Frauenpolitik — Ein Literaturbericht

Cramon-Daiber, Birgit; Monika Jaeckel; Barbara Köster; Hildegard Menge; Anke Wolf-Graaf: Schwesternstreit — Von den heimlichen und unheimlichen Auseinandersetzungen zwischen Frauen. Rowohlt Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1983

Doormann, Lottemi: Bewegen was mich bewegt — Von Frauenfragen, Männerbildern und Utopien, Weltkreis-Verlag, Dortmund 1983

Meulenbelt, Anja: Feminismus — Aufsätze zur Frauenbefreiung, deutsche Übersetzung Verlag Frauenoffensive, München 1982

Meulenbelt, Anja: Weiter als die Wut — Aufsätze. Deutsche Übersetzung Verlag Frauenoffensive, München 1983

Sichtermann, Barbara: Weiblichkeit — Zur Politik des Privaten. Wagenbachs Taschenbücherei, Verlag Klaus Wagenbach 1983

»Das sind ja (fast) alles Veröffentlichungen von bereits Veröffentlichtem, ältere Aufsätze und Artikel im Gewand der Neuerscheinung« sprach ich beim Sichten der Neuerscheinungen zum Thema Frauenpolitik im weitesten Sinne. Was hatte ich erwartet?
Anknüpfend an die Buchbesprechungen, die von einem Kollektiv Hamburger Frauen zu den Fragen nach einem Verhältnis von Arbeiter- und Frauenbewegung und einer vorwärtsweisenden Frauenpolitik bereits erarbeitet und im Argument 129 (1981, 763ff.) veröffentlicht wurden, wollte ich neue Antworten auf folgende Fragen: was wird von den Autorinnen als Frauenfrage begriffen, welche Vorschläge machen sie zur Herstellung einer Einheit innerhalb der Frauenbewegung, welche Perspektiven zeigen sie auf?
Die Praxis alte Aufsätze/Artikel zu veröffentlichen ist m.E. ein Indiz für fehlende neue Überlegungen.
Das verwies mich auf die Frage nach dem Nutzen solcher Neuauflagen. Neben dem praktischen Aspekt (es ist einfacher mit einem Buch zu arbeiten, als mit diversen Zeitschriften und Büchern) werden Entwicklungen sichtbar: die Autorinnen revidieren zum Teil ältere Auffassungen, geraten mit sich selbst in Streit, versuchen zu verändern und weiterzukommen. Daraus können wir lernen.
Der von L. Doormann erschienene Sammelband enthält überwiegend ältere Zeitungsartikel (von 1977 an), daneben einige Vorträge und Interviews. Feminismus (Meulenbelt, Anja 1982) besteht aus 11 Artikeln, von denen der älteste (»Die politische Ökonomie der Reproduktionsarbeit«) zuerst 1975 erschienen ist. Da diese Artikel nicht überarbeitet wurden, sind in ihnen auch keine neueren Diskussionen verarbeitet und ein Aufsatz von 1975 kann selten Problemformulierungen für 1984 vorwegnehmen. Während A. Meulenbelt allerdings ältere Auffassungen im Vorwort revidiert, betont L. Doormann die unveränderte Aktualität ihres Aufsatzes »Ich arbeite, weil ich ein Mensch bin« von 1977:

  • »Das hätte ich genauso gut heute schreiben können, ging es mir zornig durch den Kopf — nur daß die Bedingungen für uns Frauen noch schlimmer geworden sind.« (Doormann 1983, 9)

Das Private bleibt politisch — das Private ist nicht politisch genug —
Einschätzungen zum Stand der Frauenbewegung

A. Meulenbelt (1982) sieht den Faden durch ihre Artikel in dem Leitspruch der Frauenbewegung »Das Private ist politisch«. Daß unter diesem »Leitspruch« verschiedenes verstanden werden kann, problematisiert sie selber und benennt eine 2-fache Auslegung: »Eine ist, daß zwischen deinem persönlichen Leben und deinen politischen Anschauungen und Handlungen ein Zusammenhang besteht. Eine andere mögliche Auslegung ist, daß das sogenannte Privatleben selbst ein politischer Schauplatz ist...« (9) Die Auslegung wechselt bei ihr in den Texten — die Grenzziehungen bleiben unklar (vgl. z.B. 117). In ihrer Einschätzung zum Stand der Frauenbewegung befindet sie sich im Widerspruch zu denen, die eine Krise der Frauenbewegung beschwören. Sie verweist darauf, daß in fast allen gesellschaftlichen Bereichen Frauengruppen und frauenspezifische Überlegungen zu finden sind und sich niemand mehr erlauben könne, die Frauen zu übersehen. »Der Feminismus ist mittlerweile integriert und damit gleichzeitig 'normaler' und unsichtbarer.« (11) Doormann hält resümierend fest, daß — nachdem sich der »autonome feministische Teil der Frauenbewegung« nach dem »Scheitern der §218-Kampagne in Selbsthilfe- und Alternativprojekte zurückgezogen habe« und folglich den frauenfeindlichen Krisenkonzepten kaum Widerstand entgegenzusetzen hätte, und daß seit 1979 eine Rückkehr der Frauenbewegung in die Tagespolitik zu verzeichnen sei (1983, 132f.). Die Zeiten, in denen der autonome feministische Teil der Frauenbewegung »tabuisierte Erscheinungsformen der Frauenunterdrückung, wie Gewalt gegen Frauen, fremdbestimmte Sexualität und Medizin, die bis dahin in den Bereich des Privaten verwiesen worden waren, öffentlich bewußt ... (machte)« (134), werden ihrer Meinung nach abgelöst durch organisierten Widerstand gegen frauenfeindliche Krisenkonzepte. Hierbei gehe die Initiative allerdings von der aus der ökonomischen Krise 1974/75 hervorgebrachten demokratischen Frauenbewegung (DFI), sowie den weiblichen Mitgliedern in Gewerkschaft, Partei (SPD und DKP) aus, deren politische Relevanz immer mehr zunehme.
Sie benennt eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb der Frauenbewegung, denn ihrer Meinung nach hat »die Stärke der feministischen Bewegung gegenüber der demokratischen Frauenbewegung abgenommen« (140). Belege für diese Behauptung bleiben aus, bzw. scheinen auch überflüssig, da sie ihren Blick gar nicht auf die Taten der Feministinnen richtet und nach deren Bedeutung und Relevanzen für Frauenbefreiung fragt. So wird der Zusammenhang zwischen Privatem und Politischem (wie A. Meulenbelt ihn betont) auf eine eigentümliche Weise auseinandergerissen: die autonome Frauenbewegung kümmert sich um die privaten Angelegenheiten und die demokratische Frauenbewegung um die politischen (vgl. 140). Darauf, daß uns in der Krise neue Spaltungen drohen, weist A. Meulenbelt hin. Sie formuliert dies als Gefahr und Kritik nach 2 Seiten: als einen voreiligen Rückgriff auf die alten Analysen der Linken, betreffend Wirtschaft, Arbeitsplätze und soziale Errungenschaften und damit Deklaration der Frauenbewegungsthemen als Luxus und Privatangelegenheiten und als eine Tendenz der Frauen, sich in eine feministische Subkultur zurückzuziehen, »in das schöne, warme schwesterliche Nest. So droht die Verbindung zwischen dem Persönlichen und dem Politischen wieder verloren zu gehen.« (11) Damit spricht sich A. Meulenbelt gegen eine Hierarchisierung der Kämpfe aus, bei der der wirtschaftliche Kampf an erster Stelle kommt und andere Frauenbewegungsthemen zurückgestellt werden.

B. Sichtermanns Ausgangspunkt ist ebenfalls der Anspruch, daß das Private politisch sei. »Kein Wunder. Für Frauen ist der Privatbereich immer noch deshalb unmittelbar Politikum, weil er sie nicht entlassen will, weil sie die Zuständigkeit für ihn nicht loswerden.« (1983, 8) Die politische Diskussion um das Private gehörte zu den größten Erfolgen der Frauenbewegung. Ihrer Meinung nach steckt die Frauenbewegung in folgendem Dilemma: als erfolgreiche Bewegung sei sie anerkannt. Die Zahl ihrer ernstzunehmenden Gegner schrumpfte damit, zugleich aber auch »die Chance, die eigenen Ideen und Utopien an einer intelligenten Anti-Kritik zu überprüfen.« (9) Wenn wir uns an keinem »Feind« mehr abarbeiten könnten, so müßten wir mit Selbstkritik an die Öffentlichkeit gehen.
Ich bezweifle B. Sichtermanns Annahme, daß wir uns bislang nur an einem außenstehenden Feind abgearbeitet hätten. Sie legt damit die Auffassung nahe, daß die Frauenbewegung homogen sei und negiert die Versuche der Frauen, selbst Kritik zu üben.
Einen solchen Versuch, von »innen« heraus neue Themen und Herangehensweisen zu probieren sehe ich bei A. Meulenbelt in ihrem zweiten Aufsatzband Weiter als die Wut (1983). Sie schlägt bereits im Vorwort zu Feminismus vor: Ich würde jetzt zum Beispiel nicht mehr sagen, die Familie gibt es, weil das Kapital es so will. Denn die Familie existiert auch, weil die Menschen es selbst so wollen (...) Unterdrückung besteht nicht allein aus dem Zwang, sondern auch aus der Verlockung. Verinnerlichte Unterdrückung macht uns beeinflußbarer...« (Meulenbelt 1982, 10) In Weiter als die Wut sieht A. Meulenbelt die Frauenbewegung in einer 3. Phase, die sie »Kreativität und Beständigkeit« nennt und die auf die Phase des Opferdaseins und die der Wut folgte. Die Frauenbewegung heute sei weniger aggressiv als in der Anfangsphase. Sie fragt, ob dies ein Rückfall, ob die Frauenbewegung tot sei? Sie verneint dies und bezeichnet die 3. Phase als Schritt nach vorn. Es müsse jetzt um ein neues Verständnis nicht um Beschuldigungen gehen (5). Verständnis heißt für sie: »tiefer nach den Ursachen von Unterdrückung suchen« (5). Sie fordert dabei die Suche nach den eigenen Einverständnissen mit Unterdrückung. Damit plädiert sie für die Aufgabe des jahrelang geführten Opfer-Diskurses in der Frauenbewegung. Ein Versuch, der auch in der Bundesrepublik unter dem Slogan »Frauen: Opfer oder Täter« diskutiert wird.
Auf diese Diskussion rekurriert auch L. Doormann in ihrem Interview mit Anja Meulenbelt:
»L.D.: Bei uns wird neuerdings darüber diskutiert, ob Frauen Opfer oder Täter ihrer Unterdrückung seien ...
AM.: Ich halte die Alternative, ob Frauen Opfer oder Täter sind für unsinnig. Es geht um beides ...« (in: Doormann 1983, 121, vgl. auch 188ff.) Warum gibt es diesen internationalen Gedanken der Selbsttätigkeit von Frauen bei ihrer Einordnung in Herrschaftsverhältnisse zu diesem Zeitpunkt? Der Versuch, aus dem handlungsunfähig machenden Anklagen herauszukommen setzt seinen produktiven Stachel durch den Bau von plakativen Dualismen wie »Opfer oder Täter« (Haug, F, in: Argument-Studienheft Nr. 46) oder »Zwang und Verlockung« (A. Meulenbelt). Die Entgegensetzung einer von »außen« oder von »innen« kommenden Unterdrückung spiegelt den jahrelangen Streit der Frauenbewegung um die Annahme, was denn die Frauenfrage sein soll, wider.

Von Frauenfragen und Spaltungen —
Welche Einheit für die Frauenbewegung?

Was wird von den Autorinnen als die drängende Frauenfrage begriffen? L. Doormann sieht als Hauptproblem die Herausforderung durch konservative und reaktionäre Kräfte. Die Frauenfrage heute bedeutet: »Zurückdrängung der Frauen aus Beruf und Öffentlichkeit... Rückverlegung sozialer Dienste in den Privatbereich, das heißt, in kostenlose Frauenhand.« (1983, 135) Sie bekämpft auch die »neue Mütterlichkeitsideologie« und die Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne. »Solche Ansätze ... lassen sich umstandslos in die reaktionären familienpolitischen Konzepte der CDU/ CSU integrieren ... und schwächen den Abwehrkampf in der Krise« (1983,136). Dem gemeinsamen Kampf gegen Sozialabbau stünden ebenso die Anti-Institutionalisierungshaltung in der feministischen Frauenbewegung hemmend gegenüber. Die Vorbehalte der Frauen gegenüber »gesellschaftlichen Kindereinrichtungen« spielten der CDU in die Hände, die so um so leichter ihren angestrebten »Abbau des Staates« im Sozialbereich durchsetzen könnte. Die feministische Frauenbewegung werde so zur »leichten Beute« für CDU/CSU. L. Doormann fordert, daß wir Täter der Politik werden, die über uns entscheidet.
Ich stimme ihr zu in der Einschätzung, daß die Politik der Rechten unser Frauenleben eher verschlechtert denn voranbringt; jedoch verhindert diese einfache Annahme, genau nach Differenzen zu suchen. Ähnlichkeiten in Forderungen von CDU/CSU und Teilen der Frauenbewegung bedeuten nicht zwangsläufig, daß deren Ziele auch gleich sind. Den Versuchen der Frauen, die eigenen Belange auch in die eigenen Hände zu nehmen (was auch bedeutet, Kompetenzen nicht nur beim Staat zu belassen) kann sie so nur diffamierend und ausgrenzend begegnen.
B. Sichtermann schreibt zum Thema Sexualität (dem »ganzen Privatem«). Ihr Anspruch ist, alte Auffassungen innerhalb der Frauenbewegung zu überprüfen und Versuche zu starten, »die Liebe zwischen den Geschlechtern und die Lust auf Kinder zu verteidigen, ohne den Feminismus preiszugeben« (Klappentext). Das ermöglicht ein produktives Vorgehen. Emanzipation und Verständigung mit dem Mann sowie eine selbständige Frau mit Kind schien in der Frauenbewegung lange unmöglich. Nach der Phase, in der wir uns nur aufeinander bezogen haben, folglich in unseren Entwürfen Kinder und Männer auch keinen Platz hatten, schlägt sie vor, noch einmal an den Anfang zurückzugehen und kritisch zu überprüfen, was daraus geworden ist, und was wir uns u.U. auch »angetan« haben. Wie leben wir denn unseren Kinderwunsch, ohne das »konventionelle Küchenglück« (9) als Perspektive mit einzuhandeln und ohne die auch kritisierbare »Neue Mütterlichkeit« zu leben? B. Sichtermann versucht, die Themen der Frauenbewegung wie Sexualität, Körper, Orgasmus, Kinderwunsch, Schönheit u.a. neu zu verhandeln. Ihre Gegenentwürfe sind darauf gerichtet, die Trennungen zwischen den Geschlechtern, in denen die Herrschaft liege, aufzuheben. Am Beispiel der »Schönheit« schlägt sie folgendes vor: die Praxis der FB, einen Boykott der Schönheitsnormen anzustreben erklärt sie als zum Scheitern verurteilt, »weil unser aller Bedürfnis nach Erquickung durch den Anblick einer schönen Gestalt zu tief sitzt.« (56) »Die Frauen kommen vielleicht in ihrer Emanzipation weiter voran, wenn sie ihren Traum von der schönen Gestalt auch als Betrachterinnen des anderen Geschlechts zu verwirklichen suchten ... Und die Männer gewönnen vieles, wenn sie von Narziß lernten.« »Zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Betrachter und Gegenstand, zwischen Genießendem und Spendenden fielen die Schranken des Geschlechts.« (ebd.) Bei solchen unbefriedigenden Lösungsversuchen setzt sie aber den Stachel, es genauer wissen zu wollen: Was ist Schönheit, wie hat sie sich gesellschaftlich und historisch verändert? Ist es nicht vielleicht notwendiger an den Bildern zu arbeiten, anstatt Bilder für beide Geschlechter zu entwerfen, um die Schönheit »allgemein« (?) werden zu lassen? Wie ist der Zusammenhang zwischen biologischem und sozialen Geschlecht?
Der Vereinseitigung der Kämpfe im Privaten — wie B. Sichtermann sie aufzeigt — und der Kämpfe gegen staatliche Politik — wie L. Doormann vorschlägt, versucht A. Meulenbelt mit ihrem Vorschlag der Doppelstrategie zu entgehen. Sie betont die Notwendigkeit der Frauenkämpfe von jedem Ort aus. Den Nutzen von Gesprächs-/Selbsthilfegruppen zur Verarbeitung schmerzhafter Erfahrungen und zur »Wiedererlangung der Klarheit im Denken« (sog. Co-Counselling, s. Meulenbelt 1983, 10) sieht sie ebenso wie den der politischen Frauenarbeit z.B. innerhalb der Gewerkschaften.
Im Kapitel »Über Probleme von Frauen in Gewerkschaften« (109ff.) zeigt sie auf, welche Instanzenwege Frauen in den Gewerkschaften gehen müssen, welche Kompromisse, welche Zugeständnisse und Umwege in Kauf genommen werden, um überhaupt etwas zu erreichen. Als Strategie schlägt sie vor, darauf hinzuarbeiten, daß auch Männer die »Vergünstigungen« (Arbeitsschutz, Teilzeitarbeit ...) für sich in Anspruch nehmen, damit diese für die Frauen nicht immer zum Nachteil geraten. Die besonderen Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen, z.B. das Nachtarbeitsverbot, schränke die Verwertbarkeit der weiblichen Arbeitskraft ein und bewirke, daß Frauen weniger konkurrenzfähig auf dem Arbeitsmarkt seien und Männer in der Höhe des Lohnes und bei Einstellungen bevorzugt werden. Unterliegen Männer ebenso diesen Schutzbestimmungen, so könnten diese nicht mehr als Legitimation für die Benachteiligung des weiblichen Geschlechts benutzt werden. Es sei Aufgabe der Frauen in Gewerkschaften, den Männern zu verdeutlichen, daß die Stellung der Frau eine andere ist und herkömmliche Strategien und Kampfmittel zur Veränderung der Frauenunterdrückung nicht ausreichten. Gewerkschaftliche Kampfmittel griffen nicht bei Arbeitsproblemen die mit der Familiensituation zusammenhängen: z.B. wirke der Streik zu Hause absurd. Ob allerdings überhaupt etwas erreicht werden könne, hinge vom Wohlwollen und der Einsicht der männlichen Gewerkschafter ab. »Und um Wohlwollen und Einsicht ist es schlecht bestellt.« (121) Sie betont, daß wir zur Veränderung der Situation der Frauen im Arbeitsbereich nicht an den Gewerkschaften vorbeigehen können, daß wir überhaupt am wirkungsvollsten von innen heraus verändern könnten. »Dieselben Gründe, die es uns so schwer machen, in den Gewerkschaften zu arbeiten, sind genau die Gründe zu bleiben.«
Meulenbelt verficht die »Doppelstrategie«, um den Zusammenhang zwischen dem Privaten und dem Politischen herzustellen. Diesen Zusammenhang legt sie sich gleichzeitig als einen zwischen Kapitalismus und Patriarchat zurecht: Kernstück der feministischen Analyse müsse die Hausarbeit sein, ohne die der Kapitalismus nicht existieren könne. Mit der Industrialisierung seien die Geschlechter in die Ernährer (= Männer) und in Hausfrauen getrennt worden. Der Kapitalismus habe das »Patriarchat der Ernährer« geschaffen. Die damit geschaffenen Familienverhältnisse würden wiederum das ihrige zur Befriedung der kapitalistischen Gesellschaft beitragen (vgl. 221). Der Feminismus müsse daher zentral gegen die Familienverhältnisse rebellieren. Sie streitet dafür, die Mann-Frau-Verhältnisse nicht als Privatsache, sondern — wegen der Trennung der gesellschaftlichen Bereiche in öffentlich und privat — als Teil der Produktionsverhältnisse zu begreifen. Diese Aussagen gehören in den Kontext ihrer Bemühungen, zwischen Sozialismus und Feminismus zu vermitteln. »Eine linke Bewegung mit revolutionären Ansprüchen kann dann auch nicht umhin, über ihr eigenes Bewußtsein nachzudenken, und zwar nicht nur in Begriffen des 'richtigen Klassenbewußtseins', sondern auch in denen des 'richtigen Geschlechterbewußtseins'.« (104) Es sei zwingend für die sozialistischen Bewegungen, sich mit dem Mann-Frau-Verhältnis zu beschäftigen. »Feminismus und Sozialismus widersprechen einander nicht.« (222) Für mich gibt dieser Satz auch eine politische Perspektive an: Daß der Feminismus nicht ohne Sozialismus denkbar ist und umgekehrt. Daß sie bei dem Ziel, diese Perspektive bauen zu wollen, nicht zugleich nach den Trennungen und dem Warum der Trennungen zwischen Sozialismus und Feminismus — die schließlich der Verwirklichung behindernd entgegenstehen — fragt, ist m.E. problematisch. Dies deshalb, weil sie selbst an anderen Stellen Hinweise darauf gibt, daß zwischen Männern und Frauen verschiedene Interessen bestehen, daß Männer ihre Männlichkeit aus Überlegenheit kultivieren, und daran festhalten, weil es ihnen reale Vorteile bringt und Frauen sich dieser Überlegenheit unterordnen.
Weiterbringend finde ich auch ihr Nachdenken über das Verhältnis der Frauen zur Parteipolitik (was sie am Beispiel der Frauen in der niederländischen sozialdemokratischen Partei macht, die ihrer Schilderung nach eine starke Position haben): »Die Politik braucht nicht 'mehr Frauen', wie ab und zu gesagt wird, sondern wir Frauen brauchen die (parlamentarische) Politik.« (235) Als Probleme mit parlamentarischer Politik benennt sie die »Saugkraft der Parteiloyalität« und das »Abziehen von wichtigen Kräften« aus der Bewegung. Sie drängt darauf, daß feministische Vertreterinnen in Parteien unbedingt eine feministische Basis brauchten, damit gemeinsam überlegt werden könne, was ein bestimmter Posten in diesem Moment bringe und ob die vorgesehene Frau nicht dringender irgendwo anders gebraucht würde. Sie schlägt also im Umgang mit Parteipolitik ein kollektives eher basis-demokratisches Vorgehen vor, als Kontrolle und notwendige Unterstützung. Stärke der Frauenbewegung sei die Macht, »an vielen Orten gleichzeitig an die Arbeit gehen zu können« (240).
Bei B. Sichtermann wie bei Meulenbelt finde ich Überlegungen, die darauf abzielen, wieder bewußt mit Männern zusammenzuleben (d.h. mit ihnen zu arbeiten, zu lieben und zu kämpfen). Während ich B. Sichtermann so verstehe, daß sie damit gegen die Zerrissenheit innerhalb der Frauen, die für ihre Emanzipation kämpfen und zugleich Männer lieben, die u.U. ihre Feinde sein können — was sich als Widerspruch innerhalb der Personen abbildet — angehen will, verstehe ich A. Meulenbelt zweiseitig. Die eine Seite ähnelt der Auslegung B. Sichtermanns; zugleich macht sie strategische Vorstöße in männerdominierte Bereiche (wie parlamentarische Politik und Arbeiterbewegung). Zwei Prozesse seien ihrer Meinung nach notwendig: »Der eine ist die politische Aktion, der andere ist der Veränderungsprozeß der Menschen selber, die durch die Unterdrückung beschädigt worden sind, damit sie beim Durchführen politischer Aktionen schlagkräftiger werden.« (12)
Warum löst sie zwei Prozesse, die zusammengehören, in der Form der Zweigleisigkeit? Ihr Vorgehen lehrte mich, daß sich diese Trennungen spontan ergeben, folgt man einfach den Praxen der Frauen. Ist die Arbeit in Selbsterfahrungsgruppen i.d.R. wirklich »nur« darauf gerichtet, die Selbstveränderung der Frauen voranzutreiben und die »privaten« Probleme zu bearbeiten, so ist entgegengesetzt die Arbeit z.B. in den »Männerorganisationen« auf Eingriffe in den öffentlichen Bereich gerichtet, unter Auslassung »privater« Probleme. Dieses spontane Denken folgt dabei den Trennungen innerhalb der Gesellschaft. Die Trennungen selbst teilen uns noch einmal untereinander und zerreissen uns als Personen in einen öffentlichen und privaten Teil.
Die fünf Autorinnen von Schwesternstreit (1983) behandeln die Frage nach Spaltungen innerhalb der Frauenbewegung. In Schwesternstreit soll es um »Liebe und Haß, Solidarität und Verrat, Nähe und Konkurrenz« (Klappentext) gehen, es soll »von den heimlichen und unheimlichen Auseinandersetzungen von Frauen« (Untertitel) handeln. Betroffen durch ihre eigenen Erfahrungen »innerhalb« und »außerhalb« der Frauenbewegung, durch Ausgrenzungen, die ihnen selber widerfuhren, die sie selber vornahmen, fordern sie uns auf, die Verschiedenheiten genauso ernst zu nehmen wie die Gemeinsamkeiten.
Gestritten werden soll gegen die wechselseitigen Ausgrenzungen der verschiedenen »Fraktionierungen« der Frauenbewegung, der »Heterofrauen« gegen die Lesben, der sich beruflich emanzipierenden Frauen gegen die Aussteigerinnen/Alternativen und Hausfrauen, der außerhalb von Institutionen gegen die innerhalb arbeitenden Frauen, der Mütter gegen die Nichtmütter etc. »Frauen laßt uns unseren Differenzen Raum geben, damit wir lernen, unsere Verschiedenheit zu genießen.« (7) Warum sind wir Frauen so? Gegenüber der männlichen Selbstherrlichkeit seien die in dieser Gesellschaft den Frauen angebotenen Identitäten »geborgte« Identitäten, »Anhängselidentitäten« (vgl. 19). »An Stelle eines positiven Selbstbewußtseins tritt ein verdrehtes Einklagen der verweigerten gesellschaftlichen Anerkennung über die destruktive Fähigkeit, anderen die Verletzung, Verunsicherung und Verweigerung weiterzugeben, die frau selbst abgekriegt hat. Keine soll es «besser» haben.« (21)
»Die gesellschaftliche Wirklichkeit und die Zähigkeit patriarchalischer Macht sind eine harte Nuß — wir mußten viele Niederlagen einstecken, auch wenn wir hin und wieder etwas erreicht haben ... Wir haben uns nicht nur lieben gelernt, wir leiden auch aneinander, bekämpfen uns, führen Grabenkriege ... «Frauen gemeinsam sind stark» — dies war der Slogan der Aufbruchphase bis hin zu dem Satz «Frauen gemeinsam sind unerträglich», dazu kam noch die Warnung aus den eigenen Reihen «Sisterhood ist powerful, it can kill you» — auf uns selbst angewandt sind diese Sätze auch Ausdruck der bitteren Seite der Erfahrung, die wir miteinander machen.« (65)
Die von den Autorinnen angebotenen Erklärungen für die Ursachen von Spaltungen machten mich unwillig. Gegen ein anonymes patriarchalisches System sehe ich keine Eingriffspunkte. Die als Erkenntnisberichte gehaltenen Abbildungsweisen individualisieren uns, z.B. wenn sich die Hausfrau als »kuchenfressendes Pelztier« (62) von den berufstätigen Frauen diffamiert auf sich selbst zurückgeworfen sieht. Gesellschaftliche Konflikte, wie die Trennung zwischen privat und öffentlich, die Hausfrau und Berufstätige produzieren, werden als Ehekonflikte verhandelt. Nahegelegt ist die Suche nach individuellen Lösungen, was mir besonders eigentümlich erscheint, da die Frauenbewegung überwiegend in Gruppen und Kollektiven organisiert ist. Warum sollten wir uns dann nicht auch zu der von uns gebauten Struktur dieser Kollektive und Gruppen verhalten, die diese Verletzlichkeiten untereinander zuläßt? Und weiter: Streiten wir Frauen nicht um Inhalte und streiten wir nicht auch um/mit Personen, weil es uns eben nicht egal ist, was sie tun? Streiten wir nicht um Strategien, Organisationsformen und Lebensweisen? Geht es nicht um die Durchsetzung von Interessen? Wollen wir nicht auch, daß wir was aus uns und mit uns machen? Eine Forderung nach Anerkennung der Verschiedenheiten — ohne die Frage nach Inhalten/Interessen mitzustellen — ist die einer Harmonie an-sich. Sie vergißt, daß wir z.T. wirklich Sich-Ausschließendes wollen, unterschiedliches, Sich-Nicht-In-Eins-Fügendes anstreben und leben. Die Aufforderung, »leidenschaftlich« für die Unterschiede zu kämpfen und nicht »dem Wunsch nach stromlinienförmiger Gefälligkeit auf(zu)sitzen«, um uns nicht auf »uns selbst« reduzieren zu müssen (74), übersetze ich in die Aufforderung »leidenschaftlich« unsere Interessen und Wünsche vertreten zu wollen — wir werden uns dabei gegenseitige Korrektur (nicht Vorschlaghammer) sein müssen.
Gegen das Anliegen in »Schwesternstreit«, alles auf einmal und ohne Ausschluß zu fordern, wendet sich Doormann. Ihrer Meinung nach müsse die Trennung zwischen dem Privaten und Politischen (was bei ihr bedeutet die Trennung zwischen der autonomen und der demokratischen Frauenbewegung) überwunden werden, um so einheitlich wie möglich vorzugehen.
»Es muß uns gelingen, solche Ansatzpunkte für eine Zusammenarbeit innerhalb der Frauenbewegung zu finden, bei denen der kleinste gemeinsame Nenner objektiv die kapitalistisch-patriarchalischen Herrschaftsverhältnisse und deren Krisenmanagement in Frage stellt.« (Doormann 1983, 140) Gemeinsamkeiten zu betonen und Unterschiede zurückzustellen gelang ihrer Meinung nach in folgenden Punkten:

  • »der Kampfansage der Rechten an den reformierten § 218,
  • der Kanzlerkandidatur F.J. Strauß,
  • der Forderung nach Einbeziehung der Frauen in die Bundeswehr und Nato-Raketenbeschluß,
  • dem Aufschwung der Internationalen Frauentage ...« (134)

Die Frauen sollen beim Aufbau eines starken linken Bündnisses Vermittlerinnen sein. Die Frauenbewegung habe eine zentrale Bedeutung für das Zusammenrücken neuer sozialer Bewegungen und der traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung, z.B. in der »Initiative Frauen in die Bundeswehr? Wir sagen Nein!« (vgl. 141) Doormann will somit eine Einheit der Frauenbewegung auf Minimalkonsens.
Ich denke, daß wir uns den nicht erlauben können. Der Verlust, bei der Reduktion von Frauenfragen auf nur einen klitzekleinen Teil erscheint mir zu hoch. Wenn sich die Frauenunterdrückung auf so vielfältige Weise zeigt, brauchen wir auch vielfältige Formen des Kampfes.
Auch B. Sichtermann kreist um die Frage der Spaltungen innerhalb der Frauenbewegung. Der Grund dafür liegt ihrer Meinung nach in dem immanenten Zwiespalt der Frauenbewegung, zugleich das Gleiche und das Andere zu fordern. Am Beispiel der »Weiblichkeit« zeigt sie, wie zugleich die Forderung nach Gleichheit angemessen ist, da die Frauenbewegung eine Antidiskriminierungsbewegung ist. Ebenso möglich ist die Herausstreichung des spezifisch Weiblichen (vgl. 102). Womit wir umzugehen hätten sei ein Zugleich an Identität und Polarität. »Es widerstrebt mir, auf den Streit zu schimpfen. Es scheint vernünftig zu sein, die ganze Kontroverse wie einen Schuß in den Ofen zu behandeln: wir brauchen nun mal beide Zugriffe, den pragmatischen und den utopischen, den politischen und den ästhetischen, den der Gleichheit und den, der auf Verschiedenheit bestehe.« (105)
Von den Problemen, die A. Meulenbelt (1982) bei der Entwicklung des Feministisch-Sozialistischen Forums (konzipiert als Dachverband aller Feministinnen und Sozialistinnen in den Niederlanden) schildert, können wir ebenso lernen. Sie zeigt auf, daß die Versuche über einheitliche Ausgangspunkte Übereinstimmung zu erlangen zu Spaltungen führten (245ff.), und daß die gemachte Forderungspolitik keine Mobilisierungskraft hatte. Die endlosen Streits um die Benennung des Hauptgegners führt sie als ausgesprochen fruchtlos und problematisch an den Punkten vor, wo eine Unterdrückungsursache einer anderen untergeordnet werden sollte. Ihre Haltung in diesen »Richtungskämpfen« finde ich nachahmenswert: sie sieht diese als spannende Phase in der Frauenbewegung, der wir nicht mit Abscheu den Rücken kehren sollten. Sie macht den Vorschlag, dies als Versuche zu begreifen, sich aufeinander mit den spezifischen Organisationserfahrungen zu beziehen. Wir sollten uns diesen sich widersprechenden politischen Kampfkulturen stellen, sie durchsichtig zu machen versuchen (265). Das heißt, daß wir versuchen sollten uns bewußt zueinander zu verhalten, ohne auf unsere Vielfalt zu verzichten. A. Meulenbelt pocht immer wieder auf diese Vielgleisigkeit und streitet gegen einen »Hang« der Frauenbewegung zu vereinheitlichen, was nicht zu vereinheitlichen sei. D.h. sie sieht die Einheit nicht als Vereinheitlichung der Themen und Vorgehensweisen. Auch nicht darin, daß wir uns auf einen Kampfort beschränken.
Wenn die Einheit der Frauenbewegung keine Reduktion sein kann, so muß sie als Einheit in der Vielfalt gebaut werden. Die Vielfalt als Einheit zu konzipieren klingt wie ein Paradox. Können wir überhaupt noch von Einheit sprechen? Hat dieser Begriff nicht das Problem in sich, daß immer an Vereinheitlichung gedacht wird?
Wenn es die eine Frage für uns Frauen als gemeinsame 3. Sache nicht gibt, was kann es dann sein, was uns verbindet? Der Vorschlag des Aufsatzes »Geschlechterverhältnisse« (in diesem Band) geht dahin, für die Vielfalt der Frauenbewegung eine gemeinsame politische Form zu suchen. Wir werden bei der Verwirklichung dieses Vorschlages eine experimentelle Haltung brauchen: Wir sprechen davon, daß die Frauenbewegung eine kulturrevolutionäre Bewegung ist, daß ihre Stärke in der Vielfalt der unterschiedlich gebauten Kulturen liegt. Was verändern wir durch eine politische Zusammenbindung dieser unterschiedlichen Kulturen. Werden unsere kulturellen Praxen die »Einheit der politischen Form« aushalten, gestärkt werden oder brechen?
Probieren wir es aus!

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