Knorrig wie eine Eiche

Revolutionäre Kämpfer und Revolutionstheorie

Das Bild des Revolutionärs in der Arbeiterbewegung

Die Arbeiterbewegung ist eine kulturell männliche Bewegung. Ihre Symbole, Lieder, Bilder sind männlich. Was bleibt da für uns als Frauen zu tun? Sollen wir die Bilder stürmen, die Kultur verändern oder geht es um noch mehr?
Im folgenden versuche ich, einen Zusammenhang zwischen dem Bild des männlichen Revolutionärs und der Revolutionstheorie vorzuführen, um Möglichkeiten für unser Eingreifen heute herauszuarbeiten. Ich las verschiedene proletarische Romane aus der Arbeiterbewegung, sowohl russische, in denen die Kämpfe um die große sozialistische Oktoberrevolution und der Aufbau der sozialistischen Sowjetrepublik beschrieben werden, als auch einen Teil der sogenannten proletarischen Massenromane deutscher Arbeiterschriftsteller, die in den 20er Jahren in Millionenauflagen gedruckt, vertrieben und gelesen wurden. Die Schriftsteller dieser Romane gehören fast alle dem 1928 gegründeten »Bund der proletarisch-revolutionären Schriftsteller« an. Sie verstanden sich als Teil der Arbeiterbewegung und begriffen ihr literarisches Schaffen als politische Arbeit, mit der sie die politischen Ziele der Arbeiterbewegung unterstützen wollten.
Ein wesentliches Merkmal dieser Literatur ist die Entwicklung und Beschreibung eines bestimmten und perspektivisch gedachten Kämpfertyps. Anhand von unterschiedlichen Zitaten lassen sich die Charakteristika des Revolutionärsbildes zusammenstellen, dabei finden sich Beschreibungen der sich bewegenden Arbeitermassen:
 

  • »Die Scharen, die vorwärts nach der Stadt drängten, sangen mit, junge und heisere Stimmen sangen es: «Wacht auf, Verdammte dieser Erde ...» Und in den Mienen dieser vorbeiziehenden Männer brannte der neue Mut und der Stolz, daß ihnen dieser Sieg nach den ungeheuren Mühen der vergangenen Tage gelungen war.« (Marchwitza 1979, 161)
    Die Feinde und politischen Gegner hatten Angst vor diesen »Schleppern« und »erschraken vor dieser singend vorwärtsstrebenden Masse« (ebd.). Der Kleinbürger bemerkt »mit Erschaudern, wie sich Kolonne auf Kolonne junger und graubärtiger Männer, in eigenartigsten Uniformierungen, alle mit Gewehren bewaffnet, durch Stoppenberg wälzten« (ebd., 171). »Diese elende Masse hatte die Gewalt in der Hand.« (ebd.)
  • »... starke, ältere und jüngere Gestalten« (Marchwitza, 226), »eigenartige, ja verwegene Arbeitertypen ... Meist untersetzte, harte Gestalten mit oft geschwärzten Händen und ebensolchen Gesichtern, aus denen das Weiße der Augen unheimlich herausleuchtete« (Grünberg 1974, 20).
  • »... gewaltige graue Züge der Berg- und Hüttenarbeiter, (die) den Platz erreichten, (und) ihn in ein einziges, mächtig brausendes Menschenmeer verwandelten.« (Grünberg 1974, 133).
  • »Arbeiterpatrouillen mit umgehängten Gewehren und roter Armbinde durchzogen die Straßen, zum nicht geringen Schrecken der Spießer ...« (ebd., 157)

Ich möchte nur einige Elemente herausstellen: Sehr deutlich wird, daß die revolutionären Kämpfer Männer und Arbeiter sind. Kraft und körperliche Stärke sind ihre wesentlichen Eigenschaften. Nicht einfach Gehen die revolutionären Massen, sie Drängen, Streben vorwärts, wälzen sich und wogen wie eine Naturgewalt daher. Die Einheitlichkeit der Massen scheint ihre Stärke auszumachen. Die Bewegung steht wie ein Mann und der einzelne Kämpfer steht für sie, was Beschreibungen der einzelnen Kämpfer belegen: So zum Beispiel, die Charakterisierung eines bolschewistischen Revolutionärs aus dem russischen Jugendroman »Wie der Stahl gehärtet wurde« (Ostrowskij 1948), der erstmals 1934 erschien: »Dieser großgewachsene, kräftige Mann, dessen graue von oben bis unten geschlossene Jacke sich über dem breiten, kräftigen Rücken spannte. Schultern und Kopf verbindet ein kräftiger Stiernacken, seine ganze Gestalt strotzt vor Kraft gleich einer knorrigen Eiche.« (Ostrowskij 1948, 37) Oder bei Hans Marchwitza in seinem Roman »Sturm auf Essen« der Revolutionär Zermack, er »war wie ein Berg, an den sich alle Schwankenden klammerten« (Marchwitza 1979, 75). Und schließlich bei Bredel in »Maschinenfabrik N + K« ein anderer revolutionärer Arbeiter. »Dort stand ein hünenhafter Arbeiter und wischte sich von der verschmutzten, öligen Hand Blut.« (Bredel 19823, 17)
Während die Stärke der einzelnen Revolutionäre deren körperlicher Wuchs ist, kommt die Stärke der Bewegung durch das nichtzersplitterte, das einheitliche Zusammengehen. Zum kräftigen Äußeren der revolutionären Kämpfer gehört auch ein bestimmtes »Inneres«. Zum gesunden starken Körper gesellen sich entsprechend Haltungen und Eigenschaften, die das Bild des Kämpfers erst vervollkommnen:

  • »Der Genosse gehörte sich nicht selbst, er mußte den anderen, den Schwächeren vorangehen, und dieses tat Gaida ohne zu murren.« (Marchwitza 1979, 212)

Der Revolutionär steht »für das Mutige, für die grenzenlose Standhaftigkeit, für diesen Typus eines Menschen der zu leiden versteht, ohne es überall zur Schau zu tragen. Für den Revolutionär tritt das Persönliche im Vergleich zur Sache der Allgemeinheit vollkommen in den Hintergrund« (Ostrowskij 1948, 375). Wichtig ist für den Revolutionär, »daß er die Tage des Kampfes nicht verschlafen hatte, daß er im eisernen Ringen um ein neues Leben seinen Mann gestanden, und daß auf dem purpurroten Banner der Revolution auch einige Blutstropfen von ihm waren« (ebd., 412). Und der erfahrene Revolutionär spricht zum heranwachsenden: »Ich werde Dir schon den richtigen Weg weisen, Bruderherz, weil ich weiß, daß aus Dir schon etwas werden wird. Duckmäuser und Schwächlinge kann ich nicht leiden. Jetzt ist auf der ganzen Erde ein Feuer ausgebrochen. Die Sklaven haben sich erhoben, und mit dem alten Leben wird Schluß gemacht. Aber dazu braucht man kühne Menschen keine Muttersöhnchen, man braucht Leute von starker Natur, die sich nicht vor dem Kampf wie die Schaben vor dem Licht in einen Winkel verkriechen, sondern unbarmherzig dreinschlagen.« (Ostrowskij 1948, 94). Der Revolutionär ist nicht nur körperlich stark, sondern verfügt über Mut und Seelenstärke — das Außen entspricht dem Innen. Deutlich wird eine solche angenommene Entsprechung vom Aussehen eines Menschen und seinen Taten auch in Aussprüchen wie, jemand sähe kämpferisch aus.
Schon in dieser kleinen Auswahl von literarischen Kämpferbeschreibungen gibt es Unterschiede. Im russischen Roman wird das härteste und strengste Bild eines Revolutionärs entworfen. Es gibt das Nichtvorhandensein von Spaß, Lust und Disziplinlosigkeit. Askese und strengste Disziplin sind bestimmend für das Bild des revolutionären Kämpfers. Mut und Entschlossenheit, aber auch eine nahezu grenzenlose Opferbereitschaft charakterisieren den Revolutionär. In den Romanen der deutschen Schriftsteller verliert das Kämpferbild etwas von seiner Diszipliniertheit und Härte. Zugleich hat der Schauplatz des Kampfes gewechselt. Die revolutionären Männer kämpfen in der Fabrik, am Arbeitsplatz. Sie bauen eine »rote Betriebszelle« auf, geben eine Zeitung heraus, in welcher sie betriebliche Mißstände veröffentlichen. Sie versuchen Mitkämpfer zu gewinnen. Ihr Kampf findet eher in alltäglichen Lebensbereichen statt.
Aus diesem kurzen und unvollständigen Vergleich der Revolutionärsbilder in den Romanen geht hervor, daß die Weise wie die revolutionären Kämpfer beschrieben werden, wesentlich davon bestimmt ist, welche Aufgaben als historisch notwendig zu lösen angesehen wurden und wie sich der revolutionäre Kampf vorgestellt wurde. In Rußland, unmittelbar während und nach der sozialistischen Revolution, waren dies andere Bedingungen als in Deutschland 1920, während und nach der Weimarer Republik.
Dieses Verhältnis zwischen Revolutionärsbild und jeweiliger historisch spezifischer Situation eines Landes, ließ den Literaturwissenschaftler Werner Mittenzwei folgende Aufgabenstellung formulieren: »... wirkliche Einsicht in die Wesenszüge einer revolutionären Gestalt ist nur zu erreichen, wenn man die konkreten Kampfbedingungen, die jeweilige historische Entwicklungsphase untersucht, in der eine solche Gestalt entstand« (Mittenzwei 1970, 921). Als nicht ausreichend schätzt er demzufolge die bloße Aufzählung der Merkmale und Kriterien ein, die das Bild des Revolutionärs in der sozialistisch-proletarischen Literatur kennzeichnen.
Helga Gallas und Helmuth Lethen (1966) zeigen in ihrem Aufsatz »Arbeiterdichtung — Proletarische Literatur, Eine historische Skizze« Entwicklungen bzw. Veränderungen in der proletarischen Literatur von der Zeit des ersten Weltkrieges bis 1933 auf. Sie stellen fest, daß es erhebliche Verschiebungen gegeben hat, sowohl in den Themen der Darstellungen als auch in den Verherrlichungen:

  • »Der «Heiligung des Krieges» als Naturphänomen folgte, gegen Kriegsende, die «Heiligung» einer «Brüderlichkeit», die nicht mehr mit einer an Befreiung orientierten Solidarität zu tun hat. In der stabileren Phase der Weimarer Republik folgte dann die «Heiligung der Arbeit» — auch sie Nachhall eines alten sozialdemokratischen Programms, das in der Arbeit den «Heiland der neuen Zeit» (Josef Dietzgen) begrüßte.« (Lethen/Gallas 1966, 156)

Als Zusatzgedanke taucht bei ihnen auf, daß sich in der Literatur der Arbeiterbewegung die politischen Kontroversen z.B. zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten fortsetzten und daß die Inhalte und Beschreibungen in den Romanen entscheidend davon beeinflußt waren.
Der DDR Literaturwissenschaftler Alfred Klein (1976) stellt in seiner Studie »Im Auftrag ihrer Klasse«, in der er ausführlich und umfangreich Weg und Leistung der deutschen Arbeiterschriftsteller zu erarbeiten versucht, einen Zusammenhang zwischen dem Bild des Revolutionärs und dem historischen Wandel vor. Vier historische Stufen von Revolutionären schlägt er vor: den Wegbereiter des proletarischen Klassenkampfes im 19. Jahrhundert, den Repräsentanten der proletarisch-revolutionären Antikriegsbewegung der Weimarer Zeit, den antifaschistischen Widerstandskämpfer und schließlich den Erbauer des ersten sozialistischen Staates (vgl. Klein 1976, 207f.) Diese von Klein angegebenen »Revolutionärstypen« belegen in groben Zügen einen Zusammenhang zwischen einem bestimmten Revolutionärsbild und einer Revolutionstheorie. In den von mir herangezogenen Romanen ist der Kämpfer starker, männlicher Proletarier, und der Kampf ist der der geeinten Arbeiter gegen den personifizierten dickbäuchigen, Zigarre rauchenden Kapitalisten.
Der russische Revolutionär hat außerordentlich schwierige Aufgaben zu bewältigen. Der Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaft wird immer wieder von kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen Zar-Anhängern und den Bolschewiki in der Phase des Kriegskommunismus erschwert und behindert. Rußland ist noch kaum industrialisiert, die Produktivkraftentwicklung ist kaum fortgeschritten. Neben den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen gibt es zudem ökonomische Schwierigkeiten, sowie regional und klimatisch bedingte Probleme beim Aufbau des Sozialismus. All diesen Anforderungen können fast nur Menschen mit »übermenschlichen« Kräften genügen und entgegentreten. Dieser »Übermensch« wurde in der Literatur entworfen, im Bild des disziplinierten russischen Arbeiterrevolutionärs.
Im Roman »Sturm auf Essen« von Hans Marchwitza (Marchwitza 1979) geht es ebenfalls um kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern einerseits und Soldaten des bürgerlichen Staates auf der anderen Seite. Revolution heißt hier: die Erringung der Macht im Staat für die Arbeiter durch auch gewaltsame Ersetzung des bürgerlichen Parlaments durch Arbeiter- und Soldatenräte. In Willi Bredels »Fabrikroman« ist die als unmittelbar revolutionär eingeschätzte Situation bereits vorbei. Die Arbeiterräte sind abgeschafft, und es regiert wieder ein bürgerliches Parlament. Der Kampf als Barrikadenschlacht wird abgelöst durch »Bewußtseinsarbeit« im Betrieb, durch erste gewerkschaftliche Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, höheren Löhnen, besseren Sozialleistungen. Veränderungen finden im Arbeitsalltag statt.
Im Rahmen der Erforschung des Verhältnisses zwischen Arbeiter- und Frauenbewegung interessierte mich insbesondere die Frage, wie Frauen in der proletarischen Literatur vorkommen und spezieller wie sie als Kämpferinnen dargestellt werden. Das bisher vorgestellte Kämpferbild zeichnet sich aus durch eine spezifische Männlichkeit, auch der revolutionäre Kampf wird dementsprechend als einer von Männern gedacht. Ich untersuchte in Auszügen die Darstellung der Frau in den Romanen.[4] Dabei fragte ich danach, ob es ein weibliches Revolutionärsbild gibt und welche Veränderungen es in der Darstellung des revolutionären Kampfes gibt, wenn die kämpfenden Subjekte Frauen sind.

Frauen in der proletarischen Literatur—Feminisierung des Kämpferbildes
Das Bild der Frau in den proletarischen Romanen ist selten das einer Kämpferin. Meistens sind die dargestellten Frauen Mütter der revolutionären Kämpfer, deren Ehefrauen oder Freundinnen. Sie selbst haben keinen direkten Bezug zum Kampf. Sie sitzen ängstlich zu Hause und warten, in der Hoffnung, daß ihre Söhne und Männer heil aus den kämpferischen Gefechten zurückkehren. Es gibt zwei typische Verhaltensweisen, entweder versuchen sie, ihre Männer von der Bewegung fernzuhalten, um den Familienernährer aus der Gefahr zu haben, oder sie sind stolz auf ihre Männer, stehen auch hinter der Arbeiterbefreiung und geben dem Kämpfer Rückendeckung im Heim. Die zuletzt beschriebenen Frauen treten manchmal aktiv in den Kampf ein, indem sie als Krankenschwestern (Therese bei Marchwitza) oder als Nachrichtenüberbringerin und Auskundschafterin (Dora bei Bredel) Aufgaben übernehmen. Jedoch gibt es auch andere Textstellen, in denen Frauen als Revolutionärinnen auftreten, z.B. bei F. Gladkow in »Zement« (1974). Dascha eine harte und kämpferische Revolutionärin kritisierte eine »weichgewordene« Freundin:

  • »Schämst du dich nicht, Liebe! Mit Tränen und Anfällen willst du deine Stärke beweisen? Du bist doch kein bürgerliches Fräulein, du bist Kommunistin. Wir müssen ein Herz von Stein haben und keinen Badeschwamm. Du hast dich verrannt, liebe Pol ja. Geh nach Hause und beruhige dich. Auf mich kannst du bauen; meine Kräfte reichen noch für lange Zeit.« (Gladkow 1974, 296)

Die Revolution braucht kein schwaches Geschlecht, sondern starke Kämpferinnen. Eine solche zu sein, hat Dascha in den revolutionären Kämpfen in Rußland gelernt. Schwäche können Frauen aus der feindlichen Klasse, dem Bürgertum zeigen, aber nicht die Genossinnen aus den eigenen Reihen. Auch bei Ostrowskij finden sich Beschreibungen russischer Revolutionärinnen: »Rita trug — wie zur Zeit als sie politischer Kommissar einer Kompanie gewesen war — einen Rotarmistenhelm, einen schutzgrauen Rock und eine Lederjacke mit schwerer Maurerpistole am Riemen« (Ostrowskij 1948, 229). Nicht nur äußerlich z.B. in der Kleidung, auch in Gefühlsfragen unterscheiden sich die Revolutionärinnen vom herkömmlichen Bild der Frau, so antwortet Rita: »Hör mal Genosse Brusshak. Eins soll für die Zukunft ausgemacht sein. Nämlich, daß du nicht in lyrische Ergüsse verfällst. Ich mag das nicht« (ebd., 163). In solchen Beschreibungen kommen die Frauen als »unweibliche« Frauen vor. Nahegelegt wird das Bild der Frau als Kämpferin, indem weibliche Verhaltensweisen abgelehnt werden, an deren Stelle die revolutionäre Härte tritt und die Frauen im Kampf »ihren Mann stehen«. Soweit zeigt sich, daß das Bild der kämpfenden Frau dem des kämpfenden Mannes angepaßt wurde. Beide »Bilder« wiederum entsprechen den schon beschriebenen Kampfanforderungen. Bis hierher hat das Geschlecht der jeweils Kämpfenden keinen Einfluß auf das Kämpferbild oder die Revolutionstheorie.

Frauen — Intellektuelle und das Nicht-Revolutionäre
In Willi Bredes Roman »Maschinenfabrik N + K« (1982) gibt es unter den kommunistischen Arbeitern einen »Gottsucher« wie die Arbeiter einen idealistischen Gottgläubigen nennen. Dieser geht zum Kommunisten Melmster, um mit ihm zu sprechen. Dazu schreibt Bredel: »Nun mußte Melmster lächeln. Er hatte das Gefühl, als spräche ein Mädchen mit ihm. Glasklare treuherzige Augen hatte der Mensch und eine rührende Schüchternheit«. (Bredel 19833, 79). Bei Schönstedt in »Kämpfende Jugend« (1971) arbeitet unter den jungen kommunistischen Arbeitern ein Doktor mit, dieser wird wie folgt beschrieben:
»Ein kraftloser, bleicher Mann saß in der Nähe des Eingangs und blätterte in der «Linkskurve». Die Zeitschrift hatte er vor sich auf der Aktenmappe liegen. Hinter seiner Hornbrille funkelten tiefe, braune Augen; seine dunklen, schwachen Haare waren am Hinterkopf durch den Ansatz einer Platte geteilt. Er hatte ein faltiges aufgeregtes Gesicht. Seine weiblichen, feinen Hände lagen auf dem Tisch und trommelten nervös ... Über seiner eingefallenen Brust beulte sich ein frisch gewaschenes Oberhemd ... Der Doktor paßte gar nicht hierher, auch seine Art zu reden nicht. Die war geziert und geschraubt. Er schien ein verstecktes Dasein zu leben.« (Schönstedt 1971, 36)
Als Intellektuelle, die nicht stark und kräftig gebaut sind wie die kommunistischen Arbeiterrevolutionäre und als zu belächelnde und nicht ernst zu nehmende Idealisten, die noch naiv an das Gute im Menschen glauben, kommt das Weibliche wieder vor: In der Gestalt verweichlichter und weiblicher Männer. Diese treten auf als das Nicht-Revolutionäre. Neben der »Verherrlichung« des kräftigen männlichen Arbeiters enthält das Bild des Revolutionärs Anti-Intellektualismus und eine Verachtung des »Weiblichen«, das damit zugleich konstruiert wird. In der Verknüpfung verfestigen sich beide Anti-Haltungen. — Innerhalb der Romane, die sich wesentlich an die Männer der Arbeiterbewegung richten, findet sich kein »frauenspezifisches Kämpferinnenbild«. Ich suchte nach Entwürfen, in denen Frauen direkt als Kämpferfiguren dargestellt sind. Was ändert sich damit am Bild und an der Revolutionstheorie, bzw. wird mit dem Entwurf eines weiblichen Kämpferinnenbildes für eine andere Art des Kampfes plädiert und wenn dies so ist, für welche?

Revolutionäre Kämpferinnen und Revolutionstheorie
Für diese Frage prüfte ich Brechts Theaterstück »Die Mutter«, welches er 1931/32 in Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Maxim Gorki verfaßte. Brecht beschreibt den Politisierungsprozeß der Pelagea Wlassowa und ihren späteren Kampf in der russischen Arbeiterbewegung, d.h. in der Streikbewegung um die Jahrhundertwende vor der Revolution. Sie tritt aus Angst um ihren Sohn Pawel in die Bewegung ein. Um diesen vor einer möglichen Verhaftung zu schützen, erklärt sie sich bereit, an seiner Stelle Flugblätter in der Fabrik zu verteilen. Dies führt sie listig aus, indem sie die Eßwaren, die sie in der Pause verkauft, in die Flugblätter einschlägt. Nach der ersten Lektüre wollte ich Brechts Kämpferinnenentwurf beiseite legen.
Zunächst ärgerte mich, daß Brecht ausgerechnet die Figur der Mutter wählte. Bei einigem Nachdenken schien mir jedoch günstig, daß er eine wichtige traditionelle gesellschaftliche Rolle der Frauen umarbeitete. Die Bestimmung der Frau als Mutter hat zunächst einen biologischen Ursprung, die Gebärfähigkeit der Frauen, die vielschichtig sozial transformiert ist. Spontan geäußerte Assoziationen zur Mutter geben einen Einblick in die sozialen Formen der Mutterschaft. Frauen, die Mütter sind, denken wir uns in Familien lebend und als Hausfrauen. Zur Mutterschaft in diesem Sinn gehört zudem eine Palette von mütterlichen Eigenschaften wie Fürsorglichkeit, Häuslichkeit usw. Unsere Vorstellungen von Revolutionärinnen unterscheiden sich deutlich von denen zur Mutter. Revolutionärinnen denken wir uns kämpferisch, mutig, furchtlos, ungebunden, alleinstehend, selbständig.
Bei Brecht ist die Mutter zugleich die Revolutionärin. Sie muß sich nicht dem männlichen Kämpferbild anpassen, indem sie ihre Frauenpraxen und -fähigkeiten ablegt. Der Kampf, den sie ficht, ist in die alltäglichen Frauenpraxen eingebaut. Ich will dies zu belegen versuchen an dem Lied »Lob der Wlassowas«, in welchen die Art wie die Mutter kämpft, zusammengefaßt von Brecht formuliert wird:

  • »Das ist unsere Genossin Wlassowa, gute Kämpferin.
    Fleißig, listig und zuverlässig.
    Zuverlässig im Kampf, listig gegen unseren Feind und fleißig
    Bei der Agitation. Ihre Arbeit ist klein
    Zäh verrichtet und unentbehrlich.
    Sie ist nicht allein, wo immer sie kämpft.
    Wie sie kämpfen zäh, zuverlässig und listig
    In Twer, Glasgow, Lyon und Chicago
    Shanghai und Kalkutta
    Alle Wlassowas aller Länder, gute Maulwürfe
    Unbekannte Soldaten der Revolution
    Unentbehrlich.«   
    (Brecht 1980, 54)

Zwei Elemente möchte ich an diesem Kämpferinnenbild herausstellen. Brecht nennt als revolutionäre Tugenden Fleiß, List, Zuverlässigkeit und Zähigkeit. Mit List verteilt Pelagea Wlassowa die Flugblätter, ebenso listig bringt sie die Frauen davon ab, Kupfergeschirr für Munition zu spenden. Sie agitiert unermüdlich, denn sie kämpft nicht nur, indem sie an Demonstrationen teilnimmt, Flugblätter verteilt, sondern auch beim Einkauf, beim Gespräch mit den Nachbarinnen, mit der Wirtin. Kämpfen gehört nicht mehr in einen bestimmten Bereich, sondern in alle, so auch wesentlich in den Alltag. Neben den Tugenden fällt die Betonung des Gemeinschaftlichen, des Nichtalleinseins beim Kämpfen auf. An die Stelle der Einzigartigkeit, damit aber auch Einsamkeit des männlichen Revolutionärs tritt das allgemeinere und alltäglichere Kämpfen im Verborgenen. Brecht vergleicht diese Kämpfer/innen mit Maulwürfen. Mit diesen kleinen Tieren, die unzählig im Untergrund wühlen und deren »Bewegung« damit auch nur schwer zu vernichten ist. Ihre Arbeit an vielen Punkten bedingt, daß die Zerstörung eines Haufens viele andere an anderen Stellen unberührt läßt.
Das Bild des Maulwurfs behagte einigen in unserem Projekt nicht. Es schien auf den wirklichen Kampf anderswo zu verweisen. Dennoch hatten wir den Eindruck, daß der von Brecht beschriebene Kampf sehr viel mehr unseren Vorstellungen von revolutionären Veränderungen entsprach, als dies die Revolutionsromane mit dem männlichen Kämpferbild konnten. An die Stelle des einzelnen Kämpfers tritt bei Brecht die Vielzahl kleiner Alltagskämpferinnen, die nicht als Einzelne in den Vordergrund treten. Der Kampf wird vom Einheitlichen zu etwas sich Bewegendem, an vielen, vor allem alltäglichen Kampforten.

Aktualisierung des Kämpferbildes
Mit größter Deutlichkeit müßte ein angenommener Zusammenhang zwischen Revolutionsbild und revolutionärem Kampf durch einen historischen Sprung von mehreren Jahrzehnten sichtbar werden. Wer kämpft in der Arbeiterbewegung der Gegenwart? Wie werden die führenden revolutionären Kämpfer von heute beschrieben und wie der Kampf, dem sie sich stellen müssen?
Auch diese Fragen versuchte ich anhand von Literatur zu bearbeiten. Während ich für den ersten Teil relativ problemlos Kampfromane fand, was darin begründet liegt, daß zur Zeit ihrer Entstehung die gesellschaftliche Situation sowohl in Deutschland als auch in Rußland »revolutionär« war und es kämpferische Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Vertretern der Bürgerklasse gab, zeigt sich in den literarischen Beschreibungen solch klassenkämpferischer Auseinandersetzungen der Gegenwart eine Lücke.
Dennoch gibt es zeitgenössische Arbeiterbewegungsliteratur, die ich unter oben genannten Fragen zu bearbeiten versuchte. Franz Xaver Kroetz z.B. versucht in seinen Werken (wesentlich Theaterstücke) Leben und Alltag der »kleinen Leute« darzustellen. (Viele seiner Stücke spielen im ländlichen Milieu und es wird häufig ein Dialekt gesprochen.)
In »Nicht Fisch nicht Fleisch« (Kroetz 1981) beschreibt er die Veränderungen im Leben der beiden Schriftsetzer Edgar und Hermann durch die Einführung von Computertechnologie, d.h. die Umstellung ihrer Tätigkeit auf Fotosatz. »Ort« der Handlung ist wesentlich die Wohnung, das Privatleben der beiden Männer. Kroetz zeigt, wie sich »Revolutionen« am Arbeitsplatz auf den Gesamtlebenszusammenhang der Lohnabhängigen auswirken, wie sich ihre Familienbeziehungen, darin wesentlich das Geschlechterverhältnis, verändern. Wie beschreibt er die Männer als Kämpfer? Edgar ist eher ein »gemütlicher Gewerkschafter«, der sich mit den tariflich ausgehandelten Lohnerhöhungen zufrieden gibt. Er sagt: »Ich arbeit gern für neunzehn Mark siebzig weiter, wenns mich bloß lassen und nimm niemand was weg.« (Kroetz 1981, 40).
Auch als seine Frau zu ihm sagt: »Also Klassenbewußtsein hast du keines, du bist bloß anständig«, antwortet er darauf zustimmend: »Gott sei Dank! Weils des bei uns ned brauchst. Zumindest in unserm Betrieb.« (ebd., 11) Als der Fotosatz eingeführt wird, resigniert er schon nach kurzer Zeit noch in der Umschulungsphase. Er kann und will nicht umlernen. Eindringlich berichtet er von seiner »Liebe« zu seiner Setzertätigkeit:

  • Mir fehlt das Blei. Ich will mich nicht entscheiden, wo ich meine Informationen hinschick, auf ein anderes Flocki oder die Cassette. Ich will sie haben, meine hundert As, meine zweihundert M und T und die 16 Ypsilon. Ich will ein Führungsband und ich will die Matrizen. Ich will mein Blei. Ich will es hören, wie sie hinunter fallen meine fertigen Zeiln.« (ebd., 39)

Edgar muß nicht nur den Verlust der sinnlichen Wahrnehmbarkeit seiner Tätigkeit, d.h. eine weitere, größere Fremdheit verarbeiten. Er muß darüber hinaus mitansehen, wie sein bisheriges Wissen, seine Berufskenntnisse für seine zukünftige Arbeit nutzlos werden. Er muß sich in der Situation des Lernenden akzeptieren und schließlich bedroht ihn der mögliche Verlust des Arbeitsplatzes. All diese Verunsicherungen lassen ihn resignieren. Er kündigt »freiwillig«. Damit geht er den individuellen, einzelkämpferischen Weg, der sich als Resignation und Flucht entpuppt, als widerständiger Verzicht.
 

  • »Weil es mein Anstand ned zulassen hat, daß ich als Heizer auf der Elektrolok mitfahr. Weil ich gsagt hab, meine Ehre will kein Gnadenbrot, weil ich gsagt hab, daß ich ein ehrlicher Mensch bin, der geht, wenn er nimmer gebraucht wird.« (Kroetz 1981, 67).

Dies ist seine Begründung für seinen »Angriff nach vorn«.
Anders verhält sich der Kämpfer Hermann, gleich zu Beginn wird er beschrieben als einer, der »seinen Mund nicht halten kann«, der sich seine Rechte von niemandem streitig machen lassen will. Auch er ist von den Umbrüchen innerhalb der Setzertätigkeit betroffen. Grundsätzlich anders als Edgar begegnet er dem Problem. Er blickt nach vorn, denkt an den Fortschritt, an die Möglichkeit, sich höher zu qualifizieren und schließlich mehr zu verdienen. Dabei sieht auch er die Bedrohung, die mit der Automation einhergeht: »Wenn der Fortschritt dem Arbeiter dient, geht es. Wenn er dem Unternehmer dient nicht.« (ebd., 41). Nur im Kampf sieht Hermann eine Lösung der Probleme, er fordert: »Jeden Atemzug. Das ist Menschsein. Jede Minute mehr, die ich menschlich leben kann, erkämpfen, jeden Gedanken, den ich mehr denken kann, erkämpfen, jede Zeile, die er mehr lesen kann, erkämpfen, jeden Meter, den ich die Welt mehr sehen kann, erkämpfen. Für jedes Wort, das ich mehr weiß, und für jede Mark, die ich mehr hab, kämpfen.« (ebd., 51)
Um der Bedrohung des Arbeitsplatzverlustes und anderen, mit der Automation für die Arbeiter verbundenen materiellen und damit die Existenz und den Lebensstandard gefährdenden Problemen zu begegnen, müssen die Verhältnisse geändert werden, muß gekämpft werden.
Nicht allein will er diesen Kampf antreten, sondern gemeinsam mit den Kollegen, in den Gewerkschaften usw. In Edgar sieht er einen Verräter, da sich dessen Privat- und Einzelstrategie, vorab zu kündigen, auf den Kampf der anderen Arbeiter insofern schädigend auswirkt, als die Unternehmer von Edgars »Geradheit« und Konsequenz schwärmen und versuchen, daraus eine verallgemeinerbare Strategie gegen die Lohnabhängigen zu machen.
Zum Schluß gibt es weder einen gewonnenen Kampf, noch einen siegreichen Kämpfer. Beide Männer sind gleichermaßen verzweifelt und mit ihren Strategien gescheitert. Hermann ist es nicht gelungen, Solidarität unter den Kollegen herzustellen. Edgar kann sich mit der Arbeitslosigkeit und der finanziellen Abhängigkeit von seiner Frau nicht abfinden. Das Stück endet mit einem symbolischen »ins Wasser gehen« der Männer.
In dem Stück »Mensch Meier« (Kroetz 1979) wird das Leben einer Familie beschrieben: Vater Fließbandarbeiter in einer Autofabrik, die Mutter Hausfrau und der 15-jährige Sohn arbeitslos. Nach und nach bricht im Laufe des Geschehens der Vater zusammen. Er, dem die Arbeit nie etwas ausmachte, der sich zufrieden fühlte, fängt an, die Wohnungseinrichtung zu zertrümmern. Am Ende ist er verlassen von Frau und Sohn, die versuchen, eigene Wege zu gehen. Während dem Vater, als er die lange gelebte völlige Anpassung an die Verhältnisse nicht mehr aushält, die Veränderung seiner Situation nicht gelingt, schaffen Frau und Sohn die ersten Schritte zur Veränderung ihres Alltags.
Vorsichtig verallgemeinernd möchte ich formulieren, daß sich in den Literaturproduktionen eine Verschiebung der Kämpfe und damit der Gestalt der Kämpfer abzeichnet. Es geht in den heutigen Romanen nicht mehr um die Macht im Staat, sondern um das Überleben bei Veränderung der kapitalistisch betriebenen Produktion. Die Ansprüche sind so zugleich kleiner als auch groß. Entwicklung der Personen, Familienleben, selbst Geschlechterverhältnisse werden wichtig. Immer noch aber sind die Helden männlich. Seit 1928 hatte es als literarisches Kampforgan der Arbeiterbewegung den »Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller« (kurz BPRS) gegeben. Seit 1961 gibt es in der BRD die »Gruppe 61« und seit 1970 den »Werkkreis Literatur der Arbeitswelt«. In Konzept und Zielsetzung dieser zeitlich doch sehr weit auseinanderliegenden Schreibgruppen zeigen sich große Ähnlichkeiten.[5] Ich wählte zwei weitere Romane, die im Werkkreis und in der Gruppe 61 entstanden sind und untersuchte diese immer noch in der Hoffnung, auf aktuelle Kampfer- und Kampfbeschreibungen zu stoßen.
Im Roman »Stellenweise Glatteis« von Max von der Grün (1980) untersuchte ich weiter das aktuelle Kämpferbild. Hauptperson und abwechselnd Alleinkämpfer und dann wieder von Gewerkschaft und einzelnen Kollegen solidarisch unterstützter Revolutionär, ist Karl Maiwald. Auch sein Kampf findet im Betrieb statt. Aufgrund eines arbeitsbedingten Bandscheibenleidens kann er nicht mehr als Fernfahrer arbeiten und hat eine Tätigkeit in der Werkstatt seiner Firma erhalten. Als Betriebsratsmitglied ist er gewerkschaftlich organisiert und versucht, auf dieser Ebene Verbesserungen für die Kollegen zu erkämpfen. Als er entdeckt, daß in seinem Betrieb eine Abhöranlage vorhanden ist, über die die Arbeiter von der Betriebsleitung bespitzelt werden können, beginnt er einen verbissenen Kampf. Mit Mut, Risikobereitschaft und sogar illegalen Mitteln (Einbruch, Bedrohung einer Angestellten) versucht er, sich gegen diese Bespitzelung zur Wehr zu setzen und Mittel gegen die Unternehmensleitung in die Hand zu bekommen. Ein Hauptproblem seines Kampfes liegt in der Vereinzelung der Arbeiter. Statt einer Einheit im Kampf, gibt es Konkurrenzkämpfe untereinander:

  • »Sie wollen nichts riskieren, nichts für sich, schon gar nichts für andere, auch ein Risiko eingehen will gelernt sein. Wir hatten es nicht gelernt, das Risiko hatte uns immer die Gewerkschaft abgenommen und uns zwanzig Jahre lang eingeredet, daß sie nur unser Bestes wolle, nämlich unsere Sicherheit.« (von der Grün 1980, 133)

Nach der ersten Empörung über die Abhöranlage und deren spontaner Zerstörung haben sich die Gemüter der Kollegen beruhigt. In Maiwald wird einer gesehen, der die Betriebsruhe stört und sich als Wichtigtuer aufführt. Zäh ficht er dennoch seinen Kampf weiter, unbestechlich der Betriebsleitung gegenüber, auch wenn er sich damit persönlicher Vorteile beraubt.
Bei von der Grün findet der Kampf nicht nur im Betrieb statt. Auch in der Wohngegend ist Klassenkampf sichtbar. Sei es allein in der Aufteilung der Straße in Waldseite und Autobahnseite: »Auf der Waldseite stehen die Bungalows und Villen von Direktoren, Ärzten, Rechtsanwälten, Kaufleuten, Handwerksmeistern und Fuhrunternehmern.« (ebd., 8) Oder auch in Auseinandersetzungen zwischen deutschen und ausländischen Arbeitern, Arbeitsinvaliden und noch arbeitsfähigen Bergleuten, und z.B. im Kampf von Bürgerinitiativen für Spielplätze. Gegenstand des Romans ist so nicht nur der betriebliche Kampf, sondern, wie auch schon bei Kroetz, der gesamte Lebenszusammenhang der Menschen.
Sowenig wie die Widersprüche der Lebensweise und der Arbeit eine einheitliche Struktur aufweisen, sowenig kann es möglich sein, ein aufrechtes, nicht widersprüchliches Kämpferbild vorzustellen.
Der Zahnarzt von gegenüber, der sein Klassenfeind ist, ist zugleich sein Nachbar, mit dem er freundliche Worte beim Autowaschen wechseln kann. Andererseits wird die Gewerkschaft, seine Interessensvertretung, zum Unternehmer, indem sie den Betrieb übernimmt, in dem er arbeitet. Der Kampf und das, wogegen er sich richten muß, ist vielschichtig und widersprüchlich, Feind und Freund sind nicht eindeutig. Der revolutionäre Arbeiter Karl Maiwald ist so am Schluß nicht zufrieden mit dem, was er erreichen konnte, obwohl dies immerhin eine Demonstration von Tausenden von Arbeitern gegen Bespitzelung und für die Wahrung ihrer Rechte ist. Maiwald resümiert:

  • »Jetzt fürchtete ich mich vor diesem Zug der Zehntausend, der sich wie ein Wurm durch die Straßen der Stadt schlängelte. Ich hatte Angst und konnte sie mir nicht erklären.« (ebd., 289)

Unzufriedenheit und Verunsicherung bleiben, klare und eindeutige Orientierungen für eine kämpferische Strategie fehlen (ihm). Am Schluß ist er wieder allein. Um Einheit und Solidarität muß gekämpft und gerungen werden, punktuell und für bestimmte konkrete Aktionen ist sie erreichbar, aber sie ist keinesfalls für die gegenwärtige Arbeiterbewegung (Gewerkschaften) selbstverständlich, dies auch, weil die Klassenzugehörigkeit allein nicht ausreicht, um zusammenzubinden.
Die Tätigkeit in den Arbeiter-Schreibgruppen wurde als politische Arbeit angesehen, da sich zum einen Bewußtseinsveränderungen bei den schreibenden Arbeitern erhofft wurden und zum anderen davon ausgegangen wurde, daß die literarischen Produkte auch in den Lesern eine solche bewußtseinsverändernde/erweiternde Wirkung erzielen könnten. Dementsprechend werden die neuen Kämpfer als Lernende, Grübelnde und Zweifelnde dargestellt, bei denen selbst eine Veränderung des Bewußtseins sich vollzieht.
Im folgenden will ich kurz die Frauenbilder in den bisher bearbeiteten Romanen zusammenstellen. Was tun Frauen, wie verhalten sie sich zum Kampf ihrer Männer? Ist in der neuen Arbeiterbewegungsliteratur die kulturelle Männlichkeit der Bewegung zumindest in Anfängen aufgebrochen?

Das Bild der Frau in der neueren Arbeiterbewegungsliteratur
Wie bereits erwähnt, spielen die Romane wesentlich in der Produktion. Sofern die Frauen selbst erwerbstätig sind, sind sie direkt in diese Veränderungsprozesse einbezogen und unmittelbar betroffen. Solche Prozesse bei Frauen erhalten wenig Raum in den Romanen, da Männer die Hauptrollen spielen. Immer wirken jedoch die Entwicklungsprozesse am Arbeitsplatz der Männer auch entscheidend auf das Leben der Frauen, dies in jedem Fall, seien sie berufstätig oder »Nur-Hausfrauen«. Im letzteren Fall sind die Frauen ängstlicher und halten ihre Männer dazu an, sich anzupassen, damit sie ihren Arbeitsplatz nicht gefährden und damit die materielle Versorgung der Familie (Hermann und Helga in Kroetz 1981). Im Fall der eigenen Berufstätigkeit der Frau verschärfen sich die Auseinandersetzungen zwischen den Geschlechtern, da die Frauen an Selbstbewußtsein sowie materieller Unabhängigkeit gewinnen und sich nicht mehr alles gefallen lassen. Sie machen nicht mehr nur Mann und Familie zum Zentrum ihres Lebens, sondern besetzen auch andere Bereiche, entwickeln z.B. Ehrgeiz in ihrem Beruf (Emmi in Kroetz 1981).
In »Stellenweise Glatteis« (von der Grün 1980) gibt es unterschiedliche Verhaltensweisen der Frauen, die als generationsbedingt dargestellt werden. An einer Stelle läßt von der Grün seinen »Helden« Maiwald dessen Frau beschreiben:

  • »Ich beobachte meine Frau heimlich. Sie war einmal ein burschikoses Mädchen gewesen und hatte von einer Karriere geträumt. Aber sie wurde nur Lehrling in einem Elektrogeschäft, und nach der Arbeit ließ sie sich in Stenographie und Schreibmaschine ausbilden in einer Abendschule, dann wurde sie Tippmädchen, dann Sekretärin, und ein paar Jahre nach unserer Heirat nahm sie eine Stelle im Konsum an, in der Warenausgabe, weil sie da besser verdiente. Die Karriere meiner Frau war schon zu Ende, noch ehe sie überhaupt begonnen hatte.« (von der Grün 1980, 13)

Sie hat sich abgefunden mit ihrem Leben. Was sie noch will, ist ein bißchen privates Glück. Sie wird dargestellt als ein bißchen langweilig und gleichgültig. Gesprächs- und Diskussionspartnerin in politischen wie privat-persönlichen Angelegenheiten ist so für Karl Maiwald seine Tochter Karin. Sie will etwas verbessern, will kämpfen und sich nicht abfinden. Als JUSO-Mitglied »klopft sie ihrem Vater zwar etwas zu radikale und auch nicht realisierbare Sprüche«, aber grundsätzlich stimmt er ihr in ihrem »kämpferischen Geist« zu. Der Kampf gehört der Jugend, in der Zukunft sind auch Frauen aktiv daran beteiligt, sagt hier zumindest die Literatur.

Wenn Frauen kämpfen ...
Brechts Mutter hatte ich befragt als Entwurf für Kämpferinnen. Wie sieht das aktuelle Bild einer Kämpferin aus? Welchen Kampf ficht sie, ist dies ein anderer als der der Männer?
»Ich stehe meine Frau« (Schroeder 1975) beschreibt den Versuch der Arbeiterfrau Charlie Bieber, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen, nicht mehr alles einstecken zu müssen.
Sie ist verheiratet, ihr Mann ist Maurer. Sie hat zwei Kinder und ist selbst halbtags als Kassiererin in einem Supermarkt beschäftigt. Als sie eines Tages einen Beschwerde-Brief vom Hausbesitzer erhält, weil ihr vierjähriger Sohn mit anderen Kindern Löcher in den Rasen vorm Haus gegraben hat, platzt ihr der Kragen.

  • »Es war nicht nur die Wut über den Brief des Hauswirts. Der war der letzte Anstoß. Du wirst immer zurechtgestoßen, Charlie. In der Firma vom Chef, in der Wohnung von der Enge, im Bett von Werner. Das' n Leben. Du bist' n perfektes Teilchen. Du funktionierst einwandfrei im Puzzlespiel Macht.« (Schroeder 1975, 188)

Charlie Bieber ist entschlossen, nicht mehr einwandfrei zu funktionieren. Sie beschließt, sich mit den Müttern/Eltern der anderen Kinder zusammenzutun und für einen Abenteuerspielplatz zu kämpfen. Nach großen Anstrengungen gelingt es ihr, bei den Frauen Mißtrauen abzubauen und sie dazu zu bringen, nicht nur in ihren vier Wänden zu verharren und sich um nichts zu kümmern bzw. aktives Eingeifen an ihre Männer zu delegieren. Freundschaft und Frauensolidarität entstehen zwischen den Frauen. Sie können sich unterstützen nicht nur im Kampf für einen Spielplatz, sondern auch in Auseinandersetzungen mit ihren Ehemännern, beim Abbau von Minderwertigkeitsgefühlen und bei ersten Schritten, die ohne die Männer getan werden. Obwohl Charlie Bieber auch Vertrauensfrau in der Gewerkschaft ist, setzt sie ihren Kampf in ihrem »Privatleben« an und nicht am Arbeitsplatz. Die Form, in der gekämpft wird, ist eine Bürgerinitiative, in der Frauen aus der Arbeiterschaft als auch aus anderen gesellschaftlichen Schichten vertreten sind. Für die Frauen gibt es über die Klassenzugehörigkeit hinausgehende Gemeinsamkeiten. Als Ehefrauen und Mütter sind sie in klassenübergreifender Weise vom Geschlechterverhältnis, d.h. von der gesellschaftlich herrschenden Vormacht der Männer betroffen. Sie haben die Aufgabe, in der Familie Mann und Kinder zu versorgen, die Macht und Kompetenz die gesellschaftlichen Bedingungen dafür zu verbessern, haben sie nicht.
Kampf in diesem Roman ist wesentlich der der Befreiung der Frauen. Sie versuchen, ihre eigene Täterschaft bei der Unterdrückung aufzukündigen und tun so erste Schritte zum aufrechten Gang.
Revolutionäre Veränderungen finden in den Personen statt. Charlie und die anderen Frauen fangen an, über ihre Situation als Arbeiterfrauen nachzudenken, sie grübeln, sie sind verunsichert, das Alte stimmt nicht mehr:

  • »Du warst zufrieden, weil du nicht merktest, daß dir was fehlte. Du wolltest es nicht merken. Und wenn dir so richtig kotzelend war, wenn du wie leergefegt warst, hast du mit Papi einen geballert. Und wenn ihr voll wart, war er dein bester Freund. Und warum? Er war dein einziger, du hattest keine anderen.« (Schroeder 1975, 135/135).

Damit machen die Frauen Schluß. Die Vermittlung der Erkenntnis, daß etwas verändert werden kann und muß, die Entwicklung eines »revolutionären« Bewußtseins, dies sind im vorliegenden Roman die Hauptelemente des Kampfes. Am Schluß ist es nicht so wesentlich, ob der Abenteuerspielplatz erkämpft werden konnte, entscheidend ist, daß die (Haus)Frauen »aufgewacht« und aktiv geworden sind.

Neue Aufgaben für bessere Kämpfe
Alle frühen Romane haben die identifikationsstiftende Figur eines Kämpfers, der gleich wie die Masse, ihr voraus, immer wieder die Schlacht um den Winterpalast schlagen wird. In diesen revolutionären Modellen ist Klassenkampf dementsprechend zentral, die Machtfrage eine, die mit einem Schlag an einem Ort von einer einheitlichen Kraft gestellt und entschieden wird.
Die Vorstellung, wie zu kämpfen sei, verschob sich bei Brecht. Kampforte gab es viele, ebensoviele Notwendigkeiten, unterschiedliche Personen, Bündnisse und Schlachten, die für lange Zeit zu führen waren.
In der Gegenwartsliteratur geht es um gewerkschaftliche Kämpfe, um eine Handbreit Boden gegen die Unternehmer und um das Selbstbewußtsein zum Kämpfen überhaupt. Die klaren Identifikationsfiguren der 20er Jahre treten zurück, realistische Personen, verstrickt mit dem System an vielen Punkten, tauchen auf; Kämpfe gibt es überall. Der größere Realismus für unsere heutigen Kämpfe zeigt aber auch: es gibt im Grunde keine Vorstellung einer Revolution mehr. Die Einsicht, daß im Alltag, an allen Punkten und um die Menschen und ihr Eingelassensein ins System gekämpft werden müsse, wurde bezahlt mit dem Verlust einer sozialistischen Perspektive. So haben wir am Ende als eine Art Ironie in der Geschichte, daß die Hineinnahme alltäglicher persönlicher Fragen, die die Einbeziehung der Frauen in revolutionäre Kämpfe zur Voraussetzung hat, einhergeht mit dem Verzicht auf grundlegende Gesellschaftsveränderung. Daß dies nicht als notwendiges Resultat erscheint, ist eine Herausforderung auch an unsere praktische Politik als sozialistische Feministinnen heute.