Wir konnten zeigen, daß sich die sozialistische Frauenbewegung und der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung in wesentlichen theoretischen Ausgangspositionen entsprechen. In beiden wird die naturrechtliche Behauptung der vollständigen Gleichheit und Ebenbürtigkeit der Geschlechter zum Ausgangspunkt der Emanzipationsansprüche und Forderungen gemacht. Auch in der Bewertung der Berufstätigkeit existieren keine relevanten Unterschiede, wobei allerdings die sozialistische Bewegung — analog zu der in der Partei vertretenen Revolutionstheorie, nach der das revolutionäre Subjekt im Proletariat der großen Industrie gesehen wurde — sich auf die Industriearbeit bezog, während die radikalen Frauen die intellektuellen Berufe für sich erschließen wollten. Die Bewegungen nehmen damit aber auch Bezug auf die materielle Situation ihrer Trägerinnen.
Gemeinsam teilen sie weiterhin die Position, daß sich die Hausarbeit quasi automatisch mit der Entwicklung des ökonomisch-technischen Fortschritts erledigt. Damit muten beide den Frauen in der damaligen Situation Doppelt- und Dreifachbelastungen zu. Demgegenüber erschien den gemäßigten Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung die sozialistische und radikal-feministische Hoffnung auf den technischen Fortschritt, der die Frauen von der Hausarbeit befreien würde, nicht nur als illusionär, sondern auch als Verzicht auf ein Machtpotential. Mit dem Konzept der »organisierten Mütterlichkeit«, das die Vorstellungen eines sozialgewachsenen Unterschieds zwischen den Geschlechtern beinhaltete, versuchten sie die klassische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern insofern zu verändern, als sie für eine Vergesellschaftung von Familienarbeiten und deren Professionalisierung stritten. Diese professionalisierten Arbeiten sollten Sache der Frauen bleiben, sollten so beschaffen sein, daß sich Frauen nicht als minderwertig und unbemittelt vorkommen und einem männlich bestimmten Ideal nacheifern müssen. Als zentrale Institution, als Kristallisationspunkt der Andersartigkeit des weiblichen Geschlechts wurde dabei die biologische und soziale Mutterschaft von Frauen angesehen. Diese hohe Bewertung der Mutterschaft wird in verschiedenen Kritiken als Problem der bürgerlichen Frauenbewegung angesehen: Zum einen habe sie geholfen, die tradierte Frauen- und Mutterrolle zu festigen, indem sie es ermöglichte, »patriarchalische Empfindungen« mit einem tiefen Sinngehalt auszustatten und die Frauen auf diese Weise mit der ihnen zugeschriebenen Rolle zu versöhnen. Zum anderen habe aber auch diese j Haltung zur Mutterschaft und ihre hohe Bewertung Anknüpfungsmomente für faschistische Mütterlichkeitsideologien enthalten. In diesen! Schlußfolgerungen stecken viele Probleme und falsche Voraussetzungen.
Mütterlichkeit wurde von den Frauen des gemäßigten Flügels der Frauenbewegung überwiegend als sozial erlerntes Handlungsmuster begriffen. Demgegenüber knüpften faschistische Mütterlichkeitsideologien vor allen Dingen an eine biologistische Konzeption der Aufgaben der Frau an, um gesellschaftsverändernde Ansprüche und Potenzen von vornherein auszuschließen bzw. zu bannen. Außerdem ist der Begriff der »organisierten Mütterlichkeit« entstanden als »Kampfbegriff« des gemäßigten Flügels der Frauenbewegung. Er wurde kreiert in der Auseinandersetzung mit den Niederlagen der alten, liberalen Frauenbewegung, enthält also die Verarbeitung historischer Erfahrungen. Wenn überhaupt — so scheint es uns — ist es ein Problem der gesamten Frauenbewegung, also auch ihres radikalen und sozialistischen Hügels, konservative Inhalte des Emanzipationskonzepts nicht begriffen und bearbeitet zu haben und somit Anknüpfungspunkte für konservative bis hin zu faschistischen Ideologien geliefert zu haben. So konnten wir zeigen, daß die »Andersartigkeit« von Frauen — ihre besondere soziale und kulturelle Identität —, die in den theoretischen Positionen der sozialistischen Frauenbewegung und des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung vernachlässigt wurde, bei beiden unverdaut und »unbegriffen« wieder auftaucht.
Die Selbsthilfeorganisationen stellten damals wie heute ein Mittel zur Selbstvergesellschaftung von Frauen dar sowie eine Möglichkeit zur Vergesellschaftung von Tätigkeiten. Die sozialistische Frauenbewegung, insbesondere Clara Zetkin, lehnte sie anfänglich strikt mit der Begründung ab, daß in ihnen reformerische Sozialarbeit geleistet würde. Für die Sozialistinnen stellten sie nur individuelle Lösungsmöglichkeiten dar, während sie dagegen staatliche Maßnahmen und Einrichtungen für alle forderten. Innerhalb der sozialistischen Frauenbewegung war diese Haltung aber nicht unumstritten. So plädierte der reformistische Flügel für Selbsthilfeorganisationen. Lily Braun, eine führende Vertreterin dieses Flügels, machte sogar konkrete Vorschläge wie Gemeinschaftshäuser, Gemeinschaftsküchen usw. Clara Zetkin wies diese Vorhaben als unrealistisch zurück, da die Einrichtungen immer nur Hilfe für einige wenige sein könnten. Für sie gab es nur gesamtgesellschaftliche Lösungen, d.h. Vergesellschaftung konnte es nur im Sozialismus geben, die Selbstvergesellschaftung der Frauen mußte bzw. sollte auf diese Zeit verschoben werden. Unserer Meinung nach steckt hinter dieser rigorosen Ablehnung die Befürchtung, daß materielle Entlastungen die Frauen »bequemer« machen würden, sie den revolutionären Drang und Elan verlieren könnten; daß andererseits die Frauen aber selbstbewußter und damit kritischer würden und sich nicht mehr mühelos in die Reihe der Klassenkämpfer einordnen ließen. Clara Zetkin sah in der individuellen Verbesserung der Situation von Frauen nicht eine Chance für das Individuum, sondern primär eine Gefahr für die Klasse, eine Schwächung der Kampfkraft (siehe Gebärstreikdebatte). Eine Stärkung der Individualität war hier gleich bedeutend mit individualistisch und somit egoistisch. Diese Position konnte sich aber auf Dauer nicht in der proletarischen Frauenbewegung durchsetzen lassen. Luise Zietz und andere Frauen des radikalen Flügels, dem auch Clara Zetkin angehörte, mußten sich dem Druck der Parteimitglieder beugen und setzten sich für Selbsthilfeorganisationen ein.
Die Gemäßigten der bürgerlichen Frauenbewegung lehnten zwar Selbsthilfeorganisationen nicht grundsätzlich ab, forderten aber staatliche Beteiligung bzw. Unterstützung. Sie wollten damit eine staatliche Anerkennung erreichen. Die Radikalen dagegen lehnten staatliche Eingriffe strikt ab. Sie fürchteten die staatliche Reglementierung und Kontrolle und sahen darin ihre Unabhängigkeit bedroht.
Die offizielle und von Zetkin formulierte wie durchgesetzte Politik war von der Einschätzung getragen, daß Frauen wie Männer und mit Männern die Machtfrage stellen müßten.
Wir denken, daß darauf die Überzeugung beruht, die proletarische Frauenbewegung habe ein klares und zielsicheres Verhältnis zur Machtfrage gehabt und diese wichtige Problematik prinzipiell richtig gesehen. Richtig daran ist aber lediglich, daß die frühe Sozialdemokratie dieses tat. Die Frauen innerhalb der Sozialdemokratie haben sich in diesen Rahmen gefügt und keine eigenen Forderungen gestellt, weil sie die Überzeugung teilten, ihre Interessen seien identisch mit denen der Männer. Innerhalb der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen waren die Frauen eigentümlich bescheiden. Sie begnügten sich damit, parallele Extragremien und -ämter zu besetzen, die für Frauen und die Frauenfrage eingerichtet wurden. Entscheidendes Merkmal dieser Zusatzeinrichtungen war, daß sie lediglich beratende Kompetenz hatten und insofern auf die Güte und Gnade der Partei- und Gewerkschaftsvorstände angewiesen waren. Diese Regelung der Rest- oder Inkompetenz hat Clara Zetkin energisch vertreten und gegen ihre Widersacherinnen, z.B. gegenüber Lily Braun, durchgefochten. Um 1900 erfährt diese anläßlich einer Frauenkonferenz, daß deren Beschlüsse nur wirksam werden können, wenn der Parteivorstand sie absegnet. Sie läuft mit ihrem Protest auf, sie kann nichts mehr an der Einrichtung von »kontrollierter Eigenständigkeit« ändern. Die Haltung zur Machtfrage ist insofern in der proletarischen Frauenbewegung über die Anbindung der Frauengremien an die Organisation der Arbeiterbewegung definiert. Frauen stellen nicht als Frauen, sondern als Anhängsel Ansprüche an entscheidende gesellschaftliche Institutionen. Sie thematisieren in der Politik nicht mehr das Geschlechterverhältnis — weder das »kleine« noch das »große«. Dies wird sozusagen in seiner traditionellen Form aus dem Alltag in die Politik übertragen: Die Männer als die Stärkeren, als die schützenden und sorgenden Väter — aber auch als die vorpreschenden Kämpfer! —, erhalten von den Frauen das Mandat, die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen auszutragen. Proletarische Frauen stellen die Machtfrage nur vermittelt, über Umwege über Gewerkschaft und Partei. Dieses Zugeständnis müssen sie machen, um überhaupt akzeptiert zu werden. Das kostet seinen Preis.
Die Abschaffung der Ungleichheiten und Diskriminierungen, die Frauen ertragen müssen gegenüber den relativen Privilegien der Männer, wird auf morgen und übermorgen verschoben. Bis zur Revolution sollen sie stillhalten und den Prozeß, in dem die Reihen breiter und fester gefügt werden, gefälligst nicht stören. So verhalten sie sich denn auch.
Von der bürgerlichen Frauenbewegung wird berichtet, sie hätte gegenüber den gesellschaftlichen Institutionen, die mit Macht und Entscheidungsbefugnis ausgestattet seien, »vornehme Enthaltsamkeit« geübt und keinerlei definitive Haltung dazu eingenommen. Sie habe zwar über ihre Organisationen auf dem Gebiet der Frauenbildung und Verberuflichung von Frauentätigkeiten einiges erreicht, aber diese Orientierungen und Zielsetzungen seien nicht in und gegen die bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnisse von Staat und Gesellschaft eingebracht worden. — Auch solche populären Auffassungen sind zu erschüttern, zu differenzieren und zu modifizieren, denn: Macht und Herrschaft wurden von der bürgerlichen Frauenbewegung durchweg als »männliche Prinzipien« identifiziert. Alle Organisationen und Institutionen, die an der Ausübung herrschaftlicher Funktionen beteiligt waren oder von dieser profitierten, wurden als Instrumente eingestuft, die dem System der Privilegiensicherung für Männer zuzuordnen seien. Parteien und staatliche Organisationen galten den bürgerlichen Frauen als Herde männlicher Kultur und Überheblichkeit, als Garanten von gesellschaftlichen Vorteilen und männlicher Geschlechterdominanz. Diese lehnten sie ab, in diese wollten sie sich nicht fügen. Sie fürchteten, daß die »weibliche Wesensart« durch eine »allgemeine Käuflichkeit« ihrer Arbeitskraft zerstört werden könnte. Eine generelle weibliche Erwerbstätigkeit und -fähigkeit wurde von ihnen nicht angestrebt. Sie wollten berufliche Möglichkeiten für Frauen eröffnen, diese aber gleichzeitig vor dem Verschleiß in unmenschlichen Arbeitsbereichen schützen. Sie schafften also Berufsfelder, die der weiblichen Regenerations-Tätigkeit, ihrer spezifischen Wesensentfaltung und -äußerung entsprachen, um ihr so gesellschaftliche Geltung zu verschaffen. (Daß sie eine kritische Neu-und Umdefinition des Verständnisses von »Weiblichkeit« als gesellschaftlicher/nicht-biologischer Kategorie vornahmen, haben wir oben dargelegt.)
Trotz grundsätzlicher Kritik und Ablehnung, die Teile der bürgerlichen Frauenbewegung, insbesondere die radikal-feministischen Strömungen, den traditionellen gesellschaftlichen Institutionen entgegenbrachten, versuchten sie auch für bestimmte Forderungen (§218 Sexualreform/Stimmrecht/Frieden) eine Zusammenarbeit herzustellen. Der Dialog, der punktuell geführt wurde, bestand aus — schnell versandenden — Appellen an liberale bzw. konservative Kräfte und — häufiger erfolgreichen — Vorstößen in die Richtung aufgeschlossener sozialistischer Demokraten. Das eigentliche Gewicht ihrer politischen Arbeit lag bei der bürgerlichen Frauenbewegung aber in den eigenen Reihen. Sie bevorzugten eine eigenständige Willensbildung und autonome Verständigungsprozesse, um ihre Prinzipien nicht zu verwässern, zu vermännlichen. Sie wollten garantieren, daß die Besonderheiten speziell weiblicher Interessen tragfähig und durchsetzungsbereit präsentiert würden. Sie sahen dieses Anliegen bedroht durch einen Eintritt in traditionelle Parteiorganisationen. In den vielfältigen Auseinandersetzungen, insbesondere mit der frühen Sozialdemokratie, scheint diese Befürchtung durch.
Aber auch die Versuche der bürgerlichen Frauenbewegung sind kläglich gescheitert: Ihre Professionalisierungsanstrengungen hinsichtlich der sozialen und erzieherischen Tätigkeiten mündeten eher in eine Verfestigung, denn Relativierung oder gar Aufhebung traditioneller Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau. Daß ihre Verberuflichungsbestrebungen so vereinnahmt werden konnten, wie es geschehen ist, zeigt, daß die gesellschaftliche Anerkennung und der politische Einfluß der Frauenarbeit als Regenerationsarbeit mitnichten gestiegen war. Wie konnte es dazu kommen? War der feministische Standpunkt noch zu ungefestigt, um in praktisches Handeln umgesetzt zu werden? Haben sie es an Skepsis und Vorsicht fehlen lassen, als sie das Zusammengehen mit traditionellen Organisationen probierten? Wie ist es dazu gekommen, daß sie — kaum an die Öffentlichkeit getreten — zersplittert, ohne ihre hehren Zielsetzungen und verloren dastanden?
Wir wissen immer sehr schnell, was wir nicht wollen: Keine Zu- und Unterordnung in Parteien und Gewerkschaften, die die Probleme des Geschlechterverhältnisses mit der Aufhebung des Klassenantagonismus — bis auf einen kleinen Rest — meinen erledigen zu können. Und: Keine Politik des Appells, der Bittstellerei und des Werbens um Einsicht bei den Schaltern und Waltern in Vorständen etc. Aber wie intervenieren Frauen heute machtvoll, ohne sich zu verleugnen? Wie festigen wir unsere feministischen Interessen und Zielsetzungen? Kann das autonom geschehen oder geraten wir so ins gesellschaftliche Abseits? Müssen wir nicht unsere Argumente, unsere Vorstellungen und Vorhaben in der Auseinandersetzung mit anderen, mit Gegnern, mit Männern entwickeln? Wovon hängt unsere Stärke ab? In welchem Stadium ist denn ein Zusammengehen mit traditionellen Organisationen, ein Eintreten in Institutionen funktional und fördernd für die Festigung und Verbreitung feministischer Positionen? Läßt sich solch eine Frage überhaupt vor und unabhängig von den je konkreten Politikinhalten und anvisierten Handlungsfeldern grundsätzlich beantworten? Sie läßt sich allenfalls einkreisen auf die wesentlichen Variablen: Wenn im gesellschaftlichen Umfeld mit quer durch alle Klassen und Schichten gültigen Privilegien für Männer feministische Positionen durchgesetzt werden sollen, bedeutet das Konkurrenz, Rangelei, Kampf und Streit auf allen Ebenen. Frauen können damit alleine beginnen. Sie halten aber nicht lange durch, wenn sie nicht in Kollektive eingebunden sind, die wiederum mit anderen zusammenhängen und so ein Netz von Verbindungen schaffen, das auf allen Ebenen — privat, gesellschaftlich, politisch — und für alle Bereiche Alternativen frauenspezifischer Art definiert. Damals waren die Auseinandersetzungen insofern weiter, als sie z.T. öffentlich ausgetragen wurden. Heute geschieht das nur sehr begrenzt. Mißtrauensposten lassen sich so nicht abbauen, Orientierungen für die Kleingruppenarbeit von Frauen werden nicht angeboten. Aber: Wie ist das zu schaffen angesichts der uns an allen Ecken und Enden einholenden Streite und Zwiste unter Frauen über Fraueninteressen? Sind wir nicht auf dem besten Wege, die Aus- und Abgrenzungsfehler der alten Frauenbewegung zu wiederholen?