Vorwort

»Geschlecht« als Strukturmerkmal von Sozialgebilden - warum stimmen Sozialwissenschaftler dem Gedanken sofort zu, wenn 'primitive' Stammesgesellschaften gemeint sind, und verhalten sich abwehrend, sobald die Rede auf moderne Industriegesellschaften kommt? Ging die sozial prägende Kraft von Geschlechtlichkeit und Geschlechtszugehörigkeit im Zivilisationsprozeß verloren? Würden wir diese Annahme erhärten wollen, wie läßt sich dann erklären, daß alle uns bekannten Kulturgebilde auf Geschlechterungleichheit beruhen?
Frauenforschung und -bewegung sind der Auffassung, daß »Geschlecht« ein grundlegendes Strukturierungsprinzp modederner Gesellschaften darstellt; daß Geschlechterungleichheit als durchgängig beobachtbare sich nicht über Jahrtausende hinweg hätte aufrechterhalten lassen, wäre sie nicht 'strukturiert', hätte sie nicht die Gestalt von sozialen Verhältnissen angenommen, die die Geschlechter unabhängig von ihrem individuellem Wollen in soziale Gestaltungsprinzipien einbinden. Wissenschaftlich bgründet ist diese Annahme noch nicht. Beim gegenwärtigen Forschungsstand handelt es sich um mehr als eine Vermutung, weil der strukturierte Charakter des Geschlechterverhältnisses in Teilbereichen von Gesellschaft als nachgewiesen angesehen werden kann, jedoch um weniger als eine wissenschaftliche Erkenntnis von Gesamtzusammenhang.
Die vorliegende Untersuchung geht diesem Zusammenhang nach. Deren Ausgangspunkt bildeten die Vorarbeiten zu einem empirischen Forschungsprojekt über »Frauenarbeit und Existenzsicherung«. Dessen theoretischer Rahmen war abgesteckt durch eine Aufbereitung der internationalen feministischen 'Hausarbeitsdebatte', bewegte sich insofern von Anfang an im Spannungsverhältnis politisch-ökonomischer Theoriebildung und ihrer Umsetzbarkeit in empirische Sozialforschung. Angeregt wurde die Arbeit von Gerhard Brandt.
In ihrer jetzigen Gestalt basiert die Untersuchung auf einer Habilitationsschrift, die 1989 von der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld angenommen wurde.
Für Anregungen zur Überarbeitung der Habilitationsschrift und für kritische Einwände gegenüber manchem Gedankengang danke ich Hansjürgen Daheim, der die Betreuung des Projekts übernahm, Regina Becker-Schmidt, Franz-Xaver Kaufmann und Ursula Müller; für Anregungen und Kritik im Verlauf der Untersuchung Susanne Karstedt-Henke. Bei Angelika Lünstroth bedanke ich mich für die technisch aufwendige Bearbeitung des Manuskripts und für ihre Geduld und Hilfsbereitschaft bis zum Fertigstellen der Endfassung.

Bielefeld, August 1989

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