Struktur und Widerspruch im Geschlechterverhältnis

Nachstehend wird der Ertrag der Untersuchung auf noch andere Weise als bisher analytisch aufbereitet. Zunächst wird das Geschlechterverhältnis in den beiden Widerspruchskonstellationen zu verorten gesucht, die sich in Erweiterung der Widerspruchstheorie Godeliers ergeben haben (7.2. und 7.3.). Mit dieser Vorgehensweise wird versucht, den Theorieentwurf an die originäre Marxsche Theorie rückzubinden. Eine Reihe der hier entwickelten Gedanken werfen - implizit und explizit - Fragen an die Marxsche Theorie und Methode auf, die im Resultat der Untersuchung keineswegs als umfassend beantwortet angesehen werden können. Der künftige Ertrag der marxistischen Forschung für die Frauenforschung hängt von der 'richtigen' Formulierung der Fragestellungen an sie ab. Mit der Identifikation des 'Subjektproblems' als geschlechtsspezifischem Realsubjekt, das ein Bewußtseinssubjekt ersatzen soll, ist ein Forschungsfeld in einem ersten Zugriff eröffnet worden. Aber nicht nur die oben skizzierte Absicht begründet das Anliegen einer Verortung des Geschlechterverhältnisses in der doppelten Widerspruchskonstellation; es geht nicht lediglich darum, sich ein Forschungsfeld offen zu halten. Gemeint ist mehr noch der Erkenntnisgewinn für die Frauenforschung, der über die Resultate des sekundäranalytischen Teils hinausgeht. Dieser Erkenntnisgewinn wird zu Aussagen der Frauenforschung in Beziehung gesetzt, deren Tragfähigkeit im Verlauf der Untersuchung teilweise in Zweifel gezogen wurde. Der dritte Abschnitt (7.4.) formuliert offene Forschungsfragen. Sie unterscheiden sich nach zwei Gesichtspunkten. Zum einen betreffen sie unmittelbar die Problemstellung der Untersuchung, zum anderen greifen sie bereits in benachbarte Gebiete über. Das gilt für subjekttheoretischen Fragestellungen und für das Verhältnis von Theorie und Empirie. Subjekt - betrifft Strukturtheorie, weil Subjekte - Frauen, Männer über soziale Plazierungen in ein objektiv - gesellschaftliches Gefüge eingebettet sind, dessen Analyse wiederum nicht Gegenstand einer Subjekttheorie sein kann. Umgekehrt lassen sich aus der strukturtheoretischen Perspektive bestimmte Fragen an sie formulieren, deren Beantwortung Strukturtheorie neue Impulse vermittelt. Ähnliches gilt für das Verhältnis von Theorie und Empirie. Werden zu diesem Verhältnis strukturtheoretische Überlegungen angestellt, finden sie ihre Grenze ebenfalls an fachwissenschaftlichen Erörterungen, etwa in der Frage der Verwendung bestimmter Forschungsmethoden. Ein interdisziplinärer Ansatz kann seine spezifischen Problemstellungen jedoch so weit präzisieren, daß der Anknüpfungspunkt deutlich wird, an dem die Nachbardisziplin von sich aus ihren besonderen Beitrag zur Lösung eines strukturtheoretischen Problems einbringen kann: weil die Aussagefähigkeit von Strukturtheorie als empirisch überprüfter von der Genauigkeit des methodischen Instrumentariums abhängt, mit dem sie nicht lediglich ihre theoretischen, sondern zugleich ihre historisch-empirischen Aussagen gewinnt. Die methodischen Reflexionen der Untersuchung besitzen insofern einen völlig anders gelagerten Charakter als die Methodologie, die sich mit dem Einsatz und der Verwendung bestimmter empirischer Forschungsinstrumente befaßt.

5.1 Die Doppelung von Funktion und Widerspruch

Vor allem das als 'Sekundärpatriarchalismus' bezeichnete Phänomen bedarf einer systematischen Verortung in Godeliers beiden Widerspruchstypen, d.h. dem strukturinternen und dem strukturextemen Widerspruch, der sich zwischen zwei Strukturen als 'Grundwiderspruch' herausbilden soll. Im vorangehenden Abschnitt wurden die Ungleichheit der Geschlechter und im Geschlechterverhältnis unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktionalität für die Absicherung einer bestimmten Eigentumsordnung betrachtet. In diesem Funktionalen ist zugleich die erste Widerspruchskonstellation angelegt; präziser formuliert: Das Widerspruchsvolle ist Existenzbedingung des Funktionalen. Dieses Funktionale, als Korrespondenzbeziehung zwischen zwei unterschiedlichen Strukturen, bringt im Verlauf des Zusammenwirkens eine Wirtschafts- und Bevölkerungsweise Widersprüchlichkeiten eigener und neuer Art hervor, die aus diesem Grund als strukturale Nicht-Korrespondenz (oder 'Grundwiderspruch') zu neuen Vergesellschaftungsformen führen. Bei Godelier beziehen sich beide Widerspruchs- bzw. Strukturtypen auf das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital, vernachlässigt bleiben Versorgungsökonomie und Fortpflanzung als marktexterne Bedingung der Reproduktion kapitalistischer Gesellschaften. Beide Produktionsund Reproduktionszyklen stellen das zentrale Element industriegesellschaftlicher Reproduktion dar; bilden 'Produktivkräfte' und 'Produktionsverhältnisse' jedoch nicht in ihrer Gesamtheit. Erstere bestehen aus mehr als den Mitgliedern eines Sozialgebildes, erstrecken sich auf 'Natur' (als vergesellschaftete Natur) im weitesten Sinne. Zu ihr gehören dinghafte Hervorbringungen wie technologische Entwicklungen, ebenso andere als menschliche Gattungen wie Pflanzen und Tiere oder Ressourcen an Luft, Wasser, Grund und Boden. Weiterhin gilt, daß die 'Produktionverhältnisse' mehr umfassen als diejenigen 'Verhältnisse', die sich auf Arbeitsteilung, Fortpflanzung und Eigentumssicherung beziehen. Dieser Hinweis scheint wichtig, weil der strukturale Marxismus Althussers und Godeliers das traditionelle Basis-Überbau-Schema in Strukturbegrifflichkeiten auflöst bzw. integriert. Zur Unterscheidung von anderen sozialen Strukturen wird aus diesem Grund Althussers Terminus einer dominanten Struktur aufgegriffen, er besitzt hier allerdings eine andere und erweiterte Bedeutung. Erstens nimmt der Begriff die Godeliersche Analyse einer Doppelstruktur auf, zweitens wird der Geltungsbereich der Doppelstruktur erweitert auf nichtmarktliche Produktion und Reproduktion. Godeliers doppelte Widerspruchskonstellation hält an der traditionellen arbeitswerttheoretischen Interpretation des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital fest, die Existenz eines Sekundärpatriarchalismus läßt sich mit ihr nicht begründen. Der systematische Zugang zu Kapitalismus und Sekundärpatriarchalismus erschließt sich über eine theorieimmanente Analyse auf mögliche Kurzschlüsse: Ich greife einen Gedanken von Karl Polanyi (1978) auf, der in die Arbeitsmarktforschung Eingang gefunden hat.
Das spezifisch Kapitalistische von Vergesellschaftungen besteht werttheoretisch im Rekurs auf Ware und Geld; auch Arbeitskraft wird zu einer Ware, die im Aquivalententausch mit einer anderen Ware, Geld, entgolten wird. Nach Polanyi handelt es sich bei Arbeitskraft jedoch um eine fiktive Ware. Arbeitskraft wird zwar auf dem Markt wie eine Ware behandelt, aber anders als, echte' Waren unterliegt sie nicht denselben Angebotskriterien. Zum Beispiel wird das Ausmaß, in dem Arbeitskraft als Ware auf dem Markt angeboten wird, "durch angebotsstrategisch nicht kalkulierbare demographische Prozesse und die institutionalisierten Regeln des Reproduktionsverhaltens von Menschen" reguliert (Offe/Hinrichs 1984, S. 50). Noch schärfer formuliert: die fiktive unterscheidet sich von der echten Ware vor allem dadurch, daß ihr ein Individuum anhängt, das sich mit der marktlichen Verwertung seiner Arbeitskraft an Leben erhalten will und muß. Dieses Individuum besitzt natürlich einen Körper und damit auch Geschlechtlichkeit, ist Frau oder Mann. Selbst wenn dieses Individuum sein Arbeitsvermögen als Ware, d.h. zur Nutzung für bestimmte Arbeitsleistungen und einen bestimmten Zeitraum einem anderen überläßt, haftet dieser Ware ihr natürlich-soziales Substrat, der Mensch, an. Nimmt das Individuum eine konkret-gesellschaftliche Gestalt an, verliert es die Geschlechtsneutralität einer 'echten' Ware. Diese Differenzierung begründet keineswegs die Annahme der Existenz einer Geschlechterhierarchie zum Nachteil der Frauen. Sie betont lediglich, daß innerhalb einer Verhältnisbestimmung der Warencharakter einer verwertbaren Lohnarbeitskraft in den analytischen Bereich einer 'Funktionsbestimmung' von Kapitalverwertung und akkumulatioi fällt. Ihr fehlt noch das gegenläufige Moment, das sich als 'Funktionsbestimmung' des Individuums bezeichnen ließe: Aus seiner Sicht stellen Kapitalverwertung und -akkumulation eine Möglichkeit zur Existenzsicherung dar, sofern es sein Arbeitsvermögen vermarkten kann und will. Die Geschlechtlichkeit als Unterscheidungsmerkmal zwischen fiktiver und echter Ware stellt sich nur dann als 'Fiktion' dar, wenn auf die der Kapitalverwertung gegenläufi"ge Begriffsbestimmung verzichtet wird. Wird sie vorgenommen, verbleibt sie noch immer im Rahmen einer 'objektiven Funktionsbestimmung', enthält keine subjekttheoretischen Bezüge. Daß ich als Individuum über ein bestimmtes Arbeitsvermögen verfüge, hat für mich unter spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen eine 'Funktion': Ich muß es vermarkten, wenn ich anders meine Existenz nicht sichern kann. Mit dieser Feststellung ist noch nichts darüber ausgesagt, was dieser objektive Zwang für mich bedeutet; wie meine Wahrnehmung von anderen und von mir selbst davon beeinflußt wird oder nicht, wie meine Handlungen strategisch durch diesen Zwang bestimmt werden oder nicht. Fehlt der originären Theorie und ihren Weiterentwicklungen dieser Vermittlungszusammenhang auf der zunächst 'nur' objektiv-gesellschaftlichen Ebene, liegt eine identitätslogische Gleichsetzung dessen nahe, was logisch-systematisch als gegenläufig ausgewiesen werden muß. Hier läßt sich eine erste Anschluß - oder auch Bruchstelle der originär marxistischen Wertbestimmung von Arbeitskraft festhalten. Lohnarbeitskraft ist als ungeschlechtliche nicht denkbar, weil es sie als solche nicht gibt. Geht die Geschlechtlichkeit von Individuen in Vergesellschaftung durch Lohnarbeit als Ungleichheit ein, dann ist die Geschlechterhierarchie elementarer Bestandteil der marktvermittelten Ökonomie, artikuliert sich nicht lediglich außerhalb ihrer in der Familie. Im Verlauf der Untersuchung kristallisierten sich zwei Phänomene von Geschlechterungleichheit in der marktvermittelten Ökonomie heraus: die Schließungsprozesse gegenüber weiblicher Arbeitskraft, die sie auf randständige Jedefrau-Arbeiten mit geringer Entlohnung und unter besonders harten Arbeitsbedingungen verwies, und die sukzessive Trennung von Eigentumstiteln und Verfügungsgewalt, die das patriarchale Element kapitalistischer Vergesellschaftung nicht so sehr an Eigentum, sondern an die Verfügung über gesellschaftliche Ressourcen band - Geldeinkommen, Zugang zu begehrten Erwerbs- und Einflußchancen in Wirtschaft, Politik, Kultur.
Der über den Markt gestiftete Sekundärpatriarchalismus macht sich wenffieoretisch nicht lediglich an der warenförmigen Nutzung von Arbeitskraft fest, die Arbeitswerttheorie akzentuiert hier insbesondere noch einem "produktive Arbeit" als unmittelbar wertschaffende Arbeit. Er zeigt sich in der Unterscheidung zwischen der Arbeitskraft als Ware und dem Individuum als verberuflichter Arbeitskraft. Die von Beck/Brater/Daheim diagnostizierten Verwertungsstrategien von Arbeitskraft beziehen sich allein auf letzteres, sind an die Existenz eines handelnden und wahmehmenden Individuums gebunden, das mit seinem Handeln Strukturen auch erschafft. Diese Argumentationsstrategie beruft sich auf die Gebrauchswertseite der marktlichen Nutzung von Lohnarbeitskraft; sie bedürfte einer systematischen Aufbereitung. Der berufliche ist begleitet von einem familialen Sekundärpatriarchalismus, gestiftet über die patriarchale Familienform. In ihrer Existenz und Trennung vom Erwerb ist sie von Erwerbseinkommen abhängig. Werden diese Einkommen vorzugsweise von Männern erworben, sichern sie diesen eine ökonomische Vorzugsstellung bzw. begründen umgekehrt die Minderstellung von Frauen, wenn und insofern sie keinen Zugang zu eigenständigen Erwerbsquellen besitzen. Indem Frauen vom Markt abgedrängt bzw. gar nicht erst auf ihm zugelassen werden und stattdessen den Arbeitskraftbedarf der Familien- bzw. Versorgungsökonomie absichern (sollen), bildet der geldvermittelte Sekundärpatriarchalismus industrialisierter Gesellschaften einen zentralen Transmissionsriemen für die Funktionsf'ähigkeit der Marktwirtschaft. Aber auch er erstreckt sich nicht lediglich auf die Nutzung von Arbeitskraft, er ist sehr viel augenfälliger noch an das Individuum gebunden. Der Mann fungiert in der Familie nicht als Arbeitskraft, auch nicht als Arbeitgeber (im Falle von Familienbetrieben), er lebt in ihr als Vater und Ehemann, die Frau als Mutter und Ehefrau. Der familiale Sekundärpatriarchalismus ist ebenso an die Existenz von Individuen gebunden wie der nuwktwirtschaftliche, nur über die analytische Kategorie eines Realsubjektes lassen sich Markt und Familie logisch schhissig zueinander in Beziehung setzen. Dasselbe gilt für das dritte weibliche Arbeitsverhältnis, die Arbeit im unentgeltlichen sozialen Ehrenamt.
Mit diesen Ausführungen läßt sich die These einer doppelten Widerspruchskonstellation in der Struktur der Produktionsverhältnisse begründen. Sie bezieht sich bei Godelier auf die Annahme einer ungleichen Kontrolle von und Verfügung über das Sozialprodukt im Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital, auf das Klassenverhältnis. Nach dem hier entwikkelten Gedanken ist sie verschränkt mit einer weiteren Ungleichheit in Kontrolle und Verfügung über gesellschaftliche Ressourcen, die sich am Geschlechterverhältnis festmacht, sich jedoch nicht lediglich auf die Familie und deren patriarchale Form beschränkt. Sie artikuliert sich auch in der geschlechterungleichen Berufs-, Einkommens- und Machtstruktur in allen Sozialbereichen, die einer Verberuflichung unterliegen, und umgekehrt in der ungleichen Partizipation der Geschlechter am gesellschaftlichen Mehrprodukt. Der familiale Patriarchalismus spiegelt zum einen diesen Sachverhalt in seinen familieiünternen Auswirkungen wider, der oben als markünterner dargestellt wurde. Zum anderen schafft das Zusammenwirken der Geschlechterhierarchie auf dem Markt und in der Familie die Voraussetzungen für die generative Reproduktion eines Sozialgebildes. Wenn Frauen normativ und faktisch vom Markt ferngehalten und stattdessen in Ehe und Familie integriert werden, bleibt ihnen keine allzugroße Wahlmöglichkeit, zumal sie tatsächlich diejenigen sind, die die Kinder gebären und damit scheinbar prädestiniert für Versorgungsleistungen "aus Liebe".
Bis sich eine solche Geschlechtsspezifik in der Vergesellschaftung von Individuen über Arbeit und Fortpflanzung als gesellschaftliche Norm durchsetzen konnte, bedurfte es zweier Entwicklungen: der Verallgemeinerung der ehelich-kleinfamilialen Lebensweise und der Verallgemeinerung der beruflich-warenförmigen Nutzung der Arbeitskraft von Individuen. Zu Beginn der Industrialisierung waren beide Entwicklungen zunächst nichts anderes als eine Möglichkeit, hatten noch nicht strukturierte Gestalt angenommen. Voraussetzung der Transformation dieser Möglichkeit in ein soziales Faktum (als Struktur) war wiederum das Handeln von Frauen und Männern, ihre freiwillige (im Fall von Familiengründungen) und zwangsläufige (im Fall von Lohnarbeitsverhältnissen) Übernahme dieses Vergesellschaftungsangebots. Dieses strukturbildende Element kommt der werttheoretischen Begründung kapitalistischer Vergesellschaftung nicht in den Blick, kann das systematisch auch nicht, weil sie kategorial keine Individuen kennt, die mit ihrem Handeln Strukturen erzeugen.
Beide Vergesellschaftungsformen besitzen einen identischen Träger, über den sich beide Verhältnisse miteinander vermitteln. Objektiv handelt es sich um die sozialen Funktionsbestimmungen, die an Herrschaftsbefugnisse bzw. Verfügungsrechte über Kapitaleinsatz und -verwertung gebunden sind, gleichzeitig aber auch um eine Funktionszuweisung im Hinblick auf Familien- bzw. Versorgungsökonomie und Fortpflanzung. Objekt des 'wahren Subjekts' Funktionsbestimmung (Althusser) sind Männer in ihrer Eigenschaft als gesellschaftliche (Real-)Subjekte in dieser Doppelung. Sie verkörpern diese doppelte Funktionsbestimmung in abgestufter Form, entsprechend ihrem Berufs- und Besitz-Status. Das Phänomen 'Sekundärpatriarchalismus' verkörpert sich wie der vorindustrielle Primärpatriarchalismus in Männern als Trägern einer spezifischen Wirtschaft- und Bevölkerungsweise. Der Unterschied: Das Phänomen ist nicht mehr an die Verfügung über oder das Eigentum an Grund und Boden gebunden. Es erhält eine Bindung an Kapital, wobei wie in der vorindustriellen Gesellschaft nicht der Eigentumstitel das entscheidende Medium darstellt, sondern die mit bzw. über einen Eigentumstitel verbundenen Verfügungsrechte. Das gilt für den vorindustriellen Pächter von Grundbesitz ebensosehr wie für den industriellen Manager - oder den staatskapitalistischen Führungskader.
Um eine objektive und doppelte Funktionsbestimmung handelt es sich auch im Falle der Frauen. Sie liegt in ihrer Zuweisung zur Familienbzw. Versorgungsökonomie in einer patriarchalen Familienform begründet, ebenso aber auch in ihrer 'Funktion' als industriellgewerbliche 'Reserve', wenn männliche Arbeitskraft fehlt oder wenn sie bestimmte Lohnarbeitsformen verschmäht, nicht anzunehmen gezwungen ist. Auch hier macht die soziale Funktionsbestimmung Frauen zu ihren Objekten, indem sich diese Verhältnisbestimmung an ihnen verkörpert. Als individuelle und/oder kollektive Subjekte sind Frauen 'Objekt' - der sekundärpatriarchalisch-kapitalistischen Vergesellschaftung. Sie sind Trägerinnen dieses Modus wie Männer dessen Träger sind; mit dem Unterschied, daß die männlichen (Real -)Subjekte die Objektivität gestalten, sich in diesem Prozeß objektivgesellschaftliche Handlungsspielräume zubilligen, die sie Frauen verweigern. Die abendländische Kultur - und nicht nur diese ist eine an den individuellen und kollektiven Bedürfnissen von Männern ausgerichtete Kultur. Frauen sind freilich nicht lediglich deren 'Opfer'; so zu argumentieren, spräche ihnen jede subjektive Handlungskompetenz ab, auch sie 'tragen' subjektiv-objektiv diese 'Verhältnisse'. Aber ihre Handlungspielräume sind von vornherein und keineswegs nur durch die Klassenkonstellation objektiv eingeengt. Als Individuen ohne gesellschaftliche Einflußmöglichkeiten - auf die Gestaltung einer Marktökonomie, von Politiken, von Rechts - und sonstigen versachlichten Normierungen stehen sie als 'Besitzlose', d.h. besitzlos gerade auch in der Bedeutung von 'Verfügungsgewalt', nicht lediglich einer besitzenden und verfügenden 'Klasse' im Marxschen Sinne gegenüber. Sie befinden sich objektiv in einer Frontstellung gegenüber Männern, sofern diese ihre sozialen Privilegien verteidigen. Die bürgerliche Gesellschaft hat den Kreis der 'Bezugsberechtigten' schlicht vergrößert durch die Ausdehnung von Privilegien auf ehemals Besitz- und Rechtlose. Damit scheint die Annahme plausibel, daß die Verfestigung von Geschlechterungleichheit ein historisch bislang nicht gekanntes Ausmaß erreicht hat. Nicht Eigentum an Kapitalbesitz ist deren Medium, sondern Verfügungsgewalt über soziale Gestaltungsräume. Sie schließen die Marktökonomie ein, beschränken sich jedoch keineswegs auf sie. Auf die handlungsstrukturtheoretische Perspektive wird an anderer Stelle zurückgekommen. Für die Notwendigkeit einer Reformulierung der Werttheorie sind jedoch Anhaltspunkte gewonnen: Nur dann, wenn analytisch die Bedingungen der außermarktlichen Reproduktion, als individuelle und familiale, aus der Betrachtung ausgespart bleiben, kann argumentiert werden, der kapitalistische Mehrwert entstünde allein aus der marktvermittelten Nutzung von Lohnarbeitskraft unter bestimmten technologischen Voraussetzungen und im Rahmen einer bestimmten Eigentumsverfassung. Die traditionell - marxistische Wertlehre vernachlässigt begrifflich den gesellschaftlichen "Input" an familial-vermittelter unentgeltlicher Versorgungsarbeit, von dem die Marktökonomie ebensosehr "lebt", wie von der marktlichen Nutzung von Arbeitskraft. Er kommt nur dann in den Blick, wenn Individuen nicht abstrakt als Lohnarbeitskraft, sondern eben als menschliche Individuen gesehen werden, deren Arbeitskraft marktlich und familial vernutzt wird. Die Konsequenz einer solchen erweiterten Betrachtung liegt schon jetzt auf der Hand: Daß Kapitalverwertung und akkumulation sehr viel mehr an sozialer Potenz an sich binden, als einer nur auf Waren- und Geldprozesse gerichteten Sicht in den Blick gerät. Sie ist "ausbeuterischer", als die Marxsche Theorie annimmt. Sie 'beutet' offensichtlich nicht lediglich Lohnarbeitskraft 'aus', sondern das Gesellschaftsgefüge in einem breiter gesteckten Rahmen, von dem zunächst soziale Reproduktionsleistungen in den Blick kommen.
Zusammengefaßt: Die Existenz von Geschlechtern bildet die Grundlage von Vergesellschaftungen im Klassen- und Geschlechterverhältnis. Im Klassenverhältnis wird die Ungleichheit der Geschlechter über ihre Zugehörigkeit zu einer der beiden Klassen gestiftet, bildet in diesem Sinne den strukturinternen Widerspruch im Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital. Geschlechterungleichheit wird mit diesem Argument noch nicht begründet; gesagt wird lediglich, daß Klassen aus Geschlechtern bestehen. Sie resultiert im Lohnarbeitsverhältnis aus den beiden Merkmalen sekundärpatriarchalischer Vergesellschaftung: Ungleichheit im Zugang zu Erwerbschancen als solchen und diese noch einmal verdoppelt durch Ungleichheit im Zugang zu 'Verfügungsgewalt', zu Macht- und Einflußmöglichkeiten. Diese spezifische Form von Ungleichheit korrespondiert mit einem außermarktlichen Sekundärpatriarchalimus, primär über die Familienform vermittelt, der das eine Geschlecht vom anderen ökonomisch abhängig macht und allein dem einen Geschlecht generative Versorgungsleistungen abverlangt. Diese strukturtheoretische Begründung einer Doppelung der Ungleichheit in der Verfügung über und in der Aneignung des Sozialprodukts stellt die Warenwirtschaft einer Naturalwirtschaft gegenüber und verbindet beide miteinander: keine kann ohne die andere überleben; beide sind in ihrer Funktionsfähigkeit aufeinander angewiesen. Waren- und Naturalwirtschaft sind beides, kapitalistisch und patriarchalisch: Erstere ist allein dadurch patriarchalisch, daß sie zu ihrer Existenz auf menschlich-geschlechtliche Individuen angewiesen ist, die in ihr die Gestalt von Lohnarbeitskraft annehmen, aber allein von Frauen qua Versorgungs- oder Reproduktionsleistungen reproduziert werden. Letztere erhält das kapitalistische Element bereits über die Angewiesenheit auf Geld und Waren zu ihrer Reproduktion und Funktionsfähigkeit. Die wissenschaftliche Konvention, von einer kapitalistischen Produktionsweise zu sprechen, bezieht ihre Berechtigung aus einer analytischen Vorgehensweise, die nur das waren- und geldwirtschaftliche Element von Vergesellschaftungen aufgreift und vernachlässigt, daß letztere sich auf Individuen beziehen und sich auf sie erstrecken. Nachdem der Marxismus die Existenz eines naturalwirtschaftlichen Elements, ebenso dessen 'Verweiblichung' deskriptiv keineswegs leugnet, hätte die konsequente Durchführung der Theorie schon aus logischsystematischen Gründen zur Anerkennung eines spezifischen Patriarchalismus führen müssen. Wenn keine Produktionsweise ohne Menschen möglich ist und wenn die Beziehungen dieser Menschen zueinander auf Geschlechterungleichheit zugunsten der Männer beruhen, dann ist diese Produktionsweise zugleich patriarchalisch und nicht lediglich 'kapitalistisch'. Der diagnostizierte Sekundärpatriarchalismus stellt sich mit dieser Argumentation nicht als ein von außen an die Theorie herangetragenes Moment dar. Er ist ihr, unausgeführt, schon immer immanent. Die strukturtheoretische Verortung des Geschlechterverhältnisses erlaubt Ergänzungen bzw. Korrekturen bereits vorliegender Theorieentwürfe von Frauenforscherinnen. Nachstehend wird unterschieden, ob sie einem Forschungsspektrum entstammen, das an Basisannahmen der Marxschen Theorie festhält, oder einem solchen, das sie infragestellt.

  1. Die Famile als Basis und Überbau: Die in der Frauenforschung weithin vertretene These des geschlechter-strukturierten Charakters von Arbeitsteilungen, insbesondere im Familienbereich, wird von Hildegard Heise, wie herausgestellt, in Zweifel gezogen. Mit dem Ergebnis der Untersuchung läßt sich ihre Position, die über die traditionell marxistische Verortung der Familie im sozialen 'Überbau' hinausgeht, aus feministischer Sicht präzisieren; Heise schlägt die bürgerliche Familie 'Basis' und 'Überbau' zu. Strukturtheoretisch drückt sich in der Familie ein spezifisches soziales Organisationsprinzip aus. Sie ist (sichtbares) Funktionselement der Verhältnisstruktur, mit dem die familiale und unentgeltlich-wohlfahrtliche Versorgungsökonomie an die Marktwirtschaft rückgebunden wird. Diese Leistung erbringen unterhaltsrechdiche Regelungen: in der Generationenabfolge und unter Ehegatten. in der Geschlechtsspezifik ihrer Arbeitsteilungen bildet die (unterhalts-)rechtliche Grundlage ein Element sekundärpatriarchaler Vergesellschaftung: die in der Versorgungsökonomie Tätigen werden aus Erwerbseinkommen alimentiert, das familial-normative Modell sieht diese Alimentierung auf geschlechterungleicher Basis vor: dem Mann der Erwerb, der Frau die Familie. In dieser Hinsicht steht die Chiffre 'Familie' für ein strukturales Moment der Produktionsverhältnisse, mit dem die generative Reproduktion eines Sozialgefüges abgesichert und gewährleistet werden soll. Der Verweis auf 'Familie' beinhaltet gleichzeitig eine Chiffre für deren produktiv-generatives Element, sie reicht insofern in die Struktur der Produktivkräfte hinein: menschlich-individuelle Produktivkraft reproduziert sich im Familienverband auf legal-ehelicher Grundlage. Diese begriffliche Differenzierung suggeriert die Möglichkeit, in diesem Gefüge könnte sich eine ganz spezifische Nicht-Korrespondenz zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen entwickeln: wenn sich generative Reproduktion in zunehmendem Maße au&rhalb des normativ vorgesehenen Modells und Organisationsprinzips vollzieht. Daß diese Möglichkeit gegeben ist, veranschaulichen die enorme Zunahme nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften und die angestrengten Bemühungen staatlicher Instanzen, sozial- und unterhaltsrechtlich mit dieser Entwicklung Schritt zu halten: In der Berechnung von Hilfen zu Lebensunterhalt bei einer Person, die in nicht-legalisierter Gemeinschaft mit einer anderen lebt oder bei der Berechnung von nachehelichen Unterhaltsansprüchen, die unterstellen, eine geschiedene Frau führe ihrem jetzigen Lebensgefährten den Haushalt, wenn beide zusammenwohnen, so daß dieser verpflichtet sei, sie aus seinem Einkommen zu unterhalten. Diese Bemühungen staatlicher Instanzen greifen allerdings dort nicht mehr, wo Personen einen Hausstand für sich allein unterhalten; hier wäre durchaus zu fragen, ob diese Instanzen nicht von sich aus einen Beitrag zur enormen Zunahme von 1 -Personen Haushalten leisten, die sie doch gerade verhindern wollen. Die strukturtheoretische Auflösung des Basis - Überbau - Schemas zeigt am obigen Beispiel auf, daß der Basis-Überbau-Konstellation Ungenauigkeiten innewohnen. Deren gravierendste politische Konsequenz würde ich darin sehen, daß sich innerhalb des Ableitungsmodus von Basis und Überbau das familiale Geschlechterverhältnis als untergeordneter Sozialzusammenhang darstellt, die Nebenwiderspruchsthese hartnäckig am Leben erhalten wird. In einer logisch präzisen Ableitung hat die Verortung der Familie in Basis und Überbau zur\Folge, daß die nichterwerbstätige Hausfrau dennoch als parasitäre Profiteurin der marktvermittelten Arbeit des Lohnarbeiters erscheint. Diese These wird explizit von Hauser (1987) vertreten.
  2. Gesamtarbeit als Grundbegriff der Frauenforschung: Mit dem Ergebnis der Untersuchung lassen sich Einwände gegenüber Frigga Haugs Vorschlag präzisieren, den Marxschen Begriff der Gesamtarbeit zu einem Leitbegriff der Frauenforschung zu erheben (Haug 1989, S. 124). Würde diesem Vorschlag gefolgt, reproduzierte sich nicht lediglich die Gefahr einer spezifisch feministischen Metaphysik der Arbeit, des Ökonomismus der originären Marxschen Theorie, der generative Reproduktionen ausspart. Eingeebnet würden auf diese Weise die gravierenden Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Arbeitszuweisungen, wie sie im Verlauf der Untersuchung als Kontinuum unterschiedlicher Arbeitsformen herausgearbeitet wurden. Haugs Begriff ist so hoch aggregiert, daß er Differenzierungen nur innerhalb der Basisannahmen der Marxschen Theorie zuläßt - als Besonderungen eines vorgängig definierten Allgemeinen. Dieses 'Allgemeine' wird über den Kapitalverwertungszusammenhang gestiftet; Geschlechterkonstellationen sind mit ihm nur innerhalb einer Ableitungslogik antizipierbar. Haug akzentuiert generell das Frauen und Männern Gemeinsame an Ausbeutung und Unterdrückung durch kapitalistische Vergeselischaftung, vernachlässigt demgegenüber die Differenz. Das Ergebnis der Untersuchung stellt die These der Gemeinsamkeit von Unterdrückungserfahrungen der Geschlechter partiell infrage. Die Aufgabe feministischer Forschung bestünde darin, Differenzierungen vorzunehmen, auf sie wird an anderer Stelle zurückgekommen.
  3. Teilzeitarbeit als Zukunftsmodell? Mit dem Nachweis der Existenz eines Kontinuums unterschiedlicher Arbeitsformen, dessen jeweilige Pole Vollzeit-Erwerbstätigkeit auf der einen, Vollzeit-Familientätigkeit auf der anderen Seite bezeichnen, wird die Tragfähigkeit einer in Frauenforschung und -bewegung seit längerem erörterten Strategie genauer beleuchtet: ob die Teilzeit-Erwerbstätigkeit vieler Frauen als Modell einer neuen Form von Arbeitsteilung begriffen werden kann, das Familienmit Erwerbsarbeit zu verbinden erlaubt und letztlich auch Männern angetragen werden könne (zuletzt Eckart 1988, Gensior 1988). Mit dem Ergebnis der Untersuchung lassen sich gegen diese These begründete Einwände anmelden. Teilzeit-Erwerbstätigkeit als spezifisch weibliche Arbeitsform war historisch niemals als existenzsichernde Erwerbsmöglichkeit gedacht. In ihrer Definition als 'Zuarbeit' ist, trotz der ihr impliziten Abwertung von Frauenarbeit, ein wahrer Kern enthalten: Ihre Ausübung setzt die Existenz eines vollerwerbstätigen Ehepartners voraus, der mit seinem Einkommen den Hauptteil der Kosten des Lebensunterhalts beider bzw. einer Familie bestreitet. Es ist nicht Zufall, daß Teilzeit-Erwerbstätigkeit die Domäne verheirateter Frauen darstellt. Als "Pionierinnen einer neuen Arbeitsteilung" ließen sich teilzeiterwerbstätige Frauen nur unter der Voraussetzung bezeichnen, wenn mitgedacht wird, daß die Verallgemeinerung dieser Form der Arbeitsaufteilung die Verteilungsrelationen von Lohnarbeit und Kapital außer Kraft setzen muß,

und weiterhin, daß die unterhaltsrechtliche Absicherung der Versorgungsökonomie ihre Gültigkeit verliert: Wie soll ein jeweils teilzeit-erwerbstätiges Elternpaar aus seinem Erwerbseinkommen den Unterhalt einer Familie bestreiten, ohne daß sich die Verteilungsrelationen zwischen Lohnarbeit und Kapital erheblich zugunsten von ersterem veränderten? Noch schärfer formuliert: Die Realisierung des Modells hängt von einer Verdoppelung des bisher auf die lohnabhängige Bevölkerung entfallenden Anteils am gesellschaftlichen Mehrprodukt ab. Diese Erwartung dürfte sich an den Verteilungsrelationen brechen, die durch die 1)oppelung von Kapitalismus und Sekundärpatriarchalismus gesetzt sind - so 'vernünftig' der Vorschlag als solcher ist.

  1. Das Geschlechterverhältnis in Entwicklungsländern: Und noch eine weitere Präzisierung scheint möglich. Der Nachweis einer Interdependenz zwischen Markt- und Naturalwirtschaft zur Sicherung der Funktionsf'ähigkeit industrialisierter Sozialgebilde stellt eine politischökonomische Begründung für die These zur Verfügung, kapitalistische Vergesellschaftung zehre von Ressourcen, die ihr als beständiger 'Input' zugeführt werden und zufließen. In der feministischen Forschung wird der Topos innerhalb der Aussage angesprochen, Frauen seien eine 'Naturressource', die in einem Prozeß der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation verwertet werde (Mies 1988). Nach der hier vorgestellten Argumentation sind Frauen nicht 'Natur', sondern vergeselischaftete Natur als Produktivkraft und Realsubjekt. Deren Arbeitsund Gebärvermögen werden nicht verwertet, weil sie dem kapitalistischen Verwertungsprozeß direkt subsumiert sind. Vielmehr besteht die besondere 'Nutzung' dieser 'Ressourcen' darin, daß sie die generative Reproduktion einer Gesellschaft auf naturalwirtschaftlicher Grundlage in einer Form gewährleisten, die auf die Bedürfnisse kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftung abgestimmt ist. Diese Aussage kann selbst für Dritte-Weit-Länder Geltung beanspruchen. In dem Maße, wie nicht-industrialisierte Länder in eine weltweite Waren- und Geldwirtschaft einbezogen werden, vollzieht sich unter anderen kulturellen Voraussetzungen und historisch zeitversatzt ein Wandel, der der europäischen Transformation von Agrar- in Industriestaaten in einer Reihe von Punkten vergleichbar ist. Die strukturale Analyse mit ihrer Unterscheidung zwischen Diachronie und Synchronie, die in ihrem spezifischen Geschichtsverständnis angelegt ist, gibt systematische Anhaltspunkte an die Hand, solche historischen Ungleichzeitigkeiten von kapitalistisch-sekundärpatriarchalen Entwicklungen zu untersuchen. Für die feministische Dritte-Welt-Forschung stellt die hier durchgeführte Analyse in ihrer raum-zeitlichen Begrenzung auf den deutschen Herrschaftsbereich eine Anzahl von Fragestellungen zur Verfügung: Ist auch in Dritte-Welt-Ländern eine Entwicklung beobachtbar, daß vor allem Männer die neuen, industriegewerblichen Erwerbsmöglichkeiten für sich beanspruchen? Sind Schließungsprozesse gegenüber Frauen beobachtbar, die ihnen Bildungs-, Qualifikations- und Erwerbsmöglichkeiten weitgehend versagen? Kristallisiert sich in solchen Ländern eine Form der Subsistenz- oder Naturalwirtschaft heraus, die in zunehmende Abhängigkeit von Warenmärkten gerät, wobei Männer für sich beanspruchen, warenund geldmarktliche Vorgänge zu monopolisieren? Anders und umgekehrt formuliert, führt die waren- und geldwirtschaftliche Überformung solcher Sozialgebilde zum wirtschaftlichen Ausschluß von Frauen? Und nicht zuletzt: Sammeln sich auch dort Frauen, wenn sie Lohnarbeit ausüben, im unteren Bereich der Erwerbshierarchie? Die feministische Dritte-Welt-Forschung verfügt bereits über Antworten auf diese Fragen. Sie wären daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie einer strukturtheoretischen Interpretation standhalten bzw., ob letztere der vorliegenden Dritte-Welt-Forschung neue Anstöße zu geben vermag. Fragestellungen dieser Art heben auf die Vergleichbarkeit von Transformationsprozessen ab, mit der eine (agrarische) Produktionsweise von einer anderen (kapitalistischen) abgelöst wird. Die strukturtheoretische Argumentation, marktwirtschaftliche Vergesellschaftung setze zu ihrer Funktionsf'ähigkeit ein starkes naturalwirtschaftliches Element voraus, bricht eine potentielle Polarisierung zwischen 'Subsistenz'- und Marktwirtschaft auf und stellt über diesen Aspekt die Möglichkeit von Parallelen zur Verfügung: Auch ein Entwicklungsland läßt sich niemals vollständig industrialisieren, weil es ein solches Phänomen selbst in Industriegesellschaften nicht gibt. Eine Aussage dieser Art beruht immer auf einer eingeschränkten Sichtweise. Umgekehrt böte die Identifikation von Vergleichbarkeiten in der Ungleichzeitigkeit die Möglichkeit, 'das ganz Andere' sichtbar zu machen. Im Unterschied zur europäischen Frähindustrialisierung besteht ein Aspekt dieser Ungleichzeitigkeit heute in der vorgängigen Existenz hochindustrialisierter Gesellschaften. Im 19. Jahrhundert gab es weder die Auslagerung von Produktionen in Billiglohnländer, noch Touristikindustrien oder TourismusProstitution. Das 'Andere' bestünde weiterhin in der kulturellen Differenz von Geschlechterungleichheit im Transformationsprozeß. Erst Forschungen dieser Art gäben zu erkennen, ob mit Berechtigung von einem universellen Muster der Transformation von Geschlechterungleichheiten die Rede sein kann, welche Gehalte es besitzt, und welche kulturellen oder nationalen Besonderheiten sich allgemeinen Aussagen über das Geschlechterverhältnis entziehen.
  2. Weltweites transhistorisches Patriarchat? Mit diesen Überlegungen müßte die subsumtionstheoretische Fragestellung von Arnason, die sich explizit auf weltweite kapitalistische Vergesellschaftung bezieht, noch einmal aufgegriffen werden; dessen Argumentation wäre aus der Sicht der Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung zu überprüfen. Das ist an dieser Stelle nicht möglich, bedürfte einer eigenständigen Analyse. Eine Reihe von Fragestellungen können allerdings präzisiert werden, sofern sie nicht bereits oben im Hinblick auf die feministische Dritte-WeltForschung benannt worden sind: Welche analytischen Konsequenzen zieht die Identifikation einer Doppelung von Aneignung und Kontrolle unter kapitalisfisch-patriarchalen Bedingungen für die Marxsche Werttheorie nach sich? Welcher Stellenwert kommt innerhalb dieser Beweisführung den Begrifflichkeiten 'abstrakte Arbeit' und 'Gebrauchswert' zu? Lassen sich Arnasons Ausführungen in die strukturtheoretische Differenzierung im Anschluß an Godelier 'übersatzen'? Wie ist Arnasons Kritik des strukturalen Marxismus' Althussers angesichts der hier angestellten Überlegungen zu beurteilen? Wie stellt sich bei diesem Autor das Verhältnis von Theorie und Empirie dar? (Auf diese Problematik wird zurückgekommen.) Im Verlauf der Untersuchung schien sich die subsumtionstheoretische These zu bestätigen, alle Lebensbedingungen würden den im Wertverhältnis zusammengezogenen Erfordernissen kapitalistischer Gesellschaftsorganisation unterworfen. Die Identifikation einer Doppelung der strukturimmanenten Widerspruchskonstellation, wie in diesem Abschnitt entwikkelt, wirft die Frage auf, ob diese Aussage tatsächlich zutrifft: Das analytische Problem liegt im Begriff 'Kapitalismus'. Wenn diese Begrifflichkeit ihre logische Schhissigkeit einer Argumentationsstrategie verdankt, die von personen- und vor allem geschlechtsgebundenen Vergesellschaftungen absieht, bleibt vorläufig offen, welches Prinzip hier 'subsumiert'. Die Analyse zeigte auf, daß das Wertverhältnis auf außermarktliche Reproduktion einwirkt, ihm vermittels warenund geldförmiger Ressourcenzuweisungen bestimmte Bedingungen auferlegt. Wo Geld und Waren fehlen, muß unentgeltliche Arbeit 'einspringen'. In gewissem Umfang kann eine Hausfrau Reallohmninderungen durch Eigenproduktion auffangen, wo Pflegeleistungen für einen älteren Menschen nicht bezahlt werden können, springt eine Tochter oder Schwiegertochter ein. Diese Form einer 'Subsumtion' thematisiert das markt- und geldwirtschaftliche Prinzip, das im Verteilungsmodus zwischen Lohnarbeit und Kapital zur Wirkung kommt. Es erklärt nicht, warum das Familieneinkommen meist über die Person eines Mannes in die Familie(nökonomie) fließt und warum eine Frau mit unentgeltlichen Arbeitsleistungen die ungleiche Verteilung zwischen Lohnarbeit und Kapital abpuffert, um generative Reproduktion zu ermöglichen bzw. abzusichern. Die Frage stellt sich, ob das, was wir als 'kapitalistisch' bezeichnen und was sich in 'Wertgesetzlichkeiten' niederschlägt, nicht etwas verdeckt. Es verdeckt in der originären Theorie mit Sicherheit das sekundärpatriarchale Element, aber gegenwärtig läßt sich nicht genau angeben, ob 'die kapitalistische Produktionsweise' nicht als historisch-besondere Ausprägung von Geschlechterherrschaft gesehen werden muß. Nicht lediglich der Herrschaft von Männern über Frauen, sondern der Herrschaft von Männern über Männer und Frauen. In diesem Fall wäre die Möglichkeit der Existenz eines universellen Vergesellschaftungsmusters in Betracht zu ziehen, das von standesgesellschaftlichen Gerontokratien bis hin zu modernen Sozialgebilden reicht. Ein Blick auf Alter und Geschlecht von Personen mit wirtschaftlichem und/oder politischem Einfluß in Industriegesellschaften läßt diese Überlegung nicht ganz abwegig erscheinen ungeachtet des Gesellschaftssystems. Empirische Evidenzen sind kein wissenschaftlicher Beleg. Wir wissen jedoch, daß die Minderstellung von Frauen - bei aller gleichzeitigen Überhöhung - ein Merkmal von Kulturgesellschaften im Geschichtsverlauf darstellt. Wir wissen inzwischen ebenfalls, daß die männliche Hälfte der Geschlechter keineswegs mit einer überlegenen Intelligenz ausgestattet ist, die weibliche Minderstellung vielleicht erklärbar machte. Die Natur hat ihre Gaben gerecht auf beide Geschlechter verteilt bzw. beiden Geschlechtern vorenthalten. Unter diesem Gesichtspunkt ließe sich die marxistische Produktionsweisen-Diskussion auch als Geschichte von Wirtschdts- und Bevölkerungsweisen in ihrer Geschlechtsspezifik interpretieren (wobei vermutlich bestimmte Auslassungen des weiblichen Beitrags zur Technologie-Entwicklung zum Vorschein kämen). Diese Betrachtung wäre keineswegs ahistorisch, sie würde geradezu das historisch variable Element betonen. Dann aber, und darauf laufen meine Überlegungen hinaus, wäre der Kapitalismus eine hochentwickelte Form von (patriarchaler) Geschlechterherrschaft, die Anatomie des Affen die eines Weibchens und Männchens. Das Wertverhältnis stellte sich unter diesen Voraussetzungen als Transmissionsriemen dar, mit dem Männer auf abgestufte Art und Weise am gesellschaftlichen Produkt partizipieren und erst in zweiter Linie die Frauen. Hierbei muß es sich nicht um einen intentionalen Prozeß gehandelt haben, ist sogar unwahrscheinlich, demgegenüber eher eingebettet in ein kulturelles Muster, das 'ganz selbstverständlich' Geschlechterherrschaft beinhaltete und voraussetzte. Von einer Subsumtion aller Lebensbedingungen unter Kapitalerfordernisse könnte dann nur bedingt die Rede sein. Es könnte sich ebensogut um eine Subsumtion unter ein patriarchales Prinzip handeln, das in seiner spezifisch kapitalistisch-wirtschaftlichen Ausprägung andere und gleichzeitig existierende Patriarchalisrnen überformt und von sich abhängig macht. Angesichts des weltweiten ökologischen Desasters ist man versucht, im Wertgesetz den Besen zu sehen, der den Zauberlehrling nicht mehr losläßt. Er hat sich selbständig gemacht.

Im Rahmen dieser offenen Forschungsfragen und weiterführenden Perspektiven stellt es sich als problematisch dar, Aussagen zum zweiten Widerspruchstypus Godeliers, dem 'Grundwiderspruch', zu treffen. Die naheliegende Analogie zum traditionellen Marxismus, die Frauenbewegung zum revolutionären Subjekt zu deklarieren, verbietet sich von der Anlage und den Ergebnissen der Untersuchung von selbst. Die strukturale Methode enthält allerdings gedankliche Möglichkeiten, die der Autor selber nicht gesehen hat. Einige dieser Möglichkeiten werden im folgenden vorgestellt und im Rahmen des entwickelten Theorieansatzes erörtert.

5.2 Geschlechterverhältnis und Grundwiderspruch

Godeliers strukturtheoretische Aussage lautet, zwischen der Struktur der Produktionsverhältnisse und derjenigen der Produktivkräfte gäbe es eine prozessuale Widerspruchskonstellation, während der erstgenannte Widerspruch von Anbeginn einer Produktionsweise strukturicrt sei. Auf den ersten Blick scheint diese Aussage nichts anderes zu beinhalten an die bekannte Annahme der originären Theorie, im Verlauf einer Produktionsweise bilde sich ein Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen heraus, der zur Aufhebung einer solchen Produktionsweise führe. Die kapitalistische Gesellschaft werde sich zu einer sozialistischen entwickeln, diese sei wiederum ein Übergangsstudium zum Kommunismus. Die Streitfrage, die die Marxismusforschung seit Bernstein beschäftigte, bestand in der Frage einer Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung. Entsteht ein 'Grundwiderspruch' quasi von selbst oder bedarf es der Aktionen eines revolutionären Proletariats, um ihn wirksam werden zu lassen? Godeliers Unterscheidung zwischen einer prozessualen und strukturierten Widerspruchskonstellation verabschiedet sich heimlich vom Geschichtsdeterminismus der originären Theorie. Weder vertritt er die teleologische Position des revisionistischen, noch die des revolutionären Marxismus, ohne in aller Deutlichkeit beiden Auffassungen die Absage zu erteilen, die sich als Konsequenz seiner strukturtheoretischen Methode ergibt. Die 'Struktur' der Produktivkräfte umfaßt, wie an anderer Stelle ausgeführt, 'Natur' im weitesten Sinne, d.h. die vergesellschaftete 'Natur' in ihrer organischen und unorganischen Gestalt. Godelier löst mit dieser Sichtweise irn ersten Zugriff den gesellschaftstheoretischen Duatismus von Natur und Gesellschaft auf, der die marxistische Forschung seit langem beschäftigt. Innerhalb der Struktur der 'vergesellschafteten Natur' kommt den Menschen eine Sonderstellung zu: Sie handeln mit einem Bewußtsein, das 'anders' ist als das Bewußtsein anderer Gattungen. Sie gestalten ihre Lebensbedingungen und damit auch 'Natur'. Mit diesem Rekurs auf Individuen gibt Godelier implizit die Revolutionstheorie preis - und eröffnet neue Erkenntnismöglichkeiten. Der objektive Gehalt seiner Theorie, trotz allen Objektivismus, besteht im Anerkennen der Möglichkeit, daß die Dynamik der Produktivkräfte eine Eigenlogik entfalten kann, die keineswegs zu höheren menschlichen Freiheitsgraden führen muß. Sie kann sich positiv, aber auch negativ auf menschliche Vergesellschaftungen auswirken. Von der Vielfalt der mit dieser Auffassung angelegten Möglichkeiten wurde zunächst der Aspekt aufgegriffen, den Produktivkraftbegriff auf die 'Bevölkerungsweise' auszudehnen - als historisch bedingte 'Weise' der generativen Reproduktion unter bestimmten ökonomisch-technologischen Voraussetzungen. Godelers Prozeßbegriff enthält jedoch sehr viel mehr als das. Ich möchte diese Feststellung an dem in seinen Ausführungen angelegten Naturverständnis verdeutlichen. Er löst unversehens die geschichtsphilosophische EntWstoilsierung des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft auf, nicht nur dessen dualistische Konzeption. Wenn er Natur als Bestandteil von Struktur begreift und zwar als einer von zwei unterschiedlichen, nicht aufeinander reduzierbaren Strukturen - liegt in dieser Differenzierung die Aussage begründet, Natur, in welcher Gestalt auch immer, sei nicht identisch mit der Art und Weise des Gebrauchs, den ein industriegesellschaftliches oder anderes Sozialgebilde von ihr macht. Sie existiert in ihm und außer ihm. Alle menschlichen Tätigkeiten und Hervorbringungen spielen sich innerhalb eines 'natürlichen' Kosmos ab, sind eingebunden in einen ökologischen Gesamtzusammenhang. Er kann mißverstanden werden als ausschließliches 'Objekt' menschlicher Bedürfnisse und Bestrebungen, Natur als 'ausbeutbare'. Im Begriff der Natur als Produktivkraft ist die Aussage angelegt, daß sie sich auf diesen Objektcharakter nicht reduzieren läßt, daß in ihr eine Entwicklungslogik zur Wirkung kommt, die von menschlicher 'Logik' sehr unterschieden und unterscheidbar ist. Dieser breitgefaßte Produktivkraftbegriff eröffnet die gedankliche Möglichkeit, sich eine strukturierte Widerspruchskonstellation vorzustellen, in der Produktiv- und Destruktivkräfte in einem Interaktionsverhältnis stehen. Die in diesem Begriffspaar angelegte Wirkung wäre stets auf menschliche Vergesellschaftungen zu beziehen: Natur in ihrer Eigenlogik läßt sich weder als destruktiv, noch als produktiv bezeichnen. Sie ist das eine oder andere für Menschen, nicht für sich selbst. Die Destruktivität oder Produktivität von 'Natur' - als menschliche oder dingliche - stellt sich über ihre Vergeselischaftung her, d.h. über das Zusammenwirken beider Strukturtypen. Das in Ländern der Dritten Welt verfeuerte Holz zur Lebensmittelzubereitung dient der Reproduktion von Menschen unter bestimmten ökonomischen Bedingungen, ist in diesem Sinne für sie selber 'produktiv' - und hinterläßt kahle Bodenflächen, die zu Steppen oder Wüsten werden und zur Veränderung des ökologischen Gleichgewichts beitragen. Was kurzfristig für den Menschen produktiv ist, stellt sich auf lange Sicht als destruktiv heraus, weil ihm die Existenzgrundlage entzogen wird. Analoges gilt in anderer Form für Industriestaaten: Für die Chemie- oder Agrarindustrie ist es in doppEltern Sinne 'produktiv', Wasserressourcen nach Bedarf zu nutzen. Auch diese 'Produktivität' schlägt langfristig um in Destruktivität, weil dieselben Industrien diese Ressourcen durch Schwermetalle und andere Giftstoffe verseuchen. Der 'Natur' als außermenschlicher kann das 'gleichgültig' sein, sie ändert ganz einfach die Richtung der Evolution, läßt Gattungen verschwinden und neue entstehen. Nicht gleichgültig kann ein solcher ökologischer Prozeß demgegenüber Menschen und deren Sozialgebilden sein: sie bilden eine der Gattungen, die diesem Evolutionsprozeß unterworfen sind und demzufolge 'verschwinden' können wie einst die Dinosaurier. Die in Godeliers Begriff der Produktivkraftstruktur angelegte Sichtweise transzendiert eine ökonomistische und geschichtsdeterministische Inter pretation von 'Produktivkraftentwicklung'. Produktivkräfte sind zunächst 'Struktur' und verflüssigen sich zu 'Prozeß' durch ihre Vergesellschaftung. Die obigen Beispiele verdeutlichen, daß diese Prozessualität sich zutiefst widersprüchlich gestaltet, daß vermutlich hiciin der 'Grundwiderspruch' kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftungsformen besteht. Hier wird tatsächlich etwas 'subsumiert', das sich langfristig jeglicher Vereinnahmung entzieht. Kulturgeschichte erweist sich aus dieser Perspektive als Zerstörungsprozeß der menschlichen Existenzgrundlagen. Diese Zerstörung setzte nicht erst mit dem Kapitalismus ein, davon zeugen die verkarsteten Gebirge des Mittelmeerraums, die in der Neuzeit das Holz zum Bau von Schiffsflotten lieferten. Kapitalistische Vergesellschaftung von 'Natur' kann ohne jeden Zweifel für sich in Anspruch nehmen, in diesem Prozeß einen qualitativquantitativen Umschlag bewirkt zu haben. Naturzerstörung bleibt regional nicht länger begrenzt, erhält weltumspannende Dimensionen. Daß in der Dritten Welt das Holz verheizt wird, statt zu wachsen, ist durch Armut und Elend bedingt, in die diese Länder gedrängt und gehalten werden qua weltwirtschaftliche Verflechtung. Aus allen diesen Gründen ist es kein müßiges oder gar in denunziatorischer Absicht verfolgtes Anliegen, dem paüiärchalen Gehalt dieses weltweiten Vergesellschaftungsprozesses nachgehen zu wollen. Es läßt sich kaum innerhalb einer 'Großtheorie' entwickeln, die von historischen und regionalen Ungleichzeitigkeiten absieht, sich schon allein aus diesen Gründen einer empirischen Überprüfbarkeit entzieht. Wird letztere als Maßstab der Angemessenheit von Theoriebildung akzeptiert, stellt sich das Anliegen bescheidener dar, gewinnt aber vielleicht an Überzeugungskraft. Die Zurückhaltung, nach einem 'Grundwiderspruch' im Geschlechterverhältnis in einer Untersuchung mittlerer Reichweite zu suchen, kann sich auf Marx berufen. Von ihm selber stammt die Vermutung, daß eine Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise nur weltweit möglich sei, weil Kapitalverwertung und -akkumulation zu ihrer beständigen Ausdehnung tendierten. Dennoch müßten Aussagen über widersprüchliche Entwicklungen im Geschlechterverhältnis einer industrialisierten Gesellschaft möglich sein, wenngleich nicht in der Bedeutung eines systemsprengenden Grundwiderspruchs - wobei noch nicht ausgemacht ist, ob die Adaptionsfähigkeit kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftung nicht bis zum bitteren Ende weltweiter Klimakatastrophen reicht. Solche Aussagen müßten sich innerhalb des Spektrums von Arbeitsteilungen, Fortpflanzung und Existenzsicherung bewegen, wie sie einer industriekapitalistischen Wirtschafts - und Bevölkerungsweise immanent sind und immer auch einer Prozessualität unterliegen. Die folgenden Überlegungen verstehen sich als Forschungsskizze, die der näheren Ausführung bedürfte. Sie bezieht sich auf gegenwärtige Entwicklungen. Um im Anschluß an die historischempirische Analyse überzeugend argumentieren zu können, müßte der Rechtskornplex von Familien-, Arbeits- und letztlich auch Sozialrecht in seiner Anpassung an veränderte gesellschaftliche Bedingungen von der Jahrhundertwende an bis in die Gegenwart untersucht werden: 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft, mit dem alle allgemeinrechtlichen Überbleibsel in ein neues Fundament integriert bzw. durch es beseitigt wurden. In den Zeitraum dieser neunzig Jahre fallen gravierende familienrechtliche Veränderungen, die die formalrechtliche Stellung der Frau grundlegend veränderten. Das gilt vor allem für das Verfassungsgebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau als Grundlage der bundesrepublikanischen Gesetzgebung und für das 1977 in Kraft getretene Ehe- und Familienrecht. Mit der formalrechtlichen Gleichstellung von Frau und Mann nimmt die Bundesrepublik Deutschland eine Sonderstellung im Vergleich mit den USA, England oder Frankreich ein, die eine solche formalrechtliche Gleichheit der Geschlechter nicht kennen. Und dennoch ist die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit hierzulande krasser als anderswo. Im EG-Vergleich bewegt sich das bundesdeutsche Geschlechterpa&iarchat in einem mit Luxemburg und Irland vergleichbaren Spektrurn. So kommt eine Repräsentativbefragung in 12 EG-Ländern zur Gleichstellung der Geschlechter zu folgendem Ergebnis: "Drei Länder liegen weit zurück im Vergleich zum europäischen Mittel. Deutschland und Luxemburg nehmen die letzten Plätze der Europa-Skala ein für alle Fragen betreffend die Gleichstellung der Geschlechter und insbesondere betreffend die jeweiligen Rollen der Ehepartner in der Familie. Frauen und Männer geben sehr ähnliche Antworten. Gleichzeitig stellt man fest, daß die Situation der Frau in beiden Ländern nicht als wichtiges Problem auftritt. Während wir die öffentliche Meinung in ihrer Gesamtheit beschreiben, schließt dies nicht die Existenz aktiver Minderheiten aus. Diese Verschiebung der deutschen und luxemburgischen Sichtweise gegenüber anderen europäischen Ländern wurde bereits 1983 beobachtet. Irland gehört gleichfalls zu dieser Gruppe der Nachzügler, insbesondere weil man hier seltener als anderswo zugibt, daß eine Frau genauso wie ein Mann Busfahrer, Chirurg und Rechtsanwalt sein könnte" (Frauen Europas 26/1987, S. 47).
In der repräsentativen Studie sprachen sich von den befragten deutschen Ehemännern 31% für und 58% gegen eine Erwerbstätigkeit der Ehefrau aus. Übertroffen wurde die Zahl nur von den luxemburgischen Ehemännern mit 29% bzw. 59%. Zum Vergleich Griechenland mit 63% bzw. 28% bzw. Dänemark mit 58% bzw. 23% (Antwortverweigerungen in der obigen Reihenfolge: 11%, 12%, 9%, 19%.) Sicherlich müssen bei der Interpretation wirtschaftliche Faktoren berücksichtigt werden; in Griechenland stellen sie sich anders dar als in Dänemark. Im EG-Durchschnitt plädierten 1983 36% aller befragten Frauen und Männer für eine Gleichverteilung von Erwerbs- und Familienarbeit (EG 10), 1987 demgegenüber 41% (EG 12); für weniger Erwerbs- und dafür mehr Familienbeteiligung der Frau 1983 30%, 1987 29 %, für das Modell der Hausfrauenehe 1983 28% bzw. 25% (ebd., S. 13). Von den 41% EG-Durchschnitt, die sich für eine Gleichverteilung aussprechen, entfallen auf die Bundesrepublik Deutschland 26% (ebd., S. 14).
Diese Daten legen die Vermutung nahe, das bundesdeutsche Patriarchat sei weitgehend intakt, werde 'allenfalls' von einem Viertel seiner Bevölkerung infragegestellt. Dieses Viertel mag sich im europäischen Vergleich armselig ausnehmen, von einem normativen Konsens im Geschlechterverhältnis läßt sich gleichwohl kaum noch sprechen, nehmen wir die Zahlen für bare Münze. Als möglichen Grund für diesen Sachverhalt nennt Franz-Xaver Kaufmann die Restaurationsphase der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Sie habe das traditionelle Geschlechterverhältnis auf rigidere Weise wiederhergestellt als anderswo. Selbst die Annahme, immerhin ein Viertel der bundesdeutschen Männer sei bereit, sich auf ein Modell der egalitären geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung einzulassen, muß mit Vorsicht betrachtet werden. Wie kürzlich in einer Studie hervorgehoben, wird ein solches egalitäres Modell von keinen 3% der bundesdeutschen Bevölkerung tatsächlich gelebt (Busch/ Hess - Diebäcker/Stein - Hilbers 1988).
Das bundesdeutsche Geschlechterverhältnis weist eine hochgradige sozialstrukturelle Verfestigung auf. auf dem Arbeitsmarkt, in der familialen Pflichtenverteilung - trotz der formalrechtlichen Gleichstellung beider Geschlechter, die keine geschlechtsspezifischen Arbeitszuweisungen mehr vorsieht. Barbara Riedmüller und Ilona Kickbusch machen auf die wohl wichtigste sozialstrukturelle Verfestigung aufmerksam: Die gesamte Sozialgesetzgebung ist auf den Familienlohn des Familienvaters ausgerichtet (Kickbusch/Riedmüller 1984, S. 10). Von Gerhard/Schwarzer/Slupik (1988) liegt inzwischen eine detaillierte Analyse der gesamten sozialrechtlichen Benachteiligung von Frauen vor; sie weist im einzelnen aus, wie durch die sozialrechtliche Privilegierung der 'Hausfrauenehe' und die Bindung sozialstaatlicher Leistungen an Erwerbseinkommen, mit Ausnahme der Hilfen zum Lebensunterhalt, die strukturelle Verfestigung des Geschlechterverhältnisses auf Dauer gestellt wird. Sie läßt es, zusammen mit den analogen Verfestigung des Erwerbs- und Familienbereichs, nahezu müßig erscheinen, nach Auflösungstendenzen eines solcherart strukturierten Geschlechterverhältnisses zu suchen. Eine offene Forschungsfrage wäre, ob sich hier nicht, wie bereits im 19. Jahrhundert unter den Bedingungen der Industrialisierung, ganz neue Invarianzen herausgebildet haben, die das Geschlechterverhältnis wie eine Klammer umschließen: Das Sozialrecht konserviert ein historisch überholtes Geschlechtermodell. Läßt sich diese Feststellung strukturtheoretisch belegen? An dieser Stelle werden die Begrenzungen einer auf 'objektive' Vergesellschaftungen ausgerichteten Analyse manifest, die sich noch dazu nur mit sozio-ökonomischen Sachverhalten befaßt. Das Geschlechterverhältnis befindet sich zweifellos im Umbruch, von Kaufmann auf den prägnanten Begriff gebracht, die Frauen hätten den Geschlechtervertrag gekündigt. Sie können jedoch nicht eine Sozialgesetzgebung aufkündigen, die sie dort zu halten sucht, wo viele nicht mehr bleiben wollen: lebenslang eingeschlossen in die Kleinfamilie, unterbrochen von gelegentlicher Erwerbsarbeit, die sich aus der Sicht von Existenzsicherungsansprüchen als diskontinuierliche Erwerbsbiographie mit abgestuft minderen Rechten darstellt. Der Umbruch im Geschlechterverhältnis erstreckt sich nicht lediglich auf die partielle weibliche Aufkündigung verfestigter Arbeitsteilungen. Sie vollzieht sich parallel hierzu im sogenannten Intirnbereich. Mit diesem Hinweis rückt eine Dimension ins Licht, die in der vorliegenden Untersuchung zwangsläufig vernachlässigt werden mußte, an der sich jedoch der Wandel des Geschlechterverhältnisses sehr viel genauer ablesen lassen müßte als in einer Analyse 'objektiver' Sachverhalte, die theoretisch denn auch als Invatianzen ausgewiesen werden: Der Wandel von 'Strukturierungen' im Handeln und Wahrnehmen von Individuen. Für eine solche Analyse sind subjekttheoretische Vorgaben unabdingbar. Dennoch lassen sich einige Anhaltspunkte benennen, die sich sowohl auf Einstellungen und Handlungsmuster im Hinblick auf Arbeitsteilungen als auch auf jene im Intimbereich der Geschlechterbeziehungen erstrecken. Meine These lautet, daß in beiden Bereichen die Erwartungen der Geschlechter aneinander weitgehend nicht mehr übereinstimmen, daß gegenwärtig der Konsens zwischen Frauen und Männern über die normative Ausgestaltung ihrer Beziehungen ins Wanken gerät. Die Aufkündigung des Geschlechtervertrags geschieht nicht einvernehmlich. Der vergleichsweisen hohen Berufsorientierung von Frauen entspricht keine Bereitschaft von Männern, begehrte Erwerbschancen mit Frauen zu teilen; der Erwartung von Frauen, sich in familiale Versorgungsleistungen mit Männern zu teilen, ebensowenig eine komplementäre Bereitschaft der Adressaten, dieser Erwartung nachzukommen. Männer sehen in der Regel wenig Anlaß, Arbeitskraft naturalwirtschaftlich zu investieren, wenn sie von Versorgungsleistungen weiterhin profitieren können. Umgekehrt erkennen Frauen in zunehmendem Maße, was die naturalwirtschaftliche 'Investition' an Folgen für sie zeitigt: vor allem eine mangelhafte oder gänzlich fehlende eigenständige Existenzsicherung und ein Übermaß an Arbeitsbelastungen, wenn sie, als Familienhausfrauen, zugleich Erwerbstätigkeit ausüben. Die Frage einer geschlechtsspezifischen Umverteilung von Arbeit und Einkommen bezieht sich realiter auf Erwerb und Familie, auf die Möglichkeit des Herstellens eines Gleichgewichts in der jeweiligen Arbeitsbeteiligung von Frauen und Männern. Meist unausgesprochener Angriffspunkt ist die männliche Privilegienstruktur; privilegiert immer im Hinblick auf Chancen der Existenzsicherung, Chancen aber auch politischer und wirtschaftlicher Einflußnahme.
Parallel zu dieser Entwicklung, die auf relativ bescheidenem Niveau ihren gesellschaftlichen Ausdruck in der enormen Zunahme der Teilzeit-Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen fand, vollzieht sich, statistisch nicht erfaßbar wie Beschäftigungsziffern, die Kündigung bzw. Neuaushandlung des Geschlechtervertrags im Intimbereich. Frauen - gewiß nicht alle, doch sehr viele - erwarten von Männern verstärkt psychische Zuwendung, anstatt solche nur zu gewähren; von Männern häufig mit Irritation zur Kenntnis genommen. Von dieser Erwartung, auch als Anspruch, zeugen eine Vielzahl gesellschaftspolitischer Kontroversen: Vergewaltigung in der Ehe, die das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung akzentuiert, Beteiligung des Mannes an Empfängnisverhütung, die die alleinige Verantwortung einer Frau für eine Schwangerschaft ablehnt, Abtreibung, die ebenfalls das sexuelle Selbstbestimmungsrecht von Frauen einklagt. Weiterhin kann ein Anstieg der Sensibilität von Frauen in der Wahrnehmung männlicher Verhaltensweisen vermutet werden; für die Zuwendung, die ihnen gegeben oder vorenthalten wird.
Diese Hinweise, die nicht Gegenstand der Untersuchung sind, mögen verdeutlichen, daß nicht lediglich die primär naturalwirtschaftliche Einbindung der Arbeitskraft von Frauen von vielen aufgekündigt wird, sondern zugleich die Verfügbarkeit über ihren Körper und ihre Psyche im Intimbereich. Nur in dieser Doppelung wird verständlich, welche Brisanz in den Beziehungen der Geschlechter angelegt sein dürfte. Männer stehen unter doppEltern realen und Legitimationsdruck - in ihrem Arbeits- und in ihrem Sexualvermögen. Den wohl deutlichsten empirischen Ausdruck findet der geschlechtsspezifische Kündigungsprozeß in den Scheidungsraten, vor allem in der hohen Anzahl der von Frauen formulierten Scheidungsbegehren. Eine Ehescheidung stellt Frauen, nach Jahren der Kindererziehung und Haushaltstätigkeit, häufig vor beruflich wenig attraktive Alternativen. Gerade dieser Sachverhalt kann Indiz dafür sein, daß scheidungswillige Frauen die ökonomische Unsicherheit der ehemännlichen Gleichgültigkeit vorziehen. Wenn sich Erwartungen und Ansprüche zwischen den Geschlechtern ändern, wenn sie selbst als ungleiche nicht länger übereinstimmen, müssen die Folgen nicht unbedingt von gesellschaftlicher Relevanz sein. Eine Vielzahl von Frauen hegt dann eben Erwartungen an Männer, die diese nicht oder nur sehr bedingt zu erfüllen bereit sind. Erwartungen allein verändern nichts oder wenig. Sie lösen im Individuum bestenfalls Enttäuschung, schlimmstenfalls Wut und Zorn aus. Die Enttäuschung kann gerade dann besondere Wirkung entfalten, wenn und weil beide sich im Recht fühlen: eine Frau, weil sie 'ihrem' Mann keineswegs Zuwendung und Liebe entzieht, sie vielmehr auf eine Grundlage von Gegenseitigkeit stellen will; ein Mann, weil er sich um das betrogen fühlt, worauf er ein Recht zu haben glaubt, daß eine Frau sein Selbstbewußtsein stärkt und aufbaut, indem sie sich als Person ständig zurücknimmt und ihm nichts abfordert. Dieses Muster gilt für die Erwartung der ständigen sexuellen Verfügbarkeit einer Frau, gleichgültig, ob sie selbst Interesse zeigt oder nicht; für die Erwartung, Empfängnisverhütung sei Sache der Frau, ob gesundheitsschädlich oder nicht; und sie gilt auch für die im Familien- und Erwerbsbereich durchgängige Erwartung an Frauen, stets ein offenes Auge und Ohr für die Bedürfnisse eines Mannes zu haben, ohne daß dieser selber entsprechende Gegenleistungen zu erbringen braucht. Und, last but not least, beide Geschlechter dürften sich im Recht fühlen, was Arbeitsteilungen anbelangt: der Mann, der sich fast bestohlen glaubt, wenn ihm bei einer Stellenbesetzung eine Konkurrentin vorgezogen wird; die Frau, die es als ihr gutes und politisch hart erkämpftes Recht ansieht, eine Position im Berufsleben einzunehmen, die ihrer Qualifikation entspricht. An keiner gesellschaftspolitischen Kontroverse wird dieser Sachverhalt deutlicher, als in der Quotierungsfrage. In ihr werden, allen beschwichtigenden Verlautbarungen zum Trotz, Bastionen mit äußerster Härte verteidigt; abgemildert allein durch den Legitimationsverlust von Geschlechterungleichheit. Frauen stellen ein umworbenes Stimmenpotential bei Wahlen dar, eine offen frauenfeindliche Haltung setzt den aus Steuergeldern auch der Frauen finanzierten Öffentlichen Dienst unter Legitimationsdruck, offene Frauendiskriminierung ziert heute kein Großunternehmen. Beschäftiger, anders als der Öffentliche Dienst an Effizienz und Gewinn orientiert, haben zum Teil sehr schnell begriffen, daß der Einsatz leistungsfähiger und -williger Frauen für sie nur von Vorteil sein kann - so lange die Geschlechterhierarchie grundsätzlich nicht tangiert ist. Möglicherweise - hier in aller Vorsicht formuliert - entlmlten diese Erwartungen und Enttäuschungen auf beiden Seiten sehr viel mehr an sozialer Sprengkraft, als uns bisher bewußt ist: Die Übereinstimmung von gegenseitigen Erwartungen zwischen Mann und Frau kann als der psychische und normative Kitt bezeichnet werden, der das gesellschaftliche Organisationsprinzip einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und einer personalen Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann zusammenhält. Wird dieser Kitt brüchig, sind weit mehr als die Beziehungen der Geschlechter tangiert, zur Disposition steht dann das Geschlechterverhälniis selber. Diese Behauptung läßt sich mit folgenden Gedanken belegen. Die Funktionsfähigkeit der industriegesellschaftlichen Wirtschafts- und Bevölkerungsweise beruht auf geschlechtspezifischen Arbeitszuweisungen, die jeweils ein Geschlecht primär dem einen der beiden Bereiche zuordnen. Wenn Frauen, als Ledige ohnehin, als Verheiratete zunehmend, einem Erwerb nachgehen, entzieht diese Tendenz ganz einfach der Versorgungs- bzw. Familienökonomie Arbeitskraft. Wenn zusätzlich das legale Ehe- und Familienmodell für beide Geschlechter an Anziehungskraft verliert, bedeutet eine solche Tendenz, daß weibliche Arbeitskraft, die als verheiratete für die Versorgungsökonomie verfügbar wurde, freiwilligzwangsweise Erwerbsarbeit sucht und annimmt. Sie muß ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Auch sie steht für Versorgungsleistungen nicht mehr zur Verfügung. Reduzieren Ehepaare die Anzahl ihrer Kinder oder verzichten ganz auf sie, steht zwar die Eheund Hausfrau für Familienarbeit zur Verfügung, trägt jedoch nicht zur reproduktiven Regeneration im engeren Sinn bei und reduziert ihren unentgeltlichen Arbeitsaufwand auf diese Weise - ob bewußt oder nicht. Die gesellschaftliche Folge einer zunehmenden freiwilligen Erwerbsbeteiligung von Frauen, deren Unterhalt von einem Mann qua Ehe alimentiert wird, bzw. einer gewünschten, ökonomisch jedoch erzwungenen Berufstätigkeit, weil Frauen sich selbständig unterhalten müssen oder wollen: Das Arbeitskraftpotential der Versorgungsökonomie trocknet allmählich aus - sofern Männer keine Bereitschaft zeigen, sich ihrerseits an Versorgungsleistungen zu beteiligen. Und: Kinderlosigkeit oder die Verkleinerung der Familiengröße senkt langfristig die Bevölkerungszahl ab. Auf die Folgen für den sozialpolitischen 'Generationenvertrag' wurde bereits hingewiesen. Diese Entwicklung kennzeichnet die bundesdeutsche Situation seit mehr als zwanzig Jahren: die niedrigste Geburtenrate aller industrialisierten Länder, allerdings auch eine relativ niedrige Erwerbsbeteiligung von Frauen im Vergleich mit anderen industrialisierten Staaten. Der Grund dürfte in politischen Strategien zu finden sein, Müttern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht allzusehr durch die Einrichtung von Ganztagsschulen und Kinderversorgungseinrichtungen zu erleichtern. Dieser Entwicklung steht ein wachsender gesellschaftlicher Bedarf an Versorgungsleistungen gegenüber: Die Anzahl der älteren Menschen ninunt stetig zu und wird einen Höhepunkt erst nach der Jahrtausendwende erreichen. Dem wachsenden Bedarf an unentgeltlichen Versorgungsleistungen steht ein abnehmender Bedarf an Erwerbsarbeit gegenüber. Das gilt vor allem für existenzsichernde Vollerwerbstätigkeit. Technische Neuerungen und Rationalisierungen senken den Arbeitskraftbedarf, gleichzeitig vollzieht sich seit Jahren eine schleichende, mittlerweile schon offene Erosion des 'Normalarbeitsverhältnisses' vermittels Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Beschäftigungsverhältnisse. Man kann sogar sagen, daß Männer in zunehmendem Umfang in das traditionell weibliche Kontinuum von Arbeitsformen eingebunden werden, das jenseits existenzsichernder und kontinuierlicher Vollerwerbstätigkeit angesiedelt ist. Werlhof bezeichnet diesen Sachverhalt mit dem Schlagwort 'Hausfrauisierung'. Diese Entwicklung vollzieht sich jedoch nicht im oberen Straturri der Beschäftigungshierarchie. Es bedarf keiner großen Phantasie, sich auszumalen, was diese beiden gegenläufigen Tendenzen für ein Verhältnis der Geschlechter bedeuten, das sich in einem Erosionsprozeß mit Beschleunigungsfaktor befindet. Die Geschlechterkonkurrenz um Erwerbschancen wird härter werden und sich keineswegs abschwächen, von ihr werden allenfalls Berufe und Branchen verschont bleiben, die Männer nicht mehr attraktiv genug finden und Frauen gern überlassen, weil Entlohnung und Arbeitsbedingungen nicht ihren Erwartungen entsprechen. Willms-Herget hat diese Muster überzeugend herausgearbeitet. Umgekehrt sind politische Bestrebungen absehbar, Frauen wieder stärker in die Versorgungsökonomie zu integrieren bzw. dort zu halten.
Versuche, das alte Geschlechterarrangement wieder funktionstüchtig zu machen, werden vermutlich von einer ganzen Reihe gegenläufiger (oder , widersprüchlicher') Entwicklungen konterkariert. Eine hatte ich bereits erwähnt: Der normative Konsens der Geschlechter steht zur Disposition. Die gegenseitigen Erwartungen aneinander stimmen nicht mehr überein. Manchmal nur versteckt, häufig genug offen, klagen Frauen ein neues Selbstverständnis ein, das vor dreißig Jahren noch nicht denkbar war. Nicht lediglich die frauenbewegte Generation, die abschätzig-anerkennend als 'Trümmerfrauen' bezeichnete Frauengeneration füllte spaltenweise die Leserbriefseiten der Zeitungen, als die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung zur Disposition stand wohlgemerkt, die im Kaiserreich und nicht etwa nach Hitlers Drittem Reich geborenen Frauen. Eine soziale Gruppe, die bestimmte Funktionszuweisungen bzw. die fehlenden returns an Barem und Sozialprestige als ungerecht empfindet, wird sich freiwillig und dauerhaft nicht mehr auf sie verpflichten lassen. Der historische Einschluß der Frauen in KleinFamilie und Versorgungsökonomie war auf deren Einverständnis angewiesen, um Legitimität beanspruchen zu können. Diese Zeiten sind unwiederbringlich dahin. Das traditionelle, wenngleich keine 150 Jahre alte, Geschlechterverhältnis ist in die Defensive geraten. Doch selbst eine politisch erfolgreiche Strategie zur Veränderung dieser Verteilungsrelationen, wie etwa in der Forderung nach Einführung einer 'Maschinensteuer' zum Ausdruck gebracht, ändert nichts an der Existenz des sozialen Verhältnisses, dem die Ungleichheit von Ressourcenzuweisungen zugrundeliegt und das Verteilungskämpfe generiert. Ein 'Grundwiderspruch' kann infolgedessen kaum aus der Möglichkeit resultieren, daß der Umbruch im Geschlechterverhältnis das relative Gleichgewicht im Leistungsverhältnis von Wirtschafts- und Bevölkerungsweise verschiebt. Zu untersuchen bliebe allerdings, auch das einen offene Forschungsfrage, ob die Möglichkeiten und Aussichten politischer Eingriffe in die Wirtschaftsverfassung nicht größer sind, als gemeinhin angenommen. Die sozial- und familienpolitische Diskussion außerhalb der Frauenforschung begreift bisher erst in bescheidenen Ansätzen, daß sie Argumente geltend machen kann, die das Interesse am Bestandserhalt eines Sozialgefüges privatwirtschaftlichen Interessen gegenüberzustellen vermag: Gelingt der Nachweis, daß eine bestimmte Eigentums - und Wirtschaftsverfassung einem Sozialgebilde seine - reproduktiv-generative - Existenzgrundlage zu entziehen droht, gerät diese Verfassung unter einen Legitimationsdruck, den kein Anspruch der Frauen auf ökonomische Gleichstellung mit Männern zu erzeugen imstande ist. Dann steht ein wahrlich 'objektives' Interesse den subjektiven Interessen einer sozialen Gruppe nicht länger gegenüber; eröffnet vielmehr die Möglichkeit einer Neugestaltung des Sozialgefüges, die diesen subjektiven Interessen Rechnung tragen kann - so sie ihren politischen Ausdruck finden und als Verhandlungsmasse in Vertragsgestaltungen eingebracht werden. Für diese Vermutung spricht, daß sich das geschlechtsspezifische Leistungsverhältrüs zwischen Marktund Versorgungsökonomie selbst dann verschieben kann, wenn das Geschlechterverhältnis mit seinen Arbeitsteilungen nicht offen, sondern heimlich infragegestellt wird: Wenn Frauen ganz einfach ihren - unentgeltlichen - Beitrag vermindern, indem sie ihren reproduktivgenerativen Beitrag herabsetzen: d.h., bevölkerungspolitisch formuliert, die Nettoreproduktionsrate; und wenn erwerbstätige Frauen und Männer ihre Einkommensanteile lieber für sich als für die generative Bestandssicherung eines Sozialgefüges ausgeben.
Die Hoffnung, der Zustand des bundesdeutschen Geschlechterverhältnisses lasse in Bälde positive Auswirkungen für Frauen erwarten, muß mit einiger Skepsis beurteilt werden. Ich möchte noch einmal auf die Ergebnisse der Repräsentativ-Studie in 12 EG-Staaten zurückkommen: Wenn es sich tatsächlich so verhält, daß eine Wirtschaftsmacht wie die Bundesrepublik Deutschland geschlechterpolitisch und im Vergleich mit anderen Ländern ein Schlußlicht darstellt, muß dieser Sachverhalt weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Erweisen sich die Überlegungen der vorliegenden Untersuchung als trag- und ausbaufähig, basierte diese Wirtschaftsmacht auf einem weitgehend intakten Patriarchalismus der Gesellschaftsverfassung gerade auch als kapitalistischer.
Dann wäre von diesem Land kaum zu erwarten, daß von seinen Repräsentanten wirksame Bestrebungen ausgingen, das zu beseitigen, was hier als möglicher 'Grundwiderspruch' kapitalistisch-patriarchaler Vergesellschaftung bezeichnet wurde: die Aussicht auf ein weltweites ökologisches Desaster. Wenn bundesdeutsche Frauen stärker als anderswo mit dem traditionellen Geschlechterarrangement übereinstimmen, Männern damit weniger als andernorts Anlaß geben, Einstellungen, Verhaltensweisen und Strategien (sekundär-)patriarchalen Charakters zu überdenken und aufzugeben, bedeutete diese Feststellung, daß dieses Land zugleich ein Bollwerk in der Verteidigung einer existenzgefäwenden Lebensweise darstellt. Destruktivkraft bündelte sich hierzulande stärker als anderswo, vergleichbar nur mit Winschaftsmächten von analoger Potenz. Unter diesem Gesichtspunkt läßt sich das bundesdeutsche Geschlechterverhältnis kaum am Grad der Zustimmung oder Ablehnung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen beurteilen. Der Konservatistnus des Schlußlichtes 'Bundesrepublik' im Europa-Vergleich wäre in diesem Fall zugleich Ausdruck eines Konservatismus von weltweiter Bedeutung.

5.3     Objektivität und Subjektivität

Die Erosion des bürgerlichen Geschlechterverhältnisses, das keine zweihundert Jahre alt ist, macht sich noch nicht in sozialstrukturellen Veränderungen fest, so daß mit Recht von einer Gesellschaftsveränderung die Rede sein kann. Was als Wandel und Nichtübereinstinimung von Erwartungen und Einstellungen der Geschlechter bezeichnet wurde, drückt strukturtheoretisch dennoch einen Aspekt der Prozessualität von 'Produktivkräften' und 'Produktionsverhältnissen' aus, bedürfte allerdings der subjekttheoretischen Präzisierung. Sie ist allein deshalb unabdingbar, weil die oben vorgestellte Skizze dieses Wandels viel zu grob ist, um der Vielzahl von Ambivalenzen innerhalb dieses Vorgangs Rechnung tragen zu können. Es wäre unzulänglich, Männern etwa ein ungebrochenes Machtstreben zu unterstellen: Sie verteidigen mit Sicherheit ihre sozioökonomischen Privilegien, die sie gleichzeitig aber auch erheblichem psychischen Druck aussetzen. Das Erwerbsleben, gleichgültig in welchem gesellschaftlichen Bereich, fordert ihnen ein Maß an Selbstverleugnung ab, das Frauen für sich selber keineswegs anstreben, wenn sie Berufspositionen für sich reklamieren. Insofern dürfte in der Vermutung ein wahrer Kern enthalten sein, die Einschließung der Frauen in die Kleinfamilie habe sie zugleich auch vor bestimmten industriegesellschaftlichen und patriarchalischen Deformationen bewahrt. Wenn ein Mann den physischen und psychischen Verschleiß nur unter der Bedingung erträgt, daß eine Frau ihn mit ihrer 'Zuarbeit' abfängt, kann dieser Sachverhalt als Bestätigung der Vermutung gelesen werden, Frauen sei hier tatsächlich etwas erspart geblieben. Ein weiteres Indiz für die Berechtigung der These: die Frauen implizit abgeforderte Entscheidung zwischen Beruf und Familie. Entscheidet sich eine Frau für ersteres, kann sie nur in seltensten Fällen auf jene Zuarbeit zurückgreifen, die dem Mann seine Funktionsfähigkeit sichert, sie demgegenüber völlig ungeschützt beruflichem Verschleiß aussetzt. Die Vermutung bietet sich an, ob nicht bestimmte geschlechtsspezifische Verhaltensweisen im Erwerbsleben ihren Grund auch darin besitzen, daß die häufig defensiven Verhaltensweisen von Frauen (die sich in Aggressivität äußern können) auf diesen Mangel an psychosozialer und handfest familienökonomischer Unterstützung zurückgeführt werden können.
Darüber hinaus scheint zweifelhaft, daß der heute aufgekündigte normative Konsens der Geschlechter von langer Dauer sein kann. Anders als die Beziehungen zwischen sozialen Klassen mit ihrer relativen Distanz gestalten sich die Beziehungen der Geschlechter alles andere als distanziert. Ein Mann ist nicht lediglich Kollege und Konkurrent, er ist potentieller oder faktischer Intimpartner. Vielleicht müssen beide Geschlechter noch lernen im anderen Geschlecht beides zu sehen: das begehrte Liebesobjekt, dessen 'Interessen' partiell mit den eigenen übereinstimmen müssen, um überhaupt eine Liebesbeziehung gestalten zu können. 'Liebe' in Gestalt gegenseitiger Anerkennung ist unter Ungleichen nicht möglich; Anerkennung setzt Gleichheit voraus. Diese Erkenntnis formulierte vor fast zweihundert Jahren der junge Hegel. Und daß beide Geschlechter eben auch im anderen das 'Objekt' von Interessen zu sehen lernen, die gegenläutrg sind bzw. sein können.
Die Beziehungen der Geschlechter sind vermutlich sehr viel komplexer, als selbst in der Feststellung einer Doppelung von Übereinstimmung und Gegenläufigkeit deutlich wird. Sie verkörpert sich in der Regel nicht in identischen Personen. Der Einbruch in männerdominierte Berufsdomänen wird einer Frau nur im seltensten Fall ohne männliche Unterstützung gelingen. Zu bezweifeln ist weiterhin, daß im Intimbereich stets männliche Dominanz gegen weibliche Unterordnung zur Verhandlung steht. Das zerstörerische Potential von Geschlechtertrennungen nimmt Frauen keineswegs ihre Vitalität, kanalisiert sie allerdings in Ehe und Familie, wenn ihr keine andere soziale Ausdrucksmöglichkeit geboten wird. Gerade weil Frauen nicht 'von Natur aus' das unterwürfige Geschlecht bilden, vielmehr zu ihm gemacht werden, ist die Frage legitim, welches Aggressionspotential sich auf diesem Wege Ausdruck verschafft, ohne daß es gerechtfertigt wäre, Schuldzuweisungen vorzunehmen.
Dieses Grundmuster in aller seiner Differenziertheit auf den Begriff zu bringen, bezeichnet einige analytische Anliegen einer Subjekttheorie. Um eine feministische Subjekttheorie wird es sich so lange handeln, als der mainstream der Soziologie und Sozialpsychologie sich mit dieser Aufgabe nicht befaßt.
Regina Becker-Schmidt hat vor einiger Zeit eine theoretische Skizze, entworfen, welchen Bedingungen eine feministische Subjekttheorie' zu genügen hätte (Becker-Schmidt 1987, S. 15ff.). Sie sieht den Konstitutionsprozeß von Subjektivität in einer Doppelung. Zum einen sei das Subjekt Ausdruck seiner Trieb- und Erkenntnisschicksale in der Strukturierung seiner psychischen Regulative und Systeme. Diese intrapsychisehe Dynamik konstituiert das Subjekt als "Ensemble seiner Introjekte und Identifikationen" (ebd., S. 17). Subjektivität werde aber auch über die Morphologie des Körpers konstituiert: "Ein weiblicher Körper empfindet Innen und Außen, Sexualität und Sinnlichkeit anders als ein männlicher"; damit hätten aber auch die Selbstbilder und Selbstrepräsentanzen andere Quellen (ebd.). Weibliche-Subjektkonstitution vollziehe sich in doppelten Abhängigkeiten, deren eine sie als patriarchalisch, deren andere als gesellschaftlich bezeichnet, und sie sei zugleich von Ungleichzeitigkeiten bestimmt, die Frauen sowohl erhöhe als auch erniedrige (ebd., S. 18). Diese Doppelung im Konstitutionsprozeß weiblicher Subjektivität bricht sich in der Doppelung der objektiven Vergesellschaftung von Frauen durch ihre Einbindung in zwei gesellschaftliche Arbeitsbereiche. Becker-Schmidt sieht die Aufgabe von Frauenforschung darin, "zu beantworten, wie beide Verdoppelungen zusammenwirken" (ebd., S. 23; vgl. auch Müller/Schmidt - Waldherr 1989b).
Die objektiv-strukturelle Vergesellschaftung von Frauen in ihrer Doppelung bildete den Gegenstand dieser Untersuchung. Bezogen auf die Überlegungen dieser Autorin ließ sich herausarbeiten, daß die 'Doppelung' nicht auf der einen Seite als patriarchalisch, auf der anderen als gesellschaftlich bezeichnet werden kann. Sie ist auch als patriarchalische gesellschaftlich, und sie besitzt diese Gesellschaftlichkeit als kapitalistische. Der Verweis auf eine solche Doppelung beinhaltet keinen Dualismus: Marxistisch-theorieimmanent wird ein möglicher Dualismus von Kapitalismus und Patriarchat über den Begriff des Realsubjekts aufgelöst, den die originäre Theorie nicht kennt, mit Blick auf die feministische Gesellschaftstheorie verschwindet der Dualismus zusätzlich in der Begrifflichkeit 'Sekundärpatriarchalismus' und seiner analytisch-systematischen Präzisierung. Weiterhin ließ sich der Nachweis führen daß die objektive Vergesellschaftung von Frauen sich nicht lediglich auf diejenige ihres Arbeitsvermögens erstreckt, das zum anderen der Marktökonomie zur Verfügung steht. Eine spezifische Vergesellschaftung erfährt auch das Fortpflanzungsvermögen von Frauen. Die Forschungsfrage nach männlicher und weiblicher Vergesellschaftung von Arbeit und Generativität als Momenten ihrer Existenzsicherung greift weiter aus als von Becker-Schmidt vorgeschlagen, läßt sich mit ihrer Position gleichwohl vereinbaren. Als 'ausgreifender' betrachte ich die Frage nach der Konstitution des Geschlechterverhältnisses, die diejenige nach der objektiven Vergesellschaftung von Frauen einbezieht, und ebenso das Überschreiten des Blicks auf Frauenarbeit in ihrer Doppelung durch den Einbezug der Fortpflanzung. Zur Beantwortung von Becker-Schmidts Frage nach dem Zusammenwirken der objektiven und subjektiven Verdoppelung von Vergesellschaftungsmechanismen erbrachte die strukturtheoretische Analyse theoretische Verbindungsglieder, die es erlauben, Objektives und Subjektives innerhalb ihrer Vermitteltheit auch auseinanderzuhalten. Ein solches analytisches Bindeglied stellt die strukturtheoretische Subjektkategorie dar, die Individuen als Verkörperung eines sozialen Verhältnisses zu denken erlaubt oder, in Althusserscher Umkehrung, Individuen als Objekte des objektiven Subjekts 'Funktionszuweisung'. ~n sind Objekt von Funktionszuweisungen in aller ihrer Subjektivität, nichts zeigt den Sachverialt anschaulicher als die doppelte Vergesellschaftung ihrer Arbeitskraft (Becker - Schmidt) bzw., nach der hier entwickelten Position, ihres Ärbeits- und Fortpflanzungsvermögens. Ihre objektiv-gesellschaftliche Plazierung steht ohne Zweifel in einem Zusammenhang mit der "Vielfältigkeit weiblicher Potentialität und Handlungsfähigkeit" (Becker-Schmidt) bzw. mit dem Ausmaß, in dem sie sich artikulieren dürfen, Grenzziehungen aber auch überschreiten. Die in dieser Untersuchung verfolgte Argumentationsstrategie trifft von der 'objektiven' Seite auf die subjekttheoretische Position dieser Autorin, versucht beide Linien miteinander zu verbinden, ohne selbst Aussagen zur Subjektkonstitution von Individuen treffen zu wollen. Das entscheidende Bindeglied zwischen objektiver und subjektiver Vergesellschaftung wird über den Verhältnisbegriff gestiftet, über den Nachweis der Einbindung der Geschlechter in zwei soziale Verhältnisse in ihrer Doppelung und Überschneidung. Zu Becker-Schmidts Akzentsetzung der Subjektkonstitution von Weiblichkeit vermittels einer intrapsychischen und auf die Wahrnehmung von Körperlichkeit bezogenen Dynamik, die auf je unterschiedliche Weise für Frauen und für Männer gälte, möchte ich einen dritten soziologischen - Gesichtspunkt vorschlagen: 'Handeln' als Ausdruck psychischer Wahrnehmungs- und Verarbeitungsformen. Handlungstheoretische Theorieentwürfe befinden sich in der Soziologie allein aufgrund ihrer erkenntnistheoretischen Position in einer gewissen Frontstellung gegenüber historisch-materialistischen Entwürfen. Möglicherweise beruht diese Konfrontation beider Theorietypen auf einer undurchschauten Vermischung ihres Gegenstandsbezugs. Wenn die marxistische Theorie in ihrer vorliegenden Fassung Individuen 'eigentlich' nur in ihren objektiven Manifestationen zum Gegenstand hat, d.h. als Verkörperungen sozialer, genauer noch ökonomischer Verhältnisse, und wenn sie gar kein Realsubjekt 'kennt', das handeln würde und könnte, dann muß sie die subjektivistische Ausrichtung von Handlungstheorien als Angriff auf ihre Erkenntnisposition verstehen. Ohne an dieser Stelle auf die Feinheiten von 'Totalitätsbezug versus methodologischem Individualismus' eingehen zu können, möchte ich in aller Vorläufigkeit die Hypothese formulieren, daß handlungstheoretische Erkenntnisse eine Vermittlungsleistung zwischen Struktur- und Subjekttheorie übernehmen und ausfüllen könnten. Strukturtheoretisch ist 'Handeln' im Geschlechterverhältnis vor allem als strukturbildendes Element angesprochen. Wenn überhaupt gegenwärtig strukturtheoretische Argumente im Hinblick auf Erosion und NeuAushandlung des 'Geschlechtervertrags' geltend gemacht werden können, betreffen sie vor allem das strukturierend-prozessuale Moment, das sich im Handeln von Individuen und in bereits gelebten Geschlechterkonstellationen niederschlägt, die dem normativen Modell nicht entsprechen, infolgedessen sozialstrukturell-rechtlich auch nicht abgesichert sind; z.B. Lebensgemeinschaften ohne ehelich-familial-unterhaltsrechtliches Fundarnent. Senioren-Wohngemeinschaften fallen ebenso unter dieses normativ nicht vorgesehene Geschlechtermodell wie die 'Familie', in der Eltern mit ihren Kindern ohne Trauschein zusammenleben. Die eingangs gestellte Frage nach den Handlungsspielräumen von Frauen zur Neugestaltung des Geschlechterverhältnisses ohne ihre überlieferten Diskriminierungen erweist sich in strukturtheoretischer Sicht als ungenau: Sie suggeriert die Suche nach einem objektivgesellschaftlichen Freiraum, der mit Handlungen zu füllen wäre. Frauen, die Geschlechter selber sind es, die mit ihrem Handeln vorgegebene Strukturen aufrechterhalten oder auflösen, Handeln ist 'Strukturierung' ebenso wie mit Handlungen umgesetzte Lebensentwürfe, die bereits mehr sind als Handlung, 'Struktur' besitzen innerhalb eines Strukturierungsprozesses. Unter diesem Gesichtspunkt wären marxistisch orientierte Theorien zum Verhältnis von Struktur und Handlung und deren bereits vorliegende Resultate in die feministische Geschlechterforschung einzubeziehen und auf ihre Aussagekraft zu überprüfen; so etwa die Theorie Giddens (1979, 1981 und 1988; Kießling 1988b). Im Verlauf der Untersuchung wurde ein Gedanke von Hans Linde (1972) aufgenommen, der eine Differenzierung zwischen sozialen Beziehungen und sozialen Verhältnissen vornimmt. Der Beziehungsaspekt der Lindeschen Unterscheidung war für die Anlage der Untersuchung von untergeordneter Bedeutung; sie akzentuierte demgegenüber den Verhältnisaspekt. Für eine handlungstheoretische Vermittlung zwischen Strukturund Subjekttheorie halte ich die Öffnung vielversprechend, die er mit seinen Ausführungen zu Webers verstehender Soziologie anbietet. Dieser Autor stellt mit der Unterscheidung zwischen Beziehungen und Verhältnissen ein Differenzierungsmerkmal zur Verfügung, dessen Bedeutung für den Objektivismus der originären marxistischen Theorie und den latenten Objektivismus der Gesellschaftstheorie der Frauenforschung nicht unterschätzt werden sollte: Mit dem Beziehungbegriff läßt sich die interpersonelle Ebene von Vergesellschaftungen deutlich unterscheiden von der überindividuellen oder überpersonalen Ebene der 'Verhältnisse'. Becker-Schmidt betont eine dritte Ebene oder Dimension: die der intrapersonellen Vergesellschaftung von Frauen; sie würde in anderen Ausprägungen auch Männer und damit das Verhältnis der Geschlechter auf der Beziehungsebene betreffen. Linde stellt eine mögliche analytische Brücke zur Weberschen Handlungstheorie mit folgendem Gedanken her: Weber suche das Phänomen sozialer Regelungen in seinen Grundbegrifflichkeiten einer verstehenen Soziologie als vom subjektiven Sinn der Handelnden nicht ableitbares, eigenes Moment gesellschaftlicher Strukturen zu erweisen, das soziale Verhältnisse konstituiert. Insofern sei die sinnverstehende Soziologie immer schon in ein Verständnis von Gesellschaft eingebettet, das eine implizit strukturtheoretische Position einschließt (Linde 1972, S. 81). Die sinnverstehende Soziologie ließe sich unter diesem Gesichtspunkt aufgreifen und befragen, welchen Beitrag zur geschlechtsspezifischen Vermittlung von Objektivem und Subjektivem sie leisten kann. Einer Klärung bedürfte dann aber auch die Differenz in den jeweiligen erkenntnistheoretischen Positionen. In diesem Punkt ist Linde wenig hilfreich - er sieht das Problem nicht, verbindet Marx, Weber und übrigens auch Durkheim ohne Reflexion auf diesen Sachverhalt. Erkenntnistheoretische Fragestellungen wirft nicht lediglich der Hinweis auf die mögliche Bedeutung der Weberschen Handlungstheorie für die feministische Gesellschaftsanalyse auf. Im Verlauf der Untersuchung kristallisierten sich mehrere Problemkomplexe einer Vermittlung von Subjektivität und Objektivität heraus, auf sie wird nachstehend eingegangen. Der strukturtheoretische Entwurf einer politisch - ökonomischen Theorie des Geschlechterverhältnisses bezieht in zwei Punkten dezidiert Position: in der Annahme und im Nachweis, daß bewußtseinsphilosophische Restgehalte in der Marxschen Theorie den sozialwissenschaftlichen Blick auf das Geschlechterverhältnis blockieren, und in der ebenfalls sozialwissenschaftlich begründeten Auffassung eine Theorie bedürfe der historisch-empirischen Überprüfbarkeit, bevor sie handlungsanleitende Relevanz in Anspruch nehmen kann. Im Spektrum marxistischer und feministischer Theoriebildung mit historisch materialistischem Anspruch wirft diese Position eine Reihe von Fragestellungen an andere Theorieentwürfe dieses Erkenntnisspektrums auf. Die subtilen Differenzen sind in der jeweiligen Konzeption eines Theorieentwurfs oder einer empirischen Untersuchung mit historisch-materialistischem Erkenntnisanspruch verborgen. Eine erste Problemstellung möchte ich im Anschluß an die Ausführungen zum subjekttheoretischen Programm von Becker-Schmidt formulieren. Sie betrifft Unterschiede zwischen dem sog. Hegel-Marxismus der Frankfurter Schule und einer strukturtheoretischen Konzeptualisierung unter Verzicht auf hegelianische Argumentationsfiguren, sofern sie nachweislich nicht in materialistische Beweisführungen übersatzbar sind. Ähnliches würde für andere Hegel-Marxismen gelten, in der bundesdeutschen Frauenforschung etwa für die Positionen von Haug (1989). Marx ist selbstverständlich ohne Hegel nicht denkbar, es wäre mißverständlich, die zum Ausdruck gebrachte Distanz zu Hegel als Ablehnung zu interpretieren. Eine Entscheidung zwischen hegelianisierenden und strukturtheoretischen Begriffen bzw. Argumentationen ist allerdings dort gefordert, wo ein materialistisch-sozialwissenschaftliches Anliegen unterlaufen wird. Ich greife noch einmal Godeliers Ausführungen zur Differenz zwischen den Widerspruchskonzeptionen von Marx und Hegel auf, d.h. seine Beweisführung, der Widerspruch des letzeren beinhalte das Denkmodell einer Identität von Gegensätzen, während der des ersteren Widersprüche in ihrer Einheit begreife, jedoch nicht ausführe, daß innerhalb dieser Widerspruchskonzeption zwei unterschiedliche Widerspruchstypen enthalten sind. Schärfer als von Godelier formuliert, belege ich den strukturinternen Widerspruch mit der Bezeichnung 'strukturierter' und den zwischen beiden Widerspruchstypen sich herausbildenden Widerspruch mit der Bezeichnung 'prozessualer' Widerspruch. Er führt, in seiner Prozessualität, zur Herausbildung eines 'Grundwiderspruchs', d.h. der Nichtvereinbarkeit von Produktivkraft- und Produktionsverhältnis-Struktur. Lassen sich gegen diese strukturtheoretische Widerspruchsinterpretation keine überzeugenden Einwände geltend machen, erhebt sich die Frage nach der Aussagekraft von feministischen Argumentationen, die auf eine hegelische Widerspruchsbegrifflichkeit zurückgreifen. Das gilt für Argumente im Anschluß an Adorno und Horkheimer ebensosehr wie für Positionen, die auf das Erkenntnismodell der 'Widerspiegelungstheorie' zurückgreifen. Beide Positionen sind mit Althussers Erkenntnisposition nicht vereinbar. Für die Frauenforschung im Anschluß an Horkheimer und Adorno stellt diese Nichtvereinbarkeit zunächst kein Problem dar. Sie greift nicht auf Althusser zurück. Ein Vereinbarkeitsproblem besteht demgegenüber für die Argument-Frauenforschungsgruppe und deren bekannteste Vertreterin Haug. Althusser lehnt jeglichen Hegelianismus ab, das Widerspiegelungstheorem beruft sich dezidiert auf Hegels Identitätskonzeption des Allgemeine und Besonderen (vgl. Holz 1983, Holzkamp 1983, Schürmann 1987). Das Widerspiegelungstheorem reicht über die Forderung der Argument-Frauenforschungsgruppe in die Frauenforschung hinein, die Erkenntnisse der Kritischen Psychologie und der sowjetischen Tätigkeitstheorie Leontjews aufzugreifen. Haugs subjekttheoretische Konzeption enthält innertheoretische Aporien. Analoges gilt nicht für Becker-Schmidt. Wenn dennoch an beide Forschungsrichtungen partiell identische Fragen gestellt werden, besitzen sie ihren Grund in einem möglichen Brückenschlag zu der hier vorgestellten strukturtheoretischen Konzeption. Sie wären nur dann gegenstandslos, wenn sich eine andere Fassung der "Strukturkategorie Geschlecht" als aussagekräftiger erwiese als die hier vorgestellte.
Das Widerspiegelungstheorem enthält einen identitätslogischen Zirkel, der im Totalitätsverständnis angelegt ist. Aussagen werden in der Regel aus einer formalisierten Erkenntniskonzeption abgeleitet, die sie von ihren originären inhaltlichen Bezügen ablöst. Mit dieser Vorgehensweise gestattet das Modell die Übertragbarkeit auf beliebige gesellschaftliche Sachverhalte, die als Besonderungen in ein Beziehungsgefüge zur Allgemeinheit (oder Totalität) gestellt werden. Die Aussagen müssen nicht stringent werttheoretisch begründet sein. Systematisch-inhaltliche Brüche der originären Theorie, wie sie in der vorliegenden Untersuchung herausgearbeitet wurden, lassen sich mit dieser Erkenntniskonzeption nicht herauspräparieren. Die Subjektlosigkeit und Geschlechtslosigkeit der originären Theorie würde immer wieder aufs Neue reproduziert, ginge als Zusatzannahme in sie ein; meist im Rückgriff auf das Gattungssubjekt der Marxschen Frühschriften. Dieser Erkenntnisposition müßte aus den genannten Gründen eine gattungsgeschichtliche und geschichtsphilosophische Grundausrichtung innewohnen, die Theoriebildung der Tendenz nach enthistorisiert. Analoges und wiederum anderes gälte für Adorno; auch bei diesem müßte sich der identitätslogische Zirkel reproduzieren. Beide Marxismus-Strömungen bewegen sich in einer offenen oder uneingestandenen Konfrontation mit dem strukturalen Marxismus, vorzugsweise Althussers. Im vorgestellten Theorieentwurf spielt Althusser eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, seine Erkenntnisse wurden nur partiell aufgriffen. Anders Godelier, der sich von Althusser in seiner Auffassung von 'Struktur' und 'Widerspruch' zwar unterscheidet, in der Grundposition, besonders gegenüber Hegel, aber auch starke Gemeinsamkeiten mit ihm aufweist: im Geschichtsverständnis, in der Transformation der Begrifflichkeiten von Wesen und Erscheinung, in der strukturtheoretischen 'Übersatzung' des Basis-Überbau-Theorems, selbst wenn letzteres bei Godelier weniger ausgearbeitet ist als bei Althusser in dessen Ideologietheorie. Meine Vorbehalte gegenüber Hegel-Marxismen stützen sich insofern weniger auf Althusser als auf Godelier und auf Resultate, die innerhalb einer geschlechtertheoretischen Fragestellung im Verlauf der Untersuchung zustande kamen.
Allen Aussagen im Anschluß an hegelische Erkenntnispositionen ist gemeinsam, daß sie subjekttheoretische Argumente auf der Grundlage der Annahme formulieren, Marxsche Theorie und marxistische Forschung böten die gewünschte Anschlußfähigkeit in Gestalt dessen, was hier als 'Realsubjekt' bezeichnet wird. Das ist nicht der Fall. Deshalb läßt sich noch keineswegs schlußfolgern, alle subjekttheoretischen Überlegungen seien 'falsch', weil die Erkenntnisposition 'fehlerhaft' ist. Mit einiger Sicherheit sind viele dieser Aussagen im Bereich 'objektiver' Vergesellschaftungen zu verorten, betreffen 'Verhältnisse' und nicht 'Verhalten'. Doch selbst genuin subjekttheoretische Bezüge können Einsichten in den Vermittlungszusammenhang von Individuum und Gesellschaft enthalten, weil immer schon etwas im Vorgriff mitgedacht ist, was begrifflich gar nicht 'existiert' - die Vermittlung im Begriff des Realsubjektes. Eine offene Forschungsfrage bestünde im Nachweis von aussagerelevanten Differenzen des analytischen Gehalts von Hegelianismen. Ich vermute sie dort, wo umstandslos von feministischer Theoriebildung auf deren Handlungsrelevanz für die Frauenbewegung geschlossen wird. Wird der Theorie unmittelbare Handlungsrelevanz für eine soziale Bewegung unterstellt, schlägt sich in einer solchen Auffassung die feministische Fortschreibung eines Bewußtseinssubjekts nieder, das 'erkennt' und gesellschaftsverändernd 'handelt', ohne über den zum Erkennen und Handeln erforderlichen Leib in aller seiner Geschlechtlichkeit zu besitzen.
Eine zweite subjekttheoretische Problemstellung im Zusammenhang der beiden oben angesprochenen feministischen Positionen betrifft das Verhältnis zur Freudschen Psychoanalyse und deren Aussagekraft für die Vergesellschaftungen der Geschlechter. Becker-Schmidt greift auf Freud
zurück, Haug lehnt ihn ab und favorisiert stattdessen Holzkamp und Leontjew. Letztere vertritt in der bundesdeutschen Frauenforschung die strukturalmarxistische Strömung der internationalen Frauenforschung im Anschluß an Althusser. Von ihm stammen wiederum wissenschaftstheoretische Überlegungen zu Parallelen zwischen Marx und Freud, die bisher von der Frauenforschung nicht aufgegriffen worden sind, möglicherweise jedoch subjekttheoretische Brücken zu einer strukturtheoretischen Konzeption herzustellen imstande sind.
Althusser versucht zwei Gemeinsamkeiten zwischen Marx und Freud herauszuarbeiten. Auch letzterer sei Materialist und Dialektiker gewesen, wenn er erstens den Primat des Bewußtseins nicht nur für die Erkenntnis, sondern auch für das Bewußtsein selbst zurückweist. Freud denke den psychischen 'Apparat' als ein Ganzes, in dem das Ich oder das Bewußtsein nur eine Instanz, ein Teil oder eine Wirkung sei. Diese Interpretation liegt Althussers strukturtheoretischer Auffassung zugrunde, eine komplexe Struktur könne nur an ihren Wirkungen erkannt werden, mit der er das Begriffspaar Wesen und Erscheinung ersatzt. Das Unbewußte entzieht sich ebenso der unmittelbaren Erkenntnis wie die strukturierte Gestalt von sozialen Verhältnissen. Freud sei darüber hinaus aber auch Dialektiker gewesen: Er habe mit einem Widerspruchsmodell gearbeitet, das vom Fehlen eines Widerspruchs im Unbewußten ausgeht, in dieser Abwesenheit zugleich aber auch die Existenzbedingung des Widerspruchs verortet. Althusser spricht mit dieser Ausdeutung die Rationalität des Unbewußten an, die in der widerspruchsvollen psychischen Konfliktbewältigung eines Individuums zum Ausdruck kommt (vgl. Althusser 1977b, S. 91). Auf die Positionen der beiden obigen Autorinnen bezogen, wäre zu fragen, ob und was Althusser hergibt, um eine Theoriekonzeption feministisch weiterentwickeln zu können, die sich bereits seit ihren Anfängen mit Freud beschäftigt hat, ihn materialistischsozialpsychologisch aufzubereiten suchte (vgl. Fromm 1932). Im Hinblick auf die von Haug vertretene Position halte ich vorwiegend erkenntnistheoretische Fragen für klärungsbedürftig. Die Althussersche Erkenntniskonzeption wird ohne seine spezifische Interpretation der Freudschen Theorie, die sich stark auf Lacan stützt, nicht verständlich. Sie prägt ebenfalls seine strukturale Subjektkonzeption, insbesondere die Ideologietheorie, auf die diese Strömung der Frauenforschung zurückgreift. Wie läßt sich dieses Erkenntnismodell mit dem Widerspiegelungstheorem vereinbaren? Wie oben angemerkt, stellt sich hier das Problem 'Hegel'. Welcher Einfluß auf Aussagen zur Vergesellschaftung von Frauen resultiert aber auch aus einer Verbindung von Theorien, die zum einen nicht auf die Freudsche Trieb - und Sexualtheorie zurückgreifen, zum anderen eine spezifische Ausdeutung von ihr aufnehmen? Zum Problem 'Hegel - ja oder nein' käme das weitere von 'Freud - ja - oder nein'. Vielleicht resultieren aus diesen differenten Theoriebezügen Antworten, deren Bedeutung sich erst innerhalb gemeinsam erörterter Fragestellungen feministischer Forschung herauskristallisiert.
Ich komme auf das Problem einer kurzschlüssigen Verbindung von Theorie und politischer Handlungsrelevanz zurück. Die intermediäre Instanz, die diese Varianten der Frauenforschung bzw. des Feminismus als erkenntnisrelevant überspringen, betrifft die empirische Überprüfbarkeit von theoretischen Aussagen. Wenn in der Frauenforschung (und nicht nur in ihr) vom Verhältnis zwischen Objektivität und Subjektivität oder, weniger emphatisch formuliert, vom Verhältnis von Theorie und Empirie die Rede ist, wird selten danach unterschieden, welche 'Empirie' gemeint ist: die der empirischen Überprüfbarkeit, die der politischen Handlungsrelevanz oder gar beide? Beide befinden sich in einem Wechselverhältnis zueinander, konstitutieren sich gegenseitig.
Von diesem Wechselverhältnis möchte ich einen Gesichtspunkt aufgreifen, der im Verlauf der Untersuchung gelegentlich angesprochen wurde: Ein politisch im Sinne von 'gesellschaftsverändernd' handelndes Subjekt muß diese Haltung nicht unbedingt durch die Mitarbeit im Frauenhaus oder die Teilnahme an Demonstrationen unter Beweis stellen. Es kann diese Haltung genausogut an seinem Arbeitsplatz zum Ausdruck bringen. Im Falle der Vertrauensfrau in einem Großbetrieb, die sich gegen sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz engagiert, wird diese Aussage unter Feministinnen keine Kontroverse auslösen: diese Frau handelt politisch. Mit Sicherheit kontrovers erörtert würde diese Position, wenn es sich um die wissenschaftlich erwerbstätige Frau handelt. Sie unterliegt sehr schnell dem Verdacht, mit dem Arbeitseinen Geschlechtervertrag unterschrieben zu haben, im Austausch gegen Privilegien die Geschlechterfrage bagatellisieren zu wollen oder zu rnüssen. Ich möchte hier nicht auf die Existenz institutioneller Zwänge eingehen, die niemand leugnen wird, auch nicht versuchen, wissenschaftliches 'Handeln' als vollgültigen Ersatz für die Beteiligung an politischen Aktionen außerhalb des Arbeitsbereichs hinzustellen und zu legitimieren. Ich erörtere diesen Sachverhalt im Rahmen einer erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretischen Fragestellung: des Verhältnisses von Theorie und Empirie.
Der unterschwellige Verdacht, Frauenforscherinnen gäben beim Pförtner ihr feministisches Gewissen ab, sobald sie die Universitäten und Forschungsinstitute betreten, ist m.E. Ausfluß der Vermischung beider Einpiriebegriffe. Handlungsrelevanz wurde im Verlauf der Untersuchung immer wieder betont, besitzt allein ein Realsubjekt sozialwissenschaftliche Fassung des empirisch-konkreten Subjekts 'Frau' oder 'Mann'. Die Handlungs- oder Eingriffsmöglichkeit eines Realsubjektes kann sich an 'Erkenntnis' festmachen. Mit dieser Argumentation zäume ich das Pferd von hinten auf, sage nicht: um wirksam handeln zu können, brauchen wir zunächst eine gute Theorie, die historisch-empirisch überprüft ist, sondern: wir können das Ganze noch von einer anderen Seite betrachten. Auch diesem Argument wohnt eine subjekt-konstitutionslogische Dimension inne, akzentuiert das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität. Dieses Individuum ist Realsubjekt wie andere Individuen auch. Es nimmt keinen gesonderten Platz ein, mit dem es aus der Vogelperspektive einen Blick auf Gesellschaft wirft und sagt "so funktioniert sie"; bestehe dieses 'Funktionieren' nun in der Behauptung, alles stünde zum Besten oder eben auch zum Argen. Dieses Real- und zugleich Erkenntnissubjekt ist Mitglied eines Sozialgefüges, Bestandteil von ihm. So banal diese Feststellung klingen mag, sie ist es nicht im Gefüge einer Theorie und Erkenntiskonzeption, deren Ursprünge auf die Bewußtseinsphilosophie des deutschen Idealismus zurückgehen. Marx hat sich in seinem Frühwerk vergleichbar geäußert; Wissenschaft als gesellschaftliche Tätigkeit bezeichnet, mit der er sich selber, als Wissenschaftler, gesellschaftlich betätigt. Wo bleibt dieses wissenschaftlich tätige Subjekt jedoch in seiner Gesellschaftskonzeption, in einer Theorie ohne Realsubjekte?
Als Forschungsperspektive zur Klärung der in der Frauenforschung virulenten Frage, ob es der Entwicklung einer feministischen Erkenntnistheorie bedürfe oder nicht, möchte ich einen Gedanken von Christel Beier aufgreifen. Sie weist in ihrer Untersuchung verschiedener Totalitätskonzeptionen darauf hin, daß das Marxsche Wissenschaftsverständnis die Möglichkeit bietet, "auf Erkenntnistheorie als metatheoretische Legitimation zu verzichten, weil in diesem Kontext das Verhältnis von geistiger und körperlicher Arbeit im System gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung der Zusammenhang verschiedener Produktions- und Erfahrungsformen untereinander selber noch einmal thematisiert wird, das, Rechtfertigungsverfahren für theoretische Konzeptualisierungen keiner externen Kriterien bedarf, weil diese selber noch einmal dem Gegenstandsbereich angehören. Jener Sachverhalt legt die Möglichkeit frei, Theorien im Zusammenhang von institutionalisierten Handlungskontexten, Wissenschaft auch als Sozialorganisation zu begreifen" (Beier 1977, S. 71).
Christine Woesler de Panafieu und Hilary Rose haben den Gedanken der Trennung von Hand- und Kopfarbeit im Zuge der Herausbildung von Klassengesellschaften auf weibliche Reproduktionsarbeit und den spezifisch weiblichen Erfahrungsbezug auszudehnen versucht (Woesler de Panafieu 1987, Rose 1986). Mit dem strukturtheoretischen Zugang zur Vergesellschaftung der Geschlechter läßt sich dieser Gedanke fortentwikkeln und differenzieren. 'Erkenntnis' in ihrer Geschlechtsspezifik ist innerhalb der Doppelstruktur von Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen verortbar als menschliche Tätigkeits- und Aneignungsform: als kollektive oder individuelle Produktivkraft und verkörpert in 'Verhältnissen'. In einer gegenläufigen Bewegung ließe sich argumentieren, daß sich die 'Verhältnisse' zugleich in den Realsubjekten 'versachlichen' als eine der Bedingungen ihrer Subjektkonstitution. Sie integrieren soziale Normen oder von ihnen erwartete Verhaltensmuster auf die eine oder andere Weise in ihre Persönlichkeitsstruktur; inwieweit dieser Sachverhalt mit dem von Becker-Schmidt angesprochenen doppelten Konstitutionsprinzip übereinstimmt oder nicht, muß vorläufig offen bleiben. Erkenntnis, wie jede andere soziale Tätigkeit, kann sich jedoch nicht lediglich im Anschluß an Marx auf 'Arbeitsteilung' in empirisch-theoretischem Sinne berufen, sie stellt keine hinreichende Bedingung der Subjektkonstitution dar, es bedarf schlicht der empirischen Existenz dieser Subjekte. Mit diesem Argument kommt der erweiterte Strukturbegriff ins Spiel, der eben weiterreicht als 'Arbeitsteilung' zwischen Hand und Kopf. In Woesler de Panafieus und Roses Erkenntnisentwurf ist noch nicht die analytische Trennung zwischen objektiver und subjektiver Vergesellschaftung enthalten. Ihr Rekurs auf 'Arbeitsteilung' meint den objektiven, derjenige auf 'Erfahrung' den subjektiven Vergesellschaftungsaspekt. D.h.: 'Arbeitsteilung' (zwischen den Geschlechtern und Klassen) als objektive Funktionszuweisung, 'Erfahrung' aber als die eines individuellen Subjektes in seiner Bewußtheit und Körperlichkeit. In der Vermittlung werden beide Seiten wieder zusammengeschlossen, analytisch sind sie zunächst auseinanderzuhalten, um die Reziprozität zwischen Objektivem und Subjektivem verstehen zu können. Erkenntnis als gesellschaftliche Tätigkeit ist strukturaler Bestandteil von Vergesellschaftungen, unterliegt derselben übergreifenden Formbestinimung von GeseWechter- und Klassenverhältnis. Aber nicht nur aus diesem Grund bedarf es keiner gesonderten Erkenntnistheorie. Beier spricht die Möglichkeit an, Theorien als institutionalisierte Handlungskontexte, Wissenschaft als Sozialorganisation zu begreifen. Hier bietet sich der Rückgriff auf feministische Untersuchungen von Frauen im Wissenschaftsbetrieb an (Bock u.a. 1983, Clemens u.a. 1986). In der hier verfolgten Perspektive bildeten sie einen Ausschnitt des 'sichtbaren Funktionszusammenhangs' verborgener Strukturprinzipien, die als kapitalistische und sekundärpatriarchalische identifiziert wurden.
Das Verhältnis von Theorie und Empirie wird in dieser spezifischen Konstitutionsproblematik in mehrfacher Weise angesprochen. Die strukturtheoretischen Produktivkräfte sind in ihrer Vermittlung über und als Realsubjekte die theoretische Fassung von empirischen Subjekten. Die Bedingungen, unter denen diese empirischen Subjekte wissenschaftlich arbeiten, finden ihren empirischen Ausdruck in der Sozialorganisation 'Wissenschaftsbetrieb', dessen Regeln und Handlungskontexten. In analoger Form gilt dieser Sachverhalt auch für andere Formen der Sozialorganisation und die Einbindung von Individuen in sie. Das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität kommt ganz empirisch-konkret im Wechselverhältnis zwischen Sozialorganisation und Individuum zu einen, im Wechselverhältnis der intersubjektiven Bezugnahme von Personen aufeinander zu anderen zum Tragen. 'Objektivität' stellt die oder der Andere in dem spezifischen Sinne dar, daß ich ihn oder sie zum Objekt meiner Handlungen, Wünsche, Absichten mache. Der Wahrheitsbegriff, der sich mit einer solchen, hier lediglich skizzierten, multidimensionalen Erkenntniskonzeption gewinnen ließe, sperrte sich gegen jede Formalisierung und metaphysische Überhöhung, verstünde Wissenschaft und Erkenntnis als gesellschaftlichen Prozeß.
Welcher Stellenwert "Wissenschaft" im Handlungskontext sozialer Bewegungen zukäme, ist mit dieser Aussage noch keineswegs festgelegt. Sie besitzt politische Relevanz; zu untersuchen wäre, ob Wissenschaft im Sinne politischer Handlungsrelevanz "nur" ein Faktor unter anderen wäre und woraus diese anderen Faktoren bestünden. Der revolutionstheoretische Wahrheitsbegriff der Marxschen Theorie - erfolgreiches Klassenhandeln als Wahrheitskriterium der Theorie - wird mit dieser Unterscheidung in zwei Dimensionen aufgelöst. Die eine Dimension betrifft die empiiische CTM-,rprüfbarkeit theoretischer - hier: strukturtheoretischer - Aussagen, die andere die Bedeutung, die eine solcherart zusundegekommene und überprüfte Theorie zur GesUltung von Gesellschaft besitzt. Der Verzicht auf die letztgenannte Dimension hat unweigerlich Szientismus zur Folge, verweigert sich der Möglichkeit von Eingriffen. In diesem Sinne verstanden, meint 'politische Handlungsrelevanz' Doppeltes: Die Aufgabe von Wissenschaftlerinnen, gesellschaftliche Gestaltungsperspektiven aufzuzeigen und aufzugreifen, und damit zugleich als handlungsanleitende Instanz für diejenigen zu fungieren, die wissenschaftlich begündeter Analysen bedürfen, um erfolgversprechend agieren zu können. Ein intuitives Verschmelzen beider Dimensionen bildet vermutlich den Grund für offene und versteckte Fraktionierungen innerhalb der Frauenforschung: Im Vorwurf des Szientismus ohne Handlungsrelevanz gegenüber der 'Theoriefraktion' und umgekehrt in der Unterstellung eines theorielosen Volunwismus gegenüber der 'Praxisfraktion'. Zu wünschen wäre, daß es sich lediglich um Mißverständnisse handelte, weil sie ausgeräumt werden können.
Wird die Bedeutung der empirischen Überprüfbarkeit theoretischer Aussagen als Wahrheitskriterium einer Theorie akzentuiert, steht folgerichtig sofort die Frage der Forschungsmethoden im Raum: qualitativ, quantitativ oder beides? Das hier entwickelte Modell erfordert zu seiner Präzisierung die Verwendung beider Arten von Forschungsmethoden. Sozialstrukturelle Aussagen kommen ohne quantitative Erhebungen nicht aus, ebensowenig ohne Analysen von Gesetzestexten usw.; Forschung im Bereich von objektiver und subjektiver Vergesellschaftung nicht ohne das Instrumentarium qualitativer Forschung. Die Frage der Verwendung bestimmter Forschungsmethoden reicht allerdings selbst schon in die gesellschafts- bzw. erkenntnistheoretische Diskussion hinein, stellt sich nicht erst dann, wenn das Forschungsdesign entworfen wird. Ein Nebenprodukt der Untersuchung - der Aufweis möglicher Verbindungsglieder zwischen Struktur- und Handlungstheorie - könnte Hinweise geben, wie sich qualitative Forschungsmethoden, etwa das Lebenswelt-Konzept (Schütz/Luckmann 1974), gesellschaftstheoretisch interpretieren, damit aber auch forschungsstrategisch einsetzen lassen. Ich will damit andeuten, daß die Frage von Totalitätsbezug versus methodologischem Individualismus bis in die Verwendung und Auswahl von Forschungsinethoden hineinreicht. Beide Sichtweisen müssen sich gegenseitig nicht ausschließen, bedürfen allerdings der Präzisierung ihrer Reichweite.
Wie eine solche Verbindung von Theorie und Empirie auszusehen hätte, kann ohne thematischen Gegenstandsbezug nicht beantwortet werden, wäre auch Gegenstand anderer und künftiger Forschungen.

5.4 Entfremdung und Unbewußtes

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dem grundlegendsten aller sozialen Verhältnisse analytisch auf die Spur kommen zu wollen. Seine theoretische Existenz führt es in Auslassungen, systematischen Kurzschhissen, Identitätslogik. Man könnte sagen: Es handelt sich um das Unbewußte der Theorie, das, als Unbewußtes, in seiner Wirkung nur umso schwerer erkennbar wird. Wie das menschliche Unbewußte besitzt es eine innere Rationalität; deren Kenntnis erlaubt es wiederum, seine Irrationalität zu entschlüsseln. In der Klassentheorie führt die Geschlechtertheorie eine verpuppte Existenz. Befreit man sie von ihrem Kokon, handelt es sich noch immer um dieselbe Gesellschaft, dieselbe Geschichte, die auf den Begriff gebracht werden - und dennoch stellen sie sich 'anders' dar. Ihre Konturen werden plötzlich schärfer. Zur marxistischen Arbeiter- und Kapitalisten "Mannschaft" gehören Frauen und Kinder, die im Unbewußten der Theorie ihre verborgene und dennoch eigenständige Existenz führen.
'Struktur', hierin scheinen die Strukturalisten Recht zu behalten, ist ein Begriff, der weiter trägt als der eines 'Wesens'. Er kommt ohne Geschichtsphilosophie aus, ohne die Ahnengalerie verleugnen zu müssen. Das Subjekt, dem Althussers erbitterter Widerstand gilt, ist das Bewußtseinssubjekt der idealistischen Philosophie. Mit der Abkehr von ihm gibt er jedoch mehr preis als das: das menschliche Subjekt als Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse und in seiner relativen Autonomie des Denkens und Handelns. Das Verleugnen der Tatsache, daß ein solches Subjekt immer Geschlechtssubiekt ist, macht die Marxsche Theorie zu einer geschlechtsneutralen Klassentheorie.
Althussers Vorschlag, den Marxschen Wesensbegriff durch den der Einwirkung einer Struktur auf ihre Elemente zu ersetzen, wird zu einem analytisch handhabbaren Instrument durch den Godelier entlehnten Begriff der Einwirkung zweier Strukturen auf ihre Elemente und der Interdependenz dieser beiden Strukturen in ihrer historischen Variabilität. In der vorliegenden Untersuchung beschränkte sich die Überprüfung der Brauchbarkeit dieses theoretischen Instrumentariums auf einen sozio-ökonomischen Sachverhalt, eine Anzahl anderer Dimensionen von Geschlechterungleichheit sind mit ihr überhaupt noch nicht angesprochen, obwohl sie in einem Wirkungsverhältnis mit jenen stehen dürften. Geschlechterungleichheit, die sich in physischer und psychischer Gewaltausübung artikuliert, reicht bis in den Reproduktionszusammenhang von Gesamtgesellschaft hinein, in die gesellschaftlich reklamierten Verfügungsrechte über das Reproduktionspotential von Frauen. Ausgespart blieb die Untersuchung von offenen und subtilen Formen eines Widerstands gegen Auflösungserscheinungen überlieferter Geschlechterungleichheiten, der, als zunächst individueller, schnell strukturierte Formen annehmen kann. Das methodischsystematische Instrumentarium, das in der vorliegenden Untersuchung erarbeitet wurde, kann solche weiterführenden Untersuchungen anleiten, im historisch-materialistischen Denkmodell sind verallgemeinerbare Systematiken angelegt, aus ihm gewinnbar. Das gilt für das Instrument einer sozialen Verhältnisbestimmung, seine Untersuchung zeigt aber auch, wie tief dieses Denken in geschichtsphilosophischen Annahmen verankert ist.
Die vergleichende Analyse der Vergesellschaftungsformen einer agrarischen und einer industrialisierten Gesellschaft suggeriert die Annahme, das Marxsche methodische Instrument einer, 'Formbestimmung' sei verallgemeinerbar. Eine versachlichte Gestalt nehmen soziale Verhältnisse auch unter ständisch-agrarischen Bedingungen an. Die Eigentumsform ist zwar eine andere, die bestimmte Aneignungs - und Kontrollweisen bedingt und hervorbringt, die Organisationsmittel, deren sich der Staat bediente, sind jedoch identisch mit denen der bürgerlich-industrialisierten Gesellschaft. Parallel kann argumentiert werden, daß unter agrarischen ebenso wie unter industriellen Bedingungen die ihnen unterworfenen (und sie gestaltenden) Individuen diese Verhältnisse verkörpern. Löst man sich von einer ausschließlich auf das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital bezogenen Sichtweise, behält jedoch den Grundgedanken einer Vergesellschaftung von Individuen, ihrer Arbeit und Fortpflanzung, über Versachlichungen und Verkörperungen sozialer Verhältnisse bei, die rückgebunden sind an bestimmte Eigentumsformen, ergibt sich erst diese vergleichende Perspektive.
Nach Marx nehmen unter kapitalistischen Bedingungen diese Versachlichungen und deren Niederschlag im Bewußtsein und Handeln von Individuen eine verkehrte Gestalt an. Was den Zusammenhalt eines Sozialgebildes stiftet, sein Eigentumsform, kann von Individuen mit ihrem Alltagsbewußtsein gar nicht erkannt werden, ist ausschließlich Gegenstand der wissenschaftlichen Analyse. Diesem Argument liegt die geschichtsphilosophische Annahme einer Entfremdung des Menschen zugrunde - von sich selber, von seinen Mitmenschen, von seinen Produktionsbedingungen. Dieser Entfremdungsbegriff zieht sich durch das gesamte Marxsche Werk hindurch und taucht selbst noch in den elaborierten Formbestimmungen der Wertformanalyse auf. -Ihm liegt die Auffassung einer Aufhebung dieser 'Entfremdung' durch die Beseitigung des Privateigentums an Produktionsmitteln zugrunde - eine Auffassung, die sozialromantische Züge nicht verleugnen kann. Auch eine künftige Gesellschaft ohne 'Privateigentum an Produktionsmitteln' würde soziale Organisationsformen aufweisen, auf gesellschaftlichen Verhältnissen beruhen müssen, die sich auf die eine oder andere Weise an Dingen 'versachlichen' und an Menschen 'verkörpern'. Ein 'ursprüngliches' Verhältnis der Individuen zu ihren Produktionsbedingungen kann es in dem Sinne gar nicht geben, daß zwischen beide nicht irgendwelche Formen der Sozialorganisation träten in Gestalt von 'Verhältnissen'. Entwickelt man diesen Gedanken konsequent fort, dann besagt er, über 'Verhältnisse' gestiftete Vergesellschaftungsformen seien immer mit 'Entfremdung' verbunden; stellten sich Individuen deshalb stets als 'Verkehrungen' dar.
Diese 'Verkehrungen', Marx hat es zu seiner Zeit nicht wissen können, sind nicht unbedingt Ausdruck kapitalistischer Vergesellschaftung über die Durchsetzung und Verallgemeinerung der Warenform. Vielleicht sind sie ein Phänomen der bürgerlichen Gesellschaft, vielleicht aber auch eines vieltausendjährigen Patriarchalismus mit seinen Geschlechtertrennungen und -differenzierungen. Das Freudsche Werk suggeriert, daß bestimmte Bewußtseinsformen eine enge Bindung an die jüdisch-christliche Tradition und die durch sie hervorgebrachten Lebensformen aufweisen, daß die abendländische Kulturtradition von Anfang an auf 'Verkehrungen' von Bewußtseinsformen und Wahrnehmungsweisen beruhte, die ihren sozialen Ort in Geschlechterfigurationen besitzen. Wie immer es sich damit verhalten mag, ob auch Freud 'nur' wie Marx die Spitze eines Eisbergs sichtete, dessen zerstörerisches Ausmaß der Sicht verborgen bleibt - gerade diese in der Vermittlung von Subjektivität und Objektivität angelegte Problematik kann das Marxsche Werk nicht lösen. Sie betrifft nicht lediglich das Geschlechterverhältnis in einer zentralen sozio-ökonomischen Dimension, sie gilt auch für gesellschaftstheoretische Fragestellung und deren Lösung. Marx eilte in diesem Punkt seiner Zeit voraus, nahm etwas wahr, das er in eine politisch-ökonomische Theorie zu integrieren suchte, ohne zu wissen, daß er damit an ein gesellschaftliches Phänomen gestoßen war, dessen Abgründigkeit er vielleicht ahnte: wie tief Geschlechtertrennungen in Bewußtsein und Handeln hineinreichen können. Die großen Denker des 19. Jahrhunderts mögen von diesem Phänomen allesamt etwas in den Blick bekommen haben, zu erklären vermochten sie es nicht, vielleicht in einzelnen seiner Ausdrucksformen, aber nicht in seiner Gänze. Diese Leistung steht selbst heute noch aus.