Vorwort

Karl Marx
Aber was hat er uns überlassen!
Welchen Mangel an Illusionen.
Welchen weltweiten Verlust
An sicheren Werten. Welche verbreitete
Unfähigkeit, sich zu unterwerfen!
Und wie ausgeschlossen, unter uns
Nicht an allem zu zweifeln. Seither
All unsere Erfolge: nur Abschlagszahlungen
Der Geschichte. Dahin die Zeit
Sich nicht hinzugeben an die Sache
Und wie unmöglich, nicht ans Ende zu gehn:
Und es nicht für den Anfang zu halten!
(Volker Braun)

Erste Schritte
Die Aufgabe, die wir uns stellten, war riesig: durch Erforschung des Ineinander-Verschränktseins von Arbeiter- und Frauenunterdrückung wollten wir Bausteine für eine Stärkung sozialistischer Politik erstellen. Als feministische Sozialistinnen können wir nicht umstandslos und ohne zerreißende Aufgabe eigener und allgemeiner Geschichte den »Abschied vom Proletariat« mitbegehen und diffus die Befreiungsanstrengungen »gleichberechtigt« auf alle sozialen Bewegungen verteilen, noch als Anhängsel eines historischen Subjekts auftreten. So ging es uns darum, wissenschaftlich an Politikkonzepten zu arbeiten, die uns ermöglichten, die eigene Geschichte bewußt zu machen.
Zu Anfang gingen wir auf den Pfaden schon erarbeiteter Fragen. Frigga Haug hatte in ihrem Aufsatz »Männergeschichte, Frauenbefreiung und Sozialismus« (1981) erstes Licht in auch unser dunkles Selbstverständnis geworfen, daß diese beiden Bewegungen »natürlich einen Zusammenhang«, spätestens bei den Zielen, haben.
Aber der abstrakte Zusammenhang geht mit praktischer Trennung einher, und es gibt keine Garantie, daß die vielen verschiedenen Befreiungsbemühungen sich quasi im Selbstlauf alle auf eine allgemeine menschliche Befreiung zubewegen. Als Aufforderung zu einer Forschungsanordnung lasen wir: »Untersuchen wir, ob und wie die unterschiedlichen Fesseln, aus denen sich Arbeiter und Frauen befreien wollen, zusammengeschmiedet sind ...« und »wie sich die beiden Unterdrückungen aufeinander beziehen, wie die Herrschaftselemente zusammenwirken« (ebd., 658). Unsere Annahme, daß Frauenunterdrückung als allgemeine Herrschaftssicherung auftritt, ließ uns von Geschlechterverhältnisse« ausgehen, die eingewoben sind in die Produktionsverhältnisse und sie mitbestimmen. Das Feld fanden wir nicht vollständig unbearbeitet vor. Vorarbeiten z.B. gab es im Bereich von Kultur und Arbeit. Ist das, was als qualifizierte Arbeit gilt, kulturell/männlich bestimmt und damit festgelegt, daß Frauenarbeit unqualifiziert ist, wie Games und Pringle aus Australien untersuchten (1983)? Blockiert die männliche Kultur der Arbeiterschaft u.U. die offensive Aneignung der neuen Technologien und damit auch gewerkschaftliche Politik (vgl. Haug, F., 1982 und Karl/Ohm 1982)? Wir wollten Geschlechterverhältnisse in der Arbeit untersuchen und im Zusammenhang zu Kultur und Staat, um das vielfältige Geflecht, das die Einzelnen an ihre Plätze bannt, zu begreifen und eingreifende Gegenstrategien ersinnen.
Unbedingt wollten wir auch über die Bewegungen selber arbeiten, insbesondere über die Frauenbewegung. Mit dem Slogan, daß das Persönliche politisch sei, brachen die Frauen mit traditionellen Politikvorstellungen und -praxen, indem sie zum einen die Lebensweise, das Private und die Personen selbst zum Politikum erklärten, zum anderen gegen das Stellvertreterprinzip, auf das »Selbermachen« setzten. Die große Menge der dezentralen Widerstandspunkte bewegt — vor allem kulturell — vieles; was aussteht ist die Untersuchung der Wirkungsweisen dieser Widerstände.
Mit diesen Thesen und ersten Vermutungen ausgestattet lautete unsere allgemeine Fragestellung: Was ist sozialistische Frauenbefreiungspolitik heute? Wie verändert sich das Politik- oder Kampffeld durch die Politik der nichtsozialistischen Teile der Frauenbewegung in ihren Widerstandspunkten und Protestformen? Und unser allgemeines Ziel sollte sein: die Erarbeitung einer sozialistischen Frauenpolitik, die die Existenz anderer Widerstandsbewegungen als Stärke begrüßt und nicht als Schwäche bekämpft. Eine sozialistische Politik, die den Namen wissenschaftlich verdient, weil die Analyse des Kraftfeldes jeweils Ausgang der konkreten Politik ist und nicht nur allgemeine immer gültige Ableitungen.
Wir gründeten Arbeitsgruppen zu den einzelnen Forschungsfeldern — anfänglich waren es neun — und ein Plenum, das den Diskussionszusammenhang und wechselseitiges Lernen organisieren sollte. Die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Gruppen verschoben die Schwerpunkte des Bandes, ohne daß wir dieses bewußt geplant hätten. Dadurch, daß die Gruppen zu Produktivkräften und Geschlechterverhältnissen, Arbeit und Unternehmerstrategien und Arbeitertöchtern keine Abschlußergebnisse vorlegen konnten, dominierten Kultur- und Ideologiefragen diesen Band. Das bedeutet allerdings nicht, daß wir damit den Produktionsverhältnissen nicht Rechnung trügen. Durch kulturelle, ideologische Formen hindurch vermittelt sich das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit. Werte, Normen, Handlungsregulative strukturieren Erfahrungen, ermöglichen, daß Widersprüche lebbar gemacht werden, bieten Sinnkonstruktionen.
Knapp formuliert heißt das: die Menschen werden auch ideologisch mit dem System verwoben, in es eingebaut. Damit sich durch die Kulturen hindurch nicht blind, quasi hinter unserem Rücken und nicht bewußt gemacht, die alten Herrschaftsverhältnisse in modernen Gewändern wiederherstellen, braucht es Forschungen, die die Wirkungsweisen des Ideologischen erarbeiten, die sich die Vergesellschaftungsfrage unter allen Aspekten zurechtlegen, um so Möglichkeiten für wirksame anti-ideologische Politiken bereitzustellen. Wie sehr die Geschlechterverhältnisse ideologisch-kulturell mitgeformt werden, mit Effekten, die die Produktionssphäre berühren und zugleich in Dienst genommen werden können, versuchen wir in einigen Beiträgen herauszuarbeiten. Unser Lernprozeß ist wesentlich von der Erarbeitung neuer Fragen gekennzeichnet — der Forschungsprozeß ist unabgeschlossen.
In dem Beitrag »Geschlechterverhältnisse«, in dem wir zunächst die internationalen theoretischen Arbeiten zu Marxismus-Feminismus unter der Fragestellung zusammenfügen wollten, welche Leerstellen es bezogen auf die Frauenfrage marxistisch unbedingt zu füllen gilt, verschob sich das Thema während seiner Bearbeitung immer mehr ins Politische.
Im Marxismus verbinden sich die unterschiedlichen internationalen Frauengruppen in theoretischer Diskussion um politische Fragen; eine praktische Verbindung, ein Zusammenschluß über Ländergrenzen hinweg wäre wichtig. Eine internationale Frauenorganisation aller sozialistischen Feministinnen und feministischen Sozialistinnen scheint uns ein nicht zu fernes Ziel und eine wissenschaftliche und politische Notwendigkeit.
An einzelnen Punkten arbeiteten wir heraus, wie Frauenunterdrückung in Befreiungsaktivitäten eingelassen ist: im Familienentwurf der Arbeiterbewegung z.B., der gegen die Unternehmer erkämpft wurde zum Schutz der Frauen und zur Entwicklung schon nicht-kapitalistischer, solidarischer Beziehungen und im Effekt sich gegen die ökonomische aber auch kulturelle Unabhängigkeit der Frauen richtete (»Die Familie als Brutstätte der Revolution«). Die Flexibilität der Familienweise in der konstanten Fesselung der Privatform braucht unbedingt weitere Untersuchungen. Die Familie mit ihren verschiedenen Versorgungs- und »Freizeit«-Aufgaben (s. auch den Beitrag »Durch ihre Hände gehen Millionen«), die gerade im Augenblick von rechts reformuliert werden, ist ein wichtiger Baustein bei der Produktion des »Wertewandels«; es findet eine Privatisierung des Gesellschaftlichen statt, die durch die umkämpften handlungsleitenden Werte hindurch veränderte Sinnstufungen besonders für Frauen anbietet und die das Private, Isolierte, auf sich selbst Gerichtete als das Eigentliche gegen das Gesellschaftliche neu mobilisiert. Im selben Feld liegt auch die Untersuchung über das Bild des Revolutionsträgers in der Literatur. In seiner (harten) Männlichkeit schillert es keineswegs ins Menschliche, sondern negiert implizit Frauen als mögliche Kämpferinnen. Weitergehend noch wird als konterrevolutionär, als bürgerlich der Intellektuelle vorgeführt, der wiederum in seinen wesentlichen Merkmalen als typisch »weibisch« entziffert werden kann. Die soziale Konstruktion des Weiblichen erweist sich zumindest in der schönen Literatur als ein Baustein fürs Klassenkämpferische. Revolutionsauffassungen und männliche Arbeiterklassenstruktur gehen hier — bis in die Jetztzeit — Hand in Hand auch gegen hegemoniale Politikkonzepte und vielstimmige historische Subjekte. Wenn sich Bilder und Symbole so sehr von konkreten politischen Aufgaben entfernen können, indem sie historisch »überlappen«, müßte anhand weiterer Untersuchungen solcher Vor-Bilder in allen sozialen Bewegungen Gefahr und Nutzen untersucht werden, damit wir die Kämpfe den Bildern ähneln lassen können, ohne daß die Bilder festgehalten werden von »alten Zeiten« und alten Kämpfen, sondern immer schon menschlich — aufrechte Entwürfe von vielen sind.
Als schwierig erweist es sich immer noch, die Geschichte der Frauenbewegung so zu studieren, daß die Kämpfe der Frauen nicht von Unter- und Überschätzungen verstellt werden. Um einen freieren Blick auf die Geschichte zu erhalten, versuchten wir mit dem radikalen Zweifel zu beginnen: wir wollten die Sicherheit, daß es eine eindeutig »proletarische« und eine eindeutig »bürgerliche« Frauenbewegung gegeben habe, erschüttern. Unsere bisherigen Untersuchungen über Frauenfragen ließen uns erheblich daran zweifeln, daß sie unter den Rastern bürgerlich und proletarisch angemessen aufgehoben wären. Der Klassenkampf als Gradmesser für die Einordnung, schien uns wichtige Probleme im Zusammenhang der Geschlechterverhältnisse zu enthalten. — In der Durchführung verwandelte sich die Arbeit unseres Geschichtsprojekts immer mehr in eine über Clara Zetkin und die Schwächen der Gewerkschaften und Parteien in der Frauenpolitik. Schwierigkeiten in der Gesamtgruppe bewirkten zudem, daß die Geschichtsgruppe in der weiteren Arbeit quasi ein eigenes Projekt bildete.
Am Ende waren wir uns doch immerhin darin einig, daß Klassenkämpfe, in denen die Frauenfragen keine Rolle spielen, nicht eingreifend genug sind, und daß sozialistische Politik den Zusammenhang von Klassen Verhältnissen und herrschaftsdurchzogenen Geschlechterverhältnissen zu ihrem Gegenstand machen muß.   
f.h. und k.h.

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