Die vorliegende Ausgabe bringt den Text von Sophie von La Roche, Geschichte des Fräuleins von Sternheim, erster Theil und zweyter Theil, Leipzig, bey Weidmanns Erben und Reich, 1771. Von dem Erstdruck erschienen schon im Jahre 1771 zwei weitere Auflagen, die jeweils einige orthographische Fehler korrigierten, aber keine die Lautung, Grammatik oder gar den Sinn beeinflussenden Änderungen vorgenommen haben. Bei dem Exemplar der Landesbibliothek Speyer (Sign. 50, 863-1.2.), das dem vorliegenden Neudruck zugrunde gelegt ist, handelt es sich um die dritte Auflage des Erstdruckes (vgl. zur Druckgeschichte Ridderhoffs »Einleitung«, S.XXXVIIf.; das Speyerer Exemplar entspricht Ridderhoffs »Ausgabe C«, die wir nach modernen bibliographischen Richtlinien als A. III, als Drittauflage der Erstausgabe, bezeichnen). Die Orthographie wurde unter Wahrung des Lautstandes und der grammatischen Eigenheiten behutsam modernisiert. Anführungszeichen wurden nach heutigen Gewohnheiten behandelt. Fremdwörter, bei denen der Lautstand betroffen war, sowie Eigennamen wurden in der originalen Schreibweise belassen, aus Substantiven bestehende Zusammensetzungen ebenfalls. Unterschiedliche Formen wurden nicht vereinheitlicht. Die rhetorisch orientierte Interpunktion unterscheidet kaum zwischen direkter und indirekter Rede und berücksichtigt einzelne Satzteile stärker als heute üblich, was sich auch im Gebrauch der Frage- und Ausrufezeichen ausdrückt. Eine behutsame Modernisierung war angezeigt, wobei zeittypische Eigenheiten nach Möglichkeit gewahrt blieben. Das Komma wurde beseitigt, wenn es den Satzzusammenhang störte, d. h. zwischen Subjekt und Verb bzw. zwischen Subjekt und Objekt sowie vor vergleichendem »als« und »wie«. Vor Nebensätzen und zwischen Hauptsätzen wurde es eingefügt, um die Satzstruktur stärker sichtbar zu machen, ebenso bei Adversativa. Belassen wurden die Kommata in allen Fällen der Aufzählung, bei Infinitivsätzen, vor »und« und »oder«, nach Konjunktionen am Satzbeginn sowie nach Möglichkeit bei als Einschübe aufgefaßten adverbialen Bestimmungen. Semikola, Doppelpunkte, Frage- und Ausrufezeichen blieben erhalten. Die Groß- und Kleinschreibung hinter den Frage- und Ausrufezeichen wurde, soweit es deren Funktion zuließ, dem heutigen Gebrauch angeglichen. Gedankenstriche wurden - auch wenn sie als Satzschlußzeichen standen - im Satz belassen, als optische Trennungszeichen zwischen direkter Rede und Text jedoch gestrichen. Folgende »Druckfehler«, auf die die La Roche ausdrücklich in Briefen an Wieland hingewiesen hatte, wurden in der vorliegenden Ausgabe verbessert:
Nach dem Erscheinen des ersten Bandes schrieb sie am 28. Juni 1771: »Mon manuscript depends de vous, je vous pris seulement de dire qu'on l'evite les Drukfehler, et qu'on n'oublie rien de ce que vous y aves laisse come bon p. e. im ersten Brief 100 S. fehlt in dem Zusammenhang wie glücklich treuen Sie den Creyß deß Ehelichen Lebens an, da Sie den treuen Seegen Ihres Vatters (und alle ihre Tugenden Ihres Geschlechts mit bringen) dieses ist außgelassen« (Wielands Briefwechsel, Bd. 4, S. 311). Diese Einfügung ist, ohne das Wort »ihre« allerdings, als »Druckfehlerberichtigung« am Ende des zweiten Bandes angezeigt worden, sie wurde aber nicht im Text des Erstdruckes verbessert.
Am 27. Oktober, nachdem die La Roche sechs Exemplare des zweiten Bandes von Reich erhalten hatte, schrieb sie an Wieland: »Reich m'à envoye 6 ex- du 2 volum. de Sternheim, [...] receves eher Ami, milles graces pour les peines que vous donait cette Phantasie - et faites moi je vous prie le plaisir, de me comuniquer les critiques, je serais charmee de les lire - car je vois de mes deux hieux quelle en merite beaucoup - mais les drukfehler lui fönt par ci par la du tort aussi p. e. auf der 230 seitte heißt es bey der erinnerung an Lord Seymour. und weinst über seine Vergessenheit, da es heissen solte - nun fragstu was würde Er sagen? u. weinst - Vergessenheit! O nimm diesen Theil meiner Geschichte aus meinem Gedächtnisse weg - mais je me'n moque ases quoique je voudrais que cela fut come il doit etre, parce que ma mauvaise destinee ä voulü que cela existe de ma patte« (Wielands Briefwechsel, Bd. 4, S. 399). Wielands Antwort hierauf beruhigte die La Roche damit, daß gar nicht so viele Druckfehler darin seien, er darüber staune, daß es nicht zehnmal so viele seien und es ein Werk ohne Druckfehler nicht gebe: »Vous auriez tort, ma chere amie, d'imaginer que les Druckfehler en peuvent faire à cet ouvrage. II n'y en a pas beaucoup, et je m'etonne moi, qu'il n'y en a dix fois autant. Un ouvrage sans erreurs typographiques est des ces choses qu'on n'a jamais vues. Je ne me repentirai Jamals d'etre l'editeur d'un ouvrage, que je crois utile et qui, a mon avis, fait honneur a Votre sexe« (6. November 1771, Wielands Briefwechsel, Bd. 4, S. 404).
Nach diesen Briefstellen kann man annehmen, daß der Erstdruck der Sternheim keineswegs so von Druckfehlern wimmelt, wie man oft noch lesen kann. Im Dezember 1771 schrieb Wieland der Madame La Fite, die den Roman ins Französische übersetzen wollte, sie könne frei mit dem Original umgehen und auch die Fehler verbessern, die er in der kurzen Zeit vor der Drucklegung nicht mehr habe verbessern können. Auch hier ist nicht von einem schlechten Druck die Rede, sondern Wieland läßt der Übersetzerin im Rahmen dessen, was zu seiner Zeit üblich war, freie Hand, kleine Verbesserungen anzufügen (die Anmerkungen bei Ridderhoff vermerken diese Abweichungen in der französischen Übersetzung der La Fite).
Was Sophie La Roche in ihren Briefen mit »Drukfehler« bezeichnete, sind nach heutigem Verständnis redaktionelle Änderungen. Diese dürften vielfach auf Wieland zurückgehen, denn er las ja das Manuskript der Sternheim immer »mit der Feder in der Hand«. Besonders die zweite der oben zitierten Briefstellen Sophies zeigt, daß er gelegentüch den Sinn eingreifend veränderte. Eine sprachliche Redaktion von Prosatexten war im 18. Jahrhundert durchaus üblich; auch Schiller oder Haller ließen sich ihre Werke durchsehen, damit etwaige durch die alemannische Mundart bedingte Formen und Wörter dem hochdeutschen Sprachgebrauch angeglichen würden. Die Sprachform des Ostmitteldeutschen - die obersächsische, »lutherische Sprache« - setzte sich erst im letzten Drittel des Jahrhunderts endgültig als hochdeutsche Schriftsprache durch. Das Ostmitteldeutsche wurde »zur Büchersprache von den klassischen Autoren unserer Nation autorisiert«, meldete 1775 Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek. Sophie La Roche stand durch ihre Lebensumstände dieser »Büchersprache« zunächst fern. Sie sprach Dialekt, denn sie stammte aus dem Grenzgebiet des sich der einheitlichen deutschen Hochsprache am meisten widersetzenden Schwaben und Bayern. Außerdem war sie zweisprachig -Französisch und Deutsch -, sie erledigte die französische Korrespondenz ihres Mannes, schrieb ihre Privatbriefe zumeist auf französisch und sprach natürlich am Hof in Mainz und Koblenz nur französisch. Dann hatte sie, weil sie eine Frau war, nicht die intensive Sprachschulung an den klassischen Sprachen und im systematischen Unterricht der Lateinschule genossen, die Universität nicht besuchen können und war so relativ wenig mit der Sprache der Gelehrten und überhaupt nicht mit philologischen Fragen in Berührung gekommen. Daher weichen ihre Orthographie, Grammatik und Diktion oft erheblich von der »Büchersprache« ab. Im Sternheim-Roman wurden diese sprachlichen Abweichungen von Wieland, die Orthographie wohl vom Kopisten und sicher auch vom Leipziger Drucker vielfach korrigiert, d. h. der Text wurde dem hochdeutschen Sprachgebrauch angeglichen.
Ein markantes Beispiel für diese Angleichung ist das Endungs-e in der Deklination und Konjugation (der Knabe, ich laufe), das überall in der Stemheim von dem sächsischen Drucker in Leipzig eingesetzt wurde, während Sophie es in ihren Briefen immer wegließ und als gute Schwäbin schrieb und sprach: »er will eine reiß machen« oder »die glehrte sind wunderliche leut«. Die oberdeutschen Grammatiker hatten dieses Endungs-e als »lutherisches -e« bekämpft, es als »weibisch und affektiert« bezeichnet. 1752 mußten aus dem verbesserten bayrischen Katechismus die eingefügten »-e« - etwa 900 insgesamt - wieder entfernt werden. Erst am Ende des Jahrhunderts erlahmte der Widerstand in Bayern und Schwaben gegen die obersächsische, »lutherische« Sprache.
Trotz dieser Sprachangleichung finden sich in der Sternheim viele Stellen, die Sophies sprachliche Eigenart durchscheinen lassen (vgl. die Zusammenstellung bei C. Riemann). Wieland tat das »Nötige«, wollte aber ihr »Genie durch sorgsame Aufmerksamkeit auf die kleinen Regelchen der Grammatik, Orthographie, Distink-tionszeichen nicht aufhalten« (Brief vom 24. November 1770), und er scheint besonders im zweiten Band viel weniger an der Diktion geändert zu haben als in früheren Abschnitten. Gerade diese Abweichungen aber sind als sprachliches Dokument interessant und werden heute nicht mehr als Fehler oder Unvollkommenheiten der Autorin angekreidet, wie es die Philologen des 19. Jahrhunderts getan haben.
Einige sprachliche Eigenheiten der La Roche seien hier erwähnt. In der Sternheim finden sich archaische und mundartliche (alemannische) Formen wie »er redte« (redete), »wir kenneten« (kannten), »er rufte« (rief), »er stund« (stand), »geloffen« (gelaufen), »der Tod vereinigt mein Herz mit seiner Mutter ihrem« (mit dem meiner Mutter), »die Fräulein« (das F.), »die Hindernis« (das H.), »dank-barlich« (dankbar), »sie betrachteten mich mitleidend«, doppelte Verneinung wie z. B. »ich legte keinem nichts zum Argen aus«, dann »dornicht«(-ig), »ohnvermählt« (un-), »zween Tage«, aber »zwo Sachen«, »zwei Fenster« (zween mask., zwo fem., zwey neutr.), »Jast« (Erregung), währender (während der). Einzelne Ausdrücke und zuweilen ungelenk erscheinende Konstruktionen gehen auf französischen Einfluß zurück, wie die Unsicherheit im Gebrauch von Hilfsverben »wenn ich geboren gewesen wäre« (worden wäre), von Präpositionen wie »Mangel von Unterhaltung« (an U.), »Eifersucht über mich« (auf m.). Doch zeigt Sophies Stil nur eine relativ geringe Zahl solcher Konstruktionsfehler, und auch der Gebrauch von Fremdwörtern ist geringer als der in vergleichbaren Texten; vor allem in den Bereichen, in denen im 17./18. Jahrhundert französischer Einfluß vorherrschte, gebraucht sie einige, z. B. bei der Beschreibung des Hoflebens wie »Assemblee«, »en Chauve-Souris«, »Aktrice«, bei Haushaltsgegenständen wie »Meubles« (Möbel), »Löffel von porcelain« (Porzellan) oder »Coffre« (Koffer) und »Cannevas« (Leinwand) sowie bei Verwandtschaftsbezeichnungen des Adels: »Oncle«, »Neveu«, »Niece«.
Die Eigenheit des Ausdrucks der La Roche zeigt sich in ihren originellen Prägungen und Wendungen und in der Anlehnung an die Gebrauchs- und Konversationssprache ihrer Umgebung, besonders wohl die der Frauen. So fehlen bei der La Roche das Hölzerne und Gestelzte der Gelehrtensprache, die verschachtelten Konstruktionen und der an die antiken Sprachen angelehnte Satzbau, es fehlt die ganze antike Mythologie und der gelehrte Sprach- und Wissensballast der klassisch-gelehrten Tradition. Dafür ist sie um so erfinderischer und unbekümmerter in Ausdruck und Diktion, die Höflinge sind »Mietgeister der Reichen«, sie spricht von »moralischen Schattierfarben«, von »Hirngespenster«, vom »selbstgewebten Elend«, vom »eisernen Schicksal« oder der »Biegsamkeit der Gemüter«. Gerade ihre farbige Sprache verrät die begabte Schriftstellerin, und Wieland konnte nicht umhin, diese Bildhaftigkeit zu loben. Sophie La Roches Erstlingsroman, Geschichte des Fräuleins von Sternheim, ist ein Dokument ihrer sprachlichen Ausdrucksfähigkeit und Originalität.