Geschlechterungleichheit zu Lasten der Frauen besitzt viele Gesichter. Sie reichen von geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen bis hin zu kultureller Symbolik im Denken, im Sprechen, in der Körperhaltung. Die Vielschichtigkeit der Phänomene, die männliche Überlegenheit und weibliche Unterordnung sozial signalisieren und absichern, stützt empirisch die von der Frauenforschung geäußerte Vermutung, "Geschlecht" sei eine "Strukturkategorie". Geschlechterungleichheit besäße einen systemischen Charakter, der keinen Bereich von Gesellschaft unberührt läßt. Trifft diese Annahme zu, besäße die Rede von "Struktur" eine Vieldeutigkeit, in der sich nichts anderes als die Vielfalt des strukturierten Charakters dieser Ungleichheiten niederschlüge. Die Rede von Strukturen suggeriert eine Festigkeit und Geschlossenheit von Vergesellschaftungsmustern, die sie nicht besitzen; Strukturen unterliegen Veränderungsprozessen, enthalten immer schon ein überschüssiges Moment, der über sie hinausweist. Der systemische Charakter von Geschlechterungleichheit weist Brüche auf, anders ließe sich gar nicht begründen, warum das Geschlechterverhältnis heute eine Dynamik aufweist, die sich innerhalb einer relativ stabilen 'Struktur' industrialisierter Gesellschaften entfaltet. Diese Aussage wirft die Frage auf, was wir unter 'Struktur' eigentlich verstehen. In der Soziologie wird dieser Begriff mit beiläufiger Selbstverständlichkeit verwandt. Sie suggeriert, alle wüßten, wovon die Rede ist. Aus dieser Auffassung könnte eine weitere resultieren: es sei völlig gleichgültig, in welchem Teilbereich von Gesellschaft wir mit der Suche nach dieser "Strukturkategorie" beginnen: Wenn sie überall ihren phänomenalen oder empirisch beobachtbaren Ausdruck findet, muß das Prinzip, das hier zur Wirkung kommt, ebenso an jedem beliebigen Ort erkennbar sein. Eine solche Auffassung wäre überaus vereinfachend. Die Rede von 'Struktur' ist nicht beliebig, der Strukturbegriff nicht nach Gutdünken mit Inhalten auffüllbar. Die gesellschaftstheoretische Orientierung der Frauenforschung hatte, wenn sie von 'Struktur' sprach und spricht schon immer zwei solcher Strukturierungsprinzipien im Sinn: die industriekapitalistische Vergesellschaftung der Geschlechter, überlagert und durchdrungen von einem Prinzip patriarchaler Vergesellschaftungen . Die Suche nach der Strukturkategorie "Geschlecht" kann nach dieser Feststellung nicht an einem beliebigen Punkt ansetzen, sie ist verwiesen auf die Analyse von Arbeitsteilungen und Eigentumsformen in Klassengebilden, aus ihnen resultierende und auf sie zurückgehende Vergesellschaftungen. Die vorliegende Untersuchung setzt infolgedessen an diesem Gegenstandsbereich an, sucht ihn auf geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen auszudehnen und über sie hinauszugehen. Noch anders formuliert: Die Frage nach der sozialen Konstitution des Geschlechterverhältnisses befaßt sich vorrangig mit seiner sozio-ökonomischen Dimension. Der Grund für die hohe Bedeutung einer angemessenen Antwort liegt auf der Hand. Lassen sich keine strukturellen Barrieren nachweisen, die Frauen und Männer sozio-ökonomisch so plazieren, daß für Frauen mindere Erwerbs- und Lebenschancen hieraus resultieren, kann es nur am Verhalten, an den Einstellungen der Frauen liegen, wenn sie sich als soziale Gruppe, in einer im Vergleich mit Männern benachteiligten Lebenssituation befinden, die sich in einer prekären Existenzsicherung artikuliert. Es läge damit an ihnen selbst, adäquatere Verhaltensweisen zu entwickeln, um sozioökonomische Geschlechterungleichheit abzubauen und auszugleichen.
Die Frage nach einem Strukturbegriff, der Geschlechterungleichheit aufnimmt, weist in zwei Richtungen. Zum einen ist mit ihr das Verhältnis von Struktur und Handlung, von Gesellschaft und Individuum angesprochen. Zum anderen meint sie das Verhältnis von Struktur und Geschichte. Der Akzent der Untersuchung liegt auf letzterem; der Grund für diese Wahl ist methodologischer Art: Die Analyse des Verhältnisses von Struktur und Geschichte besitzt eine 'objektivistische' Ausrichtung, die noch am ehesten mit der zweifellos objektivistischen Grundorientierung der marxistischen Bezugstheorie vereinbar ist, zugleich aber auch Anschlußstellen für die Untersuchung des Verhältnisses von Struktur und Handeln, von Gesellschaft und Individuum, zu gewinnen verspricht. Denn in Annahmen über die Entstehung einer Struktur gehen solche über das Verhältnis von Struktur und Handlung ein: Strukturen sind Individuen niemals nur vorgegeben, sie werden von ihnen auch hervorgebracht. Diesen Vermittlungszusammenhang will die vorliegende Untersuchung analytisch aufbereiten. Mit der vorliegenden Arbeit ist nicht allein ein theoretisches Anliegen verbunden. Eine Antwort auf die Frage nach den Strukturierungsprinzipien des Geschlechterverhältnisses würde etwa dazu beitragen können, in aktuelle, auf wissenschaftlicher und politischer Ebene geführten Diskussionen neue Gesichtspunkte einzubringen. Dieses gesellschaftspolitische Anliegen leitet die Untersuchung an, selbst wenn sie sich über weite Strecken in den Dürrezonen methodologischer und metatheoretischer Überlegungen bewegt: Der Spannungsbogen zwischen Theoriebildung und ihrer Bedeutung als handlungsleitende Instanz ist weitaus breiter, als eine soziale Bewegung in der Regel zu akzeptieren bereit ist.
Noch ein Hinweis zum Sprachgebrauch der Untersuchung. Die Auseinandersetzung mit dem historisch - materialistischen Denkmodell kann nicht von dessen Begrifflichkeiten abstrahieren; werden sie in ihrer originären Fassung beibehalten, steht schnell der Verdacht im Raum, deterministisches Denken erführe eine Fortschreibung. Von derartigen Tendenzen ist das Theoriemodell in der Tat nicht frei, die vorliegende Untersuchung gilt über weite Strecken hinweg ihrer Kritik. Dennoch wäre es voreilig, auf Begrifflichkeiten wie 'Moderne' oder 'Postmoderne' zurückzugreifen, um eine Distanzierung von Denkstilen des 19. Jahrhunderts zu signalisieren; allzu leicht ginge auf diese Weise das Bewahrenswerte des historisch-materialistischen Theorietypus verloren. Die Untersuchung wird in ihrem Verlauf immer wieder aufzeigen und nachweisen, daß die originären Begrifflichkeiten Inhalte transportieren, die volle Ambivalenzen sind, aus der hier eingenommenen Perspektive 'wahr' und 'unwahr' zugleich. Sie begründet damit zugleich die Notwendigkeit neuer begrifflicher Konzeptualisierungen, die mehr sind als Sprachgebrauch. In der vorliegenden Untersuchung erstrecken sich begriffliche Neukonzeptualisierungen auf das Problem einer Operationalisierung der Theorie, bewegen sich damit weitgehend noch in dem von ihr vorgegebenen begrifflichen Rahmen, obwohl sie inhaltlich über ihn hinausgeht. Wie die Begrifflichkeiten einer 'ganz neuen' Theorie auszusehen hätten, müßten künftige Forschungen klären, sie müßten deren Notwendigkeit aufweisen.
Problemaufriß
Der aktuelle Diskussionstand zur sozio-ökonomischen Dimension des Geschlechterverhältnisses schlägt sich seit einigen Jahren eindrucksvoll in Kontroversen um Äußerungen des SPD-Politikers Oskar Lafontaine nieder. Mit seinen Thesen zur Umverteilung von Arbeit und Einkommen löste er unter Politikerlnnen und Wissenschaftlerlnnen erhebliche Irritation, aber auch Zustimmung aus. So warf er nachdenkliche Worte in die Debatte, die der bestehenden geschlechtlichen Arbeitsteilung und der damit verbundenen Diskriminierung von Frauen(arbeit) gelten. Sie gingen allerdings in der von ihm ausgelösten Kontroverse unter: "Wenn es stimmt, daß die Benachteiligung der Frauen strukturell in der Industriegesellschaft angelegt ist, daß deren System gar nicht funktionieren kann, ohne Frauen zu benachteiligen, dann kann der politische Schlüssel zur Lösung der Frauenfrage nur in einer Veränderung der industriellen Strukturen liegen. Entscheidend ist dabei die Neudefinition des Begriffs der Arbeit und ihrer Bewertung in der Gesellschaft. Die notwendige gesellschaftliche Arbeit setzt sich immer aus der Haus- und Fainilienarbeit, die Versorgung und Erziehung der Kinder eingeschlossen, und der Arbeit zur Herstellung der lebensnotwendigen Güter zusammen. Heute wissen wir, daß es im Prinzip völlig gleichgültig ist, wer welche Arbeit leistet, ob die Frauen diese, die Männer jene oder umgekehrt oder beide gemeinsam oder je zur Hälfte oder zu welchem Anteil immer. Es hat sich gezeigt, daß Männer und Frauen gleichermaßen fähig sind, sowohl diese wie auch jene Art von Arbeit zu verrichten" (Lafontaine 1988, S. 40). Mit einiger Berechtigung läßt sich bezweifeln, daß eine Veränderung der industriellen Strukturen bereits den gewünschten Effekt hätte; darüber hinaus weiterhin, daß allein eine Neudefinition des Begriffs der Arbeit reale gesellschaftliche Konsequenzen nach sich zöge. Und dennoch dürfte Lafontaine darin recht behalten, daß es für die Neugestaltung der bestehenden geschlechtlichen Arbeitsteilung erforderlich wäre, daß Wissenschaft und Politik sich von der noch immer weithin akzeptierten Gleichsetzung von "Arbeit" mit "Lohn bzw. Erwerbsarbeit" ablösen.
Was aber wäre, wenn eine solche strukturelle Benachteiligung von Frauen nicht ausschließlich mit den ihnen zugewiesenen Arbeiten zusammenhinge, sondern mehr noch mit ihrer Fähigkeit, neues Leben gebären zu können? Doch allein schon der Nachweis einer strukturellen Benachteiligung in der Zuweisung und Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen wie "Arbeit" und "Einkommen" würde nichts anderes bedeuten als die Anerkenntnis der Existenz eines sehr engen Zusammenhangs zwischen Kapitalverwertung und Geschlechterungleichheit, denn die Zuteilung dieser Ressourcen hängt letztlich von der sozialen Verfaßtheit der Ökonomie einer Gesellschaft ab. Wäre dem so, dann gerieten bereits aus diesem Grund sämtliche Begründungen der Entstehung und Akkumulation gesellschaftlichen Reichtums in den Verdacht, historisch überholt zu sein, behauptet doch keines der ökonomischen Theoreme im Anschluß an Marxismus und Neoklassik das Vorhandensein eines solchen Bedingungsgefüges. Ungleichheit im Geschlechterverhältnis als Sachverhalt, in die Ökonomie warenproduzierender Gesellschaften eingelassen ist - diese Möglichkeit stellt in der Tat eine Herausforderung ökonomischer Denkweisen dar.
Aber nicht nur dieser. Der Nachweis eines solchen Zusammenhangs besitzt zweifellos politische Implikationen, durchbräche er doch die meisten der heute in der Diskussion befindlichen Vorschläge zur Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme im Kontext von "Arbeitsteilung" und "Existenzsicherung". Sie beziehen sich in der Regel auf die Umverteilung von (entgeltlicher) Erwerbsarbeit. So besagt eine durchaus gängige Definition dieses Bedingungsgefüges: "In jeder Gesellschaft müssen - unter Knappheitsbedingungen - zwei Probleme gelöst werden: Wie wird der Arbeitseinsatz zur Herstellung gesellschaftlichen Reichtums geregelt? Nach welchem Maßstab erfolgt die Verteilung des hergestellten gesellschaftlichen Reichtums? Kapitalistische Marktgesellschaften verknüpfen beide Fragen in der Funktionsweise des Arbeitsmarktes. Er weist zugleich dem Faktor Arbeit Arbeitsplätze (Systemintegration) und den Arbeitenden Lebenschancen (Sozialintegration) zu. Der Arbeitsmarkt legt also beides fest: Produktionseinsatz (Arbeit) und Existenzchance (Essen)" Vobruba 1985, S. 41).
Diese Definition bezieht sich ausschließlich auf den Arbeitsmarkt als Regulator von Arbeitsteilung, und Existenzsicherung, sie ist zudem geschlechtsneutral gefaßt. Was aber wäre, wenn die Vergesellschaftung von Arbeit und Existenzsicherung gar nicht ausschließlich über den Arbeitsmarkt erfolgte, wenn ein zweiter solcher Vergesellschaftungsmodus existierte? Es wäre allerdings unzutreffend, die Existenz differenzierterer Sichtweisen zu bestreiten. So wird von Offe/Hinrichs der Arbeitsmarkt ausdrücklich im Verhältnis zu anderen Organisationsformen menschlicher Arbeit angesprochen. Er wird gerade nicht als eine Institution betrachtet, die unterschiedslos alle Mitglieder einer Gesellschaft aufsaugt; ihrer Auffassung nach soll und kann er das auch gar nicht. "Die Nischen, Freiräume und 'Pufferzonen', in denen sich - zunächst vor allem im Familienverband - diejenigen reproduzieren, die zwar eigentumslos, aber nicht Lohnarbeiter sind, finden ihre gesellschaftliche Festlegung durch kulturelle und politische Normen, welche mehr oder weniger dauerhaft und verbindlich festlegen, welche Personen in welchen Lebenslagen usw. ihre Arbeitskraft nicht auf den Arbeitsmärkten anzubieten brauchen oder anbieten dürfen. ... Der kontraktuelle Tausch von Arbeitskraft gegen Geldeinkommen ist ein nicht nur historisch, sondern immer auch quantitativ begrenztes Phänomen... Ihre Arbeitskraft wird also nicht als Ware behandelt, sondern auf dem Wege von allgemeinen, kulturell und rechtlich definierten Verpflichtungen in Anspruch genommen und separat davon auf dem Wege über Versorgungsansprüche gegen private und öffentliche 'Haushalte' mit Lebensmitteln versorgt" (Offe/Hinrichs 1984, S. 60f.). Diese Argumentation könnte als Beleg für die Existenz einer strukturellen Benachteiligung derjenigen gelesen werden, die der Arbeitsmarkt ausgrenzt, über den ja in der Regel Primäreinkomrnen zur Verfügung gestellt werden. Der Hinweis darauf, daß anders dessen Funktionsfälügkeit nicht gesichert werden kann, ist plausibel, stellt allerdings noch keine strukturelle Benachteiligung der von einer Erwerbsbeteiligung Ausgegrenzten dar. Von ihr könnte erst dann die Rede sein, wenn ökonomische Strukturierungsprinzipien erkennbar würden, die von vornherein eine angebbare soziale Gruppe - etwa vermittels askriptiver Merkmale, die nichts mit der potentiellen oder faktischen Leistungsfähigkeit eines Individuums zu tun haben - benachteiligt. Kulturell und rechtlich definierte Versorgungsansprüche, die nicht unmittelbar (wohl aber mittelbar) aus dem Tausch "Arbeitskraft gegen Lohneinkommen" resultieren, müssen keinen diskriminierenden Charakter besitzen. Sie können ebensogut eine Privilegierung bestimmter sozialer Gruppen, zumindest aber ein angemessenes (nicht: funktionales) Äquivalent für den Verzicht auf Erwerbsbeteiligung und -einkommen darstellen. Es käme infolgedessen darauf an, sich die inhaltliche Ausgestaltung und vor allem das materiale Substrat dieser Normierungen näher zu betrachten, bevor eine Festlegung in die eine oder andere Richtung erfolgt. Den Arbeitsmarkt prägt eine Geschlechtsspezifik. Dieser Sachverhalt ist zu gut bekannt, als daß er in seiner Existenz noch einmal zu belegen wäre (vgl. für viele Willms-Herget 1985). Sie selbst gilt häufig als Ausdruck einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im nicht marktförmig organisierten Lebensbereich. Innerhalb dieser zweiten und familialen Arbeitsteilung werden nahezu ausschließlich von Frauen unentgeltliche Versorgungsleistungen für andere erwartet und erbracht, deren System- und Sozialintegration müßte sich schon allein deshalb nach einem anderen Muster vollziehen als bei Männern, von denen diese Versorgungsleistungen weder erbracht, noch erwartet werden. Die sozialwissenschaftliche Frauenforschung bemühte sich schon frühzeitig um den theoretischen und empirischen Nachweis einer solchen strukturellen Benachteiligung. Auf theoretischer Ebene gilt dies für die "Hausarbeitsdebatte", meist verknüpft mit Theorieentwürfen einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Mit ihnen wurde versucht, die Geschlechtsspezifik von Arbeitsteilung in Erwerb und Familie herauszuarbeiten. Von ihr wurde sehr schnell eine Dimension in die Debatte geworfen, die arbeitsmarktpolitische Diskurse in der Regel aussparen: die These einer strukturellen Geschlechterungleichheit aufgrund der sozialen Organisation von "Mutterschaft". Sie sei Ausgangspunkt und Ugitimation einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Familie und Beruf, die wiederum Frauen, verglichen mit Männern, mindere Erwerbs- und Lebenschancen [1] zuweise.
Der Absicht nach waren diese Entwürfe auf die Erkenntnis gesaintgesellschaftlicher und wirtschaftlicher Zusammenhänge ausgerichtet, firmierten allerdings nicht unter dem Anspruch auf Formulierung einer politischen Ökonomie des Geschlechterverhältnisses, die noch am ehesten das Anliegen bezeichnete. Der Akzent lag eindeutig auf der Analyse des "weiblichen Lebenszusammenhangs [2] oder dem der Formulierung einer "Politischen Ökonomie der Hausarbeit" [3]
Die Eingebundenheit von Frauen in zwei gesellschaftliche Arbeits bzw. Produktionsbereiche wirft im Zusammenhang von deren Existenzsicherung eine Reihe von Problemlagen auf, heute häufig mit dem Schlagwort von der 'Feminisierung der Armut' bezeichnet. Für die Beantwortung der Frage nach dem 'Warum?' stellt die sozialwissenschaftliche Forschung wiederum noch wenig an Anhaltspunkten zur Verfügung, deren Gegenstand bildet eher der 'männliche Lebenszusainrnenhang' bzw. die männliche Erwerbsbiographie. Diese diematische und zugleich analytische Einengung wird mittlerweile nicht nur von Frauenforscherinnen als wissenschaftliches Problem gesehen. Die bisherige Ungleichheitsforschung, so etwa Kreckel, gehe von einer Art bereinigtem gesellschaftlichem Normalfall aus. "Es wurden vorzugsweise einheimische, in der Regel männliche Haushaltsvorstände im erwerbsf-ähigen Alter untersucht. Die Jungen und die Alten, die Hausfrauen und die Kranken, die Ausländer und die Kasernierten, die Behinderten und häufig auch die Landwirte, blieben ausgeblendet ... d.h. die traditionelle Ungleichheitsforschung konstruierte sich zunächst eine Art Norrnal- oder Kernbevölkerung zurecht, die sich mehr oder weniger mit der sog. 'aktiven' Bevölkerung eines Staates deckte" (Kreckel 1983, S. 9). Aus dieser Perspektive konnten Frauen und deren Lebensbedingungen nur noch als defizitär im Vergleich mit dieser "Normalbevölkerung" wahrgenommen werden (vgl. Müller 1984a). Das von Kreckel diagnostizierte Dilemma gilt für empirische Forschung und für Theoriebildung. Auch letztere kennt einen "bereinigten gesellschaftlichen Normalfall", dessen Existenz allerdings ungleich schwerer nachzuweisen ist als in der empirischen Forschung. Dies gilt ebenfalls für die historisch-materialistische Theorietradition; "Normalfall" dieser Forschungsrichtung sind Männer in ihrer sozialen Verortung als Familien'väter und Eigentümer - und das selbst dann, wenn dieses Eigentum in nichts anderem als ihrer Verfügung über warenförmige Arbeitskraft besteht. Eine Untersuchung, die dem Zusammenhang von Arbeitsteilung und Existenzsicherung in seiner Geschlechtsspezifik mit den Erkenntnisrnitteln der marxistischen Forschung nachzugehen sucht, steht infolgedessen vor einem nahezu unüberwindlich anmutenden Problem. Sie muli notwendig gesellschaftstheoretische Fragestellungen anschneiden und zumindest partiell lösen, um ein Problem bearbeiten zu können, das wiederum nur einen, wenngleich zentralen, Ausschnitt in einer gesamtgesellschaftlichen Betrachtung darstellt. Diese gesarntgesellschaftliche oder zumindest -ökonomische Sichtweise verdoppelt in gewisser Weise das oben skizzierte Problem. Als Klassenanalyse bezieht sie sich auf die "Arbeitermannschaft" (BeckerSchmidt) in ihrer Eigenschaft als Lohnarbeitskräfte in der Bedeutung von Kollektiv- und nicht von Individualsubjekten. Eine politisch-ökonomische Analyse des Geschlechterverhältnisses würde insofern einen Zusammenhang zwischen Klassen- und Geschlechteranalyse herstellen müssen, der sich auf dem Feld der Klassentheorie bewegt und sich erst sukzessive von ihr ablöst, um Untersuchungsfragen aufzugreifen, die bislang nicht den Gegenstand dieser Forschungsrichtung bildeten - ein Unterfangen, das angesichts der auch theoretischen "Krise des Marxismus" vermutlich wenig festen Boden bietet. Warum dann der Rückgriff auf dieses Erkenntnis- und Theoriemodell, warum nicht auf ein anderes? Daß sich die Gesellschaftstheorie der Frauenforschung am Marxismus orientiert, wäre noch kein ausreichender Grund, an dessen Erkenntnismodell festzuhalten. Ich möchte vier Gründe nennen, die inhaltlicher und methodologischer Art sind. Es handelt sich um die einzige Theorietradition, die den Anspruch erhebt, gesellschaftliche Strukturen und Prozesse in ihren inneren Zusammenhang erfassen zu können. Als krisentheoretischer Entwurf hebt sie weiterhin auf die Analyse und Erfassung gesellschaftlicher Ungleichheit ab; daß eine solche Ungleichheit im Geschlechterverhältnis existiert und daß sie sich darüber hinaus sozio-ökonomisch manifestiert, kann als unbestrittene empirische Tatsache angesehen werden. Und ein dritter wichtiger Punkt: das Modell müßte es erlauben, demographischen Wandel in die Betrachtung einzubeziehen. Hängt Ungleichheit im Geschlechterverhältnis tatsächlich mit der sozialen Organisation von Generativität zusammen, dann liegt es auf der Hand, diese Theorie daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie diesem Sachverhalt kategorial und empirisch Rechnung tragen kann. Ein weiterer Vorzug gegenüber anderen ökonomischen, letztlich auch soziologischen Sichtweisen: dieses Theoriemodell nimmt in Anspruch, gesellschaftliche Sachverhalte in ihrem historischen Gewordensein erklären zu können. Aber allen diesen potentiellen analytischen Vorzügen im Vergleich mit konkurrierenden Theoriemodellen steht ein gravierender Nachteil gegenüber, auf ihn wurde bereits hingewiesen: das Geschlechterverhältnis bildet nicht seinen Gegenstand, wohl aber Ungleichheit zwischen den Geschlechtern als Ausfluß des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital. Diese Differenz näher bestimmen zu können, bezeichnet den theoretischen Anspruch der folgenden Untersuchung. In einer solchen analytischen und letztlich historischen Präzisierung müßte sich die Reichweite des historisch-materialistischen Theoriemodells erproben, das gesellschaftstheoretische Anliegen der Frauenforschung präzisieren lassen. Die Gleichsetzung von 'Frauenforschung' mit einem bestimmten Erkenntnismodell bedarf noch einer Erläuterung: Der Terminus 'Frauenforschung' hat im Verlauf von zwanzig Jahren einen Bedeutungswandel erfahren. Auf die eine oder andere Weise standen in deren Zentrum stets wissenschaftliche Positionen, die sich zwar kritisch gegenüber dem historischmaterialistischen Denkmodell verhielten, es jedoch auf eigene Weise weiterzuentwickeln suchten; so etwa die frühe Arbeit von Firestone 1972. Heute wird die Bezeichnung 'Frauenforschung' von einem wissenschaftspluralistischen Spektrum reklamiert, das von dezidierter Ablehnung dieses Denkmodells bis zu seiner Verteidigung in der originären Fassung reicht (vgl. Faulstich - Wieland 1988 oder Haug 1989). Die Gesellschaftstheorie der Frauenforschung weist jedoch nach wie vor eine historisch-materialistische Ausrichtung in unterschiedlichen Varianten und in unterschiedlicher Gewichtung auf. An deren Diskussionsstand wird im folgenden angeschlossen.
Fragestellungen
Bislang liegt wenig an theoretischer Forschung vor, deren Gegenstand das Zusammenwirken von Ungleichheit im Geschlechter - und Klassen verhältnis bildet. Der Akzent bei dieser Feststellung bezieht sich auf das Fehlen einer auch nur annähernd ausgearbeiteten Begriffsbestinunung des Verhältnischarakters von Geschlechterbeziehungen unter industriell-kapitalistischen Bedingungen. Um dieses Defizit in einer ersten Annäherung zu beseitigen, verzichtet die vorliegende Untersuchung auf das Einbeziehen sozialpsychologischer und psychosozialer bzw. -sexueller Frageund Problemstellungen, die häufig Untersuchungen der Geschlechterbeziehungen anleiten. Beabsichtigt ist allerdings, Anschlußstellen zu nennen, die eine Analyse der sozio-ökonomischen Strukturiertheit des Geschlechterverhältnisses zur Verfügung stellt.
Die übergreifenden Fragestellungen der Untersuchung lauten:
- Kann vom Verhältnis der Geschlechter als einem strukturell in diese Gesellschaft eingelassenen, sozialen Verhältnis gesprochen werden?
- Wie kam es in seiner gegenwärtigen Verfaßtheit zustande, in welcher Relation steht es zur Sozialstruktur warenproduzierender Gesellschaften?
- Kann dieses soziale Verhältnis als grundlegend für geschlechtsspezifische Ressourcenzuweisungen wie "Arbeit" und "Einkommen" betrachtet werden, indem es Frauen und Männern ungleiche Lebens - und Erwerbschancen zuweist?
Selbst vorläufige und noch keineswegs umfassende Antworten auf diese Fragestellungen können Aufschluß darüber geben, welche Handlungsspielräume und -grenzen sich Frauen, letztlich beiden Geschlechtern, durch eine Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bieten könnten und umgekehrt, inwieweit die heute bereits gelebten Abweichungen von der Norm tradierter Geschlechterbeziehungen einen politischen Handlungsdruck zu erzeugen imstande sind, der auf den Abbau von Geschlechterungleichheiten hinwirkt (vgl. Müller 1988).
Arbeitshypothesen
Deren erste und wichtigste geht von der Annahme der Existenz zweier gesellschaftlicher Arbeits- bzw. Produktionsbereiche aus. Diese Annahme ist sicherlich nicht neu. Sie liegt beispielsweise den Erörterungen um Schattenwirtschaft, informelle Ökonomie oder Subsistenzwirtschaft zugrunde. Eine Präzisierung etwa des Terminus 'Schattenwirtschaft' liegt allerdings noch immer nicht vor, es besteht nicht einmal Übereinstimmung darüber, was alles zur Schattenwirtschaft zählt (Graß 1984a, b). So unterscheidet Gretschmann diesen Wirtschaftsbereich noch einmal nach seinen bedarfs- und erwerbswirtschaftlichen Bestandteilen. Erstere umfassen "legale, statistisch aber weitgehend nicht erfaßte Aktivitäten wie die Haushaltsökonomie, die Nachbarschaftshilfe, die Eigenarbeit, die 'voluntary non profits' oder die gemeinschaftliche Selbstorganisation öffentlicher Aufgaben", letztere demgegenüber "irreguläre und halblegale Aktivitäten, wie die Verhehlung steuerpflichtiger Tatbestände, die Schwarzarbeit, die Geschäfte ohne Rechnung etc." (Gretschmann 1984, S. 134). Die unentgeltliche Arbeit von Frauen in der Haushaltsökonomie wird hier dem bedarfswirtschaftlichen Teil der Schattenwirtschaft als 'legale Aktivität' zu eschlagen. Damit läge eine Übereinstimmung mit der Auffassung von Offe/Hinrichs (1984) vor. Die in dieser Arbeit verfolgte Perspektive ist jedoch noch eine andere. Arbeitsleistungen werden zwar auch nach erwerbs - und bedarfswirtschaftlichen Gesichtspunkten voneinander unterschieden, jedoch vorrangig als Elemente einer sozialen Verhältnisbestimmung. Als Differenzierungsmerkmal bietet sich die Unterscheidung zwischen markt- und nichtmarktvermittelter Arbeit an, weil diese Unterscheidung zugleich eine geschlechtsspezifische Markierungslinie darstellt.
Der Arbeitsmarkt wird in der folgenden Untersuchung als eine historisch-besondere Organisationsform gesellschaftlicher Arbeit und als Bestandteil einer Warenökonomie verstanden; letztere allerdings nicht gleichzusetzen mit dem gängigen Verständnis von 'Ökonomie': Der Terminus 'Warenökonomie' oder die synonym verwandten Begrifflichkeiten 'Marktökonomie' bzw. 'marktvermittelte Ökonomie' dienen zur Abgrenzung gegenüber der 'Familienökonomie' bzw. der 'Nicht-marktvermittelten Ökonomie'. Sie wird auch als 'Versorgungsökonomie' bezeichnet. In diesem Fall erstreckt sich der Begriff gleichzeitig auf Arbeit im sozialen Ehrenamt. Nach der hier vertretenen Auffassung bilde beide Bereiche zusammengenommen die 'Ökonomie' oder den Produktionsbereich privatkapitalistisch organisierter Industriegesellschaften. Damit unterscheidet sich der hier in Anspruch genommene Ökonomiebegriff erheblich von dem, was üblicherweise unter ihm verstanden wird. Der Verweis auf den 'Markt' beinhaltet jedoch keine Festlegung in Richtung einer Position, wie sie von marxistischen Ökonomen in der Regel kritisiert wird: daß der Distributions- bzw. Zirkulationssphäre ein Vorrang vor dem Bereich der Produktion eingeräumt wird.
Darüberhinaus wird die 'Arbeitsperspektive' um eine weitere Dimension ergänzt, die zwar in dem Begriff "Produktion", nicht dagegen in dem der "Arbeit" enthalten ist: "Produktion" in der Bedeutung des generativen gesellschaftlichen Bestandserhalts. Dieser, so eine zweite Arbeitshypothese, dürfte auf eine noch darzustellende Weise mit der Ausübung und Zuweisung nicht - marktvermittelter Tätigkeiten verschränkt sein. Läßt sich begründet von einer sozio-ökonomischen strukturellen Benachteiligung von Frauen im Vergleich mit Männern sprechen, so eine weitere Annahme, dann müßte sie sich aus dem 'inneren Band' erklären lassen, das die 'Ökonomie' warenproduzierender Gesellschaften in der oben skizzierten Bedeutung zusammenhält. Dem Auffinden dieses 'inneren Bandes' gilt die vorliegende Untersuchung; auf sozio-ökonomische Sachverhalte bezogen, müßte es über die historisch-besondere Eigentumsverfassung gestiftet werden.
Gang der Untersuchung
Die drei übergreifenden Fragestellungen der Untersuchung werden in deren Verlauf in eine Reihe von Einzelfragen aufgelöst, ihr innerer Zusammenhang wird über folgenden Gedankengang hergestellt: Ausgangspunkt der Analyse ist eine Paradoxie. Die wissenschaftliche Präzisierung des Geschlechterverhältnisses soll aus einem Theoriekorpus entwickelt werden, der wie kein anderer die systematische Geschlossenheit oder den Systemcharakter von sozialen Verhältnissen betont, für ein grundlegendes soziales Verhältnis jedoch keinen Begriff besitzt. Analytisch wird etwas gesucht, das begrifflich nicht existiert allerdings auffindbar sein müßte, wenn dieses Theoriegebäude zu Recht den Anspruch erhebt, sich selbst transzendieren zu können, indem es sich zu seiner Historizität als Unabänderlicher und Notwendiger bekennt. Dieses transzendentale Moment reklamiert es vermittels seiner Methodologie des Erkennens. Sie ist wiederum nirgendwo in einem verbindlichen Katalog von Regeln einer solchen Erkenntnis festgehalten; sie läßt sich ausschließlich aus dem systematischen Charakter inhaltlicher Aussagen erschließen. Diese Aussagen - und hier schließt sich scheinbar der Kreis - beziehen sich auf gesellschaftliche Sachverhalte, deren Analyse von einem Verhältnis der Geschlechter nichts 'weiß'. Dieses Vorverständnis vom Charakter des Theorietypus geht bereits in die Formulierung der übergreifenden Fragestellungen ein: die materiale Analyse ist zugleich eine methodische Suche nach den Mitteln der Analyse. Die scheinbar banale Frage nach dem Zusammenhang von 'Arbeitsteilung' und 'Existenzsicherung' im Geschlechterverhältnis erweist sich als eine solche nach den grundlegenden Strukturierungsprinzipien industrialisierter Gegenwartsgesellschaften. Sagt eine Theorie, die sich als systematische versteht und die zugleich diesen Gegenstandsbezug, allerdings bezogen auf das Klassenverhältnis, für sich wie keine andere reklamiert, darüber nichts aus, dann liegen die Gründe in ihren Aussagen mitsamt ihrer Methodologie. Mit diesem Hinweis sind zwei Leitmotive der Untersuchung angesprochen, die aus unterschiedlicher Perspektive immer wieder auftauchen und erkennbar sind: "inhaltlich in der Fragestellung nach der generativen Reproduktion einer Gesellschaft samt der ihr verbundenen Arbeitsteilung, methodisch in der nach dem Verhältnis von Theorie und Empirie. Die Marxsche Methode beinhaltet ein höchst voraussetzungsvolles Verständnis dieses Zusammenhangs, der tief in ihre Ursprünge hineinreicht. Diese beiden Leitmotive bilden auch die übergreifenden Gesichtspunkte, unter denen die feminisfische mit der marxistischen Forschung zu verbinden und in ihrer Differenz herauszuarbeiten gesucht werden. Das Erkenntnisinteresse richtet sich besonders auf bewußtseinsp4~ ehe Argamentationsmuster. Von ihnen wird angenommen, daß sie das analytische Hindernis darstellen das bislang eine sozialwissenschaftliche Sicht auf die generative Reproduktion, ebenso aber auch auf eine sozialwissenschaftliche Konzeption des Verhältnisses von Theorie und Empirie versperrt. Im Gang der Untersuchung schlägt sich das skizzierte Spannungsverhältnis folgendermaßen nieder. Im ersten Abschnitt wird ein konkurrierender Theorietypus vorgestellt, der explizit und mit dem von ihm in Anspruch genommenen Instrumentarium Aussagen zu geschlechtlicher Arbeitsteilung und Existenzsicherung formuliert. Die analytischen Einwände, die ihm gegenüber aus der hier eingenommenen Perspektive vorgebracht werden können, sind aus der Konfrontation von methodologischen Idividualismus vs. Totalitätsbezug bekannt (vgl. Ritsert 1976); eine Besonderheit des analysierten Modells besteht allerdings in einem nutzentheoretisch gewendeten Biologismus. In den anschließenden Teilen der Untersuchung findet eine Annäherung an die erste Untersuchungsfrage statt: die marxistische und die feministische Forschung sprechen vom Geschlechterverhältnis in Metaphern wie 'Subjektkonstitution', 'Familie' oder 'Haushalt' und greifen zugleich auf Elemente der Methodologie zurück, die auch die vorliegende Untersuchung anleiten soll.
Auf dergestalt vermittelte Art und Weise handelt es sich um die Darstellung des Forschungsstandes zu einem Gegenstandsbereich, für den noch kein 'Begriff' existiert. Nach dieser Annäherung an die erste Untersuchungsfrage erfolgt im zweiten Abschnitt deren Präzisierung aus der Sicht der Frauenforschung auf der einen, der Sicht der marxistischen Forschung auf der anderen Seite: Noch unverbunden miteinander wird die wissenschaftskritische Reflexion ersterer bis zu einem Punkt entwickelt, an dem sich inhaltlich-methodisch die Frage nach einem dieser ersten Untersuchungsfrage angemessenem Verständnis von 'Struktur' oder 'gesellschaftlicher Totalität' auf
dem Erkenntnisstand letzterer stellen läßt. Ausgangspunkt der Fragestel lung ist das feministische Materialismus-Postulat; Resultat ist ein heuristisches Verständnis von 'Totalität', ebenso die Präzisierung bestimmter Pro~lemstellungen, die an diesem Punkt der Untersuchung noch nicht bearbeitet werden können: der historisch-materialistische Theorietypus in seinen neueren Varianten gibt bestimmte Fragestellungen vor, die den Zusammenhang von 'Arbeitsteilung' und 'Existenzsicherung' im Geschlechterverhältnis unter warenproduzierenden Bedingungen erhellen können, jedoch nicht notwendig müssen. Sie betreffen bestimmte Ausdeutungen der Marxschen Arbeitswerttheorie, die These einer strukturellen Trennung von Arbeit und Gesellschaft (Arnason 1976). Auf die erste Untersuchungsfrage bezogen, wäre eine Antwort darauf zu suchen, ob diese Annahme auch für Arbeitsleistungen Geltung beanspruchen kann, die außerhalb der marktvermittelten Ökonomie erbracht werden.
Würde der Versuch unternommen, sie lediglich strukturtheoretisch zu beantworten, könnte dies nur innerhalb einer 'Ableitungslogik' erfolgen, die logisch 'richtig' und dennoch sachlich 'falsch' sein kann. Ohne historisch-empirisches Wissen darüber, wie eine 'geteilte' Ökonomie sich etablieren konnte, die ausschließlich Frauen unentgeltliche Versorgungsleistungen in der Familie zuweist und die sie im Erwerbsbereich nahezu ausnahmslos in einer minderen Position im Vergleich mit Männern plaziert, sind keine Aussagen darüber möglich, ob mit Plausibilität von einer solchen Unterordnung der nichtmarktvermittelten Arbeit unter die Reproduktionsbedingungen 'des Kapitals' gesprochen werden kann. Es könnte durchaus der Fall sein - und an dieser Behauptung hält die marxistische Forschung bis heute fest -, daß die kapitalistische Vergesellschaftung von Arbeit(skraft) vollkommen geschlechtsneutral geschieht. Dann aber wäre es müßig, überhaupt von einer sozio-ökonomischen Strukturierung des Geschlechterverhältnisses sprechen zu wollen. Sie wäre ein Mythos, Geschlechterungleichheit besäße andere Gründe und Ursachen.
Im dritten Abschnitt der Untersuchung wird ein Strukturkonzept im Anschluß an Elemente der Marx-Interpretation von Arnason, Althusser und der strukturalen Anthropologie Godeliers entwickelt. Mit ihm wird der historischen Transformation der Vergesellschaftung von Arbeit im Geschlechterverhältnis nachgegangen und damit die zweite Untersuchungsfrage aufgegriffen. Der innere Zusammenhang zwischen der ersten und der zweiten Fragestellung wird darüber gestiftet, daß erst die wissenschaftstheoretische Reflexion das analytischsystematische Instrumentarium des Theorietypus handhabbar macht, mit dem sich eine historisch-empirische Fragestellung beantworten läßt. Diese Reflexion erfolgt innerhalb einer Problematisierung des marxistischen Verhältnisbegriffs. An seiner originären Konzeption läßt sich aufzeigen, wie und warum er sich systematisch gegen die Aufnahme des Geschlechterverhältnisses als gellschaftliches Verhältnis sperrt und daß ihm gleichwohl eine anschlußfähige Logik innewohnt, die seine gegenwärtige Beschränkung transzendiert. Diese Begrenzungen sind nicht allein inhaltlicher, sondern zugleich methodologischer Art: Bis heute sperrt sich der Theorietypus gegen eine Operationalisierung seiner Begrifflichkeiten, die ihn erst für historischempirische Forschungen tauglich machen. Eine solche Operationalisierung kann das Problem der empirisch-historischen Überprüfbarkeit von Aussagen nur dadurch lösen, daß der universalistische Erklärungsanspruch der Theorie ein Stückweit aufgegeben wird und sich auf eine Theorie mittlerer Reichweite beschränkt. Diese Forschungsstrategie schlägt sich in der vorliegenden Untersuchung in der Akzentuierung von Aussagen zum ehemals deutschen Herrschaftsbereich bzw. zur Bundesrepublik Deutschland nieder.
Im vierten Kapitel wird anhand neu entwickelter Begrifflichkeiten, die auf das Geschlechterverhältnis und die Erkenntnis seiner Genese in Arbeitsteilung und Existenzsicherung abgestimmt sind, historisch-einpirisches Material untersucht. Mit ihnen läßt sich eine zwischen feministischer und marxistischer Forschung, besonders aber auch unter Frauenforscherinnen selbst, strittige Frage klären: die nach dem Vorrang von Erwerbs- oder Frauenarbeit in der Vergesellschaftung von Frauenarbeit und der Entstehung einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Daß diese Problemstellung ausführlich anhand sozialhistorischer Befunde untersucht wird, hat gute Gründe. Vorliegende Begründungen der Entstehung bzw. Transformation einer bereits vorhandenen geschlechtlichen Arbeitsteilung zu Beginn der Industrialisierung sind von theoretischen Grenzziehungen begleitet, deren Berechtigung nur am historisch-empirischen Material selber überprüft werden kann. Gerade bei historisch gerichteten Untersuchungen macht sich das Fehlen strukturtheoretischer Konzeptionen in der Frauenforschung nachdrücklich bemerkbar. Selbst heuristische Erklärungsansätze - wie etwa der Verweis auf patriarchale Vergesellschaftungsmuster - stellen zu wenig an analytischen Vorgaben zur Verfügung, um das komplexe Geflecht der Herausbildung einer weiblichen und männlichen Lohnarbeiterschaft auf der einen, die Entstehung einer weiblichen und familiengebundenen Versorgungsarbeit auf der anderen Seite erklären zu können. Am gründlichsten ist in diesem Zusammenhang der berufliche Aspekt der Vergesellschaftung von Individuen untersucht und er ist wiederum in der Frauenforschung in seiner Bedeutung für Geschlechtertrennungen hochumstritten. Wird er akzentuiert, setzen sich Forscherinnen schnell dem Verdacht aus, eine 'produktionszentrierte' Sichtweise einzunehmen, die doch gerade aufgebrochen werden soll, um geschlechtliche Arbeitsteilungen in ihrer Gänze in den Blick zu bekommen. Hier haben sich im Laufe der Zeit theoretisch begründete Positionen zu 'Schulmeinungen' verfestigt, deren Tragfähigkeit theorie - immanent plausibel scheinen mag, sich an der Empirie demgegenüber bricht. Die Konsequenzen der im vierten Teil der Untersuchung erarbeiteten Resultate bilden in ihrer Gesamtheit die analytische Vorarbeit für den fünften und abschließenden Abschnitt.
Im fünften Kapitel wird der analytische Ertrag der Untersuchung im Zusammenhang des Theoriestands der Frauenforschung reflektiert, darüber hinaus werden Verbindungslinien zu aktuellen gesellschaftstheoretischen und -politischen Kontroversen herzustellen gesucht.