Rebellion in Worten und Taten

Öffentlich ihre Stimme zu erheben, war nur einer verschwindend kleinen Minderheit von Frauen vergönnt; dieses Privilegs konnten sich lediglich Königinnen und Prophetinnen erfreuen. Dennoch gab es vielfältige Gelegenheiten, bei denen Frauen miteinander ins Gespräch kamen. Solche Möglichkeiten boten sich besonders im Kontext häuslicher Betätigungen: beim Wasserholen, Kornmahlen, am Spinnrad und Wöchnerinnenbett. Frauen tauschten Informationen, Ideen, Ansichten, Klatsch und eben jene »Geheimnisse« aus, die Männern Stoff für ganze Bücher lieferten. Der exklusive Charakter solcher Gesprächsrunden und deren Themen, die Männern für gewöhnlich verschlossen blieben, gab aber auch Anlaß zu Argwohn und Mißtrauen: Leicht konnten sie als Hexensabbat verleumdet werden, und oft wurden scharfe Zungen, die sich etwas zu freimütig über Konventionen und Tabus hinwegsetzten, brutal zum Schweigen gebracht.
Im Rahmen tradierter Konventionen und Riten gab es auch besondere Anlässe für soziale Interaktionen zwischen Männern und Frauen. In ländlichen Gegenden kam man zu diesem Zwecke während der Wintermonate zusammen; dabei erwiesen sich Frauen gewöhnlich als äußerst versierte Geschichtenerzählerinnen, die auf volkstümliche Überlieferungen und archaische Erzählmuster zurückgreifen konnten. Im aristokratischen Milieu vergnügte man sich gemäß der spätmittelalterlichen Minnebräuche mit spielerischen Wortgefechten, Rätseln und Gesten immer dann, wenn die Ehemänner und Freier, von Kriegen und Reisen zurückgekehrt, auf ihren Burgen und Schlössern anwesend waren.
Claude Dulong beschreibt, wie gegen Ende des 16. Jahrhunderts Frauen ein neues Ambiente für Konversationen schufen: den Salon. Salons waren Zusammenkünfte, die von kultivierten und belesenen Damen der städtischen Oberschicht geführt wurden. Sie boten Frauen und Männern Gelegenheit, gemeinsam über Literatur, Politik, Geschlechterbeziehungen und all jene Themen, die relevant erschienen, zu sprechen. Dulong zeigt, wie
diese Frauen, die man auch die Precieuses nannte, ihre häusliche Umgebung umgestalteten, um einen höflichen und zuvorkommenden Umgang zu förden, weitab vom Schlachtenlärm und von der steifen, verstaubten Atmosphäre der Kanzleien. Von Moliere verspottet, kämpften die Precieuses gegen die Vorurteile ihrer männlichen Zeitgenossen und suchten einen neuen Umgangston  zu  etablieren:  frisch,  spontan und frei von Obszönitäten.
Anders als die Debatten und Vorlesungen an Universitäten oder neugegründeten Akademien, zu denen Frauen kaum Zugang hatten, brachte der Salon Menschen mit unterschiedlicher formaler Bildung zusammen, denen eines gemeinsam war: ihr Wissensdrang und ihre Lust am Diskutieren. Salons waren aber auch Schauplätze intellektueller und gesellschaftlicher Profilierung, mittels derer neue Mitglieder und Ideen mit Unterstützung einer gewogenen Gastgeberin ihren Weg machen konnten. In der etwas nüchterneren und reservierteren protestantischen Umgebung Englands spielten die Salons eine ähnlich bedeutende Rolle wie im katholischen Frankreich. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erlebten sie eine erneute Blütezeit in Berlin, wo einige der berühmtesten Salonnieres assimilierte Jüdinnen waren, die es Christen und Juden ermöglichten, miteinander in Dialog zu treten.
Zu den Aktivitäten eines florierenden Salons zählte auch die Präsentation neuer Manuskripte sowie die Gewinnung von Mäzenen bzw. künftiger Leser. Selbstverständlich war die Veröffentlichung literarischer Werke von Frauen keine Erfindung des 17. Jahrhunderts: Traktate und Theaterstücke schreibender mittelalterlicher Nonnen waren bereits im 16. Jahrhundert gedruckt worden, ebenso wie die Schriften von Christine de Pizan, von denen sich Autorinnen späterer Jahrhunderte inspirieren ließen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts fanden sich die Namen von Frauen auf den Titelseiten europäischer literarischer Werke und Erbauungsbücher. Sicherlich die wohl bedeutendste unter ihnen war Margarete von Navarra, deren Heptameron sich großer Popularität erfreute.
Während der folgenden zwei Jahrhunderte schrieben Frauen über eine Vielzahl von Themen. Die Palette reicht von Hannah Wooleys Rezeptbüchern bis zu Emilie du Chatelets Dissertation über das Wesen des Feuers, von Elizabeth Carters Übersetzung des Epictetus über Elizabeth Elstobs angelsächsische Grammatik bis zu Marie-Charlotte de Lezardieres Studie früher französischer Gesetze und politischer Institutionen. Die Beiträge Madeleine de Scuderys und Madame de La Fayettes zum französischen Roman waren derart bedeutsam, daß sowohl Gegner als auch Fans dieses Genres Frauen als dessen eigentliche Begründerinnen anerkannten. Im England des 18. Jahrhunderts wurden Frances Burneys Romane in hohen Auflagen veröffentlicht und verhalfen ihr zu Ruhm und beachtlichen Einkünften, von denen sie mit ihren Kindern leben konnte.
Claude Dulong beklagt, daß die literarischen Werke von Frauen gewöhnlich an einer zu ungebrochenen Anpassung an geltende Normen krankten:
Ihre Heldinnen waren grundsätzlich tugendhaft und sittsam, die gesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen blieben zumeist unhinterfragt und intakt. Gewiß stimmt es, daß sich Schriftstellerinnen während der gesamten Frühen Neuzeit besorgt darüber zeigten, sie könnten von ihren Zeitgenossen verspottet oder gar geächtet werden. Als eine Art Vorsichtsmaßnahme widmeten sie daher ihre Bücher oft anderen Frauen. Dennoch finden sich freizügige und ausschweifende Protagonistinnen in zahlreichen Passagen des Heptameron und der Romane Mary de la Riviere Manleys. Aphra Behns Oroonoko prangerte als erster Roman die Grausamkeiten der Sklaverei an, und Sarah Scotts Millenium Hall und Marie Anne de Roumier Roberts Les Ondins waren beunruhigend als weibliche Utopien. Schriftstellerinnen rebellierten mittlerweile auch verdeckt, so beispielsweise, wenn sie einen Roman bzw. die Biographie eines bedeutsamen Ehemannes als Vorwand nutzten, um die maskuline Festung der Geschichtsschreibung zu erobern; zuweilen erwiesen sie sich aber auch als äußerst mutig, so beispielsweise im Falle von Catharine Macaulay, die sich redegewandt den Weg in den Leseraum des British Museum bahnte und ihre eigene Sammlung von nahezu 5000 Schriften aufbaute.
Die damaligen Journalistinnen, die von Nina Rattner Gelbart vorgestellt werden, legten sowohl Kühnheit als auch unternehmerisches Gespür an den Tag. In ihrem Bestreben, Abonnenten für ihre Zeitschriften zu gewinnen und die Zensur zu umgehen, zeigten sie sich äußerst einfallsreich. Prinzipiell richteten sich Zeitschriften wie der Female Spectator'und das Journal des Dames an eine überwiegend weibliche Leserschaft, doch selbst wenn
manche ihrer Beiträge Ratschläge in bezug auf die Wahl des richtigen Ehegatten erteilten oder die Freuden der Mutterschaft priesen, verloren sie ihren ernsthaften intellektuellen Anspruch nie ganz aus den Augen. Beispielhaft für die radikalen Möglichkeiten einer Frau während der Zeit des Ancien Regime ist Madame de Beaumer: als Feministin, Republikanerin, Verfechterin von Gerechtigkeit, Freimaurerei, Toleranz und Pazifismus, trug sie ein Schwert an ihrer Seite, als sie sich ins Büro des Zensors begab, um ihre Zeitschrift zu verteidigen.
A.F.-N.Z.D.