Die Arbeiter, so dachte Marx, sind diejenigen, die mit ihrer eigenen Befreiung die Befreiung der Menschheit, also aller übrigen Gruppen, erreichen. Das ist ihre historische Aufgabe. Insofern wäre eine eigene Frauenbefreiungsbewegung ein Anachronismus oder aber, um Gleichberechtigung ringend, nicht wirklich revolutionär. Für die Organisationen der Arbeiterschaft war daher die neue Frauenbewegung seit Ende der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts zunächst ein Moment, das man ignorieren konnte, und bei wachsender Stärke und Zeitdauer ihrer Existenz eine Kraft, die einzuverleiben war: Umgekehrt fand sich die Frauenbewegung selber teils in ignorierender Fremdheit gegenüber den Arbeiterorganisationen, teils — weil in sie ein Großteil sozialistischen Engagements einging — in wachsendem Zorn; dies in internationalem Maßstab und mit wenig zeitlicher Differenz. Wohl dachte niemand in der Frauenbewegung ernstlich daran, ihr die Arbeiterbewegung, soweit vorhanden, einzuverleiben, jedoch mehrten sich die Stimmen, die den bewegten Frauen mehr revolutionäre Kraft zugestanden, als sie die ins System eingelassenen Arbeiterorganisationen noch aufzubringen vermöchten. Nach fast 15 Jahren neuer Frauenbewegung entbrennen überall Diskussionen um eine gemeinsame politische Strategie innerhalb der Bewegung und in diesem Kontext stellt sich auch erneut die Frage nach dem Verhältnis von Frauenbewegung und Arbeiterbewegung, nach Marxismus und Feminismus.
Vor diesem Hintergrund wollten wir für den vorliegenden Band den Stand unserer bundesrepublikanischen Diskussion protokollieren und — weil dies nach einigem Studium nicht bloß ermutigend und anregend war — auch den internationalen Stand in einem eigenen Beitrag hinzufügen. Soweit sie uns nicht schon bekannt waren (vgl. Haug, F., 1981), arbeiteten wir uns mit Feuereifer in die neuesten Texte aus USA, England, Frankreich, Jugoslawien, Indien, Australien, Belgien, Holland ein. Und wieder hatten wir dieses unglaubliche und fast utopische Erlebnis, das nur ein gemeinsames Projekt der Befreiung vermitteln kann: Alle diese Diskussionen, Streite, Überlegungen — wie sehr sie auch teilweise gegeneinander gerichtet waren — waren uns unmittelbar vertraut, verständlich (trotz Sprachmühen) und lasen sich, als hätten wir erst gestern miteinander gesprochen, und setzten über Tausende von Kilometern fort, uns gemeinsam zu bemühen, Wege zu finden. Dieses Erlebnis zeigte uns aber auch zugleich, daß unser urprüngliches Vorhaben, einen nationalen und einen internationalen Aufsatz zu schreiben, borniert war. Es konnte nicht mehr darum gehen, unsere nationale Dürre durch den großen internationalen Atem zu beleben. Wie in den einzelnen Ländern und teilweise über Ländergrenzen hinweg diskutiert wurde, forderte uns unmittelbar heraus, uns in die Diskussion zu mischen, zu veränderten Problemstellungen und neuen politischen Losungen beizutragen. So verschmolzen nicht nur die zwei Aufsätze in einen, auch die vorgenommene Durchführung mußten wir verändern. Zunächst dachten wir, uns rein als Botschafterinnen zu begreifen, nur Kunde zu geben von dem, was international geschah. Aber die Diskussionspunkte und die Weise ihrer Behandlung ergriffen uns unmittelbar, forderten unsere Parteinahme, Eingriffe, Fortsetzungen, neue Überlegungen heraus. Ein »objektiver« Text wäre heuchlerisch. Wir konnten nicht so tun, als ob uns das alles nichts anginge. So konnte es nicht darum gehen, alles gleichrangig neutral vorzuführen, schon in Anordnung, Rangfolge, Wortwahl, Ausführlichkeit würde sich unsere Stellungnahme einschleichen — umgekehrt wollen wir jetzt explizit machen, wie wir uns in der internationalen Diskussion — selber so ein Stück Internationalismus — begreifen. Wir werden die einzelnen Beiträge und Diskussionen in eine andere Anordnung bringen und dabei allerdings versuchen, die bekannte bürgerliche Methode des konkurrierenden Abgrenzens zu ersetzen durch eine Behandlung der einzelnen Beiträge nach ihrem möglichen Nutzen und Gebrauchswert für eine Strategie der Befreiung. Dabei wollen wir den Projektcharakter auch eines solchen Textes dadurch noch hervorheben, daß wir zum Teil Texte aus dem Ausland, die ebenfalls bilanzierend verfahren, hineinbauen bzw. im Anschluß an unseren Text veröffentlichen. Neues Ziel des Textes ist jetzt nicht mehr der Überblick, sondern der Versuch, neue Vorschläge und Perspektiven für die Frauenbefreiung zu formulieren.