4.3 Historischer Wandel von Arbeitsteilung und Fortpflanzung
4.3.1 Zur Theorie der sozialen Konstitution der Berufe und der Hausfrau
Die soziale Konstitution von Berufen und die Entstehung der Hausfrau als einer besonderen Vergesellschaftungsform von Arbeit unter kapitalistisch-industriellen Bedingungen stellt sich strukturtheoretisch als ein spezifisches Zusammenspiel zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen dar, gewissermaßen als intermediäre Instanz. Berufe machen sich an menschlich-geschlechtlicher Produktivkraft fest, stellen die sozialen 'Hülsen' zur Verfügung, in die sie schlüpft. Hierbei würde es sich um eine Vermittlungsebene handeln, die die Bezugstheorie nicht kennt, für die deren begriffliches Raster zu grob geschneidert ist: in ihr schlägt sich die versachlichte Gestalt sozialer Verhältnisse unmittelbar im Bewußtsein von Individuen (als Lohnarbeiter oder Kapitalist) nieder. Aber auch 'Berufe' können den analytischen Status einer 'Versachlichung' im Sinne von Normierungen beanspruchen. Der Verweis auf die soziale Konstitution von 'Berufen' letztlich läßt sich auch die 'Hausfrau' dieser Bestimmung zuschlagen enthält eine Handlungsdimension, die die Bezugstheorie nicht kennt. Die Verberuflichung von Arbeitskraft ist einerseits objektiv-strukturelle Vorgabe, andererseits kollektive und individuelle 'Antwort' auf sie. Berufe, ließe sich der Gedanke fortführen, meinen inhaltlich analoges oder zumindest ähnliches wie eine metatheoretische 'Funktionsbestimmung': objektiv-strukturelle Vorgabe für die Vergesellschaftung von Arbeitskraft, mit dem Unterschied, daß sich in der Entstehung dieser 'Vorgabe', wie zu zeigen sein wird, unterschiedliche kollektive Interessenlagen artikulieren. Sie erlauben es Individuen, ihre Funktionsbestimmung erkennbar anzunehmen und auszufüllen, auf welcher gesellschaftlichen Ebene auch immer. Auf diesen Grundgedanken basieren eine Reihe von berufssoziologischen Analysen, auf sie wird im folgenden Bezug genommen. Die Geschlechtsspezifik von Arbeitsteilungen in Familie und Erwerb im Verhältnis beider Bereiche zueinander ist mittlerweile umfassend dokumentiert und analysiert, allerdings innerhalb differenter theoretischer Ansätze, deren Verbindungslinien oft schwer zu entziffern sind. Auf die systematisch - analytische Problematik von Theorien geschlechtlicher Arbeitsteilung mit politisch - ökonomischem Anspruch, die an der Hausarbeit und am Familienbereich ansetzen, wurde bereits hingewiesen. Ihnen fehlen bislang theoretische Verbindungsglieder zum Erwerbsbereich und zum Arbeitsmarkt. Andere Theoriemodelle setzen wiederum an der Geschlechtsspezifik des Arbeitsmarktes an und ziehen von hier aus Verbindungslinien zur Haus - und Familienarbeit. Von der Vielzahl dieser Untersuchungen wird hier vor allem auf die Arbeiten von Willms - Herget (1985), Knapp (1984), Kramer u.a. (1986) und von Beck-Gernsheim (1978, 1980) sowie Ostner (1978) zurückgegriffen, insbesondere wegen ihrer historisch-berufssoziologischen Ausrichtung. Die beiden letztgenannten Autorinnen weisen darüber hinaus einen direkten Bezug zu der historisch-analytischen Untersuchung von Beck/Brater/Daheim (1980) auf, die sich wiederum nicht mit der Geschlechtsspezifik der sozialen Konstitution von Berufen befaßt, ihrerseits jedoch Verbindungslinien zu den beiden letztgenannten Autorinnen herstellt.
Zur Vergleichbarkeit dieser Forschungen: Die Frauenarbeitsforschung, die sich historisch und/oder empirisch mit Frauenarbeit im Spannungsfeld von Erwerb und Familie befaßt, ist in der Bundesrepublik Deutschland in der Regel an größere regionale Forschungsgruppen gebunden. Das gilt für Frankfurt (Kramer u.a. 1986, Institut für Sozialforschung), Mannheim (Willms-Herget 1985, VASMA-Projekt), München (Ostner 1978, Beck-Gernsheim 1976, Sonderforschungsbereich 101) oder Dortmund (Müller 1984a, 1988, Landesinstitut Sozialforschungsstelle), um einige zu nennen. Die Hannoveraner Frauenforschungsgruppe ist demgegenüber in einem universitären Arbeitszusammenhang verankert (vgl. Becker-Schmidt u.a. 1983)
In den Arbeiten aller dieser Gruppen finden sich häufig Querverweise auf die Ergebnisse anderer regionaler Gruppierungen: mit hoher Wahrscheinlichkeit initiiert über die Kooperation dieser Forschungsgruppen in dem inzwischen eingestellten DFG-Schwerpunkt "Integration der Frau in die Berufswelt". Er hat für mindestens zehn Jahre die bundesdeutsche Frauenforschung nachhaltig geprägt und bindet die in diesem Kontext entstandenen Theorien und empirischen Forschungen an die bundesdeutsche Industrie - und Berufssoziologie an. Es bedürfte einer eigenständigen Untersuchung, den Querverbindungen einerseits zum mainstream der bundesdeutschen Industrie- und Berufssoziologie, andererseits der Frauenarbeitsforscherinnen untereinander, nachzugehen. Die Untersuchung von Brandt (1984) stellt hier wichtige Anregungen zur Verfügung. Einen derart umfassenden Anspruch vertritt die vorliegende Untersuchung nicht. Er beschränkt sich demgegenüber auf die Vergleichbarkeit bestimmter analytischer Aussagen hinsichtlich unterschiedlicher weiblicher Arbeitsformen. Der Akzent dieser Arbeiten liegt einerseits auf der Analyse der Entwicklung von Subjektpotentialen, mit denen sich Arbeitskraft unter Lohnarbeitsbedingungen maximale Verwertungschancen zu schaffen sucht (Beck/Brater 1978, Beck/Brater/Daheim 1980) bzw. auf der Herausbildung von Subjektpotentialen reproduktionsbezogener Arbeitskraft (Beck-Gernsheim 1976, Ostner 1978, Knapp 1984). Andererseits befassen sich diese Untersuchungen mit dem historischen Wandel in der Nachfrage nach Lohnarbeitskraft, d.h. mit der Frage, wohin weibliche Arbeitskraft mit dem Einsetzen der Industrialisierung gelenkt wurde bzw., wo sie sich etablierte (Knapp 1984, Willms-Herget 1985).
In dem hier entwickelten theoretischen Rahmen lassen sie sich wie folgt verorten. Bei ersteren basieren sie auf der Annahme einer relativen Konstanz im Erhalt der Ungleichheitsbedingungen, obwohl die Rechtsordnung, die deren Rahmen absteckt, in ihnen nicht angesprochen wird. Für die Frauenarbeitsforschung gilt diese Feststellung mit Ausnahme der Untersuchung von Kramer u.a. (1986), von Kramer als 'ideologische Rahmenbedingung' bezeichnet (vgl. Kramer 1986). Sie argumentieren auf der Ebene dessen, was hier als Produktivkraftstruktur figuriert. Hierbei kann - im Anschluß an Godelier - von einer Korrespondenz zwischen Arbeitskrafteinsatz und -angebot ausgegangen werden. Diese Korrespondenz besteht auf der Grundlage einer bereits existierenden Ungleichheit nach Eigentumskriterien. Sie wird hier ausgedehnt auf die familial-geschlechtliche Nutzung von Arbeitskraft. Auf dieser letztgenannten Ebene würde es sich gleichermaßen um eine normative Korrespondenz handeln: um die Akzeptanz des patriarchalen Ehe- und Familienmodells durch Männer und Frauen, die eine bestimmte Arbeitsteilung der Geschlechter beinhaltet bzw. unter 'neuen' Voraussetzungen nach sich zieht. Diese berufssoziologisch angeleiteten Untersuchungen versprechen Aufschluß darüber zu geben, wie sich zwischen den Geschlechtern - gerade als Besitzlose - alte Ungleichheiten erhalten und neue herausbilden, die der kapitalistischen Produktionsweise angepaßt und angemessen sind. Nach Beck/Brater/Daheim handelt es sich bei der sozialen Konstitution von Berufen um die Voraussetzung und Folge eines historischen Wandels, in dessen Verlauf die Arbeitskraft Warenform annimmt. Sie unterliegt von nun ab den Bedingungen des Arbeitsmarktes, der die Nachfrage nach und das Angebot an Arbeitskraft reguliert. Indem dieser Markt im Zuge seiner Verallgemeinerung über Geldeinkommen die Subsistenzsicherung von Arbeitskraft gewährleistet bzw. ihr unter Umständen vorenthält, ist sie gezwungen, marktkonforme Strategien zu entwickeln, die ihr ein möglichst hohes Maß an Verkäuflichkeit zur Existenzsicherung gewährleisten. Gerade hierdurch unterscheidet sich die Lohnarbeitskraft unter kapitalistischen Bedingungen von der Lohnarbeitskraft vorhergehender Produktionsweisen. In letzteren und auf der Grundlage einer Naturalwirtschaft war die Existenz von Lohnarbeitskraft zwar eine kontinuierliche, aber dennoch relativ randständige Erscheinung.
Die genannten Autoren nennen sechs Merkmale, die kapitalistische Lohnarbeitskraft als Zielvorstellung zu realisieren imstande sein soll und muß:
- Die Arbeitskraft muß bestrebt sein, von ihrem Arbeitsfeld andere Anbieter von Arbeitskraft fernzuhalten. Jeder zusätzliche Anbieter mindert deren Erwerbschancen. Als Mittel eignen sich hierfür etwa die Durchsetzung und Legitimation von Traditionen, von Qualitätsstandards oder Zugangsregeln zum Arbeitsfeld, ebenso die Monopolisierung von Ausbildungsgängen.
- Indem unterschiedliche Arbeitsgebiete als 'Kompetenzdomänen' monopolisiert werden, entstehen sozial stabilisierte Abgrenzungen; sie erhalten einen verbindlichen Charakter.
- Spezielle Arbeitsbereiche werden damit intergenerationell übertragbar. Arbeitsteilung verfestigt sich auf diese Weise zu 'sozialen Positionen', die konkreten Inhaber einer solchen Position werden untereinander austauschbar.
- Die Inhaber solcher inhaltlich bestimmten Arbeitsfelder (oder Qualifikationsbündel) bilden eine geschlossene Definitionsfront gegenüber denjenigen, die über solche Spezialqualifikationen nicht verfügen und vom möglichen Zugang zu ihnen ausgeschlossen werden bzw. bleiben. Damit werden diejenigen " sozial eingekesselt", die lediglich über Jedermannqualifikationen verfügen.
- Eine solche Versachlichung von Arbeitsverteilungen über das Aufrichten sozial verbindlicher Normen für die Einschließung in und den Ausschluß von Berufen bedeutet allerdings für die positiv hiervon Betroffenen, daß sie gezwungen sind, ihre Qualifikationsentwicklung auf Bereiche zu beschränken, in denen diese Qualifikationen auch vermarktbar sind. Die Tendenz des Marktes zu Rationalisierung und Verbilligung zwingt sie geradezu zu einem solchen Verhalten. Und
- Diese 'Fähigkeitsschablonen' verselbständigen sich letztlich gegenüber vorhandenen Arbeitsbereichen. Man lernt nicht mehr, "was man braucht, um bestimmte Arbeiten auszuführen, sondern hier kann man für solche Arbeiten eingesetzt werden, deren Anforderungen ungefähr innerhalb dessen liegen, was man gelernt hat" (Beck/Brater/Daheim 1980, S. 36f.). Das Resultat: "Dauerhaft institutionalisierte Zusammensetzungen und Abgrenzungen von Arbeitsfähigkeiten (bzw. ihnen entsprechende Tätigkeiten) (werden) gesellschaftliche ausdifferenziert und als 'Arbeitskräftemuster' von Individuen übernommen" (ebd., S. 37). Je stärker sich die Anbieter von Arbeitskraft an einem derartigen sozialen Muster ihrer Verwertungschancen von Arbeitskraft orientieren, desto höher und sicherer ihre Einkommensmöglichkeiten - vorausgesetzt, sie sind mit den Anforderungen der Beschäftiger kompatibel.
Diese theoretischen Überlegungen zur sozialen Konstitution von Berufen entwickeln Beck/Brater/Daheim in ihren historisch-analytischen Entwurf innerhalb der bereits erwähnten These, "wonach die einmal etablierten, aus der Klassengeschichte hervorgegangenen sozial ungleichen Lebens- und Lernbedingungen zugleich die Voraussetzung dafür schaffen, daß auch unter Lohnarbeitsbedingungen diese Ungleichheiten der Lebenslage erhalten bleiben" (ebd., S. 57, Hervorh. weggel.). Nachfolgend werden die zentralen Argumentationslinien von Willms-Herget und Knapp einerseits, von Ostner und Beck-Gernsheim andererseits, vorgestellt. Bei ersteren interessiert die Betonung einer Geschlechterkonkurrenz um Erwerbschancen, bei letzteren die Akzentuierung der Herausbildung von Fähigkeitsprofilen, die eine solche Geschlechterkonkurrenz offenbar überflüssig macht. Das Moment einer Konkurrenz um Erwerbschancen, wie von Beck/ Brater/Daheim diagnostiziert, wird von Willms-Herget (1985, S. 212) im Anschluß an Kreckel (1983) aufgenommen und auf die berufliche Plazierung von Frauen bezogen. Kreckel wiederum bezieht sich auf Webers Konzept der "sozialen Schließung": "Unter sozialer Schließung versteht Weber den Prozeß, durch den soziale Gemeinschaften Vorteile zu maximieren suchen, indem sie den Zugang zu Privilegien und Erfolgschancen auf einen begrenzten Kreis von Auserwählten beschränken. Das führt dazu, daß bestimmte, äußerlich identifizierbare soziale und physische Merkmale als Rechtfertigungsgrund für den Ausschluß von Konkurrenten hervorgehoben werden" (Parkin 1983, S. 123, zitiert nach Willms-Herget). Kreckel entwickelt dieses Konzept weiter, indem er zwischen einer 'vertikalen Ausschließung' (Abschottung privilegierter Berufsbereiche nach unten) und einer 'horizontalen Abgrenzung' (Grenzziehung zwischen gleichgestellten Berufsbereichen) unterscheidet. Knapp wiederum unterscheidet zwischen Situs- und Statussegretation: Erstere bezieht sich auf die horizontale geschlechtliche Arbeitsteilung, die Frauen und Männern unterschiedliche Arbeitsformen und -inhalte zuweist, ohne notwendig ein hierarchisches Verhältnis der Segmente zueinander zu beinhalten, letztere meint eine vertikale geschlechtliche Arbeitsteilung, die eine funktionale und positionale Scheidung zwischen Frauen- und Männerarbeit impliziert (Knapp 1984, S. 109).
Der Unterschied zwischen Kreckels und Knapps analytischem Zugang: ersterer bezieht sich ausschließlich auf den Erwerbsbereich, letztere auf Erwerbs- und Familienbereich, die theoretische Vermittlung beider Arbeitsformen bleibt jedoch vergleichsweise vage. Die Konzeption von Willms-Herget im Anschluß an Kreckel und bezogen auf den Erwerbsbereich weist die weitestgehende Übereinstimmung mit der Position von Beck/Brater/Daheim (1980) auf, die sich ja ebenfalls auf Erwerbsarbeit beziehen. [31] Unter Berufung auf die Position von Beck/Brater (1978) und im Anschluß an das feministische Materialismus-Postulat entwickelt Elisabeth Beck-Gernsheim die These, der erwerbswirtschaftlich bedingte Kampf um Kompetenz- und Inkompetenzdefinitionen besitze ein Komplement in der qualitativ hiervon unterschiedenen Rationalität und Interessenstruktur familialer Re-Produktionsarbeit: beide seien in ihrem Zusammenhang zu betrachten (vgl. Beck-Gernsheim 1976, S. 36). Diese Arbeit sei wiederum nicht auf den Markt bezogen, sondern auf die Probleme und Bedürfnisse nahestehender Personen. Beiden Organisationsformen von Arbeit entsprächen unterschiedliche arbeitsinhaltliche Anforderungen und subjektive Arbeitsvermögen (ebd., S. 39). Beide seien eng aufeinander bezogen, würden auch häufig von denselben Personen erfüllt bzw. seien in ihnen verkörpert. Diese Autorin nimmt an, "daß hier ein historischer Prozeß stattgefunden hat, in dessen Verlauf die fortschreitende, sich (bis Ende des 19. Jahrhunderts) kontinuierlich verstärkende und institutionell verfestigte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern allmählich immer mehr in die arbeitende Person selbst hineinverlagert hat, ... bis diese Arbeitsteilung schließlich tief in die Persönlichkeit von Mann und Frau hineinreicht und in ihr verankert ist" (ebd., S. 44, Hervorh. weggel.) [32]. Mit der Durchsetzung der Industrialisierung komme es zu einer verstärkten geschlechtsspezifischen Fähigkeitsdifferenzierung, innerhalb derer vorwiegend Männer die Fähigkeiten und Orientierungen tauschbezogener Arbeit (Konkurrenzorientierung) und Frauen diejenigen einer reproduktionsbezogenen Arbeit (Personenorientierung) entwickelten (ebd., S. 45). Diese Fähigkeitsdifferenzierung werde über den familialen, schulischen und beruflichen Sozialisationsprozeß hergestellt, als Folge wie auch als Voraussetzung dieser jahrhundertelangen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (ebd., S. 48).
Die Entkoppelung von Fähigkeit und Tätigkeit, wie sie Beck/Brater/Daheim für die Lohnarbeitskraft diagnostizieren, scheint bei Familienarbeit nicht gegeben. Die These eines "notwendigen qualitativen Unterschieds zwischen Beruf und Hausarbeit unter Bedingungen industrieller Warenproduktion" hat Ilona Ostner in einer ebenfalls historisch gerichteten berufssoziologischen Untersuchung zu präzisieren gesucht (Ostner 1978, S. 95). Die qualitative Differenz, die zur Herausbildung eines spezifisch weiblichen Arbeitsvermögens geführt habe, beruhe historisch auf der bedarfsorientiert naturwüchsigen, traditionell bäuerlichen Arbeit, die Ähnlichkeiten zur Arbeit der Hausfrau aufweise (ebd., S. 114). Der sozialen Konstitution von Berufen stünde demnach eine ebensolche Konstitution des 'Berufs' der Hausfrau gegenüber und ergänzte erstere in einer Komplementarität der jeweiligen sozialen Funktionen. Eine solche qualitative Differenz, die gleichzeitig eine Geschlechterdifferenzierung markiert, würde dann begründen, daß und warum Frauen Distanz gegenüber den von Beck/Brater/Daheim analysierten Vermarktungsstrategien von Arbeitskraft wahren. Für Beschäftiger ergäbe sich damit wiederum die Möglichkeit, weibliches Arbeitsvermögen auf ganz spezifische Weise zu nutzen, begründete dann aber auch den betrieblichen Einsatz von Frauenlohnarbeitskraft im unteren Bereich der Beschäftigtenhierarchie. "Aus der Sicht der Betriebe", so Ostner, "ist das weibliche Arbeitskräftepotential unspezifisch genug, um an unterschiedlichen Arbeitsplätzen in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen disponibel eingesetzt werden zu können. Es ist andererseits doch spezifisch genug, um gerade für bestimmte unqualifizierte Tätigkeiten verwertbar zu sein. Es ist auch spezifisch im Hinblick auf die Besonderheit weiblichen Arbeitsvermögens, einen großen 'Transfer' von sensumotorischen und sozialen Fertigkeiten in den beruflichen Arbeitsprozeß zu ermöglichen. Auf diesen 'Transfer', auf diese Übertragbarkeit von sensumotorischen und auch 'sozialen' (extrafunktionalen!) Fertigkeiten, wie sie in der Komplexität des weiblichen Arbeitsvermögens als organische Ganzheit enthalten sind, wird beim Einsatz weiblicher Arbeitskraft spekuliert" - der Einsatz weiblicher Arbeitskraft käme der betrieblichen Kostenökonomie entgegen (Ostner 1978, S. 207). Eine Spezifität des weiblichen und nicht berufsarbeitsbezogenen, eigentlich unmittelbar reproduktiven Arbeitsvermögens sei wiederum für viele Arbeitsorganisationen und dort für qualifizierte Tätigkeiten ein wesentliches Moment des Ausschlusses von Frauen aus den Berufen. "Hier liegt die Ursache für die Behinderung, Benachteiligung von Frauen, was Aufstieg, Entlohnung, Inhalt der überlassenen Arbeitsaufgaben betrifft" (ebd», S. 209).
Ostner vernachlässigt mit dieser Argumentation das Moment einer Konkurrenz zwischen Frauen und Männern um begehrte Erwerbschancen, die Schließungsmechanismen generieren können, begründet damit jedoch die Schlußfolgerung von Beck/Brater/Daheim, daß "die grundlegende gesellschaftliche Arbeitsteilung zwischen Berufsarbeit und Hausarbeit, zwischen Männern und Frauen auch auf den Arbeitsmarkt durchschlagen und hier zur Herausbildung eines 'geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktes' führen kann (ebd., S. 74). Die Reziprozität einer geschlechtsspezifischen Fähigkeitsdifferenzierung und einer ebensolchen Arbeitsteilung wäre demnach der Auslöser einer Geschlechtsspezifik des Arbeitsmarktes. Willms-Herget weist in ihrer Untersuchung darauf hin, daß diese These sich der empirischen Überprüfbarkeit entzieht, weil Ursache und Wirkung nicht mehr auszumachen sind. Dieser Einwand läßt sich vertiefen: Indem beide Autorinnen - Beck-Gernsheim und Ostner - die hohe Bedeutung von Sozialisationsprozessen für die Herausbildung bestimmter Fähigkeitsprofile akzentuieren, argumentieren sie auf der Ebene des Erwerbs von Verhaltensweisen, die immer auch eine Antwort auf bestimmte 'Verhältnisse' darstellen. Sie werden bei ihnen mit dem Hinweis auf die Existenz einer geschlechtlichen Arbeitsteilung zumindest angedeutet. Ihr Argument besagt dann, es gäbe eine Interdependenz zwischen Verhaltensweisen und Verhältnissen, zwischen subjektiven und objektiven Vergesellschaftungsmustern. Niemand wird bestreiten wollen, daß hier Wechselwirkungen zur Geltung kommen. Bei Beck-Gernsheim und Ostner bleibt der objektiv -strukturelle Aspekt der Herausbildung von Fähigkeitsprofilen allerdings unterbelichtet, 'geschlechtliche Arbeitsteilung' ist ein vielfältig ausdeutbarer Terminus. Er kann sich auf eine solche Arbeitsteilung in ganz empirischem Sinne beziehen, ebenso aber auch den analytischen Bezug auf eine bestimmte Eigentumsordnung beinhalten. Von hoher Bedeutung scheint jedoch noch ein anderer Sachverhalt. Mit der Annahme einer vorgängigen Eingebundenheit von Frauen in den familialen Bereich suggerieren beide Autorinnen, daß diese zu Beginn der Industrialisierung keine Erwerbsarbeit ausübten und sich demzufolge ihren Platz im Berufsbereich erst aus ihrer sozialen Verortung als Hausfrauen heraus erobern mußten. Die bei Willms-Herget, Knapp oder auch Kramer u.a. erkennbare Distanz zur Theorie des weiblichen Arbeitsvermögens gründet offensichtlich darauf, daß alle diese Autorinnen die strukturelle Eingebundenheit von Frauen in den Familien- und Erwerbsbereich in ihrer Einheit und Getrenntheit zu Beginn der Industrialisierung hervorheben; historisch-empirisch ein u-nbestreitbarer Sachverhalt. Dann aber läßt sich die Entwicklung bestimmter Fälügkeitspotentiale nicht länger geschlechtsspezifisch dem Erwerb, gleichgesetzt mit einer männlichen Konkurrenzorientierung, und der Familie, gleichgesetzt mit einer weiblichen Personenorientierung, zuordnen. Trotz streckenweiser DisLinzierungsversuche von einer polarisierenden Sichtweise bildet diese Annahme den Kern der Beweisführungen von Beck-Gernsheim und Ostner. Beide gehen davon aus, daß Frauen bzw. deren Arbeitskraft in der Familie verblieben [33], um von dort aus den Weg ins Erwerbsleben zu finden, die anderen Autorinnen fragen demgegenüber, in welche Felder gesellschaftlicher Arbeit weibliche Arbeitskraft im Verlauf der Industrialisierung kanalisiert wurde. Strukturell waren ja beide Geschlechter mit ihrem Arbeitsvermögen und ihrer Arbeitskraft in den familialen Wirtschafts- und Familienverband eingebunden.
Lassen sich theoretische Argumente, die sich auf Annahmen über eine bestimmte Plazierung von Frauen im gesamtgesellschaftlichen Arbeitsbereich stützen, historisch -empirisch überprüfen - darauf laufen die Untersuchungen von Knapp, Willms-Herget und Kramer u.a. hinaus -, berühren begründete Einwände gegen die Theorie des weiblichen Arbeitsvermögens noch nicht die hier vertretene strukturtheoretische Konzeption: Der Begriff 'Arbeitsteilung' besitzt auf der Funktionsebene dieselbe Bedeutung wie bei Beck-Gernsheim und Ostner im Sinne eines empirisch konstatierbaren Sachverhalts. Weil diese beiden Autorinnen auf einer , empiristischen' Ebene argumentieren, die Strukturen mit ihrem Funktionszusammenhang gleichsetzt, ist für sie die Frage belanglos, ob Arbeitsteilung gerade als geschlechtliche etwas mit der jeweiligen Eigentumsordnung und -verteilung zu tun hat. Diese Vorgehensweise zieht ein weiteres Problem nach sich: Sozialisationsmuster und -bedingungen sind gesellschaftstheoretisch oder -analytisch nicht mehr verortbar. Im Hinweis auf Interdependenzen zwischen Arbeitsteilung und Sozialisation und auf deren Resultat, eine geschlechtsspezifische Fähigkeitsdifferenzierung, könnte eine Analogie zu marxistischen Positionen vermutet werden. Sie stellen ihrerseits einen Zusammenhang her zwischen Arbeitsteilung im Klassenverhältnis und darauf bezogenen bzw. aus ihr resultierenden Sozialisationsmustern und -bedingungen (vgl. Brede 1986) - aber in letzteren wird auf der begrifflich-kategorialen Ebene argumentiert und darüber die Beziehung zum 'Privateigentum' hergestellt. Eine ökonomistische Sichtweise läßt sich Beck-Gernsheim und Ostner jedoch nicht unterstellen. Bei ihnen bleibt offen, wie die genannte Interdependenz ausgedeutet werden kann.
Trotz der Übereinstimmungen in der Kritik an den Positionen dieser beiden Autorinnen unterscheiden sich Willms-Herget und Knapp ganz erheblich voneinander in der Begründung ihres eigenen Theorieansatzes. So vermutet Knapp in der begrenzten Integration von Frauen in industriell-gewerbliche Arbeit und umgekehrt in deren Kanalisation in den unbezahlten und minderbezahlten Arbeitssektor ein identisches Interesse von Männern - gleich welchen Klassenstatus - an der Nutzung weiblicher Arbeitskraft und Gebärpotenz, ohne auf die Besonderheiten einer kapitalistischen Vergesellschaftung einzugehen (Knapp 1984, S. 195). Willms-Herget sieht den Grund für den selektiven Einbezug von Frauen in industriellgewerbliche Lohnarbeit in Rekrutierungsstrategien der Betriebe, betont an anderer Stelle aber auch das Bestreben lohnabhängiger Männer zur Monopolisierung von Erwerbschancen (Willms-Herget 1985, S. 139, 231). Sie stellt damit vorwiegend auf Vergesellschaftungsmuster ab, die in der neuen - kapitalistischen - Produktionsweise ihren Grund haben, ohne auf das von Knapp betonte Interesse [34] an der Nutzung weiblicher Gebärpotenz und den damit verbundenen Reproduktionsleistungen von Frauen einzugehen. Beide Untersuchungen treffen sich theoretisch in der Akzentuierung von Geschlechterkonkurrenz um Erwerbschancen, wo sich Frauen und Männer als soziale Gruppen gegenüberstehen - und zwar nicht erst mit Einsetzen der Industrialisierung. Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich noch anders als mit der Theorie des weiblichen Arbeitsvermögens analytische Verbindungslinien zu dem Ansatz von Beck/Brater/Daheim ziehen.
Über die geschichtliche Distanz hinweg läßt sich sicher nicht nachprüfen, wie sich Subjektkonstitution im 19. Jahrhundert tatsächlich vollzog. Jedoch sind Rückschlüsse auf solche Entwicklungen möglich über die Analyse der Verteilungen von Frauen und Männer auf Berufe und Erwerbsbereiche, in denen sich ein geschlechtsspezifisches Gefälle in Einkommen, Prestige und Handlungsspielräumen artikuliert. In diesen 'Verteilungen' (als sozialen Funktionsbestimmungen, die von individuellen 'Trägern' ausgefüllt werden) schlüge sich das objektive Moment der ProduktivkraftStruktur nieder, bezogen auf menschliche Produktivkraft in ihrer sozio-ökonomischen Dimension und bezogen auf das Verhältnis der Geschlechter.
4.3.2 Zur Geschichte der geschlechtsspezifischen Vergesellschaftung von Arbeitskraft
Im folgenden wird vor allem auf die Ergebnisse von Willms-Herget und Knapp zurückgegriffen [35]. Beide Untersuchungen befassen sich mit Interdependenzen und Verteilungen zwischen markt- und familienvermittelter Frauen- und Männerarbeit. Erstere zieht von den familienvermittelten Arbeitsformen allein Erwerbsarbeit in die Betrachtung ein und befaßt sich nicht mit häuslichen Versorgungsleistungen. Von der Anlage ihrer Untersuchung her ist diese Vorgehensweise gerechtfertigt, ihren Gegenstand bilden unterschiedliche Formen der Erwerbsarbeit. Knapp untersucht demgegenüber den gesamten Bereich familial erbrachter Arbeitsleistungen neben Erwerbsarbeit. Bildet bei ersterer das Abgrenzungskriterium gegenüber anderen Arbeitsformen deren Erwerbscharakter, so bei letzterer die Unterscheidung zwischen technologisch entwickelten und rückständigen Arbeitsformen. Knapp unterscheidet zwischen 'modernen', 'familiennahen' und 'familialen' Arbeitsformen. Erstere zeichnen sich aus durch Entgeltlichkeit, Trennung von Familie und Erwerb, Zugang nach formalisierten Ausübungs- und Aufstiegsregeln, hohen Technisierungs- und Spezialisierungsgrad. Familiennahe Arbeitsformen sind ebenfalls entgeltlich, jedoch überwiegend auf Naturalbasis, zeichnen sich aus durch einen hohen Grad der Verfügbarkeit über Arbeitskraft, treten in Mischformen der Einheit bzw. Trennung von Familie und Erwerb auf, sind nicht verbunden mit formalisierten Aufstiegs- und Ausübungsregeln, unterliegen rückständigen Technologien (häusliche und landwirtschaftliche Dienste, Heimgewerbe). Familiale Arbeitsformen basieren auf Unentgeltlichkeit, askriptiver Zuweisung, sonstige Merkmale wie vor (Mithelfende Familienangehörige, Haus- und Versorgungsarbeit) (Knapp 1984, S. 110f.). Willms - Herget unterscheidet wiederum zwischen vier Erwerbsarbeitsformen: Selbständige Tätigkeit, Mithilfe im Familienbetrieb, Dienst im fremden Haushalt und außerhäusliche abhängige Erwerbsarbeit. Auch diese Autorin weist darauf hin, daß in allen diesen Bereichen unterschiedliche 'Regeln' wirksam würden (vgl. Willms-Herget 1985, S. 46f.). Die von ihr nicht näher spezifizierte Annahme wird hier in Relation zur Eigentumsverfassung zu bestimmen versucht. Im Unterschied zu diesen Autorinnen wird im folgenden differenziert nach Formen selbständiger und abhängiger Arbeit und die letztgenannte Dimension noch einmal aufgefächert in marktvermittelt-entgeltliche, familienvermittelt-unentgeltliche und verbandsvermittelt-unentgeltliche Arbeit. Entscheidendes Differenzierungsmerkmal ist die Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit einer bestimmten Arbeitsform, weil auf diese Weise begründete Aussagen über geschlechtsspezifische Unterschiede im Zusammenhang von Arbeitsteilung und Existenzsicherung möglich sind. Die verbandlich vermittelte unentgeltliche Frauenarbeit im sozialen Ehrenamt wird neuerdings als drittes Arbeitsverhältnis zwischen Haus - und Erwerbsarbeit reklamiert.
"Es handelt sich um eine gesellschaftlich organisierte, öffentliche Arbeitsform außerhalb der eigenen Familie, aber auch außerhalb von Erwerbsarbeit. Sie findet v.a. außerhalb marktmäßiger Organisation statt. Ihre gesellschaftliche Anbindung ist meist über Institutionen geregelt, und zwar in verschiedenen Bereichen, in Politik, Kultur, Sport, bei Kirchen, Verbänden, Gewerkschaften, Vereinen oder Initiativen bis hin zu Selbsthilfegruppen und anderen neuen Organisationsformen"
(Backes 1987, S. 3). Der Autorin zufolge ist diese Arbeitsform nicht per se problematisch, *"sondern deren besondere Ausprägung als Frauenarbeit unter gegebenen Bedingungen der Arbeitsteilung und der Lebens- und Arbeitsverhältnisse von Frauen"
(ebd., S. 11). Sie wird ergänzt durch Arbeitsformen in solchen Verbänden, die entgeltlich und damit marktvermittelt sind. Dieser Kontext stellte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Domäne der außerfamilialen Frauenarbeit dar. Auf eine Analyse des sozio-ökonomischen und politischen Status der sie vermittelnden Institutionen wird hier verzichtet; sie setzt theoretisch begründete Aussagen über das Verhältnis von Wirtschaft, Staat und Verbänden voraus, die an dieser Stelle nicht entwickelt werden können. Ein erheblicher Teil dieser Arbeitsformen wurde statistisch entweder niemals (Hausarbeit, versteckte Heimarbeit, ehrenamtliche Arbeit, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse) oder nur unzulänglich (Mithelfende Familienangehörige, Dienstboten) erfaßt. Das gilt ebenfalls für eine besonders heikle Form weiblicher Existenzsicherung: Prostitution. In der sozialhistorischen Literatur finden sich immer wieder Hinweise auf versteckte oder offenen Formen weiblicher Prostitution, häufig Erwerbsquelle von entlassenen Dienstmädchen. Eine andere Form der Erschließung einer Erwerbsquelle, vermutlich besonders verheirateter Frauen, stellte die Aufnahme von Kostgängern, die Versorgung von Kostkindern, die Beherbergung von Schlafgängern und Untermietern dar. Auch die hiermit verbundene Arbeit - Bestandteil von Hausarbeit, jedoch Quelle von Erwerb - ist statistisch nirgends erfaßt. Rückschlüsse auf deren Ausmaß lassen sich allenfalls aus Angaben über die Verbreitung des Kost- und Schlafgängerwesens erschließen (vgl. Ehmer 1982, S. 300 ff., Friese 1988, S. 5 ff.). Selbst einigermaßen genaue Angaben über Erwerbsquoten liegen erst ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vor. Eine Analyse der Verteilungen von Frauen und Männern auf bestimmte Berufe, Erwerbsfelder und Arbeitsformen gibt auf jeden Fall historische Trends zu erkennen; auf deren Identifikation kommt es in der vorliegenden Untersuchung vor allem an. Diese Daten werden innerhalb des in der vorliegenden Untersuchung entwickelten Theorierahmens einer sekundäranalytischen Interpretation unterzogen. Begründet wird diese Vorgehensweise damit, daß die Aussagekraft der Daten möglicherweise höher ist, als sich seinerzeit mit dem vorliegenden theoretischen Instrumentarium nachweisen ließ.
Nach Beck/Brater/Daheim fielen unter agrarisch-handwerklichen Bedingungen Fähigkeit und Tätigkeit einer Arbeitskraft zusammen; erst die kapitalistische Produktionsweise löst beide systematisch voneinander ab. Das dürfte nicht allein für Handwerker gegolten haben, das Beispiel, an dem diese Autoren ihre Überlegungen präzisieren, sondern in vielleicht noch stärkerem Maße für diejenigen, die zur Ausübung ihrer Tätigkeit keiner berufsqualifizierenden Ausbildung bedurften, die ihre 'berufliche' Qualifikation innerhalb einer familienwirtschaftlichen Sozialisation erwarben. In der Landwirtschaft beruhte sie zwar auf einer hochgradig geschlechtsspezifischen Arbeitszuweisung, sie hatte jedoch zunächst nichts mit dem Status einer Person in einem solchen Verband zu tun. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht bestimmte vorab Arbeitsinhalt und -gegenstand, nicht unbedingt die Art und Weise der Ausübung dieser Tätigkeiten und einer damit verbundenen Kontrolle der Arbeitskraft. In der bäuerlichen Wirtschaft fielen Frauen sämtliche Arbeiten im Haus, im Stall und im Garten zu, zusätzlich und nach Bedarf auch Feldarbeiten. Im Haus waren Frauen zuständig fürs Kochen, Nähen, Waschen, Hausreinigung und Kinderversorgung, für die Milchwirtschaft und die Textilverarbeitung; im Stall für die Versorgung des Kleinviehs, von Schweinen und Kühen. Zu Feldarbeiten wurden Frauen zeitweise herangezogen, besaßen aber auch hier eine eigenständige Domäne. Sie bestand in der Bestellung und Verarbeitung von pflanzlichen Fasern wie Flachs (vgl. Weber-Kellermann 1988, S. 75). Diese Zuständigkeiten haben sich in der Bauernwirtschaft über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren unverändert erhalten, sie sind bereits für die Karolingerzeit belegt (vgl. Ennen 1985, S. 20). Für den Ertrag und Erhalt eines bäuerlichen Wirtschafts- und Familienverbandes waren diese Frauenarbeiten von gleich hoher Bedeutung wie die 'Männerarbeit'. Eine Geschlechtsspezifik drückte sich allenfalls darin aus, daß Männer für diejenigen Arbeiten zuständig waren, die hohen Krafteinsatz erforderten, während Frauen kontinuierlicher und vor allem länger als Männer arbeiteten. Das Prinzip 'Männer erledigen die Schwerarbeit, Frauen arbeiten dafür ständig' gilt noch heute in nicht-mechanisierten, bäuerlichen Wirtschaften in Bergregionen. Die Bäuerin, ihre Töchter, weibliches Gesinde und Tagelöhnerinnen übten allesamt solchermaßen definierte 'Frauenarbeit' aus. Erst in zweiter Linie entschieden familialer bzw. dienstabhängiger Status einer Frau darüber, wer Weisungen gab und wer sie befolgen mußte. Trotz einer Gleichrangigkeit von Frauen - mit Männerarbeit im Sinne ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Bedeutung galt Frauenarbeit auf dem Land schon immer als Arbeit minderer Art. Diese Minderbewertung von Frauenarbeit ist ebenso wie die Arbeitsteilung mindestens seit dem Mittelalter belegt. Die Annahme einer historischen Kontinuität in der Geringschätzung von Frauenarbeit läßt sich noch anhand eines zweiten Sachverhalts belegen. Bereits im Mittelalter wurden Männerarbeiten vergleichbare Frauenarbeiten unterschiedlich hoch entlohnt. Frauen erhielten dieselben Löhne wie Kinder, diese Löhne sicherten nicht die Existenz einer Person. "Hätte das Mittelalter unsere heutigen Erhebungsmethoden der Sozialhilfe gekannt", so Fischer (1982, S. 24), "würde sich mit großer Sicherheit ergeben, daß Frauen - seien es Mütter mit Kindern, Alleinstehende oder Alte - einen besonders hohen Anteil von Unterstützungsfällen oder Fällen verschämter Armut ausmachten, nicht anders als heute". Nach den Unterlagen des Straßburger Armenprotokolls von 1523 waren dort 69% der Hilfsbedürftigen Frauen und nur 31% Männer. Fast vier Fünftel dieser Frauen waren alleinstehend, von den hilfsbedürftigen Männern demgegenüber lediglich ein Fünftel. Daß es sich hierbei um ein verallgemeinerbares Phänomen handelte, belegen weitere Zahlen: in Freiburg/Br. waren zwischen 1573 und 1600 83% der unterstützten Zunftangehörigen Frauen, in Luzern lag der Anteil der unterstützungsbedürftigen Frauen im Jahre 1579 sogar bei über 85% (vgl. Fischer 1982, S. 24).
Allein besitzlose, lohnabhängige Männer waren in der Lage, aus ihrem Verdienst ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; bei einer Familiengründung war die Mitarbeit der Ehefrau und mindestens eines Kindes unabdingbare Voraussetzung für die Existenzsicherung einer solchen Familie. Das galt übrigens bis Ende des 19. Jahrhunderts. Dieses Muster - Geringschätzung und Minderbezahlung von Frauenarbeit - ist ebenfalls im vorindustriellen Zeitalter beobachtbar. In der Landwirtschaft wurden Mägde durchgängig schlechter bezahlt als Knechte. Der Lohnabschlag für Frauenarbeit schwankte zwischen einem Drittel und der Hälfte des vergleichbaren Manneslohns (vgl. Weber 1985, S. 20f.). Analoges gilt für die Frühformen der Industrialisierung, das Manufaktur- und Verlagswesen. In den Manufakturen übten Frauen Tätigkeiten aus, die ein hohes Maß an Qualifikation erforderten, als qualifizierte Arbeit wurden sie jedoch nicht anerkannt. Der Lohnabschlag für Frauenarbeit betrug 40 - 50% vergleichbarer Männerlöhne. Frauenarbeit galt sowohl als 'Zuverdienst', als auch als 'Hilfs- und Zuarbeit' (vgl. Bake 1985, S. 57). Hierbei kann es sich wie im Mittelalter größtenteils gar nicht um 'Zuverdienst' gehandelt haben, weil ein sehr hoher Anteil von Manufakturarbeiterinnen alleinstehend und häufig auch von der Armenfürsorge abhängig war. 75% der Hamburger Armen waren gegen Ende des 18. Jahrhunderts alleinstehende Frauen, die zu einem großen Teil in Manufakturen arbeiten mußten. Zwischen Armenanstalten und Manufakturen bestanden häufig Kontrakte, indem die Armenanstalten ihre Armen den Manufakturen als Arbeitskräfte vermittelten. Frauen, die auf diese Weise zu Manufakturarbeit gezwungen wurden, erhielten für diese Arbeit einen Lohn, der weit unter den ortsüblichen Löhnen lag. Gerieten sie aus 'erzieherischen' Gründen in ein Zuchthaus oder in eine Armenanstalt, die sie als Arbeitskraft an eine Manufaktur vermittelte etwa aufgrund einer außerehelichen Schwangerschaft bzw. Geburt ging der Lohn an die Zuchthausverwaltung, die daraus ihre Aufwendungen bestritt (vgl. Kuczynski 1963, S. 22f.). Zwischen Zuchthaus, Armenanstalt und Manufaktur konnte aufgrund dieses Zusammenspiels häufig nicht einmal unterschieden werden (vgl. Bake 1985, S. 62; Teuteburg in Pohl/Treue 1985, S. 82). Als 'Zuverdienerinnen' zu einem Manneseinkommen werden häufig Soldaten- oder auch Meistersfrauen infrage gekommen sein. Für Berlin und für Brandenburg ist belegt, daß sie zu dieser Arbeit gezwungen waren, um den niedrigen Mannesverdienst aufzustocken (vgl. Treue in Pohl/Treue 1985, S. 79). Die Löhne für einen 16-Std.-Tag waren häufig so niedrig, daß dasselbe Einkommen auch durch Betteln erzielt werden konnte. An diesem Punkt setzten die Bemühungen um eine Reform des Armenwesens an, ebenso Anstrengungen, den Mitgliedern der Unterschichten ein bestimmtes Arbeitsethos zu vermitteln (vgl. Troitzsch in Pohl/ Treue 1985, S. 82f.). Eine Besonderheit des weiblichen Arbeitskräfteeinsatzes, die, treffen die Überlegungen von Beck/Brater/Daheim zu, im Industriezeitalter schnell verschwunden sein wird, bestand darin, daß Manufakturisten Frauen gern mit Meisterinnen -Posten betrauten - trotz ihres angeblichen Mangels an Qualifikation. Diese Meisterinnen, vor allem in der Textilindustrie zu finden, waren noch immer billiger als ein (männlicher) Posamentierer. Keine dieser Meisterinnen stand in der Lohnhierarchie über
dem am schlechtesten bezahlten Mann. Eine Wirkerin verdiente um 1800 in einer Manufaktur 2 1/2 Schillinge, ein Wirker 4 Schillinge täglich (Bake 1985, S. 60). Aufgrund des Kostenkalküls von Unternehmern konnte lohnabhängigen Männern in Frauen gerade deshalb eine Konkurrenz erwachsen, weil sie einer tradierten Lohndiskriminierung unterlagen. Auf die Bewertung von Frauenarbeit im Sinne sozialer Wertschätzung oder ihrer Bezahlung hatte es offenbar keinen Einfluß, ob sie innerhalb der Einheit von Familie und Erwerb oder der Trennung von Beruf und Familie erbracht wurde. Sie war offenbar von vornherein minderen Werts. War dies so, weil sie von Frauen erbracht wurde, oder ließ man Frauen nur solche Leistungen erbringen, denen keine sonderliche soziale Bedeutung zufiel? Letzteres kann kaum für Arbeiten in Verbindung mit der Aufzucht von Kindern gelten. Auch die vorindustrielle Gesellschaft wird gewußt haben, daß ihr Bestandserhalt von generativen und reproduktiven Leistungen abhängt. Zweitens wird sich gerade unter naturalwirtschaftlichen Bedingungen kein überzeugendes Kriterium finden lassen, mit dem Männerarbeit als 'wichtiger' oder 'produktiver' bezeichnet werden kann. Aus dem gemeinschaftlichen Ertrag der Wirtschafts- und Familienverbände wurden die Steuern und Abgaben geleistet, die gemeinschaftliche Arbeit war weiterhin Grundlage der Subsistenzwirtschaft zum eigenen Unterhalt. Die Minderbezahlung von Frauenlohnarbeit und die Minderbewertung von Frauenarbeit insgesamt unter vorindustriellen Bedingungen könnten Ausfluß der sozialen Geringschätzung des weiblichen Geschlechts sein. Unter industriellen Bedingungen und mit der Trennung von Familie und Erwerb kommt jedoch ein zusätzliches Faktum ins Spiel: Spezialisierung und Rationalisierung setzen eine hochgradige Arbeitsteilung voraus, die Individuen mit ihrer Arbeitskraft auf unterschiedliche Wirtschaftszweige und auf ebenso unterschiedliche Plätze in der betrieblichen Hierarchie, ebenso an differente soziale Orte, verweist. Die Produktivität von Arbeit und damit deren ökonomische Wertigkeit erhält nun tatsächlich einen objektiven Maßstab: inwieweit sie dazu beiträgt, ein geldwertes Mehrprodukt zu erwirtschaften. Er ist nicht identisch mit der sozialen Wertigkeit einer Arbeit. Dieser Maßstab grenzt von vornherein solche Arbeitsleistungen aus der Betrachtung aus, die zwar gesellschaftlich notwendig sind, jedoch nicht verwertbar nach den Kriterien einer Waren- und Geldökonomie. Die Minderbewertung von Frauenarbeit in der Industriegesellschaft könnte sich demzufolge in einer völlig neuen Konstellation artikulieren, d.h. ob sie als unentgeltliche direkt zur Erwirtschaftung eines solchen Mehrprodukts beiträgt (Mithelfende Familienangehörige) und ob sie als ebenso unentgeltliche Reproduktionsleistungen zur Verfügung stellt, die vom Markt ferngehalten werden und dadurch dessen Funktionsfähigkeit sichern. Hierbei würde es sich um einen indirekten Zusammenhang mit der Kapitalverwertung handeln. Erst an letzter Stelle stünde dann die entgeltliche Frauenarbeit - der gesellschaftlichen Norm zufolge als nachgeordnete. Demgegenüber nehmen Frauenforscherinnen unterschiedlicher theoretischer Ausrichtung gelegentlich an, die Ausgrenzung von Frauenarbeit als unentgeltliche - sei direkt den Verwertungsbedingungen von Kapital geschuldet (Werlhof 1978, Friese 1987); Willms-Herget und Knapp richten ihr Augenmerk wiederum nicht in dieser Linearität auf ein wenig greifbares Subjekt 'Kapital', sondern auf die Personalrekrutierungsstrategien der Betriebe und auf die Möglichkeit einer Konkurrenz zwischen Frauen und Männern um die besseren Erwerbsbedingungen. Hierbei würde es sich um einen Sonderfall von Konkurrenz handeln, die diese Vergesellschaftungsform hervorbringt, möglicherweise aber auch voraussetzt. Jedoch erst der Einbezug der unentgeltlichen Frauenarbeit in diesen Verteilungs- und Konkurrenzmodus weist Vergesellschaftung von Arbeit in ihrer Hierarchie zur Existenzsicherung von Individuen unter warenproduzierenden Bedingungen aus. Erst diese Vorgehensweise legt die Differenz offen, die zwischen ökonomischer und sozialer Wertigkeit einer Arbeit besteht. Nachfolgend ein Überblick über die ungefähre Verteilung von Frauen- und Männerarbeit auf verschiedene Erwerbsbereiche nach der Jahrhundertmitte, d.h. um 1860: In der Übergangsgesellschaft vollzieht sich die Trennung von Familie und Erwerb erst sehr allmählich. Werfen wir einen Blick auf die Verteilungen von Arbeitskraft auf verschiedene Erwerbszweige und unterscheiden zwischen selbständiger, lohnabhängiger und familienabhängiger Arbeit, zeigt sich, daß um 1860, etwa drei Jahrzehnte nach dem Einsetzen der Industrialisierung in Deutschland, die Relation zwischen lohnabhängiger Frauen- und Männerarbeit 38 zu 62% beträgt, d.h., doppelt so viele
Männer wie Frauen üben eine lohnabhängige Tätigkeit aus [36]
In der Fabrik - und Bergarbeit, ebenso im Handwerk, sind Frauen am geringsten vertreten (16 bis 2% aller in diesen Bereichen Beschäftigten). Hierbei handelt es sich um denjenigen Bereich von Lohnarbeit, in dem sich die neue Produktionsweise entfaltete. Im Gesindedienst halten sich beide Geschlechter etwa die Waage, mit einem leichten Übergewicht der Frauen (52%); umgekehrtes gilt für Arbeit im Tagelohn, hier sind Männer leicht überrepräsentiert (57%).
Insgesamt sind in Preußen um 1860 knapp 2 Mio. Frauen und knapp 3 Mio. Männer lohnabhängig erwerbstätig, allerdings vorwiegend in der Landwirtschaft. 1.1 Mio. Frauen und Männer arbeiten in Fabriken und Handwerk, 3.7 Mio. demgegenüber primär in der Landwirtschaft [37].
Der noch einer agrarischen Produktionsweise angepaßte Arbeitskräfteeinsatz schlägt sich auch in einer weiteren Arbeitsform nieder: selbständiger und männlicher Arbeit, die jeweils eine lohnlos mitarbeitende Ehefrau voraussetzt. Reichlich 1 Mio. Handwerksmeister und Heimgewerbetreibende setzten ebenso viele familienabhängig erwerbstätige Frauen voraus. [38] Jeweils die Hälfte dieser Erwerbspersonen arbeitet demnach im proto-industriellen Heimgewerbe bzw. im Handwerk. Von den insgesamt 3.5 Mio. Selbständigen (Männern) und familienabhängig Erwerbstätigen (Frauen) ist jedoch der größte Teil in die Landwirtschaft eingebunden: jeweils 3.4 Mio. Bauern, 1.4 Mio. Kleinbauern und knapp 700 000 Häusler, Insten und Eigenkätner samt deren Ehefrauen [39] . Diese 3.5 Mio. familienabhängig erwerbstätigen Ehefrauen in Beziehung gesetzt zu den lohnabhängig erwerbstätigen Frauen ergeben folgendes Bild: Zwei Drittel der weiblichen Erwerbstätigen arbeitete lohnlos und familienabhängig, ein Drittel demgegenüber entlohnt und dienstabhängig; statistisch nicht ausgewiesene 'geringfügige Beschäftigungsverhältnisse' nicht mitgerechnet. Industrie- und Fabrikarbeit übten um 1860 keine 2% von diesen 5 Mio. erwerbstätigen Frauen aus, ihr Anteil an den Lehrlingen und Gesellen betrug nicht einmal l% (9 000 Frauen stehen 550 000 Männern gegenüber). Bereits 1861 betrug demgegenüber die Erwerbsquote der männlichen Fabrik- und Bergarbeiter 7.8% (445 000), der Lehrlinge und Gesellen 12.5% (550 000). Nicht alle diese Lehrlinge und Gesellen werden eine Beruf ausgeübt bzw. erlernt haben (z.B. Bäcker), der unter industriellen Bedingungen zukunftsträchtig war, dasselbe gilt für die selbständigen Handwerksmeister (535 000), um diese drei großen Beschäftigten bzw. Berufsgruppen zu nennen. Im Vergleich mit Frauenerwerbstätigkeit zeigt sich dennoch, daß zu diesem Zeitpunkt in Preußen bereits 1.5 Mio. männlichen keine 100 000 weibliche Erwerbspersonen gegenüberstanden, die faktisch oder potentiell der neuen Produktionsweise mit ihrer Arbeitskraft und ihrer Qualifikation zur Verfügung standen - selbst wenn es sich häufig um 'Jedermann- bzw. Jedefrau-Qualifikationen' handelte. Jeder in Industrie und Gewerbe lohnabhängig erwerbstätigen Frau standen demzufolge 15 ebenfalls lohnabhängige Männer gegenüber. Als Minderheit und noch dazu seit Jahrhunderten vom Erwerb verberuflichter Qualifikationen ausgeschlossen, werden Frauen kaum die Möglichkeit besessen haben, ihrerseits bestimmte Berufsfelder für sich zu reklamieren oder Kompetenzdomänen abzustecken, die ihnen unter industriellen Bedingungen mit Männern vergleichbare Erwerbschancen eingeräumt hätten. Die Analyse der Entwicklung der drei großen Untergruppen abhängiger Arbeit - marktvermittelt-entgeltlicher, familienvermittelt-unentgeltlicher und verbandsvermittelt-unentgeltlicher Arbeit - und diese noch einmal unterschieden nach 'fortschrittlicher' und 'rückständiger' Technologie, zeigt folgendes Bild hinsichtlich geschlechtsspezifischer Einbindungen in verschiedene Arbeitsformen im Zeitverlauf: Der Bereich der marktvermittelt-entgeltlichen Arbeit betrifft Arbeitsformen in der alten und in der neuen Produktionsweise, umfaßt solche mit fortschrittlicher und rückständiger Technologie. Zu ersterem zählt Erwerbsarbeit in Industrie und Gewerbe, zu letzterem in landwirtschaftlichen und häuslichen Diensten, als "Zwitterform" (Knapp) läßt sich das Heimgewerbe interpretieren. Im Heimgewerbe arbeiteten Frauen und Männer gemeinsam. Besonders in der Textilindustrie soll es keine Seltenheit gewesen sein, daß Frauen über größere berufliche Qualifikationen verfügten als Männer, in solchen Fällen resultierte daraus unter Umständen eine völlige Umkehrung der tradierten geschlechtlichen Arbeitsteilung: die Ehefrau übte vorwiegend die Erwerbsarbeit aus, der Mann übernahm häusliche Versorgungsleistungen (vgl. Rosenbaum 1982, S. 228 ff.). Die fabrikmäßige Organisation und Mechanisierung vergleichbarer Branchen war in Deutschland bis 1836 eine Seltenheit, der Niedergang der Heimindustrie setzte um die Jahrhundertmitte ein unter dem Druck der Substitutionskonkurrenz von Baumwolle gegen Leinen und der Mechanisierung der Baumwoll- und Wollspinnerei (Knapp 1984, S. 79). Von 1873 bis 1900 sank die Zahl der Beschäftigten im Heimgewerbe im Deutschen Reich um die Hälfte, ihr Anteil an allen Beschäftigten fiel unter 2%. Wo es überlebte, fungierte es in der Folge als konjunktureller oder saisonaler Puffer der Industriebetriebe (ebd., S. 81). Vom Rückgang des Heimgewerbes waren aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Erwerbsarbeit (unter vollem Einbezug der Kinderarbeit) beide Geschlechter betroffen. Aber es waren vorwiegend die Männer, die auf industrielle Arbeitsplätze überwechselten (Willms-Herget 1985, S. 410). Diese Arbeitsform mit rückständiger Technologie weist im letztgenannten Punkt eine Analogie auf zur zweiten solchen Arbeitsform, den landwirtschaftlichen Diensten: Auch hier waren es die Männer, insbesondere die Knechte, die als erste das Land verließen, um in den städtischen Industriegebieten Lohnarbeit zu suchen (Winkel 1985, S. 96, Willms - Herget 1985, S. 144). Der Anteil der männlichen ländlichen Unterschicht an der "handarbeitenden Klasse" betrug vor 1816 noch 72% und sank bis 1861 auf 62%; im Vergleich waren Frauen auch 1861 noch zu 95% auf Erwerbsformen im Gesindedienst und im Tagelohn festgelegt (Knapp 1984, S. 118). Ab 1850 ist ein stetiger Rückgang der Beschäftigten im primären Sektor zu beobachten; betrug sein Anteil an den Gesamtbeschäftigten 1850 noch 50%, fiel er bis 1882 auf 43.4% und betrug 1933 noch 28.9%. Parallel zu dieser Entwicklung erhöhte sich sukzessive der ohnehin bereits hohe Anteil weiblicher Beschäftigter in diesem Sektor, zwischen 1907 und 1933 etwa von 46.5 auf 52.2% (ebd., S. 126). Diese Entwicklung wird nicht zuletzt auf die zunehmende Konkurrenz um Arbeitskraft durch die städtisch-industrielle Entwicklung und die dadurch bedingte Landflucht zurückzuführen sein. Als Folge erhöhten sich im Verlauf des Jahrhunderts die Löhne für das landwirtschaftliche Gesinde stärker, als es von der Produktivität der Landwirtschaft her zu vertreten war (vgl. Winkel 1985, S. 96). Daß die Landwirtschaft in dieser Konkurrenz um männliche und weibliche - Arbeitskraft unterlegen war, dürfte unter anderem mit den Arbeitsbedingungen zu tun haben, die sie Erwerbsarbeitskraft bot: sie unterlag, wie bereits dargestellt, bis nach dem Weltkrieg den Bestimmungen der Gesindeordnungen, die deren Handlungs- und Lebensspielraum drastisch einengten. Die Männer, die auf dem Land verblieben, zeichnet eine weitere Besonderheit gegenüber Frauen und deren Arbeit aus: sie besetzten die oberen Segmente der Beschäftigungshierarchie, hatten in der Regel die Vorgesetzten- und Vorarbeiterfunktionen inne. Das gilt ebenfalls für die häuslichen Dienste, eine für Männer wenig attraktive Arbeitsform, aus der sie im Verlauf des Jahrhunderts am schnellsten und vollständigsten verschwanden. Als Grund für diese Entwicklung gilt erstens die zunehmende Verberuflichung einstmaliger Gesindefunktionen. Wo Männer in häuslichen Diensten verblieben, waren sie Kutscher, Gärtner, qualifiziertes Hauspersonal mit Aufsichtsfunktionen gegenüber weiblichen Dienstboten. Weibliche Erwerbsarbeit in diesem Bereich war in der Regel der Beruf des Dienstmädchens, allenfalls mit Aufstiegschancen zur Köchin, Zofe oder Haushälterin verbunden. Die nahezu vollständige Feminisierung dieses Berufs drückt sich am deutlichsten in der Erwerbsquote aus: 1885 waren 32% aller weiblichen Erwerbspersonen Dienstmädchen (Frevert 1986, S. 68); selbst in hochindustrialisierten Gebieten wie dem Ruhrgebiet fanden Frauen in der Regel nur eine Anstellung in diesem Beruf (ebd., S. 87). Im Jahre 1895 verhielt sich die Zahl der Dienstboten in 28 Großstädten des Deutschen Reiches umgekehrt proportional zur Zahl der jeweils beschäftigten Arbeiter (Tenfelde 1985, S. 112). Betrug der Anteil der Männer in % aller Erwerbspersonen in diesem Bereich 1882 1.1% (Frauen: 40%, Frauenquote: 94%), sank er bis 1950 kontinuierlich auf Null, betrug für Frauen zu diesem Zeitpunkt noch 12.4% und 1982 noch 0.8% (Willms-Herget 1985, S. 128 und 145; vgl. auch Walser 1985 und 1986). Diese Daten erlauben die Schlußfolgerung, daß sich Männer aus Erwerbsarbeitsformen mit rückständiger Technologie zunehmend entfernten und daß dies umgekehrt deren Feminisierung zur Folge hatte. Männer verblieben allerdings im oberen Segment dieser Arbeitsformen, obwohl nicht durchgängig in der Landwirtschaft. Die genannten Bereiche wurden für Männer zu 'bad jobs', in die einzurücken Frauen offensichtlich keine Schwierigkeiten bereitete. Der Umfang, in dem das der Fall war, wird jedoch erst dann deutlich, wenn eine weitere Entwicklungslinie in die Betrachtung einbezogen wird: die der familienvermittelt-unentgeltlichen Arbeit.
Zuvor ein Blick auf den für die neue Produktionsweise zentralen Arbeitsbereich innerhalb marktvermittelt-entgeltlicher Arbeit: Industrie und Gewerbe. Besonders in der Industrie wurden die neuen Technologien entwickelt, kamen dort zum Einsatz und boten insofern zukunftsträchtige Beschäftigungsmöglichkeiten. Im folgenden einige Beispiele:
Anders als die englische vollzog sich die deutsche Industrialisierung mit dem Hauptgewicht auf Schwerindustrie. Die Textilindustrie hatte bereits vor der Jahrhundertmitte ihre führende Rolle verloren, aber auch sie kann nicht als eine von Anfang an 'typische' Frauenbranche bezeichnet werden. Wie Willms-Herget belegt, sind noch 1882 erst ein Drittel der Beschäftigten in ihr Frauen, die Feminisierung der Textil-, Leder- und Bekleidungsindustrie ist eine relativ junge Erscheinung. Auch für sie gilt das bereits bekannte Muster, daß sich Männer aus ihr in dem Maße entfernten, als sich ihnen in anderen Bereichen bessere Einkommens- und Arbeitsmöglichkeiten boten. Dieser Sektor weist heute eine Frauenquote von 67% auf (Willms-Herget 1985, S. 142). Unter anderem am Beispiel der Textil-, Leder- und Bekleidungsindustrie widerlegt Willms-Herget die Tragfähigkeit der Implikationen der Theorie des weiblichen Arbeitsvermögens (Beck-Gernsheim, Ostner):
Es veranschaulicht, daß Frauen keineswegs von Anfang an die Berufszweige mit großer 'Hausarbeitsnähe' offenstanden, in denen das 'weibliche Arbeitsvermögen' hätte zur Geltung kommen können. Bemerkenswert ist dieser Sachverhalt auch deshalb, weil sich die Textilindustrie häufig in Gebieten mit proto-industrieller Tradition ansiedelte, in die Frauen- und Kinderarbeit voll integriert war, und weil das textile Manufakturwesen der Frühindustrialisierung gleichmäßig auf Frauen-, Männer- und Kinderarbeit zurückgreift. Hinter der hohen Männerquote der Textilindustrie im 19. Jahrhundert kann sich übrigens ein statistisches Problem verbergen: Die Beschäftigten waren gehalten, ihre Hilfskräfte selbst zu stellen. Hierbei wird es sich um Ehefrauen und Kinder gehandelt haben. Der Lohnarbeiter wurde damit gleichzeitig zum 'Arbeitgeber' familialer und unentgeltlicher Arbeitskraft. Ein völlig anderes Muster zeigt sich in der Schwerindustrie oder in der chemischen Industrie. Besonders in ersterer erhielt die handwerklich qualifizierte Arbeitskraft von Anfang an eine Vorzugsstellung, gefragt wat-en in der ersten Hälfte des Jahrhunderts vor allem Berufe wie Schlosser, Schmiede, Dreher, Modellschreiner, sämtliche Metall- und Holzberufe (Fischer 1982, S. 66). Frauen, die vom Erwerb solcher Qualifikationen ausgeschlossen waren, rückten in diese Branchen allein schon aus diesem Grund in die unteren Segmente - d.h. vor allem als ungelernte Arbeitskraft - ein. Aber auch dann machten Frauen nur einen geringen Anteil der Beschäftigten aus. In der Metallverarbeitung und im Maschinenbau waren noch 1907 erst 4% der Arbeiterinnen beschäftigt. Aufstiegschancen, verbunden mit beruflicher Qualifikation, besaßen Frauen kaum; auch in Arbeiterfamilien waren es häufig nur die Jungen, die eine Lehre absolvieren durften (Mitterauer/Sieder 1982, S. 346). Schließungsprozesse setzten insofern nicht erst im Erwerbsleben ein, sondern gingen auch von den Familien der Beschäftigten selbst aus [40]. Am geringsten waren die Chancen weiblicher Facharbeit nach Willms-Herget dort, wo die industrielle gegenüber der handwerklichen Arbeit dominierte, d.h. im Textil-, Chemie- und Maschinenbaubereich (Willms 1980, S. 163). Die Besonderheit der deutschen industriellen Entwicklung und Expansion mit ihren Schwergewichten konzentrierte sich, so Knapp, auf Bereiche, die von männlicher Arbeitskraft dominiert wurden, so daß die Richtung der ökonomischen Entwicklung für sich genommen bereits eine Beschneidung der Arbeitsmarktchancen von Frauen nach sich zog (1984, S. 103). Letztere verbesserten sich allerdings um die Jahrhundertwende mit der Entwicklung des Dienstleistungssektors, obwohl es sich hierbei um andere weibliche Beschäftigtengruppen als die soeben diskutierten handelt. Selbst hier zunächst das typische Muster, daß die Entstehung neuer Berufe oder Erwerbsfelder dazu führt, daß Männer, sofern sie in ihnen verbleiben, die oberen Segmente besetzen. Aber noch ein anderes Muster der Umschichtung von Erwerbsarbeitskraft wird hier erkennbar: Die im Vergleich mit Fabrikarbeit attraktiven Berufe im Dienstleistungssektor werden vor allem von jungen und ledigen Frauen besetzt, als Verkäuferinnen oder Büroangestellte. Diese Gruppe verläßt offensichtlich, wie zuvor bei Männern beobachtbar, für sie unattraktiv gewordene Erwerbsfelder und wendet sich neugeschaffenen Berufsmöglichkeiten zu. Als Nachrückerinnen in die alten Bereiche fungieren zunehmend verheiratete und ältere Frauen; Willms-Herget interpretiert diese Entwicklung als Indiz für die Sonderstellung verheirateter Frauen auf dem Arbeitsmarkt. "Die erkennbare Hinwendung verheirateter Frauen zu Arbeitsmarktverhältnissen, von denen sich alleinstehende (und damit im Durchschnitt jüngere) Frauen bereits abwenden, dokumentiert außerdem, daß durchaus die industrielle Arbeitskräftenachfrage für die Integration verheirateter Frauen von Bedeutung war" (1985, S. 174). Die Hinwendung zu Angestelltenberufen betraf noch eine andere Gruppe von Frauen, die von beruflicher Arbeit das 19. Jahrhundert über weitgehend ausgeschlossen war: die ledigen Frauen des Bürgertums, denen eine 'standesgemäße' Erwerbstätigkeit nun möglich wurde. Zögerlich öffneten sich ihnen die Bildungseinrichtungen bis hin zu den Universitäten; in hochqualifizierten Berufen faßten sie zuerst im Lehrerinnenberuf Fuß, der auch heute einen hohen Frauenanteil aufweist. In den hochqualifizierten Berufsfeldern griff allerdings nicht das 'Muster', das in allen anderen Erwerbsbereichen nachweisbar ist: daß Frauen in von Männern aufgegebene Bereiche einrückten. Frauen standen und stehen hier direkt in Konkurrenz mit Männern um Berufspositionen mit relativ hohem Einkommen, Prestige und großen Handlungsspielräumen. Willms-Herget statistisch abgesicherte Untersuchung der Entwicklung von Frauenerwerbsarbeit über einen Zeitraum von hundert Jahren weist für den Bereich marktvermittelt-lohnabhängiger Arbeit ein bestimmtes Muster auf. Männer besetzten die modernen Segmente des Arbeitsmarktes, während 'alte' (und technologisch rückständige) Segmente immer mehr zu Domänen der Frauenarbeit werden (1985, S. 145). Diese Entwicklung korrespondiert mit den Merkmalen des Industrialisierungsprozesses in Entwicklungsländern, wie von Boserup (1970, S. 139) diagnostiziert.
In die von Männern verlassenen Branchen rücken vor allem junge, alleinstehende Frauen nach, die wiederum, im Zuge der Entstehung neuer und attraktiverer Erwerbschancen, in diese abwandern und Platz bieten für verheiratete und ältere Frauen, die das untere Segment der Beschäftigungshierarchie darstellen. Diese Entwicklung ist wiederum möglich aufgrund einer ökonomischen Dynamik, in der entweder bereits vorhandene Branchen expandieren oder neue Branchen und Erwerbszweige entstehen. Im erstgenannten Fall fungiert weibliche Arbeitskraft als 'Nachrückerin' für männliche Beschäftigte, die die unteren Segmente verlassen und in die oberen aufsteigen. Im letztgenannten Fall, d.h. unter dem Erfordernis eines schnellen Branchenwachstums, rücken Frauen ebenfalls in die unteren Segmente ein. In beiden Fällen kommt ein klares Gefälle zwischen Frauen- und Männerverdiensten zum Ausdruck (ebd., S. 166). Besonders die 'Nachrückerinnen'-These ist in diesem Zusammenhang bedeutungsvoll: Sie beruht auf dem Nachweis, daß durch die Integration von Frauen in den marktvermittelt-lohnabhängigen Erwerbsbereich keine Männerarbeitsplätze verlorengingen und daß die Rekrutierungsmuster von Arbeitskraft dafür Sorge trugen, daß die Betriebe nicht in Lohnkonkurrenz um männliche Arbeitskraft gerieten (ebd., S. 159). Die Ungleichheit der Geschlechter im Erwerbsleben blieb auf diese Weise unangetastet erhalten. Im Laufe der Zeit verstärkte sich die geschlechtsspezifische Typisierung von Berufen, d.h., die schnelle Modernisierung in Industrie, Gewerbe und Verwaltung führte zu einer zunehmenden Schließung von Berufen, so daß Willms-Herget resignativ festhält: "Was durch die Modernisierung des Beschäftigungssystems auf dem Weg zu beruflicher Gleichstellung der Geschlechter gewonnen wurde, ging durch die umso rigidere geschlechtsspezifische Typisierung der Berufe wieder verloren" (ebd-, S. 228). Inwieweit die statistisch nachgewiesenen Schließungsprozesse gegenüber Frauen-(erwerbstätigkeit) ein homogenes Interesse von Männern an einer solchen Entwicklung ausdrücken, läßt sich zumindest in der Linearität, wie von Knapp angenommen, bezweifeln. Willms-Herget unterscheidet die mit diesen Schliessungen verbundene Monopolisierung von Erwerbschancen nach zwei Gesichtspunkten. Es kann sich einerseits um einen Professionalisierungsvorgang der Angehörigen eines Berufs selber handeln, aber auch um eine Berufskonstruktion, die von anderen gesellschaftlichen Kräften betrieben wird - von Unternehmen, Gewerkschaften, bereits etablierten Professionen (1985, S. 231, im Anschluß an Hesse 1972). Die Annahme, daß es sich um ein durchgängiges und gegen Frauen als solche gerichtetes gesellschaftliches Muster handelt, läßt sich damit allein noch nicht begründen. Selbst der Nachweis, daß Frauenarbeit Männerarbeitskraft ausschließlich in 'bad jobs' in der Landwirtschaft, in persönlichen Diensten, letztlich auch im Heimgewerbe ersetzte und daß sie in Industrie, Gewerbe und Verwaltung dieser folgten, wo sie Lücken ließ bzw. wo sich solche eröffneten, deckt ja nicht den gesamten Bereich weiblicher bzw. Frauen zugewiesener Arbeit ab. Die Arbeitsform, die faktisch und normativ als 'eigentliche' Frauen(arbeits)domäne galt und gilt, war die familienvermittelt-unentgeltliche Arbeit, gerade auch als Erwerbsarbeit. Im Vergleich zu ihr bildete, zumindest unter monetärökonomischen Aspekten, die marktvermittelt-lohnabhängige Frauenarbeit bereits ein privilegiertes Tätigkeitsspektrum. Für die Familienvermittelte Arbeit gilt für das 19. Jahrhundert durchgängig deren Zuordnung zum Bereich rückständiger Technologien, zu verorten ist sie vor allem in der Landwirtschaft, in vergleichsweise geringerem Umfang im Kleingewerbe, bei den Kaufleuten oder Gastwirten.
In der Landwirtschaft hatte die Abwanderung junger Frauen in die Städte, die eine Erwerbstätigkeit als Dienstmädchen derjenigen einer Magd vorzogen, ähnliche Folgen wie der Abwanderungsprozeß der jungen Frauen aus der Fabrik in die Dienstleistungsberufe zu einem späteren Zeitpunkt: die entstehende Lücke an Arbeitskraft mußten verheiratete Frauen und vor allem die Töchter füllen, weniger demgegenüber die Söhne (Willms 1980, S. 135 ff.). Ein wichtiger Unterschied ist zu beachten: die vergleichsweise schlecht bezahlten Mägde (sie erhielten wie Knechte 9/10 ihres Lohns in Form von Naturalunterhalt) wurden 'ersetzt' durch unentgeltliche Familienarbeitskraft. Noch zwischen 1907 und 1933 arbeitete ein hoher Anteil aller erwerbstätigen verheirateten Frauen als 'Mithelfende' und vorwiegend in der Landwirtschaft, sie konzentrierten sich stärker als männliche 'Mithelfende' auf die landwirtschaftlichen Kleinbetriebe. Noch zu einem Zeitpunkt, als diese Arbeitsform in ihrem Umfang absolut zurückging nach 1933 - stieg die familiale Erwerbsquote verheirateter Frauen. Sowohl familien- als auch gesamtwirtschaftlich gesehen (beruhte) die Existenz der landwirtschaftlichen Betriebe wesentlich auf dem Übermaß an Arbeit, daß den verheirateten Frauen aufgebürdet wurde", so Knapp (1984, S. 136). Die 'mithelfenden' Ehefrauen selbständiger Männer wie der Bauern waren darüber hinaus traditionell zu familialen Versorgungsleistungen verpflichtet, in gewiß abgestuftem Umfang galten sie allen Mitgliedern eines solchen Verbandes, sofern sie im Haus lebten. Im Unterschied zur bürgerlichen oder proletarischen Hausfrau waren sie eng mit familialer Erwerbsarbeit verknüpft, ließen sich von ihr häufig nicht einmal unterscheiden. Das gilt etwa für Gartenarbeit oder Kleinviehhaltung: ein Teil wurde verbraucht, der andere verkauft. Davon unterschied sich die Hausfrau, die in einer vom Erwerb bereits abgetrennten Familie wirtschaftete.
4.3.3 Hausarbeit und Sozialarbeit:
Die gesellschaftliche Lösung für neue Probleme generativer Reproduktion
Die seit Anfang des 20. Jahrhunderts wohl wichtigste familialvermitteltunentgeltliche Arbeitsform stellt die Hausarbeit dar. Dieser exklusiv weibliche Arbeitsbereich ist erstens unmittelbare Folgeerscheinung der Trennung von Erwerb und Familie, die Verallgemeinerung dieser Arbeitsform zweitens Resultat verstärkter Familiengründungen seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Während der Frühindustrialisierung gab es den vom Erwerb abgetrennten häuslichen Arbeitsbereich lediglich in der bürgerlichen Familie und u.U. im Handwerk, ebenso allerdings in Lohnarbeiterfamilien, die zu diesem Zeitpunkt noch eine Minderheit darstellten. Mit der Durchsetzung der ehelich-familialen Lebensform auch in der Lohnarbeiterschaft entstand zugleich die Hausfrau - zuerst in der 'Arbeiteraristokratie', die das bürgerliche Familienideal für sich übernahm und die es sich aufgrund ihrer Einkommenssituation leisten konnte, eine nichterwerbstätige Ehefrau zu unterhalten. Die Ehefrauen (und übrigens auch Töchter) der angelernten und ungelernten Arbeiter mit ihren wesentlich niedrigeren Einkommen nahmen die Doppelbelastung von Erwerbs- und Familienarbeit auf sich. Nur zu einem geringen Teil handelte es sich hierbei um Erwerbsarbeit in der Fabrik; verheiratete Fabrikarbeiterinnen waren auch in der Hochphm der Industrialisierung noch relativ selten. In der Verallgemeinerung der Hausarbeit als familienvermitteltunentgeltlicher Arbeitsform für die Frauen des Bürgertums und der Lohnarbeiterschaft, die dennoch Unterschiede aufwies, kommt ein Phänomen kapitalistischer Vergesellschaftung von Arbeit(skraft) zum Ausdruck, das als nicht weniger 'revolutionär' als die Entstehung einer lohnabhängigen Klasse bezeichnet werden kann [41]. Mit dem Erwerb der uneingesehränkten Ehe- und Familienfähigkeit trotz Besitzlosigkeit erhielt jeder Mann die Möglichkeit und Gelegenheit, sich qua Heirat der persönlichen Dienste einer Frau zu versichern. Dieser Wandel wird von Galbraith (1974, S. 49) als ökonomische Leistung ersten Ranges bezeichnet: Sie habe fast der gesamten männlichen Bevölkerung eine Ehefrau als Dienerin zur Verfügung gestellt. Galbraith begründet diese Entwicklung mit Demokratisierungsprozessen. Abgesehen davon, daß ein solcher Demokratisierungsvorgang sich offenbar sehr geschlechtsspezifisch vollzog, scheint die These etwas kurzschlüssig: Die "Verwandlung der Frauen in eine heimliche Dienerklasse" (ebd.) [42] kann nicht lediglich dem Umstand geschuldet sein, daß neben den selbständigen nunrnehr auch die lohnabhängigen Männer persönliche Dienstleistungen für sich reklamierten. Warum hätte die sich herauskristallisierende Industriegesellschaft diesem immerhin möglichen - Ansinnen nachkommen sollen? Eine sehr viel plausiblere Begründung kann darin gesehen werden, daß dieser 'Dienstklasse' erstens die gesellschaftlichen Versorgungsleistungen für Kinder individuell erhalten blieben und daß sie zweitens im Zuge der Aufhebung von Heiratsverboten und Ehebeschränkungen für die ehelich-familiale Lebensform verfügbar wurde. Der ökonomische Wandel zog Veränderungen der Rahmenbedingungen generativen Verhaltens nach sich, hier fand in der Tat eine 'Demokratisierung' statt. Frauen und Männern blieben Familiengründungen nicht mehr rechtlich versagt. Daß Frauen mit diesem Wandel zu einer 'Dienerin' besitzloser männlicher Erwerbstätiger avancierten, dürfte eine Nebenfolge nunmehr zulässiger Familiengründungen darstellen. Sie waren in erster Linie zuständig für Kinderaufzucht und -versorgung. In der ständischen Gesellschaft und noch weit bis in das Industriezeitalter hinein führten zwangsweise Ehe- und Familienlosigkeit zu einer starken Verbreitung von Konsens-Ehen, über deren Ausmaß liegen lediglich Schätzungen vor. Eine, 'zwangsweise' Ehe- und Familienlosigkeit lag ja auch dann vor, wenn Frauen- und Männerlöhne so niedrig bemessen waren, daß sie eine Familiengründung nicht gestatteten, oder wenn keine Erwerbsgelegenheiten oder Unterkünfte zur Verfügung standen. Nach dem Einsetzen der Industrialisierung soll in Städten der Anteil der Konsens-Ehen an allen Geschlechtsverbindungen bis zu 30% betragen haben. 1874, also bereits nach der Reichsgründung, wurde das letzte zu diesem Zeitpunkt noch bestehende Ehehindernis beseitigt: Heiratsverbot wegen Religionsverschiedenheit der Eheschließenden. Seit 1875 war darüber hinaus die Zivilehe obligatorisch. Deren Einführung stellte den letzten entscheidenden Schritt zur Säkularisierung des Rechtsinstituts Ehe dar (vgl. Hubbard 1983, S. 51; Mestwerdt 1961, S. 26). Diese Sachverhalte blieben nicht ohne Auswirkungen auf die generative Reproduktion, wie sie sich im Laufe des Jahrhunderts entwickelte, deren Verlauf wird im folgenden skizziert. Sie erlaubt Rückschlüsse auf die Ausweitung weiblich-familialer Versorgungsleistungen, die mehr und anderes sind als 'Hausarbeit'. Konsensehen zogen einen außerordentlich hohen, wenngleich regional unterschiedlichen, Anteil von außerehelichen im Vergleich mit ehelichen Geburten nach sich. Auf 1000 Geburten einschließlich Totgeburten entfielen im Jahre 1826/30 in Berlin 153, Preußen 67, Sachsen 119 und Bayern 196 außereheliche Geburten. 1856/60 sind diese Zahlen, mit Ausnahme von Berlin, noch einmal angestiegen: Von 1000 Geburten sind nuntnehr in Berlin 147, Preußen 80, Sachsen 155 und in Bayern 228 Kinder außerhalb einer Ehe geboren (vgl. Hubbard 1983, S. 120). Ein Teil dieser Kinder wurde bei einer späteren Heirat legitimiert. So wurden in Bayern 1836 140 von 1000 unehelichen Kindern 144 legitimiert; 90% aller Legitimierungen erfolgten bis zum 4. Lebensjahr der Kinder, ca. 50% im ersten Lebensjahr (ebd., S. 112). Die Säuglingssterblichkeit lag bei außerehelich geborenen Kindern erheblich über derjenigen der ehelich geborenen. Von 1000 lebend geborenen Kindern verstarben im ersten Lebensjahr 1816/29 in Berlin 235, in Preußen 169 Kinder, 1931/35 in Berlin 225, Preußen 185, Sachsen 257 und Bayern 302, diese Zahlen nicht aufgeschlüsselt nach ehelicher und außerehelicher Geburt. Solche Zahlen liegen ab 1876/80 vor: in Berlin starben von 1000 Lebendgeborenen 271 ehelich und 477 außerehelich Geborene, in Preußen im selben Zeitraum 194 bzw. 353, in Bayern 285 bzw. 383 Kinder (ebd., S. 120). Als Gründe werden genannt eine mangelhafte medizinisch-hygienische Versorgung der Säuglinge und Kleinkinder, Mangelernährung der Kinder und unzureichende oder fehlende Methoden der Familienplanung. Ab einer gewissen Kinderanzahl war die bewußte Vernachlässigung eines Kleinkindes als nachträgliches Korrektiv der Familiengröße in den Unterschichten keine Seltenheit. Erst für den Zeitraum zwischen 1890 und 1925 ist ein erheblicher Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit belegt, sie sank um die Hälfte. Aber auch hierbei handelte es sich um ein klassen- bzw. schichtenspeziftsches Phänomen. Bei der überwiegenden Mehrheit lediger Mütter handelte es sich, aufgeschlüsselt nach Berufstätigkeit, um Angehörige der Dienstleistungsberufe, d.h. vor allem in Großstädten um Dienstboten (ebd., S. 111). Ebenso blieb die Rate der Kindersterblichkeit bei dieser Gruppe verhältnismäßig hoch, nachdem sie in bürgerlichen Familien schon lange zurückgegangen war. 1912/13 starb noch jedes 8. Kind in Selbständigen-Haushalten, jedes 12. Kind in Beamtenfamilien, aber noch immer jedes 4. Kind eines Dienstboten dieser Beruf unterlag ja bis 1918 der Gesindeordnung und setzte von vornherein die Ehelosigkeit eines Dienstboten voraus. In Arbeiterfamilien war die Kindersterblichkeit zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch relativ hoch, nur jedes 6. Kind erreichte das erste Lebensjahr. Die genannten Zahlen beziehen sich auf Todesfälle im ersten Lebensjahr (ebd. S. 122). Der Rückgang der Kindersterblichkeit zum Ende des Jahrhunderts wird erstens auf die Verbesserung der medizinisch-hygienischen Versorgung der Kinder durch das Gesundheitswesen und die Mütter zurückgeführt, zweitens auf Fortschritte und Verbesserungen in der Ernährungslage der Bevölkerung, die wiederum mit einem Ansteigen der Löhne verknüpft sind, drittens auf die drastische Beschränkung der Kinderzahl. Auch diese Entwicklung setzte frühzeitig im Bürgertum ein und erfaßte erst zu einem relativ späten Zeitpunkt die Lohnarbeiterschaft [43]. Mit der zunehmenden Einbindung von Frauen in die Familie ohne Erwerbsfunktionen, mit der damit verknüpften Absicherung ihres Lebensunterhalts durch einen männlichen 'Ernährer', wurde die Ausdehnung einer weiteren Arbeitsform möglich, die in ihren ersten Ursprüngen eine außerhäusliche Aufgabe adliger und bürgerlicher Frauen darstellte, die verbandlich-vermittelte, unentgeltliche Arbeit im sozialen Ehrenamt. [44] Die Zulassung zur öffentlichen Armenpflege mußte von Frauen im 19. Jahrhundert erst erkämpft werden, gleiches gilt für private Wohltätigkeit. Von traditionellen Ehrenämtern in der Armenfürsorge blieben Frauen auch in der Folgezeit ausgeschlossen. Solche Ämter waren mit Macht- und Kontrollbefugnissen verbunden und wurden von Männern eingenommen, selbst wenn es sich um Tätigkeiten handelte, die zuvor Frauen - minus Macht und Kontrollmöglichkeiten - ausübten (vgl. Sachsse 1982). Selbst zu einem Zeitpunkt, als der Bedarf an 'Ehrenamtlichen' aufgrund des Massenelends im Zuge der Industrialisierung steil anstieg, war es für Frauen schwierig, zur Armenpflege zugelassen zu werden. Noch 1907 kamen in Berlin auf 4 000 männliche nur 40 weibliche ArmenpflegerInnen (vgl. Backes 1987, S. 26; Sachsse 1986, S. 146). Der bürgerlichen Frauenbewegung gelang es mit ihrem Konzept der Sozialarbeit als 'Mütterlichkeit', sich den Zugang zu diesem Bereich zu erschließen (vgl. Balluseck 1984, Riemann 1986); einerseits schufen sich 'bürgerliche' Frauen in diesem Bereich ein Berufsfeld (entgeltliche Sozialarbeit), andererseits eine Domäne außerfamilialer gesellschaftlicher Partizipation (unentgeltliche Sozialarbeit). Frauen, die unentgeltlich Sozialarbeit ausübten, sicherten ihren Lebensunterhalt über einen Ehemann bzw. die Familie ab, sie wurden damit jedoch zu Konkurrentinnen von Frauen, die auf Erwerbstätigkeit zum Lebensunterhalt angewiesen waren (Riemann 1986, S. 105). Über Arbeit im sozialen Ehrenamt bzw. professionalisierte Sozialarbeit wirkten bürgerliche Frauen in diesen Arbeitsformen wiederum in die neu entstandenen proletarischen Haushalte hinein und kontrollierten Arbeiterfrauen bzw. -mütter, ob jene die Versorgungs- und Reinlichkeitsnormen einhielten, die sich Ende des Jahrhunderts in der Kinderbetreuung in allen Bevölkerungsschichten endgültig durchsetzten. Besonders die mit Erwerbstätigkeiten aller Art belasteten Ehefrauen von an- oder ungelernten Arbeitern mit niedriger Entlohnung waren nicht selten mit der Drohung konfrontiert, man würde ihre Kinder in Heime einweisen, wenn sie den Versorgungsstandard nicht verbesserten (vgl. Ehmer 1982).
Das soziale Ehrenamt als Arbeitsform besaß offensichtlich die Funktion eines Puffers zwischen familial-unentgeltlicher und marktvermittelt-entgeltlicher Arbeit: Was in ersterer nicht erbracht werden konnte, weil die betroffenen Frauen überlastet oder überfordert waren, in letzterer demgegenüber nicht geleistet werden brauchte, weil diese Arbeiten nicht marktf'älüg waren, übernahmen staatliche und verbandliche Einrichtungen und über letztere wiederum in erheblichem Umfang unentgeltlich tätige Frauen. Galt dies im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorwiegend für die Armenpflege, zeichnen sich ähnliche Muster heute und unter veränderten demographischen und wirtschaftlichen Bedingungen ab: inner- und außerfamiliale weibliche (unentgeltliche) Versorgungsleistungen werden zur Lösung gesellschaftlicher, generativer Probleme eingefordert, die der Markt nicht zu übemehmen braucht, der sich gleichzeitig aber auch nicht in Konkurrenz um dieses Arbeitskräftereservoir befindet.
4.3.4 Strukturelle Dynamik:
Arbeitsteilung und Fortpflanzung
Innerhalb einer Unterscheidung zwischen verschiedenen Arbeitsformen - selbständiger [45] und abhängiger Arbeit und letztere noch einmal unterteilt nach marktverinittelt - entgeldicher, familienvermittelt - unentgeltlicher und verbandlichvermittelt - unentgeltlicher Arbeit - und den jeweiligen Verteilungen von Frauen und Männern auf diese Arbeitsformen wird ein bestimmtes Vergesellschaftungsmuster der Arbeitskraft von Individuen erkennbar. In ihm schlägt sich die Trennung von Familie und Erwerb im Zuge der Industrialisierung nieder. Die in beiden Bereichen erbrachten Arbeitsleistungen lassen sich in ihrer Geschlechtsspezifik auf einem Kontinuum anordnen. Den einen Pol des Kontinuums bildet die soziale Norm männlicher Erwerbstätigkeit, den anderen Pol die einer weiblichen Familientätigkeit, erstere entgeltlich, letztere unentgeltlich erbracht. Verklammert werden die beiden Enden des Kontinuums über die Etablierung der ehelich-familialen Lebensweise als allen Mitgliedern der Gesellschaft zugänglichem Lebensentwurf. Ein wichtiger Unterschied zwischen diesen beiden Polen besteht jedoch darin, daß die Zuweisung unentgeltlicher Arbeitsleistungen an Frauen deren ökonomische Abhängigkeit von (erwerbstätigen) Männern voraussetzt und zur Folge hat. Dieses normative Modell schlägt sich in der gesellschaftlichen Wirklichkeit jedoch nicht in 'reiner' Form etwa in dem Sinne nieder, daß alle Männer Erwerbsarbeit und alle Frauen Familienarbeit und, strikter noch, Hausarbeit ausüben. Die neu entstandene Industriegesellschaft sieht nicht vor, daß Männer außer zu Erwerbsarbeiten noch zu anderen Arbeitsleistungen verpflichtet sind; gleiches gilt nicht für Frauen. Sofern ledig und den Unterschichten zugehörig, müssen sie Erwerbsarbeit ausüben; als bürgerliche Frauen dürfen sie es selbst dann nicht. Erst die technologische Entwicklung, das Entstehen neuer Dienstleistungsberufe und politische Kämpfe um die Zulassung von Frauen zu den Berufen der Mittelschichten gestatten diesen Frauen die Aufnalune einer Erwerbstätigkeit. In beiden Fällen bleiben ihnen solche Erwerbsmöglichkeiten verschlossen, die Männer für sich reklamieren. Die Betrachtung ganz unterschiedlicher Erwerbsbereiche und -zweige in ihrer Entwicklung zeigt, daß hier Schließungsmechanismen gegenüber Frauen(arbeit) hochwirksain gewesen sein müssen - auf der Ebene der Rekrutierungspolitik der Betriebe, der Politiken von Gewerkschaften und Berufsverbänden, der Institutionen der beruflichen Bildung und der betroffenen Männer selbst in ihrer Eigenschaft als faktische oder potentielle Familienväter und Ehemänner.
Das gesamte weiterführende Schulwesen war auf die Bildung von Jungen ausgerichtet. Berufsverbände nahmen nur Männer auf. Im Handwerk wurden häufig keine Frauen beschäftigt, ebenso nahmen die Handlungsgelülfenverbände keine Frauen auf (vgl. Frevert 1986, S. 93.). Die Gewerkschaften verfolgten, besonders in Krisenzeiten, einen Kurs, den Thönessen als reaktionär bezeichnete. So veröffentlichte die deutsche Abteilung der Internationalen Arbeiterassoziation im Jahre 1866 eine Denkschrift, die auch auf Frauenarbeit einging: "Schafft Zustände, worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen, eine durch Arbeit gesicherte Familie gründen kann und es wird keines jener armseligen Geschöpfe mehr vorhanden sein, das in der Vereinzelung der Verzweiflung Beute wird, an sich selbst und an der Natur versündigt, durch Prostitution und Handel mit lebendigem Menschenfleisch die 'Zivilisation' brandmarkt. ... "Den Frauen und Müttern gehören die Haus - und Familienarbeiten, die Pflege, Überwachung und erste Erziehung der Kinder, wozu allerdings eine angemessene Erziehung der Frauen und Mütter vorausgesetzt werden muß. Die Frau und Mutter soll neben der ernsten öffentlichen und Familienpflicht des Mannes und Vaters die Gemüthlichkeit und Poesie des häuslichen Lebens vertreten, Anmuth und Schönheit in die gesellschaftlichen Umgangsformen bringen und den Lebensgenuß der Menschheit veredelnd erhöhen" (zitiert bei Thönnessen 1976, S. 18 f.).
Die männliche Lohnarbeiterschaft, noch kaum ehe - und familienfähig, verlor offensichtlich keine Zeit, den Patriarchalismus für sich selber zu reklamieren, dem sie, als Dienstabhängige und Familienlose, nur wenige Jahrzehnte zuvor selber unterworfen war. Das Modell der 'Hausfrauenehe' setzte sich zuerst bei den qualifizierten und gut bezahlten Arbeitern durch. Zu Beginn der Industrialisierung galt das lediglich für Berg - und Hüttenarbeiter (vgl. Fischer 1982, S. 70). Ende des Jahrhunderts waren selbst Arbeiter nur dann zur Heirat einer (Fabrik -)Arbeiterin bereit, wenn sie eine Erwerbstätigkeit als Dienstmädchen aufweisen konnte und in der Haus - und Landwirtschaft tätig gewesen war (vgl. Frevert 1986, S. 90). Frauen der eigenen Berufssparte kamen als Ehepartnerinnen offenbar nur dann in Betracht, wenn sie Fähigkeiten aufweisen konnten, die eine geregelte Versorgung des Mannes versprachen. Die Feminisierung bestimmter Arbeitsformen im unteren Bereich der Erwerbsarbeit und in unentgeltlichen Arbeitsfeldern kann als Indiz dafür gelten, daß die Industriegesellschaft mit ihrer neuen Produktionsweise bestehende Geschlechterungleichheit transformierte und zugleich adaptierte: Was nicht marktfähig ist, wird zur Frauenarbeit, benötigt der Markt jedoch weibliche Arbeitskraft, weil männliche nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, wird dieses Potential an Arbeitskraft je nach Erfordernissen dauerhaft oder vorübergehend erschlossen. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein bildet eine wichtige Klammer zwischen entgeltlicher Lohn - und unentgeltlicher Hausarbeit die familienvermittelte Erwerbsarbeit: diese Arbeit ist marktfähig und - notwendig, sofern der Familienverband zugleich Erwerbszwecken dient. Die Verfügung über familiale Arbeitskraft enthebt den Eigentümer der Notwendigkeit, lohnabhängige Arbeitskraft für diese Leistungen zu rekrutieren. Das Kontinuum von Arbeitsformen in ihrer Geschlechtsspezifik läßt sich bestimmten gesellschaftlichen Institutionen zuordnen, dem kapitalistischen Wirtschaftsunternehmen, den staatlichen und privaten Wohlfahrtseinrichtungen und der bürgerlichen und proletarischen Familie. In ersterem
ist Entgeltlichkeit der Arbeit faktisch der Fall und normativ die Regel, in letzterer nicht. Die Arbeit in staatlichen und privaten Wohlfahrtsverbänden hält auf diesem Kontinuum eine Zwitterstellung; sie ist entweder marktvermittelt-entgeltlich oder verbandsvermittelt-unentgeltlich. Frauen, die sich den Zugang zu entgeltlicher Sozialarbeit erschlossen, waren in der Regel als unverheiratete auf diese Form der Existenzsicherung angewiesen. Übertragen auf die analytische Ebene der Produktivkraftstruktur der Produktionsweise bedeutet dies: Menschliche Produktivkraft entfaltet sich geschlechtsspezifisch und wird geschlechterdifferent blockiert - allein schon über die Kanalisierung von Arbeitsvermögen in bestimmte Gesellschaftsbereiche. Die neue Produktionsweise kann nach dieser Betrachtung unterschiedlicher Arbeitsformen keineswegs als geschlechtsneutral bezeichnet werden. Im Erwerbsbereich konzentriert sich männliche Arbeitskraft und kann dies nur deshalb, weil eine andere soziale Gruppe mehr oder minder bereit ist, diejenigen Aufgaben zu übernehmen, die der Markt nicht verwerten kann, die jedoch gesellschaftliche Reproduktion erst gewährleisten. Die Dynamik einer geschlechtsspezifischen Kanalisierung von Arbeitskraft in unterschiedliche Sozialbereiche mit differenten sozialen Wertigkeiten läßt sich nicht lediglich damit erklären, daß männerbändische Interessen - der individuellen männlichen Arbeitskraft, ihrer kollektiven Interessenvertretungen in Parteien und Gewerkschaften, wirtschaftlicher und politischer (und wiederum männlicher) Eliten - ihren eigenen Geschlechtsgenossen vorteilhafte Erwerbschancen und prestigeträchtige Berufe vorbehalten wollten. Diese Sichtweise drängt sich schnell auf, wird lediglich die marktbezogene Vergesellschaftung von Arbeitskraft betrachtet. Das untersuchte Datenmaterial zeigt, daß, strukturtheoretisch gesehen, menschliche Produktivkraft in ihrer generativen Potenz einer neuen Form der Vergesellschaftung bedurfte. Das enorme Bevölkerungswachstum im 19. Jahrhundert gerade der besitzlosen Bevölkerung erzeugt zwar sozialen Druck, diesen Menschen Erwerbs- und damit Existenzmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, auf die der Kapitalismus offenbar die 'Antwort' war - unter welch elenden Bedingungen zunächst auch immer. Es mußten jedoch auch gesellschaftliche Lösungen gefunden werden, die generative Reproduktion der aufkommenden Industriegesellschaft in geregelte Bahnen zu lenken. Eine erste 'Antwort' war die Gewährung der Ehe- und Familienfähigkeit an Besitzlose, eine zweite die Rekrutierung weiblicher Arbeitskraft für Versorgungsleistungen. Die Vielfalt außerfamilialer und entgeltlicher weiblicher Arbeitsformen, jedoch niemals einer männlichen und qualifizierten Vollerwerbstätigkeit vergleichbar, besitzt ihren Grund offenbar nicht ausschließlich in einer rüden Geschlechterkonkurrenz um Erwerbschancen, die für Frauen übrig ließ, was Männer verschmähten. Die Vielfalt des Kontinuums weiblicher Tätigkeitsbereiche wird darauf zurückzuführen sein, daß Frauen, einmal verheiratet, mit einem vollerwerbstätigen Mann zusammen wirtschafteten, als Besitzlos-Lohnabhängige gemeinsam ihren Lebensunterhalt verdienten und bestritten. Entfiel diese Gemeinsamkeit durch Scheidung, Tod oder Erwerbslosigkeit des Mannes, waren Frauen zur Existenzsicherung auf die zusätzliche Annahme von Erwerbsarbeit angewiesen und zwar in den Arbeitsformen, die ihnen zur Verfügung standen.
Das Ergebnis der Sekundäranalyse zeigt auf, daß die Arbeitskraft von Frauen weder von vornherein dem Familienhaushalt zugeschlagen werden kann, so daß Frauen aus diesem Grund den Konkurrenzmechanismen des Arbeitsmarktes entzogen waren. Sie gibt vielmehr zu erkennen, daß die gesellschaftliche Notwendigkeit zur Sicherung generativer Versorgungsleistungen im Zusammenhang patriarchaler ScWießungsprozesse weibliche Arbeitskraft von Anbeginn der Industrialisierung auf 'bad jobs' in der Landwirtschaft, im Heimgewerbe, in Handel und Industrie verwies. Unbeantwortet bleibt mit dieser Feststellung die Frage, ob diese Ausprägungen einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bereits als Konstitutionsbedingungen des Geschlechterverhältnisses betrachtet werden können. Begreifen wir diese Arbeitsteilungen als historisch-empirischen Ausdruck eines numnehr kapitalistischen Geschlechterverhältnisses, bleibt immer die Frage nach dem strukturalen Zusammenhang offen. Sozio-ökonomisch kann er nur über die historisch-besondere Eigentumsform gestiftet sein.
4.4 Das Geschlechterverhältnis in seiner Bindung
an historisch -besondere Eigentumsformen
Die eingangs entwickelte Strukturkonzeption galt der Frage nach der Konstitution des Geschlechterverhältnisses unter industriell - kapitalistischen Bedingungen. Untersucht werden sollte die sozio-ökonomische Dimension dieses Verhältnisses, d.h. die Arbeitsteilung und Fortpflanzung der Geschlechter in ihrer Bindung an eine historisch-besondere Eigentumsform. Im Anschluß an die feministische und marxistische Forschung bildete den analytischen Ausgangspunkt die Transformation des Basis-Begriffs in eine Strukturkonzeption, die materielle gesellschaftliche Produktionen in der Bedeutung von Arbeits- und Fortpflanzungsleistungen aufnehmen sollte. Zu diesem Zweck erfuhr der marxistische Begriff der Produktionsweise eine Ausdifferenzierung in 'Wirtschafts- und Bevölkerungsweise'. innerhalb dieses Oberbegriffs wurde im Anschluß an Godeliers strukturale Methode, an seine Differenzierung zwischen einer Struktur der Produktivkräfte und einer der Produktionsverhältnisse, und im Rückgriff auf Althussers strukturale Subjektkonzeption der Versuch unternommen, historisch-empirisches Material sekundäranalytisch jeweils diesen beiden Strukturen zuzuordnen. Diese 'Zuordnung' geschah unter Verwendung der strukturalmarxistischen Geschichtsauffassung, wie insbesondere von Godelier, aber auch von Althusser entwickelt. Sie unterscheidet zwischen raumzeitlich besonderen historischen Entwicklungen eines universalen historischen Transformationsprozesses. Das raumzeitlich Besondere, dem die Untersuchung galt, war die Konstitution des Geschlechterverhältnisses im deutschen Reichsgebiet des 19. Jahrhunderts bzw. seines Vorläufers Preußen. Die Aufbereitung historischen Materials aus Geschichtsforschung, Rechtsgeschichte und Frauenarbeitsforschung erfolgte innerhalb der von Godelier übernommenen Annahme, die verborgenen Strukturierungsmerkmale von Gesellschaft, die einer Wirtschafts- und Bevölkerungsweise ihre Gestalt verleihen, fänden ihren empirischen Ausdruck in sichtbaren Funktionszusammenhängen. Letzteren wurden auch Individuen in ihrer objektiven Vergesellschaftung von Arbeitskraft und Fortpflanzung zugeordnet; Individuen in ihrer objektiven Bestimmtheit durch ihre Verteilung oder Plazierung auf gesellschaftliche Funktionen, als Träger einer Wirtschafts- und Bevölkerungsweise, aufgenommen. Diese funktionale, wenn nicht gar funktionalistische, Betrachtungsweise legitimierte sich über das theoretische Anliegen, zunächst herausarbeiten zu wollen, ob das Geschlechterverhältnis selbst in einer heuristischen Reduktion auf seine sozialen 'Funktionen' als konstitutives Element kapitalistischer Vergesellschaftung betrachtet werden kann. Das Ergebnis der strukturalen Analyse, die jeweils getrennt erfolgte (4.2. und 4.3.), wird im folgenden in ihrem Zusammenwirken untersucht. Eine systematische Interpretation der Interdependenzen zwischen Klassen- und Geschlechterverhältnis bildet den Gegenstand des fünften und abschließenden Teils der Untersuchung. In ihr wird das Zusammenwirken beider Verhältnisse als Doppelung einer sozialen Widerspruchskonstellation ausgewiesen, die Funktionsanalyse widerspruchslogisch aufbereitet. Innerhalb der methodischen Reflexion werden zugleich offene und weiterführende Forschungsfragen formuliert. Zu Beginn des Kapitels wurde zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Ausprägung von Geschlechterungleichheit unterschieden. Innerhalb der bereits getroffenen Feststellung, daß sich die tradierten Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern erhielten, gleichwohl aber eine neue Gestalt annahmen, wird dieser Nachweis im folgenden anhand der Unterscheidung zwischen einer Eigentumsordnung auf natural- und geldwirtschaftlicher Grundlage präzisiert. Sie muß mit einer weiteren Differenzierung vereinbar sein: der Auflösung der ständischen Wirtschafts- und Familieneinheit in voneinander getrennte gesellschaftliche Institutionen: Wirtschaftsunternehmen, Familie, soziale Sicherungssysteme. Soziale Ungleichheit manifestiert sich sozio-ökonomisch in Ständen oder Klassen. Das gilt ungeachtet aller Geschlechterdifferenzierung. Im ständischen Wirtschafts- und Familienverband einer vorwiegend agrarischen Gesellschaft artikulieren sich die Vielfalt und der Zusammenhang von Standes- und Geschlechterungleichheit deutlich erkennbar, auf ihn konzentriert sich die politische Sicherung der Eigentumsordnung. Sie gibt zugleich vor, wer für wen arbeitet, wer wieviel vom erarbeiteten Produkt erhält, ob ihr oder ihm eine Familiengründung gestattet wird. Eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in empirischem Sinne begründet sie nicht, sie ist bereits vorhanden und tradiert. Um eine solche im analytischen und das heißt: auf die Eigentumsordnung bezogenen Sinne handelt es sich nach den oben genannten Kriterien; Frauen sind grundsätzlich diejenigen, die für andere arbeiten, handle es sich um den Ehemann, den Vater oder den Dienstherrn. Gleiches gilt nicht für Männer, entweder sind sie Eigentümer und Familienvorstand und verfügen in dieser Doppelung über familiale und fremde weibliche und männliche Arbeitskraft oder sie sind dienstabhängig und familienlos. Diese spezifische Polarisierung wird nur dadurch gebrochen, daß der Status eines Eigentümers sich über die gesamte Skala von Eigentums- und Besitzverhältnissen erstreckt.
'Normalfall' ist die Verfügungsgewalt über und das Eigentum an Grund und Boden in den Händen von Männern. Dieser 'Normalfall' gilt aber auch dort, wo nicht Grund und Boden die existenzsichernde Ressource sind wie im Handwerk [46]. Die Verfügungsrechte eines solchen Eigentümers über Arbeitskraft sind grundsätzlich familial vermittelt, jedoch ausdifferenziert nach verwandter und entgeltlicher Arbeitskraft, die verwandt sein kann, dies in der Regel jedoch nicht ist. Verwandte Mitglieder der 'häuslichen Gesellschaft' sind zu lohnloser Mitarbeit im Verband zugunsten des Eigentümers oder Besitzers verpflichtet. Gehen Ehefrauen einem außerfamilialen Erwerb nach, fällt dessen Ertrag ebenfalls dem Ehemann zu. Dasselbe gilt für Töchter bis zu deren Volljährigkeit; jedoch steht es im Belieben des Familienvorstandes, ist letztlich von seinen ökonomischen Interessen und den Möglichkeiten des Familien- und Wirtschaftsverbandes abhängig, ob er Töchtern überhaupt die Gelegenheit zu außerhäuslichem Erwerb gibt. Dem Eigentumsschutz im weiteren Sinne dienen, über die entgeltliche Arbeit 'fremder' Arbeitskraft hinausgehend, umfassende Schadenersatzregelungen bei Fehlverhalten der Arbeitskraft, das Fehlen jeglichen Lohnschutzes und eine nur minimale Verpflichtung des Dienstherrn und Eigentümers, für Lebensrisiken der Dienstabhängigen aufzukommen. Darüber hinaus sorgen umfassende Kontrollbefugnisse über die in doppeltem Sinne familiale Arbeitskraft für die Sicherung der bestehenden Eigentums- und Besitzordnung. Extensiv nutzen kann sie ein solcher Eigentümer nur dann, wenn sein Besitz groß genug ist, familiale und familial-gewerbliche Arbeitskraft einzusetzen. Dem Kleinstelleninhaber nützen die ihm familienrechtlich zugestandenen Kontrollbefugnisse über die Arbeitskraft der Familienangehörigen wenig, wenn der Besitz so geringfügig ist, daß eine Familie davon nicht unterhalten werden kann. Dennoch sieht das normative Modell vor, daß eine Ehefrau grundsätzlich aufs Haus, auf die Familienwirtschaft beschränkt bleibt und daß der Ehemann ihre Rechtsbeziehungen Dritten gegenüber vollständig unter Kontrolle hat. Ohne seine Genehmigung kann sie keinem Erwerb nachgehen, analoges gilt für Töchter. Eine solche Genehmigungspflicht existierte auch für fremde Arbeitskraft bis zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit, ohne Genehmigung des Dienstherrn durfte sie kein anderweitiges Arbeitsverhältnis eingehen. Diese Kontrollbefugnisse über den Einsatz von Arbeitskraft sollten gewährleisten, daß Arbeitskraft vorrangig den Nutzungsinteressen eines Eigentümers vorbehalten blieben, - im Falle von Ehefrauen und Kindern unentgeltlich, im Falle von Erbuntenänigen zu vertraglich geregelten Sonderkonditionen. Als Instrument zur Sicherung einer bestimmten Eigentumsordnung lassen sich weiterhin die weitgehenden Kontrollbefugnisse des Dienstherrn über Arbeitskraft und Lebensumstände der Dienstabhängigen interpretieren, wie sie das Gesinderecht vorsah. Das gilt für den Rechtsanspruch des Dienstherrn auf 'Ehrerbietung' und 'Bescheidenheit', d.h. auf bestimmte Verhaltensweisen zur Absicherung der Hierarchie zwischen Dienstherrn und -abhängigen; für die Möglichkeiten des Dienstherrn, Polizei und Strafrecht als Disziplinierungsinstrument von Arbeitskraft einzusetzen, für den Anspruch auf Denunziation einer Arbeitskraft durch die andere bei Fehlverhalten, für die vielfältigen Möglichkeiten, sich des Gesindes fristlos entledigen zu können und umgekehrt dessen vergleichsweise beschränkte Möglichkeiten, den Dienst zu verlassen. Die polizeiliche Überwachung von familial-gewerblicher Arbeitskraft vermittels Zeugniszwang und des Zwangs zum Führen von Dienstbüchern garantierte darüber hinaus die lückenlose Überwachung von Arbeitskraft im gesamtgesellschaftlichen Gefüge. Wird der untersuchte Rechtskomplex in seiner Interdependenz nicht lediglich daraufhin betrachtet, inwieweit er als Konstante zur Sicherung der ständischen Eigentumsordnung diente, sondern daraufhin untersucht, ob sich in ihm die Dynamik einer Gesellschaft im Übergang artikulierte, zeigt sich folgendes: offensichtlich bestand kein gesellschaftlicher Bedarf, an der familialen Nutzung von Arbeitskraft der Ehefrauen und Kinder, hier vorrangig der Töchter, mit der Entstehung der neuen Produktionsweise etwas zu ändern. Eingriffe in die Familienrechtsordnung erfolgten im 19. Jahrhundert nicht, wohl aber in die Arbeitsrechtsverfassung jener Zeit: Besonders die restriktiven Bestimmungen von Gesinde- und Handwerksordnungen wurden als Disziplinierungsinstrument gewerblich-industrieller Arbeitskraft mit deren zunehmender wirtschaftlicher Bedeutung eingesetzt. Die Staatsverwaltung setzte Unternehmensinteressen jedoch zumindest bis Mitte des Jahrhunderts Widerstand entgegen.
Dieser Sachverhalt läßt sich als mehr oder minder gelungener Versuch interpretieren, die ständische Patriarchalverfassung in die neue Wirtschaftsweise hinüberzuretten bzw., die mit der Trennung von Familie und Erwerb verlorengegangenen sehr umfassenden Kontroll-und Machtbefugnisse gegenüber entgeltlicher Arbeitskraft, die sich aus der Familienwirtschaft löste, zu reaktivieren. Die Rechtsverhältnisse der gewerblich-industriell Beschäftigten waren zu Beginn des Jahrhunderts noch wenig und nur in Grundzügen geregelt, sie zeichneten sich durch vergleichsweise freizügige Regelungen im Vergleich mit Gesindeordnungen aus. Die damals noch geringe wirtschaftliche Bedeutung der Industrie erforderte keine umfassenden sozialen Kontrollen ihrer abhängig Beschäftigten, die auf die spezifischen Bedürfnisse industrieller Produktion zugeschnitten waren.
Die besondere Bedeutung, die den Gesindeordnungen in der Übergangsgesellschaft zukam, läßt sich exemplarisch am preußischen Beispiel aufzeigen: Ursprünglich galt sie nur für die wirtschaftlich nicht sonderlich bedeutsamen häuslichen Bediensteten. Mit der Aufhebung der Erbuntertänigkeit übernahm die Gesindeordnung die Funktionen dieser gerade abgeschafften Zwangsbewirtschaftung von Arbeitskraft und integrierte die nunmehr 'freie' Arbeitskraft aufs Neue in den rigiden Familienpatriarchalismus der Standesgesellschaft in einer bürgerlich-kapitalistischen Variante. Beispiele dafür, welcher Mittel man sich hierbei bediente, wurden bereits erwähnt: Grundherren zwangen Arbeitskraft durch den Entzug von bewirtschaftbarem Grund und Boden in den Gesinde- oder Tagelöhner-Status und unterwarfen sie damit den durch diese Rechtsordnungen gesetzten Kontrollen. Mit zunehmender Bedeutung von Industrie und Gewerbe setzte darüber hinaus der Kampf der Unternehmer um die Gesindeordnung ein: Mit durchsichtigen Begründungen versuchten sie immer wieder, ihre Arbeitskräfte dieser für sie äußerst vorteilhaften Arbeitsrechtsordnungen unterwerfen. In der Regel scheiterten diese Versuche an der staatlichen Administration. Erst um die Mitte des Jahrhunderts und im Zeichen vorrevolutionärer Unruhen machte der Staat den Unternehmern in dieser Hinsicht Zugeständnisse: 1845 unterwirft die Gewerbeordnung Gesellen, Gehilfen und Fabrikarbeiterschaft der Gehorsamspflicht und dem Koalitionsverbot, 1854 wird ländliche Arbeitskraft ohne Gesindestatus einbezogen, noch 1861 werden auch diejenigen Personen der Gesindeordnung unterworfen, die in Handelsgeschäften 'Dienste' verrichten. 1839 wurden bereits restriktive Bestimmungen der Handwerksordnungen in das Dienstvertragsrecht für gewerbliche Arbeitnehmer integriert. Ein anderer machtpolitischer Gebrauch von Rechtsregelungen, die für eine vorwiegend naturalwirtschaftliche Sozialordnung entworfen waren, stellt das Trucksystem dar. Erhielt Arbeitskraft in der agrarischen Familienwirtschaft ihren Lohn vorwiegend in Gestalt von Naturalunterhalt (Kost, Wohnung, Kleidung) und nur zu einem geringen Teil in Geldmitteln, sicherte diese Form des Arbeitsentgeltes zumindest den unmittelbaren Lebensunterhalt. Gleiches gilt nicht unter warenproduzierenden Bedingungen: Wurde Arbeitskraft zu einem erheblichen Teil mit Waren abgegolten, beispielsweise mit Textilien oder Alkoholika, war ihr Lebensunterhalt infragegestellt. Auch das Trucksystem läßt sich als Versuch interpretieren, ein Element der familienwirtschaftlichen Sozialverfassung in die neue Produktionsweise hinüberzuretten - zugunsten des Unternehmers als bequeme Absatzmöglichkeit für seine Waren. Bei den oben dargestellten Sachverhalten handelt es sich um teilweise gelungene Versuche, die neue mit den Mitteln der alten Produktionsweise zu stabilisieren. Umgekehrt läßt sich feststellen, daß sich innerhalb der alten, auf die agrarische Sozialverfassung zugeschnittenen Bedingungen neue Elemente etablierten, die bereits den Erfordernissen der Industrialisierung Rechnung trugen. In ambivalenter Weise gilt das für die Fabrikordnungen der Unternehmer. Mit zunehmender Bedeutung industriell-gewerblicher Arbeitskraft wurden in den Fabriken Reglements eingeführt, die auf privatrechtlicher Grundlage die Funktion übernehmen sollten, die anderweitig die Gesindeordnung besaß: eine umfassende Kontrolle und Disziplinierung von Arbeitskraft zu gewährleisten, die sich nicht lediglich auf Arbeitsplatz und -zeit beschränkten. Hier kann von einer Anpassung der Unternehmer an die Trennung von Familie und Erwerb in dem Sinne die Rede sein, daß sie nach einer neuen Grundlage für Verfügungsrechte über Arbeitskraft suchten. Der paternalistische Charakter dieser Fabrikordnungen ist unverkennbar und verweist auf seine Vorläufer. Arbeitskraft sollte zwar umfassend genutzt und kontrolliert werden können, gleichzeitig wurde jedoch auch anerkannt, daß sie eines Schutzes gegen die Lebensrisiken Alter, Krankheit und Invalidität bedurfte, der ihr in Industrie und Gewerbe bisher nicht gewährt wurde: Fabrikreglements sahen häufig die Zwangsmitgliedschaft in solchen Unterstützungskassen vor (vgl. Günther/ Prevot 1905). Für die Nutzungsbedingungen von Arbeitskraft läßt sich festhalten, daß der untersuchte Rechtskomplex in seiner Eigenschaft als Ausdruck der Invariante der Eigentumsverfassung der Agrar- und Standesgesellschaft flexibel genug war bzw. eine gewisse Flexibilität erlaubte, um den relativ reibungslosen Übergang von der einen zur anderen Produktionsweise rechtlich abzusichern und um die alten Ungleichheiten aufrechtzuerhalten. Der untersuchte Rechtskomplex legt offen, innerhalb welcher Ausgangsbedingungen sich die soziale Konstitution von Berufen vollzog, daß die Herauslösung der Arbeitskraft aus familien - und gesinderechtlichen Abhängigkeiten die Vorbedingung bildete, überhaupt Zugang zu den sich herausbildenden neuen Berufen zu erhalten. Nicht allein die handwerklich unqualifizierte männliche Arbeitskraft war hier im Nachteil, in viel stärkerem Maße gilt diese Feststellung für weibliche Arbeitskraft. Deren primäre Zuweisung zum Familienverband blieb nicht nur uneingeschränkt erhalten, sondern wurde quantitativ erweitert, indem im Verlauf des Jahrhunderts mit der Beseitigung von Ehebeschränkungen und Heiratskontrollen sich der Kreis von Frauen und Männern, dem nun zumindest rechtlich eine Eheschließung und Familiengründung möglich wurde, erweiterte. Seit 1868 war in Preußen kein Nachweis der Eheschließenden mehr über ihre wirtschaftliche Lage zu erbringen. Jedem Mann wurde damit, bezogen auf die Verwertung familialer Arbeitskraft, die Möglichkeit des Zugriffs auf weibliches Arbeitsvermögen eröffnet; ob er sie allerdings auch nutzen konnte, hing noch von anderen Faktoren ab. Wird, im Anschluß an Beck/Brater/Daheim, die These einer Kontinuität sozio - ökonomischer Ungleichheit anhand der Familienrechtsordnung überprüft, zeigt sich, daß arbeits - und familienrechtliche Kontrollen von Arbeitskraft in enger Verflechtung stehen - damit aber auch die Voraussetzung der beruflichen Minderstellung von Frauen in der sich formierenden Industriegesellschaft bilden. Die quantitative Ausdehnung des Umfangs, in dem weibliche Arbeitskraft über Eheschließung und Familiengründung vom einzelnen Mann als Familienvorstand genutzt werden kann, entzieht gerade denjenigen Frauen die Möglichkeit einer Verberuflichung ihrer Arbeitskraft, die als Besitzlose auf Erwerb(sarbeit) zur Existenzsicherung angewiesen sind. Ihnen fallen Hausarbeit und Erwerbsarbeiten mit Jedefrau - Qualifikationen zu.
Der mit der ständischen Wirtschafts - und Familienverfassung verknüpfte Patriarchalismus, der auf familial - verwandtschaftlicher und familial erwerbswirtschaftlicher Nutzung von Arbeitskraft auf der Grundlage einer agrarischen Produktionsweise beruhte, differenzierte sich aus. Unter dem Schutz derselben Rechtsordnung fand er ungebrochen Eingang in die vom Erwerb abgelöste Familie und deren Ökonomie, auf vielfältig gebrochene Weise aber auch in die von der Familie getrennte Erwerbswirtschaft. Die Funktionalisierung der Gesindeordnung zur Ausdehnung der Kontrollbefugnisse über Lohnarbeitskraft zeugt ebenso davon wie Einführung von Fabrikordnungen, die allesamt demselben Zweck dienten. Dieser Patriarchalismus legitimierte sich jedoch nicht mehr über das Eigentum an Grund und Boden, sondern über dasjenige an der neuen Ressource Kapital. Er sicherte nach wie vor die Eigentumsverfassung der Gesellschaft ab, das galt für die Standes- und für die Klassengesellschaft.
Mit diesen Überlegungen ist ein zweiter Zusammenhang noch nicht angesprochen: Wie sich die Mitglieder dieses Sozialgefüges reproduzierten, wie sie ihre Existenz sicherten und sich fortpflanzten.
Wenn angenommen wird - und im ALR geschieht das explizit daß der 'häuslichen Gesellschaft' die Reproduktion von Individuen, eingeschlossen die Absicherung gegen Lebensrisiken, als Aufgabe zufällt und wenn weiterhin einem erheblichen Teil der Bevölkerung aufgrund seiner Besitzlosigkeit die Gründung einer solchen familialen Versorgungseinheit versagt bleibt, stellt sich notwendig die Frage, wie die Standesgesellschaft sich die Existenzsicherung dieser letztgenannten Gruppe vorstellte, welche gesellschaftspolitischen Ziele sie mit diesen Vorstellungen verfolgte, wie sie sie legitimierte und welche Konsequenzen dies für die Betroffenen nach sich zog: Im Zuge der Trennung von Familie und Erwerb und unter den Bedingungen der neuen Produktionsweise blieb dem Familienverband diese Aufgabe erhalten. Eheschließung und Familiengründung unterlagen in der Standesgesellschaft ja strikten Zugangs - bzw. Ausschlußkriterien.
Das Verbot von Familiengründungen wird in der rechts- und familienhistorischen Literatur mit drei Argumenten begründet. Erstens habe der absolutistische Staat mit ihm das Ziel einer bevölkerungspolitischen Steuerung verbunden; vermehren sollte sich nur, wer über die Mittel zum Unterhalt einer Familie verfügt. Die geringen Bodenerträge einer Gesellschaft auf agrarischer Grundlage hätten eine solche bevölkerungspolitische Steuerung erfordert, um Bodenertrag und Bevölkerungswachstum in einer angemessenen Relation zueinander zu halten (vgl. Dörner 1974, S. 23). Zweitens hätten die besitzenden Stände in ihrer Eigenschaft als Dienstherren bzw. Arbeitgeber ein Interesse an der umfassenden Kontrolle der Arbeitskraft und ihrer Lebensumstände besessen (Mitterauer/Sieder 1984, S. 156f.). Und drittens hätten Eheverbote eine unmittelbar ökonomische Zielsetzung verfolgt - sie hielten die Löhne niedrig, weil lediglich zum Unterhalt von nur einer Person bestimmt (Ehmer 1982, S. 303). Die gedankliche Verknüpfung von Bodenertrag und Bevölkerungswachstum scheint konsequent: Wenn die Ernährungsgrundlage beschränkt ist, muß Vorsorge getroffen werden, daß sich die Bevölkerung nicht unbegrenzt vermehrt. Berücksichtigt man jedoch das Faktum der außerordentlich hohen Belastung der Bauernschaft, die diese Existenzgrundlage schuf, mit Abgaben und Steuern, die sie bis an den Rand des Existenzminimums ausblutete, verliert dieses Argument erheblich an Überzeugungskraft. Grundadel, Kirche und Staat schöpften ganz einfach den überwiegenden Teil des Mehrprodukts ab, so daß die Bodenerträge der vorindustriellen Gesellschaft mit Sicherheit einen sehr viel größeren Bevölkerungsanteil hätten ernähren können, wäre dies nicht der Fall gewesen. Bis zur Intensivierung der Bodenarbeitung, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte, wesentliche Fortschritte allerdings erst im 19. Jahrhundert erfuhr, hielten sich diese Erträge gewiß in Grenzen; ein bevölkerungspolitisches Problem zog mit Sicherheit erst deren ungleiche Verteilung nach sich. Dieser Gedanke legt den Schluß nahe, daß Versuche einer bevölkerungspolitischen Steuerung der Besitz- und Landlosen durch Heiratsverbote letztlich dem Zweck dienten, die gegebenen Eigentumsverhältnisse und Verteilungsrelationen aufrechtzuerhalten. Die ständische 'Hausgründungsregel' legitimierte schlicht Ungleichheit im Zugang zu ökonomischen Ressourcen: Wer keine 'Stelle' besitzt, soll sich nicht vermehren dürfen, und wer darüber verfügt, soll dies unter der Bedingung und in der Erwartung, daß ein auf dieser Grundlage zustandegekommener Familienverband ein in hohem Maße abschöpfbares Mehrprodukt erwirtschafte [47]. Den Land- und Besitzlosen kann infolgedessen gar keine andere Funktion zugedacht gewesen sein, als solchen Wirtschafts- und Familienverbänden benötigtes Arbeitspotential zur Verfügung zu stellen. Für die Triftigkeit dieser Vermutung spricht das zweite aufgeführte Argument. Bis zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit war die Heirat von Gutsuntertänigen abhängig von der Zustimmung des Gutsherrn, der sie verweigern konnte wegen "Liederlichkeit, Faulheit oder Widerspenstigkeit" (§ 165 ALR), ebenso beim Vorliegen körperlicher Gebrechen. Läßt sich aus den genannten Gründen zunächst ein Interesse des Dienstherrn herauslesen, die hochbegehrte Familiengründung nur fleißiger Arbeitskraft zuzugestehen, ist gleichzeitig die machtpolitische Komponente der Bestimmung unverkennbar: 'widerspenstiger' Arbeitskraft sollte weder ein eigener Lebensraum, noch die Vermehrung gestattet werden. Die Bestimmung fiel mit der Umwandlung des unfreien in freies Gesinde; nunmehr von vornherein vorausgesetzt, daß dieses ehe- und familienlos blieb, solange es in Diensten stand. Dasselbe galt im Handwerk für Gesellen und Lehrlinge; verheiratete Gesellen konnten kaum damit rechnen, eine Anstellung zu finden. Die Befugnis, über den einwandfreien Lebenswandel von EhekandidatInnen zu befinden, wurde dem Gutsherrn damit entzogen - allerdings verlagerte sich diese Kontrollmöglichkeit in die Kommunen, die offensichtlich extensiven Gebrauch davon machten und in deren Organen (Patrimonialgerichtsbarkeit) die Grundbesitzer weiterhin Einfluß ausübten. Welcher Mittel sich die Übergangsgesellschaft bei der Durchsetzung von Heiratsverboten bediente, wird im Detail von Kraus (1979) nachgewiesen in einer Untersuchung des Zusammenhangs zwischen vor- und außerehelichen Geburten und einer restriktiven Ehegesetzgebung im Zeitraum zwischen 1820 und 1875. Sie schlugen sich im Bürger-, Heimat- oder Niederlassungsrecht, aber auch in Armengesetzen und anderen das Armenwesen betreffenden Bestimmungen nieder.
Um das Bürger-, Heimat- oder Niederlassungsrecht zu erwerben, war nicht allein ein Vermögensnachweis erforderlich. Die Höhe des nachzuweisenden Vermögens wurde nach Opportunität nach oben oder nach unten verschoben. Zu erbringen war außerdem der Nachweis eines 'guten Leumunds'. Bereits die Beschuldigung eines Verbrechens oder Vergehens (Diebstahl, Betrug oder Unterschlagung) konnte diesen Leumund gefährden, im Zusammenhang des Gesinderechts ein nicht zu unterschätzendes Disziplinierungsinstrument von Arbeitskraft. Andere unbestimmte Sachverhalte wie 'unstetes Leben', 'Liederlichkeit'. 'Müßiggang', Bettelei oder die Duldung von Bettelei der Angehörigen gefährdeten ebenfalls den Leumund. Das gilt weiterhin für Konkurs, in der Vergangenheit oder Gegenwart empfangene Armenunterstützung auch durch Angehörige, bei Frauen der Nachweis einer außerehelichen Schwangerschaft oder Geburt, in Bayern mußte sogar ein Nachweis über den regelmäßigen Besuch des Sonntagsschul-Religionsunterrichts erbracht werden (vgl. Kraus 1979, S. 181 ff.). Kraus weist nach, daß die Einführung der vollen Gewerbefreiheit 1868 im Zusammenhang eines Rückgangs außerehelicher Geburten und steigender Heiratsziffern gesehen werden kann: Mit der Möglichkeit zur Eröffnung eines Gewerbebetriebes war der Erwerb entscheidender Rechtstitel zur Niederlassung und Eheschließung verbunden.
Das dritte Argument leuchtet unmittelbar ein: Wenn die Ehe - und Familienlosigkeit einer dienstabhängigen Person vorausgesetzt sind, können Löhne so niedrig bemessen werden, daß sie gerade den Unterhalt einer Person gewährleisten, zumal ein erheblicher Teil der Entlohnung in Naturalien geschah. Niedrige Löhne können infolgedessen als implizites Heiratsverbot verstanden werden: wovon sollten die Lohn - und Dienstabhängigen die Mittel erwerben, die zum Nachweis der wirtschaftlichen Tragfähigkeit einer Ehe erforderlich waren? Unmittelbar einleuchtend ist, daß Heiratsverbote den von ihnen Betroffenen dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum hinweg [48] eigene und vor allem in einer legalen Verbindung geborene Nachkommenschaft versagten; sie wurden "sozial sterilisiert" (Mackenroth) oder, noch anders formuliert, man versagte ihnen die "Erzeugung fremden Lebens" (Marx). Im ständischen Familien- und Wirtschaftsverband und noch vorwiegend an die Naturalwirtschaft gebunden sah das normative Modell im familienrechtlichen Verhältnis vor, daß der Familienvorstand für den Unterhalt von Ehefrau und Kindern zuständig war, bei Söhnen bis zu deren ökonomischer Selbständigkeit, letztere waren wiederum zu lohnloser Mitarbeit im Verband verpflichtet, die außerfamiliale Erwerbstätigkeit der Ehefrau und Töchter sah das Modell von vornherein nicht vor. Wurde ein Hof vom Vater an den Sohn oder Schwiegersohn übergeben, wurde das 'Ausgedinge' vertraglich detailliert ausgehandelt, d.h. die ökonomische Absicherung der Ausgedingegruppe aus dem Ertrag des Familien- und Wirtschaftsverbandes festgelegt. Verblieben nicht erbberechtigte Geschwister als Knechte oder Mägde im Verband, dann zählten sie zwar zum Gesinde und arbeiteten als solches für ihren Unterhalt, wurden sie jedoch arbeitsunfähig, war letztlich der Eigentümer in seiner Eigenschaft als Bruder oder Schwager dafür zuständig, deren Versorgung zu übernehmen eine eigene Familie besaßen sie ja nicht, die aufgrund ihrer Versorgungsbasis ihre Existenzsicherung hätte übernehmen können. Ganz anders jedoch im Falle von nicht-verwandtem Gesinde und dienstrechtsvertraglich Gebundenen: Der Verband, in dem sie lebten und arbeiteten schützte sie nur unzulänglich gegen das Krankheits- und Unfallrisiko:
wie die Bestimmungen des Gesinderechts eindeutig belegen. Spätestens bei Ablauf der Vertragslaufzeit war der Dienstherr zu keinerlei 'Fürsorge' mehr verpflichtet und konnte sie deren Verwandtschaft oder der Armenpflege überantworten. Diese Arbeitnehmer erwarben mit ihrer Erwerbstätigkeit keinen Schutz vor den Risiken Alter, Erwerbslosigkeit, Krankheit und Invalidität: der Dienstherr konnte sie zudem bequem unter einem Vorwand fristlos entlassen, das Gesinderecht räumte ihm hierzu jede Möglichkeit ein. Eine analog minimale 'Fürsorgepflicht' bestand bereits vor Aufhebung der Erbuntertänigkeit; alle diese Arbeitnehmer waren zur Absicherung ihrer Lebensrisiken letztlich auf die Herkunftsfamilie Oder die Verwandtschaft verwiesen, die, bei der hermetischen Abschottung dieser Gesellschaft nach Besitzstandskriterien, nicht weniger arm gewesen sein wird als sie selber. Wurde weibliches Gesinde schwanger, trug die Verpflichtung des Dienstherrn zur Anzeige der Schwangerschaft bei der Obrigkeit dazu bei, daß es strafrechtlich belangt wurde bzw. werden konnte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hieß das: Einweisung in ein Spinnhaus, d.h. Arbeitshaus, bei minimalem Lohn, der noch unter den ortsüblichen Frauenlöhnen lag, und Verurteilung zur Zahlung des 'Haubentalers' (vgl. Bake 1985). Ein Mann, der eine Frau außerhalb der Ehe schwängerte, war gesetzlich dazu verpflichtet, sie zu entschädigen und das Kind zu unterhalten (§ 1027). Eine Ausnahme bildeten Prostituierte und verheiratete Frauen; der Einwand des Mehrverkehrs zählte nicht (§ 1036). Kam die Schwangerschaft über ein Eheversprechen des Mannes zustande, wurde dieser richterlich mehrfach zur Heirat aufgefordert, lehnte er die Heirat dennoch ab, wurde die Frau rechtlich einer schuldlos geschiedenen Ehefrau gleichgestellt. Schwängerte ein Adliger eine nicht-adlige Frau, erhielt diese allerdings nicht dessen Stand und Namen. Dem Kind gegenüber war der Vater zum Unterhalt verpflichtet, nach dessen viertem Lebensjahr stand es im Belieben des Vaters, selbst dessen Erziehung zu übernehmen oder sie der Mutter zu überlassen. Die Mutter konnte dies nur dadurch verhindern, daß sie selbst die Kosten für Unterhalt und Erziehung des Kindes übernahm. Die Großeltern väterlicherseits hafteten übrigens subsidiär hinter dem Vater für die Zahlung des Unterhalts (vgl. Weber-Will 1983, S. 266).
Unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen Absicherung von Lebensrisiken zeigt sich, daß der ständische Wirtschafts - und Familienverband selbst in seiner Einheit dies auf höchst abgestufte Weise zu leisten hatte und vermutlich auch leistete. Gegenüber nicht - verwandten Personen bestanden lediglich minimale Rechtsverpflichtungen. Das Schicksal der lebenslangen Knechte und Mägde, so Mooser (1984, S. 74), endete "wohl öfter, als sich das historisch ausmachen läßt, in einem Höllenkreis von Siechtum und Einsamkeit".
Eine Veränderung zieht auch hier die Trennung von Erwerb und Familie nach sich. Ein erstes wichtiges Differenzierungsmerkmal kann darin gesehen werden, daß die Absicherung von Lebensrisiken unter den Bedingungen der neuen Wirtschafts - und Bevölkerungsweise nicht auf natural -, sondern geldwirtschaftlicher Grundlage erfolgt. In einem Bauernhof fand sich vermutlich noch immer ein Platz für nicht voll oder nicht mehr arbeitsfähige Verwandte, vielleicht sogar Dienstabhängige; sie wurden in diesem Fall aus den Naturalerträgen des Verbandes unterhalten. Dort, wo Familie und Erwerb bereits getrennt waren, bedeutete dies zugleich den Verlust einer eigenständigen Versorgungsgrundlage und damit eine Angewiesenheit auf die Verfügung über Geldmittel. Damit verlagert sich letztlich die ökonomische Relevanz der Einheit von Wirtschafts - und Familienverband hin zum gewerblichen und industriellen Unternehmen, mit dem Übergang von der Natural - zur Warenwirtschaft wird der Familienverband von letzteren finanziell abhängig. Pointiert formuliert: Erfolgte die Absicherung von Lebensrisiken im erstgenannten Fall über das Eigentum an und die Verfügung über Grund und Boden, übernimmt von nun an diese Funktion die Verfügung über Geldmittel und Lohneinkommen als vermittelte Partizipation am kapitalistischen Mehrprodukt.
Dem ständischen Familienmodell angemessen ist bereits eine Reproduktionsform Land - und Besitzloser, die aus ihrem Lohneinkommen, häufig auch aus Naturalien, die Mittel zu einer Grundausstattung ansparen, um eine Familie auf der Grundlage von Kleinstellenbesitz gründen zu können; Mägde und Knechte bedienten sich dieser Möglichkeit, um sich 'selbständig' zu machen. Einen ersten Sonderfall des Modells stellt allerdings bereits die proto - industrielle HeimarbeiterFamilie dar. Sie sicherte nicht mehr auf landwirtschaftlicher, sondern auf erwerbswirtschaftlicher Grundlage ihre Existenz, dies unter der Voraussetzung der Mitarbeit von allen Familienangehörigen, also durchaus in einem Wirtschafts - und Familienverband, aber bereits in voller Abhängigkeit von einem fremden Auftrag - bzw. Arbeitgeber, dem Verleger. Einen zweiten Sonderfall des ständischen Modells stellt die industriell - gewerbliche Lohnarbeiterfamilie dar, die sich allerdings erst nach der Jahrhundertwende und schon nicht mehr im Geltungsbereich des ALR zur lohnabhängigen Kleinfamilie verallgemeinerte; auch sie zur individuellen und generativen Reproduktion voll angewiesen auf Erwerbseinkommen aus abhängiger Arbeit in Industrie, Gewerbe und Verwaltung. Die proto-industrielle Heimarbeiter-Familie, selbst noch Einheit von Wirtschaften und Leben, und die Lohnarbeiter-Familie in ihrer Getrenntheit von Industrie und Gewerbe weisen eine Gemeinsamkeit auf. Beide sind noch eingepaßt in das ständische Familienrechtsmodell und von ihm wiederum schon getrennt durch das Fehlen einer eigenständigen Subsistenzgrundlage, beide abhängig von einem industriell-gewerblichen Arbeitgeber. Kündigt dieser den Arbeits- oder Werkvertrag, ist diesen Familien jegliche Existenzgrundlage entzogen, weil sie ausschließlich auf der Verfügung über Lohneinkommen beruht. In diesen Familien kommt bereits ein Prinzip zur Geltung, daß sich in der Folgezeit verallgemeinert: Die ökonomische Abhängigkeit von einem fremden Arbeitgeber hat zur Konsequenz, daß die in diesen Familien geborenen Kinder, wenngleich noch familienvermittelt, bereits Arbeitskraft für eine Vorform des kapitalistischen Arbeitgebers darstellen. Der Nutzen aus dem Einsatz ihres Arbeitsvermögens fällt jenem zu, die Familie erhält lediglich den zur eigenen Existenzsicherung erforderlichen Anteil an diesem 'Nutzen' - im Idealfall, d.h., wenn sie nicht gezwungen ist, unter Gestehungskosten zu produzieren. Die ständische Gesellschaft sah die Gründung solcher Familien überhaupt nicht vor, sie wurde nur möglich durch sozio-ökonomischen Wandel und die mit ihm einhergehende Entstehung neuer, gewerblich-industrieller Arbeitsmöglichkeiten. Nach ständischer Norm sollten Land- und Besitzlose familienlos bleiben, sofern es ihnen nicht gelang, sich als Kleinstelleninhaber oder Einlieger zu etablieren, die wiederum über eine eigene, wenn auch schmale, Existenzgrundlage unabhängig von Lohnarbeit verfügten, zu deren Ausübung ihre Mitglieder dennoch gezwungen waren. Das vollständig auf Erwerbseinkommen angewiesene Gesinde, die Tagelöhnerinnen, Gesellen, Lehrlinge und Handarbeiterinnen, selbst ledig, sollten sich im Notfall an ihre Herkunftsfamilien oder die Verwandtschaft wenden, bevor sich die Armenfürsorge ihrer anzunehmen bereit war (vgl. Wehler 1987, Bd. 2, S. 292 f.). Dieses Legitimationsmuster versagte vollständig im Falle von vornherein auf Lohneinkonmen zur Existenzsicherung angewiesener Familien. Bei ihnen trat offen zutage, daß ihnen jegliche Ressourcen fehlten, die Lebensrisiken Alter, Krankheit und Invalidität auch nur annähernd aufzufangen. Kündigte der Unternehmer den Arbeitsvertrag, wurden sie in der Regel schnell zu einem Fall für die Armenfürsorge - und zwar als Familienverband und nicht als ledige Einzelne.
Die Analyse der Interdependenzen zwischen Rechtsordnungen und Arbeitskraftverwertung verweist noch auf eine weitere, übergreifende Gemeinsamkeit. Sie zieht sich von der sozioökonomischen Stellung der ledigen Dienstabhängigen im ständischen Wirtschaft- und Familienverband durch bis zu den verheirateten Heimarbeiterinnen und Lohnarbeiterinnen in der Getrenntheit von Familie und Erwerb. Für sie alle gilt, daß die Ausübung lohnabhängiger Arbeit keinerlei Sicherungsansprüche begründete, die über die Laufzeit eines Arbeitsvertrages hinausgingen und die selbst dann noch äußerst eingeschränkt waren. Analoges gilt für die familienabhängige Arbeit auf unentgeltlicher Grundlage, wie von Ehefrauen und Kindern eines Familienhauptes erbracht. Selbst die Sicherungsansprüche, die sie an den Wirtschafts- und Familienverband besitzen, gründen nicht auf deren Arbeitsleistung, sondern auf dem Verwandtschaftsstatus. In beiden, im Familien- und im Lohnarbeitsverhältnis, werden Arbeitsleistungen zugunsten des Familienhauptes und Eigentümers erbracht. Familienmitglieder im engeren Sinne erhalten dafür keine geldwerte Gegenleistung, sondern Naturalunterhalt, Arbeitskräfte Natural- und Barlohn. Im erstgenannten Fall sichert der Verwandtschaftsstatus die Lebensrisiken ab, im letztgenannten Fall bleiben sie ungesichert. Dem ständischen Wirtschafts- und Familienmodell wohnt infolgedessen eine Widersprüchlichkeit inne: Alle seine Mitglieder, ob verwandt oder nicht, bringen mit ihrer Arbeit den wirtschaftlichen Ertrag des Verbandes hervor. Sie partizipieren an ihm jedoch nicht (Verwandte) oder nur vorübergehend (Arbeitskräfte) an dessen Ertrag qua Leistung. Für die Trennung von Familie und Erwerb besitzt dieser Verteilungsmodus erhebliche Brisanz: Noch immer gilt, daß der Verwandtschaftsstatus Existenzsicherungsansprüche an den Familienverband begründet, letzterer verfügt jedoch nicht mehr über die Grundlage, diese Ansprüche abzudecken. Gleichzeitig bleibt im nunmehr von der Familie abgetrennten Erwerbsbereich die Auffassung bestehen, die Ausübung von Arbeit begründe keine über ein bestehendes Arbeitsverhältnis hinausgehende Sicherungsansprüche, die noch dazu die Familienmitglieder einer solchen Arbeitskraft einschlössen. Die auf abhängige Arbeit gegründete Familie trägt diese Widersprüchlichkeit in der Folgezeit aus: verpflichtet zum 'standesgemäßen Unterhalt' aller ihrer Mitglieder und gleichzeitig auf eine Form der Existenzsicherung angewiesen, deren Grundlage ihr durch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder durch den Mangel an Arbeitsgelegenheiten jederzeit dauerhaft oder vorübergehend entzogen werden kann.
Aus diesen Ausführungen lassen sich bestimmte Schlußfolgerungen hinsichtlich der Existenzsicherung von Individuen ziehen. In allen ihren Ausprägungen individuelle und familiale Reproduktion, generative Reproduktion ist sie in Umfang und Qualität an die Plazierung der Individuen im jeweiligen Eigentumsgefüge gebunden. Läßt sie sich in der Agrargesellschaft primär über den Zugang zum Ertrag aus Grund und Boden sicherstellen, so in der Industriegesellschaft über den Zugang zu Kapitalerträgen und Geldmitteln. Generativität, Arbeitsteilung und Eigentum sind in beiden Fällen miteinander verknüpft, am sichtbarsten im Falle der Frauen: ihre vorrangig der Familie(nwirtschaft) reservierte Arbeitskraft soll die Versorgungsleistungen sicherstellen, die Generativität im weitesten Sinne erst ermöglichen. Dies gilt unter agrarischen ebenso wie unter industriellen Bedingungen, Voraussetzung ist in beiden Fällen die unentgeltliche familiale Arbeitspflicht von Frauen als Ausfluß patriarchaler Kontrollbefugnisse des Einsatzes ihrer Arbeitskraft. Die Ausdehnung des ständischen Familienrechtsmodells auf besitzlose Bevölkerungskreise im Zuge der obsolet gewordenen Ehebeschränkungen kann als ordnungspolitische Voraussetzung der Verallgemeinerung der ehelich-familialen Lebensweise gelesen werden, wie sie sich im Industriezeitalter durchsetzt und von nun an individuelle und kollektive Reproduktion in der neuen Produktionsweise sicherstellt. In Gestalt rechtlicher Normierungen werden die ursprünglich an die Verfügung über Grund und Boden gebundenen Kontrollbefugnisse über den Einsatz von Arbeitskraft auf die neue Eigentumsordnung übertragen bzw. für sie nutzbar zu machen gesucht und regulieren über diesen Mechanismus auch die Gesamtreproduktion der warenproduzierenden Gesellschaft.
Für die Existenzsicherung und Lebensgestaltung der Dienst- bzw. Lohnabhängigen zog die Durchsetzung einer Waren- und Geldwirtschaft bestimmte Konsequenzen nach sich. Sie waren den hausrechtlichen Kontrollen ihrer Lebensgestaltung entzogen [49] , konnten mit sukzessiver Aufhebung aller Ehebeschränkungen Familien gründen, auf welcher prekären
Existenzgrundlage auch immer. Dem Unternehmer, der an die Stelle des Dienstherrn trat, konnte es gleichgültig sein, wovon und wie sie lebten. Diese Entwicklung besaß ambivalente Züge: einerseits waren sie einer Kontrolle entzogen, die über das unmittelbare Beschäftigungsverhältnis hinausging. Daß Unternehmer damit ein wichtiges Disziplinierungsinstrument einbüßten, war ihnen bekannt. Versuche, über Fabrikordnungen solche Kontrollen unter veränderten Umständen zu revitalisieren, geben zu erkennen, daß sie sich dessen wohl bewußt waren. Andererseits waren sie jeglicher, wenn auch noch so rudimentären, 'Fürsorge' ledig. Die Aufrechterhaltung der Verteilungsrelationen zwischen Arbeit und Kapital konnte ihnen wiederum nicht gleichgültig sein. Sie wurde nicht mehr naturalwirtschaftlich geregelt, sondern geld- und warenwirtschaftlich über die Höhe der Löhne und dem Umfang von Arbeitsgelegenheiten. Die bevölkerungspolitische Kontrolle der Dienstabhängigen, die in einem Haushalt oder Wirtschaftsverband mit dem Dienstherrn lebten, verlor ihren Sinn, sofern sie den Unternehmer betraf. Die Trennung von Familie und Erwerb lagerte das Problem aus. Die neuen Wirtschaftsunternehmen, ausschließlich auf Erzeugung eines Mehrprodukts und eine darauf bezogene Kontrolle von Arbeitskraft beschränkt, machten die individuelle und familiale Reproduktion zur Sache einer Versorgungsökonomie, mit der sie als Arbeitgeber nichts zu schaffen hatten. Familien besaßen gleichwohl Beschäftigte und Beschäftiger, deren Existenzsicherung war in beiden Fällen abhängig von der Verfügung über Geldmittel und von der Verfügung über familiale Arbeitskraft zur Sicherung der mit der familialen Reproduktion verbundenen Aufgaben. Der sozio-ökonomische Status eines solchen Familienverbandes legte fest, ob diese Aufgaben in Repräsentationspflichten der Hausfrau oder in Kochen, Nähen, Waschen und der Versorgung von Kindern oder der Aufnahme von Schlafgängern bestanden. Die Familien, die sich als Wirtschaftsverbände erhielten, blieben in ihrer Verbindung von familialer Reproduktion und Erwerb wiederum darüber miteinander verklammert, daß sie gleichzeitig familiale Arbeitskraft für Erwerbszwecke nutzten und ein Mehrprodukt erzeugten. Die naturalwirtschaftliche Grundlage auch der Existenzsicherung der in ihnen Arbeitenden blieb auf diese Weise erhalten - selbst unter den Bedingungen einer Waren- und Geldwirtschaft.
Die Ehe- und Familienfähigkeit Besitzloser unter industriell-kapitalistischen Bedingungen stellt historisch eine Errungenschaft dar, das gilt für Frauen und für Männer. Ihnen wurde ein von Zugriffen Fremder abgeschirmter Lebensraum zugestanden. Nur für Frauen besaß diese Errungenschaft einen hoch widersprüchlichen Zug. Mit der Verallgemeinerung dieser Lebensweise gerieten sie durchgängig unter die Kontrolle eines (Ehe-)Mannes, dem von nun an ein Recht auf ihre Arbeitskraft und ihre Arbeitsleistungen zustand. Diese individuell-familiale Verfügbarkeit schmälerte gleichzeitig ihre Erwerbschancen. Verheiratete Frauen und insbesondere Mütter besetzten seit Beginn der Industrialisierung das unterste Segment des Beschäftigungssektors. Sie befanden sich in der Beschäftigungshierarchie noch unterhalb der unverheirateten und in der Regel jüngeren Frauen, auf deren Arbeitskraft noch kein Ehemann einen Anspruch geltend machen konnte - bis sie selbst eine Ehe eingingen. Innerhalb der Fragestellung, ob sich naturalwirtschaftliche Elemente unter warenwirtschaftlichen Bedingungen erhielten, zeigt sich, daß dies für die Beziehungen von Familienmitgliedern als ehelich oder verwandtschaftlich verbundenen auch für die Zukunft galt: Die rechtlich fixierten Unterhaltsverpflichtungen zwischen Ehegatten, zwischen Eltern- und Kindergeneration enthalten ein solches naturalwirtschaftliches Element. Die Funktionsfähigkeit einer Industriegesellschaft mit ihrer warenförmigen Vergesellschaftung von Arbeitskraft im Erwerbsbereich setzte geradezu voraus, daß diese Vergesellschaftung auf ein Maß beschränkt blieb, daß gleichzeitig die familial-individuelle Reproduktion gewährleistet war. Warum fiel Frauen die Aufgabe zu, diese außermarktlichen Reproduktionsleistungen zu erbringen? Sie sind es, die Kinder gebären und auf diese Weise sichtbar mit Fortpflanzung in Verbindung stehen und mit ihr zu bringen sind. Der Anteil des Mannes an diesem Vorgang ist deshalb nicht geringer, aber in doppeltem Sinne weniger 'sichtbar': Die Zeugung eines Kindes ist kein öffentliches Geschehen, am Körper eines Mannes zeichnen sich dessen Folgen nicht ab wie an dem einer Frau. Daß eine Frau ein Kind austrägt und in der ersten Phase seines Lebens biologisch sein Wohlergehen am ehesten gewährleistet, kann allerdings nicht als ausreichender Grund dafür gelten, sie von den neuen Vergesellschaftungsformen von Arbeit, wie sie mit der Industrialisierung entstanden, weitgehend auszuschließen. Unmittelbar einsichtig ist, daß eine Gesellschaft auf waren- und geldwirtschaftlicher Grundlage reproduktiver und generativer Versorgungsleistungen außerhalb dieser besonderen Form einer Ökonomie bedarf, um sich reproduzieren zu können. Diese Versorgungsleistungen hätten jedoch auch gemeinsam von Frauen und Männern erbracht werden können; die biologisch-natürliche Angewiesenheit eines Kindes auf die Mutter erstreckt sich nur über einen relativ kurzen Zeitraum nach seiner Geburt. Reproduktive Versorgungsleistungen umfassen zudem weit mehr als die Sorge für Kleinkinder. Hätten sich Frauen und Männer in diese Versorgungsleistungen für den gemeinsamen Nachwuchs und für die gemeinsamen Verwandten geteilt, hätten beide Geschlechter gleichberechtigt mit ihrem Arbeitsvermögen in die neue Wirtschaftsform integriert werden können. Doch die Arbeit von Frauen galt von alters her als minderbedeutend im Vergleich mit der von Männern; sie unterlagen, wenn lohnabhängig, bereits seit Jahrhunderten einer Lohndiskriminierung, ihre Person verkörperte schon immer das mindere - besondere andere Geschlecht (Knapp) - im Vergleich mit Männern. Frauen besaßen weder wirtschaftlichen noch politischen Einfluß, waren vielmehr Objekt solcher Einflußnahmen. Aus allen diesen Gründen boten sie sich geradezu als diejenige gesellschaftliche Gruppe an, die unter kapitalistischen Bedingungen für Aufgaben vorgesehen werden konnte, für die eine Warenwirtschaft keine Verwendung hatte, die deren Rationalitätskriterien zuwiderlief, mit denen aber gleichzeitig gesellschaftlicher Bestandserhalt gewährleistet werden konnte. Die politische Gewährung der Ehe - und Familienfähigkeit an Besitzlose wird zum einen als gesellschaftliche Triebkraft gewirkt haben, ein hierarchisches Geschlechterverhältnis, das sozio -ökonomisch die Überlegenheit des Mannes, die Abhängigkeit der Frau vorsah, in die Zukunft fortzuschreiben. Mit der Lösung aus feudal - ständischen Abhängigkeiten, die Männern und Frauen weitgehend versagten, über ihr Arbeitsvermögen zu verfügen und eigene Familien zu gründen, erhielten Männer die Möglichkeit, einen Lebensentwurf zu realisieren, unter dem sie selbst lang genug gelitten haben dürften: den einen patriarchalischen Familienhauptes. Dieser Vorgang erstreckte sich über den Zeitraum von mehr als einem halben Jahrhundert, besaß viele Zwischenformen, stellte keinen plötzlichen Wandel dar. Die protoindustrielle Heimarbeiter-Familie ist eine der ersten Formen der Umsetzung dieses Lebensentwurfs, der auf relativer ökonomischer Unabhängigkeit eines Mannes und eigener Familiengründung basiert. Ähnliches gilt für die Familiengründungen ehemaliger Handwerksgesellen, die um die Mitte des Jahrhunderts sprunghaft anstiegen; sie konnten sich zwar häufig als Selbständige nicht halten, wurden letztlich zu industriell-gewerblicher Lohnarbeitskraft. Der industrielle Lohnarbeiter, wie er sich im letzten Drittel des Jahrhunderts als bedeutsame gesellschaftliche Gruppe herauskristallisierte, steht am Ende einer Entwicklung, in der das patriarchalische Familienmodell von denjenigen übernommen wurde, die ihm zuvor, zumindest in der Generationenabfolge, als Dienstabhängige unterworfen waren. Das allein hätte ihnen noch keine sozialen Vorteile gegenüber Frauen verschafft, deren Arbeits- und Lebensbedingungen sie unter feudalständischen Bedingungen teilten. Sicherlich war es auch das Handeln und das Bewußtsein der Frauen selber, die dieses Familienmodell unter veränderten Bedingungen aufrechterhielten. Auch für sie wird die Familiengründung erstrebenswerter gewesen sein im Vergleich mit einem Dasein als Dienstmädchen und noch immer unter hausrechtlichen Kontrollen oder als ledige Fabrikarbeiterin mit einer Schlafstätte in einer anderen Familie. Viel wichtiger noch scheint in diesem Zusammenhang, daß die Übernahme des patriarchalischen Familienmodells durch besitzlose Frauen und Männer von einem analogen Patriarchalismus im Erwerbsleben begleitet war. Auch dort wußten die ehemals dienstabhängigen Männer ihre Chance wahrzunehmen, kulturell tradierte Patriarchalismen kamen ihnen selbst hier zustatten. Die Schließungsprozesse gegenüber weiblicher Arbeitskraft, wie differenziert auch immer in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, kamen eindeutig männlicher Arbeitskraft zugute und gingen von ihr aus. Sie war es, die für sich steigende Löhne reklamierte und erhielt, die wiederum dazu beitrugen, ihren Status als 'Familienernährer' zu festigen und damit zugleich die familiale Kontrolle über das Arbeitsvermögen einer Frau. Sie war es auch, die in vielversprechende Berufspositionen einrückte und Frauen die Arbeitsbereiche und Berufsfelder überließ, an der sie selbst kein Interesse mehr besaß; 'vielversprechend' immer in Relation zu Frauenarbeit. Es scheint deshalb gerechtfertigt, von einem komplexen Prozeß zu sprechen, in dem Frauenarbeit in diejenigen gesellschaftlichen Bereiche abgedrängt bzw. in ihnen gehalten wurde, die zwar gesellschaftlichen Bestandserhalt gewährleisteten, gleichzeitig aber in die Rationalitätskriterien einer Marktökonomie nicht 'hineinpaßten'. Ihre soziale Schubkraft erhielt diese Entwicklung über eine Korrespondenz zwischen wirtschaftlichen Erfordernissen und tradierter Geschlechterungleichheit in normativ-kultureller Bedeutung. Letztere nahmen im Erwerbssektor die Gestalt von Geschlechterkonkurrenz um begehrte Erwerbschancen an, in rudimentärer Gestalt bereits seit dem Mittelalter belegt.
Der Patriarchalismus der Standesgesellschaft implizierte zwischen besitzlosen Frauen und Männern ein gewisses Maß an Gleichheit in der Unterdrückung, diese 'Gleichheit' vor allem über die gemeinsame Ehe- und Familienlosigkeit und die damit verbundene Unterwerfung unter die Patriarchalgewalt des Hausherrn gestiftet. Gleich waren beide Geschlechter auch darin, daß sie formal von hausrechtlichen Kontrollen befreit wurden. Selbst für die Zukunft erhielt sich eine Form von Gleichheit unter 'neuen' - den kapitalistischen - Bedingungen: die Angewiesenheit auf die Verwertung des Arbeitsvermögens zur Existenzsicherung, mit dem Unterschied, daß beide Geschlechter (als Besitzlose) nunmehr nicht von einem Grund-, sondern von einem Fabrikherren, von einem Kapitaleigner abhängig wurden. Die 'neuen' Geschlechterungleichheiten etablierten sich vor allem innerhalb der Geschlechter in ihrer Besitzlosigkeit. Vor allem das Industrieproletariat als die treibende und führende soziale Kraft innerhalb der Lohnarbeiterschaft übernahm die 'historische Mission', Geschlechterungleichheit auf eine neue Grundlage zu stellen, während sie die neue Klassenherrschaft anprangerte und bekämpfte. Mit ihrem Beharren auf Geschlechterprivilegien spaltete die männliche Lohnarbeiterschaft eine Klasse, bevor sie sich noch konstitutiert hatte. Der Patriarchalismus, der mit der neuen Wirtschafts- und Bevölkerungsweise vereinbar war, besaß allerdings Züge, die ihn deutlich von jenem der ständischen Gesellschaft unterschied. Wenn die ständische Gesellschaft als 'patriarchalische' bezeichnet wird, handelt es sich um einen an Grund und Boden gebundenen Patriarchalismus. Für die bürgerliche Gesellschaft sprechen Mitterauer/Sieder von einem "'Sekundärpatriarchalismus' in Familien unselbständig Erwerbstätiger, der die aus familienwirtschaftlichen Ordnungen überkommenen Autoritätsverhältnisse ungebrochen fortsetzen will" (1984, S. 90). Der Rekurs auf einen solchen Sekundärpatriarchalismus besitzt eine sehr viel weiterreichende Bedeutung, die sich nicht auf innerfamiliale Autoritätsbeziehungen beschränkt. Die naheliegende Überlegung, seine Existenz ausschließlich an Privateigentum und die Verfügung über Kapitalressourcen zu binden, verfehlte die besondere Differenz zwischen Primär- und Sekundärpatriarchalismus: Unter bürgerlich-kapitalistischen Bedingungen verliert er weitgehend die Bindung an 'Eigentum'- in der obigen Bedeutung. In familienwirtschaftlichen Betrieben besteht sie zwar fort, sie sind jedoch nicht mehr Regelfall. Zum einen wird die Koppelung von Eigentum und Patriarchalismus in all jenen Wirtschaftsunternehmen durchbrochen, in denen in der Folgezeit eine Trennung zwischen Eigentum und Leitungsfunktionen stattfindet. Die ursprünglich an die Verfügung über Eigentum gebundenen Kontroll- und Verfügungsrechte werden Managementpositionen und deren Inhabern übertragen. Sie befinden sich auch heute noch, mit geringen Ausnahmen, in den Händen von Männern. "Sekundärpatriarchalismus" meint hier zunächst die Feststellung, daß sich Positionen mit Macht - und Herrschaftsbefugnissen statistisch nachweisbar ausschließlich in den Händen von Männern befinden [50], und daß sie wiederum mit weitreichenden Kontroll- und Weisungsbefugnissen gegenüber Untergebenen männlichen und weiblichen Geschlechts verbunden sind. Analoges galt für die Standesgesellschaft. Eine weitere Parallele zum ständischen Patriarchalismus: Die Verfügung über Eigentum an Grund und Boden sicherte gesellschaftliche Macht und Herrschaft, je nach Umfang dieses Eigentums von unterschiedlichem Ausmaß. Gleiches würde für den bürgerlichen Sekundärpatriarchalismus gelten - mit dem Unterschied, daß die Trennung von Eigentum und Verfügungsgewalt zugleich eine neue Form der Aneignung des Mehrprodukts zur Folge hat, die für die Eigentümer-Unternehmer des 19. Jahrhunderts nicht galt Die Inhaber von Leitungspositionen sind am Mehrprodukt beteiligt und qua Eigentumstitel fließt es an die Eigentümer, sofern es nicht für wirtschaftliche Zwecke in den Unternehmen verbleibt. Eine weitere Dimension dieses Sekundärpatriarchalismus kann darin gesehen werden, daß er sich unter geldwirtschaftlichen Bedingungen etabliert, daß die Einführung und Durchsetzung der Waren- und Geldwirtschaft geradezu seine Existenzgrundlage darstellt. Primär in Form von Geldmitteln - von anderen Gratifikationen abgesehen - partizipieren erwerbstätige Nicht-Eigentümer am Mehrprodukt, begründen damit aber auch die familiale Dimension dieses Sekundärpatriarchalismus. Sie kann sich in autoritären Verhaltensweisen äußern, wie von Mitterauer/Sieder angedeutet, sie sind jedoch, wie die Autoren selbst hervorheben, weitgehend verschwunden. Geblieben sind die hierdurch begründeten ökonomischen Abhängigkeiten gegenüber nichterwerbstätigen Familienangehörigen - vor allem gegenüber der Ehe- und Hausfrau. Das eigentlich Neue dieser Entwicklung bestünde nicht lediglich darin, daß sie einen Wandel der Verbindung von Eigentum und Kontrolle in der relativ schmalen Schicht vermögender Kreise und der von ihr mit Leitungsfunktionen Betrauten hervorbrachte. Die Trennung von Erwerb und Familie und die historisch spätere Trennung von Eigentum und Leitungsfunktionen waren zwar jeweils über das Medium 'Geld' vermittelt; aber erst die Durchsetzung einer Waren- und Geldwirtschaft in Verbindung mit einer Verallgemeinerung der ehelich-familialen Lebensweise machte es möglich, daß dieser Sekundärpatriarchalismus nicht auf Familien im oberen sozialen Stratum beschränkt blieb. Die Verfügung über Geld aus der Vermarktung von Arbeitskraft verallgemeinerte diesen Sekundärpatriarchalismus, etablierte ihn unter den Besitzlosen, gleichgültig, ob Arbeiter, Angestellte oder Beamte. Berufliche Schließungsprozesse ließen Frauen nur in beschränktem Maße als Erwerbsarbeitskraft zu und wenn, dann in untergeordneten und schlecht bezahlten Positionen, für die männliche Arbeitskraft kein oder wenig Interesse besaß oder die Unternehmen von vornherein für weibliche Arbeitskraft reservierten. Bei einer Familiengründung war damit gesichert, daß der Mann, wenn er Erwerbsarbeit fand und ausübte, über ein größeres Geldeinkommen verfügte als die Frau - gleichgültig, ob er es dem Haushalt in vollem Umfang zur Verfügung stellte oder nicht. Auch ihm, als Besitzlosem ohne eigenständige Versorgungsbasis für eine Familie, sicherte Lohnarbeit über Geldeinkommen eine privilegierte Position in Familie und Erwerb in Gestalt eines gedoppelten Sekundärpatriarchalismus: Indem er sich im Erwerbsleben Frauen gegenüber in einer höher bewerteten Stellung befand, mit vergleichsweise vorteilhafteren Erwerbs- und Lebenschancen, indem er gleichzeitig aber auch über seine im Vergleich mit Frauen privilegierte Berufsposition einen familiären Patriarchalismus gegenüber Ehefrau und Kindern reklamieren konnte. Frauen kamen gar nicht in die Lage, Zutritt zu Erwerbspositionen zu erhalten, die ihnen vergleichbare Einkommenschancen geboten hätten. Sie waren, als Verheiratete, in der Regel auf 'Zuverdienst' in unterschiedlichsten Formen angewiesen, um den Familienunterhalt zu sichern - und auf die unentgeltlichen Arbeiten zur familialen Reproduktion. Sehr deutlich läßt sich dieses Wirkungsgefüge an dem Faktum ablesen, daß verheiratete Frauen und Mütter innerhalb der Gruppe der weiblichen Erwerbstätigen die meisten Benachteiligungen erfahren - zu Beginn der Industrialisierung und heute. Die Industrialisierung mit ihrer Transformation der vorwiegend ländlichen, von einer Naturalwirtschaft abhängigen männlichen Arbeitskraft zu einer geld- und warenabhängigen Lohnarbeitskraft machte diesen Sekundärpatriarchalismus erst möglich. Daß er sich durchsetzen konnte, hing wiederum von einer zweiten Entwicklung ab: daß weibliche Arbeitskraft in die industriekapitalistische Variante einer Naturalwirtschaft eingebunden und nur in bestimmtem Umfang für die Erwerbswirtschaft verfügbar wurde. Die Trennung von Familie und Erwerb schuf den organisatorischen Rahmen, die spezifisch kapitalistische Geschlechtertrennung, gerade auch im Zugang zu begehrten Ressourcen, voll wirksam werden zu lassen. Voraussetzung für die Industrialisierung war wiederum der Primärpatriarchalismus der Standesgesellschaft - als gesellschaftliche Norm der Unterordnung der Frau unter den Mann, als Ausschlußkriterium der Verfügung über Eigentum, des Zugangs zu den Professionen und dem Wissen dieser Gesellschaft. Diese Transformation des alten zu einem neuen Patriarchalismus war insofern nicht lediglich ein qualitatives Phänomen in dem Sinne, daß die natural- durch eine geldwirtschaftliche Grundlage ersetzt wurde, gleichzeitig aber die Grundlage von Geschlechterungleichheit beibehielt. Sie war vor allem eine quantitative und über Geld vermittelte Erscheinung. Ein Primärpatriarchalismus im Sinne einer Verbindung von Eigentum und Verfügungsgewalt erhielt er sich allenfalls in der nunmehr vom Erwerb abgetrennten Familie Besitzender, d.h. gegenüber Verwandten und Familienmitgliedern.
Von einem 'Sekundärpatriarchalismus' zu sprechen reduziert sich infolgedessen nicht auf die Feststellung, der individuelle Mann verhielte sich 'autoritär' oder 'patriarchalisch'. Er ist ja auch dann wirksam, wenn der individuelle Mann sich von diesem Vergesellschaftungsmuster distanziert, wenn er eine Verbindung mit einer Frau auf 'gleicher' Grundlage anstrebt, seine Tochter nicht benachteiligt wissen will, sich gegen berufliche Benachteiligung von Kolleginnen wendet. Heute handelt es sich bei diesem Sekundärpatriarchalismus um ein Strukturmerkmal industrialisierter Gesellschaften: daß für den einzelnen Mann, unabhängig von seinem Wollen, eine gesellschaftliche Plazierung vorgesehen ist, die ihn in der beruflichen Hierarchie in der Regel in einem höheren Stratum als Frauen ansiedelt, die ihm dadurch aber auch in der familialen Hierarchie eine Vorzugsstellung der Ehefrau gegenüber einräumt. Sie trägt, unabhängig von einer Mutterschaft, wiederum dafür Sorge, daß er seinen beruflichen Verpflichtungen ohne zusätzliche Arbeitsbelastungen nachkommen kann. Elisabeth Beck-Gernsheim (1980) hat diesen Sachverhalt sehr treffend als "1 1/2Personen-Karriere" bezeichnet. Die vollständige Trennung von Familie und Erwerb, als Institutionen über Geld miteinander vermittelt, hatte Folgen für die gesellschaftliche Organisation der generativen Reproduktion. Kinder werden aus Geldeinkommen unterhalten und aufgezogen, ohne daß lohnabhängige Eltern damit rechnen können, diese Kinder stünden ihnen im Alter zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts zur Verfügung. Die Abkopplung von familialer Versorgung und Eigentum führte zu einer Form der Existenzsicherung, in der wiederum die Verfügung über Geld eine zentrale Rolle spielt. Die sozialen Sicherungssysteme übernehmen, qua Beitragszahlungen und Steueraufkommen, eine Mittlerrolle zwischen den Generationen Lohnabhängiger, vergesellschaften die einstmals nahezu ausschließlich an die Familie gebundene Absicherung von Lebensrisiken mit dem wichtigen Unterschied, daß das gesellschaftliche Mehrprodukt nicht mehr in Familien, sondern in Wirtschaftsunternehmen erarbeitet wird. Dort verbleibt es in Form privatisierter Gewinne bzw. fließt an die Eigner. In Familien zu deren Existenzsicherung geht nur derjenige Anteil, mit dem Erwerbsarbeit entgolten wird. Diese Vergesellschaftung drückt sich darin aus, daß unabhängig von der eigenen Gebär- oder Erziehungsleistung alle lohnabhängig Erwerbstätigen (und deren Ehepartner bzw. Kinder) mit Beitragszahlungen aus Lohneinkommen solche Sicherungsansprüche erwerben. Das von einer Familie aus eigenem Einkommen aufgezogene Kind spielt in diesem Zusammenhang ausschließlich eine Rolle als künftiger Beitragszahler, das mit seinem späteren Lohneinkommen innerhalb eines als 'Generationenvertrag' bezeichneten Arrangements den Unterhalt der Elterngeneration sichern soll. Die Familie finanziert mit der Aufzucht eines Kindes aus ihrem Einkommen aber auch Arbeitskraft für den Erwerbssektor. In diesem Sinne läßt sich sagen, daß die Trennung von Familie und Erwerb mit dem neuen Mittler 'Geld' dazu führte, daß die Unternehmen ihren Bedarf an Arbeitskraft kostenneutral decken konnten: die Familien der Lohnabhängigen tragen mit ihren Lohneinkommen für die generative Reproduktion Sorge, beim Eintritt ins Berufsleben steht die künftige Arbeitskraft dem Betrieb zur Verfügung und kann von ihm entlassen werden, wenn seine Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird. Dieser Sachverhalt hat zur Folge, daß die Lohnabhängigen mit ihren Erwerbseinkommen (Sozialtransfers) und unabhängig von individuellen Bindungen über Familiengründungen gesellschaftlich - generativen Bestandserhalt sichern, gleichzeitig aber auch Beschäftigern benötigte Arbeitskraft zur Verfügung stellen, deren Reproduktionskosten von Familien aus Erwerbseinkommen getragen werden. Der Geldmechanismus sorgt dafür, daß dieses System 'funktioniert' - so lange ausreichend Erwerbsarbeit zur Verfügung steht, keine gravierenden demographischen Verschiebungen eintreten - und solange Frauen ihre besondere Rolle in diesem über den Geldmechanismus vermittelten Reproduktionskreislauf hinnehmen. Als Prinzip kapitalistischer Vergesellschaftung kann gelten, daß gesamtgesellschaftlich erforderliche, unentgeltliche Arbeitsleistungen bisher primär über die Familie sichergestellt wurden. Mit der Heirat geht, der gesellschaftlichen Norm zufolge, eine Frau die Verpflichtung zu solchen Leistungen ein; um ihren Lebensunterhalt sicherzustellen, alimentiert ein Ehemann sie hierfür aus seinem Erwerbseinkommen. In diesem Sinne ist auch ein BGH-Urteil zu verstehen, das feststellt, die häusliche Tätigkeit einer Ehefrau bedeutet eine im Eherecht geregelte Nutzung ihrer Arbeitskraft [51]. Freiwillig sind demgegenüber unentgeltliche Arbeitsleistungen im sozialen Ehrenamt, in kirchlichen Verbänden usw.; aufgrund ihrer Unentgeltlichkeit können sie gar keinen verpflichtenden Charakter besitzen. Dieses Arrangement wirft so lange nicht das Problem eines ausreichend großen Volumens an unentgeltlicher Arbeit auf, als gesellschaftlich benötigte Leistungen und verfügbare Arbeitskraft sich in einem relativ ausgewogenen Verhältnis zueinander befinden. Zeigen sich Ungleichgewichte, ist zu erwarten, daß dieses Prinzip durchbrochen wird, daß zumindest Versuche unternommen werden, es aufzulösen, Gesellschaftlich wird es kein Problem aufwerfen, wenn weniger unentgeltliche Arbeitsleistungen benötigt werden; Haus- und Ehefrauen verfügen dann einfach über mehr Zeit. Da deren Arbeitskrafteinsatz normativ nur der eigenen Familie, insbesondere Ehemann und Kindern, zu gelten hat, können sie etwa durch Familienplanung - den Umfang dieses Arbeitsaufwandes steuern. Tritt demgegenüber ein Ungleichgewicht nach der anderen Richtung ein, d.h., daß unentgeltliche Arbeitsleistungen in höherem Umfang benötigt werden, ohne daß (unterhalts-)rechtliche Möglichkeiten bestehen, dies familieninternen Regelungen zu überlassen, sind politisch gesteuerte Versuche zu erwarten, das geltende Prinzip zu durchbrechen: marktvermittelte Arbeit erfolgt entgeltlich, familienvermittelte Arbeit unentgeltlich. Als ein solcher Versuch kann der Vorschlag betrachtet werden, "zunächst freiwillig" Sozialdienstleistungen gesamtgesellschaftlich für die ältere Generation einzufordern: sie habe nicht nur Anspruch auf einen Anteil am Einkommenszuwachs der Lohnabhängigen durch Transferzahlungen, sondern auch an Verminderungen der Erwerbsarbeitszeit in Gestalt von mehr Freizeit [52]. Unter analytischen Gesichtspunkten enthält dieser Vorschlag die Annahme, Arbeitskraft und Arbeitszeit der einzelnen Individuen bildeten eine gesamtgesellschaftliche Ressource, über die nach Bedarf verfügt werden könne; daß erwerbsarbeitsfreie Zeit keineswegs gleichzusetzen sei mit arbeitsfreier Zeit. Diese Annahme liegt der warenförmigen Vergesellschaftung von Arbeitskraft zugrunde. Der Autor der Überlegung verweist in diesem Zusammenhang auf den 'Generationenvertrag', mit dem die Erwerbstätigen mit Beiträgen aus ihren Lohneinkommen den Lebensunterhalt der Nichtmehr-Erwerbstätigen und deren EhepartnerInnen alimentieren. Diese über den Geldmechanismus 'organisierte' Umverteilung von Erwerbseinkommen wird analog ausgedehnt auf einen Anspruch letzterer auf Umverteilung von 'Zeit' in Form von Naturalleistungen: Im Namen der nicht mehr Erwerbstätigen und von deren Angehörigen wird gesellschaftliche Arbeit(szeit) eingeklagt, die sich einer marktlichen Nutzung entzieht. Eine Parallele oder das Vorbild hierzu kann in der unentgeltlichen Nutzung von Familienarbeitskraft gesehen werden: Gesellschaftliche Versorgungsleistungen - übrigens ebenfalls unter Berufung auf den 'Generationenvertrag' werden von Frauen ja namens der Kinder und über diesen Vermittlungszusammenhang der älteren Generation reklamiert. Die gesellschaftliche Norm einer Geschlechtsspezifik von Arbeitsteilungen in Erwerb und Familie, die den entgeltlichen und privilegierten Teil primär für Männer, den unentgeltlichen und im ökonomischen Sinne unterprivilegierten Teil nahezu ausschließlich für Frauen vorsieht, erhält mit diesem Vorschlag eine geschlechtsneutrale Wendung. Sie richtet sich, unter Berufung auf eine fiktive Verteilungsgerechtigkeit, an die Erwerbstätigen insgesamt und durchbricht damit die marktwirtschaftliche Norm von Leistung (Arbeit) und Gegenleistung (Entgelt) - die im Fall familienvermittelter Arbeit, auch als Erwerbsarbeit, ohnehin nie gegolten hat. Dieser Vorschlag - lediglich ein Modell unter vielen Umverteilungsmodellen einer 'alternativen Ökonomie' - verweist möglicherweise auf die Grenzen gesellschaftlicher Bestandssicherung über das Medium 'Geld' und die normativ mit ihm abgesicherte Nutzung unentgeltlicher Familienarbeitskraft. Die Marktökonomie stellt nur so viel an geldwerten Subsistenzmitteln zur Verfügung, wie sie über die Nutzung der individuellen Erwerbsarbeitskraft zur Verfügung stellen muß. Lassen technologische Entwicklungsschübe ein Reduzierung von Arbeitskrafteinsatz mit existenzsicherndem Einkommen zu, liegt es in der Rationalität kapitalistischer Vergesellschaftung, diesen Weg einzuschlagen und zu verfolgen. Damit vermindert sich folgerichtig das Volumen an existenzsichernden Geldeinkommen lohnabhängig Erwerbstätiger und von deren Familien, gleichzeitig aber auch der zur Umverteilung vorgesehene Einkommensanteil in Form von Beitragszahlungen an die Systeme der sozialen Sicherung und in Gestalt von Steueraufkommen zur Finanzierung der Öffentlichen Haushalte. Der Versuch eines politischen Zugriffs auf zusätzliche unentgeltliche Arbeitskraft scheint dann nur konsequent. Das wirklich 'Neue' wäre darin zu sehen, daß die 'alte' Geschlechtsspezifik tendenziell durchbrochen wird.
Die Wiederbelebung naturalwirtschaftlicher Elemente in einer Gesellschaftsform auf privatkapitalistischer Grundlage übersähe jedoch das unauflösliche Spannungsverhältnis zwischen beiden: Tradierte soziale Arrangements, die dafür Sorge trugen, daß mit entgeltlicher zugleich unentgeltliche Arbeit zur gesellschaftlichen Reproduktion zur Verfügung stand, sind brüchig geworden. Eheschließung und Familiengründung sichern in steigendem Ausmaß nicht mehr den lebenslangen Unterhalt einer Familienarbeitskraft; die Norm selber hat in Wirklichkeit so nie gegolten, besaß immer nur Geltung für Teile der Gesellschaft. Dieses ökonomisch über den Geldmechanismus, normativ über das Unterhaltsrecht abgesicherte soziale Arrangement entspricht infolgedessen immer weniger der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Folge: Der sozialen Norm zufolge für unentgeltliche Leistungen vorgesehene Arbeitskraft ist selbst auf deren Vermarktung angewiesen oder sucht sie aus anderen Gründen. Sie erhöht damit den Druck im Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher und ökonomischer Rationalität: Daß sich industrialisierte Gesellschaften eine waren- und marktvermittelte Ökonomie offensichtlich nur bis zu einem Punkt 'leisten' können, an dem deren Rationalität nicht in eklatanten Widerspruch zur Reproduktion des Gesellschaftsganzen und seiner Mitglieder gerät. Die beiden genannten Tendenzen - daß unentgeltliche Familienarbeitskraft für Reproduktionsleistungen in abnehmendem Maße zu Verfügung steht und daß entgeltliche, existenzsichernde Erwerbsarbeit ebenfalls abnimmt - könnte im Zusammenhang demographischer Verschiebungen und eines Wandels von Lebensentwürfen erheblichen Druck auf gesellschaftliche Verteilungsrelationen erzeugen. Im vergangenen Jahrhundert wurde ein analoger 'Druck', allerdings erzeugt durch demographisches Wachstum im Zusammenhang fehlender Erwerbsmöglichkeiten, durch die neuen Erwerbschancen einer kapitalistischen Entwicklung aufgefangen. Er führte nicht zu dem, was Godelier als 'Grundwiderspruch' kapitalistischer Vergesellschaftung bezeichnet. Darüber, ob er sich unter gegenwärtigen Bedingungen herausbilden könnte, sind lediglich Spekulationen möglich. Ein historischer Vergleich hinsichtlich der Geschlechtsspezifik, die beiden Entwicklungen immanent ist, ist gleichwohl möglich.