Vor dem Schreiben kam das Sprechen, vor der literarischenSchöpfung die Konversation, das heißt der Salon. Warum? Weil der Salon einer der wenigen Orte war, der es Frauen gestattete, sich frei zu äußern. Es ist kaum von Bedeutung, daß der Begriff Salon selbst erst am Ende des 18. Jahrhunderts auftauchte; an dieser Stelle interessiert das Phänomen an sich. Adlige Frauen hatten natürlich immer die Möglichkeit gehabt, als Gastgeberinnen erlesener Kreise Männer und Frauen um sich zu scharen, deren hauptsächliche Beschäftigung die Konversation war, und, so sie dazu in der Lage waren, Sachgebiete vorzuschlagen, um das Gespräch in Gang zu halten bzw. auf ausgewählte Themen zu lenken. Uns sind die mittelalterlichen Minnehöfe [1] bekannt sowie die literarischen Zirkel der Renaissance; wir wissen, welche Bedeutung im 16. Jahrhundert die Gruppen um Margarete von Navarra und Margarete von Valois in Frankreich und die von Isabelle d'Este und Lucrezia Borgia in Italien hatten. (Im Gegensatz zu dem, was gemeinhin angenommen wird, zählte Lucrezia Borgias Intellekt weit mehr als ihre Liebschaften.)
Diese Tradition sollte sich fortsetzen. Es gab in Europa zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, und sogar danach, immer wieder literarisch gebildete Königinnen und Fürstinnen, die ihren Hof zu einem kulturellen Zentrum machten: Elisabeth von England, Christine von Schweden, die Herzogin Anna Amalia von Weimar etc., nicht zu vergessen so manche »Schattenkönigin«, Favoritin eines Königs, wie die berühmte Pompadour. Diese Frauen genossen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung zahlreiche Privilegien, durch die sie über alle Kritik erhaben waren.
Von einem Salon kann man erst von dem Augenblick an sprechen, als sich kulturelle Zentren auch außerhalb des Hofes, des Palastes oder Palazzos, in der Stadt und in privaten Häusern etablierten. Dieser Wandel fand in der Frühen Neuzeit statt, kann aber nicht in allen europäischen Ländern beobachtet werden. Denn der Salon war ein Ort, wo sich Menschen beiderlei Geschlechts begegneten - das machte seine Besonderheit und zugleich eine seiner wesentlichen Bedingungen aus. Daher konnte er nicht in Gegenden existieren, wo religiöse bzw. soziale Tabus schwer auf den Frauen lasteten. So gab es beispielsweise keine spanischen Salons, obwohl die spanische Kultur, zumindest in ihrer ritterlichen und höfischen Ausprägung, unter der man sie sich gemeinhin vorzustellen pflegte, auf die ersten Salons anderer Länder so großen Einfluß ausübte.
Beobachter stellten diese Unterschiede fest, und so sie Franzosen waren, beglückwünschten sie sich dazu, in einem gesellschaftlichen Klima zu leben, in dem das schöne Geschlecht nicht vollständig ausgeschlossen war und mit dem anderen in -ehrbarer Freiheit« (honnete liberte) verkehren konnte. Denn die gegenteilige Situation zeitigte lästige Konsequenzen. Um das Jahr 1630 entdeckte der Dichter Voiture in dem damals von Spanien beherrschten Brüssel, daß strenge Regeln den Frauen verboten, männliche Huldigungen anders als von ihrem Balkon aus entgegenzunehmen und dies zudem nur zu bestimmten Zeiten zuließen. Eine »ehrbare Konversation« war damit unmöglich und, was noch schlimmer war, es kam einem Dammbruch gleich, wenn man durch Zufall oder List sich doch noch ein Tete-a-tete erschlichen hatte. Männer, die nur selten bzw. kurz Gelegenheit haben, sich einer Frau zu nähern, gehen ohne Umschweife direkt auf ihr Ziel zu! In England, wo es eigentlich liberaler zuging, beklagten andere Beobachter den Brauch, der die Damen zwang, sich am Ende der Mahlzeiten zurückzuziehen, um die Männer beim Wein allein zu lassen, was freilich häufig eher die Zirkulation der Karaffe als die der Gedanken begünstigte. Aufgeschlossenen Geistern schienen Frauen somit im gesellschaftlichen Leben unabkömmlich zu sein, da sie diesem zu einem gewissen Ton verhalfen. Frauen selbst erwarteten von den Salons mehr als das Vergnügen, Männern zu begegnen und vielleicht galante Beziehungen anzuknüpfen. Es ist durchaus bezeichnend, daß der Eintritt eines jungen Mädchens in das gesellschaftliche Leben lange noch »entree dans le monde« (Eintritt in die Welt) genannt wurde, ein Überbleibsel aus der Zeit, von der hier die Rede ist. Frauen konnten damals die Welt der Kultur, deren Kenntnis ihnen von Familie, Schule und Kloster vorenthalten wurde, lediglich durch Kontakt mit gewissen gesellschaftlichen Kreisen kennenlernen. Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert erfüllten die gehobenen Kreise eine zivilisatorische Aufgabe. Wir wissen, daß in den großenfranzösischen Städten kaum die Hälfte der Frauen in der Lage war, eine Unterschrift zu leisten. In den Salons jedoch wuchs aus der Minderheit dieser Minderheit eine Elite heran. Wie hätte, ohne diese Elite, die Masse der Frauen ein Bewußtsein dessen, was ihnen fehlte und was sie erstrebten, erlangen können? Woher hätte in dieser Gesellschaft, die von Männern für Männer gemacht war, der Wandel kommen können, wenn nicht von den Frauen selbst?
»Ein Bündnis gegen den rauhen Umgangston«
Die Salons waren hervorragende Stätten der Bildung, nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer. Indem sie sich selber bildeten, erzogen die Frauen auch die vergnügungssüchtigen und rückständigen Männer, die glaubten, Frauen seien ausreichend unterrichtet, wenn sie das Bett ihres Ehemannes von dem eines anderen unterscheiden können, wie dies von einer damaligen Feministin unverblümt vorgebracht wurde. Es ist kein Zufall, daß die ersten Salons, die diese Bezeichnung verdienen, zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Frankreich auftauchen[2]: Fünfunddreißig Jahre Bürgerkrieg hatten sich verheerend ausgewirkt. Die Triebe hatten triumphiert, die Moral war im Untergang begriffen, die Unwissenheit hatte einen tragischen Gipfel erreicht und die Frauen waren die ersten Opfer dieser Entwicklung. Ein - wie Maurice Magendie [3] es nannte - »Bündnis gegen den rauhen Umgangston«, zu dem im weiteren Sinne auch die Salons gehörten, bildete sich heraus.
Die aus der Gegenreformation neu erstandene Kirche, die Restauration der Zentralgewalt sowie die Philosophen und Moralisten spielten eine Rolle in diesem großen Unterfangen der Erziehung oder vielmehr der Umerziehung der Franzosen. So verschieden die Motive und Methoden dabei waren, so lassen sie sich doch auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Die Menschen mußten lernen, ihre Triebe zu beherrschen oder sie zumindest zu mäßigen. Die zahlreichen didaktischen Werke, die den Typus des honnete homme [4] entwarfen, verbanden sittliche Regeln mit Anleitungen zur Gefälligkeit, zum Schreiben und zur Konversation, wie sie im übrigen auch durch die zahllosen Traktate über die Höflichkeit (civilite) geliefert wurden, die in jener Zeit und während des gesamten Jahrhunderts erschienen. Die Atmosphäre der Salons blieb völlig von diesem Ideal geselliger Höflichkeit durchdrungen, und Voltaire, Homme de lettres par excellence, bemerkte diesbezüglich, daß man zuerst Mann von Welt sein müßte, bevor man Literat würde.
Alle Traktate über Umgangsformen zählten die Achtung vor der Frau zu den zu befolgenden Regeln, aber in der romantisch-illusionären Welt der Salons mußte man etwas mehr an den Tag legen als bloße Achtung. Dadurch, daß den jungen Frauen ernsthafte Studien untersagt waren, waren sie auf das Lesen literarischer Werke angewiesen, obwohl gerade diese ihnen mehr als alle anderen verboten wurden. Aber ohne daß die Familie sich dessen bewußt war, wurden junge Mädchen geprägt durch das Phantastische, Wundersame und Illusionäre alter Volksmärchen, die ihnen von Ammen und Dienerinnen erzählt wurden. Wenn sie später als erwachsene Frauen mit der harten Wirklichkeit, tyrannischen Eltern, aufgezwungenen Ehemännern oder brutalen Liebhabern (so sie es wagten, sich einen Liebhaber zu nehmen) konfrontiert wurden, kam ihnen diese Vorliebe zugute. Manche nahmen ihre Romane, als Stundenbücher getarnt, sogar in die Kirche mit. Selbstverständlich handelte es sich hierbei um Romane, die von amourösen Abenteuern berichteten und dazu angetan waren, die eigene Traumvorstellung zu beflügeln. Die Helden der barbarischsten Zeiten und wildesten Regionen schmachteten und starben aus Liebe zu unerreichbaren Heldinnen, die selbst dann, wenn sie in die Hände von Barbaren fielen, deren vollkommener Hingabe sicher sein konnten.
Die zurechtgebogene Form von Idealismus, die diese Romane beherrschte, speiste sich aus einer langen Tradition, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch Honore d'Urfe mit seinem Roman Astree wiederbelebt worden war. Der internationale Erfolg der Astree war enorm. Mit den Mitteln der Tradition des Schäferromans, die Flucht aus dem Alltag verhieß - friedliche Hirten und Hirtinnen, die frei von materiellen Sorgen waren -, und dank seines charmanten Stils war es d'Urfe gelungen, die Botschaft des Neoplatonismus zu vermitteln: Liebe überwindet alle Hindernisse. Aber nicht jede Liebe taugt dazu, sicherlich nicht die begehrliche Liebe. Was wir auf der Erde in den Geschöpfen lieben, ist der Widerschein einer idealen himmlischen Schönheit, nach der sich unsere Seele sehnt, weshalb wir dunkel danach streben, uns wieder mit ihr zu vereinigen. Die Frauen fungieren als Vermittlerinnen zwischen dieser Welt der Ideen und der Welt der Körper. Sie sind den Männern Gefährtinnen, ohne deren Hilfe diese nicht zur reinen Liebe gelangen können.
Natürlich überstieg dieser Idealismus das Fassungsvermögen der meisten Leserinnen und Leser, von denen sich nur wenige zur platonischen Liebe bekehrten. Aber sie entdeckten in der Astree, besser als in allen Traktaten und Handbüchern, wie notwendig und schwierig es war zu gefallen. Sie schöpften daraus unvermutete oder zumindest in Vergessenheit geratene Köstlichkeiten des Gefühls, des Verhaltens und der Sprache. Die Liebe bot die vollkommenste Bildungsmöglichkeit, die Frau wurde zum Objekt der Eroberung, nicht mehr der Lust, und diese Eroberung konnte nur nach einem bestimmten Ritual erfolgen, dessen Forderungen von jetzt an mehr oder weniger aufrichtig respektiert wurden. In den Salons gesellte sich zur Höflichkeit die Galanterie, dieses bezaubernde gewisse Etwas, das nur mit Hilfe der Frauen erworben werden konnte, das sich aber bald auf das gesamte Verhalten einer Elite erstreckte. Galanterie wurde zum entscheidenden Merkmal dieser Elite, das sich bei jeder möglichen Gelegenheit offenbarte, so daß sogar Fenelon, einem Mann der Kirche, der über allen Zweifel erhaben war, »galantes Gebaren« bescheinigt wurde.
»Gastgeberinnen« und Salons
Woher kamen in einer so gearteten Gesellschaft die Frauen, die die ersten Salons gründeten? Was befähigte sie dazu, die Sitten, die Manieren und den Geschmack so nachdrücklich zu beeinflussen und den Männern klarzumachen, daß es keine Zivilisation gäbe, die dieses Namens würdig wäre, wenn sie ihnen, den Frauen, nicht den gebührenden, d. h. den ersten Platz einräumte? Es waren natürlich Pariserinnen, die durch ihre Herkunft und (oder) ihr Vermögen privilegiert waren und deren Ehemänner entweder besonders liberal oder abwesend bzw. tot waren; aber auch unverheiratete Frauen, wie Mademoiselle de Scudery, die keine Eltern mehr hatten, von denen sie in die Schranken gewiesen werden konnten. Diese Unabhängigkeit war zwar eine notwendige, jedoch keine ausreichende Bedingung. Diese Frauen mußten ein Minimum an Kultiviertheit erworben haben, und vom 16. bis zum 18. Jahrhundert waren die kultivierten Frauen diejenigen, die unbeirrt jede Chance auf Bildung ergriffen, die sich ihnen bot, indem sie sich ähnlicher Schliche bedienten, um an dieses Wissen zu gelangen, wie diejenigen, die eine Liebschaft zu verbergen suchten. Viele waren als junge Mädchen nur dadurch mit klassischer Bildung in Berührung gekommen, daß sie in einer Zimmerecke den Lektionen folgten, die ihren Brüdern erteilt wurden. Auf diese Weise hatte Madame de Brassac, die Gouvernante des jungen Ludwig XIV., Latein gelernt. Da sie aus eigenem Antrieb fortfuhr, Latein zu studieren, vermochte sie die Texte der römischen Autoren zu lesen sowie sehr viele andere gelehrte Werke, die damals allesamt in lateinischer Sprache erschienen.
Frauen aus protestantischen Familien hatten in dieser Hinsicht einen Vorteil gegenüber Katholikinnen: Ihr Vater konnte ein Mann der Kirche sein, der somit gebildet war, der alten Sprachen mächtig und eine Bibliothek besaß, aus der sie mit oder ohne Genehmigung ihre Lektüre beziehen konnten. Es ist erwiesen, daß in protestantischen Städten die Zahl der im Besitz von Privatleuten befindlichen Bibliotheken dreimal so hoch war wie in katholischen Städten. Sicher enthielten diese Bibliotheken in der Regel vor allem fromme Werke und heilige Schriften. Die Bibel aber, die für Protestanten Pflichtlektüre war, stellte eine unerschöpfliche Quelle keineswegs nur religiöser Themen für die Befriedigung weiblichen Wissensdurstes dar. Von daher rührt vielleicht die beträchtliche Zahl der gebildeten und sprachlich versierten jungen Mädchen, denen man seit dem 16. Jahrhundert in England begegnet und von deren mühelosen und kühnen Wortgefechten die Werke Shakespeares künden. Auch das Beispiel von Königin Elisabeth I. vermochte die Engländerinnen sicherlich dazu zu inspirieren, ihre geistigen Fähigkeiten zu entfalten. Nach deren Tod wurde das anders. Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts sollte es den Engländerinnen gelingen, Salons im französischem Sinne einzurichten, in denen man kein anderes Vergnügen suchte als das des Intellekts.
Das Modell des französischen Salons wurde von der Marquise de Rambouillet, Prototyp aller hotesses, etabliert. Sie besaß von Anfang an alle denkbaren Privilegien und vor allem eine sehr intelligente und gewandte italienische Mutter, die ihre Erziehung nicht vernachlässigte. Daher war sie zweisprachig und lernte später von sich aus Spanisch, um ihre literarische Bildung zu vervollkommnen. Die Marquise de Rambouillet verband die Qualitäten des Geistes mit denen des Herzens, war liebenswürdig und wohlwollend und pflegte einen regelrechten Kult der Freundschaft. Zu all diesen Vorzügen gesellte sich noch ein makelloser Ruf, der sich sicherlich auch damit erklären läßt, daß sie an ihrer Seite einen liebenden und sie bewundernden Ehemann wußte.
Ihr Salon war gewissermaßen ein Produkt der Umstände. Sie floh vom Hof Heinrichs IV., der ihr zu Recht zu grobschlächtig erschien. Da sie von zarter Gesundheit war, ertrug sie im übrigen weder das dort herrschende Gedränge noch den Tonfall. Später trug die Tatsache, daß ihr Mann unter Richelieu teilweise in Ungnade gefallen war, zu ihrem Rückzug bei.
Nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, zu Hause einen Hof nach ihrem eigenen Geschmack zu schaffen, begann Madame de Rambouillet mit der Ausstattung, der sie sich mit bis dahin nicht gekannter Sorgfalt widmete. In ihrem Stadthaus, dessen Pläne sie selbst entworfen hatte, war die Treppe nicht in der Mitte, sondern an der Seite angebracht, was eine für Empfänge günstige Zimmerflucht eröffnete. Eine andere Innovation, die nicht weniger Aufsehen erregte, war der Alkoven. Nicht daß Madame de Rambouillet ihn erfunden hätte. In denjenigen Räumen damaliger Wohnhäuser, die noch keine feste Bestimmung hatten, bildeten der Alkoven (ein durch Vorhänge abgeteilter Raum um das Bett) und die ruelle (ein Raum zwischen Bett und Wand) bereits eine private Enklave. Diese Orte der Intimität dienten nicht nur dem Schlaf, der Liebe oder dem Gebet, sondern auch der Unterbringung von Papieren, Büchern sowie von persönlichen und wertvollen Gegenständen in den dort angebrachten Wandschränken bzw. Tresoren. Madame de Rambouillet hatte einen besonderen Grund, ihren eigenen Alkoven zum Zentrum ihres Salons zu machen: Die seltsame Krankheit, unter der sie litt (eine Wärmeüberempfindlichkeit), untersagte es ihr, sich der Hitze des Feuers oder den Strahlen der Sonne auszusetzen. Wie sonst hätte man sich vor der schrecklichen Kälte schützen können, die in den Häusern des 17. Jahrhunderts herrschte, wenn man nicht, wie andere, in der Nähe des Kamins verweilen konnte?
Unter denjenigen Frauen, die damals einen Salon hatten, befand sich eine beachtliche Zahl kranker oder zumindest besonders krankheitsanfälliger Frauen, die hypersensibel waren und mehr als andere unter der Unbequemlichkeit ihrer Epoche und an tausend kleinen Beschwerden litten, die ihren rauhen Zeitgenossen mit robusterer Gesundheit unverständlich blieben. Madame de Sable war ebenso berühmt für ihren Intellekt wie wegen der für lächerlich gehaltenen Vorsichtsmaßnahmen, die sie ergriff, um Krankheiten zu verhüten.
Madame de Maure, ihre Freundin, litt ebenso wie sie an Schlaflosigkeit, und beide fürchteten sich so sehr vor einer Ansteckung, daß sie, auch wenn sie im selben Haus wohnten, nur über einen Boten von einem Zimmer zum anderen miteinander kommunizierten, wenn eine von ihnen an einem harmlosen Schnupfen litt. Madame de La Fayette lebte fast völlig abgeschlossen und wurde von manchen, die ihre Leiden nicht kannten, die sie elegant verschwieg, für »verrückt« gehalten, weil sie sich weigerte auszugehen. Bezeichnenderweise war sie eine der ersten, die an ihrer Kutsche Fensterscheiben anbringen ließ, so sehr hatte sie darunter gelitten, daß die Öffnungen der Türen lediglich durch Vorhänge vor Wind, Kälte und Regen geschützt waren.
Der Arzt du Boulbon bei Proust hätte von diesen Frauen behauptet, daß sie »dieser wunderbaren und beklagenswerten Familie angehörten, die das Salz der Erde ist«, der Familie der Neurotiker, von denen die
Welt »nie wissen wird, was sie ihnen verdankt und vor allem, was diese gelitten haben, um es ihr zu geben«. Proust dachte an die Künstler, an die schöpferischen Menschen, die litten, um zu schaffen. Aber war das Leiden derjenigen, die nicht schaffen konnten und sich mit dem Surrogat der Konversation begnügen mußten, nicht akuter? Die Hypersensibilität, die Allergien und Phobien von Madame de Rambouillet, Madame de Sable und vielen anderen haben vielleicht keine andere Ursache.
Räume und Ausstattungen
Daß eine Mode häufig aus der Notwendigkeit heraus entsteht, gerät schnell in Vergessenheit. Wenn auch die bürgerlichen Frauen des 17. Jahrhunderts die Gewohnheit annahmen, Gäste im Bett oder in ihrem Alkoven zu empfangen, so geschah das sicherlich, um es den großen Damen gleichzutun, und weniger, um sich vor Kälte und Ermüdung zu schützen. Auch wenn es sich nicht um ausgesprochene Prunkbetten handelte, so doch immerhin um monumentale Objekte, die mit Vorhängen und Schabracken verhangen und deren vier Pfeiler manchmal mit Federn gekrönt waren. Das restliche Mobiliar jedoch war bis ins 18. Jahrhundert hinein relativ karg und wenig abwechslungsreich: Tische, Truhen, Schränke, bei reicheren Leuten Kabinettschränke mit zahlreichen Schubladen und mit Einlegearbeiten aus kostbarem Holz oder Elfenbein. Zum Sitzen gab es Stühle und Klappstühle, und die damals aufkommenden Sessel hatten gerade und hohe Lehnen, die aber wie der Sitz gepolstert waren: ein großer Fortschritt gegenüber der caquetoire, diesem Vorläufer der Lehnstühle, die ihren Namen dem Umstand verdankte, daß die Frauen sich darauf niederließen, um zu schwätzen (caqueter, wie diese Art der Konversation zu Beginn des Jahrhunderts häufig bezeichnet wurde). Wie auf historischen Kupferstichen zu sehen ist, geht eine Atmosphäre geometrischer Steifheit von diesen Möbeln aus.
Madame de Rambouillet verstand es, die Ausstattung heiterer und luftiger zu gestalten. Manche dieser Feinheiten sind uns mittlerweile so vertraut, daß wir darüber vergessen, daß jemand sie zunächst erfinden mußte. So hatte sie beispielsweise den Einfall, ihre Möbel mit Nippes zu versehen und mit Vasen oder Körben frischer Blumen, die »den Frühling in ihr Zimmer brachten«, zu dekorieren. Diese Worte eines Zeitgenossen zeigen, wie entzückt die wenigen Erwählten waren, in ein Ambiente Einlaß zu finden, das sie nur unzulänglich zu beschreiben wußten, so neu erschien es ihnen. Madame de Rambouillet liebte die Natur. Da sie an deren Reichtum kaum teilhaben konnte, begnügte sie sich nicht damit, aus ihrem Fenster auf die Wiese zu schauen, die sie in ihrem Garten anlegen ließ, um sich den originellen Luxus leisten zu können, mitten in Paris Heu zu ernten. Sie wollte, daß in ihrem ganzen Haus der Frühling herrschte. Die Wände waren nicht mehr dunkel getäfelt oder mit Cordoba-Leder bespannt, sondern mit Stofftapeten, deren frische Farben denen der Blumensträuße entsprachen: Grün, Gold, Rot und für das Schlafzimmer der Hausherrin Azurblau (daher der Name »Blaues Zimmer«). Auf diesem leuchtenden Hintergrund brachte sie Gemälde und Porträts von lieben Freunden an, jedoch nicht, wie damals üblich, eng aneinandergereiht. Der sichere Instinkt einer Kennerin leitete die Wahl und die harmonische Anordnung der einzelnen Gegenstände: venezianische Vasen, chinesisches Porzellan, antike Marmorplastiken, Werke der Goldschmiedekunst, und das Ganze geschickt in Spiegeln reflektiert - eine Neuheit - und von Kristallüstern beleuchtet, deren Facetten das Licht der Kerzen dämpften und brachen, was ebenfalls neu war.
Ein Ort und seine Umgangsformen
Wer käme in einer solchen Umgebung auf die Idee, sich wie in einer Kneipe aufzuführen? Auch die poetischen Pseudonyme, die man anzunehmen pflegte, verliehen den Gesprächen eine galante Wendung. Wenn man sich Arthenice, Icas oder Leonide nennen läßt, dann konversiert und korrespondiert man nicht im gleichen Ton miteinander wie Pierre und Pierrette. Die Dichter, die in den Salons verkehrten, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts mittlerweile sehr viel angesehener waren als am Hof, trugen wesentlich zu dieser Entwicklung bei. Es war Malherbe, der für Madame de Rambouillet den poetischen Namen Arthenice aussuchte, der trotz seines hellenischen Klangs lediglich ein Anagramm ihres Vornamens Catherine war.
Auch anderweitig erwiesen sich die Dichter und Literaten als äußerst nützlich. Sie dienten den Damen als freiwillige Hauslehrer, sie lasen ihnen ihre Werke vor und lieferten Themen für ihre Konversation. Aber sie konnten aus dem Salon auch vertrieben werden, wenn sie sich nicht nach den dort aufgestellten Normen richteten. Dies betraf nicht nur ihre Umgangsformen, sondern auch ihre literarische Produktion, falls sie sich weigerten, ihren Stil und in gewissem Sinne auch ihre Denkweise zu reformieren. Malherbe, der in seiner Jugend satirische und obszöne Couplets geschrieben hatte, verurteilte nun die folgenden beiden Verse von Desportes:
O vent qui fais mouvoir cette divine plante.
Te jouant, amoureux, parmi ses Manches fleurs.
O Wind, der du diese göttliche Pflanze bewegst
Und verliebt mit ihren weißen Blüten spielst.
»Das ist unanständig,« ruft er aus, »jeder weiß genau, was ich meine.« Jeder? In Wahrheit muß man schon eine sehr ausgeprägte Phantasie besitzen, um in diesem Distichon etwas Unanständiges zu entdecken. Aber das war genau die Geisteshaltung, die die Zeitgenossen Malherbes hatten und die Malherbe selbst eigen gewesen war, bevor er sicheines besseren besann.
Nicht weniger signifikant sind die Skrupel Corneilles. Der große Mann hatte freizügige Äußerungen nie gescheut. Und was schreibt er im Examen de Polyeucte (dem Polyeucte, dessen erste Lesung im Salon der Madame de Rambouillet stattfand)? »Wenn ich die Geschichte von David und Bathseba darzustellen hätte, so würde ich nicht beschreiben, wie er sich in sie verliebte, als er sie beim Bade sah, aus Angst davor, daß der Eindruck dieser Nacktheit die Vorstellungskraft des Zuhörers kitzeln könnte, sondern ich würde mich damit begnügen, ihn voll Liebe für sie zu beschreiben, ohne in irgendeiner Weise davon zu sprechen, wie diese Liebe sein Herz ergriffen hatte.«
Man kann das bedauern. Sicherlich hatte diese Selbstzensur, im Verein mit der äußeren Zensur, die Richelieu der französischen Bühne auferlegte, um »unehrenhafte Handlungen und laszive Reden« zu untersagen, auch ihr Gutes, da sie die sogenannte klassische Tragödie hervorbrachte und der Sittenkomödie dazu verhalf, über die Farce zu triumphieren mit dem Ergebnis, daß es den Damen erlaubt war, das Theater zu besuchen und damit Zugang zu einer Form von Kultur zu erlangen. Andere Formen der Dichtung allerdings litten unter diesen Zwängen. Dadurch, daß sie sich den Imperativen des Salons anpaßte, ging der französischen Lyrik viel verloren, und dies auf lange Sicht. Wenn Autoren fürchten, die Vorstellungskraft der Zuhörer und vor allem die der Zuhörerinnen durch allzu konkrete Bilder zu »kitzeln«, wenn jegliche Form der Sinnlichkeit vermieden wird, bleibt das Geschriebene abstrakt, weltfremd, verkümmert - und verliert dadurch seine Glaubwürdigkeit. Den Dichtern bleibt dann nur noch, das abhandengekommene Gefühl mittels ingeniöser Imagination zu ersetzen. Das Ergebnis ist dann eine Kultur der Schöngeister und züchtigen Madrigale; eine Zivilisation, die durch La Guirlande de Julie symbolisiert wird, einer Sammlung von zweiundsechzig Stücken, die Julie d'Angennes, der ältesten Tochter Madame de Rambouillets, von Montausier gewidmet wurde, der vierzehn Jahre lang um sie warb.
Kann man es den Salons vorwerfen, die Kunst der Liebe ohne Liebesspiel befürwortet und kultiviert zu haben? Solche Lektionen waren notwendig für Leute, die sich nicht vorzustellen vermochten, daß ein poesievollerer Umgang im Liebesleben Wunder wirken konnte. Wenn Galanterie meint, jede beliebige Frau wie die Frau, die man liebt, zu behandeln, so ist das wesentlich angebrachter, als die Frau, die man liebt, wie jede beliebige andere zu behandeln. Die ersten Frauen, die einen Salon führten, hatten eine Pioniertat vollbracht: Es war ihnen gelungen, impulsive, soeben von den Schlachtfeldern zurückgekehrte Krieger, die lange Zeit hatten auf Frauen verzichten müssen, so zu zähmen, daß diese an der Bettkante haltmachten, ohne sofort über die Objekte ihrer Begierde herzufallen. Sie wiesen diesen Männern den Weg vom Schlafalkoven zum Konversationsalkoven.
Die Precieuses: Der Drang nach Wissen
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden immer mehr Salons, zumindest in Frankreich, im Zuge der Mode und des Aufstiegs der Geldbourgeoisie. Selbst wenn sich dabei ihr Charakter nicht veränderte und sie auch weiterhin als Orte der Begegnung zwischen Männern und Frauen der guten Gesellschaft fungierten und als Stätten des Geistes verstanden wurden, so wehte der intellektuelle Wind nicht gleichermaßen stark in dieselbe Richtung. Der wissenschaftliche Fortschritt brachte immer neue Sensationen mit sich. Bereits 1662 schrieb Bossuet: »Der Mensch hat nahezu das Gesicht der Welt verändert.« Das stimmte seit Galilei, Kepler und Descartes, ganz zu schweigen von Pascal, von dem erst einige Experimente und sein polemisches Talent bekannt waren. Da die Universität, die sich hinter Dogmatismus und Hochmut verbarrikadierte, feindselig alles verwarf, was den sakrosankten antiken Autoren widersprach - das heißt jedwede neue Entdeckung -, waren es die privaten Kreise, die den kritischen Geist kultivierten, die neuen Theorien kommentierten, deren Begründer aufnahmen und protegierten. Hinzu kam für Frauen der Reiz der verbotenen Frucht, da sämtliche im engen Sinne wissenschaftlichen Disziplinen gewöhnlich von ihnen ferngehalten wurden. Noch am Ende des Jahrhunderts schrieb Fenelon an eines seiner Beichtkinder: »Lassen Sie sich nicht von den teuflischen Reizen der Geometrie betören.« Denn auch die Geometriker wurden jetzt in den Salons empfangen, ebenso wie die Physiker, Mediziner und Astronomen. Philaminte aus den Gelehrten Frauen von Moliere, die bei sich zu Hause ein Teleskop installieren läßt, gibt lediglich einer neuen Modewelle nach. Selbst vor der Chemie schreckten die Damen nicht zurück und wagten sich sogar in die Laboratorien - in Paris in das des berühmten Nicolas Lemery, welches aber, wie Fontenelle beschreibt, »weniger ein Zimmer als ein Keller war, und fast eine magische Höhle, nur durch das Licht der Kocher beleuchtet«.
Aber letzlich blieben die Literatur, die Sprechkunst sowie die hehren Gefühle das Hauptinteresse der Salons und bildeten den gemeinsamen Hintergrund für die Konversation. Diese Themen dominierten im Kreise derjenigen, die man seit 1654 die Precieuses nannte, da sie, wie man glaubte, Dingen einen Wert zuerkannten, die keinen hatten, angefangen mit ihnen selbst. Das war natürlich Ausdruck männlicher Ironie, die die genauen Umstände nicht in Betracht zog.
Die Fronde, die zu Ende ging, als die Precieuses auftauchten, hatte dem Idealismus der Salons einen harten Schlag versetzt. Vier Jahre Bürgerkrieg wirkten sich zwar weniger verheerend aus als fünfunddreißig Jahre Krieg im Ausland, und nicht alles mußte von vorn begonnen werden, wie etwa noch am Anfang des Jahrhunderts. Aber die guten Manieren mußten wiederhergestellt werden, denn der Adel, der in diesem Abenteuer viele Illusionen verloren hatte, legte einen gewissen Zynismus an den Tag. Auch wenn es stimmte, daß Frauen, vor allem Angehörige des Hochadels, während der Fronde eine bedeutende Rolle gespielt hatten, so war diese Rolle für sie doch verhängnisvoll gewesen. Sie hatten geglaubt und auch glauben machen wollen, daß sie, indem sie ihre Männer dazu ermutigten, gegen die Zentralgewalt zu kämpfen, und manchmal sogar selbst zu den Waffen griffen, wie Romanheldinnen handelten. Aber sie verteidigten lediglich ihre materiellen bzw. Standesinteressen gegen den übergeordneten Willen des Staates, und in sehr vielen Fällen genügte es dem geschickten Mazarin, einige Säcke Gold in ihre gierigen Hände zu werfen, um sie wieder zur Vernunft zu bringen. Derselbe Mazarin sagte auch: »Diejenige Person, die heute ein Königreich weise regieren würde, wird morgen zu einem Herrn, den man nicht über zwölf Hennen regieren ließe.« Denn unsere Heldinnen hatten auch die allgemeine Verwirrung dazu genutzt, ihren Gelüsten zu frönen und den Anstand mit Füßen zu treten, ohne sich um ihr Ansehen zu kümmern. Es galt daher, dieses Ansehen wiederherzustellen, das Recht der Frau auf Wertschätzung, ja auf Verehrung, und natürlich auf Unabhängigkeit und Wissenserwerb zu bekräftigen. Wir müssen die späteren Konnotationen des Begriffs Preziosität (preciosite) vergessen. Historisch gesehen handelt es sich hierbei um eine Erscheinungsform der feministischen Bewegung. Die Precieuses verspürten in den Jahren nach der Fronde das Bedürfnis und die Pflicht, auf eine Situation zu reagieren, die die prekären Errungenschaften ihrer Vorgängerinnen bedrohte. Vielleicht weil die Frauen im allgemeinen kühner geworden waren und weil die Precieuses zumeist aus unterschiedlichsten Kontexten stammten, was sie sowohl verletzlicher als auch kämpferischer als etwa eine Vertreterin des Hochadels wie beispielsweise die Marquise de Rambouillet erscheinen ließ, gelangte diese Reaktion mit einer nie gekannten Heftigkeit zum Ausdruck.
Als erstes wurde die gesellschaftliche und sexuelle Versklavung der Frau ins Visier genommen: »Man heiratet, um zu hassen. Deshalb darf ein richtiger Liebhaber nie von Heirat sprechen, weil Liebhaber zu sein bedeutet, geliebt werden zu wollen, und Ehemann werden zu wollen bedeutet, gehaßt werden zu wollen.« (Mademoiselle de Scudery) Oder: »Ich war ein unschuldiges Opfer, das unbekannten Motiven und obskuren Interessen des Hauses geopfert wurde, aber geopfert wie eine Sklavin, gefesselt und geknebelt (. . .). Man bestattet mich, oder vielmehr man begräbt mich lebendig im Bett des Sohnes von Evandre.« (La Precieuse von Abbe de Pure) Was die Mutterschaft betrifft, diese »Wassersucht der Liebe«, so machten die Preziösen zu deren Verhütung den Vorschlag, die Ehe von Amts wegen bei der Geburt des ersten Kindes aufzulösen und dieses dem Vater zu überlassen, der der Mutter dafür eine Prämie in Bargeld zahlen sollte. Und warum auch nicht, da die meisten Männer nur heirateten, um ihre Nachkommenschaft zu sichern, und dabei vergaßen, daß die Frauen, indem sie Leben schenkten, häufig den Tod riskierten? In ihrem Bestreben, die idealistischen Vorstellungen wiederzubeleben, die sich so günstig auf das weibliche Geschlecht ausgewirkt hatten, stellten die Precieuses Herzensdinge über alle anderen Interessen:
Dans un lieu plus secret on tient la precieuse
Occupee aux lecons de morale amoureuse,
La se fönt distinguer les fiertes des rigueurs,
Les dedains des mepris, les tourments des langueurs;
On y sait demeler la crainte et les alarmes,
Diseerner les attraits, les appats et les charmes . . .
Et toujours on ajuste a l'ordre des douleurs
Et le temps de la plainte et la saison des pleurs.An einem geheimen Ort hält man die Preziöse
beschäftigt mit Lektionen der Liebesmoral,
dort lernt sie die stolze Zurückweisung,
die Verachtung und die Qualen der Sehnsucht.
Dort weiß man Angst und Furcht zu unterscheiden,
die Verlockungen und Reize und den Charme zu erkennen.
Und immer richtet man nach seinem Schmerz
sowohl die Zeit der Klagen wie die Saison der Tränen aus.
Saint-Evremonds Spott ist nicht boshaft, und obwohl er nur die Auswüchse jenes Phänomens gesehen hat, hilft er uns zu verstehen, wie die Franzosen die Liebespsychologie zu ihrer Spezialität machen konnten. Aus den »Seelenzergliedeningen«, den »Liebesfragen«, denen sich die Precieuses mit Leidenschaft hingaben, entstand nicht nur die carte du tendre [15] auch Meisterwerke waren davon beeinflußt. Um Za'ide und La Princesse de Cleves schreiben zu können, bedurfte es gewiß des Genies, der Scharfsichtigkeit und der tiefen Verzweiflung einer Madame de La Fayette, jedoch mußte man auch in den Salons verkehrt, dort seinen Geschmack verfeinert und seinen Geist geübt haben. Abgesehen davon, daß man eben nur dort den zeitgenössischen Theoretikern, Grammatikern und Schöngeistern begegnete, die den noch unerfahrenen Autorinnen dabei behilflich sein konnten, ihre romanesken Verwicklungen zu konzipieren, ihre Syntax und ihren Stil zurechtzubiegen.
Und was das gängige Vokabular der Precieuses betrifft, so hat nach so vielen ausgezeichneten Arbeiten zum Thema heute keiner mehr das Recht zu glauben, sie hätten gemeinhin so gesprochen, wie dies die Satiriker behaupteten. Mademoiselle de Scudery, die Repräsentantin der Precieuses in der Literatur, hat nie die Augen »Spiegel der Seele« genannt, die Füße »liebe Leidende«, die Brüste »Liebeskissen«, einen Spiegel »den
Ratgeber der Anmut«, die Sitze »Bequemlichkeiten der Konversation«. (Manche dieser Metaphern waren bereits lange vor ihr gebräuchlich und drückten im übrigen auf nette Weise das aus. was sie meinten). Es ist allerdings richtig, daß die Precieuses Jagd machten auf schlüpfrige oder, um ein von ihnen lanciertes Adjektiv zu gebrauchen, »obszöne« Wörter. Dabei verurteilten sie sämtliche Ausdrücke, die gemeine physiologische Realitäten evozierten: crotter, lavement, etreen coucbe(beschmutzen. Einlauf, im Wochenbett liegen). Sie weigerten sich, das Verb aimer (lieben)
sowohl auf materielle als auch auf geistige Dinge anzuwenden: man liebt (aimer) seine Maitresse, aber man genießt (goüter) eine Melone. Sicherlich waren einige von ihnen zu geziert und trieben die Prüderie etwas zu weit, und einige Provinzlerinnen - es gab jetzt auch in der Provinz Salons - neigten vielleicht dazu, unterschiedslos ein poetisches Vokabular zu verwenden. an das sie nicht gewöhnt waren, aber das ist nebensächlich. Was man in Wirklichkeit den Precieuses vorwarf, war nichts anderes als das, was man seit jeher allen Frauen, die sich mit Sprache beschäftigten, vorwarf: nämlich in erster Linie, daß sie sich überhaupt einmischten. Am Wendepunkt des 17. Jahrhunderts wurde der allgemeine Tonfall allerdings schärfer. Die Precieuses wurden beschuldigt, »dem alten Stil den Krieg zu erklären«. Das traf genau den Punkt, und sie hielten sich dies auch zugute in dem Bewußtsein, als Feministinnen und auch als »Moderne« zu handeln, indem sie pedantische, veraltete und technische Wörter verwarfen. Den Precieuses zufolge stellten diese den eigentlichen Jargon dar und nicht ihr eigener Stil bzw. der weibliche Stil allgemein, in dem sie das zu finden glaubten, was sie EinfallsreichtLim und Freiheit nannten; anders gesagt: eine glückliche und echte Spontaneität - Qualitäten also, die Mademoiselle de Scudery vor allen anderen an Madame de Sevigne zu schätzen wußte. Woher kamen solche Qualitäten? Daher, daß der Geist der Frauen nicht »durch fremde Begriffe verstellt« noch durch »Prinzipien des Wissens« verbraucht war. Auch Claude Favre de Vaugelas dachte nicht anders, als er 1647 in seinen Remarques sur la langue francaise schrieb, daß es »in den Zweifelsfällen der Sprache besser ist, die Frauen zu fragen und diejenigen, die nicht studiert haben (. . .) weil sie geradewegs das aussprechen, was sie zu sagen oder zu hören gewohnt sind«. Damit wurde das Pech der Frauen, die von der Unterrichtung des Lateinischen ausgeschlossen waren, zu einem Glücksfall - Ironie der Geschichte - in einer Zeit, als die Volkssprache in den Adelsstand erhoben wurde, als Descartes seinen Discours de la methode auf Französisch schrieb (welch innovatives Konzept für einen Philosophen!), damit, wie er sagte, auch die Frauen ihn verstehen könnten.
Aber solche Neuerungen sind das Markenzeichen großer Männer, die Mehrzahl der Kleingeister billigte sie keinesfalls. Weil er vorschlug, in den sprachlichen Zweifelsfällen die Frauen zu Rate zu ziehen, wurde Vaugelas verlacht. Sein Ansinnen stieß auf heftige Ablehnung, die um so abwegiger war, als sie sich auf eben die Argumente berief, die er gerade verworfen hatte: Wie sollten die Frauen den richtigen Sprachgebrauch kennen, wenn sie mit den Regeln der Rhetorik, der Grammatik, der lateinischen und griechischen Sprache und damit den Grundlagen der Etymologie nicht vertraut waren, die allein es erlaubten, den Sinn und die Reichweite all der Wörter zu erfassen, die diesen alten Sprachen entlehnt waren?
Damit wird deutlich, daß jener Streit weit über die sprachlichen Belange hinausging. Er betraf auch die Weitergabe und Verbreitung von Wissen. Sollte sie das Privileg der Gelehrten bleiben? Nein, entgegneten die Precieuses und mit ihnen alle Frauen, die nach Kultur hungerten. Wissen konnte und mußte allgemein verfügbar und der gesitteten Gesellschaft zugänglich gemacht werden. Das bedeutete, die Ansprüche der pedants zu entmystifizieren, die das sehr übel nahmen. Die Kritik, mit der die Precieuses seit dreihundert Jahren reichlich bedacht werden, ist zu einem guten Teil nur auf die seitens der pedants gegen sie gerichtete gehässige Kampagne zurückzuführen. Bereits 1640 war Francois de Grenaille in seinem Werk L 'honneste fille ausgiebig über die Frauen hergezogen, die sich nicht damit begnügten, »in den Gesellschaften zu herrschen«, sondern auch über Schriftsteller herrschen wollten. Es mochte noch angehen, daß sie über Romane und modische Komödien debattierten, sich über die drei Einheiten der Tragödie ausließen, aber sie überspannten ganz entschieden den Bogen, wenn sie »Ansichten über die ausgefallensten Themen« zu haben glaubten, diese zum »Spielzeug« ihres Kreises machten und behaupteten, daß »jedes Werk, das erscheint, noch nicht das sei, was man daraus machen könnte.« Und was, meinten sie, sollte getan werden? »Die allgemeine Politik aller Völker, einen Kurs über die Philosophie aller Jahrhunderte, die allgemeine Geschichte aller Dinge in einem einzigen Band und in einem einzigen Buch alle Geheimnisse der Kunst und der Natur.
Der Stil sollte rein und gehoben sein, die Gedanken subtil und allgemein verständlich, das Ganze zusammenhängend und von einigen angenehmen Abschweifungen unterbrochen.«
Dieses enzyklopädische Ansinnen, so wenig realistisch es scheint, ist gerade deshalb so anrührend, weil es zeigt, wie begierig die Frauen waren, etwas zu lernen. Grenaille macht sich zu Unrecht über den Inhalt lustig und über die Art und Weise, in der die Frauen Wissen zu erwerben suchten. Es ging keineswegs darum, die ganze römische Geschichte in Madrigale zu fassen, wie Moliere in den Lächerlichen Preziösen seinen Mascarille sagen läßt, sondern darum, populärwissenschaftliche Bücher zu schreiben, die einfach, klar und - warum auch nicht? - »von einigen angenehmen Abschweifungen unterbrochen« sein sollten, trotz des Widerwillens, den Grenaille bei einer derartigen Vermischung der Genres empfunden haben mochte. Die Frauen verfügten nicht über einen ausreichenden Bildungsstand, um sich unverdauliche Kompendien einzuverleiben und den Stil der Gelehrten zu verstehen, die, selbst wenn sie nicht auf Lateinisch schrieben, daraus zu übersetzen schienen. Philaminte aus den Gelehrten Frauen hat völlig recht, wenn sie »das, was man woanders trennt, zusammenbringen, die schöne Sprache und die hohen Wissenschaften vermischen« will. Der einzige Irrtum in ihrer Begeisterung einer Neubekehrten bestand darin, sich von Scharlatanen und falschen Stilisten täuschen zu lassen.
Man mag bedauern, daß Moliere in den Gelehrten Frauen wie in den Lächerlichen Preziösen sich mit Karikaturen begnügte, obwohl er durch die Schauspielerinnen, die sein Leben teilten, wußte, daß auch Frauen von bescheidener Herkunft fähig waren, sich zu bilden und Schönheit zu würdigen. Sicherlich wollte er die Leute in erster Linie zum Lachen bringen, das war sein Beruf. Dennoch lieh er den pedants seine Stimme und sein Talent, um Frauen lächerlich zu machen, die sich entwickeln und emanzipieren wollten. Emanzipation war nicht ohne Bildung möglich, und es ist das Verdienst der Feministinnen des 17. Jahrhunderts, besonders der Precieuses, beides immer im Zusammenhang gesehen zu haben. Man hätte das vielleicht eher verstanden, wenn sie selbst es besser vermittelt hätten. Leider waren ihre Schriften ihren ambitionierten Zielsetzungen nicht gewachsen.
Das Wagnis des Schreibens
Tatsächlich muß festgestellt werden, daß der überwiegende Teil der literarischen Produktion von Frauen sich vor dem 19. Jahrhundert zumeist auf mittelmäßigem Niveau bewegte. In erster Linie deshalb, weil bestimmte Gattungen den Frauen nicht zugänglich waren. Wie hätten sie, auch mit Hilfe der Salons, sich Wissenschaft und Philosophie in ausreichendem Maße aneignen können, um ihrerseits darüber zu schreiben? Die wenigen, die dies vermochten, wie Anna Maria von Schurmann in Utrecht, wurden wie seltsame Wesen bestaunt. Es ist kein unwesentliches Detail, daß diese gelehrte Frau nicht von einem Ehemann abhängig war, was auf eine andere, eigentlich die größte Schwierigkeit verweist, der schreibende Frauen begegneten. Um veröffentlichen zu können, war es notwendig, daß sie niemanden zu schonen und keine gesellschaftliche Stellung zu wahren brauchten. Man erlaubte ihnen gerade, über das zu schreiben, was man ihnen auch zu lesen gestattete, nämlich fromme und moralisierende Traktate. Ich spreche hier nicht von den Frauen, die ihr Leben Gott geweiht hatten und denen es gelang, in dem ihnen zugebilligten engen Rahmen von ihrem Glauben und ihrer Spiritualität Zeugnis abzulegen. Wie aber hätten Frauen, die in der Welt lebten, sich damit begnügen sollen, Andachtsbücher, orthodoxe Traktate über Mädchenerziehung oder Bücher mit moralischen und praktischen Ratschlägen für andere Frauen zu schreiben? Wenn sie sich jedoch über dieses Metier hinauswagten, gerieten sie in Mißkredit. Nie hätte Mademoiselle de Gournay zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit Vehemenz die ungerechte Situation der Frau anzuprangern vermocht, wenn sie nicht bereits eine an den Rand der Gesellschaft gedrängte »alte Jungfer« gewesen wäre, die nichts zu verlieren hatte. Am anderen Ende der sozialen Hierarchie hingegen wurde es der Herzogin von Newcastle nachgesehen, daß sie das Banner des Feminismus schwang und sich mit Philosophie befaßte, eben weil sie Herzogin war. Dies allerdings nur für kurze Zeit, denn ihre Dreistigkeit schockierte auf Dauer, so daß sie ihren Lebensabend einsam auf ihren Schlössern fristete. Bemerkenswert ist, daß nicht nur Männer darüber schockiert waren, daß Frauen Schriften zu veröffentlichen wagten. Als sehr viel später, im Jahre 1771, Sophie von La Roche, eine Deutsche der guten Gesellschaft, einen erfolgreichen Roman geschrieben hatte, mutmaßte Frau Rat Goethe, die Mutter des Dichters, über sie, daß sie den Verstand verloren haben müßte und ihre Kinder ins Unglück stürzen würde. Erschwerend hinzu kam, daß Sophie als gebildete und intelligente Frau keine solche Verrücktheit hätte begehen dürfen.
Natürlich schrieben Frauen sehr viele Briefe, aber diese Briefe waren nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Die Briefe Madame de Sevignes gingen zwar von Hand zu Hand, ohne jedoch eine ausgewählte Leserschaft zu verlassen. Etwas anderes war es, sich als Autorin eines gedruckten Werkes zu erklären. »Sich in den Bibliotheken zu begegnen«, so Madame de Sevigne, oder, schlimmer noch, bei Buchhändlern, hieß nicht nur, die Regeln der Schicklichkeit zu verletzen, sondern auch, sich gegen den eigenen Stand zu vergehen. Daß wir heute die Briefe Madame de Sevignes oder diejenigen der portugiesischen Nonne lesen können, ist fast schon ein Glücksfall, den wir ihren Adressaten zu verdanken haben, die im ersten Fall guten Geschmack und im zweiten eine gewisse Eitelkeit bewiesen, die sie dazu veranlaßten, die Briefe aufzubewahren.[8] Wahrscheinlich gingen viele andere Meisterwerke der Briefkunst aufgrund der Nachlässigkeit ihrer Empfänger oder, wenn es sich um Memoiren oder Tagebücher handelte, aufgrund des Wunsches derjenigen, die sie verfaßt hatten, verloren.
Lady Mary Wortley Montagu war eine der schillerndsten Frauengestalten im England des 18. Jahrhunderts. Da sie jedoch häufig geäußert hatte, eine Frau bzw. ein Mann von Stand dürfte nicht veröffentlichen, fühlte ihre Tochter sich nach deren Tod dazu ermächtigt, ihr Tagebuch zu verbrennen.
»Schreiben heißt, die Hälfte seines Adels zu verlieren«, stellt Mademoiselle de Scudery fest, die aus diesem Grund ihre ersten Romane unter dem Namen ihres Bruders veröffentlichte. Und sie hätte das vielleicht auch weiterhin getan, wenn sie keinen Erfolg gehabt und die Not sie nicht dazu getrieben hätte. Fast immer aus einer Notlage heraus fanden sich Frauen in anderen Ländern damit ab, »Professionelle« zu werden.
Somit ist es verständlich, daß viele schreibende Frauen anonym blieben oder sich hinter einem Pseudonym versteckten. Sogar Madame de La Fayette, die sich aufgrund der Erhabenheit dessen, was sie schrieb, durchaus für berechtigt hätte halten können, sich als Autorin der Princesse de Cleves zu bekennen, tat dies nur hinter vorgehaltener Hand und erst am Ende ihres Lebens gegenüber einem intimen Freund. Wieviele Werke finden sich wie die ihrigen in den Katalogen der Buchhändler, deren Autorinnen lediglich als »eine Dame (oder eine Lady) von Stand« verzeichnet sind.
Diese zur Anonymität verurteilten Damen kannten nicht mal die Verlockung des Ruhms, die sie bei ihrer Arbeit hätte anspornen können; selbst die Hoffnung auf späten Ruhm, die Autoren gewöhnlich auch unter schwierigsten Bedingungen bei der Stange hält und für zahlreiche Entbehrungen entschädigt, mußten sie sich versagen. Insbesondere Frauen nahmen ihrer schriftstellerischen Tätigkeit zuliebe unendliche Risiken und Beschränkungen auf sich. Seit jeher gelang es Frauen weniger als Männern, der Last des Alltags zu entrinnen, und so sie nicht auf Ehe und Mutterschaft gänzlich verzichten wollten, mußten sie den größten Teil ihrer Zeit dem Ehemann, dem Haushalt und der Familie widmen. Zudem gab es die Gefahren damals allgegenwärtiger oft unheilbarer Krankheiten und. wie die Precieuses andeuten, ohne ins Detail zu gehen, den Fluch der Frauenleiden, die gemeinhin auf wiederholte Schwangerschaften, Fehlgeburten, Abtreibungen sowie Syphilis zurückzuführen waren. Das betraf natürlich die Frauen allgemein, aber schreibende Frauen waren dadurch mehr als die anderen eingeschränkt: Wie sollte man sich auf das Schreiben konzentrieren, wenn man an allen möglichen Gebrechen litt? Wenn die Ehemänner erfolglos waren oder vorzeitig starben, kam zu dieser Misere noch die Aufgabe hinzu, das Familienerbe zu sichern - ein gewaltiges Unterfangen, auf das die Frauen keineswegs vorbereitet wurden. Nicht etwa weil sie raffgierig waren, gingen damals so viele Frauen vor Gericht. Vielmehr versuchten sie, kraft ihres Willens, ihrer Klugheit und ihrer Fähigkeiten, dies alles zu bewältigen, wie beispielsweise Madame de La Fayette, die man beschuldigte, eigennützig zu handeln, da sie während sie die Interessen ihrer Familie verteidigte - gleichzeitig ihre Romane schrieb. In einer Bemerkung, die sie als Witwe am Ende ihres Lebens an Gilles Menage schrieb, rechtfertigt sie sich: »Ich bewundere mich manchmal ganz alleine (...) Finden Sie mir eine andere, die ein Gesicht wie das meinige hat, schöngeistige Neigungen, wie Ihr sie mir eingabt, und so viel für ihr Haus getan hat.«[9] Ein melancholischer Augenblick von Selbstzufriedenheit, in dem das Bedauern laut wird, dem »Haus« einen Teil des eigenen Glücks geopfert zu haben, das Schönheit und Talent versprachen.
Wenigstens hinterließ Madame de La Fayette ein Werk, und sie erlebte noch zu ihren Lebzeiten die, wiewohl geheime, Genugtuung, daß dieses Werk von den besten Köpfen ihrer Zeit geschätzt wurde. Wieviele andere Frauen verzichteten, erschöpft und entmutigt, auf literarische Betätigung und jedes andere kulturelle Unterfangen noch bevor sie beweisen konnten, was sie zu leisten vermochten! So um das Jahr 1750 Luisa Bergalli in Venedig, obzwar sie einem »freieren« Milieu angehörte, dessen Angehörige sich mehr oder weniger der Literatur bzw. den Künsten widmeten. Aber indem sie für die Bühne schrieb und eine Theatergruppe gründete, kam sie ihrem Schwager, Carlo Gozzi, einem bekannten Dramatiker, ins Gehege und zog sich dessen Feindschaft zu. Außerdem brachte sie fünf Kinder zur Welt, das Geld wurde knapp, ein Prozeß folgte dem anderen, ihr depressiver Ehemann unternahm einen Selbstmordversuch. Luisa gab schließlich jegliche Ambitionen auf und verfiel in jenen Zustand, den man damals Melancholie nannte, woran sie auch starb.
Jane Austen war mit Problemen anderer Art konfrontiert. Als sie sich Ende des 18. Jahrhunderts ernsthaft der Schriftstellerei widmete, hatten sich die Beschränkungen, die Autorinnen auferlegt waren, zwar etwas gelockert, doch war sie aufgrund der herrschenden Vorurteile in der englischen Provinz dermaßen eingeschüchtert, daß sie nur im Verborgenen schrieb - auf fliegenden Blättern von ziemlich kleinem Format, die sie schnell unter einem Buch verstecken konnte, falls man sie dabei ertappte. Und Unterbrechungen dieser Art waren häufig, da sie ihre Romane im gemeinsamen Wohnzimmer schrieb; ein Umstand, der nicht nur mit der relativen Armut ihrer Familie und der Krankheit ihrer Mutter zusammenhing, deren Pflege natürlich der unverheirateten Tochter zufiel. (Es genügte nicht, ledig zu sein, um häuslichen Sorgen zu entrinnen). Der Luxus eines »Zimmers für sich allein« wurde damals jungen Mädchen gemeinhin verweigert. Jenes eigene Zimmer wurde von Virginia Woolf für die schöpferische Arbeit als so unverzichtbar erachtet, daß sie es zum Titel eines ihrer Bücher wählte (Ein Zimmer für sich allein). Jane Austen verdankte es dem Knarren der Tür, daß sie nicht bei ihrer schuldhaften Beschäftigung überrascht wurde. Deshalb lehnte sie es auch immer ab, die Angeln dieser Tür ölen zu lassen - sehr zum Befremden ihrer Familie.
Verordneter Konformismus
Insgesamt waren die Werke dieser Autorinnen jedoch nicht subversiv. Selbst wenn die allgemeine gesellschaftliche Stellung der Frau häufig beklagt wurde, so wurde die Gesellschaft als Ganzes nicht in Frage gestellt. Es waren Männer wie Daniel Defoe in England mit Moll Flanders oder der Abbe Prevost in Frankreich mit Manon Lescaut, die es wagten, arme Frauen zu porträtieren, die, um ihrer Misere zu entkommen, keinen anderen Ausweg sahen, als sich zu prostituieren. Wir werden auch kein weibliches Äquivalent zu Rousseau und noch weniger zu Choderlos de Laclos oder de Sade finden. Sogar diejenigen Frauen, die im Leben selbstbewußt einen freien Geist und freizügige Sitten vertraten und keine Scheu hatten, in ihren Briefen die Dinge beim Namen zu nennen, verhielten sich konformistisch, sobald ihre Schriften Aussicht auf Veröffentlichung hatten. Die Gattung des Romans, der sich die Schriftstellerinnen vorzugsweise bedienten, hätte ihnen einen weitgesteckten Rahmen für Kritik geboten. Aber nein! Ihre Heldinnen entfernten sich nie von den ihrem Geschlecht auferlegten Normen der Anständigkeit, und es bedurfte schon einer Vergewaltigung, damit sie ihre Unschuld verloren. Eine weitere Vorsichtsmaßnahme unserer Romanschreiberinnen war ihr häufiger Rückgriff auf die Fiktion des anonymen Manuskripts, das angeblich auf mysteriöse Weise in ihre Hände gelangt war und das sie, wie sie behaupteten, lediglich kopierten. Ein effektives Mittel, die wenigen kleinen Freiheiten, die sie sich herausnahmen, auf einen imaginären Dritten zu schieben und ihre Anonymität wirksam vor einer möglichen Aufdeckung zu schützen.
Katharine Rogers hat in ihrer eindringlichen Studie [10] über Romane von englischen Frauen des 18. Jahrhunderts darauf aufmerksam gemacht, daß - wie originell auch das Ambiente und wie groß die Schärfe der Psychologie und des Stils in diesen Romanen sein mag man dennoch immer wieder auf die üblichen Konventionen stößt. Das spätere Niveau von Wuthering Heights oder auch Jane Eyre wird niemals auch nur annähernd erreicht. Dadurch daß sie ausnahmslos tugendhafte Heldinnen beschrieben, entschieden sich diese Romanschriftstellerinnen vielleicht bewußt dafür, ihre Sexualität zugunsten ihrer Intellektualität zu unterdrücken. Anders gesagt: der befreiende, der eigentliche emanzipatorische Akt war das Schreiben, unabhängig davon, worüber geschrieben wurde. Wenn diese Autorinnen schwarz auf weiß konstatiert hätten, daß Frauen ebenso wie Männer sexuelle Wünsche haben und diesen zuweilen auch nachgeben - was selbst Andre Gide zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch anzuzweifeln vermochte[6] -, hätte der dadurch ausgelöste Skandal zur Folge gehabt, daß sie weder ein normales und ehrbares Leben hätten führen noch ihre Werke hätten veröffentlichen können. Indem sie das Gegenteil taten, indem sie vermittels ihrer Heldinnen bewiesen, daß ihre Vernunft und ihre Tugend jegliche Leidenschaft in Schach hielten, vermieden sie öffentliche Anschuldigungen. Es mag sein, daß ihre Vorsicht über dieses unmittelbare Ziel hinausging und in den zeitgenössischen Debatten über die Frau begründet lag. Wenn die Liebe als vorherrschende
Leidenschaft ihres Geschlechts präsentiert worden wäre, hätten diese Romanschriftstellerinnen in gewisser Weise Verrat an ihrer eigenen Sache begangen und den Anti-Feministen Munition geliefert, d. h. sie hätten diese in ihrem Glauben an die Frau als Objekt bestätigt - unrein und zwangsläufig vom Mann abhängig -, da im Gegensatz zu den Weibchen in der Tierwelt die Töchter Evas immer bereit sind, sich zu paaren. Dieses alte Argument der Theologen wäre dadurch noch bekräftigt worden.
Die erstaunliche Schamhaftigkeit, ja Prüderie der Heldinnen dieser von Frauen geschriebenen Romane - die von ihnen erhobenen Einwände, bevor sie sich der Liebe, auch der ehelichen, hingaben -, sollte daher eher als unartikulierte und vielleicht unbewußte Angst vor Unterwerfung gewertet werden, gleichsam als Widerstand gegen die fatale Beherrschung durch den Mann. Solange eine Frau nicht ja gesagt hat, ist sie Objekt der Begierde und der Eroberung, kurzum: unabhängig; hat sie einmal ja gesagt, so bedeutet dies das Ende der geringen Freiheit, die sie einst genossen hatte, sowie des gesellschaftlichen Ansehens. Und auch Liebe kann die Besitznahme nicht überdauern - wie es nur Madame de La Fayette, bereits im 17. Jahrhundert, auszudrücken verstand.
Intellektuelle Sehnsucht
Es wäre indessen falsch, den intellektuellen Fortschritt der Frauen nur am Stil ihrer jeweiligen literarischen Produktion zu messen. Menge und Vielfalt sind weitere Faktoren, die es in Erwägung zu ziehen gilt. Statistische Erhebungen in verschiedenen Ländern beweisen, daß Frauen im 18. Jahrhundert vermehrt zu schreiben begannen und sich in neue Gebiete vorwagten. In Venedig wurden im 16. Jahrhundert nur 49 Werke und im 17. Jahrhundert 76 Werke von Frauen veröffentlicht. Zwischen 1700 und 1750 dagegen veröffentlichten sie bereits 110, das heißt fast genauso viele wie ihre männlichen Kollegen.[12] Romane machen natürlich den Löwenanteil aus, gefolgt von Gedichtbänden. Aber es finden sich daneben auch Geschichtsbücher. Werke der Philosophie, polemische, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Schriften, Übersetzungen aus toten oder lebenden Sprachen, Theaterstücke und Opernlibretti (die beiden letzteren Gattungen aus offenkundigen Gründen häufiger in Venedig als anderswo). Nicht zu vergessen die Journalistinnen, von denen noch die Rede sein wird, und diejenigen, die in den vielerorts entstehenden Akademien glänzten oder denen es gar gelang, an Universitäten Lehrstühle für Literatur, Recht oder Medizin zu besetzen. Das geschah nicht ohne Hindernisse, und jene Frauen waren nicht zahlreich, aber sie waren ein Signal dafür, daß Frauen zu studieren begannen und nach umfassenderer Bildung strebten. Es sollte nicht unterschlagen werden, daß sie die Voraussetzungen dafür zum Teil einem Unterrichtssystem verdankten, das im vorhergehenden Jahrhundert eingerichtet worden war, aber Zeit benötigte, um sich entfalten zu können. Die Grenzen dieses Systems, das von den beiden Kirchen kontrolliert wurde, sind hinlänglich bekannt. Jedoch kommt ihm das Verdienst zu, Generationen von Frauen das Lesen beigebracht zu haben, was natürlich die erste, unverzichtbare Stufe beim Erklimmen der kulturellen Leiter darstellte. Madame de Maintenons Saint-Cyr [13] ist nur ein Beispiel unter anderen für die zahlreichen Lehranstalten, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts geschaffen wurden, aber eines, das besondere Erwähnung verdient, denn es gibt nicht viele Mädchenpensionate, die sich zugutehalten können, gleich zwei Tragödien des größten Dramatikers seiner Zeit Jean Racine - auf die Bühne gebracht zu haben.[14]
Mit dem Abgang der Frauen vom Mädchenpensionat war auch deren formale Ausbildung beendet. Höhere Schulen existierten nicht für sie. Blieben also nur die Salons, die während des 18. Jahrhunderts nahezu überall wie Pilze aus dem Boden schossen, als den Frauen offenstehende, kulturvermittelnde Einrichtungen. Zuweilen wurden sie als »Konversation« bezeichnet. Montesquieu beispielsweise berichtet von einer gewissen Dame, die in Mailand »eine Konversation hielt«. Außerdem fügt er hinzu: »Was an den Konversationen Mailands so edel ist, ist der Umstand, daß Ihnen Schokolade und andere Erfrischungen gereicht werden, ohne daß für die Karten bezahlt werden muß.« Offensichtlich trieben die italienischen Frauen, die einen Salon führten, den Purismus nicht so weit, das Glücksspiel gänzlich zu untersagen, wie zur gleichen Zeit in England die Gruppe intellektueller Frauen, die man blue-stockings nannte - ein Begriff, der Furore machen sollte. Allerdings blieb ein Salon, selbst wenn darin gespielt wurde, eine »Konversation». Daß das Ganze durch den einen Aspekt bezeichnet wurde, zeigt, was der eigentliche Grund für diese Zusammenkünfte war.
Frankreich war das Epizentrum dieser internationalen Salons, die sich im Europa des 18. Jahrhunderts herausbildeten und in denen die Ideen der Aufklärung zirkulierten. Es spielte dabei eine ebenso große Rolle wie bereits ein Jahrhundert zuvor, als es den Prototyp für alle späteren Salons geliefert hatte. Von den zahlreichen bekannten Gründen ist es nur einer wert, an dieser Stelle erwähnt zu werden: Wie die Precieuses es einst erhofft hatten, hatte die französische Sprache ihr Potential voll entwickelt, sie war zu einem vertrauten Instrument geworden, das imstande war, allen an sie gestellten Ansprüchen gerecht zu werden. Sogar die Gelehrten kamen nicht mehr umhin, sich ihrer zu bedienen, und im Ausland wurde sie allgemein von der gebildeten Gesellschaft übernommen. Im übrigen waren die Salons des 18. Jahrhunderts aufgrund des Fortschritts in der Bildung, der sich wandelnden Sitten und Ideen weniger als zuvor Orte des Wissenserwerbs und Schulen der Galanterie. Sie bildeten den Resonanzboden für Autoren, Künstler und ihre Werke. Frauen, die einen Salon hatten, waren inzwischen selbst freier in der Entfaltung ihrer intellektuellen Fähigkeiten und Kenntnisse geworden und sahen sich nunmehr gezwungen, eine vielseitigere, geistreichere Klientel zu empfangen, um mit den Cafes und Clubs - den neuen Stätten der Zusammenkunft und des Austauschs - konkurrieren zu können. Diderot hielt Hof bei Madame d'Epinay, Buffon bei Madame Necker, während Voltaire das Idol des Salons von Madame du Chatelet war, bevor er zu dem von Madame du Deffand überwechselte. Die Enzyklopädisten waren brillante, aber feurige Gesellen, und die Gastgeberinnen mußten ihr ganzes Geschick aufwenden, um sie innerhalb des Rahmens gesellschaftlicher Schicklichkeit zu halten. Manchmal wurde diesen schwierigen Gästen eigens ein bestimmter Tag eingeräumt, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Auch wenn jene Salons der Französischen Revolution den Weg freimachten, hütete man sich vor öffentlichen Bekenntnissen zum Atheismus oder zur Demokratie.
Daß so mancher Autor auch gleichzeitig Liebhaber der Hausherrin war, sei nur am Rande erwähnt. Sowohl die Liebe aus Vergnügen als auch die aus Gewohnheit war mittlerweile salonfähig geworden. Die Liebe aus Leidenschaft war dagegen folgenschwerer, beanspruchte sie die Aufmerksamkeit der Gastgeberin doch über Gebühr und konnte selbst Stammgäste vertreiben. Verfügbarkeit war in der Tat die oberste Tugend einer Frau, die einen Salon führen wollte. Da sie keine Karriere machten, waren Frauen generell auch verfügbar, außer eben im Falle einer leidenschaftlichen Verbindung oder ähnlicher Mißgeschicke. Mademoiselle de Lespinasse empfing zwölf Jahre lang regelmäßig jeden Tag von 17 bis 21 Uhr! Weil sie es zu der Zeit, da sie lediglich die unvermögende Gefährtin von Madame du Deffand war, verstanden hatte, für die Besucher verfügbar zu bleiben, während die Hausherrin ruhte, konnte sie einen Teil von deren Stammgästen übernehmen und mit diesen Überläufern, allen voran Jean d'Alembert, ihren eigenen Salon gründen - ein gesellschaftlicher Eklat, von dem wir uns heute keine Vorstellung mehr machen können.
Daß Madame du Deffand an Schlaflosigkeit litt und gezwungen war, wegen ihrer schlaflosen Nächte nachmittags zu ruhen, erinnert daran, daß trotz ihrer scheinbaren Ausdauer sehr viele hotesses des 18. Jahrhunderts demselben Typus angehörten wie ihre Vorgängerinnen. Häufig waren es ängstliche und unzufriedene Frauen, die Besucher empfingen, weil sie selbst nicht kreativ tätig sein durften und um sich die Zeit zu vertreiben. Da sie gebildet waren, litten diese Frauen schwerer als ihre Vorgängerinnen im 17. Jahrhundert an dem, was ihnen fehlte.
»Sie wissen nicht und können nicht wissen«, schreibt Madame du Deffand an Voltaire, »wie der Zustand derjenigen ist, die denken, die überlegen, die aktiv sind, und gleichzeitig ohne Talent, ohne Beschäftigung, ohne Zerstreuung (. . .) Ich habe kein Mittel mehr gegen die Langeweile; ich empfinde das Unglück einer vernachlässigten Erziehung; die Unwissenheit macht das Alter drückender, sein Gewicht erscheint mir unerträglich.«
Voltaire tröstete seine Freundin, indem er ihr gegenüber »das edle Vergnügen, sich von anderer Art zu spüren als die Dummen« pries und ihr nahelegte, das fortzusetzen, was sie schon tat: ein gesellschaftliches Leben zu führen als einzig mögliches Heilmittel. »Sie brauchen nur den Entschluß zu fassen, weiterhin Ihre Freunde um Sie herum zu versammeln. Die Süße und die Sicherheit der Konversation ist ein ebenso reales Vergnügen wie dasjenige eines Rendezvous in der Jugend.«
Ein Rendezvous der Geister war in der Tat das einzige Vergnügen, das blieb, wenn der Körper aufgehört hatte, verführerisch zu sein. Aber Madame du Deffand wollte sich damit nicht begnügen. Sie war weiterhin der Überzeugung, daß nur diejenigen glücklich sein konnten, die mit Talent geboren wurden, weil sie damit das der anderen nicht brauchten: »Sie tragen überall ihr Glück mit sich und können auf alles verzichten.« - Eine Illusion, die eine andere Frau, sehr zu Madame du Deffands Bedauern, zunichte machen sollte.
Jene Frau war das reine Produkt eines Salons, der selbst ein reines Produkt des 18.Jahrhunderts war: desjenigen von Madame Necker. Dort begegnete man Leuten, die man bei Madame de Rambouillet nicht angetroffen hätte: wirtschaftlichen und politischen Theoretikern, Philosophen, Gelehrten, Publizisten sowie einer Vielzahl von Ausländern, die eine kosmopolitische Atmosphäre schufen, die eines der markanten Merkmale des Jahrhunderts war. Bei den Neckers begann der Kosmopolitismus bereits damit, daß Madame aus dem Waadtland stammte und sich erst in einen Engländer (Gibbon) verliebte; Monsieur war ein Deutscher aus Genf, von dem man sagte, daß er nie ein anderes als das von ihm adoptierte Vaterland gehabt hätte. Diese Frau aus dem Waadtland und dieser Deutsche verbrachten den größten Teil ihres Lebens in Paris und verheirateten ihre Tochter mit einem Schweden.
Da ihr Vater Pastor war - zur damaligen Zeit ein unschätzbarer Vorteil -. erhielt Suzanne Necker eine ziemlich fundierte Schulbildung und war bereits als junges Mädchen der Stolz einer kleinen literarischen Akademie in Lausanne. Als sie sich nach ihrer Heirat mit dem jungen Bankier Necker in Paris niedergelassen hatte, fühlte sie sich zunächst etwas verloren in der Metropole und in einem Milieu, dessen geistreicher, animierender und zuweilen frivoler Ton stark mit ihren eigenen Gewohnheiten als Schweizerin kontrastierte. Aber sie paßte sich an, denn sie wollte ihrem Mann bei seinem beruflichen Aufstieg behilflich sein. Ihre Ehe war von gegenseitiger Zuneigung geprägt - ein selten glücklicher Umstand. Für die Finanziers, deren Goldenes Zeitalter soeben angebrochen war, waren Geselligkeit und Mäzenatentum der ideale Vorwand, sich in der Gesellschaft, die sie bereits de facto beherrschten, das Ansehen zu erwerben, das ihnen nur ungern zugebilligt wurde. Madame Necker verwandte deshalb all ihre Energien darauf, einen Salon zu gründen. Mit außerordentlicher Gewissenhaftigkeit bereitete sie sich auf die Themen vor, über die sie während des Diners mit ihren Gästen sprechen wollte, und machte sich Notizen dazu. (»Ich werde zum Chevalier de Chastellux über La Felicite publique und Agathe sprechen, zu Madame d'Angiviller über die Liebe (. . .) Erneut M. Thomas loben wegen seines Gedichts von Jumonville . . .«) Der »jour« wurde von Madame Necker sorgfältig gewählt, um nicht etwa mit dem Montag und Mittwoch von Madame Geoffrin, dem Dienstag von Helvetius, dem Donnerstag und Sonntag des Barons d'Holbach in Konflikt zu geraten. Blieb also nur der Freitag, und man wundert sich, wie die Autoren, die von einem Salon zum andern eilten, jemals Zeit für ihre Arbeit fanden. Wo aber hätten sie sonst, in einer Welt ohne Radio und Fernsehen, ihre Werke veröffentlichen und dafür das bekommen können, was heute gemeinhin unter den Begriff »Subventionen« fällt?
Zu Füßen von Madame Necker, die gewöhnlich auf einem Holzschemel saß, der sie zum aufrechten Sitzen zwang, saß häufig ein kleines Mädchen, Germaine, das einzige Kind der Familie, das es vielleicht diesem Umstand verdankte, so früh schon im mütterlichen Salon zugelassen zu werden. Sie war schweigsam, so wie es sich für ein Kind schickte, wenn sich jedoch einer der Stammgäste ihr näherte und sie nach ihren Studien oder ihrer Lektüre befragte, so antwortete sie mit erstaunlicher Redegewandheit. Später sollte das niemanden mehr überraschen, da bekannt war, daß sie außergewöhnliche Begabung besaß. »Die Glühwürmchen«, sagte Madame Necker, »sind das Bild der Frauen; solange sie im Dunkeln bleiben, wird man von ihrem Glanz überrascht; sobald sie im hellen Licht des Tages erscheinen wollen, verachtet man sie, und man sieht nur ihre Fehler.« Germaine allerdings schien sich nicht mit dem schwachen Glanz der Glühwürmchen begnügen zu wollen. Diskret von ihrem Vater unterstützt (das Interesse für das Kind, die kameradschaftliche Komplizenschaft zwischen Vater und Tochter war typisch für jene Zeit), wurde Germaine, mehr noch als ihre Mutter, zur Attraktion des Salons Necker. Sie mischte sich in die Unterhaltungen ein, die ihre Mutter mit soviel gewissenhaftem Eifer vorbereitet hatte. Während zwischen den anwesenden großen Männern Grundsatzdiskussionen in Gang waren, plauderte Germaine in einer Ecke mit weniger prominenten Personen. Dies tat sie auf eine solch interessante und geistreiche Weise, daß die großen Geister einer nach dem anderen - das konnte Buffon sein, Marmontel, Grimm, Diderot, Bernardin de Saint-Pierre - sich aus der ihnen zugedachten Gruppe lösten, um sich Germaine zuzugesellen und mit ihr zu sprechen. Germaines Antworten auf ihre Fragen zogen andere Gäste an. Necker selbst konnte nicht umhin, lächelnd mit einem Ohr den Worten seiner Tochter zuzuhören.
Auch nach ihrer Heirat mit dem schwedischen Botschafter im Jahre 1786 blieb Germaine der Mittelpunkt des Salons ihrer Mutter - mit dem einzigen Unterschied, daß sie jetzt Madame de Stael hieß.
Außer Schönheit besaß sie alle Privilegien, die den meisten jungen Mädchen ihrer Zeit entweder ganz oder teilweise versagt waren: Vermögen, die Zuneigung ihrer Eltern, eine gesellschaftliche Stellung, einen Vater, der königlicher Minister war, und vor allem Bildung und Talent. Als die Zeiten sich geändert hatten - und auf welch radikale Weise im Jahre 17891 -, hatte auch sie die Möglichkeit, zu lieben, unter ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen und dafür Ruhm zu ernten. Trotz alledem war sie nicht glücklich. Madame du Deffand und andere waren zu früh gestorben, um in Corinne diesen hoffnungslosen und verzweifelten Satz zu lesen: »Der Ruhm ist für eine Frau nur die blendende Trauer um das verlorene Glück.«
Aus dem Französischen von Roswitha Schmid