ihren Abfall abladen».[14]
Das Mißtrauen der Ärzte den Hebammen gegenüber, die ihrer Ansicht nach eine ungeheure Macht hatten, erklärt zum Teil den aggressiven Tonfall dieses Textes. Die Anschuldigungen jedoch schienen ins Schwarze zu treffen, denn sie werden von späteren medizinischen Autoren, wie beispielsweise Andre Du Laurens, vorgebracht, die noch immer gegen die unbelehrbaren Anhänger der Aristotelischen Theorie argumentierten. Allerdings ging die Diskussion über die Entstehung des Fötus über einen bloßen Schulstreit hinaus, denn von den daraus gezogenen Schlußfolgerungen hing der moralische Status der Frau ab. Wenn sie tatsächlich durch ihren Samen aktiv an der Zeugung beteiligt war, dann wäre sie zumindest bei diesem Akt dem Mann ebenbürtig, ja sogar überlegen, da sie wie er Sperma liefert und anschließend allein für die Ernährung des Embryos aufkommt. Wie konnte eine These übernommen werden, die die Vorurteile über Unvollkommenheit, Schwäche und Unvollständigkeit der Frau derartig erschütterte? Auf dem Spiel stand die legitime Macht des Mannes innerhalb von Familie und Gesellschaft, und deshalb nahm sich die Literatur so überaus willig dieser wissenschaftlichen Debatte an. Die Rolle des weiblichen Samens war einer der bevorzugten Streitpunkte der vom Erzähler Cholieres erfundenen Figuren, die in La Gnerre des masles contre les femelles darüber debattieren, ob die juristische und politische Entmündigung der Frau gerechtfertigt sei.
Zu verzeichnen war ein starkes Mißverhältnis zwischen den vorherrschenden gelehrten Spekulationen und den im Volk verbreiteten Ansichten. Während die medizinische Forschung solche Entdeckungen der Anatomie wie die der Eileiter nicht ignorieren konnte, die die Theorie vom weiblichen Samen erhärteten, beriefen sich zahlreiche Texte noch auf die »Passivität« der Mutter als einem grundlegenden Element der Weltordnung. Sogar noch sehr viel später, im Jahre 1750, als Gautier-Dagoty seine Zoogenesie veröffentlichte, in der er mit Hilfe der Heiligen Schrift, des Salischen Gesetzes und der Moral zu beweisen sucht, daß nur der Vater eine aktive Rolle bei der Zeugung spiele, ist diese Sichtweise noch nicht vollständig überholt.
Damit kündigte sich eine neuerliche Spaltung an, die am Ende des 17. Jahrhunderts  offenkundig  wurde, als die biologische Forschung großen Auftrieb erhielt: Der Diskurs der Wissenschaft entfernte sich von dem der Praktiker, denen es darum ging, in den alltäglichen Problemen ihrer Kunst mit beruhigenden medizinischen Gewißheiten unterstützt zu werden. Nach nahezu siebzehn Jahrhunderten theoretischer Stabilität wurde durch die Entdeckungen in der Biologie die althergebrachte Zeugungstheorie in Frage gestellt. In seiner Abhandlung über die weiblichen Geschlechtsorgane formulierte der Holländer Regnier De Graaf 1672 seine These über die Ovarien. Mit Hilfe der früheren Beobachtungen des Engländers Harvey und der Forschungen des Dänen Stenonis entkräftete er die Zwei-Samen-Theorie und behauptete, daß alle Tiere - auch der Mensch - einem Ei entspringen
würden, das nicht etwa durch die Mischung der Samen in der Gebärmutter gebildet würde, sondern bereits vor dem Geschlechtsverkehr in den Eierstöcken der Frau vorhanden sei.
Diese Behauptung, die bei den Gelehrten in ganz Europa auf lebhaftes Interesse stieß, begegnete auch den heftigsten Vorbehalten von Seiten der Ärzte. Lamy. ein treuer Anhänger des Hippokrates. veröffentlichte 1678 eine Dissertation contre la nouvelle opinion qui pretend que toits les animaux sont engendrez d'un ceuf. Hatte schon die ZweiSamen-Theorie die männliche Vorherrschaft erschüttert, so bedrohte die Entdeckung der Eierstöcke die Würde des Menschen: Der Mann fand sich auf die Stufe eierlegender Tiere erniedrigt und gleichzeitig seiner ganzen Macht entkleidet, da allein die Frau den heiligen Keim des Lebens in sich trug. Es ist daher nicht erstaunlich, daß noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts die für eine breite Öffentlichkeit bestimmte medizinische Literatur vor einer Theorie warnt, die »der Frau fast die ganze Ehre der Zeugung gibt«.[15]
Die Entdeckung der Spermatozoen durch den Deutschen Ludwig von Harn und die Holländer Huygens und Leeuwenhoek zu einem Zeitpunkt, als diese Kontroverse ihrem Höhepunkt zusteuerte, mußte daher als eine von der göttlichen Vorsehung gesteuerte wissenschaftliche Revolution erscheinen, die dem Mann sein Prestige als Schöpfer zurückgab. Aber nach einem kurzlebigen Erfolg während der letzten Jahre des 17. Jahrhunderts stieß diese »Tierchentheorie« ebenfalls auf Zweifel bei den Medizinern, die nicht hinnehmen wollten, daß der Mensch aus einer Art Wurm hervorgehen sollte! Außerdem schien die Dynamik der Forschung selbst das Mißtrauen mancher Ärzte noch zu steigern, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ihre Anhängerschaft an die hippokratische Zwei-Samen-Theorie beteuern, die Pierre Roussel zufolge am klarsten und wahrscheinlichsten war und die man auch der bürgerlichen Definition der christlichen Ehe gemäß interpretieren konnte: Die Fortpflanzung ist das Ergebnis dreier Elemente, die gemäß der natürlichen und göttlichen Hierarchie ungleichen Wertes sind.

Eine zerbrechliche Form

Aber trotz vielfältiger Widerstände gegen die Neuerungen der Wissenschaft und der Versuche, die hippokratische Samentheorie auf die etablierte Ordnung der Geschlechter anzuwenden, brachte die Neugier auf das undurchsichtige Mysterium der Zeugung einen Einstellungswechsel der Ärzte gegenüber der Frau als Erzeugerin mit sich.
Das Studium der Fortpflanzung führte zwangsläufig zu einer Aufwertung der Rolle der Frau. Die Mutter war nicht nur für die postnatale Entwicklung des Kindes, sondern auch für die Entstehung und Entwicklung des Embryos verantwortlich. Daher war es notwendig, die Gesetze der Vererbung genau offenzulegen, indem man die Rolle des weiblichen Spermas sowie die Auswirkungen der physiologischen Beschaffenheit der Gebärmutter auf die Bildung des Fötus erforschte. Die Wachsamkeit der Mediziner war um so größer, als sie immer noch davon überzeugt waren, daß die meisten Erbkrankheiten während der Schwangerschaft durch die Mutter übertragen wurden. Der Traktat des englischen Mediziners Walter Harris über Kinderkrankheiten, auf den man sich in ganz Europa berief, vertrat noch am Ende des 17. Jahrhunderts diesen Standpunkt.
Erbkrankheiten und angeborene Mißbildungen waren jedoch kein wesentlicher Forschungsschwerpunkt. Da die Zeugung nicht allein das Werk des Mannes war, gab er auch nicht allein seine sittliche Konstitution, seinen Charakter und seine Intelligenz weiter. Die Frau war an der psychologischen Entwicklung des Kindes zu gleichen Teilen beteiligt. Angesichts dieser Feststellung tauchten, explizit oder implizit, wieder beunruhigende Vermutungen über die »Schlechtigkeit« der Frau, ihre »Dummheit« und Unbeständigkeit auf. Jerome Cardan erklärte die verderbten Sitten der Bastarde mit ihrer mütterlichen Abstammung: »Sie werden geboren von nichtswürdigen Frauen, die keine Ehrbarkeit kennen (...), und da sie der Mutter folgen, so werden sie genauso und von gleichen Sitten.«[16] Aber es genügte nicht, daß eine Mutter ehrbar war: Sie mußte feinsinnig sein, denn das Kind konnte die Intelligenz beider Elternteile erben. Das war zweifellos ein mächtiges Gegenargument gegen diejenigen, die behaupteten, das Studium sei für Mädchen völlig unnütz. Cornelius Agrippa ließ dieses medizinische Argument nicht außer acht, als er mit spitzer Feder La nohlesse et preexcellence du sexe feminin schrieb. Die Mediziner jedoch zogen aus ihren Forschungen keine solchen Schlußfolgerungen, im Gegenteil: Die Rolle, die die Natur der weiblichen Vererbung zubilligte, erweckte ihr Mißtrauen, und dementsprechend zielten ihre Empfehlungen vor allem darauf ab. den Vorrang des väterlichen Einflusses zu wahren.
Über die Pathologie hinaus führte das Studium der Vererbungslehre zur grundlegenden Frage des Geschlechtsdimorphismus zurück. Da in der Natur alles seinen Zweck hatte, konnte die Zeugung eines Jungen oder eines Mädchens kein Produkt des Zufalls sein. Somit konnten sich Physiologen den Mechanismen widmen, die bei der Geschlechterbestimmung wirksam wurden. Nach den Theorien von Hippokrates und Galen war die Befruchtung ein Kampf zwischen männlichem und weiblichem Samen, der sich im Innern der Gebärmutter zutrug. War der weibliche Samen quantitativ oder qualitativ überlegen, so wurde ein Mädchen geboren, blieb dagegen der männliche Samen stärker, wurde ein Junge gezeugt. Sowohl Ambroise Pare und Jean Liebault als auch Giuseppe Liceti in seinem Dialogo, II ceva overo dell'eccellenza et uso de genitali (1598) machten deutlich, daß dieser Kampf um Einfluß zum Zeitpunkt der Samenreifung ausgetragen wurde, in einem Prozeß, der an den Mythos vom Hermaphroditen erinnert, aber auch bereits moderne Theorien über die Bisexualität vorwegnahm: Das kalte und schwache weibliche Element und das warme und kräftige männliche Element waren sowohl der Frau als auch dem Mann eigen, wobei das männliche oder weibliche Prinzip je nach Alter und Lebensweise dominierte. Manchmal erwies sich der Kampf als unentschieden und brachte einen jener Hermaphroditen hervor, für die sich die Medizin am Ausgang der Renaissance so sehr interessierte und die in sich den Widerstreit ihrer zweifachen Sexualität auszutragen schienen.[17]
Diese Auffassung war indessen weit davon entfernt, alle Ärzte zufriedenzustellen, denn sie setzte das Unmögliche voraus, nämlich daß das weibliche Temperament mitunter wärmer sein konnte als dasjenige des Mannes. Medizinische Traktate gaben daher lieber Interpretationen wieder, die die unveränderliche Hierarchie der Geschöpfe nicht in Frage stellten und die weibliche Physiologie für die Zeugung eines Mädchens verantwortlich machten (aufgrund der minderen Qualität des Menstruationsblutes oder der niedrigen Temperatur der Gebärmutter, die den guten Samen in Unkraut zu verwandeln vermochte).
Die Anatomie mußte dazu herhalten, ein allgemeineres Gesetz zu formulieren. In seinem Buch von der Zeugung behauptete Jacob Sylvius beispielsweise, daß die Gebärmutter, die eine kleine Welt nach dem Vorbild des ganzen Körpers darstelle, zweigeteilt sei und in ihrem rechten Teil, auf der Seite der Leber, Blut von besserer Temperatur empfing. Infolgedessen führe eine Befruchtung, die auf der rechten Seite der Gebärmutter erfolge, zur Zeugung eines Jungen, während aus dem unglücklicherweise nach links gefallenen Samen nur ein Mädchen entstehen könne. Dieser Theorie war ein um so größerer Erfolg beschieden, als sie zugleich dem im Volk verwurzelten Glauben und der gelehrten hippokratischen Tradition entsprach: Im allgemeinen hatte alles, was sich auf der rechten Seite des Körpers befand, mit Männern und Jugend zu tun, und alles, was sich auf der linken Seite befand, mit Frauen und Alter. Eine wörtliche Interpretation des berühmten Ausspruchs von Hippokrates - foetus mares dextra uteri parte, foemina
sinistra magis gestatur (Ein männlicher Fötus wird auf der rechten, ein weiblicher auf der linken Seite der Gebärmutter ausgetragen.) lieferte laut Levin Lemnius auch die Erklärung für die Existenz jener Frauen, die sich allzu männlich oder autoritär aufführten: Es handele sich bei ihnen um Frauen, die versehentlich auf der rechten Seite der Gebärmutter empfangen wurden!
Dieser Wirrwarr von Hypothesen war nicht etwa nur das Resultat eifriger Forschungen, die von der Bewunderung der Werke der Natur geleitet wurden. Die Motivation der Mediziner war deutlich: Eine perfekte Kenntnis der Mechanismen der Empfängnis könnte den Menschen jene Stärke zurückgeben, die sie Thomas von Aquin zufolge im Stand der Unschuld besessen hatten, in dem das Geschlecht des Kindes allein vom Willen der Eltern abhängig gewesen war. Diese Entscheidungsfreiheit war ein Wunschtraum, der seit undenklichen Zeiten gehegt worden war und der uns aus dem Brauchtum mit seinen magischen Beschwörungsformeln überliefert ist. Ärzte verstanden diesen Wunsch der Familie nach einem Sohn um so besser, als sie selbst meistens davon überzeugt waren, daß die Geburt einer Tochter eine Quelle von Sorgen sei. Deshalb sparte der Spanier Huarte auch nicht mit Ratschlägen für Familienväter, wie vermieden werden konnte, ein Geschlecht zu zeugen, das aufgrund seiner angeborenen Kälte und Feuchtigkeit keinen ausgeglichenen und gefestigten Verstand haben könne.
Selbstverständlich legten nicht alle Ärzte dieses extreme Mißtrauen gegenüber Frauen an den Tag, aber auch diejenigen, die am wenigsten den üblichen Vorurteilen zugeneigt waren, blieben für gewöhnlich empfänglich für die sozialen Implikationen, die mit dem Geschlecht des Neugeborenen verbunden waren. Auch Laurent Joubert suchte in seinem 1579 veröffentlichten Erreurs populaires ernsthaft die Phasen zu erforschen, die für die geschlechtliche Vereinigung am günstigsten seien, denn »das kann den Männern dienen, die Jungen haben wollen, sowohl zu ihrer Hilfe als für das Erbe der Güter, Ehren und Würden, (...) und auch wenn es nur wegen der Vortrefflichkeit des Geschlechts wäre, gibt es doch Grund, dies zu wünschen«.[18]
Wie könnte man es treffender sagen! Wenn Eltern sich Entscheidungsfreiheit wünschten, so natürlich deshalb, um in ihrer Nachkommenschaft die Anzahl der Mädchen zu begrenzen, die das Erbe nur zerstückeln und soviel Mühe machen würden: Hatte man erst einmal ihre  zarte  Gesundheit  geschützt, ihren  frivolen Geist  erzogen, ihre außerordentliche Empfindsamkeit zu beherrschen gelernt, mußte man sie schließlich mittels Heirat bzw. in einem Kloster etablieren. Mehrere Jahrhunderte lang bemühten sich Mediziner um das, was Jacques Andre Millot, der Geburtshelfer von Marie-Antoinette, die »Kunst, die Geschlechter nach Belieben zu zeugen« nannte. Von Juan Huartes Examen bis zu L'art de faire des garcons des Michel Procope Couteau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts waren sämtliche Empfehlungen hinsichtlich der Partnerwahl, des richtigen Zeitpunkts, der korrekten Stellung von der Überzeugung getragen, daß die Beachtung der moralischen und natürlichen Gesetze mit der Geburt eines Jungen belohnt wurde.

Eine Rolle für Frauen

Die Einblicke der Medizin in die Geheimnisse der Embryologie machten eine Beschäftigung mit solchen Themen wie der Vererbung, der Geschlechterbestimmung und der Kontrolle über die Zeugung möglich. Nachfolgende Theorien erhellten die komplexen Beziehungen, die zwischen dem Fötus und seiner Mutter bestanden. So statten sowohl die bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts vorherrschende Zwei-Samen-Theorie als auch die der Eierstöcke, die sich im 18. Jahrhundert verbreitete, die Frau mit einer heiligen, aber auch bedrohlichen Macht aus. Ärzte, die sich der Tragweite ihrer Ideen bewußter wurden, begannen, unmittelbarer auf die private und öffentliche Moral Einfluß zu nehmen. Seit dem Ende der Renaissance bis hinein ins 18. Jahrhundert bildet sich eine medizinische Strategie heraus, die sich deutlich in Richtung jener Rolle bewegte, die die Gesellschaft der Frau innerhalb der Familie zuschrieb.

Die Regeln der Harmonie

Ärzte zur Zeit Jean-Louis Vives' oder Jean Bodins waren noch von keiner Vorstellung über Geburtenpolitik geleitet. Ihr primärer Auftrag bestand darin, die Institution der Ehe zu schützen, auf der letztlich die gesamte öffentliche Ordnung beruhte. Die Ehe interessierte nicht nur die Kasuisten und Gesetzgeber, sondern auch die Mediziner, deren naturwissenschaftlicher Diskurs sich dem gefährlichen Sittenverfall entgegenstellte. Die Frau war das bevorzugte Objekt ihres Interesses, weil von ihrer körperlichen und moralischen Gesundheit die Fruchtbarkeit des Paares abhing, aber auch die Harmonie in der Familie allgemein. Wenn Mediziner die verschiedenen Lebensphasen einer Frau studierten, so immer als Phasen, die ihre natürliche Berufung zur Ehe entweder vorbereiten oder darauf folgen. Hierin folgte die Medizin im übrigen der Institution de la fem nie chrestienne des Moralisten Vives. der darin Richtlinien für das zu verheiratende junge Mädchen, für die Ehefrau und die Witwe entwarf. Daher nahmen am Ende des 16. Jahrhunderts Ärzte für Frauenheilkunde in ihren Traktaten ohne weiteres Anweisungen auf, die man heute in einer Familienenzyklopädie erwarten würde. Ihre vordringlichste Aufgabe war es, gegen diejenigen Verbindungen anzugehen, die lediglich gesellschaftliche Ambitionen berücksichtigten, ohne sich um das gefühlsmäßige und körperliche Einvernehmen der Ehegatten zu kümmern. Ambroise Pare und Jean Liebault sprachen sich vehement gegen Ehen von Partnern aus, die ein unverhältnismäßig großer Altersunterschied trennte oder deren Temperamente unvereinbar schienen. Ohne unbedingt auf die Juristen zu hören, die das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen auf zwölf und für Jungen auf vierzehn Jahre festlegten, handelten Ärzte im Sinne ihrer Berufung, wenn es die Frau vor zwei gleich großen Gefahren zu bewahren galt, nämlich vor einer zu frühen oder auch einer zu späten Heirat. Die Autoren medizinischer Traktate waren keinesfalls mehr nur Intellektuelle, die aus dem Elfenbeinturm
heraus ihre Erkenntnisse verkündeten. Vor allem die praktische Geburtshilfe, die allmählich aufhörte, das Monopol von Hebammen zu sein, hatte ihnen die »fast unerträglichen Leiden der Schwangerschaft«[19] vor Augen geführt, und sie wußten nur zu gut. daß ein noch nicht ausgewachsenes Mädchen dabei sein Leben riskierte. Sie wandten sich nicht nur gegen in einem zu frühen Alter geschlossene Ehen, sondern ebenso gegen jene Eltern, die, in der Hoffnung auf eine vorteilhafte Partie, ihre bereits »reifen« Töchter den Anfechtungen ihrer unbefriedigten Sexualität aussetzten. Diese Traktate, die auf grauenerregende Weise die Symptome sexueller Frustration beschrieben - Blässe und das furchtbare Wüten der Gebärmutter - sowie die Angst des braven Bürgers vor der familiären Zerrüttung reflektierten: Eine Frau, die über zwanzig war, würde sich nicht mehr so leicht den Anweisungen ihres Gatten fügen, um so mehr, als Frauen ihrem Naturell nach eher zum Befehlen und Widersprechen neigten. Auch der Arzt Jean Liebault, der immerhin mit der gelehrten Olympe Estienne verheiratet war - der Autorin von Les miseres de lafemme mariee - schien davon überzeugt zu sein.
Die besten Regeln waren in den Augen des Arztes diejenigen, die von der Natur vorgegeben wurden. Aristoteles wurde wiederum dafür bemüht nachzuweisen, daß aufgrund des biologischen Rhythmus der Frau, die früher geschlechtsreif, aber auch früher unfruchtbar würde als der Mann, das ideale Heiratsalter für Mädchen zwischen fünfzehn und sechzehn Jahren und das für Jungen zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren läge. Die Natur legitimierte lediglich, was die christliche Moral und die soziale Ordnung verlangten, nämlich daß der Ehemann seine Frau beherrschte.
Diese Ratschläge fanden sich im übrigen nicht nur in Traktaten über die Körperpflege; Familienväter mußten nur die Werke humanistischer Philosophen lesen, um sich aufgeklärter zu verhalten. Ärzte schöpften ihre Argumente häufig aus denselben Quellen wie Moralisten. Aber sie beriefen sich auf ihre unbestreitbare Autorität, wenn es darum ging, über die physiologische Kompatibilität der Gatten zu entscheiden. Juan Huarte träumte gar von einer Republik, in der es den Ärzten überlassen würde, Ehen zu stiften. So könnten sie, wenn sie das Temperament und die Schönheit einer Frau untersuchten, als Experten darüber urteilen, ob sie für den Mann gemacht war, dem sie versprochen war. Die Verbindung zwischen den Geschlechtern wurde als Verschmelzung von Gegensätzen angesehen, die bei einer wechselseitigen Ergänzung der positiven und negativen Elemente Erfolg hatte. Diese Vorstellung gewann eine solche Bedeutung, daß sie bereits so etwas wie eine Sexologie darstellte. Da die Natur den Geschlechtern in ihren Liebesbeziehungen unterschiedliche Rollen zugewiesen hatte, galt es für den Arzt auch, die Frage der Lust und ihres Zweckes zu berücksichtigen.
Während einstimmig behauptet wurde, daß »die Frauen auf eine Art und die Männer auf eine andere Art entflammt sind«, gingen die Meinungen ansonsten auseinander. Dieser Zustand war charakteristisch für eine Wissenschaft, die noch in den Kinderschuhen steckte. Bei ihren Forschungen ließen sich Ärzte weitgehend von den Erklärungsmustern leiten, die ihnen von der Gesellschaft, den Sitten und Gebräuchen sowie natürlich den antiken Texten suggeriert wurden. Deshalb stellte sich erstmalig die Frage nach der sexuellen Lust im Rahmen der kulturellen Annahmen über die weibliche Natur. Sehr viele Ärzte waren immer noch davon überzeugt, daß Frauen in der Liebe sehr viel leidenschaftlicher seien als Männer. In seiner Studie De la maladie d'amour ou melancbolie erotique (1623) vertrat Jacques Fernand diesen Standpunkt, der gestützt wurde durch die Doktrin, nach der die Liebe eine Bewegung der Seele sei, welche die Frau, der es an Vernunft und Stärke fehle, nicht zu beherrschen vermochte, und darüber hinaus durch die Erfahrung des Arztes, der gewöhnlich sehr viel mehr erotomanische Frauen als Männer behandelte. Die Heftigkeit des weiblichen Begehrens und der weiblichen Lust hatten im übrigen ihre Berechtigung. Ferrand sah darin eine Art Kompensation der weisen Natur für die Schmerzen, die die Frau bei der Geburt erleidet.
Diese Behauptungen, die vor dem Hintergrund dessen zu sehen sind, was die satirische Literatur als weibliche Lüsternheit verlachte, standen jedoch im Widerspruch zu der Notwendigkeit, die männliche Überlegenheit auch auf dem Gebiet der sexuellen Lust zu beweisen. Für einen Schulmediziner wurde dieses Eingeständnis noch dadurch erschwert, daß keine Theorie erklären konnte, weshalb die Frau mit ihrem feuchten und kalten Temperament intensivere Lustgefühle haben sollte. Hippokrates, der so interpretiert wurde, wie es gerade opportun erschien, mußte dafür herhalten, daß auch auf diesem Gebiet die Hierarchie der Geschlechter gewahrt blieb: Denn trotz ihres übermäßigen sexuellen Verlangens waren die eher extensiven Lustgefühle der Frau den intensiven Lustgefühlen des Mannes qualitativ unterlegen.
Auch wenn diese Kontroverse ein großes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit auf sich zog und sich selbst in solch populärwissenschaftlichen Werken wie La curiosite naturelle von Scipion Dupleix und in den öffentlichen Vorträgen des »Bureau d Adresses« von Theophraste Renaudot niederschlug, zeichnete sich unter den praktischen Ärzten am Ende der Renaissance ein anderer Streitpunkt ab. Es ging weniger darum, ob der Mann oder die Frau den Liebesakt mehr genösse, sondern vielmehr darum, ein für die menschliche Gattung so wichtiges Phänomen besser zu verstehen. Warum war der Mensch unter allen Arten das einzige Lebewesen, das sich nicht nur während bestimmter Zeiten fortpflanzte? Die vorausschauende Natur wollte es, daß das bei der Paarung empfundene unvergleichliche Lustgefühl ihn davon abhielt, über die Beschaffenheit seiner Fortpflanzungsorgane nachzudenken. Abscheuliche Vorstellungen von uterinen Abgründen grassierten im medizinischen Diskurs und hielten Chirurgen wie Ambroise Pare, praktische Ärzte wie Andre Du Laurens und Geburtshelfer wie Francois Mauriceau in ihrem Bann, die nicht genug Farben und Gerüche erfinden konnten, um den »Schmutz« und den »Unrat« dieser »Kloake« zu beschreiben.[20] Als Maske für den Horror und den Schmerz erschien die Sinnlichkeit nun durchaus legitim und notwendig. Paradoxerweise verblaßten sowohl die Sicht der weiblichen Lust als sündhaft oder unnatürlich als auch die Angst vor der alles verschlingenden Gebärmutter vor dem bewundernden Staunen des Naturforschers angesichts des unbeschreiblichen Einfallsreichtums der Natur. Bei Pare, Joubert oder Duval werden die jeweiligen Geschlechterrollen als Notwendigkeit des Reagierens definiert, nicht wie im Kampf, sondern wie in einem Spiel, dessen potentieller Gewinn ein »kleines Gottesgeschöpf« darstellte.

Die Notwendigkeit weiblicher Lust

Unbeirrt von moralischen Tabus und trotz der Gefahr, den Zorn der gesamten medizinischen Fakultät oder der Zensur auf sich zu ziehen, wie dies im Falle Ambroise Pares und Jacques Duvals geschah, scheuten die Ärzte nicht davor zurück, sich mit den intimsten Aspekten des Sexuallebens zu befassen, um Paaren dabei behilflich zu sein, ihre Wünsche und Körper besser zu verstehen. In Kapiteln über »die Art der Beiwohnung und Zeugung« wurden in erster Linie dem Mann Ratschläge erteilt, dem es oblag, die Initiative zu ergreifen, und der aus diesem Grund in hohem Maße für die sexuelle Harmonie des Paares verantwortlich war. In den Empfehlungen, die noch nicht durch die
wissenschaftliche Terminologie neutralisiert waren, schien die Erfahrung des Arztes durch, der in seiner Praxis so viel gelernt hatte wie ein Beichtvater. Allzu häufig wußten Männer nichts über die sinnliche Konstitution ihrer Gattinnen und - wie Ambroise Pare mit seiner Vorliebe für deftige Metaphern anmerkte - warf sich kopfüber und gedankenlos auf das Feld der menschlichen Natur!
Hinter der Fürsorge des Arztes kommt das alte Thema der Embryologie zum Vorschein. Das Primat der Zwei-Samen-Theorie zwang Ärzte zu einer neuen Betrachtungsweise. Ambroise Pare beharrte darauf, daß der Samenerguß in drei Phasen erfolge: Auf eine feuchte Absonderung, die zum größten Teil aus dem Gehirn komme, folge die Erektion der Genitalien, die von den »Lebensgeistern« hervorgerufen werde, und schließlich die Ejakulation des Samens, die durch die Wollust und das gemeinsame Vergnügen ausgelöst würde. Es sei daher unumgänglich, daß »das Objekt gefällt und begehrt wird, sowohl von Seiten des Mannes als auch von Seiten der Frau«, sonst bliebe die Verbindung unfruchtbar.[21] Die von dieser Theorie beeinflußten volkssprachlichen Traktate über die menschliche Zeugung, die für Hebammen und Ärzte bestimmt waren, aber auch das Interesse der lesenden Öffentlichkeit an den Wissenschaften des Lebens befriedigen sollten, verurteilten daher heftig die zeitgenössische Ehepolitik. Pare und Liebault zufolge war der häufigste Grund für Unfruchtbarkeit darin zu sehen, daß die Frau beim Geschlechtsakt nur wenig Vergnügen empfinde, wodurch sie nicht nur keinen Samen erzeuge, sondern aufgrund der Verkrampfung ihres Gebärmuttermundes das männliche Sperma zurückweise. Diese Ansicht wird von Mauriceau in seinem 1668 erschienenen Traktat bestätigt. Deshalb machten sich diejenigen Väter, die. obwohl Wissenschaft und Erfahrung sie eines Besseren belehrt hatten, ihre Töchter ohne deren Einwilligung verheirateten, in den Augen der Natur
schuldig.
Die Sorge der Ärzte entsprang indes nicht einem rein geburtenpolitischen Interesse. Weder Francois Mauriceau noch Jean Liebault oder Louys de Serres betrachteten die Sterilität als Stigma. Ersterer äußerte sich sogar mit beißender Ironie über »die starke Leidenschaft, der man bei manchen Leuten begegnet, die nichts mehr bedauern, als ohne Kinder zu sterben oder, noch schlimmer, ohne männliche Nachkommenschaft«.[22] Das Studium der Fortpflanzung und die Entdeckung der engen Beziehungen zwischen organischen Funktionen und psychologischen Prozessen machten den Körper zu einer komplexen und bis ins kleinste Detail bewundernswerten Maschine. Für den Naturforscher, der die Werke der Natur betrachtet, war jede Funktion des Körpers eine Manifestation der Seele, die ihm innewohnt. Hatten die Wissenschaftler die sexuelle Lust zuerst als kompensatorische Funktion verstanden, die darauf ausgerichtet war, den Ekel vor dem Geschlechtsakt auszuschalten, so begannen sie nun, die Geschlechtsorgane und den Beischlaf als sublimes Zeugnis göttlicher Genialität zu deuten, selbst wenn letzterer keinen Nachwuchs erzeugte.
In den Chor der Stimmen, die sich gegen heimliche Ehen erhoben, die den familiären Interessen zuwiderliefen und lediglich auf Verlangen des jungen Paares hin geschlossen wurden, brachte der medizinische Diskurs zumindest hier eine falsche Note ein: Von dem Augenblick an, wo die harmonische Verbindung der Geschlechter als von der körperlichen und geistigen Kompatibilität abhängig betrachtet wurde, konnten Frauen nicht mehr nur als passive Objekte männlicher Lust angesehen werden. Naturwissenschaftler sprachen ihnen das Recht, ja sogar die Pflicht zu, sich an ihrer Zukunftsplanung aktiv zu beteiligen. In den Augen einer Gesellschaft, die der Frau jegliche Entscheidungsgewalt verweigerte, mußte der Protest solcher Ärzte als frommer Wunsch und vergebliche theoretische Spekulation anmuten. Natürlich konnten diese befreienden Ratschläge nur wenig an einer Wirklichkeit ändern, in der junge Mädchen lediglich Waren und Tauschmittel in einem Handel waren, der auf ökonomischer Macht und sozialem Prestige beruhte. Dennoch war die Meinung der Ärzte von Bedeutung, denn sie lieferte all denjenigen eine wissenschaftliche Legitimation, die im Namen der christlichen Ehe oder im Namen eines wiederauflebenden Naturalismus für Paare emotionale Gleichberechtigung forderten.
Schon Margarete von Navarra berief sich implizit auf die Theorie des weiblichen Samens, als sie in einer Novelle des Heptameron das Scheitern einer Ehe ohne Liebe schilderte: »Und obwohl sie eine bildschöne Frau und ihr Gatte Wohlgestalt, kräftig und zeugungsfähig war, bekam sie dennoch keine Kinder von ihm, weil ihr Herz allezeit sieben Meilen von ihrem Leib entfernt weilte.«[23] Zum Ausgang der Renaissance gab es eine wachsende Anzahl literarischer Texte, die solche »Verbindungen ohne Seele« anklagten und den Einfluß der medizinischen Argumentation stärkten. Die Reaktion auf die Veröffentlichung bestimmter medizinischer Texte in der Volkssprache beweist allerdings, daß man Angst hatte, die öffentliche Moral könnte durch sie erschüttert werden. Das erklärte Motiv des 1575 gegen Ambroise Pare geführten Prozesses war die fehlende Ermächtigung für die Veröffentlichung seiner gesammelten Werke, aber sein von ihm selbst vorgetragenes Plädoyer läßt keinen Zweifel aufkommen, was die wahren Gründe der Zensur betrifft: Die Professoren zeigten sich besonders irritiert über die Kapitel über »die Art und Weise des Beischlafs und der Zeugung«, über die »Sterilität« und über »die Hymen genannte Membrane«, die ihrer Ansicht nach allzu freizügig verfaßt waren und »die Jugend zur Unzucht anregen können.[24] Laurent Joubert widerfuhr einige Jahre später das gleiche Mißgeschick. Um seine Verleumder zu beschwichtigen, die ihm sowohl vorwarfen, ein derartiges medizinisches Werk der Königin von Navarra, Margarete von Valois, gewidmet zu haben, als auch jungen Mädchen »lüsterne« Geheimnisse enthüllt zu haben, die sie besser nie hätten wissen sollen, sah er sich gezwungen, die zweite Ausgabe seiner Erreitrs populaires zu überarbeiten.
Die medizinische Fakultät war nicht ohne Grund darum bemüht, einen medizinischen Diskurs einzudämmen und zu reglementieren, der immer häufiger auf dem Gebiet der Sitten und der gesellschaftlichen Moral intervenierte. Da Ärzte in allen Angelegenheiten, die Ehe und Sexualität betrafen, als Experten galten, hatten ihre medizinischen Theorien soziale Implikationen, die vielleicht bedeutender waren als deren rein wissenschaftlicher Wert. Im 16. und 17. Jahrhundert beriefen sich Ärzte, die in Vergewaltigungsprozessen aussagten, zwangsläufig auf die Zwei-Samen-Theorie, der zufolge die beim Koitus empfundene Lust die Voraussetzung für den Samenerguß war. Wenn Jean Liebault die Richter vor jenen Frauen warnte, die behaupteten, ohne Lust empfangen zu haben, so wies er damit implizit diejenigen ab, die Wiedergutmachung für eine Vergewaltigung forderten, welche zu einer Schwangerschaft geführt hatte. Dieselbe Theorie erlaubte es allerdings Jacques Duval, einer vergewaltigten Frau ihre Integrität und ihre verlorene Ehre zurückzugeben, da ohne Lustempfinden die Gebärmutter geschlossen, und ohne die Einwilligung des Herzens somit auch die moralische Jungfräulichkeit intakt blieb. Eine Vergewaltigung stellte in den Augen der Ärzte einen aggressiven Akt dar, bei dem die Frau das Opfer war und nicht etwa die Schuldige. Aus der Rechtsgeschichte wissen wir, daß dies nicht immer die Ansicht der Richter war.

Ein sanfterer, mitleiderregenderer Ton

Für die Medizin zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die jede vitale Funktion in ihrer komplexen Beziehung zwischen einem »Vermögen« oder »Geist« und dem ihm als Instrument dienenden Organ betrachtete, nahm die Psychophysiologie eine wesentliche Bedeutung an. Dies läßt sich besonders an den Prozessen nachweisen, die um Eheannulierungen aufgrund von Impotenz geführt wurden. Wenn ein Schüler Ambroise Pares, Jacques Guillemeau. 1612 die Feder ergreift um die Abus qui se commettent sur les procedures de Vlmpuissance des hommes et des femmes zu denunzieren, so deswegen, weil er nicht die brutale Methode, den Vollzug des Beischlafs zu testen, zulassen konnte, die Juristen unter Mißachtung des Anstandes und der Wissenschaft eingeführt hatten. Der Physiologe wußte, daß es einem Mann und einer Frau, die bereits in Herz und Verstand getrennt waren, nie gelingen würde, ihre sexuelle Potenz in Anwesenheit erfahrener Arzte und Hebammen und unter skandalösen und schändlichen Umständen unter Beweis zu stellen. Sich auf die Ergebnisse eines solchen Tests zu berufen, um die Annullierung einer Ehe auszusprechen, war daher widersinnig. Hier zeigte sich der Arzt strenger als der Jurist, der schon in der Nichtbeachtung einer der Klauseln des Ehevertrages - des debitum conjugalis - einen ausreichenden Grund für dessen Auflösung sah. Charles Guillemeau und mit ihm alle Kritiker der Annullierung einer Ehe wegen Impotenz wandten sich gegen ein Verfahren, das weniger das Glück der Ehegatten berücksichtigte als die Interessen der beteiligten Familien. Das Gesetz über die Trennung von Eheleuten beruhte nicht nur auf irrigen anatomischen Annahmen (die ungenügende Kenntnis des weiblichen Körpers ließ Zweifel an den Merkmalen der Defloration) und der völligen Unkenntnis der Prinzipien der Physiologie; mehr noch, das kanonische Recht führte aus, daß für den
Fall, daß die Impotenz nach der Auflösung der Ehe verschwinden würde, die Ehegatten wieder zusammenleben müßten, selbst wenn sie inzwischen wieder neu verheiratet wären. Welch ein wissenschaftlicher Irrtum! Denn Impotenz - wenn sie nicht gerade von einem anatomischen Defekt herrührte - war ja eben häufig lediglich die Folge einer Antipathie zwischen den Ehegatten. Jene Annullierungsverfahren, die selbstverständlich nur die gesellschaftliche Oberschicht betrafen, trugen zur Befreiung der Frau gar nichts bei, die in solchen Angelegenheiten bloßes Objekt war bzw. Ursache öffentlichen Skandals.
Ärzte, die als Berater der Familien oder als Experten vor Gericht konsultiert wurden, votierten zumeist für Versöhnung, um den Körper vor erniedrigenden Untersuchungen zu bewahren. Die Institution der Ehe beruhte auf dem fragilen Gleichgewicht der weiblichen Physiologie: Wurde das Begehren der Frau ignoriert oder sie gar gegen ihren Willen gezwungen, bedrohte das die Harmonie des Paares. Daher liefen alle medizinischen Vorschriften auf die Regel des goldenen Mittelwegs hinaus: Mäßigung in der Lust und Mäßigung, was die Forderungen des Ehemannes und das Verhalten der Gattin anging. Auch hier suchte der medizinische Diskurs seine Legitimation in der Natur. Ambroise Pare erklärte die Unterschiede in der Sexualität des Mannes und der Frau als weise Vorsehung des Schöpfers, der nicht wollte, daß beide Geschlechter zum selben Zeitpunkt und mit gleicher Intensität entflammten, um sie nicht schutzlos dem Ansturm unmäßiger und gefährlicher Wollust auszuliefern. In diesem Punkt waren sich sowohl der Arzt als auch der Moralist in dem Bemühen um eine Ethik des Privatlebens als Garantin der sozialen Ordnung einig. Doch während die bürgerliche Ideologie die Gattin darauf reduzierte, nur ein Spiegel der Persönlichkeit und des gesellschaftlichen Rangs ihres Gatten und ein Symbol der konservativen Familientugenden zu sein, entwarf der Arzt das Bild einer weiblichen Individualität - beunruhigend in ihrer Zerbrechlichkeit und in ihren geheimnisvollen Gebrechen, aber auch faszinierend in ihrer fruchtbaren Schönheit.
Wenn man der Declamation sur l'incertitude et vanite des sciences von Heinrich Cornelius Agrippa Glauben schenken will, dann war die Medizin die Kunst, die am meisten die Lasterhaftigkeit förderte, denn sie lieferte dem Volk alle möglichen Verfahren, die der Verschönerung von Gesicht und Körper dienten. Die Anthologien über die »Geheimnisse der Damen« hatten zweifellos eine lange Tradition und riefen eine bestimmte paramedizinische Literatur ins Leben, deren Erfolg in gewissem Maße noch heute andauert. Aber auch die gelehrte Medizin selbst bereicherte dieses Genre und brachte dabei paradoxe Blüten hervor. So hatte der italienische Arzt Leonardo Fioravanti, der in seinem Specchio di scientia universale (1564) den Gebrauch der Schminke streng geißelte, einige Jahre zuvor noch die Capricci medicinale veröffentlicht, die voll von Rezepten waren, welche der Frau ewige Schönheit und zahllose Liebhaber verschaffen sollten! Wurde der Arzt nicht letztlich von der diabolischen Schönheit angezogen, von dem von Cornelius Agrippa beschriebenen vollkommenen Körper, dessen Anblick so lustvoll war und den man nicht berühren konnte, ohne eine angenehme Erregung dabei zu verspüren?[25]
Diese widersprüchlichen Empfehlungen spiegeln insbesondere die ambivalente Rolle des Arztes wider, der bald Moralist, bald Naturforscher war. Als Moralist reproduzierte und legitimierte er das Mißtrauen seiner Zeitgenossen gegenüber dem anderen Geschlecht, als Naturforscher äußerte er Bewunderung für einen Körper, der durch und für seine fruchtbare Schönheit existierte. Es war die Aufgabe des Arztes, die Frau vor ihren eigenen Anfälligkeiten zu schützen, aber auch ihre ästhetische Harmonie, die das Zeichen ihrer Vollkommenheit war, zu bewahren. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, veröffentlichte Giovanni Marinello im Anschluß an sein bedeutendes Werk über die Frauenkrankheiten den Traktat Degli ornamenti delle donne, in dem er behauptet, lediglich das wundervolle natürliche Gleichgewicht wiederherstellen zu wollen. Das, was dem moralistischen Mediziner des 16. Jahrhunderts noch Unbehagen bereitete, verschwand im Zuge der Neudefinition von Frauenheilkunde. Nun, da die Wissenschaft anerkannt hatte, daß es eine spezifisch weibliche Anatomie, Physiologie und Pathologie gab, erschien es legitim, eine speziell auf die Frau ausgerichtete Gesundheitspflege und Ästhetik zu entwickeln. Abraham de la Framboisiere verdeutlichte in seinem Traktat Du gouvernement des dames, den er einer prominenten Dame der frühen Jahre des 17. Jahrhunderts widmete, diese medizinische Strategie:

»So wie die Männer die Frauen an Kraft übertreffen, übertreffen in den meisten Fällen die Frauen die Männer an Schönheit. Deshalb ist es nicht befremdlich, wenn sie darauf bedacht sind, das zu bewahren, was ihnen als ihr natürliches Recht zu gehören scheint (...). Da ich hier der Ordnung nach das behandeln will, was dem weiblichen Geschlecht eigen ist, werde ich zuerst erklären, wie die Damen sich zu verhalten haben, um ihre Schönheit zu bewahren.[26]

Auch wenn Ärzte in ihren theoretischen Konzeptionen hin und her gerissen waren zwischen einem sozialen Funktionalismus und einem nicht immer orthodoxen Naturalismus, wurden sie in der Praxis mitunter zu Verbündeten der Frau gegen die sie bedrohenden Vorurteile. Wahrscheinlich spielte der Einbruch der Männer in das Gebiet der Geburtshilfe, das bis dahin ausschließlich Hebammen vorbehalten war, eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung einer medizinischen Ethik. Liest man die Werke, die in der Geschichte der Geburtshilfe entscheidenden Einfluß hatten — die Werke des Deutschen Rösslin, des Franzosen Pare und des Portugiesen Castro -, so ist man bestürzt über die ständig wiederkehrende Vorstellung des Leidens, so als ob Ärzte selbst sich fürchteten vor den Schmerzen und der schrecklichen Angst, die sie noch nicht zu beherrschen vermochten, als ob Männer sich plötzlich verantwortlich für diese »Passion« der Frauen fühlten. Louys Guyon gesteht in seinem Miroir de beaute et saute corporelle:

»Zweifellos befehlen uns die Vernunft und die Nächstenliebe, besonders den Frauenzimmern in ihren Ängsten, Bedürftigkeiten und Zufällen beizustehen, weil sie uns gedient und uns geliebt haben. Ich sage das, weil die Frau, um dem Mann Befriedigung, Vergnügen und Lust sowie Nachkommen zu schenken, um die menschliche Art unsterblich zu machen, ihm ihren Körper zur Verfügung stellt und die Mühen, Schmerzen und Gefahren nicht fürchtet, die sie durchleiden muß, wenn sie von ihm schwanger geworden ist.«[27]
Auch wenn die Schwangerschaft ohne besondere Komplikationen verlief, stellte sie in den Augen des Arztes einen pathogenen Zustand dar, der das Nervensystem und das psychische Gleichgewicht durcheinanderbrachte. Rationale Beschreibungen der Symptome - dunkle Flecken im Gesicht, geschwollene Brüste, Angstzustände - gingen unter in imaginären Schreckensszenarien der Schwangerschaft, in denen die phantastischsten Berichte über »abartige Gelüste« und Mißgeburten Erwähnung fanden. Die schwangere Frau war daher in den Worten von Louys de
Serres wie ein drittes vernunftbegabtes Geschlecht, der ganzen Unbill einer in Unordnung geratenen Physiologie ausgeliefert. Geburtshelfer äußerten sich mitfühlend in ihren Empfehlungen, die darauf abzielten, die physischen und psychischen Störungen zu minimieren, die auch als für den Fötus gefährlich erachtet wurden, und vor allem die Entbindung zu erleichtern, indem nichts außer acht gelassen wurde, was für die Kreißende zuträglich war und ihre Ängste zu beschwichtigen vermochte. Die medizinischen Erkenntnisse schienen hier der christlichen Religion zu widersprechen, die die Frau dazu verdammte, unter Schmerzen zu gebären. In De universa muliebrium morborum (1620) wandte sich Roderiquez Castro, und später auch Franoois Mauriceau, entschieden gegen einen Glauben, der den Geburtshelfer dazu ermutigte, seinen Beistand zu verweigern. Sie setzten der theologischen Rechtfertigung des Leidens ihre Beobachtungen als Ärzte entgegen: Die Frau litt, weil der Kopf des menschlichen Fötus größer ist als der der Tiere und weil in den zivilisierten Gesellschaften die Damen nicht mehr an harte Arbeiten gewöhnt waren - eine Argumentation, die auf der Anatomie, der Lebensweise und den Gepflogenheiten basierte, nicht aber auf religiösen Vorstellungen.
Ärzte, die vor allem darum bemüht waren, einen Körper zu erhalten, dessen Schönheit und Gleichgewicht so ernsthaft bedroht waren, überschritten mitunter die Grenzen ihres Pflichtbewußtseins und wurden zu Komplizen weiblicher List. Laurent Joubert und Ambroise Pare beschrieben in ihren Diskussionen, die sie der Zeit nach der Geburt widmeten, den männlichen Abscheu vor den Verunstaltungen des Körpers durch die Schwangerschaft, den Schmerzen der Entbindung und vor den Spuren, die dabei zurückblieben. Beide Autoren, die sich als gute Gatten und gute Väter verstanden, waren sich jedoch darüber einig, daß die große Mehrheit der Ehemänner durch die Entbindung in Schrecken versetzt würde, über das Wimmern des Neugeborenen verärgert wäre und es alles in allem vorzöge, nicht in die abstoßenden Aspekte der weiblichen Physiologie eingeweiht zu werden. Ärzte durften nicht davor zurückschrecken, sich über die traditionellen Geheimnisse kundig zu machen, die von den Hebammen von Generation zu Generation weitergegeben worden waren und die die Frau dabei unterstützten, ihren Körper wieder zu kräftigen, die Falten wegzuzaubern und wieder zu der »pucelle« (Jungfrau) zu werden, die von ihrem Mann begehrt wurde. Eine solche Bereitwilligkeit, Heilmittel zu berücksichtigen, die mehr mit Kuppelei als mit Geburtshilfe zu tun hatten und die man im übrigen auch in den satirischen Texten über L'Art de r'accoustrer lespucelagesperdus findet, spiegelt zweifellos die Gefühle der Ärzte wider, die in gewisser Weise selbst davon überzeugt waren, daß die Frau nach ihrer Niederkunft unrein sei. Vor allem aber kommt darin der Wunsch zum Ausdruck, die körperlichen Spuren der Schwangerschaft zu vertuschen, die der sexuellen Harmonie des Paares abträglich sein könnten.
Was die Empfängnisverhütung und Abtreibung betraf, war die Haltung der Ärzte noch ambivalenter. Die meisten Traktate über Geburtshilfe wandten sich gegen einen künstlich herbeigeführten Schwangerschaftsabbruch, zum einen aus Gründen der Moral, zum anderen aber vor allem auch aus medizinischen Erwägungen, denn sehr oft verursachte ein solcher Eingriff tödliche Blutungen. Die weitschweifigen Beschreibungen der anatomischen und physiologischen Vorgänge bei der Abtreibung hatten jedoch eine Wirkung, die die Fakultät in ihrer Anklage gegen Ambroise Pare nicht unberücksichtigt ließ: Eine Aufzählung der Gründe für Fehlgeburten und die Erwähnung von Mitteln, die dem Fötus schaden können, gab denjenigen eine Methode an die Hand, die sich ihrer Leibesfrucht entledigen wollten. Tatsächlich ließen sich die meisten Ärzte jedoch kaum von diesem Dilemma beirren und beschrieben - nach Abgabe der üblichen Erklärung die Lauterkeit ihrer Absichten betreffend — auch weiterhin genau die möglichen Arten der Abtreibung: erstens durch eine medizinische Substanz, zweitens durch physische Gewalt bzw. mechanische Intervention und drittens durch einen psychischen Schock. Louys Guyon ging in Le Miroir de la beaute et sante corporelle noch weiter und plädierte ohne besondere rhetorische Vorsichtsmaßnahmen für die Zulässigkeit therapeutischer Abtreibungen. Moralische Einwände hatten in seinen Augen wenig Gewicht gegenüber den Risiken, die eine Schwangerschaft mitunter für das Leben der Mutter, des Kindes, ja der ganzen Familie in sich barg. So räumte er einer Frau, deren Becken zu eng war oder die nur mißgebildete Kinder auf die Welt gebracht hatte oder deren Mann drohte, das Neugeborene zu töten, das Recht ein, nicht mehr empfangen zu wollen, und bot ihr hierzu die Mittel.
Das Mitgefühl gegenüber dem Leiden der Mutter und die Achtung vor ihrem Leben bestimmten die medizinische Ethik mehr als jene Kriterien, auf die sich die Theologen und Juristen stützten. Auch wenn sie generell die Abtreibungspraxis als Mittel der Empfängnisverhütung verurteilten, erachteten sie es als ihre Pflicht einzugreifen, wenn das Leben der Mutter in Gefahr war. Selbst Louise Bourgeois, die aufgrund ihrer Position als Hebamme sicher Grund zur Vorsicht hatte, vertrat diese Einstellung. Sie tadelte zwar die Hebammen, die sich zu Komplizinnen sittenloser Frauen machten, beschrieb aber für den medizinischen Notfall eine manuelle Methode, die die Abstoßung des Fötus bewirken konnte. Der große Geburtshelfer Mauriceau glaubte, daß die Entscheidung des Arztes lediglich von der Diagnose geleitet werden sollte: Sobald dieser die Symptome einer für die Mutter gefährlichen Anomalie erkenne, insbesondere eine Blutung, müsse er mit größter Entschlossenheit handeln, um die Geburt einzuleiten, auch wenn der dafür vorgesehene Zeitpunkt noch nicht erreicht war. Für ihn war die schlimmste Haltung jene falsche Vorsicht, die aus Motiven des Selbstschutzes heraus den Arzt dazu brachte, die verzweifelte Schwangere unter schrecklichen Schmerzen sterben zu lassen.[28]
Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts blieb die Abtreibung, die von Mauriceau als »widernatürlicher Abgang des unvollendeten Kindes aus der Gebärmutter heraus« definiert wurde, ein rein pragmatisches Thema, bei dem erst in zweiter Linie religiöse Motive ins Spiel gebracht wurden. Das änderte sich im 18. Jahrhundert, als sich die Debatte über den Schwangerschaftsabbruch über den Kompetenzbereich des Arztes hinausbewegte und zu einer Angelegenheit der Kleriker wurde.
In diesem Kontext ist die Geschichte des Kaiserschnitts besonders aufschlußreich. Lange Zeit wurde der Eingriff nur post mortem vorgenommen, und Ärzte, die einen Fötus aus seiner leblosen Hülle befreiten, erfüllten lediglich eine Pflicht, derentwegen ihr Gewissen nicht beunruhigt wurde. War die Mutter noch am Leben, aber ihr zu enges Becken verhinderte die Entbindung, dann mußte man entweder die Natur ihren Lauf nehmen lassen oder auf ein Instrument zurückgreifen, das von arabischen Geburtshelfern entwickelt worden war - die Zange. Im Jahre 1561 veröffentlichte der französische Chirurg Francois Rousset einen Traite nouveau de l'hysterotomotokie enfantement caesarien. Er wurde zu diesem Schritt getrieben durch den »jämmerlichen Anblick der Angst, des Entsetzens, der Gebete und mitleidheischenden Blicke dieser so geplagten armen Kreaturen, die um ihr Leben schreien und sich händeringend an uns wenden, um die Hilfe zu bekommen, die wir ihnen geben wollen«.[29] Rousset behauptete, daß es möglich sei, das Kind mittels eines seitlichen Schnitts durch den Bauch und die Gebärmutter der lebenden Mutter herauszuholen, ohne ihr Schaden zuzufügen und sogar ohne ihr die Aussicht auf zukünftige Schwangerschaften zu nehmen. Das Werk des Arztes aus Montpellier löste sogleich eine lebhafte Polemik aus, denn obgleich es durch die Genauigkeit seiner anatomischen Demonstration überzeugte, so wirkte es auf Mediziner aufgrund der beträchtlichen Risiken des Eingriffs eher abschreckend. Die wenigen Erfolge dieser Operation wurden durch zahlreiche Todesfälle überschattet. In den medizinischen Kreisen Frankreichs und Deutschlands erregte dieser Eingriff lebhaftes Interesse. Schließlich aber wandten sich die gefeiertsten Chirurgen der damaligen Zeit nach einer Anzahl erfolgloser Versuche davon ab. Ambroise Pare. Jacques Guillemeau und Louys Guyon weigerten sich, eine Operation auszuführen, die darauf hinauslief, zugunsten des Neugeborenen wissentlich das Leben der Mutter zu opfern. Getreu ihrer professionellen Ethik und aus Prinzip gegen Behandlungen, die schlimmere Auswirkungen als die Krankheit haben konnten, waren Ärzte lediglich an den physischen Folgen ihrer therapeutischen Entscheidungen interessiert.
Aber seit dem 17. Jahrhundert wurde diese Debatte durch die Einmischung der Kasuisten in die Fragen der Geburtshilfe beträchtlich angeheizt. Der Jesuit Theophile Raynaud bemächtigt sich in seinen Opuscula moralia von 1630 sehr geschickt der von Francois Rousset gelieferten Beispiele, um zu beweisen, daß der Kaiserschnitt anatomisch möglich sei. Die Frage nach der tatsächlichen Erfolgsrate war in seinen Augen zweitrangig, da sein hauptsächliches Motiv darin bestand, die Seele des Kindes durch die Taufe zu retten. Der Arzt war also gehalten, seine Skrupel zu unterdrücken und andere Methoden, wie beispielsweise die Zangengeburt, zurückzuweisen, die die Mutter auf Kosten ihres Kindes retten würden. Innerhalb eines halben Jahrhunderts hatte die Kontroverse die Richtung gewechselt. Geburtshelfer, die gegen den Kaiserschnitt waren, wurden nicht mehr als ängstliche Gemüter betrachtet, wenn es darum ging, mit einer kühnen Entdeckung zu experimentieren, sondern als glühende Verfechter ihrer professionellen Autonomie. Diese Situation veranlaßte Francois Mauriceau zu einer heftigen Schmährede gegen die Anhänger einer grausamen und barbarischen Praxis, die sich unter dem Deckmantel der Religion einzuschleichen suchte:

»Ich weiß nicht, ob es jemals ein christliches oder bürgerliches Gesetz gegeben hat, das verordnete, die Mutter so zu quälen und zu töten, um das Kind zu retten. Eher um die Habgier gewisser Leute zu befriedigen, die sich wenig darum kümmern, ob ihre Frau stirbt, vorausgesetzt sie haben ein Kind, das sie überleben kann . . .«[30]

Die späteren großen Geburtshelfer Philippe Peu, Guillaume Mauquest de La Motte und Hermann Boerhaave folgten dieser Überzeugung und versuchten, Operationstechniken zu entwickeln, die der Mutter die Leiden eines Kaiserschnitts ersparen würden. Der Fortschritt der Chirurgie gab diesen Ärzten letztlich Unrecht, aber wissenschaftliche Kriterien allein können den Wert ihrer Haltung nicht ermessen angesichts einer Einmischung,
für die die Embtyologia sacra des Domherrn Cangiamila bezeichnend ist.

Der Auftrag der Frauen

Eine natürliche Mission: Die Gebärenden

Fragen, die den Kaiserschnitt und die Verwendung abtreibender Medikamente betrafen, beschäftigten und beunruhigten das ärztliche Gewissen zweifellos am stärksten. Daniel Le Clerc, ein Arzt und Historiker des 18.Jahrhunderts, empfand dies genauso: Zu einem Zeitpunkt, als die Techniken der »unnatürlichen« Entbindung noch wenig beherrscht wurden, ging es im allgemeinen darum zu entscheiden, ob es erlaubt war, das Kind oder die Mutter zu töten. In den Schriften der »Väter« der Geburtshilfe, Rösslin, Pare und Mauriceau, steht das Mitgefühl mit der leidenden Mutter für die Forderung nach einer menschlicheren medizinischen Praxis. Alle beschreiben sie ausgiebig jene Verletzungen, Brüche und Verstümmelungen, die Frauen von unerfahrenen Hebammen oder »barbarischen« Ärzten angetan wurden.[31]
Dieses Mitgefühl hat sicherlich Fortschritte in der Medizin gefördert, die für das tägliche Leben der Frauen nicht folgenlos blieben: Erkenntnisse in der Geburtshilfe über die Bedeutung der psychischen Einstimmung der Gebärenden und den Einfluß ihrer Umgebung im Hinblick auf ihre Schmerztoleranz; verbesserte Lehrbücher für Hebammen vermittelten die elementaren Regeln der Körperpflege und Anatomie. Allerdings war das Mitgefühl des Arztes eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits schützte es Frauen vor Verachtung und Verwünschung, andererseits bestärkte es jedoch die Vorstellung von der weiblichen Schwäche. Im Falle Jean Liebaults läßt sich besonders gut nachweisen, daß die Sorge des Arztes mit dem Gefühl von männlicher Überlegenheit einhergeht; ihm schien das Los der Frau bedauernswert zu sein, die unzähligen Krankheiten und der schwierigsten Prüfung der Entbindung - unterworfen war. Sein Mitgefühl wurde nur noch von seinem Argwohn übertroffen: Wie könnte dieses schwache und kränkliche Wesen seine natürliche Berufung ohne die Hilfe der Medizin erfüllen?
Der Widersinn ist augenfällig: Die Frau, die physisch und psychisch wenig gefestigt ist, mußte ihre Aufgabe als Gebärerin erfüllen, die das Überleben der menschlichen Art sicherstellte. Ärzte schienen eifrig darum bemüht, die irrationalen Kräfte, die diesen Prozeß zu unterbrechen drohten, auszutreiben. Alles war geheimnisvoll, insbesondere das weibliche Geschlecht: Die medizinische Betreuung junger Mädchen, denen Ambroise Pare und Jean Liebault zu gesunder Ernährung und gründlicher Körperpflege rieten, genügte nicht, die Anfechtungen der tierhaften Gebärmutter zu bannen. Nicht weniger mysteriös war die Fruchtbarkeit: Diagnostiker bemühten sich vergeblich, die Anzeichen für den Beginn einer Schwangerschaft zu erkennen, wobei ihnen auch der Geburtstermin verborgen blieb, da von allen Lebewesen allein die Schwangerschaft der Frau nicht von bestimmter Dauer war und sieben, acht, neun, sogar elf Monate dauern konnte. Schließlich die weibliche Psyche: Selbst die weiseste Disziplin vermochte die demiurgische Phantasie der Frau nicht zu beherrschen, die alle ihre Vorstellungen dem Körper des Fötus einprägen konnte. Alles in allem stellte jeder Abschnitt eines Frauenlebens eine gefahrvolle Etappe dar, sowohl für die Frau selbst als auch für die gesamte Gesellschaft.
Die Fürsorge des Arztes glich der eines Pädagogen, der nie die Verantwortungslosigkeit seines Schülers außer acht lassen durfte. Das liest man auch aus den Ratschlägen an werdende Mütter heraus, denn obgleich jede Frau gebären konnte, so waren doch sehr wenige fähig, gute Mütter zu sein. Grundsätzlich enthielten die einschlägigen Werke über Geburtshilfe lebhafte Plädoyers für das Stillen. Man glaubte, daß das Kind über die Milch die Gesundheit und die Sitten der Stillenden aufnähme, deshalb war eine Frau nur dann wirklich Mutter, wenn sie stillte. Zur Bekräftigung veranschaulichten Laurent Joubert und Jacques Guillemeau ihre Überlegungen durch rührende Szenen, in denen der Säugling mit seinem Lachen und seinen Spielen die mütterliche Tugend belohnte. Im Gegensatz zu den Moralisten, die in dem Brauch, Ammen einzustellen, vor allem ein Zeichen weiblicher Verderbtheit sahen, wiesen Ärzte eher auf den Widerstand der Ehemänner gegen das Stillen hin, die weniger empfänglich waren für die Reize des Säuglings und darum besorgt waren, daß ihre Bequemlichkeit und Ruhe durch das Stillen gestört werden könnten. Der Mutter die volle Verantwortung für das Neugeborene zu überlassen, setzte jedoch ein Vertrauen voraus, das Ärzte dem mütterlichen Instinkt nicht bedingungslos bezeigten. Die stillende Mutter mußte natürlich von guter Gesundheit und angenehmem Temperament sein, aber auch vernünftig genug, eine bestimmte Ernährungs- und Lebensweise zu befolgen. Schließlich sollte sie ihre falsch verstandene übertriebene Zuneigung dem Kind gegenüber zügeln.
Trotz der Zweifel hinsichtlich der unvorsichtigen mütterlichen Liebe - Zweifel, die sich selbst in den Schriften von Erasmus und Montaigne finden, die gewiß von den Moralisten beeinflußt waren - erkannten die Ärzte, die am Ende der Renaissance die Bedeutung der physiologischen Interaktion zwischen dem Fötus und der Gebärmutter entdeckt hatten, der Mutter eine unersetzliche Funktion zu. Die Frau als Gebärerin wurde ihrer Unvollkommenheit enthoben durch den Auftrag, den die Natur ihr anvertraut hatte, und die Frauenheilkunde wurde zu einem geachteten Teilgebiet der medizinischen Kunst. Frauen zu behandeln bedeutete, sie bei ihrer schwierigen Aufgabe zu unterstützen und somit die Absichten der Natur voranzutreiben.

Eine göttliche Mission: Sühne für den Sündenfall

Während der Zeit der Gegenreformation diente die Medizin auch als Instrument religiöser Erbauung. In dem, was Jean Delumeau als »Pastorale der Angst» bezeichnete, war der Arzt manchmal wirksamer als der Priester. Waren die »Wüstlinge beiderlei Geschlechts« nicht eher abgeschreckt von Gefahren für ihre Gesundheit als von Vorwürfen im Namen der christlichen Moral? Die Aufgaben des Arztes und des Pfarrers ergänzten einander: Beide riefen den Geschöpfen ihre Sterblichkeit in Erinnerung, insbesondere den Frauen, die aufgrund der Erbsünde gezwungen waren, persönlich dafür zu büßen. In seinem Recueil alphabetique du prognostic dangereux et mortels, das für »Personen, die sich um die Seelen kümmern« verfaßt war, machte Col de Villars sich diese Ansicht zu eigen. In seiner Liste der Krankheiten, die die Anwesenheit eines Priesters erforderten, war der Geburtsvorgang unter den ersten, sicherlich aufgrund der alphabetischen Einordnung, aber auch aus medizinischen und religiösen Erwägungen heraus, denn seit dem fatalen Urteilsspruch gegen Eva bedrohten Schmerz und Tod alle Gebärenden.
Die Frau fand Erlösung in ihrer Aufgabe als Mutter, die zwar ihre Seele erlöste, nicht aber ihren Körper wiederherstellte. Deshalb war für den Abbe Dinouart, den französischen Herausgeber der Embryologia sacra, das Problem der Entscheidung zwischen Mutter oder Kind kein wirkliches Thema. Dem Arzt wird darin keine Wahl gelassen, er hatte in jedem Fall zugunsten des Kindes einzugreifen, da »die Mutter ihr Leben nicht behalten kann, ohne sich schuldig zu machen, wenn dies nur zu Lasten ihrer Leibesfrucht geschieht«[32]
Trotz ihrer humanistischen Grundhaltung und ihres erklärten Willens, jeglichem von außerhalb der medizinischen Profession kommenden Druck zu widerstehen, konnten Ärzte die ideologischen Implikationen ihrer Lehre nicht mehr länger ausblenden. In Abhandlungen über die Fortpflanzung des Menschen und über alles, was die Physiologie der Ehe betraf, mußte der moralische und soziale Nutzen ihrer Arbeit gerechtfertigt werden. Das 1685 von dem Arzt Nicolas Venette aus Rochelles veröffentlichte Tableau de l'amour conjugal considere dans l'etat de manage ist hierfür das beste Beispiel. Beim ersten Lesen scheint das Buch dieses »königlichen Professors der Anatomie« unmittelbar in der Tradition der naturalistischen Medizin am Ende der Renaissance zu stehen. Es war die Absicht des Autors, der körperlichen Liebe ihre Würde wiederzugeben, indem er sie von einer Moral der Schuldhaftigkeit befreite, aber ihr zugleich eine Disziplin auferlegte. Wie bei Guiseppe Liceti und bei Jacques Duval erfahren Aufbau und Funktion der Zeugungsorgane eine genaue Beschreibung, weil sie keine »schändlichen Teile« sind, sondern der Ort der »Liebeslust zwischen verheirateten Personen«. Ebenso wie Ambroise Pare führt Venette den Gatten in die erogenen Zonen des weiblichen Körpers ein. Und wie er liefert er den Frauen einige Tricks, die sie auf immer begehrenswert machen, ja  sogar  ihre  verlorene Jungfräulichkeit  vertuschen  sollen. Sowohl für Venette als auch für Pare war die sexuelle Kompatibilität eines Paares wesentlich für die Harmonie der Ehe. Venettes Äußerungen, die aus gängigen medizinischen Quellen schöpfen, liegt jedoch eine entschieden andere Motivation zugrunde. Er wußte, daß er denjenigen antworten mußte, die ihm Anstößigkeit in seinen Beobachtungen vorwerfen würden, weshalb er sein Anliegen geschickt auf die von der christlichen Moral vorgezeichnete Linie bringt. Obwohl sein Vorwort durch die Kühnheit seines Traktats dementiert wird, präsentiert sich Venette zunächst als Verbündeter der Theologen, Kasuisten und Juristen. Dabei verweist er auf den Nutzen seines Werks für verheiratete Männer und Frauen. Fast schon resigniert, beschreibt er darin die Gefahren, die Frauen drohen: »Das junge Mädchen wird von vornherein aufgeklärt über die Unordnung, die die Liebe verursachen kann, ohne sie zuvor an sich selbst verspürt zu haben; denn da das Band der Ehe unauflöslich ist, wäre zu wünschen, daß die jungen Mädchen, bevor sie heiraten, den Kummer und den Schmerz kennen, den man dabei erleidet.«[33]
Der unvergleichliche Erfolg des Tableau de l'amour, das in alle europäischen Sprachen übersetzt und bis ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder neu aufgelegt wurde, zeigt deutlich, daß Generationen von Lesern sich kaum beim Vorwort aufgehalten, vielmehr den toleranten Humanismus des Tableau zur Kenntnis genommen haben. Dennoch kündigen sich bei Nicolas Venette, der zwischen vorsichtiger Rhetorik und kühnen Ratschlägen laviert, die neuen Anforderungen an die Medizin an, die sie zu einem sozialen Instrument machen sollte.

Eine soziale Mission: Hüterin der Familie

Im 17. Jahrhundert hatten sich die praktizierenden Ärzte von den forschenden Biologen entfernt, deren Spekulationen nur wenig dazu beitrugen, die täglichen Schwierigkeiten ihrer Kunst zu bewältigen. Im Jahrhundert der Aufklärung konnten Mediziner noch leicht von den neuesten Hypothesen der Wissenschaft absehen, sie erhoben jedoch den Anspruch, einen kapitalen Beitrag für die reformerischen Ambitionen der Philosophen ihrer Zeit zu leisten. Der menschliche Körper war nun Teil eines größeren kohärenten Systems, nicht mehr des Makrokosmos, sondern einer etablierten sozialen Ordnung. Die organischen Funktionen, die individuelle Physiologie und der Geschlechtsdimorphismus wurden nach den Prinzipien einer sozialen Zweckbestimmtheit rationalisiert. Ärzte waren nun nicht mehr nur Spezialisten für Frauenkrankheiten, sondern für Frauen überhaupt, für junge
Mädchen, verheiratete Frauen, für Frauen der Gesellschaft. Denn die weibliche Natur - mochte sie ein Produkt der Zivilisation sein, wie Helvetius glaubte, oder eine ursprüngliche Gegebenheit, wie dies Rousseau annahm - war in jedem Falle im Kontext einer bestimmten sozialen Funktion zu verstehen.
Das Werk des Arztes und Philosophen Pierre Roussel, das im Jahre 1775 erschien und einen unmittelbaren und dauerhaften Erfolg erlebte, legt diese medizinische, soziale und moralische Definition der Frau am besten dar, die bereits im Titel angekündigt wird: Systeme physique et moral de la femme ou Tableau philosophique de la Constitution, de l'etat organique, du temperament, des moeurs et des fonctions propres au sexe. Roussel dachte sich wie Rousseau die Weiblichkeit als wesentlich von der Natur bestimmt und durch zweckorientierte organische Funktionen definiert: »Die Frau ist nicht nur an einer Stelle Frau, sondern in allen Aspekten, unter denen man sie betrachten kann.«[34] Die Vorherbestimmung der Frau erwies sich an besonderen körperlichen Anzeichen: Ihre zerbrechlichen Knochen, ihr breites Becken, ihr weiches Gewebe, ihr kleines Gehirn und ihre überreichlich vorhandenen Nervenfasern verdeutlichen, daß die natürliche Berufung der Frau die Mutterschaft im Rahmen einer geordneten häuslichen Existenz war. Ihre Pathologie ließe sich somit nicht mehr nur durch die Schwäche ihres Temperaments oder die unkontrollierbaren Eskapaden ihrer Gebärmutter erklären, sondern durch Verstöße gegen ihre Natur: Die Verderbtheit der Sitten, die Exzesse der Zivilisation bewirkten bei der Frau, die sehr viel sensibler sei als der Mann, eine seelische Erschütterung, eine physiologische Entgleisung, mithin eine Beeinträchtigung des ganzen Körpers, wie die Ätiologie der »vapeurs« und vor allem der Hysterie bewiesen habe. Roussel und allen anderen, die nach ihm an den gesellschaftlichen Auftrag der medizinischen Wissenschaft glaubten, ging es darum zu zeigen, daß das Unglück der Frau, ihre Laster und ihre Krankheiten aus dieser Ablehnung ihrer normalen und natürlichen Rolle herrührten. Raulin bewegte die Frage nach den Affections vaporeuses du sexe, Tissot beschrieb die Schrecken der Onanie, Bienville malte das Schreckgespenst der Nymphomanie an die Wand, Lignac schließlich drohte mit der Entartung der Gattung, wenn Männer und Frauen die Rolle mißachteten, die ihnen im Ehestand zukam.
Im Namen eines natürlichen Determinismus schloß das medizinische Denken die ideale Weiblichkeit in jene enge Sphäre ein, die ihr von der sozialen Ordnung zugebilligt wurde: Die gesunde und glückliche Frau war per definitionem Mutter und Hüterin der Tugenden und ewigen Werte.

Aus dem Französischen von Roswitha Schmid