Verläßliche Frauenpersonen und Luxusdamen[6]

Anknüpfungspunkte für eine emanzipatorische Frauenpolitik

Prolog und Fragestellung

  • Hans Preiss, Vorstandsmitglied der IGM, zu unserem Thema: »Zu den Kräften, die objektiv die Geschlossenheit der Kolleginnen und Kollegen spalten, gehört nicht zuletzt die bürgerliche Frauenbewegung. So viele Verdienste die bürgerliche Frauenbewegung auch hat — ich rede von der bürgerlichen Frauenbewegung! — in ihrem Ringen um Zugang zu Berufen, die bisher den Männern vorbehalten waren, um eine Chancengleichheit bei Bildung und Ausbildung, um die soziale Gleichberechtigung von Frau und Mann, sie hat nie erkannt, daß die Voraussetzungen für die Emanzipation der Frau erst geschaffen werden durch die Emanzipation der arbeitenden Klasse. (Beifall)«
    (Protokoll der 8. IGM-Frauenkonferenz 1977)

Die traditionelle Politikform für Frauen in den Organisationen der Arbeiterbewegung (ihren Parteien und Gewerkschaften) erklärt das Geschlechterverhältnis zum Nebenwiderspruch und baut darauf, daß über die Vergesellschaftung des privaten Eigentums an Kapital und Produktionsmitteln auch die Potenzen für eine Veränderung der noch herrschenden Ungleichheit und Diskriminierung der Frau freigelegt würden. Frauen werden daher in diese Organisationen möglichst integriert bzw. in separaten oder parallelen Gruppen »an die Ziele der Organisation herangeführt«. Ein herausragendes Merkmal solcher Frauenpolitik ist, frauenspezifische Defizite ausgleichen zu wollen, Frauen durch Schulung »fähig und kräftig« zu machen, damit sie sich in den männerzentrierten Organisationen durchsetzen können. Die neuen sozialen Bewegungen haben nicht nur im Sektor der Frauen dieses Sich-Abarbeiten an herkömmlichen Strukturen aufgegeben, weil sie vielfältig nachweisen konnten, daß darin nicht nur kräfteverzehrende, sondern auch unnütze Anstrengungen stecken. Daß die Versuche, traditionelle Entscheidungs- und Willensbildungsstrukturen zu ändern, besonders an den Stellen scheitern, wo Frauen damit beginnen, ist evident. Es ist nicht nur fast unmöglich, sich durchzusetzen als Frau, Frauen müssen sogar ihr subjektives Wollen ändern, grundsätzliche Abstriche machen, um überhaupt irgendwelche Ansprüche durchsetzen bzw. stellen zu können. Ihnen wird nicht nur, wie es immer so schön heißt, Kompromißfähigkeit abverlangt, sie sollen Verzichte leisten und einen Teil ihres Lebens, ihres Verantwortungs- und Tätigkeitsbereichs draußen lassen: das Private, das Familiäre.
Ein Alternativkonzept, eine völlig andere Politik, die die Frauenbewegung in die Diskussion getragen hat, bestand vor allem darin, das Persönliche und Private mit dem Gesellschaftlichen und Politischen zusammenzubinden. Wir streiten hier nicht ungebrochen für alle Versuche, dies zu realisieren, sondern prüfen ihre Behandlung in den Organisationen der Arbeiterbewegung: Die Vertreter der traditionellen Politikform rissen die Schublade mit der Aufschrift »bürgerlich« auf und stopften alle diese neuen Versuche und beschrittenen Wege hinein. Als die Schublade überquoll und nicht mehr zuzukriegen war, öffneten sie eine neue, die die Aufschrift »feministisch« trug. Als auch diese klemmte, begannen sie die Spreu vom Weizen zu trennen und verwertbare von nicht verwertbaren und unwerten Elementen zu scheiden. Bei diesen und den früheren Trennungslinien, die gezogen wurden, spielte immer die Vorstellung von dem eine Rolle, was in der Geschichte einerseits bürgerlich und nichtig, andererseits proletarisch und richtig gewesen ist. Wer nachfragte, merkte, daß die faktischen Kenntnisse über die frühe und alte Frauenbewegung und über Clara Zetkin gering waren. Sofern nachweisbar war, daß Zetkin das genaue Gegenteil behauptet und getan hatte, war der Hinweis zu hören, sie habe es bestimmt gut und richtig gemeint. Erwerbstätigkeit sei doch nun einmal das Ein und Alles und jedwede Frauenemanzipation käme nicht darum herum, gegen Lohnabhängigkeit und kapitalistische Unterdrückungsverhältnisse zu kämpfen.
Ja — aber waren denn die bürgerlichen Frauen nicht auch, sogar besonders intensiv und sehr viel früher als die proletarischen, auf dieser Seite zu finden? Haben sie nicht schon in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts für eine Berufstätigkeit von Frauen gestritten und gegen die besonderen Unterdrückungsverhältnisse gekämpft? Der Titel der ersten großen Schrift, die von Louise Otto-Peters, einer Bürgerlichen, erstellt wurde, heißt: »Das Recht der Frauen auf Erwerb«, und auch ihre »Adresse eines deutschen Mädchens« befaßt sich mit den schrecklichen und zerstörerischen Arbeitsbedingungen von Frauen.[1] Waren es denn nicht eben bürgerliche Frauen, die für eine Professionalisierung von frauenspezifischen Tätigkeiten sehr früh sehr viel getan haben? Alle bürgerlichen Frauen, die die Gedanken der Frauenemanzipation politisch und gesellschaftlich vertreten haben, waren berufstätig. Sie waren zum Teil sehr qualifiziert und — sie setzten sich für die Verbreiterung und Intensivierung von Qualifizierungsmöglichkeiten für Frauen ein!
Und wie hat es eigentlich in dieser Hinsicht mit den proletarischen Frauen ausgesehen? Die Qualifikation der weiblichen Arbeitskraft war für sie nie ein Thema! Clara Zetkin hielt dieses Bestreben für »Frauenrechtlerei«, die in »hoffnungsseliger Schwärmerei« das »Frauenwohl« erhöhen wollte, damit aber nur »soziales Öl« auf die Wogen der gesellschaftspolitischen Probleme gießen würde (Zetkin 1979, 43,110, 113). Sie wollte, daß Frauen sich einreihen: in die Gewerkschafts- und Parteiorganisationen der Arbeiterbewegung. Sie sollten mit-arbeiten, mit-streiten, mit-schulen, mit-gestalten, mit-verändern etc. Da war für Qualifizierungsüberlegungen und -forderungen kein Platz — außer für die Kaderbildung. Aber allein aus diesem Politikkonzept heraus läßt sich die Abstinenz der proletarischen Frauen gegenüber Qualifizierung und Bildung, deren gesellschaftspolitischer Bedeutung nicht erklären. In der Sozialdemokratie stieg um die Jahrhundertwende der Anteil der organisierten Frauen erheblich. Neuere Untersuchungen zeigen, daß es sich bei diesem Zustrom zur weiblichen Mitgliedschaft insbesondere um Hausfrauen gehandelt hat.[2] Verständlich, daß diese keine Qualifikationsdebatten führten und -forderungen stellten. Selbst der Gedanke, Emanzipation sei nur durch Erwerbsarbeit erreichbar, scheint angesichts einer Haus- und Ehefrauenbasis der proletarischen Frauenbewegung reichlich aufgesetzt. Wie kam es dennoch zu diesem Standpunkt, seiner Verbreiterung und Tradierung? Wie kommt es, daß noch heute die Überzeugung bei vielen Frauen ge- und verfestigt ist, die proletarische Frauenbewegung habe viel für uns Frauen erreicht, die bürgerliche Frauenbewegung habe versagt?
Wir sind dem Denken, das trennt zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung nachgegangen und haben uns der Hauptakteurin, Clara Zetkin, in ihren Reden und Schriften angenähert.[3] Wir vermuteten, daß in der Folge faktischer Trennungsschritte beider Bewegungen eine Tradition begründet liegt, deren heutige Berechtigung zumindest neu erwiesen werden mußte.

Erster Teil: Zur proletarischen Frauenbewegung: »... für den Kampf in Reih' und Glied ihrer Brüder.«

Frauen tun sich zusammen, Männer fühlen sich bedroht
Zum Ende der 60er und im Verlauf der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts blockiert die in den ersten Gewerkschaften und sozialdemokratischen Vereinen vorherrschende Haltung des »proletarischen Antifeminismus« Mitwirkungsmöglichkeiten von Frauen. Ihnen wird von Seiten der Männer, die die Anfänge der Arbeiterbewegung tragen, sowohl das Recht auf Erwerbstätigkeit und gewerkschaftliche wie politische Aktivität abgesprochen als auch energisch die Rolle zugewiesen, die proletarische Reproduktion in einer geordneten Privatsphäre zu gewährleisten. Selbst die deutsche Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), die als revolutionärer Flügel im Gründungsprozeß der sozialdemokratischen Partei agiert, vertritt in einer 1866 verfaßten Denkschrift die Auffassung:

»Die Frau und Mutter soll neben der ernsten öffentlichen und Familienpflicht des Mannes und Vaters die Gemüthlichkeit und Poesie des häuslichen Lebens vertreten, Anmuth und Schönheit in die gesellschaftlichen Umgangsformen bringen und den Lebensgenuß der Menschheit veredelnd erhöhen.« (Thönnessen 1976, 19)

Mit dieser Position fallen die Mitglieder der IAA noch hinter den damaligen Diskussionsstand der in ihren Augen als rückschrittlich geltenden Lassalleaner zurück, die wenigstens meinen:

»Wir müssen aber vorher die vollständige Emanzipation der Arbeiter haben, ehe wir die Frauen emanzipieren können.« (ebd., 18)

Vielmehr teilt die IAA traditionelle Argumentationsstrukturen, denen zufolge es ausreicht, wenn der Mann arbeitet. Für Frauen sei allein die Heirat und »häusliches Walten« adäquat. Im Originalton IAA, den Marx und Engels gekannt, mitverfaßt und unwidersprochen haben stehenlassen, klingt das so:
»Schafft Zustände, worin jeder herangereifte Mann ein Weib nehmen, eine durch Arbeit gesicherte Familie gründen kann und es wird keines jener armseligen Geschöpfe mehr vorhanden sein, das in der Vereinzelung der Verzweiflung Beute wird, sich an sich selbst und an der Natur versündigt, durch Prostitution und Handeln mit lebendigem Menschenfleisch die «Zivilisation» brandmarkt. (...) Den Frauen und Müttern gehören die Haus- und Familienarbeiten, die Pflege, Überwachung und erste Erziehung der Kinder, wozu allerdings eine angemessene Erziehung der Frauen und Mütter vorausgesetzt werden muß.« (ebd., 19)
Clara Zetkin befaßt sich in ihrer Schrift »Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung Deutschlands« auch mit diesem Abschnitt der Geschichte der Arbeiterbewegung, deutet aber Marxens und Engels Haltung bei der Abfassung der Inauguraladresse folgendermaßen: Das »Schweigen« über wesentliche kommunistische Grundsätze — in diesem Fall das Auslassen einer positiven Bewertung und Bejahung außerhäuslicher Erwerbstätigkeit als der wesentlichen Voraussetzung für die Emanzipation der Frau — bedeute keine Verleugnung von Prinzipien. Vielmehr hätten Marx und Engels bewußt auf die Formulierung dieser Position verzichtet, weil diese innerhalb der damaligen Sektionen der internationalen Arbeiterbewegung auf Widerstand gestoßen sei. Die Arbeiterbewegung sollte deshalb nicht durch die Formulierung der von ihr nicht geteilten und verstandenen Prinzipien, »... sondern durch ihre Aktion selbst zum Bewußtsein ihrer Aufgabe reifen ...« (Zetkin 19792, 75). Das Hintanstellen wichtiger Forderungen — soweit es sich um die Frauen und deren Emanzipation handelt — wird von Zetkin mit Nachsicht behandelt. Aus taktischen Erwägungen heraus legitimiert sie es sogar ausdrücklich. Diese Nachsicht mit den männlichen Genossen und deren »Kurzsicht« findet sich bei Zetkin aber nicht nur in diesen Passagen über das Verhalten von Marx und Engels in der IAA, sondern auch in Passagen, in denen sie sich mit den Wahlrechtsforderungen Lassalles und dessen ADAV auseinandersetzt. So sei es eine kluge Taktik gewesen, »...daß Lassalle und seine Partei das allgemeine Wahlrecht lediglich für die Männer gefordert haben.« (ebd., 55) Die Beschränkung habe, so Zetkin zustimmend, die Absicht verfolgt, »... die ganze Kraft in einer Faust für einen Schlag zusammenzuballen, eine Schwächung des Schlages durch Zersplitterung zu vermeiden.« (ebd.) Bemerkenswert ist, in welchem Kontext Zetkin jeweils die Haltungen der Genossen zur Erwerbstätigkeit der Frau und zum allgemeinen Wahlrecht als taktische Erwägungen zu legitimieren sucht. Dies geschieht immer in Auseinandersetzung mit und negativer Abgrenzung zu der bürgerlichen »Frauenrechtlerei«. Sie kritisiert, »...daß die bürgerlichen Vorkämpferinnen der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts sich zu jener Zeit auf die wirtschaftliche Emanzipation beschränkten und damals wie auch später noch um die Forderung des Frauenwahlrechts herumgegangen sind wie das Kätzchen um den heißen Brei.« (ebd.) Mit diesem Hinweis will sie der »frauenrechtlerischen Führerin«, Louise Otto-Peters, das Recht bestreiten, Kritik an der Lassalleanischen Sozialdemokratie zu üben. Für Zetkin ist es ein »heftiger Ausfall«, wenn es in der Broschüre von 1866, »Das Recht der Frauen auf Erwerb«, heißt:

»... Von den Lassalleanern (ist) der Grundsatz aufgestellt worden: «Die Lage der Frau kann nur verbessert werden durch die Lage des Mannes». Dies ist der aller Gesittung und Humanität hohnsprechende Grundsatz, den unsere ganze Anschauung und diese Schrift bekämpft. Gerade die Partei, die von «Staatshilfe» sich so viel verspricht, die das allgemeine Stimmrecht fordert, schließt von allen ihren Bestrebungen die Frauen aus — dadurch beweist sie, daß sie ihr Recht der Freiheit, d.h. «die Herrschaft des 4. Standes» gründen will auf die Sklaverei der Frauen —, denn wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave.« (Otto-Peters 1866, 103)

Louise Otto-Peters leitet aus dem proletarischen Antifeminismus die Notwendigkeit von autonomen Organisationen von Frauen zur Durchsetzung ihrer Forderungen ab. Zetkin zieht andere Schlüsse. Ihre Nachsicht mit den männlichen Genossen resultiert offensichtlich aus der Absicht, den Autonomieanspruch der bürgerlichen Frauenbewegung zurückzuweisen. Sie will die »reinliche Scheidung« von der bürgerlichen Frauenbewegung. Daß es sich aber nicht um eine »kluge Taktik« handelt, sondern um eine systematische Ablehnung der Gleichwertigkeit der Frau, erweist sich bald. 1869 wird in Eisenach auf dem Gründungskongreß der SD AP, zu dem sich Lassalleaner und Mitglieder der IAA zusammengefunden haben, nur für Männer das Wahlrecht gefordert. Frauenarbeit soll eingeschränkt, immerhin aber nicht mehr verboten werden, was eine frühe Forderung war (vgl. Fricke 1976, 16). Einzelgewerkschaftliche Vereinigungen »für Arbeiter beiderlei Geschlechts« werden im Gefolge dieses Zusammengehens der beiden Flügel erstmals angeboten (vgl. ebd., 628). Tatsächlich entstehen aber nur dort Organisationen von Männern und Frauen, wo Frauen örtlich die Mehrheit der Lohnabhängigen stellen. Überwiegend bilden sich separate bzw. autonome Frauenvereinigungen mit politischem Anspruch oder aber reine Frauengewerkschaften (vgl. Thönnessen 1976, 28).
Allen Organisationsformen ist gemeinsam, daß es sich um kurzzeitige Versuche handelt, die über eine mehr oder weniger erfolgreiche Startphase nicht hinauskamen. Erst das Vereinsgesetz von 1908 bringt für Frauen die Koalitionsfreiheit. Bis dahin muß das Verbot des politischen Zusammenschlusses für Frauen als Begründung dafür herhalten, daß ihre parteipolitische Mitwirkung in der frühen Sozialdemokratie faktisch ausgeschlossen bleibt. Neben diesem Argument der politischen Bedrohung und Verfolgung, das zur Legitimation des Ausschlusses von Frauen angeführt wird, taucht aber flankierend in den Diskussionsverläufen immer wieder der Hinweis auf die Rückständigkeit und fehlende Bildung von Frauen auf, die sie für die »eigentliche« Aufgabe als Hausfrau und Mutter prädestinierten.[4]
Weil die sozialdemokratischen Organisationen es nicht fertigbringen, zum Teil ablehnen, zum Teil versäumen, Frauen ein politisches und gewerkschaftliches Forum anzubieten, müssen diese sich in der damaligen Zeit eigene Vereinigungen schaffen, um mit gesellschaftspolitischer Reichweite ihre Interessen vertreten zu können.[5]
Insbesondere die auf Dauer angelegten Organisationen von Frauen werden von Gewerkschaften und Parteiorganisationen kritisch beäugt. Mit den ad-hoc-Zusammenschlüssen bestehen keine großen Probleme, ihre Trägerinnen lassen sich mangels Alternative leichter in die Männergewerkschaften integrieren oder werden politisch untätig, resignieren, wenn der mächtige Partner interveniert.
Vielen Männern sind die Zusammenschlüsse, aber auch die organisierten Treffen von Frauen suspekt. Ihre Ängste sind konkret und praktisch: Die tägliche Versorgung steht auf dem Spiel, Frauen erledigen die Hausarbeit nicht mehr so gut, nicht mehr so selbstverständlich und bereitwillig ... (vgl. ebd., 65).
Vorrangig in Sachsen, so z.B. in Crimmitschau/Niedererzgebirge, streiken Textilarbeiterinnen zum Ende der 1860er Jahre häufiger und zusammen mit Männern, die regional in der Minderheit sind, für eine Verbesserung ihrer Entlohnung und ihrer Arbeitsbedingungen. Aber auch aus diesen ad-hoc-Ansätzen hat sich keine dauerhafte Organisierung von Frauen in den Gewerkschaften dieser Region ergeben (vgl. Evans 1979, 53). Die Aktivitäten der Crimmitschauer Textilarbeiterinnen werden von Zetkin als Beginn der proletarischen Frauenbewegung gewertet, weil hier ein frühes Zusammengehen von Männern und Frauen praktiziert worden sei und sich diese Bewegung ausdrücklich auf die IAA bezogen habe (vgl. Zetkin 19792, 88). Alle vorangehenden Zusammenschlüsse von Frauen werden von Zetkin als bürgerlich identifiziert, wobei diese Zuschreibung nicht so sehr die Klassenlage der Trägerinnen dieser Bewegung meint.[6] Vielmehr seien diese von der »Frauenfrage zur sozialen Frage« gekommen und nicht umgekehrt und sie hätten nicht verstanden, daß es für die Arbeiterinnen nur eine einzige wirksame politische Praxis geben könne, nämlich: »ihre Organisierung gemeinsam mit den Klassengenossen« (ebd., 42). Wir meinen, daß Zetkin mit diesen Formulierungen den Kern der Auseinandersetzung zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung trifft. Sie grenzt sich gegen den Allgemeinheitsanspruch der bürgerlichen Frauenbewegung ab, in dem die Vorstellung von der Unterdrückung aller Frauen unabhängig von ihrer Klassenlage enthalten ist. Der so abgeleitete Autonomieanspruch und die Forderung, daß alle Frauen sich zu einigen hätten, konkurrieren mit den Politikvorstellungen der proletarischen Frauenbewegung.
Wir denken aber, daß es problematisch ist, diese Differenzierungen auf die frühen Organisationsversuche von Frauen anzuwenden, um diese zu klassifizieren. Die eigenständigen Politikformen von Frauen sind eher in der Auseinandersetzung mit dem proletarischen Antifeminismus entstanden. Sie wenden sich gegen die Haltung der männerzentrierten Organisationen und problematisieren sie aktiv handelnd. Die »reinliche« Trennung, d.h. die Konstituierung beider Bewegungen, geschieht erst sehr viel später. Die Aktionen der Crimmitschauer Textilarbeiterinnen als den Anfang der proletarischen Frauenbewegung anzusehen, laßt dann auch nur eine bestimmte Rekonstruktion von Geschichte zu. Es ist eine Rekonstruktion, die um jeden Preis den Eindruck erwecken will, daß sich die proletarische Frauenbewegung eben doch im Schöße der Arbeiterbewegung entwickelt habe, und zwar nicht in kritischer Auseinandersetzung mit ihr, sondern als ein »Ableger«, als ein »Kind« derselben. So siedelt Zetkin den Beginn der Arbeiterbewegung 1848 an, läßt die Arbeiterverbrüderung von Stephan Born und anderen als deren Anfang stehen, weil — so Zetkins Argumentation — jedenfalls in einer kleinen Elite vertiefte sozialistische Erkenntnisse Platz gegriffen hätten. Die proletarische Frauenbewegung fängt aber bei ihr nicht mit der Arbeiterverbrüderung an, sondern mit der Gründung der Internationalen Gewerksgenossenschaft der Manufaktur-Fabrikarbeiter, also 20 Jahre später. »In ihr vollzog sich der erste größere organisierte Aufmarsch proletarischer Frauen als gleichberechtigter Mitkämpferinnen der Männer zum Ringen mit dem Kapital, zum Ringen für ihre volle Emanzipation.« (ebd., 65) Die Arbeiterbewegung fängt demnach an mit einer kleinen Elite, mit Genossen, die u.a. eine sozialistische Theorie der Frauenbewegung formulieren. Sie reift, indem sich diese Erkenntnisse allmählich und gegen den Widerstand anderer Genossen durchsetzen. Demgegenüber fängt die proletarische Frauenbewegung dort an, wo es Genossen offensichtlich zum ersten Mal gelingt,

»den Klasseninstinkt der Proletarierinnen zum klaren Klassenbewußtsein zu läutern und sie als gleichverpflichtete und gleichberechtigte Mitstreiterinnen dem allgemeinen proletarischen Emanzipationskampf zuzuführen.« (ebd., 87)

Warum wird dann aber überhaupt von einer proletarischen Frauenbewegung gesprochen, warum nicht nur von einer Klassenbewegung, in der sich die Frauen — u.U. verspätet — einreihen, in der Männer und Frauen gleichermaßen um ihre Befreiung kämpfen? Die frühe proletarische Frauenbewegung stellt diese Frage nicht. In ihren Reihen hat sich ein Bild, eine Vorstellung von Frauen etabliert, das diese als passive und gefühlsgeladene Wesen einstuft. Sie müssen durch Aufklärung, Schulung und geschickte Organisation auf den richtigen Weg gebracht werden. Sie sind ein Teil der Arbeiterbewegung, der nichts bewegt, sondern bewegt werden muß.

Behindernde Interventionen der Arbeiterbewegung
Schon sehr früh haben bürgerliche Frauen begonnen, ihre eigenen Organisationserfahrungen zu nutzen, um mit Arbeiterinnen Interessengemeinschaften zu bilden bzw. für diese Hilfs- und Schutzeinrichtungen zu gründen. Die ersten auf Dauer angelegten Organisationen weiblicher Lohnabhängiger, die auch tatsächlich über längere Zeit existierten, »waren entweder direkt oder indirekt von Frauen aus dem liberalen Bürgertum inspiriert... Bürgerliche Frauen verfügten zu dieser Zeit bereits über ein beträchtliches Maß an Erfahrung in der Organisation und Verwaltung verschiedener freiwilliger Assoziationen, während die Frauen der Arbeiterklasse im allgemeinen auf Erfahrungen dieser Art nicht zurückgreifen konnten.« (ebd., 54) In einem langsamen und mühseligen Lernprozeß beginnen proletarische Frauen, diese Kenntnisse zu übernehmen und zu erweitern. Nun relativieren sich die Vorbehalte, der proletarische Antifeminismus nimmt neue Formen an. Hatte die männliche Mitgliedschaft früher mehrheitlich unter Berufung auf ihre Interessen und das Gesetz grundsätzlich gegen eine inte-grative oder eigenständige Organisierung von Frauen votiert, so verlangt sie angesichts des praktizierten Zusammengehens Mitspracherechte. Sie fordert, die politische Einheit des Proletariats zu wahren. Die Frauen hätten zu beweisen, daß ihre Zusammenschlüsse nicht in Zersplitterung mündeten (vgl. Evans, 52). Sie fühlen sich legitimiert, in die Interna von Frauenaktivitäten einzugreifen, Kontrolle auszuüben. Das tun sie in der Form von diskriminierenden Zuschreibungen und spaltenden Interventionen (vgl. Losseff-Tülmanns 1982, 27). Insbesondere die Nähe bzw. Zusammenarbeit mit bürgerlichen Frauen ist ihnen ein Dorn im Auge. Sie fordern von »ihren« Frauen, den jungen Arbeiterinnen und eigenen Ehefrauen, klare Abgrenzungen von allen bürgerlich-liberalen Einflußnahmen. Das tun sie auf dem Hintergrund eigener Erfahrungen, die sie umstandslos übertragen wissen wollen (vgl. Tönnessen 1976, 28). Im Zuge der 60er und 70er Jahre werden die sozialistischen Arbeiterorganisationen selbständiger und schütteln die Betreuung wie Einflußnahme bürgerlich-liberaler Kräfte ab. Diese begreifen die frühindustrielle Verelendung der lohnarbeitenden Männer wie Frauen als »soziale Frage«, gegen die sie individuelle Bildung und Besserstellung sowie punktuelle Reformen einsetzen wollen. Während Männer aber bereits in den Arbeiter-Bildungs-Vereinen der 50er Jahre Erfahrungen mit den Möglichkeiten und Grenzen dieses auf Erziehung und Bildung des Individuums ausgerichteten Konzepts gemacht haben — ohne diese je an Frauen weiterzugeben — beginnen Frauen jetzt in großer Zahl damit, die Frauenfrage als »soziale Frage« aufzufassen und individuelle Bildungs- wie Hilfsaktivitäten in Anspruch zu nehmen und zu entfalten. Diese Versuche gelangen über verschiedene und wiederholte Anfänge nicht hinaus. Das ist z.T. darauf zurückzuführen, daß Männer ihren Frauen weder auf der privaten Ebene die Zeit noch auf der gewerkschaftlichen und politischen Ebene den Raum überlassen, derartige Prozesse und Lernerfahrungen zu durchlaufen. Die gewerkschaftliche und politische Identität von Männern in der Sozialdemokratie gerät ins Wanken, wenn sich ihre Frauen und Töchter in der Nähe der bürgerlichen Frauenbewegung betätigen. Und als Männer werden sie in Frage gestellt, wenn die Ehefrau ihr häusliches Engagement reduziert, »aber die Abhängigkeit der Frau vom Manne begreift er manchmal nicht, weil sein eigenes liebes Ich ein wenig dabei in Frage kommt«, — sagt Bebel bedauernd 1883 (zit. n. Losseff-Tillmanns 1982, 107).
Die Mißbilligung, die den Aktivitäten von Frauen aus dem Bürgertum entgegengebracht wird, ist umso unverständlicher, als doch die frühe Arbeiterbewegung sich über die Arbeiterbildungsvereine rekrutiert hat. Ähnlich verhält es sich mit Haltungen, die sozialdemokratisch und gewerkschaftlich organisierte Männer zu den öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten unter Frauen einnehmen. Das Auf und Ab der damaligen Anstrengungen zur Organisierung von Frauen ist von Streitigkeiten, unproduktiven Zwistigkeiten, persönlichen Rivalitäten und heftigen Fehden begleitet. Während Bebel um 1885 wohlwollend, aber wenig konstruktiv zu intervenieren versucht, um »ein gewisses Maß an Ordnung und Uniformität zu übertragen« (Evans 1979, 59ff.), legen andere Finger in die Wunde. Frauen werden in aller Öffentlichkeit beschuldigt, ihre Unfähigkeit durch das zeit- und kraftraubende Austragen von Differenzen zu beweisen. Die Häufigkeit und Intensität von Auseinandersetzungen unter Frauen wird als Anlaß zu deren grundsätzlicher Diskriminierung genommen. Die politischen wie gewerkschaftlichen Vorstellungen und Forderungen der frühen Frauenorganisationen bleiben überwiegend wirkungslos (vgl. ebd., 65).
Die Mehrheit der aktiven Frauen in Hamburg besteht durchgehend aus Vollhausfrauen, deren Männer nahezu ausnahmslos als »eifrige Sozialdemokraten« bekannt sind (vgl. ebd., 66). Sie sind nach den Materialstudien von Evans die aktiven Trägerinnen der frühen Frauenorganisationen. Ihr Motiv, sich zusammenzuschließen, ist, sich über Haus- und Erziehungsfragen zu unterhalten, gemeinsam zum Häkeln, zum Stricken etc. zusammenzukommen (vgl. Huck u.a. 1980, 19ff.). Ihr Konzept für die jungen Mädchen und Arbeiterinnen unterscheidet sich gar nicht wesentlich von dem, das bürgerliche Frauen schon in den 50er Jahren entworfen haben. Sie wollen helfen, Not lindern und belehren, was der rechte Weg und Tugendpfad für die junge Arbeiterin sei. Sie schicken bzw. verweisen die Mädchen auf die Gewerkschaften als einzig zuständige Organisationen der Interessenvertretung am Arbeitsplatz und im Betrieb. »So war die Assoziation de facto ein Erziehungsverein, mittels dessen die Frauen der sozialdemokratischen Aktivisten etwas von der Ideologie ihrer Männer lernen konnten« (Evans 1979, 66).
Das entsprach aber nicht dem selbst erhobenen Anspruch. Die zentralen Ziele des »Vereins zur Vertretung der gewerblichen Interessen der Frauen und Mädchen Hamburgs« waren z.B., neben der geistigen Bildung auch die »Hebung der ... materiellen Interessen der Mitglieder, insbesondere die Regelung der Lohnverhältnisse, die gegenseitige Unterstützung bei Lohnstreitigkeiten« anzustreben (ebd., 64). In dieser Hinsicht erreicht auch der spätere Zentralverein, der wiederum aus den vorgenannten Verbänden entsteht, nichts, will und/oder kann sich auch gegen den geschlossenen Widerstand der Gewerkschaften und sozialdemokratischen Partei kaum durchsetzen. Von hier wird nämlich die Anerkennung der ausschließlichen Kompetenz und Zuständigkeit der Gewerkschaften für Lohnfragen verlangt. Dem wird von der Mehrheit der Frauen, den Vollhausfrauen(l), entsprochen. Sie hören sich zudem Reden von Männern widerspruchslos an, in denen diese z.B. behaupten,

»daß die Beschäftigung der Frauen die Löhne der Männer drücke und sie arbeitslos mache und daß, was noch schlimmer sei, der Mann (...) abends, wenn er von langer Tagesarbeit heimkehrt, kein ordentliches Heim hat und in vielen Fällen auch nichts Ordentliches zu essen (bekomme), wenn die Frau in der Fabrik arbeite.« (ebd., 66)

Die Idealisierung der kleinbürgerlichen Familie als Vorbild für proletarische Lebensverhältnisse sowie eine Übernahme der damit traditionell verbundenen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ist kennzeichnend für die Auffasssung der aktiven und führenden Frauen in dieser Zeit. Männer fürchten die Konkurrenz von Frauenorganisationen vor allem, wenn diese zur Gründung eigenständiger und längerfristig orientierter Verbindungen schreiten, die gewerkschaftlichen Charakter haben. Die Einmischung von außen durch Männer bewirkt, daß existierende Dissonanzen und Differenzen zu Spaltungen vertieft werden. Ihre Einwirkungsmöglichkeiten liegen auf sehr verschiedenen und vielfältigen Ebenen, greifen verstärkend ineinander. Von welcher Qualität und von welchem Gewicht die gewerkschafts- und parteioffiziellen Interventionen und Kritiken einerseits sowie die Restriktionen auf privater Eheebene andererseits tatsächlich waren, welchen Anteil diese Frontstellung an den wiederholten Auflösungen von Frauenorganisationen faktisch hatte, müßte genauer an historischen Quellen untersucht werden.

Die Trennung von der bürgerlichen Frauenbewegung
als Preis für den Eintritt in die proletarischen Organisationen
Mit alledem hat Clara Zetkin lange nichts zu tun. Sie lebt und arbeitet bis 1889 in Paris und verfaßt in den 80er Jahren Artikel zur Frauenfrage, die dem bürgerlich-liberalen Gedankengut sehr nahestehen (vgl. Evans 1979, 98). 1889 hilft Zetkin, den Kongreß der II. Sozialistischen Internationalen in Paris vorzubereiten, erstmals liest sie dazu Engels »Ursprung ...« (erschienen 1884). Darauf hält sie ihre erste große Rede zur Frauenemanzipation, die in dem selben Jahr — mit ausführlicheren Einschüben — unter dem Titel »Die Arbeiterinnen- und Frauenfrage der Gegenwart« veröffentlicht wird. In der Rede wie in der Schrift hält sie die außerordentliche Bedeutung der Erwerbstätigkeit für die Emanzipation der Frau fest. Die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten bzw. das Interesse der Kapitalisten an der billigen Frauenarbeit machten die Frauen zu Konkurrentinnen des männlichen Arbeiters. Der Kapitalismus hebe die sozialen Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf und befreie die Frau aus der ökonomischen Abhängigkeit vom Mann. Ihre zwangsweise Einbeziehung in den Bereich der gesellschaftlichen Produktion stelle somit die wesentliche Voraussetzung für ihre Befreiung dar. Damit existiere aber eine Interessenidentität zwischen den arbeitenden Frauen und den männlichen Lohnarbeitern. Beide fänden sich ökonomisch in derselben Lage, teilten jetzt das Klassenschicksal und damit auch die gleichen Forderungen. Eine alleinige Befreiung der Frauen sei somit undenkbar, erst mit der Aufhebung der Klassengesellschaft würden Männer und Frauen gleichermaßen emanzipiert.
Laut Zetkin entsteht die Frauenfrage mit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise, weil die mit ihr einsetzende zwangsweise zunehmende außerhäusliche Erwerbstätigkeit von Frauen auf Widerstand bei den Betroffenen stoße und sich mit herkömmlichen und überholten Einstellungen reibe. Sie werde aber gleichzeitig durch den Kapitalismus »gelöst«, weil die Unterschiede des Geschlechts für die Arbeiterklasse in ihrem Verhältnis zu den Produktionsmitteln keine Bedeutung mehr hätten. Damit entspricht Zetkin der fundamentalen Überzeugung der damaligen Arbeiterbewegung, daß sich die Frauenbewegung als Teil der Arbeiterbewegung zu verstehen habe und sich so organisieren müsse, daß der Kampf der proletarischen Frau identisch sei mit dem des proletarischen Mannes (vgl. Evans 1979, 84). Separate Organisationsformen des weiblichen Proletariats haben in diesem Zusammenhang nur dann Sinn, wenn hierin »die Industriearbeiterin organisiert, ökonomisch und politisch aufgeklärt wird, damit sie sich in klarer Erkenntnis der Verhältnisse an das aufstrebende und ringende sozialistische Proletariat anschließt.« (Zetkin 1979, 144). Denn die Frauen — so Zetkin — seien schwach und rückständig, würden danach trachten, sich hinter dem häuslichen Herd zu verkriechen, hätten einen Mangel an dem allgemeinen Solidaritätsgefühl, kurz, sie müßten sich dem gesellschaftlich-produktiven Manne erst als ebenbürtig erweisen (ebd., 143ff.). Die Partei als Vollstreckerin der sozialistischen Revolution müsse aber diese Frauen als potentielle revolutionäre Masse erfassen. Zetkin beschwört den Wirkungsmechanismus der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten aber nicht nur im Zusammenhang mit der Entwicklung der Frauenerwerbstätigkeit, sondern auch im Hinblick auf die Auflösung der angeblich klassischen Aufgaben der Frauen als Hausarbeiterinnen. Der Kapitalismus, so argumentiert sie, vernichte das Betätigungsfeld der Frau in der Familie, denn

»als sich die moderne Industrie entwickelte, als sie durch Dampf und Mechanik die Produktion leichter, schneller, ausgiebiger und die Produkte billiger machte, mußte der Frau ein Zweig ihrer alten produktiven Tätigkeit im Hause nach dem anderen entzogen werden.« (ebd., 138).

Zetkin nennt in diesem Zusammenhang weitere weibliche Betätigungsfelder und Hausarbeiten: Das Waschen, das Kochen, das Nähen usw. seien Tätigkeiten, die durch die Entwicklung der Produktivkräfte zunehmend vergesellschaftet würden. Wir finden aber keine Hinweise, daß sie sich mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Familie überhaupt auseinandersetzt. Es scheint für sie kein Problem zu sein, daß die Frauen und nicht die Männer für die Übernahme der verbleibenden Hausarbeit verantwortlich gemacht werden. Die Entlastung der Frau in diesem Bereich wird allein technischen und gesellschaftlichen Automatismen, der Entwicklung der Produktivkräfte, überantwortet. Ebensowenig finden wir in diesem Text eine Auseinandersetzung mit und eine Analyse über die Erziehungsarbeit, die Frauen zu leisten haben.[7] Im Laufe ihrer Tätigkeiten in der proletarischen Frauenbewegung und vor allem während ihrer Zeit als Chefredakteurin und Herausgeberin der Gleichheit fängt Zetkin einige Jahre nach der Abfassung dieser frühen Frauenemanzipationsschriften an, die bedeutsame Rolle der Frau im Haus als Mutter und Gattin zu betonen. Mit ihrem Tun leiste sie einen wichtigen Beitrag zur Kampffähigkeit des Proletariers und des Proletariats (vgl. hierzu z.B. Freier 1982). Wir meinen, daß dieser späte Rückgriff auf die Reproduktionsarbeit von Frauen als deren Beitrag zum Klassenkampf systematisch zusammenhängt mit der fehlenden Analyse der Unterdrückung in Ehe und Familie und der sozialen Bedingtheit des »Geschlechtscharakters« der Frau. Bleiben diese Bereiche unanalysiert, dann schleichen sich hinterrücks konservative, der herrschenden Familienideologie entsprechende Vorstellungen von der wesensmäßigen Bestimmung der Frau und ihrer Aufgabe ein. Die Entwicklung von Alternativen zum bürgerlichen Ehe- und Familienverhältnis ist aufgrund der unterbliebenen Analyse unmöglich, das macht deren ungebrochene Akzeptanz aus.
Wir haben oben gezeigt, daß Zetkin Frauen — übrigens unabhängig von ihrer Klassenlage — als instinktgeleitete, zurückgebliebene, defizitäre Wesen begreift. Gelten verbleibende Hausarbeit und die Kindererziehung als natürliche Aufgaben, als Konsequenz ihrer Biologie (»ihrer Natur«), dann erscheint die männliche Tätigkeit demgegenüber logischerweise als die bewußtere, rationalere, geplante und durchkalkulierte, wirklich menschliche Aktivität. Wenn Frauen sich emanzipieren und soziale Wesen werden wollen, müssen sie zusätzlich zu den durch ihre Natur vorgegebenen, nicht teilbaren Aufgaben in die Bereiche der eigentlich gesellschaftlichen Produktion eindringen. Mit anderen Worten: Sie müssen die Doppelbelastung akzeptieren. Die Tradierung der bürgerlichen Familienideologie und das damit verknüpfte Frauenbild nennen wir den inneren Konservativismus der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie und -Strategie.
Zetkin arbeitet sich zu Beginn der 90er Jahre rasch in der Bewegung hoch und nimmt im Zuge des Zerfalls des Zentralvereins 18% eine führende Rolle in der gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Frauenarbeit ein.
Daß sie diese Position erlangt, hat wesentlich mit ihrer Aktivität in der Infrastruktur des »Internationalen Sozialismus« zu tun. Schweiz-, Moskau- und Paris-Aufenthalte vermitteln ihr reichhaltige Erfahrungen und Einblicke in die Arbeiter- und Frauenbewegung Europas. Viele andere Frauen sind ebenfalls am Aufbau und an der Unterstützung politischer und gewerkschaftlicher Organisationen beteiligt. Sie haben z.T. erheblich mehr praktische Frauenarbeit in den 80er Jahren geleistet als Zetkin. Im Unterschied zu ihnen ist aber Zetkin über ihre Arbeit für die illegale sozialdemokratische Presse politisch in Kontakt mit Engels und Bebel gekommen. Das macht ihre starke Stellung innerhalb der Sozialdemokratie aus. Sie gilt als »verläßliche Frauensperson«. In Konfliktfällen holt sie häufig über briefliche Korrespondenzen den Zuspruch und die Meinung von Engels ein. Sie hat deshalb häufiger Kritiken von Lily Braun einzustecken (vgl. Evans 1979, 107f.).
Zetkin stellt 1889 nach dem Besuch des Kongresses der II. Internationale die Berliner Agitationskommission zusammen, leitet dieses Team von Frauen, das sich als paralleles Organisationsgremium der SPD versteht und »in erster Linie auf die Werbung weiblicher Mitglieder für die Gewerkschaften« in Informations- und Propagandatouren ausgerichtet ist (vgl. Evans 1979, 85f.). Die Politik dieses kleinen Frauenteams (ca. 10 Frauen) besteht bis 1896 wesentlich darin, sozialdemokratisches Gedankengut in bereits bestehende politische und gewerkschaftliche Fraueninitiativen der Provinz zu tragen. Die Frauen reisen von Berlin aus durchs Land, halten Reden, formulieren Aufrufe, initiieren Versammlungen und Neugründungen und tragen ihre Erfahrungen in der »Gleichheit« unter Zetkins Leitung zusammen.
Zetkins Aufstieg in der Sozialdemokratie und ihr Einstieg in die aktive Frauenpolitik erfolgt auf dem Hintergrund eines Problems, das die Gewerkschaften Anfang der 90er Jahre besonders betrifft: Um 1894 stellen sie fest, daß nur 1% weibliche, aber 9% männliche Arbeitende gewerkschaftlich organisiert sind, noch 1895 ist das Verhältnis ca. 13% zu 3% (vgl. ebd., 200). Die Gewerkschaften sorgen sich angesichts dieses extrem niedrigen Organisationsgrades von Frauen, weil er die Effektivität und Durchsetzungschancen in betrieblichen Auseinandersetzungen mindert. Der Mangel an Frauen ist auch in der innerorganisatorischen Arbeit der Gewerkschaften spürbar: Agitatorinnen und Rednerinnen fehlen, wenngleich es eine Menge Frauen gibt, die über langjährige Erfahrungen in der frühen Interessenvertretung von Frauen verfügen. Da bietet Zetkin die Berliner Agitationskommission an, um dem Mangel abzuhelfen und innerhalb wie außerhalb des mächtigen »Zentralvereins für die Mädchen und Frauen Deutschlands« für weiblichen Nachwuchs und Nachschub in den Gewerkschaften zu werben. Dieses Angebot wird angenommen. Der Rahmen für die Integration von Frauen steht bereit.

Die Befriedungsthese
Die Beschreibung der Anpassungs- und Durchsetzungsstrategien weiblicher Führungskräfte in der proletarischen Frauenbewegung und der Sozialdemokratie erklären aber nur, mit welchen Mitteln und warum sich ganz bestimmte Frauentypen an die Spitze der Bewegung setzen konnten; sie zeigt, mit welchen Qualifikationen Frauen ausgestattet sein mußten, um in den von Männern dominierten Organisationen Bedeutung zu erlangen. Dennoch bleibt folgendes erklärungsbedürftig:
Die proletarische Frauenbewegung erlebte ihren Aufschwung Anfang des Jahrhunderts (Evans 1979,202). Bis zu diesem Zeitpunkt hatten weder Bebels Argumentation für Gleichheit und Gleichberechtigung noch Zetkins Plädoyer für die Organisierung von Frauen den proletarischen Antifeminismus erschüttert. Erst zu diesem Zeitpunkt weicht der traditionelle Antifeminismus. Männer formulieren ein Interesse an der Integration von Frauen in die Partei und praktizieren dieses offensichtlich (ebd. 210). Was war der Motor, das Motiv für diesen Umorientierungsprozeß?
Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde das bürgerliche Kleinfamilienidyll nicht mehr nur in's Proletariat hineingetragen, sondern auch lebbar, weil materiell tragbar; zumindest für eine besser bezahlte Facharbeiterschaft, die auch wesentlich Träger der damaligen Sozialdemokratie war (vgl. hierzu Roth 1978, 25ff.).
Hand in Hand mit diesem Prozeß der »Domestizierung« von Frauen im proletarischen Milieu sehen wir Indizien für eine Widerständigkeit von Frauen. Sie probieren den Geschlechterkampf, verweigern sich der sexuellen Benutzung durch den Mann, um die Geburts- und Kinderaufzuchtsbelastung zu minimieren. Sie ziehen in die Kneipen, um Saufgelage zu beenden, die die Lohntüten existenzbedrohend leeren.
Prostitutions- und Alkoholkonsum in großem Ausmaß sind damals Massenerscheinungen der außerhäuslichen männlichen Lebenspraxis und wie seine Aktivitäten im Rahmen von Gewerkschaften und Partei für die an Wohnung und Kinder gebundene Frau bedrohlich und kostspielig (vgl. hierzu Soder 1980).
So lassen sich die Umorientierungen der Männer in der Partei, deren Versuche, die Frauen aktiv einzubeziehen, auch als Folge und Reaktion auf diese weibliche Widerständigkeit deuten. Sie, die Männer, schreiten zu Absicherungspraktiken für ihr außerhäusliches Engagement und Betätigungsfeld, wo sich lang- und kurzfristige Interessenvertretung wie unmittelbare männliche Bedürfnisbefriedigung bewerkstelligen lassen. Die Männer mußten ein Interesse daran haben, den privaten Geschlechterkampf zu entschärfen und einer Ausbreitung feministischen Gedankenguts im eigenen Haus entgegenzutreten. In der offiziellen sozialistischen Frauenemanzipationstheorie und in den politischen Praxen der proletarischen Frauenbewegung kam der Geschlechterkampf nicht vor, wurden die Beziehungen zwischen Frauen und Männern harmonisiert. Im Gegensatz dazu thematisierte die sogenannte bürgerliche Frauenbewegung zu diesem Zeitpunkt die Geschlechterproblematik und organisierte Kampagnen, die diese zum Gegenstand hatte (z.B. Lohn für Hausarbeit, Kampagne gegen den Paragraphen 218, Prostitution und Alkoholismus, vgl. hierzu unsere Ausführungen unter 3.). Unter anderem aus diesem Grund mußten die Männer der Partei- und Gewerkschaftsbewegung ein Interesse an der Einbeziehung ihrer Frauen in die eigenen Organisationsgliederungen haben.
Tatsächlich war die proletarische Frauenbewegung überwiegend eine Bewegung der Ehefrauen der in der Sozialdemokratie organisierten Männer (vgl. hierzu Evans 1979, 199). Warum aber ließen sich die Frauen einbinden; warum akzeptierten sie — offensichtlich — die »Emanzipation durch Lohnarbeit-Strategie«, obwohl ihre eigene Lebenslage im Gegensatz dazu stand? Wir meinen, daß eine mögliche Erklärung hierfür in dem inneren Konservativismus der sozialistischen Frauenemanzipationstheorie zu suchen ist, mit dem eine Aufwertung und Festschreibung der Rolle der Frau als Mutter und Produzentin des revolutionären Nachwuchses verbunden ist. Komplementär zur realen Machtlosigkeit der Frauen in der Organisation entwickeln sich in der »Gleichheit«, dem theoretischen Organ dieser Bewegung, Bilder der großen Bedeutung der Frau in ihrer biologischen Funktion als Produzentin des proletarischen Nachwuchses (vgl. hierzu Freier 1981).
Nun kann dagegen eingewandt werden, die Frauen hätten auch auf die andere Seite der Frauenemanzipationstheorie setzen könne, auf die Lohnarbeit; sie hätten auf den Arbeitsmarkt dringen können, das Recht auf Arbeit für sich einklagend. Angesichts der zu diesem Zeitpunkt den Frauen angebotenen Tätigkeitsfelder und angesichts der Erfahrungen, die proletarische Frauen vor ihrer Eheschließung mit der Arbeit in diesen Bereichen gemacht haben (vgl. hierzu Willms 1980, Richebächer 1982 — aber auch die autobiographischen Schilderungen von Arbeiterehefrauen), haben sich proletarische Frauen offensichtlich deshalb für die Familienarbeit entschieden, weil dies eine Entlastung für sie bedeutete. Die Niederlage der proletarischen Frauen bestand nicht darin, daß sie als Hausfrau tätig wurden und sich in diesem Bereich einrichteten. Ihre Niederlage bestand eher darin, daß sie sich in die Organisation einbinden und ihre Widerstandsformen durch Allmachtsphantasien befrieden ließen.
Die letzte große Debatte innerhalb der Sozialdemokratie vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die sogenannte Gebärstreikdebatte, läßt deutlich werden, wie die Parteiführung und die führenden Frauen in der Partei mit Versuchen umgegangen sind, in denen Frauen ihre vorhandenen Macht- und Einflußmöglichkeiten offensiv und politisch zu wenden versuchten. Im Gegensatz zur Massenstreikdebatte, die vor allen Dingen innerhalb der Parteiführung und den theoretischen Organen der Partei geführt wurde, entstand die Gebärstreikdebatte von »unten«, verbreitete sich rasch und stieß auf großes Interesse bei den Betroffenen (vgl. hierzu Evans 1979, Roth 1978, Bergmann 1983).
Zum Ausgangspunkt dieser Debatte: Mit der Herausbildung der »modernen Kleinfamilie« in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts innerhalb des Proletariats, oder besser, innerhalb der besser verdienenden Schichten des Proletariats (vgl. hierzu Rosenbaum 1982) ging die Zahl der Geburten auch in diesen Schichten zurück. Der Rückgang der Geburtenrate bei einer gleichbleibend hohen Säuglingssterblichkeit, die Abnahme der Zahl der Militärtauglichen, die Zunahme der Alkohol- und Geschlechtskranken: alle diese Erscheinungen zwangen den Staat zur Intervention, um den Nachwuchs an Arbeitskräften und Soldaten zu sichern. Dabei korrespondierte eine auf quantitative Effekte zielende, repressive Bevölkerungspolitik (Verschärfung des §218 und verstärkte Verfolgung der Homosexualität) mit einer auf die erbbiologische Qualität des Nachwuchses zielende Politik (Schwangerenvorsorge, Bekämpfung des Alkoholkonsums, verbesserter Mutterschutz). Verantwortlich für den Verfall der Sitten wurden u.a. die Sozialdemokratie und die Frauenbewegung gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten innerhalb der Sozialdemokratie Diskussionen über Sexualität und Empfängnisverhütung nur spärlich stattgefunden, galten sie doch als private, nicht politisierbare Bereiche der einzelnen Mitglieder. Jetzt wurde ihnen eine solche Diskussion von außen durch die Regierung und die bürgerliche Presse aufgezwungen. Die Führung der Sozialdemokratie reagierte auf die Anschuldigungen, in dem sie die reale Praxis der Geburtenkontrolle anprangerte als Folge der schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen im Kapitalismus. Diese schrecklichen Verhältnisse — so die Argumentation — würden daran Schuld sein, wenn Arbeiterfrauen keine gesunden, lebensfähigen Kinder in die Welt setzen und aufziehen könnten und deshalb zur Geburtenkontrolle, u.a. durch das Mittel Abtreibung, getrieben wurden (Roth 1978, 45). Ansonsten lehnte die Führung der Sozialdemokratie jede Form der Geburtenbeschränkung als in den Reformismus führende Selbsthilfe ab (vgl. hierzu Jannssen-Jurreit 1979, 65ff.). Die betroffenen Frauen und die sie unterstützenden sozialdemokratischen Ärzte gingen ganz anders mit der politischen Offensive der Herrschenden um. In Massenveranstaltungen legten sie die reale Praxis der Geburtenbeschränkung offen und versuchten, diese durch die Aufklärung über empfängnisverhütende Mittel zu verbreitern. Gleichzeitig politisierten sie diese Praxis, indem sie sie als Widerstandsform von Frauen deuteten, die damit dem kapitalistischen Staat und seinem Militär die elementare Basis für kriegerische Auseinandersetzungen entzogen: den männlichen Nachwuchs, die potentiellen Soldaten. Auf einer der großen Veranstaltungen traten Rosa Luxemburg und Clara Zetkin im Auftrag des Parteivorstandes auf. Sie formulierten die Argumente der Parteiführung gegen den Gebärstreik. In dieser Rede sagte Clara Zetkin u.a., daß für die Partei die große Masse, d.h. die Quantität, deshalb von so großer Bedeutung sei, weil eben nur durch Masse die Befreiung der Arbeiterklasse erreicht werden könne; ein Blick in die Geschichte würde diese Tatsache belegen: der Kinderreichtum sei ein gesunder Reichtum gewesen, einzig er hätte zu Erfolgen und Siegen geführt (Roth 1978, 85). Sie rief den Veranstaltungsteilnehmern zu: »Und wenn sie aufhören, Soldaten zu zeugen, dann hören sie auf, Soldaten der Revolution zu zeugen.« (zit. nach Roth 1978, 90). Wir denken, daß an dieser Argumentation deutlich wird, in welchem Maße Fraueninteressen den Parteiinteressen untergeordnet und instrumentalisiert wurden. Hier offenbart sich deutlich der innere Konservativismus, der Frauen als Gebärmaschine, als Produzentin von Masse begreift.

Zweiter Teil: Zur bürgerlichen Frauenbewegung:
»Frauenrechtlerei« in »kapitalfrommer Demuth«?

Bürgerliche Emanzipation als Kulturbewegung
Die bürgerliche Frauenbewegung verstand sich als eine autonome Bewegung, die den Anspruch hatte, überparteilich zu sein. Der Autonomiegedanke wurde getragen von den Vorstellungen von Unabhängigkeit im Sinne der Selbstbestimmung, »daß eine wirkliche Lösung nur gefunden werden kann durch die Frauen selbst, durch ihren eigenen Willen und durch ihre eigene Kraft« (Otto-Peters 1866, 93). Den Anspruch der Überparteilichkeit begründeten die organisierten bürgerlichen Frauen mit ihrem Verständnis von der Frauenbewegung als einer umfassenden, die sozialen Verhältnisse verändernden Kulturbewegung.

  • »Die Frauenbewegung als eine Kulturbewegung kann nie durch eine Partei allein ausgekämpft werden. Diesen Grundsatz hat die bürgerliche Frauenbewegung festzuhalten. Interessenpolitik muß dabei ausgeschlossen sein, Klassenkampf darf nicht walten. Von dem Augenblick an, wo die Frauenbewegung sich der einen oder anderen Strömung ganz zuwendet, wird sie nicht allein Schaden nehmen, sie wird auch den Standpunkt der Gerechtigkeit verlassen, der niemals in Interessenpolitik und Klassenkampf maßgebend ist. Sie würde den hohen sittlichen Wert verlieren, den sie als einen Fortschritt in der menschlichen Entwicklung beanspruchen muß.« (Cauer 1898, 142)

Minna Cauer war neben Helene Stöcker, Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Marie Stritt eine der führenden Vertreterinnen des radikalen Flügels innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung. Dieser Flügel hatte sich Anfang der 90er Jahre gebildet. Die Mehrheit der organisierten bürgerlichen Frauen gehörte aber dem gemäßigten Flügel an, zu deren führenden Repräsentantinnen Auguste Schmidt, Helene Lange, Gertrud Bäumer, Marianne Weber zählten. Nach der Aufhebung des Vereinsgesetzes 1908 entstand mit dem Eintritt des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes (DEFB) und den Hausfrauenvereinen ein dritter, konservativer Flügel im BDF (Bund Deutscher Frauenvereine).
Trotz der inhaltlichen und taktischen Differenzen zwischen den Radikalen und Gemäßigten waren sie sich in Bezug auf das gesellschaftliche Ziel einig.

  • »Für beide Richtungen bedeutete Emanzipation: Lösung der bürgerlichen Frauen aus den rechtlichen Beschränkungen ihrer familialen Privatheit mit dem Ziel eines aus Pflichtgefühl und Verantwortung geborgenen Dienstes an der Gemeinschaft. Die Realisierung der bürgerlichen Gleichberechtigung wurde nicht als Selbstzweck gesehen, sondern als Mittel zur Humanisierung der bestehenden Gesellschaft.« (Greven-Aschoff 1981, 95)

Sie unterschieden sich allerdings in dem Einsatz der Mittel zur Erreichung dieses gesellschaftlichen Zieles. Die Radikalen bevorzugten spektakuläre Aktionen und Versammlungen, während die Gemäßigten meist den Schritt in die Öffentlichkeit scheuten und mehr Wert auf geregelte Verbandsarbeit legten. Sie versprachen sich größeren Erfolg von den Mitteln des Petitionsrechtes als von Plakatanschlägen und Flugblättern. Sie verfolgten eine Politik der »kleinen Schritte«, während die Radikalen durch »Agitation und Propaganda« die Öffentlichkeit mobilisieren und die »öffentliche Ruhe« stören wollten (ebd., 94). »Die Furcht, mit der Sozialdemokratie identifiziert zu werden, hinderte die radikalen Feministinnen daran, auf die Straße zu gehen«, meint Greven-Aschoff (94). Diese Einschätzung muß aber relativiert werden, da sich die radikalen bürgerlichen Frauen eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokratinnen sehr wohl vorstellen konnten und auch wünschten bzw. Schritte in diese Richtung unternahmen. (Wie es ebenso auf sozialdemokratischer Seite Frauen, wie z.B. Lily Braun und andere, gab, die sich erfolglos für eine Zusammenarbeit einsetzten.) Entscheidend dabei war sicherlich die Verweigerung der Sozialdemokratinnen und die Abwehrhaltung der Gemäßigten.
Die distanzierte Haltung der Gemäßigten zu den Aktivitäten und Mitteln der Radikalen kommt deutlich in einem Kommentar Helene Langes zu der Generalversammlung des BDF Ende September 1900 in der Zeitschrift »Die Frau« zum Ausdruck:

  • »Die Zukunft der deutschen Frauenbewegung, die Gleichmäßigkeit und Stetigkeit ihrer Entwicklung steht im engsten Zusammenhang damit, ob es ihr auch fernerhin gelingen wird, die berufsmäßigen Agitatorinnen, die nicht auf dem Boden gemeinnütziger Arbeit stehen und wohl sogar in ihr einen Schaden für die Frauensache sehen ... in Schach zu halten.« (Greven-Aschoff 1981, 97)

Diese Gemeinnützigkeit war 1894 bei der Gründung des BDF in §2 der Satzung festgeschrieben worden:

  • »Durch organisiertes Zusammenwirken sollen die gemeinnützigen Frauenvereine erstarken, um ihre Arbeit erfolgreich in den Dienst des Familien- und Volkswohls zu stellen, um der Unwissenheit und Ungerechtigkeit entgegenzuwirken und eine sittliche Grundlage der Lebensführung für die Gesamtheit zu erstreben.« (ebd., 88)

Sozialdemokratische Frauenvereine konnten somit nicht die Mitgliedschaft im BDF beantragen. Zwar hatten die Radikalen die Aufnahme von sozialdemokratischen Arbeiterinnenvereinen gefordert, die Mehrheit der Gründungsversammlung lehnte dies aber mit der Begründung ab, die sozialdemokratischen Arbeiterinnenvereine seien politisch und würden den Klassenkampf unterstützen (ebd., 88). Nur die bürgerlichen Frauenvereine würden im Sinne des Allgemeinwohls arbeiten. Die Radikalen im BDF versuchten nach dieser Niederlage noch mehrmals eine Einheit bzw. Zusammenarbeit zwischen bürgerlicher und proletarischer/sozialistischer Frauenbewegung hinsichtlich der »Frauenfrage« zu erreichen. Aber erst 1905 konnten sie auf der 6. Generalversammlung des BDF einen Achtungserfolg erzielen. Sie hatten dort folgende Anfrage eingebracht: »Was kann der Bund tun, um die Frauen aller Klassen zu einer einheitlichen Frauenbewegung zusammenzuschließen?« (Greven-Aschoff 1981, 101). Daraufhin verabschiedete die Generalversammlung eine Resolution, die den BDF-Mitgliedern die Pflicht auferlegte, »die Ideen der Frauenbewegung in alle Kreise und Klassen der Bevölkerung hineinzutragen und für den Gedanken der Interessensolidarität aller Frauen Propaganda zu machen« (ebd.). Es war insofern nur ein Achtungserfolg, als die Gemäßigten diesen Beschluß nur halbherzig mittrugen. Sie konnten sich eine einheitliche Zusammenarbeit von Frauen nur auf gewerkschaftlicher und genossenschaftlicher Ebene vorstellen, und da sich mittlerweile die Gewerkschaften von der Sozialdemokratie gelöst hatten, erleichterte ihnen dieser Umstand ihre Zustimmung. Andererseits war die Annahme der Resolution auch auf den Druck der Radikalen zurückzuführen. Sie hatten seit Ende der 90er Jahre innerhalb des BDF immer stärker an Einfluß gewonnen. Dies änderte sich jedoch mit der Aufhebung des Vereinsrechts im Jahre 1908. Es traten nunmehr verstärkt konservative Frauen in die bürgerliche Frauenbewegung ein und verschoben damit das Kräfteverhältnis innerhalb des BDF. Diese Entwicklung war von den Gemäßigten aktiv unterstützt worden.  So hatte Gertrud Bäumer die Mitgliedschaft des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes (DEFB) im BDF 1908 stark gefördert, weil sie sich davon eine Stärkung der Position der Gemäßigten in der Auseinandersetzung um den §218 versprach. Dafür versprach der DFB in einem Abkommen mit dem Vorstand des BDF, sich in der Frage des Frauenstimmrechts (der DEFB lehnte das Frauenstimmrecht ab) »neutral« zu verhalten (Greven-Aschoff 1981, 110). Als 1910 Marie Stritt, eine Anhängerin des radikalen Flügels, ihren Rücktritt als Vorsitzende des BDF erklärte, wurde Gertrud Bäumer ihre Nachfolgerin. Sie trieb die Öffnung des BDF nach rechts weiter und verstärkt voran. Dieser Entwicklung konnten die Radikalen nichts entgegensetzen, weil sie sich bei der Forderung des Frauenstimmrechts gespalten hatten und ihre Kräfte somit aufgesplittert waren.
Zu der von den Radikalen geforderten Zusammenarbeit von bürgerlicher und sozialistischer Frauenbewegung ist es dann im 1. Weltkrieg gekommen, allerdings ohne Stöcker, Augspurg, Heymann und Cauer; aber auch ohne Clara Zetkin, die sich von den Positionen der Mehrheitssozialistinnen distanzierte. In der Ablehnung des Krieges waren sie sich mit Clara Zetkin einig. Hier gab es Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten, die sich auch schon bei der Frauenstimmrechtsforderung ergeben hatten, ohne daß es zu einem gemeinsamen Vorgehen gekommen war. Unterschiede und Trennendes ergaben sich aus der Einschätzung der Kriegsursachen und der Gewaltfrage. Für Clara Zetkin war es kein Verteidigungskrieg der Deutschen (diese Auffassung vertraten die Mehrheitssozialistinnen und der gemäßigte und konservative Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung), sondern ein Angriffskrieg, der imperialistische Ziele verfolge. Augspurg, Heymann und Stöcker sahen die Ursachen mehr in dem persönlichen Unvermögen der Politiker.
Während die sozialistische Frauenbewegung, ebenso wie die Gemäßigten und Konservativen der bürgerlichen Frauenbewegung, die Beteiligung von Frauen an der Gewalt (die Sozialistinnen wollten eine aktive, die gemäßigt und konservativ bürgerlichen Frauen eine passive Unterstützung leisten) befürwortete, befanden sich Augspurg, Heymann und Stöcker mit ihrer pazifistischen Einstellung in der politischen Isolation. Für sie waren Pazifismus und Feminismus natürliche Verbündete. Christine Wittrock (1983) sieht den Grund dafür in dem Beharren auf Geschlechterpolarität, d.h. — »Tod und Vernichtung werden als charakteristische Symbole der Auswirkung und Betätigung des Mannes verstanden — dagegen steht Leben und Aufbau als Symbol weiblicher Tätigkeit« (79). Den Gedanken der Geschlechterpolarität vertraten aber auch die gemäßigten und konservativen Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung und die überwiegende Mehrheit der Arbeiterbewegung. Dies kann also nicht das Kriterium der Unterscheidung sein. Während Wittrock das Festhalten von Polaritätsvorstellungen bei der bürgerlichen Frauenbewegung für äußerst problematisch und gefährlich hält, spricht sie die Arbeiterbewegung bzw. die sozialistische Frauenbewegung von dieser Gefahr anscheinend frei bzw. erwähnt sie nicht. Auch die frühe bürgerliche Frauenbewegung von Olymp de Gouges bis Louise Otto-Peters hätte ihrer Meinung nach stets den Akzent auf Gleichheit und nicht auf Polarität gelegt (ebd., 79). Unserer Meinung nach läßt sich die Gegenüberstellung Gleichheit oder Polarität in dieser Form nicht aufrechterhalten.
Die ersten organisierten bürgerlichen Frauen unter Führung von Louise Otto-Peters (1. Vorsitzende des 1865 in Leipzig gegründeten »Allgemeinen deutschen Frauenvereins«) begründeten ihre Forderungen nicht mit dem Naturrecht. Sie gingen ebenso wie später die Radikalen und Gemäßigten um die Jahrhundertwende von einer Geschlechterpolarität aus. Sie vertraten die Ansicht, daß Mann und Frau zwar gleichwertige, aber nicht gleichartige »Geschöpfe« seien.

  • »Allein die Gleichheit [zwischen Mann und Frau, d.Verf.] sei zu allen Zeiten gegründet gewesen auf die Verschiedenheit der Naturen. Nur wo die Kultur mit der Natur übereinstimme, habe sie Bestand. Aber die Arbeit an der Kultur sei eine für Mann und Frau gemeinsame; sie streben beide nach denselben Zielen, aber sie wenden zu deren Erreichung verschiedene, ihrer Individualität gemäße Mittel an«,

betonte Auguste Schmidt, 2. Vorsitzende des ADF, auf der Generalversammlung 1871 (Twellmann 1972, 64). Auguste Schmidt war später von 1894 bis 1899 Vorsitzende des BDF. (Als Leiterin eines Lehrerinnenseminars hatte sie auch u.a. Clara Zetkin ausgebildet, die sie als ihre Lieblingsschülerin bezeichnete; Dornemann 1973, 45.) Die organisierten bürgerlichen Frauen verlangten somit keine Gleichheit mit dem Manne, sondern Gleichberechtigung, eine Gleichstellung der Ungleichen. In der Ablehnung der Gleichheit drückte sich die Kritik an männlichen Verhaltensweisen und Einstellungen aus. Die bürgerlichen Frauen setzten das Männliche gleich mit kalter Ratio und das Weibliche mit Gefühl und Wärme. Louise Otto-Peters formulierte:

  • «... so gab und gibt es auch Unzählige, welche die Bildung des weiblichen Herzens und Gemütes für eine Sentimentalität und jede angeborene sanfte und edle Eigenschaft des Weibes als ein untergeordnetes Moment erklären, das überwunden werden müsse, und welche darauf hinarbeiten, den Verstand des Weibes einseitig auszubilden und eitle, sich breit machende Klugheit an die Stelle tieferer Empfindung zu setzen — Kälte für Wärme, Abstraktion für Begeisterung, Berechnung für Aufopferung, Hochmut für Hingebung — das war ein Tausch, welchen sie den Frauen boten, den sie von ihnen forderten« (zit. v. Greven-Aschoff 1981, 39).

Auch die Radikale Helene Stöcker argumentierte 1897 ähnlich:

  • »Ja, wir sind anders als der Mann — und wollen es auch in Ewigkeit bleiben! Alles rein Analytische ist uns größte Beleidigung und ein leidenschaftlicher Schmerz. Den Intellekt vom Empfindungsleben oder Trieb abzusondern — wäre uns niedrig, verächtlich, unmoralisch ... Eine Analyse ohne nachfolgende Synthese ist uns das Feindliche, Widerwärtige an sich, das tödlich Verletzende.« (ebd., 41)

Gertrud Bäumer verband mit ihrer Kritik an der Männerrolle/Männerwelt auch eine Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft und deren egoistischen Werten: »Die Welterkaltung unter der Herrschaft des Verstandes im Dienste der Habsucht« (ebd., 41). Das »Ewig-Weibliche«, nämlich Wärme, Begeisterung, Hingabe und Aufopferung, sollte somit gegen den »einseitigen Vertandesdespotismus« der Männer zur Geltung gebracht werden. Die organisierten bürgerlichen Frauen waren davon überzeugt, daß die Frauen aufgrund ihrer »weiblichen Natur« einen »kulturhistorischen Beitrag« zur Verbesserung der Gesellschaft leisten könnten (Twell-mann 1972, 22), wenn »man« sie nur ließe.
Zu Unrecht werden unserer Meinung nach diese Vorstellungen von Weiblichkeit von Autorinnen wie Twellmann, Greven-Aschoff, Wittrock als das »Ewig-Weibliche« bezeichnet. Die Weiblichkeitsvorstellungen von Louise Otto-Peters und später Helene Stöcker stellen gerade eine Kritik an dem »Ewig-Weiblichen« dar. So hatte sich Louise Otto-Peters damit im Vormärz gegen eine Strömung gewandt, die man heute unter dem Begriff »Überformung des Weiblichen durch das Männliche« diskutiert. Diese Strömung, die damals sich unter dem Schlagruf »Emanzipation des Fleisches« in Frankreich ausbreitete, hatte ihren Ausgangspunkt in der Julirevolution und dort besonders innerhalb der Bewegung des Saint-Simonismus. »Unter der Parole: «Wir ziehen unsern Weibern neue Hemden an», kämpfte man gegen «die Wassersuppenhochzeiten», das heißt, gegen die übliche Konvenienzehe, und plädierte für die «freie Wahlumarmung»« (Twellmann 1978, 4). Dieser Aspekt des Saint-Simonistischen Befreiungsprogramms war in Deutschland von Männern wie Heine, Gutzkow, Laube und Mundt übernommen worden (ebd., 5). »Sie wollten die «femme libre» und träumten vom unbegrenzten Sexualgenuß« (ebd., 5).
Gegen diese einseitige Anforderung der Männer an die Frauen und die Aufforderung zur Veränderung der Frauenrolle wandte sich Louise Otto-Peters und mit ihr andere Frauen des Vormärz. Sie setzte dagegen das umfassendere Konzept der Weiblichkeit, d.h. Weiblichkeit war/ist mehr als nur Sexualität. »Moralische Freizügigkeit ließ sich ihrer Ansicht nach nur auf der Grundlage ökonomischer Unabhängigkeit verwirklichen« (ebd., 5). Sie wollte eine weitergehende Befreiung der Frauen und damit einhergehend eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine Veränderung der sozialökonomischen Lage der Frauen.
Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatten mit Nachdruck einzelne Frauen Emanzipationsforderungen gestellt. Zu ihnen zählten Rahel Varnhagen von Ense, Caroline Schlegel-Schelling und Bettina von Arnim. Es waren aber Einzelstimmen, »die sich weniger den Frauen im allgemeinen als vielmehr ihrem höchst persönlichen 'Ich' gegenüber verpflichtet fühlten« (ebd., 4). Aus diesen Einzelstimmen war dann gegen Ende der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts eine Strömung entstanden, die für »Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit« eintrat und die auf eine Verbesserung aller weiblichen Lebensverhältnisse zielte. Obwohl in der Mehrzahl aus dem Bürgertum kommend, vereinzelt aus der Aristokratie, traten diese Frauen auch für die Rechte der Arbeiterinnen ein, d.h. für die »Bildung und Erwerbstätigkeit der Mädchen der unteren Stände« (ebd., 6). Sie forderten eine sozialökonomische Gleichstellung, eine gerechtere Güterverteilung. Zu den bekanntesten Vertreterinnen des Vormärz gehören neben Louise Otto-Peters, Fanny Lewald, Malvida von Meysenburg, Mathilde Franziska Anneke, Louise Aston, Ida Gräfin Hahn-Hahn u.a. (Sie aus der Geschichte ausgegraben zu haben, ist neben anderem ein Verdienst der neuen Frauenbewegung.) Die Hauptursache für die Unterdrückung aller Frauen lag für die Vertreterinnen des Vormärz in der mangelhaften Mädchenerziehung, die verhinderte, daß Frauen selbständig wurden, und die sie von | der Berufstätigkeit ausschloß. »Schickt die Mädchen auf die Universitäten ' und die Knaben in die Nähschule und Küche: nach drei Generationen . werdet ihr wissen, ... was es heißt, die Unterdrückten zu sein«, hatte bereits 1839 Ida Hahn-Hahn gefordert. Dabei lassen sich auch bei diesen Frauen des Vormärz unterschiedliche Emanzipationsvorstellungen feststellen, Unterschiede, die noch heute in der neuen Frauenbewegung für Zündstoff sorgen. So sah Mathilde Franziska Anneke »in der Befreiung des Weibes« die vordringlichste gesellschaftliche Aufgabe; erst wenn die Gleichstellung der Frau erreicht wäre, könne »die soziale Frage« wirksam gelöst werden. »Damit vertrat die sozialistisch-feministische Frauenrechtlerin Anneke eine entschiedene Gegenposition zur «Nebenwiderspruchstheorie» à la Engels, Bebel oder Zetkin« (ebd., 12).[8]
Ebenfalls gab es damals (wie auch heute noch) unterschiedliche Auffassungen über den Stellenwert von Familie bzw. Ehe und/oder Berufstätigkeit.

  • »Während Autorinnen wie Fanny Lewald, Malvida von Meysenburg oder Louise Otto-Peters — um nur die herausragendsten zu erwähnen — weiterhin die Ehe als die eigentliche Bestimmung der Frau ansehen und nur im Fall einer Nicht-Verheiratung für die weibliche Berufstätigkeit plädieren, bekämpfen Mathilde Franziska Anneke, Louise Aston und Ida Gräfin Hahn-Hahn die Institution der Ehe als eine Fessel der Frau, die dazu dient, ihre Unterdrückung noch wirksamer zu machen.« (ebd., 11)

Die Frauen des Vormärz wehrten sich also gegen die einseitigen Befreiungsvorstellungen der Männer und gaben sich nicht mit dem Ersatz freierer Sexualität, von männlichen Vorstellungen normiert, zufrieden.***451.2.8a*** Mit der Forderung nach »neuer Weiblichkeit« grenzten sich die Vormärzvertreterinnen nicht nur gegenüber den »fortschrittlichen« Männern ab, sondern auch gegen die damals üblichen Vorstellungen des Ideals der »holden Weiblichkeit«. Diese neue Definition von Weiblichkeit diente aber nicht nur der Abgrenzung, sie stellte gleichzeitig eine Aufforderung an die Frauen dar, sich zu verändern. Sie enthielt somit auch Kritik an den Einstellungen und Verhaltensweisen der Frauen, war also keineswegs eine Idealisierung des Weiblichen. Deshalb standen der Erziehungsgedanke und die Bildungsfrage so stark im Vordergrund, nicht nur weil eine gute Ausbildung die Berufschancen verbesserte und einen ersten Schritt in Richtung ökonomischer Unabhängigkeit darstellt. (Diese Kritik an den Einstellungen und Verhaltensweisen von Frauen ist vergleichbar mit dem heutigen Opfer-Täter-Theorem.) So wie unserer Meinung nach die neue Definition von Weiblichkeit vorwärtsweisende Elemente aufwies, die nach 1848 im Zuge der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung zurückgenommen bzw. reaktionär umgedeutet wurden (so vertraten z.B. die Frauen des ADF 1865 mehrheitlich die Meinung, daß Frauen nur in rein »weiblichen« Bereichen, wie Krankenpflege und Erziehung, erwerbstätig sein könnten, während diese Frage bei den Vertreterinnen des Vormärz noch unentschieden diskutiert worden war), hat auch der spätere Mütterlichkeitsbegriff ähnliche Wandlungen erfahren. Als nämlich in der Zeit des Sozialistengesetzes die Familie wieder hoch im Kurs stand als Befriedungsfaktor gegen die sozialen Unruhen, und die Frauen stärker an den Herd gebunden werden sollten, versuchte Helene Lange mit der »organisierten Mütterlichkeit« offensiv auf diese Situation zu reagieren. Mütterlichkeit, ja, aber nicht nur ui der Familie, sondern auch in der Gesellschaft. Sie beanspruchte damit für die Frauen nicht nur einen Platz in der Familie, sondern auch einen außerhäuslichen Arbeitsplatz. Es war ein neuerlicher Anlauf, Frauen »gesellschaftsfähig« zu machen.
Der Weiblichkeitsbegriff war, wie später auch der Mütterlichkeitsbegriff, nicht nur ein Theorieprodukt; er war gleichzeitig ein Kampfbegriff und ein Kampfmittel. Theoretisch war damit der Anspruch von Frauen auf Gleichstellung begründet worden, praktisch angewandt, sollten damit Berufsfelder für Frauen erschlossen und die männliche Konkurrenz ausgeschaltet werden.
Über die Gleichstellung, Gleichberechtigung der Frauen hinaus, wurde das Ziel einer Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse angestrebt. Für Teile der bürgerlichen Frauenbewegung war die Gleichberechtigung nur ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Sie traten für die gesellschaftliche Anerkennung und Aufwertung der weiblichen Werte ein. Die Frauen sollten diese Werte nicht nur im privaten Bereich, sondern auch in der Öffentlichkeit zur Geltung bringen. Durch das öffentliche Wirken der Frauen versprachen sie sich eine Änderung der nach männlichen Werten normierten Berufswelt. Mit der Kritik an der männlichen Dominanz verknüpften sie eine umfassende Gesellschaftskritik. Sie wollten zwar keinen Klassenkampf, aber sie wollten eine »Kulturrevolution«. In den beiden feministischen Konzepten von »neuer Weiblichkeit« bzw. »organisierter Mütterlichkeit« wurde eine Einheit unter den Frauen postuliert. Weiblichkeit und Mütterlichkeit waren Kategorien, die klassenübergreifend wirken sollten. Der feministische Einheitsgedanke basierte somit nicht auf einem abstrakten Politikverständnis, da er an der Lebenspraxis aller Frauen anknüpfte.[9]

Zur »organisierten Mütterlichkeit« des gemäßigten Flügels
Die Entwicklung des Begriffes der »organisierten Mütterlichkeit« ist vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit den Positionen der proletarischen Frauenbewegung und den radikalen Strömungen innerhalb des BDF sowie den Auseinandersetzungen mit männlichen Standpunkten zu sehen.***451.2.9a***
Während vom radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung die aus der Aufklärung/französischen Revolution stammenden naturrechtlichen Vorstellungen von der Gleichheit der Geschlechter zum Ausgangspunkt der Emanzipationsansprüche erhoben und die Befreiung der Frau durch die Berufstätigkeit postuliert wurde, wobei sich die sozialistische Richtung einseitig auf die Bedeutung der Industriearbeit bezog, die radikalen Frauen dagegen die Erschließung intellektueller Berufe betrieben, nahm der gemäßigte Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung mit seiner Idee von der »organisierten« (auch »sozialen« oder »erweiterten«) Mütterlichkeit Bezug auf den Widerspruch zwischen dem abstrakten Gleichheitspostulat und der Lebenspraxis der Mehrheit der Frauen. Hier wurde die These von der Polarität der Geschlechter vertreten, bei der die Gleichwertigkeit, aber Verschiedenartigkeit der Frau gegenüber dem Mann im Vordergrund stand. Aus der »Tatsache der durchgängigen körperlichen und seelischen Verschiedenheit der Geschlechter« (Programm des ADF 1905, o.S.) leiteten die gemäßigten Frauen ab, daß »nur in dem gleichwertigen Zusammenwirken von Mann und Frau alle Möglichkeiten kulturellen Fortschritts verwirklicht werden können« (ebd.), und daß die zentrale Bestrebung der Frauenbewegung darin liegen müsse, »den Kultureinfluß der Frau zu voller innerer Entfaltung und freier sozialer Wirksamkeit zu bringen« (ebd.).
Das Konstrukt des »weiblichen Kultureinflusses« findet seine konkrete inhaltliche Ausfüllung in der (»sozialen«/»organisierten«) »Mütterlichkeit« als allen Frauen gemeinsamer Geschlechts-/Sozialcharakter, der als politische Programmatik gewendet, die Politisierung und Einbeziehung aller Lebensbereiche von Frauen (aller Klassen) in die Theorie und Praxis der Frauenbewegung verficht.
Der von den radikalen und sozialistischen Positionen systematisch vernachlässigte Reproduktionsbereich erhält aus dieser Perspektive als zentraler Aspekt des weiblichen Lebenszusammenhangs einen besonderen Stellenwert, indem — kontrastierend zu den radikalen und sozialistischen Auffassungen — die Vorstellung von der sich im Zuge des Fortschritts technologisch-ökonomischer   Entwicklung   »von   selbst«   erledigenden Hausarbeit als unrealistisch zurückgewiesen und demgegenüber die besondere gesellschaftliche Relevanz der Frauenarbeit in der Familie hervorgehoben wurde. Auf dem Hintergrund einer Analyse zur Situation der Frau bezogen die gemäßigten Frauen die von sozialistischer und radikaler Theorie ausgeblendete Doppelbelastung von Frauen in Beruf und Familie in das Zentrum theoretischer Überlegungen und politischer Strategien und Forderungen ein. Im folgenden wird zu untersuchen sein, wie die Kategorie der »organisierten Mütterlichkeit« als Ausdruck einer spezifisch weiblichen Identität und zugleich als politische Programmatik gewonnen und wie sie gedacht wurde in bezug auf die unterschiedlichen Lebensbereiche von Frauen, welche Forderungen und Politikformen sich aus ihr ableiteten. Die Entwicklung dieser Kategorie ist zu verstehen auf der Grundlage einer Geschichtsinterpretation, die davon ausging, daß durch die Entstehung der modernen Industriegesellschaft und der damit einhergehenden Zunahme der Bedeutung der Geldwirtschaft ein Zurückdrängen und Verlust von weiblichen Einflußsphären stattgefunden habe, indem durch die Schaffung einer »objektiven Kultur« immer mehr Tätigkeiten aus dem Binnenraum der Familie in den gesellschaftlichen Bereich verlagert wurden, auf den die Frauen im Gegensatz zu den Männern keinen Einfluß hatten. Lediglich die Mutterschaft stellte einen Bereich dar, der sich gegen diese Hinausverlagerung als resistent erwiesen hatte (vgl. Lange 1980, 21).
Während in der Agrargesellschaft noch keine strenge geschlechtsspezifische Trennung der Sphären der Arbeit vorhanden gewesen und von einem gleichwertigen Beitrag von Frau und Mann selbstverständlich ausgegangen worden sei, habe die Rolle des Mannes im Zuge der Verlagerung seiner Arbeit in den öffentlichen Bereich und die Tatsache der Entlohnung seiner Arbeit eine Aufwertung zur »Ernährerrolle« erfahren, bei der Frau sei es dagegen zu einer »innere(n) Abhängigkeit im persönlichen Leben und eine(r) mindere(n) Einschätzung [der Familienarbeit; d.Verf.] innerhalb der sozialen Gemeinschaft« (ebd., 115) gekommen. Ausschließlich verwiesen auf den engen Rahmen einer immer mehr an Funktionen einbüßenden Familie, hätten die Frauen somit im Zuge der Konstituierung einer öffentlich-gesellschaftlichen Sphäre, welcher ihr traditioneller häuslicher Bereich als »Privatsphäre« gegenübergestellt wurde, einen Verlust an Bedeutung und Macht zu verzeichnen, den es wieder zurückzugewinnen gelte (vgl. Stoehr 1983, 229).

  • »... die moderne Entwicklung (hat) einerseits den an die Familie gebundenen Wirkungskreis der Frau eingeschränkt, und sie andererseits auf unmittelbare Beteiligung am wirtschaftlichen und sozialen Leben hingewiesen, ohne ihr doch dazu die innere und äußere Bewegungsfreiheit zu geben.« (Programm des ADF 1905, o.S.)

Die Rückgewinnung des verlorengegangenen weiblichen Einflusses wurde jedoch nicht gedacht als ein Streben nach formaler Gleichberechtigung. Eine solche Vorstellung negierten die gemäßigten Frauen als »Ausdruck jenes voraussetzungslosen Idealismus, der ohne Rücksicht auf geschichtlich gewordene und geschichtlich zu begreifende Verhältnisse seine absoluten Forderungen aufstelle« (Lange 1980, 43).
Weder von der Forderung eines Rechts auf Arbeit an sich noch von der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln wurde die Lösung der Frauenfrage bzw. die Erweiterung der weiblichen Einflußsphäre erwartet, die nur zu erkämpfen sei durch eine Frauenbewegung, die auf »alle Lebensbeziehungen der Frau« (ebd.) eingehe und das Vorhandensein einer spezifisch weiblichen Identität zugrunde lege.[10] »Es handelt sich also darum, der Frau zu einer Anpassung an die modernen sozialen Verhältnisse zu helfen, bei der ihr für sich selbst die größtmögliche Entfaltung der Persönlichkeit und ihres Lebens gewährt ist und die zugleich die Aufgabe erfüllt, von der Frauenkraft den weitgehendsten, zweckmäßigsten, wertvollsten Gebrauch für die Zwecke der Allgemeinheit zu machen.« (ebd., 30) Das sollte erreicht werden durch den besonderen weiblichen Kulturbeitrag, durch das Hineintragen von Mütterlichkeit in Beruf und Politik und alle anderen gesellschaftlichen Bereiche — als Betonung von Menschlichkeit im Gegensatz zur verdinglichten, von Rationalität getragenen Männerwelt — mit dem Ziel, »Frauenkraft als Frauenkraft« (ebd., 26) in die  gesellschaftliche Sphäre zu integrieren und diese entgegenzusetzen der die »Welt der gesellschaftlichen Produktion mit der schauerlichen Unpersönlichkeit ihres Mechanismus, der den einzelnen rücksichtslos zu einer Triebkraft im Räderwerk macht« (ebd.). Damit sollte eine »spezifisch weiblich geartete Kultur als Einschlag und Ergänzung der männlichen Art auf allen Lebensbereichen« (ebd., 45) geschaffen werden durch die Beteiligung von Frauen an den Kultursystemen des Berufslebens und der Politik.
Das Konstrukt der »organisierten Mütterlichkeit« wies dabei die von Männern geprägten Ideale der Weiblichkeit entschieden zurück als Widerspiegelungen »männlicher Bedürftigkeit«, um somit der Funktionalisierung weiblicher Fähigkeiten im männlichen Interesse zu begegnen (vgl. Stoehr 1983, 225). Der Begriff der »Mütterlichkeit« stellte im Gegensatz  zur Kategorie der »Weiblichkeit« nicht ab auf ein Verständnis der Frau als Geschlechtswesen, welches ohne die Zuordnung zum Manne nicht denkbar war, sondern zielte auf eine allen Frauen gemeinsame Identität, die den Frauen eine neue Perspektive/Handlungsebene erschließen sollte zur Rückgewinnung verlorengegangener Macht (ebd., 226). »Organisierte Mütterlichkeit« wurde dabei nicht verstanden als eine Befestigung der traditionellen Frauen- und Mutterrolle, sondern als eine Theorie und Praxis, die mehr Menschlichkeit beinhalten und den Frauen die Möglichkeit bieten sollte, aus der begrenzten häuslichen Sphäre herauszutreten, ohne ihre Identität aufgeben zu müssen, sondern in ihrer Berufsarbeit und ihrer politischen Arbeit anzuknüpfen an ihren bisherigen Erfahrungen und den damit verbundenen positiven Werten. Es handelte sich in diesem Zusammenhang um die Eröffnung einer Perspektive gerade auch für Frauen, die keine Mütter waren, denn es wurde eine soziale, geistige Mütterlichkeit (ein Abstraktum der realen Mütterlichkeit) postuliert, die nicht (nur) verstanden wurde als Arbeit innerhalb der Familie, sondern gerade darüber hinausweisend als Mütterlichkeit in Beruf und Politik.

Erwerbstätigkeit und Professionalisierung der Mütterlichkeit
Ein vorrangiges Ziel des Postulates der »organisierten Mütterlichkeit« hatte zunächst in einer Legitimation der Berufstätigkeit kinderloser bzw. »unversorgter« Frauen[11] und in der Durchsetzung und besonderen inhaltlichen Ausformung qualifizierter Berufe für Frauen bestanden. Dabei galt es zum einen, Berufe für Frauen zurückzuerobern, die traditionell dem weiblichen Tätigkeitsfeld zuzuordnen waren — wie etwa der Arztberuf und die Krankenpflege, kreative Berufe und die Bildung (hier hebt die gemäßigte Frauenbewegung besonders auf die Mädchenbildung ab) —, aus denen die Frauen von Männern verdrängt worden seien (vgl. Lange 1980, 136). Zum anderen wurden neue Tätigkeitsbereiche erschlossen vor allem in der Sozialarbeit/Familienfürsorge, Rechtsberatung und im Rahmen von autonomen — nach dem Selbsthilfeprinzip organisierten — Aus- und Weiterbildungsprojekten für Frauen, Bereiche, die anknüpften an die Vorstellung der »sozialen« bzw. »organisierten Mütterlichkeit« und wegbereitend für die Professionalisierung des gesamten Sektors der Sozialarbeit wirkten. Diese Bestrebungen galten zunächst der Eröffnung von Berufsmöglichkeiten für kinderlose Frauen. Obwohl sich der gemäßigte Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung gegen die Propagierung der prinzipiellen Verbindung von Beruf und (realer) Mutterschaft als Idealform wandte, die wegen der Doppelbelastung der Frau abgelehnt wurde, mußte, doch eingeräumt werden, daß die Familie nicht mehr die volle Kraft der Frau das ganze Leben hindurch beanspruche, und daß

  • »fast die Hälfte der gesamten Lebensjahre aller erwachsenen Frauen in Deutschland der Erwerbsarbeit, nur wenig über die Hälfte noch der Arbeit in der Familie gehörten« (Lange 1980, 23).

Als zentrales Problem wird in diesem Zusammenhang die Verbindung zwischen Mutterrolle und Berufsrolle diskutiert. Die Verknüpfung dieser beiden Sphären stellte sich in unterschiedlichen konkreten Erscheinungsformen dar als zeitliches Nacheinander, ebenso wie als mühsames Nebeneinander in der Doppelrolle. Die Forderung nach einer Trennung von Berufs- und Familientätigkeit wurde nicht vertreten, da die

  • »wirtschaftliche und geistige Entwicklung im Frauenleben diese Lösung heute nicht mehr gestattet. Und zwar sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus inneren Gründen.« (ebd., 106)

Denn die Arbeit von Müttern stelle in vielen Familien eine Existenzfrage dar und darüber hinaus biete die Familientätigkeit keinen für ein ganzes Leben ausreichenden Lebensinhalt mehr. Eine eindeutige Antwort auf die Form der Lösung des im »Doppelberuf der Frau« liegenden Problems wird nicht geliefert mit dem Hinweis, daß ein Arrangieren mit diesem Widerspruch an den individuellen Gegebenheiten orientiert sein müsse und daher vielgestaltig ausfallen könne (vgl. Lange 1980, 117).
Die Vorstellung allerdings, daß bereits in der Berufsarbeit an sich das Erstrebenswerte liege, da sie als Mittel zur ökonomischen Unabhängigkeit zu betrachten sei, wird mit der Begründung zurückgewiesen, daß als erstrebenswert vielmehr diejenige Arbeit anzusehen wäre, durch welche »ein Maximum an wertvollen Leistungen zu erreichen ist« (Lange 1980, 117). Dabei wird davon ausgegangen, daß in den »unteren Berufsschichten« mit ihrer undifferenzierten Industriearbeit der Familienberuf mehr Möglichkeiten zu persönlich wertvoller und befriedigender Arbeit bieten könne als die Erwerbsarbeit. Deshalb sei Berufstätigkeit nur in dem Maße anzustreben, als sie neben dem Mutterberuf zu bewältigen sei. »Das entspricht durchaus dem Empfinden der Arbeiterinnen selbst.« (ebd.) Aufheben ließe sich der Widerspruch im Leben der Frauen jedoch nicht vollständig, daher wurde es zum Ziel der Frauenbewegung erhoben, soziale Institutionen zu schaffen, die »der Frau die Ausrüstung für ein befriedigendes Dasein auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen« (ebd.)- Hier setzten die politischen Strategien des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung an mehreren Punkten an — wie der Forderung nach einer Schutzgesetzgebung für Arbeiterinnen und berufstätige Mütter, Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeiterinnen bei ihren Familienaufgaben durch Hauswirtschaftsunterricht, Säuglingsfürsorge (vgl. Stoehr 1983,230 u. 245) etc. und darüber hinaus durch Bestrebungen für eine entsprechende Mädchenbildung zur Vorbereitung auf einen qualifizierten Beruf, der ihnen Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung bieten sollte. Die Berufe für höher qualifizierte Frauen (wie Lehrerinnen, Ärztinnen etc.) ließen den Widerspruch der Aufteilung zwischen den beiden Sphären von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit nicht so krass zu Tage treten, da die Frauen hier keine so starre zeitliche Einbindung erfahren würden wie beispielsweise Industriearbeiterinnen, außerdem wurde in Betracht gezogen, daß »die Mutter sich in dieser Hinsicht durch andere Kräfte entlasten« (Lange 1980, 119) könne von der Hausarbeit. Außerdem wirke »eine berufstätige Frau unter Umständen für die Entwicklung ihrer Kinder wohltätiger ... als eine ängstliche Mustermama, die unausgesetzt an ihnen «erzieht»«, (ebd.)
Die Erschließung und besondere inhaltliche Ausformung qualifizierter Frauenberufe und die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen bezeichnen nur eine Strategierichtung der Politik des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung, die ja auf die Einbindung aller Lebensbereiche von Frauen zielte.
Eine zweite Richtung knüpfte an die Lebenspraxis der Frauen an, die ausschließlich als Hausfrauen und Mütter lebten. Ausgehend von der Vorstellung, daß nur die Umlaufform des Arbeitsertrages an der ökonomischen Abhängigkeit der Frau vom Manne schuld sei, wurde es als realisierbar angesehen,

  • »den Wert der hauswirtschaftlichen Leistungen der Frau in das allgemeine Bewußtsein zu erheben, auch wenn sie keinen Preis auf dem Arbeitsmarkt erhalten.« (ebd., 115)

Diesem Mißstand sollte durch die Forderung nach einer rechtlichen Regelung Rechnung getragen werden, die der Frau einen bestimmten Anteil des männlichen Einkommens zur freien Verfügung überläßt und dabei sicherstellen müsse, daß die Frau vor »Willkür und Laune« geschützt »die ihr zustehende Summe nicht als eine jedesmalige Gunst, sondern als anerkanntes Recht in Anspruch nehmen könnte«, (ebd., 123)
Neben dieser Forderung nach Sicherstellung einer ökonomischen Unabhängigkeit zielte die Politik des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung darauf ab, die gesellschaftliche Bedeutung der Frauenarbeit ins öffentliche Bewußtsein zu heben. Dies geschah zum einen durch eine spezifische Ausbildung zur Mütterlichkeit, indem den Frauen ein gewissermaßen »professionelles« Verhältnis zu ihrer Arbeit im Haus vermittelt wurde. Dabei handelte es sich um eine Ausbildung, die dem Dualismus von volkswirtschaftlichen/beruflichen und familienwirtschaftlichen Anforderungen gleichermaßen gerecht werden sollte und zur Vorbereitung sowohl auf die Hausarbeit als auch auf die »erweiterte Mütterlichkeit« im Rahmen von Berufsarbeit (= Sozialarbeit) diente, wodurch die Einstellung vermittelt werden sollte, daß mütterliches Handeln in der Familie gesellschaftlich von großer Relevanz, für das Gemeinwohl förderlich und somit auch von zentraler politischer Bedeutung sei (vgl. Stoehr 1983,  236). Aus dieser Perspektive ist auch die Betonung der Bedeutung der Hausarbeit und Mutterschaft in der Verwendung der Begriffe »Familien- bzw. Mutterberuf« zu verstehen als ein Hinweis auf die soziale Relevanz dieser Arbeit als besondere Kulturleistung im Dienste der Gesellschaft.  Überlegungen zur Abschaffung der Hausarbeit erschienen den Frauen des gemäßigten Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung als Aufgabe eines Machtpotentials, das infragezustellen sie nicht bereit waren, da nach ihrer Auffassung der Mutterberuf innerhalb der Familie mehr Befriedigungsmöglichkeiten bot als die Masse der für Frauen im Bereich der gesellschaftlichen Produktion bereits gestellten Arbeitsplätze, die sich insbesondere in der Industrie mehrheitlich durch Monotonie und ungünstige Arbeitsbedingungen auszeichnete.

Exkurs: Zum Frauenleitbild des radikalen Flügels
Nachdem zuvor die Positionen des gemäßigten Flügels und das von ihm propagierte Leitbild der »organisierten Mütterlichkeit« als eine alle Lebenszusammenhänge von Frauen umspannendes und über »das Haus« hinausweisendes politisches Programm skizziert wurde, soll im folgenden auf den vom radikalen Flügel entworfenen Frauentypus eingegangen werden.
Ausgehend von der naturrechtlichen Gleichheitsidee (die die radikalen Frauen mehrheitlich vertraten[12] — ebenso wie die proletarische Frauenbewegung) forderte der radikale Flügel gleiches Recht von Mann und Frau auf Arbeit, auf Entfaltung im Beruf, auf politische Mitbestimmung und auch auf Sexualität (vgl. Schenk 1981, 151). Damit wurde die Vorstellung von einem Idealbild der emanzipierten Frau verbunden, die Mutterschaft und Beruf gleichzeitig in Personalunion bewältigt. Als unabdingbare Voraussetzung für die Mutterschaft wird angesehen, daß die Frau zuvor die Möglichkeit erhalten hat, sich ungehindert der »Entfaltung aller ihrer Fähigkeiten« (Stöcker 1906, 77) zu widmen. Nachdem die Frau sich selbst gefunden habe, könne sie sich »in freier Selbstbestimmung... dem zuwenden, was ihrer Natur am gemäßesten ist« (ebd.) — dem Mutterberuf. Allerdings dürfe dieser nicht zum Dogma erhoben werden, da so verhindert würde, daß die Frauen erst selbst ihr Leben erleben könnten — ein Weg, der »die freie Entwicklung der einzelnen Frauenpersönlichkeit hemmt und von vornherein Fesseln schlägt« (ebd.). Eine »seelisch entwickelte Frau« sei viel eher in der Lage, eine »beglückendere Mutter« zu sein als die »geistig hilflose, unreife Frau der Vergangenheit« (ebd., 79). Das Auftreten eines schweren Konflikts zwischen Persönlichkeits- und Mutterpflichten wird zwar konstatiert.

  • »Die doppelten Pflichten, die ihr Geschlecht ihr auferlegt bedingen es freilich, daß der Mann im allgemeinen Wettkampf der äußeren Leistungen ihr voran ist. Er hat nur ein Gebiet, wo sie zwei hat, von denen jedes eigentlich einen ganzen Menschen beansprucht.« (ebd., 81)

Aber die Frauen werden darüber hinweggetröstet mit dem Hinweis, daß »der Konfliktreichtum des Frauenlebens [zwar; d. Verf.] ein äußerer Schade, aber ein innerer Gewinn« (ebd.) sei. Zu denken gibt dabei, daß als Beispiele für diese Lebensform Künstlerinnen[13], Agitatorinnen, Ärztinnen und Predigerinnen angeführt werden — also Berufe mit einem relativ hohen Autonomiespielraum zum Beispiel hinsichtlich der Zeitgestaltung —, jedoch auf den beruflichen Alltag der Mehrheit der Frauen nicht abgehoben wird, die sich nicht — wie die o.a. privilegierten Frauen — von vielen Familienpflichten durch Inanspruchnahme von Hilfskräften entlasten konnten.
Die Rolle des Mannes hinsichtlich der Entlastung der Doppelbelasteten bleibt dabei auch relativ unklar. Zwar wird eine »immer bewußtere, ernstere Entwicklung des väterlichen Verantwortungsgefühls« (ebd., 78) gefordert, aber von einer Gleichverteilung der Familienpflichten/-arbeiten wird hier nicht gesprochen. Es handelt sich offenbar mehr um eine »moralische« Verpflichtung des männlichen Parts.
Den Frauen bleibt — als Resultat ihrer Doppelbelastung in Familie und Beruf — die Verheißung:

  • »Aus so heißen seelischen Kämpfen geht am Ende jene Hingabefähigkeit, jene nie versagende Güte hervor, wie sie das Kind braucht, um im warmen Sonnenschein mütterlicher Zärtlichkeit zu einem starken und frohen Menschen heranzuwachsen.« (ebd., 81)

So soll den Frauen über die von den Radikalen konstatierte physische und intellektuelle Überlegenheit des männlichen Geschlechts (vgl. Stöcker 1906, 81) hinweggeholfen werden, indem auf die »sittlich-seelische Überlegenheit der Frau« (ebd.) hingewiesen wird.
Schleicht sich hier dann doch eine Geschlechterpolarität wieder ein, um die Widersprüchlichkeiten der verschiedenen Lebenszusammenhänge von Männern und Frauen bzw. die Zuschreibung der zusätzlichen Verantwortlichkeit für den »Mutterberuf« zu rechtfertigen?

Selbsthilfeorganisation als Politikform
Sowohl der gemäßigte als auch der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung betrieben Sozialarbeit im Rahmen von Selbsthilfeprojekten. Diese Selbsthilfemaßnahmen griffen auf unterschiedlichen Ebenen. So wurde aus dem Programm der »organisierten Mütterlichkeit« u.a. eine spezifische Mädchen-/Frauenbildung abgeleitet, aus der Projekte wie z.B. eine Frauenschule für Sozialarbeit und eine Frauenhochschule entstanden. Darüber hinaus entsprangen im Zusammenhang mit der Idee der »sozialen/organisierten Mütterlichkeit« — aus der Einsicht in die elende Lebenssituation der Arbeiterinnen — zahlreiche Organisationen, die es sich zur Aufgabe machten, die Frauen von ihren Familienpflichten zumindestens teilweise zu entlasten durch soziale Hilfsmaßnahmen in diesem Bereich — wie etwa Hausarmenpflege und Säuglingsfürsorge (vgl. Stoehr 1983, 245). Die 1893 gegründeten »Mädchen und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit« vertraten in der Zielsetzung eine systematische Ausbildung und praktische Einführung im Rahmen der sozialen Hilfsarbeit bei diversen Wohlfahrtsorganisationen; diese Organisationen verfochten eine autonome Frauenpolitik als Prinzip der Selbsthilfe und verstanden sich als

  • Ausbildungsprojekt für Frauen und Mädchen,
  • Koordinatoren für Neugründungen von Selbsthilfeorganisationen von Frauen in diesem Bereich und
  • Berufsfeld für im Rahmen der erweiterten Mütterlichkeit ausgebildete Frauen (vgl. ebd., 239).

Im Rahmen dieser Projekte wurde ausgegangen von einer klassenübergreifenden Frauenverständigung und -Solidarität. Als konkrete Vorhaben wurden u.a. Erholungsheime und Unterkünfte für junge Arbeiterinnen realisiert (vgl. ebd., 240).
Der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung betrieb im Zusammenhang mit der Idee der Neuen Ethik im Rahmen des 1905 gegründeten Bundes für Mutterschutz und Sexualreform ebenfalls praktische Sozialarbeit nach dem Selbsthilfeprinzip. Ziele stellten dabei insbesondere die soziale Hilfsarbeit für ledige Mütter durch Beratungsarbeit, Gründung von Mütter- und Kinderheimen dar sowie Sexualaufklärung und Informationen über Geburtenregelung für Frauen aus allen Bevölkerungskreisen (vgl. Stocker 1906, 173ff.). Die »Verbindung von praktischer sozialer Tätigkeit und intensiver theoretischer Propaganda« (ebd., 173) beschreibt das Tätigkeitsfeld der Radikalen.
Alle diese Projekte waren getragen von dem Gedanken, daß nur Frauen eine Hilfe für Frauen leisten könnten und daß es notwendig sei, das Leben von Frauen hier und heute zu verändern.
Insgesamt läßt sich feststellen, daß dies Gebiet der Frauenselbsthilfe Projekte, zu dem auch die Modelle der Hausgenossenschaften/Gemeinschaftsküchen (die z.T. von Frauen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung ebenso wie von den Reformistinnen innerhalb der Sozialdemokratie propagiert wurden) zuzurechnen sind, in der vorliegenden Literatur relativ wenig erschlossen scheint und sich hier u.E. ein breites Feld eröffnet, auf dem es weiterzuforschen gilt.
Wir stellen hier die These auf, daß die Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung die Subjekte der Vergesellschaftungsprozesse u.a. im Bereich der Kindererziehung und des Haushaltswesens waren. Unserer Meinung nach gelang es der bürgerlichen Frauenbewegung — im Unterschied zur proletarischen —, den Vergesellschaftungsprozeß voranzutreiben.

Vergleichende Einschätzung beider Bewegungen
Wir konnten zeigen, daß sich die sozialistische Frauenbewegung und der radikale Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung in wesentlichen theoretischen Ausgangspositionen entsprechen. In beiden wird die naturrechtliche Behauptung der vollständigen Gleichheit und Ebenbürtigkeit der Geschlechter zum Ausgangspunkt der Emanzipationsansprüche und Forderungen gemacht. Auch in der Bewertung der Berufstätigkeit existieren keine relevanten Unterschiede, wobei allerdings die sozialistische Bewegung — analog zu der in der Partei vertretenen Revolutionstheorie, nach der das revolutionäre Subjekt im Proletariat der großen Industrie gesehen wurde — sich auf die Industriearbeit bezog, während die radikalen Frauen die intellektuellen Berufe für sich erschließen wollten. Die Bewegungen nehmen damit aber auch Bezug auf die materielle Situation ihrer Trägerinnen.
Gemeinsam teilen sie weiterhin die Position, daß sich die Hausarbeit quasi automatisch mit der Entwicklung des ökonomisch-technischen Fortschritts erledigt. Damit muten beide den Frauen in der damaligen Situation Doppelt- und Dreifachbelastungen zu. Demgegenüber erschien den gemäßigten Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung die sozialistische und radikal-feministische Hoffnung auf den technischen Fortschritt, der die Frauen von der Hausarbeit befreien würde, nicht nur als illusionär, sondern auch als Verzicht auf ein Machtpotential. Mit dem Konzept der »organisierten Mütterlichkeit«, das die Vorstellungen eines sozialgewachsenen Unterschieds zwischen den Geschlechtern beinhaltete, versuchten sie die klassische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern insofern zu verändern, als sie für eine Vergesellschaftung von Familienarbeiten und deren Professionalisierung stritten. Diese professionalisierten Arbeiten sollten Sache der Frauen bleiben, sollten so beschaffen sein, daß sich Frauen nicht als minderwertig und unbemittelt vorkommen und einem männlich bestimmten Ideal nacheifern müssen. Als zentrale Institution, als Kristallisationspunkt der Andersartigkeit des weiblichen Geschlechts wurde dabei die biologische und soziale Mutterschaft von Frauen angesehen. Diese hohe Bewertung der Mutterschaft wird in verschiedenen Kritiken als Problem der bürgerlichen Frauenbewegung angesehen: Zum einen habe sie geholfen, die tradierte Frauen- und Mutterrolle zu festigen, indem sie es ermöglichte, »patriarchalische Empfindungen« mit einem tiefen Sinngehalt auszustatten und die Frauen auf diese Weise mit der ihnen zugeschriebenen Rolle zu versöhnen. Zum anderen habe aber auch diese j Haltung zur Mutterschaft und ihre hohe Bewertung Anknüpfungsmomente für faschistische Mütterlichkeitsideologien enthalten. In diesen! Schlußfolgerungen stecken viele Probleme und falsche Voraussetzungen.
Mütterlichkeit wurde von den Frauen des gemäßigten Flügels der Frauenbewegung überwiegend als sozial erlerntes Handlungsmuster begriffen. Demgegenüber knüpften faschistische Mütterlichkeitsideologien vor allen Dingen an eine biologistische Konzeption der Aufgaben der Frau an, um gesellschaftsverändernde Ansprüche und Potenzen von vornherein auszuschließen bzw. zu bannen. Außerdem ist der Begriff der »organisierten Mütterlichkeit« entstanden als »Kampfbegriff« des gemäßigten Flügels der Frauenbewegung. Er wurde kreiert in der Auseinandersetzung mit den Niederlagen der alten, liberalen Frauenbewegung, enthält also die Verarbeitung historischer Erfahrungen. Wenn überhaupt — so scheint es uns — ist es ein Problem der gesamten Frauenbewegung, also auch ihres radikalen und sozialistischen Hügels, konservative Inhalte des Emanzipationskonzepts nicht begriffen und bearbeitet zu haben und somit Anknüpfungspunkte für konservative bis hin zu faschistischen Ideologien geliefert zu haben. So konnten wir zeigen, daß die »Andersartigkeit« von Frauen — ihre besondere soziale und kulturelle Identität —, die in den theoretischen Positionen der sozialistischen Frauenbewegung und des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung vernachlässigt wurde, bei beiden unverdaut und »unbegriffen« wieder auftaucht.
Die Selbsthilfeorganisationen stellten damals wie heute ein Mittel zur Selbstvergesellschaftung von Frauen dar sowie eine Möglichkeit zur Vergesellschaftung von Tätigkeiten. Die sozialistische Frauenbewegung, insbesondere Clara Zetkin, lehnte sie anfänglich strikt mit der Begründung ab, daß in ihnen reformerische Sozialarbeit geleistet würde. Für die Sozialistinnen stellten sie nur individuelle Lösungsmöglichkeiten dar, während sie dagegen staatliche Maßnahmen und Einrichtungen für alle forderten. Innerhalb der sozialistischen Frauenbewegung war diese Haltung aber nicht unumstritten. So plädierte der reformistische Flügel für Selbsthilfeorganisationen. Lily Braun, eine führende Vertreterin dieses Flügels, machte sogar konkrete Vorschläge wie Gemeinschaftshäuser, Gemeinschaftsküchen usw. Clara Zetkin wies diese Vorhaben als unrealistisch zurück, da die Einrichtungen immer nur Hilfe für einige wenige sein könnten. Für sie gab es nur gesamtgesellschaftliche Lösungen, d.h. Vergesellschaftung konnte es nur im Sozialismus geben, die Selbstvergesellschaftung der Frauen mußte bzw. sollte auf diese Zeit verschoben werden. Unserer Meinung nach steckt hinter dieser rigorosen Ablehnung die Befürchtung, daß materielle Entlastungen die Frauen »bequemer« machen würden, sie den revolutionären Drang und Elan verlieren könnten; daß andererseits die Frauen aber selbstbewußter und damit kritischer würden und sich nicht mehr mühelos in die Reihe der Klassenkämpfer einordnen ließen. Clara Zetkin sah in der individuellen Verbesserung der Situation von Frauen nicht eine Chance für das Individuum, sondern primär eine Gefahr für die Klasse, eine Schwächung der Kampfkraft (siehe Gebärstreikdebatte). Eine Stärkung der Individualität war hier gleich bedeutend mit individualistisch und somit egoistisch. Diese Position konnte sich aber auf Dauer nicht in der proletarischen Frauenbewegung durchsetzen lassen. Luise Zietz und andere Frauen des radikalen Flügels, dem auch Clara Zetkin angehörte, mußten sich dem Druck der Parteimitglieder beugen und setzten sich für Selbsthilfeorganisationen ein.
Die Gemäßigten der bürgerlichen Frauenbewegung lehnten zwar Selbsthilfeorganisationen nicht grundsätzlich ab, forderten aber staatliche Beteiligung bzw. Unterstützung. Sie wollten damit eine staatliche Anerkennung erreichen. Die Radikalen dagegen lehnten staatliche Eingriffe strikt ab. Sie fürchteten die staatliche Reglementierung und Kontrolle und sahen darin ihre Unabhängigkeit bedroht.
Die offizielle und von Zetkin formulierte wie durchgesetzte Politik war von der Einschätzung getragen, daß Frauen wie Männer und mit Männern die Machtfrage stellen müßten.
Wir denken, daß darauf die Überzeugung beruht, die proletarische Frauenbewegung habe ein klares und zielsicheres Verhältnis zur Machtfrage gehabt und diese wichtige Problematik prinzipiell richtig gesehen. Richtig daran ist aber lediglich, daß die frühe Sozialdemokratie dieses tat. Die Frauen innerhalb der Sozialdemokratie haben sich in diesen Rahmen gefügt und keine eigenen Forderungen gestellt, weil sie die Überzeugung teilten, ihre Interessen seien identisch mit denen der Männer. Innerhalb der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen waren die Frauen eigentümlich bescheiden. Sie begnügten sich damit, parallele Extragremien und -ämter zu besetzen, die für Frauen und die Frauenfrage eingerichtet wurden. Entscheidendes Merkmal dieser Zusatzeinrichtungen war, daß sie lediglich beratende Kompetenz hatten und insofern auf die Güte und Gnade der Partei- und Gewerkschaftsvorstände angewiesen waren. Diese Regelung der Rest- oder Inkompetenz hat Clara Zetkin energisch vertreten und gegen ihre Widersacherinnen, z.B. gegenüber Lily Braun, durchgefochten. Um 1900 erfährt diese anläßlich einer Frauenkonferenz, daß deren Beschlüsse nur wirksam werden können, wenn der Parteivorstand sie absegnet. Sie läuft mit ihrem Protest auf, sie kann nichts mehr an der Einrichtung von »kontrollierter Eigenständigkeit« ändern. Die Haltung zur Machtfrage ist insofern in der proletarischen Frauenbewegung über die Anbindung der Frauengremien an die Organisation der Arbeiterbewegung definiert. Frauen stellen nicht als Frauen, sondern als Anhängsel Ansprüche an entscheidende gesellschaftliche Institutionen. Sie thematisieren in der Politik nicht mehr das Geschlechterverhältnis — weder das »kleine« noch das »große«. Dies wird sozusagen in seiner traditionellen Form aus dem Alltag in die Politik übertragen: Die Männer als die Stärkeren, als die schützenden und sorgenden Väter — aber auch als die vorpreschenden Kämpfer! —, erhalten von den Frauen das Mandat, die gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen auszutragen. Proletarische Frauen stellen die Machtfrage nur vermittelt, über Umwege über Gewerkschaft und Partei. Dieses Zugeständnis müssen sie machen, um überhaupt akzeptiert zu werden. Das kostet seinen Preis.
Die Abschaffung der Ungleichheiten und Diskriminierungen, die Frauen ertragen müssen gegenüber den relativen Privilegien der Männer, wird auf morgen und übermorgen verschoben. Bis zur Revolution sollen sie stillhalten und den Prozeß, in dem die Reihen breiter und fester gefügt werden, gefälligst nicht stören. So verhalten sie sich denn auch.
Von der bürgerlichen Frauenbewegung wird berichtet, sie hätte gegenüber den gesellschaftlichen Institutionen, die mit Macht und Entscheidungsbefugnis ausgestattet seien, »vornehme Enthaltsamkeit« geübt und keinerlei definitive Haltung dazu eingenommen. Sie habe zwar über ihre Organisationen auf dem Gebiet der Frauenbildung und Verberuflichung von Frauentätigkeiten einiges erreicht, aber diese Orientierungen und Zielsetzungen seien nicht in und gegen die bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnisse von Staat und Gesellschaft eingebracht worden. — Auch solche populären Auffassungen sind zu erschüttern, zu differenzieren und zu modifizieren, denn: Macht und Herrschaft wurden von der bürgerlichen Frauenbewegung durchweg als »männliche Prinzipien« identifiziert. Alle Organisationen und Institutionen, die an der Ausübung herrschaftlicher Funktionen beteiligt waren oder von dieser profitierten, wurden als Instrumente eingestuft, die dem System der Privilegiensicherung für Männer zuzuordnen seien. Parteien und staatliche Organisationen galten den bürgerlichen Frauen als Herde männlicher Kultur und Überheblichkeit, als Garanten von gesellschaftlichen Vorteilen und männlicher Geschlechterdominanz. Diese lehnten sie ab, in diese wollten sie sich nicht fügen. Sie fürchteten, daß die »weibliche Wesensart« durch eine »allgemeine Käuflichkeit« ihrer Arbeitskraft zerstört werden könnte. Eine generelle weibliche Erwerbstätigkeit und -fähigkeit wurde von ihnen nicht angestrebt. Sie wollten berufliche Möglichkeiten für Frauen eröffnen, diese aber gleichzeitig vor dem Verschleiß in unmenschlichen Arbeitsbereichen schützen. Sie schafften also Berufsfelder, die der weiblichen Regenerations-Tätigkeit, ihrer spezifischen Wesensentfaltung und -äußerung entsprachen, um ihr so gesellschaftliche Geltung zu verschaffen. (Daß sie eine kritische Neu-und Umdefinition des Verständnisses von »Weiblichkeit« als gesellschaftlicher/nicht-biologischer Kategorie vornahmen, haben wir oben dargelegt.)
Trotz grundsätzlicher Kritik und Ablehnung, die Teile der bürgerlichen Frauenbewegung, insbesondere die radikal-feministischen Strömungen, den traditionellen gesellschaftlichen Institutionen entgegenbrachten, versuchten sie auch für bestimmte Forderungen (§218 Sexualreform/Stimmrecht/Frieden) eine Zusammenarbeit herzustellen. Der Dialog, der punktuell geführt wurde, bestand aus — schnell versandenden — Appellen an liberale bzw. konservative Kräfte und — häufiger erfolgreichen — Vorstößen in die Richtung aufgeschlossener sozialistischer Demokraten. Das eigentliche Gewicht ihrer politischen Arbeit lag bei der bürgerlichen Frauenbewegung aber in den eigenen Reihen. Sie bevorzugten eine eigenständige Willensbildung und autonome Verständigungsprozesse, um ihre Prinzipien nicht zu verwässern, zu vermännlichen. Sie wollten garantieren, daß die Besonderheiten speziell weiblicher Interessen tragfähig und durchsetzungsbereit präsentiert würden. Sie sahen dieses Anliegen bedroht durch einen Eintritt in traditionelle Parteiorganisationen. In den vielfältigen Auseinandersetzungen, insbesondere mit der frühen Sozialdemokratie, scheint diese Befürchtung durch.
Aber auch die Versuche der bürgerlichen Frauenbewegung sind kläglich gescheitert: Ihre Professionalisierungsanstrengungen hinsichtlich der sozialen und erzieherischen Tätigkeiten mündeten eher in eine Verfestigung, denn Relativierung oder gar Aufhebung traditioneller Aufgabenteilung zwischen Mann und Frau. Daß ihre Verberuflichungsbestrebungen so vereinnahmt werden konnten, wie es geschehen ist, zeigt, daß die gesellschaftliche Anerkennung und der politische Einfluß der Frauenarbeit als Regenerationsarbeit mitnichten gestiegen war. Wie konnte es dazu kommen? War der feministische Standpunkt noch zu ungefestigt, um in praktisches Handeln umgesetzt zu werden? Haben sie es an Skepsis und Vorsicht fehlen lassen, als sie das Zusammengehen mit traditionellen Organisationen probierten? Wie ist es dazu gekommen, daß sie — kaum an die Öffentlichkeit getreten — zersplittert, ohne ihre hehren Zielsetzungen und verloren dastanden?
Wir wissen immer sehr schnell, was wir nicht wollen: Keine Zu- und Unterordnung in Parteien und Gewerkschaften, die die Probleme des Geschlechterverhältnisses mit der Aufhebung des Klassenantagonismus — bis auf einen kleinen Rest — meinen erledigen zu können. Und: Keine Politik des Appells, der Bittstellerei und des Werbens um Einsicht bei den Schaltern und Waltern in Vorständen etc. Aber wie intervenieren Frauen heute machtvoll, ohne sich zu verleugnen? Wie festigen wir unsere feministischen Interessen und Zielsetzungen? Kann das autonom geschehen oder geraten wir so ins gesellschaftliche Abseits? Müssen wir nicht unsere Argumente, unsere Vorstellungen und Vorhaben in der Auseinandersetzung mit anderen, mit Gegnern, mit Männern entwickeln? Wovon hängt unsere Stärke ab? In welchem Stadium ist denn ein Zusammengehen mit traditionellen Organisationen, ein Eintreten in Institutionen funktional und fördernd für die Festigung und Verbreitung feministischer Positionen? Läßt sich solch eine Frage überhaupt vor und unabhängig von den je konkreten Politikinhalten und anvisierten Handlungsfeldern grundsätzlich beantworten? Sie läßt sich allenfalls einkreisen auf die wesentlichen Variablen: Wenn im gesellschaftlichen Umfeld mit quer durch alle Klassen und Schichten gültigen Privilegien für Männer feministische Positionen durchgesetzt werden sollen, bedeutet das Konkurrenz, Rangelei, Kampf und Streit auf allen Ebenen. Frauen können damit alleine beginnen. Sie halten aber nicht lange durch, wenn sie nicht in Kollektive eingebunden sind, die wiederum mit anderen zusammenhängen und so ein Netz von Verbindungen schaffen, das auf allen Ebenen — privat, gesellschaftlich, politisch — und für alle Bereiche Alternativen frauenspezifischer Art definiert. Damals waren die Auseinandersetzungen insofern weiter, als sie z.T. öffentlich ausgetragen wurden. Heute geschieht das nur sehr begrenzt. Mißtrauensposten lassen sich so nicht abbauen, Orientierungen für die Kleingruppenarbeit von Frauen werden nicht angeboten. Aber: Wie ist das zu schaffen angesichts der uns an allen Ecken und Enden einholenden Streite und Zwiste unter Frauen über Fraueninteressen? Sind wir nicht auf dem besten Wege, die Aus- und Abgrenzungsfehler der alten Frauenbewegung zu wiederholen?