Zweiter Teil

Aufgaben und Probleme einer sozialistischen autonomen Frauenpolitik

1. Politiktheoretische Feldbesichtigung

Die Wissenschaften haben die Aufgabe, schrieb Engels, der Politik die Mittel für eingreifendes Handeln in die Hand zu geben. Wissenschaften und Politik stehen in einem Spannungsverhältnis, sie bedingen einander häufig nicht einmal: Die Wissenschaften können voranschreiten, ohne daß ihre Ergebnisse politisch umgesetzt würden. Und dennoch hängen sie ineinander, müssen immer wieder aufs Neue verkoppelt und gegenseitig nutzbar gemacht werden.
Die Überlegungen von Marx zur dialektischen Methode — die ja wissenschaftlich und politisch relevant ist — basierten auf der Einsicht, daß man einen Gegenstand nicht unmittelbar erkennen kann. Er muß rekonstruiert werden, die Logik seiner Funktionsweise, seiner Entwicklung muß anfänglich begriffen sein. Gegen jegliche A-priori-Konstruktion und Mechanik sich wendend, schreibt er:

  • »Es handelt sich nicht um das Verhältnis, das die ökonomischen Verhältnisse in der Aufeinanderfolge verschiedener Gesellschaftsformen historisch einnehmen, noch weniger um die Reihenfolge «in der Idee»

... Sondern um ihre Gliederung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft« (Grundrisse, 28). Die vorgeschlagene Politik wird also von der Vorstellung, die man von der Reproduktion des Ganzen und seiner Teile hat, abhängen, wenn man dem Marxschen Postulat, die Gesellschaft als artikuliertes (gegliedertes) Ganzes zu begreifen, folgt (vgl. auch Althusser 1968, bes. 137-146).
Die wissenschaftlichen Anstrengungen der Frauenbewegung haben — wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt — ganz unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen und Resultate für solche Re-Konstruktionen: Geschlecht, Klasse, Produktionssphäre, Reproduktionsbereich, Geschlechterverhältnisse. »Die« Frauenfrage scheint ein viellogischer Gegenstand, ohne bisher auszumachende Einheit. Will man nicht von vornherein Problemausgrenzungen betreiben, muß man sich dem Problem steilen, indem man es als ein dezentriertes Zentralproblem begreift, das eine ebensolche Politik fordert. Im folgenden skizzieren wir den allgemeinen Stand der politiktheoretischen Diskussion als Vorarbeit für marxistisch-feministische politische Arbeit.
Die leitende Frage, die sich durch die Literatur zieht, ist die nach der Hegemonie und nach den hegemoniefähigen Subjekten, worunter wir die Fähigkeit begreifen wollen, daß sich Menschenmassen an die Lösungen der bestehenden Probleme setzen.
Neue Probleme sind aufgetreten: Ökologiekrise, in bedrohliche Nähe gerückter Atomkrieg, anhaltende Wirtschaftskrise bei zunehmender Arbeitslosigkeit, eine revolutionäre Produktivkraftentwicklung (sogenannte dritte wissenschaftlich-technische Revolution, Automation; vgl. Projekt Automation und Qualifikation 1978-83), und es werden

  • »die zerstreuten Produzenten..., interklassistisch, als Konsumenten rekonstituiert. Die in den marxistischen Diskursen zäh weiterlebenden alten Namen der Klassenakteure werden immer abgehobener« (Haug, W.F., 1983, 10).

Marxistische Erklärungsweisen gerieten ins Wanken, das geflügelte Wort von »der Krise des Marxismus« ging um (vgl. Haug [Hrsg.] 1983 und Seve 1980).
Um diese sich auch krisenhaft konstituierenden Probleme entstanden neue politische Subjekte, mit alternativen Politikformen in anderen als traditionell politischen Bereichen:

  • »Doch die Krise dieses Dreiecks [Ökonomie/Politik/Regierung, d.Verf.] hat sich durch das Entstehen einer Politik außerhalb des Staates und des «Parteien-Staates» bemerkbar gemacht, einer Politik, die aus den neuen Widersprüchen des Kapitalismus entstanden ist. Diese Ausweitung und Vervielfachung der Orte und Praxen im Bereich der «società civile der Massen» und der Kultur hat historisch neue demokratische Subjekte entstehen lassen (Ökologiebewegung, Feministinnen) ...« (Buci-Glucksmann 1982, 55)

Buci-Glucksmann stellt die Politik als Sphäre von objektiven historischen Ereignissen in Frage. Die Frauenbewegung begreift sie als Kraft, die die Politik der umfassenden Subjektivität, der Lebensweise, Reproduktion, Familie, der Körper fordere. Neu überdacht werden müsse »eine traditionelle Konzeption der politischen Praxis, die durch die Frauenbewegung in Frage gestellt wurde und die all den bekannten Dualismen und Entfremdungen ausgesetzt ist: Objekt/Subjekt, rational/irrational, öffentlich/privat, Männer/Frauen, Aktivität/Passivität« (ebd., 40).
Sie gibt auch die Richtung an, indem sie das »System der Hervorbringung der Geschlechter« (Rubin) in die Produktionsverhältnisse theoretisch eingearbeitet sehen will:
»Wenn man sich dieser spezifischen Unterdrückung — einer Unterdrückung der Identität — annimmt, so bedeutet das auch, die marxistische Analyse der Klassen ebenso neu zu formulieren wie die Analyse der Politik.« (Buci-Glucksmann 182, 57).
Um konstruktive Politikbegriffe geht es auch Ingrao. Aggregation (Zusammenschluß, Vereinigung) ist ein solcher Begriff.

  • »Die Notwendigkeit, die Gehalte und Subjekte der sozialen Transformation neu zu denken, hängt in Wirklichkeit direkt mit den Veränderungen des gegenwärtigen Kapitalismus zusammen, genau, mit den Formen, in denen sich heute Herrschaft der kapitalistischen Oligopole verwirklicht. Diese Veränderungen ändern auch die Forderungskataloge der Massen ... und verlangen eine Änderung der politischen Subjektivität.« (Ingrao 1982, 329)

Ingrao formuliert als Ziel die »Vergesellschaftung der Macht« (332):

  • »es führt wieder dazu, sich mit dem Staat als Ort und Quelle gesellschaftlicher und nationaler «Aggregation»... in bezug auf große Problemlagen zu befassen« (ebd., 331),

und wie Buci-Glucksmann sucht er nach der Gemeinsamkeit der heterogenen Subjekte:

  • »es muß gelingen, gemeinsame Kämpfe zu schaffen und gleichzeitig zuwegzubringen, daß diese kollektiven Kämpfe eine neue Kreativität des Individuums auszudrücken vermögen« (ebd., 333).

Indem die gesellschaftlichen Problemanordnungen Lösungen fordern, die die politische Zentrierung auf nur einen Bereich (Ökonomie) verunmöglichen und eine »plurale Ausdehnung« beinhalten, wird der bestehende Pluralismus der politischen Subjekte in der internationalen Sozialismus-Diskussion mittlerweile nicht mehr als notwendiges Übel begriffen. Für die unterschiedlichen Bewegungen stellen sich die jeweiligen Probleme auf der Ebene des Politischen unter anderem als Anforderung, traditionelle Bereiche zu überschreiten. Ellen Wood (1982) z.B. belegt, wie die ökonomischen Kämpfe unvollständig bleiben müssen, wenn sie nicht aus dem unmittelbaren Produktionsbereich herausgehen und auch gegen den Staat geführt werden. Wichtig ist uns, daß neu durchdacht werden muß, wie im Politischen Zuständigkeiten für Bereiche (die Arbeiterklasse für die Produktion, die Frauenbewegung für die Kultur) intensiviert werden können, indem sie überschritten und politisch artikuliert (gegliedert) werden (W.F. Haug nannte dies »Konvergenz in der Differenz«; vgl. Haug 1981). Solche Gliederungen gilt es theoretisch zu formulieren, während die Kämpfe sich praktisch entscheiden.
Neben den Bereichsüberschreitungen hin auf die unmittelbar politische Sphäre des Staates findet theoretisch eine Verarbeitung der Politisierung der »società civile« statt, dem Bereich also, der »zwischen Überbau und Basis« vermittelt (oder zwischen Staatsapparaten und Ökonomie). Die Subjekte als Individuen in historischen Lebensweisen gewannen politische Brisanz, und zwar nicht zuletzt durch die Frauenbewegung.

  • »Nach meiner Ansicht liegt der Hauptbeitrag der weiblichen Kritik darin, die historischen Möglichkeiten einer Praxis der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Kulturen, Geschichtsformen und Biografien sichtbar zu machen, die nicht Vermittlungen/Vernichtung der wechselseitigen Unterschiede ist, sondern Suche nach verschiedenen möglichen Interessensüberschneidungen« (Bonacchi 1982, 155).

Die Frauen, überwiegend im Privatbereich, stellten die alten politischen Sphären in Frage (s. unten);

  • »über das Private bildet sich die politische Subjektivität der Frau und mit ihr die Kritik der Politik als abgetrennter Machtsphäre« (Pasquinelli 1982, 162).

Wenn wir den Blick nicht von den großen globalen Problemen nehmen und dennoch frauenspezifische Aufgaben re-formulieren wollen, stehen wir vor einem fast unlösbaren Problem: Es wird nicht gehen, daß wir die Frauen separat, mit einem ganz eigenen Politikkonzept, verhandeln, wenn wir theoretisch die Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse begreifen. Wir müssen uns also zu allen Bewegungen verhalten, uns einbinden und als Einbindende tätig sein. Bisher wandten wir uns gegen ökonomistische Auffassungen, in denen historische Hauptrollen a priori festgeschrieben wurden und in den Nebenrollen die Politik, Ideologie und Kultur fungierten. Der Blick auf die internationale Diskussion zeigt, daß die Länder mit starken sozialistischen Bewegungen dabei sind, Haupt- und Nebenrollen in Frage zu stellen, und es gilt, ein neues Stück zu schreiben. Das Ganze bildet sich ab als ein Kampfplatz, der geprägt ist von Zielkonflikten, die sich einstellen bei der Formulierung und Verallgemeinerung der Probleme. Die theoretische und praktische Aufgabe besteht in der Konstruktion eines Zusammenhangs (vgl. Haug, W.F., 1982) und der Vernetzung der Bewegungen als marxistischer politischer Praxis.
Im folgenden wird es uns darum gehen, die Probleme, die die Frauenbewegung selbst aufgeworfen hat mit ihren Lösungen, vorzustellen und neu einzufügen.

  • »Besteht nicht einer der großen Verdienste der neuen sozialen Bewegungen darin, eine neue Form politischer Subjektivität freigesetzt zu haben, die sich nicht mehr in Begriffen von 'Abschaffung der Ausbeutung' artikuliert, sondern in Begriffen von Emanzipation und Befreiung?« (Buci-Glucksmann 1982, 61)

Die scheinbar rhetorische Frage von Buci-Glucksmann umreißt die Probleme wie eine Klammer: Emanzipation und Befreiung gilt für alle politischen Subjekte, die Wege dorthin werden wohl verschieden begangen. Daß Problemanordnungen um Politik und Macht auch in nicht frauenspezifischen Theoretisierungen Eingang fanden, zeigen die oben vorgeführten Diskussionen. Begriffe wie »Vernetzung«, »neuer historischer Block«, wider die »Mikrophysik« (Pasquinelli 1982), multizentrische Struktur (Haug, W.F., 1982), Polizentrismus (Togliatti), »Artikulation« und »Rekomposition« (Ingrao) umschreiben dieses Problem (des Politikfeldes und der politischen Subjekte) als gesamtgesellschaftliches. Nicht zuletzt das Scheitern der Arbeiterbewegung (im Faschismus) ist eine Voraussetzung für die Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Problemanordnungen gewesen. Fragen nach den Kämpfen um »Köpfe und Herzen« des Volkes werden immer wichtiger. Gramsci, der unmittelbar auf die Erfahrungen und den Alltag der Menschen rekurrierte und ihn als wichtige Kraft erkannte, wurde vielleicht nicht zuletzt deshalb noch einmal notwendig neu gelesen, weil auch die Frauen das Problem des Alltags und die Probleme im Alltag ins Zentrum stellten.
Wie stellt sich politisch das Problem des Zusammenhanges von Arbeit und sozialistischer Frauenbewegung? Es verbindet sie ein gemeinsames Ziel: Herrschaft und Unterdrückung menschheitlich abzuschaffen. In der Perspektive der Arbeiterbewegung ist die Frauenfrage nicht explizit mitgestellt, so daß in alltäglicher Politik sie als abgeleitete, marginale, »irgendwie« in einem Verhältnis zur gesellschaftlichen Produktion stehende vorkommt. Die Perspektive der Frauenbefreiung stellt sich spontan partikular, d.h. eingeschlechtlich und gegen die Männer gerichtet. So erweist sich die abstrakte Gemeinsamkeit als praktische Trennung, da die Interessen auch gegeneinander artikuliert sind und die jeweiligen politischen Subjekte sich bekämpfen oder ignorieren.
Die Weise, wie sich die Fragen der Produktion, der gesellschaftlichen Regelung überhaupt, der Kultur usw. zueinander ordnen und geordnet werden von den politischen Kräften, wollen wir als eine Anordnung begreifen, die sich durch das Vorhandensein von Zentren (wie z.B. den Bereich der Ökonomie) und Marginalem (wie z.B. den Bereich der Kultur) auszeichnet. Die Anordnung bestimmt die Behandlung der Fragen, ihre Über- und Unterordnung, ihr »jetzt oder später«. D.h. sie ermöglicht und erzwingt bestimmte Artikulationen (Verknüpfungen), denen die Politik sich beugen muß, ihnen zumindest Rechenschaft schuldet. Innerhalb dieser — wie wir sahen — unterschiedlichen Anordnungslogiken ist die vorrangige Behandlung der Frauenfrage z.B. innerhalb der Arbeiterbewegung unmöglich. Sie würde die Logik, zu der auch das Phänomen gehört, daß die Arbeiterbewegung (kulturell) männlich ist, sprengen. Dieses Wissen gibt uns Hinweise auf mögliche Taten: Wir müssen andere Wege suchen, andere Anordnungen schaffen, die sich nicht gegenseitig behindern und blockieren, oder doch zumindest die Blockierungen entselbstverständlichen. So sehr wir diesem Vorschlag zustimmen mögen, so unverschämt ist er, stellt er doch die selbstverständliche Einheitlichkeit des politischen Subjekts in Frage und bestimmt es als vielstimmiges. Für die Arbeiterklasse als politisches Subjekt spricht ihre Stellung in der gesellschaftlichen Produktion und deren Regelung. Bedenkt man jedoch, daß die Gesellschaft in Produktions- und Reproduktionssphäre geteilt ist und daß die Produktion keineswegs linear die Reproduktion absolut bestimmt, so folgt, daß das politische Subjekt nicht universal gefaßt ist, wenn es nur auf die Produktion der Lebensmittel bezogen ist, nicht aber auf die Produktion des Lebens.
Wenn wir von diesem Standpunkt der Reproduktion der gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse ausgehen, muß die starre Zentrierung aller Anstrengungen auf nur einen Bereich zugunsten von Dezentrierungen und bereichsüber- und durchgreifenden Überlegungen verändert werden. Probleme der Erziehung, der Schule, des Lernens, des Einbaus der einzelnen in die Gesellschaft rückten auch in den Mittelpunkt und müßten von allen Befreiungskräften angegangen werden. Die Leitfragen von diesem Standpunkt wären dann: Wie wird das Ganze wiederhergestellt mit seinen Orten, Grenzen, wie die einzelnen, und was tun sie darin? Produktion und Profit wären aus dieser Frage nicht ausgespart, müßten aber in ihren Erklärungen auch entselbstverständlicht werden, um Tragik und Möglichkeiten dieser Verhältnisse besser zu begreifen. Das Problem Arbeiterbewegung und Frauenbewegung stellt sich so als eines, das durch den und im Marxismus zu lösen wäre, und bezweifelt eine abgeleitete Frauenpolitik, wie sie in den Organisationen der Arbeiterbewegung für angemessen erachtet wird.
Für die Feministinnen stellt sich die Aufgabe, den spontanen Partikularismus zu überwinden, indem sie sich nicht mit »Frauenbereichen« ausschließlich zufriedengeben, sondern schon die Teilung der gesellschaftlichen Bereiche in geschlechtsspezifische als Skandal angehen und Überlegungen zur gesamtgesellschaftlichen Transformation anstellen.
Die Beziehungen von Arbeiter- und Frauenbewegung, Marxismus und Feminismus sich nicht mehr als getrennte vorzulegen, ist einem Lernprozeß zu verdanken. Daß wir Marxismus und Arbeiterbewegung relativ umstandslos ineinandersetzten, entsprach weniger der Wirklichkeit als unseren Wünschen. In der BRD z.B. gibt es wenig lebendigen Marxismus. Der Marxismus lebt überwiegend in Studierstuben und Seminaren, wird dort eifrig verwaltet, in seiner Wichtigkeit betont. Die Trennung von Wissenschaft und Arbeit reproduziert die Trennung von Marxismus und Arbeiterbewegung. In solchen Getrenntheiten nistet Herrschaft. Hier Einheiten vorauszusetzen, heißt Herrschaftsanordnungen nicht mitbegreifen zu können und keine Politik gegen sie zu erfinden. Und eine zweite Irritation: Das Verhältnis von Marxismus und Feminismus ist eigentlich keines. Feminismus hat z.B. keine ausgearbeitete Theorie, die zu anderen ins Verhältnis gesetzt werden könnte. Im Begriff Feminismus stecken vielmehr ein Anspruch und eine Bewegung: der noch abstrakte Anspruch, daß die Frauenfrage eine alles umgreifende ist und daß die Bewegung spontan »stattfindet«, in Projektform, vielfältig, nicht zentralisiert. Das Partielle, das der Begriff Feminismus spontan unterstellt, muß allgemein werden. Theoretisch meint das die Behandlung der Geschlechterverhältnisse als Teil der Produktionsverhältnisse: Das erzwingt und ermöglicht die Theoretisierung gesamtgesellschaftlicher Entwürfe. Politisch gilt es, die gesellschaftlichen Orte zu besetzen, das heißt: die Machtfrage zu stellen.
Der Feminismus als wissenschaftliche Kraft hat bereits eine Kultur und einiges Werkzeug im theoretischen Feld — das sind seine Vorteile. Vor-und Nachteile erweisen sich im unmittelbar politischen Feld: Der enge Zusammenhang von Feminismus und Frauenbewegung zwingt die wissenschaftlichen Erkenntnisse in direkte politische Artikulation. So steht mit jedem Fortschritt in der Frauenbewegung die politische Einheitsfrage auf der Tagesordnung. Wer wird verloren, wer kann gewonnen werden? Das erschwert das Politik-Machen und schärft zugleich die Überlegungen dazu.
Die so global vorgetragenen Zusammenhänge unterstellen ein unentwegtes und einheitliches Überschreiten alles Bisherigen durch die frauenbewegten Kräfte. Tatsächlich findet sich auch eine Art »Sicherheitsstreben«, bei dem Vorfindliches in schon Gewußtes/Konstruiertes einsortiert wird. Als Phänomen ist dies nicht einem Teil der Bewegung zuzuordnen, sondern ist übergreifend. Während sich einige marxistisch orientierte Frauen mit dem Sammeln von Daten, Fakten und Erfahrungen beschäftigen (wieviele weibliche Arbeitslose, fehlende Kindergärten, Lohnungleichheiten usw.), das auch dazu dient, die Aussagen von Marx und Engels zu stützen, sie zu belegen und immer wieder ihre Richtigkeit festzustellen, beschränken sich feministische Frauen teilweise ebenso auf reine Materialsammlungen. Hier mit dem Ziel, die vorher schon gewußte Behauptung, daß die Männer die Frauen unterdrücken, neu zu belegen. Ungeachtet der vielseitigen Aspekte von Wirklichkeit und ihren politischen Implikationen ist in beiden Fällen das Resultat identisch mit der Ausgangsthese. Für die Frage, welche Strukturen, Struktureffekte und Mechanismen durch Herrschaftsanordnungen hergestellt werden, sind solche Studien sicher nützlich. Was fehlt, ist die konkret eingreifende Handlungsaufforderung, die den jeweiligen Beleg in Bewegung oder gar zur Abschaffung bringt, wenn man allgemeine Negationen — die Abschaffung des Kapitalismus oder des Patriarchats — noch nicht als ausreichende Politikvorschläge begreift.

2. Kultur — Ideologie — Staat

Probleme von Ökonomie, Politik, Kultur und Ideologie (Basis und Überbau) wurden in den letzten 15 Jahren Staats- und ideologietheoretisch neu formuliert. Einen Ausgangspunkt bildete der erkenntnistheoretische Bruch, den Althusser (1968, 1977) mit dem »Ökonomismus« und »Klassenreduktionismus« der Dritten Internationale vollzog. Daß die Krisenhaftigkeit der hochentwickelten kapitalistischen Verhältnisse keineswegs zur Revolution, sondern zu einer Fähigkeit, Krisen- und Widerstandspotentiale kulturell und politisch zu absorbieren, führte, zwang zu neuem marxistischen Denken. Althusser entzifferte in vielen marxistischen Erklärungsweisen eine Logik, die er als hegelianisches Relikt »expressiver Totalität« begriff. Zusammengefaßt bedeutet ein solches lineares Denkmodell die Reduktion aller gesellschaftlichen Vorkommnisse, Effekte usw. auf eine Ursache. Dem setzte Althusser die von Marx nur unfertig formulierte Problemanordnung des Konkreten als eines gegliederten Ganzen entgegen (Grundrisse, 21ff.). Vom Standpunkt der Reproduktion des Systems untersucht Althusser (1977, 114), »was für die Existenz und den Charakter des Überbaus wesentlich ist«.
In der Tradition von Gramsci wird das Hauptaugenmerk auf die Verknüpfung von Staat und Hegemonie der herrschenden Klasse(n) gelegt:

  • »Die Rolle des Staates besteht besonders im Hinblick auf die herrschenden Klassen ... in der Organisation. Er repräsentiert und organisiert die herrschende Klasse ..., er organisiert also das langfristige politische Interesse des Blocks an der Macht, der sich aus den verschiedenen Fraktionen der bürgerlichen Klasse zusammensetzt.« (Poulantzas 1978, 117)

Im Unterschied zu den klassisch (oder traditionell) marxistischen Staatsuntersuchungen, die das Problem des repressiven Staates im Zentrum hatten (Militär, Polizei im Dienst von Kapitalinteressen), suchen die angeführten Autoren die Funktion des Staates beim Prozeß der politischen Herrschaftsbildung und -erhaltung über den Konsens. Diese spezifische Funktion leistet »die Ideologie« (Althusser 1977) oder »das Ideologische« (PIT 1979). Poulantzas merkt kritisch an:

  • »wir sind bei der Überlegung stehengeblieben, Ideologie existiere nur in Ideen, Gewohnheiten oder Sitten, ohne zu sehen, daß Ideologie in einem handgreiflichen Sinn in Institutionen verkörpert sein kann ...« (Poulantzas 1976, 19)

Den Staat gegliedert zu denken heißt, analytisch die repressiven von den ideologischen Staatsapparaten trennen, die in der Wirklichkeit verwoben auftreten.

  • »Die ideologischen Staatsapparate haben als Hauptfunktion, den Zusammenhalt und die Einheit der Formation aufrechtzuerhalten — die herrschende Ideologie «kittet» eine Formation ...« (Poulantzas 1976, 21)

Wichtige ideologietheoretische Fragen sind, wie die Antagonismen, Widersprüche verschoben, verdichtet, des-artikuliert werden und wer wie bei der Produktion des Konsenses beteiligt ist.
In der BRD wird Ideologie unter anderem auch als »falsches Bewußtsein« verhandelt (vgl. etwa Marxistische Studien 1981, bes. 11-143); frauenspezifisch übersetzt, wird dann »Weiblichkeitsideologie als geistige Absicherung« der kapitalistischen Verhältnisse verstanden (MSB-Frauenaktionsprogramm 1983, 42). Das Ideologische als materielle Praxis zu fassen ist dagegen für das Begreifen von Frauenunterdrückung fruchtbar. Eine solche Auffassung erlaubt es, die eigene Aktivität bei der Unterwerfung zu fassen und zu untersuchen und damit eine Verbindung herzustellen zwischen objektiven Strukturen und subjektiver Aneignung. Am Ende eines Interviews mit Ravaioli konzediert z.B. Gruppi, daß »das individuelle Leben mehr oder weniger bewußt Träger von Gesellschaftlichem ist« (Gruppi, in: Ravaioli 1977, 69), nachdem er vorher eine solche Sichtweise als »individualistisch« wertete. Gegen die Behauptung, die Frauenunterdrückung sei wesentlich in Ideologie und Kultur begründet, wenden sich viele Feministinnen: »Das Patriarchat ist in erster Linie eine sozio-ökonomische Struktur und nicht bloß ein Überbau (superstructure)« (Blaise 1982, 31, Hervorh. durch die Verf.; vgl. auch Delphy 1982). Es erweist sich als ein Problem für marxistische Feministinnen, an der Vorstellung, daß die Ökonomie in letzter Instanz bestimmend sei, festzuhalten, ohne die Frauenfrage aus dem Blick zu verlieren. Im Streit gegen herkömmliche, eher ökonomistische Ableitungen gilt es zu begreifen und je konkret zu untersuchen, wie Herrschaft und Unterdrückung hergestellt werden. Ein zweites Problem besteht darin, sich in einem wissenschaftlich formulierten Feld zu bewegen, das die Fragen der Ideologie und der Kultur als sekundäre begreift. So ist es verständlich, wenn die Anstrengungen darauf gerichtet wurden, in das »Herz« des Marxismus einzudringen: in die Ökonomie. So protestiert Hartmann dagegen, daß viele feministische Analysen wesentlich psychologisch seien und insofern unhistorisch — wir können ergänzen »unmarxistisch« (Hartmann 1981). Das Problem, das die Frauen erfaßten, als sie die Erfahrung machten, daß Herrschaft in all ihren Lebensbereichen steckt, ist theoretisch erst in Ansätzen formuliert, und so produziert die Unsicherheit auch Behauptungen, deren Belege noch ausstehen, wie z.B. daß das Patriarchat eine »ideologische Superstruktur« sei (Vogel 1981).
Der Slogan »das Persönliche ist politisch« warf auch die Frage nach den Erfahrungen der einzelnen auf und nach dem Bau der Identitäten durch sie.

  • »Die öffentliche und die Machtsphäre sind geprägt von phallokratischen und kriegerischen Werten der Rivalität und Konkurrenz; sie sind eingenommen von Männern, während Frauen nicht aufgehört haben, um ihre Rechte zu kämpfen. Dies wurzelt sicher in Rollenteilung, Wertesystemen, Symbolsystemen, die die Identität der Frauen an die Familie binden, ist aber in den Staat eingeschrieben und in die Politik. Deswegen darf es kein ökonomisches Konzept des Patriarchats geben, selbst wenn Hausarbeit ein entscheidender Faktor ist.« (Buci-Glucksmann 1981, 40)

Fast zwangsläufig ergibt sich dann die Frage, ob die Identität der Frauen »ideologisch-kulturell, symbolisch« bestimmt sei (vgl. Thevenin 1982,27). Mouffe wollen wir als radikale Vertreterin der Auffassung von einer völligen Selbständigkeit der Überbaustruktur am Schluß dieses kurzen Überblicks zu Wort kommen lassen. Für sie sind Interessen überhaupt nicht mehr aus der ökonomischen Sphäre ableitbar, sondern nur diskursiv artikuliert. Politik und Ideologie (als Instanzen) haben völlig eigenständige Gesetze. Das bedeutet für die einzelnen, daß

  • »jedes Subjekt... vielgliedrig, heterogen und am Schnittpunkt mehrerer Diskurse zusammengebaut [ist], wo es vorübergehend fixiert oder «angenäht wird.« (Mouffe 1982, 31/32)

Ihr Versuch, aus dem Konstrukt »Haupt-/Nebenwiderspruch« herauszuspringen, läßt sie alle Maßstäbe aufgeben:

  • »in dem Maß, wie die gesellschaftlichen Beziehungen auf der Basis eines Überordnungs-Unterordnungsverhältnisses strukturiert sind, können sie alle zum Ort eines Antagonismus werden« (ebd., 31).

Unseres Erachtens hat die Preisgabe von solch zentralen Kategorien wie Interesse, Klasse oder Bestimmung der Gesamtgesellschaft durch die Ökonomie in letzter Instanz (vgl. ebd., 24-32) zur Folge, daß nur mehr — da es keine wissenschaftliche Anordnung mehr gibt, sondern nur die Bestimmung der diskursiven Konstituierung — empiristische Aussagen gemacht werden. Z.B. konstatiert Mouffe, daß für den Bau der Identität eines Arbeiters die Arbeit immer weniger wichtig würde, statt dessen Elemente wie »Rassismus«, »Sexismus« bedeutsam würden. Sie folgt den empirischen Verläufen gesellschaftlicher Strukturveränderungen, aus denen keine Veränderungen in sozialistischer Perspektive eindeutig hervorgehen. Sie müßten »herausgeschält« und zur Diskussion gestellt werden. Es wäre dann die Aufgabe der Politik, die widerständigen Elemente zu stützen.
Ausgearbeitete Staats- und Ideologietheorien haben wir in der (marxistisch-) feministischen Forschung nicht gefunden, eher ein Beharren auf ihrer Notwendigkeit:

  • »Wir denken, daß dazu [daß die Frauen die Verhältnisse akzeptieren, die Verf.] eine Theorie des Ideologischen gehört« (Barrett/Mclntosh 1982, 43).

Es gibt eine feministische Rezeption der Ansätze von Althusser (für die BRD Kolckenbrock-Netz 1982,1983), die ihren Schwerpunkt auf da psychoanalytischen Verarbeitung von Sozialstrukturen haben. »Die Familienideologie ist durch ein imaginäres Verhältnis zu den realen physischen, ökonomischen und ideologischen Bedingungen der Herkunft der Individuen und ihrer Reproduktion strukturiert. Die Individuen können sich vielleicht äußerlich determiniert denken, aber nicht als äußerlich determiniert erleben, d.h. sie neigen in ihrer familiären Praxis 'ganz spontan' dazu, das Determinierende und von ihnen Verschiedene in ein imaginäres Gegenüber, ein Spiegelbild zu verwandeln, mit dem sie sich identifizieren können« (Kolckenbrock-Netz 1983, 34).
Solche Forschungsansätze nehmen die Familie analog zu Althusser als einen wesentlichen ideologischen Staatsapparat und untersuchen mit dem theoretischen Werkzeug von Lacan die Interaktionsbeziehungen der einzelnen Mitglieder, indem sie die Funktionsweise der Subjektanrufungen bestimmen. Die omnipotente Präsenz des (auch symbolischen) Vaters sei z.B. ein Modus der sozialen und psychischen Unterwerfung der Mädchen/Frauen. Die stark psychoanalytisch ausgerichteten Untersuchungsanordnungen sind unseres Wissens nicht mit konkreten (politischen) Handlungsaufforderungen verknüpft. Anders gesprochen: Es fehlt noch an der Verbindung des »inneren Staates« (als in die Persönlichkeitsstruktur eingewoben) mit dem äußeren.
In der BRD hat sich das PIT (Projekt Ideologietheorie) in einer auf Marx und Engels bezogenen Tradition die Erkenntnisse von Althusser zunutze gemacht. In diesem Zusammenhang haben wir Untersuchungen und Ansätze zu einer marxistisch-feministischen Subjekttheorie (vgl. F. Haug (Hrsg.) 1980, 1983) formuliert. Wir denken, daß es für sozialistisch-feministische Politik unerläßlich ist, sich die Staats- und Ideologie-Problematik unter dem Doppelaspekt der Organisation der Gesellschaft und der Vergesellschaftungsfrage zurechtzulegen.
Der Staat ist die »erste ideologische Macht«, wie Engels (MEW 21, 302) formulierte. Und gegen den Gedanken, der Staat sei eine einzunehmende Festung, begreifen wir ihn als

  • »ein Verhältnis, das nicht nur die «herrschende Klasse» und eine Reihe von Institutionen umfaßt, sondern das die beherrschte Klasse einschließt... Der Staat umfaßt eine Reihe von materiellen Praxen, die in den Staatsapparaten organisiert sind, die von anderen Praxen (ökonomischen, kulturellen etc.) verschieden sind ... Die Klassengegensätze werden in der Staatstätigkeit nicht abgebildet, sondern umgeformt, transformiert in andere Gegensätze: Volk gegen Staat, Bürger gegen Staat, Rechtmäßige gegen Unrechtmäßige ...« (Elfferding 1983, 82).

Gegenwärtig ist es die anhaltende ökonomische Krise, deren »Bewältigung« von bürgerlich-konservativer Seite zu Lasten der Bevölkerung geht, die nicht nur in der ökonomischen Sphäre als verschärfter Klassenkampf, sondern ebenso in den Staatsapparaten ausgetragen wird (für Großbritannien untersuchte Hall 1982 die Veränderung der Kämpfe um die Hegemonie).

  • »Wenn 'große' Krise bedeutet, daß die traditionellen Kompromißstrukturen nicht mehr innerhalb der gesellschaftlichen Formen tragfähig sind (Strukturbruch), dann erfordert die in jeder Krise implizierte Lösung der Widersprüche auch immer eine Restrukturierung des Konsenses und der Kompromißstrukturen, eine Formveränderung der gesellschaftlichen (einschließlich der ökonomischen und politischen Produktion)« (Altvater 1982, 136; zur Sozialstaatsproblematik vgl. auch Hoffmann 1982, Westphal-Georgi 1982).

Konkret stellt sich die Frage, wie die Linken und besonders die Frauen in die Umorganisation der Gesellschaft eingreifen können. Denn die politisch-ideologischen Herrschaftsverhältnisse haben eine — entscheidende — Basis in den Geschlechterverhältnissen. So z.B. wird biologische Verschiedenheit als soziale Ungleichheit artikuliert. Auf diese Weise kann Zustimmung erzeugt werden zu Herrschaftsverhältnissen, die als natürliche Verschiedenheit ausgegeben werden und deren »Natur« staatlich formiert war. Das Geschlechterverhältnis hat im Staatsdiskurs zwei Größen: Das Gesetz und das individuelle Verhalten von Männern; Frauen treten gar nicht auf (vgl. Hauser 1983).
Haben wir bis jetzt den Staat begriffen als Verhältnis, als Kampfplatz, als Regulator, als sozialtranszendente Verdichtung vieler Institutionen und Praxen, begreifen wir das Ideologische nicht als etwas »rein Geistiges«, nur das Bewußtsein, nicht die Praxen der Menschen Umfassendes, sondern als »Modifikation und spezifische Organisationsform des 'Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse'« und als »Teilhabe der Individuen an der Kontrolle dieser Verhältnisse oder auch nur ihre Einbindung in sie.« (PIT 1979, 180f.) Entsprechend dem Marxschen Gedanken, daß beim Menschen das »Wesen« hinausverlagert in die Gesellschaft sei (MEW 3, 6), fassen wir auch das Ideologische als etwas materiell Äußerliches. So eingewoben in die gesellschaftlichen Strukturen, wird es wie diese von den Individuen angeeignet, gehört zum Vergesellschaftungsprozeß dazu.

  • »Gegenstand der Ideologietheorie ist mithin zentral eine für Klassengesellschaften spezifische Abwandlung in der allgemeinhistorischen Funktion der Vergesellschaftung der Individuen und ihres Verhaltens. Wir unterscheiden sie von anderen Formen der Vergesellschaftung, von äußerem Zwang wie von Selbstvergesellschaftung, indem wir sie ideelle Vergesellschaftung von oben nach unten nennen.« (W.F. Haug  1979, 5).

Der Vergesellschaftungsprozeß hat — bildlich gesprochen — zwei Bewegungen: von oben nach unten und von außen nach innen. Am Beispiel der Sexualisierung des weiblichen Körpers untersuchten wir diesen Vorgang genauer (vgl. F. Haug [Hrsg.] 1983). Wir gingen davon aus, daß die Organisation der Erfahrungen, das Erleben des Alltags, bewußtseins- und handlungsbestimmend und daß ein Hauptmangel allgemeinmenschlicher Theoriebildung das Fehlen der weiblichen Erfahrungen und ihrer Verallgemeinerung ist. Wir suchten mit der Methode der »Erinnerungsarbeit«
Eingriffspunkte herauszuarbeiten für individuelle und kollektive Handlungsfähigkeit. In diesem Zusammenhang formulierten wir auch theoretische Vorschläge für die Erforschung weiblicher Vergesellschaftungsmuster. Wir gehen davon aus, daß Erfahrungen Brennpunkt kultureller, ideologischer, ökonomischer Vermittlungen sind. Das Individuum vermittelt sich durch diese Bereiche, indem es sie in sich vereinigt, »verdichtet« und in ihnen Handlungsfähigkeiten und Kompetenzen erlangt. Die Aneignung solcher Strukturen verläuft in einem »Anpassungs-Widerstandsmodell« (vgl. Willis 1982). Um überleben zu können, sind die einzelnen gezwungen, sich in die Strukturen einzupassen, zugleich sind die Einrichtungsmöglichkeiten in den Verhältnissen vielfältig und im Zuge ihrer Aneignung hergestellt und verändert.
Das Individuum ist ein Abstraktum. Konkret existiert es als Mann oder Frau, als biologisches und soziales Geschlechtswesen. Die Formierung der Menschen zu sozialen Geschlechtswesen durchzieht alle menschlichen Praxen und Herrschaftsformen und wurde selbst zu einer. Der Vergesellschaftungsprozeß des Menschen zur Frau ist identisch mit ihrer Unterordnung und Unterdrückung. Wir haben diesen Prozeß gefaßt als Sexualisierung des Körpers und aller seiner Teile. Das Problem, das sich uns spontan stellte, war das der »Sexualität«, angenommen als ein Bereich, in dem die Geschlechter unmittelbar aufeinandertreffen, in dem also das Herrschaftsverhältnis unter ihnen quasi par excellence vorzufinden wäre. Zugleich kollidierte diese Annahme mit den eigenen »Wünschen«, daß gerade in der »geglückten Sexualität« ein Befreiungspotential stecke. Die Bestimmung des »Gegenstands« war ein weiteres Problem, sollte Sexualität »nur« als genitale Praxis gefaßt werden, oder war nicht auch schon der »zu« kurze Rock etwas Sexuelles?
Zwei Forschungsgegenstände entwickelten wir aus unseren Problemen: die sexuelle Anordnung (das Dispositiv, wie Foucault 1977, den wir für uns nutzbar machten, schreibt), mit ihren Instanzen (Wissenschaft, Moral, Familie, juristischer Bereich). Wir suchten ihre Produktionen als Konstruktion von »Weiblichkeit« und »weiblicher Körper« und entdeckten ein breites Oberflächennetz von Körperge- und -verboten als auch Leerstellen, Schweigen. Ihre Verdichtung zu Diskursen macht »Sexualität« aus, in deren Fäden die Frauen auf besondere Weise verstrickt sind. Das Furchtbare dieser Verstrickung ist ihre Zentrierung; stellt man sich den Vergesellschaftungsprozeß als Aneignung des Ensembles der gesellschaftlichen Verhältnisse vor, können wir für die Frauen festhalten, daß die Welt für sie Körperwelt ist. Wir wollen dies probehalber körperzentrierte Vergesellschaftung nennen, weil Ausgangspunkt und Resultat der Körper ist. Die Frauen »erkennen« die Welt, indem sie lernen, ihren Körper in einen sexuell begehrenswerten zu formieren; ein vielverzweigtes Wissen um Maßstäbe und Schönheitsvorstellungen ist dazu notwendig; Standpunktwechsel bzw. Standpunktlosigkeit sind zwangsläufig: Wer sich immer mit den Augen anderer betrachtet, wird kaum zu eigenen Zielen gelangen. Diese Zentrierung in ihrer Aneignung zu studieren, war unser zweiter Forschungsgegenstand. Wir schrieben Geschichten zu all unseren Körperteilen, suchten den Vorgang zu fassen, der aus »unschuldigen« Armen, Beinen, Bäuchen, Brüsten »schuldige« machte. Schuldig ist hier in einem zweifachen Sinn gemeint: Der Körper wird schuldig, weil er als verführender selbst- und fremderkannt wird; innerhalb des herrschenden Sex-Dispositivs ist das der qualitative Umschlag vom Kind-Stadium zur erwachsenen Frau. Die biologisch sich entwickelnden Geschlechtsmerkmale gelten, ohne daß die individuelle Mädchen-Frau etwas hinzutun muß, als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Erwachsenenwelt. Bei den Männern kommen soziale Taten hinzu, Aktivitäten, die sie als selbständige auszeichnen. Dieses Verweissystem bedeutet uns ein Weiteres: Indem die Frauen auf ihren Körper verwiesen sind, den sie im Übergang zum Erwachsenwerden »hüten« müssen, d.h. von Sozialität fernhalten, sind sie in radikaler Weise vereinzelt. Ihre Schuld existiert als ein »mögliches Schuldigwerden« an sich selbst. In zweiter Weise ist schuldig werden gemeint als Verarbeitungsweise gesellschaftlicher Mängel und Widersprüche. Sie werden über den Körper ausgetragen, führen zu ver-rückenden Wahrnehmungsweisen, klinischen Verrücktheiten, körperlicher Zerstörung. Die »Makellosigkeit« des Körpers gilt als Zeichen für die »Makellosigkeit« der Seele. »Ein Weib, das Tugend liebt, ja, das muß man begehren sehr. Ein Weib wird in sich selber wert, wenn der Besten einer sie begehrt.« (Walter von der Vogelweide, 1170-1230).
Aus unseren Geschichten hört man viele Stimmen sprechen, die die Unterwerfung lebbar machen, die Handlungsfähigkeit ermöglichen: gesellschaftliche Vorurteile und Urteile, halbwissenschaftliche Theorieversatzstücke, Alltagsmeinungen, andere Standpunkte (von Eltern, Erziehern usw.). Es ist dies eine wertförmige Vergesellschaftung, die zur Grundlage eine Abwendung vom eigenen Interesse und eine Hinwendung zu Handlungsregulativen hat (»du sollst ... du mußt ...« usw.). In der Wertform wird die Zustimmung organisiert, die zugleich die Kompetenz zur Selbstvergesellschaftung an übergeordnete Instanzen abgibt. Zusammenlebensformen z.B. sind staatlich und ideologisch reguliert; Moral tritt häufig an die Stelle von Interessen und deren Vertretung. Moral hat viele Gewänder, so z.B. sexistische: wenn Antirechtskritik an Thatcher geübt wird und mit dem Wort »Plutoniums-Blondine« umschrieben ist (so der linkssozialdemokratische Scargill, vgl. Frankfurter Rundschau v. 29.8.1983). Im Vergleich dazu: US-Präsident Reagan wird über seine frühere Schauspielertätigkeit »Cowboy« ironisiert.
Aber es ist, was die Frauen angeht, nicht nur Sexismus, der in allen Diskursen zu Hause ist, es gibt auch eine zweigeschlechtliche Moral (vgl. F. Haug 1983). Z.B. gilt der Aufruf (Anruf) »Sei anständig« für beide Geschlechter, trifft aber auf ein bereits geschlechterunterschiedenes Feld: Während der Mann hört, daß er seine (Geschäfts-)Freunde nicht betrügen soll, weiß sie, daß sie es nicht mit jedem treiben darf. Die so nach allen Seiten schillernde Moral bewährt sich auch als eine weibliche Legitimierung männlich artikulierter Außenpolitik, wenn etwa Bundeskanzler Kohl die harte Außenpolitik gegenüber der DDR mit Elementen aus dem familiären Alltag »begründet«. Zu begreifen, daß und wie die Herrschenden mit den Gefühlen der Menschen arbeiten, und daß so von oben die Erfahrungen und Erlebnisweisen organisiert sind, beinhaltet die Aufgabe, das Persönliche in politische Verknüpfungen zu bringen, vielleicht zunächst durch Entselbstverständlichung, damit sie behandelbar gemacht werden. Es ist dies immerhin ein Schritt zur möglichen Selbstvergesellschaftung, wenn die individuelle Gesellschaftlichkeit zum Problem wird. Es gibt ein Bündnis von befreienden und fesselnden Elementen, im Fall der Sexualisierung, wenn die Frauen die Lust beschreiben, mit der sie ihren Körper pflegen, die Lust am Begehrt-Werden und im gleichen Atemzug die Angst vor dem »unschönen«, verfallenden Körper und der Furcht vor dem ungewollt hervorgerufenen Begehren. Es ist, als ob die Lust ohne Unterwerfung nicht zu haben wäre. Angst — wie sie im Augenblick durch die Kriegsbedrohung und Arbeitslosigkeit entsteht — bietet für ideologische Vergesellschaftung viele Möglichkeiten. Übersetzen wir — verkürzt — Angst mit (relativer) Handlungsunfähigkeit, so wird verständlich, daß die Verängstigten »Angebote«, Handlungsfähigkeit zu erlangen — wenn auch in ideologisierter Weise —, bereitwilliger aufnehmen. Einfache Aufklärungspolitik wird hier wenig nützen. Gegen ideologische Handlungsfähigkeit kann nur gesellschaftliche wirksam werden. So ist der momentane Abbau des Sozialstaates bei gleichzeitiger Privatisierung seiner Aufgaben zuallererst eine große Gefahr. Zugleich kann man ihn als Zwang, über Alternativen nachzudenken, begreifen. Reprivatisierung bedeutet auch Entstaatlichung. Hier wird es darauf ankommen, nicht einfach die verhärteten (Staats-)Strukturen zu bedienen, die einen sozialen Sieg bei den gegebenen Machtverhältnissen verunmöglichen. Links- und rechtskeynesianistische Modelle sind an ihre Grenzen gestoßen, Umbrüche, die Zerstörung alter Strukturen mit sich bringen, wirken bereits (s. oben). Wir brauchen Konzepte, Entwürfe alternativer Vergesellschaftungsformen, wenn wir die Zerstörung des Alten als Möglichkeit von Neuem auch begreifen wollen. Zwischen Privatisierung und Verstaatlichung muß es möglich sein, Bedingungen für Selbstvergesellschaftungen zu schaffen. Nur so können wir auch dem Effekt der Entöffentlichung der Probleme und damit ihrer Ent-politisierung entgegentreten.
In letzter Instanz geht es um das Verhältnis von gesellschaftlicher Kompetenz-Inkompetenz. Dieser Begriff erlaubt zu fassen, wieweit die Menschen die gemeinschaftliche Lebensproduktion bewußt regeln, inwieweit sie daran gehindert sind, sich selbst hindern, wichtige Bereiche abtreten, nicht durchschauen. Gemeinschaftlich geregelte Produktion ist dann Maßstab und Perspektive. Da die Herrschaftslinien durch die Personen hindurchgehen, müssen sie auf allen Ebenen von allen und mit allen Mitteln bekämpft werden: politisch, ideologisch, kulturell, ökonomisch. »Die 'Unmittelbarkeit' der Person, der Emotionalität, der Gefühle wiederzuentdecken, das Individuum wiederzuentdecken, den abstrakten Formalismus der Politik zu kritisieren, setzt ein hohes Maß an «politischer» Kultur voraus.« (Rossandra 1980, 224). Eine so selbstbewußte Kultur ist eine notwendige Voraussetzung für die Politisierung, ohne daß Kultur in ein funk-tionalistisches Verhältnis zur Politik geriete. Je wissenschaftlicher eine Kultur, desto unwahrscheinlicher die Möglichkeit von Faschismus, Rassismus und Sexismus.
Auch wenn der Staat den Ort der Macht vorstellt, heißt das nicht, daß alle Aktivitäten auf ihn unmittelbar gerichtet sein müssen. Ändert sich die Kulturgesellschaft, ist es möglich, dort neue kollektive Formen zu finden, und eine Politik des Persönlichen, die uns handlungsfähiger macht, kann nicht ohne Auswirkungen auf Staat und Produktionssphäre bleiben. Die vielfältigen punktförmigen Veränderungsbestrebungen in »organisationelle Koordinationen« zu bringen, ist ein kulturpolitisches Projekt.

3. Frauenbewegung und Parteistruktur

Problemrekapitulation
Indem in der herrschenden Anordnung in den kapitalistischen Gesellschaften die Frauen an den Rand der gesellschaftlichen Produktion gedrängt werden und ihr Konsens zu solchem Vorgehen damit in der politisch-kulturellen Sphäre hergestellt wird, scheint angemessener Frauenkampf sich ebenso ausschließlich dort abspielen zu müssen. Der Versuch, hier eine neue Theorie zu formulieren und eine eigene Praxis zu begründen, führt zu einem eigentümlichen Verzicht auf Macht und Politik im herkömmlichen Feld. Indem die Arbeit in der Produktion der gesellschaftlichen Lebensmittel für die meisten Frauen nicht im Zentrum ihres Lebens steht, fordern Theorien, die von daher auch den Verzicht auf die Zentralität ökonomischer Kategorien empfehlen, zwar dazu auf, die Bedeutung der società civile (auch: Kulturgesellschaft) für die Reproduktion des Ganzen zu untersuchen, verlieren aber das Problem aus dem Blickfeld, daß die Menschen insgesamt an der Kontrolle ihrer Lebensbedingungen gehindert sind und daß dieser Umstand für die meisten Frauen noch nicht einmal als Behinderung skandalisierbar wird.
Wir denken, daß Frauenpolitik beides muß, von den Orten der Reproduktion der weiblichen Ohnmacht ausgehen und in die Orte der männlich-kapitalistischen Macht hineingehen. Wie können wir uns eine mögliche Politikform denken und wie das Verhältnis von Frauen zum Staat? Wie wäre es möglich, in den unmittelbar machtpolitischen Raum, in das Parlament, hineinzukommen? Rekapitulieren wir die offenen Fragen: Wir haben zunächst das Phänomen der Frauenunterdrückung in allen Kulturen und allen Bereichen: Frauen nehmen keinen Anteil an der Macht, sie verdienen weniger als
Männer, die Unterdrückung geht bis zur rechtlichen ökonomischen Abhängigkeit in einzelnen Ländern; sie sind sexuell ausgebeutet, unterdrückt;
die herrschende Kultur, Sprache, Literatur, Wissenschaft, Kunst sind männlich bestimmt. An den einzelnen Orten finden zwar Kämpfe statt, sie enden jedoch  mit  der  »weltweiten  Niederlage  des  weiblichen  Geschlechts«. Daß auch die meisten Männer nicht an der Macht im politischen und ökonomischen Sinn teilhaben, verdunkelt das Frauenproblem, macht es zu einer Randfrage. Immerhin können wir die Frage nach dem Verhältnis der Unterdrückungen stellen.
In einem zweiten Problembündel suchen wir nach den Verursachern. Wir haben ohne Zweifel in kapitalistischen Ländern eine Nutznießung von Frauenunterdrückung durch Unternehmer. Wir haben in allen Gesellschaften eine Nutznießung durch Männer. Ebenso finden wir in allen Gesellschaften den Staat an der Frauenunterdrückung beteiligt, sei es durch direkte diskriminierende Gesetzgebung, sei es durch kompensatorische Maßnahmen, die zugleich Kontrollen ausüben und Ortszuweisungen vornehmen (Familienfürsorge, Mutterschaftsschutz, Abtreibungsparagraphen usw.)
Der dritte Problemkomplex läßt sich bestimmen als Schwierigkeiten mit der bisherigen Form, die Frauenfrage im Marxismus zu behandeln. Sehr knapp zusammengefaßt, können wir behaupten, daß die bisherigen Lesweisen des Marxismus, die, soweit sie derzeit für die theoretische Begründung der Arbeiterbewegungspolitik Geltung haben, die Frauenfrage nicht begreifen, die Frauen marginalisieren, die Frauenbefreiung als mögliches Resultat sozialistischer Umwälzung bloß behaupten.

Öffentlichkeit und Privatheit
Wir finden an allen gesellschaftlichen Orten Frauenunterdrückung — das macht eine zusammenfassende Erklärung dieses Phänomens so schwierig. Bisherige Versuche, die Familie, die Hausarbeit, die Eheschließung, die Mutterschaft zum Fundament der Frauenunterdrückung zu erklären, beziehen sich damit implizit auf eine der großen Trennungen in unserer Gesellschaft: der von öffentlich und privat. Im öffentlichen Raum werden die Bedingungen für den privaten Raum (staatlich) geschaffen in der Form kontrollierender Einmischung, die die Grenzen befestigt: schlechte soziale Einrichtungen jenseits der Familiengrenzen bei gleichzeitigem öffentlichen (staatlichen) Bemühen, die familiären Zuständigkeiten für alle Fragen der menschlichen Reproduktion, wo nicht gesetzlich, so mindestens moralisch zu behaupten (Aufsichtspflicht, Sorgerecht, welches auch eine Pflicht ist, die Pflicht, für eine Ausbildung der Kinder zu sorgen bis hin zur Summe des altersmäßig zustehenden Taschengeldes — soweit nur einige der festgelegten moralisch-juridischen Regeln. Viel dichter ist noch das Netz der durch Mutterschaftsideologie und Familienliebe über mehrere Generationen durchgesetzten Verhaltensorientierungen.)
Die Opposition privat-öffentlich gibt faktische Trennungen an: die Abschottung der Privatsphäre vor der Öffentlichkeit ebenso wie die »Entprivatisierung« des Öffentlichen. »Das Private ist politisch«, diese These behauptet, daß im Privaten — eben durch seine getrennte Konstituierung — Politik stattfände und im privaten Leben selber gesellschaftliche Verhältnisse reproduziert würden. Die Absehung vom Persönlichen und Privaten ist demnach selber eine Form der Politik, die die Erfahrungen der Vielen als eigenes Feld für irrelevant erklärt, in ihrer Brisanz entnennt und daher dienlich für die Reproduktion des Gesamtsystems ist. Die Frauenbewegung begann insofern »andersherum« als die linke Bewegung, aus der sie kam, indem sie die Effekte privatwirtschaftlicher Produktion auf die Lebensweise zu verändern vorschlug. So rückte sie die Bereiche Kultur, Ideologie, »Subjektwerdung« in den Vordergrund mit der impliziten Behauptung, daß Veränderungen in diesen Bereichen sowohl möglich seien als auch einen destabilisierenden Effekt auf das Gesamtsystem hätten.
Wir haben also Männer im allgemeinen und Kapital im besonderen als Nutznießer von Frauenunterdrückung und als deren Vollstrecker; wir haben die Familienform, in der sich die Trennung von öffentlich und privat manifestiert und verewigt. Hier ist der Staat, der die Grenzen besetzt hält und die Familie ideologisch reproduziert, ebenso die Kirche. So haben wir alle Mächte der Gesellschaft bei der Unterdrückung der Frauen versammelt, sehen den jeweiligen materiellen Nutzen und stehen dennoch vor dem Problem, irgendwie eine zugleich für unmöglich gehaltene Verschwörung der Kapitalisten, Machthunger und Schlechtigkeit der Männer unterstellen zu müssen, wenn wir eine tragfähige Erklärung für die Dauerhaftigkeit der Frauenunterdrückung im Kapitalismus und über ihn hinaus geben wollen. Anders gesprochen, fehlt uns bislang eine Erklärung für die verschiedenen Allianzen bei der Frauenunterdrückung — etwa der von Lohnarbeitern und Kapitalisten oder Lohnarbeit und Staat in der Familienfrage — und es fehlt eine Erklärung für das weitgehende Einverständnis der Frauen etwa mit der Form der Familie, die wir als eine Reproduktionsstätte von Unterdrückung entziffert hatten. Eine mögliche Antwort ist wohl, daß die Familie selbst wie andere Formen, in denen Frauenunterdrückung reproduziert wird (etwa Berufssysteme), weit entfernt davon, bloß einfacher Unterdrückungszusammenhang in der Hand von Unternehmern und Staat zu sein, in ihrer heutigen Form auch selber ein Produkt der Klassenkämpfe zwischen Lohnarbeit und Kapital ist, und zwar zu den Siegen der Arbeiterbewegung gehört, Stück um Stück gegen die andere Klasse erkämpft. Die Befestigung und der staatliche Schutz im weitgehenden Einverständnis mit den Frauen ist dann Produkt eines Herrschaftsverhältnisses, in dem die Siege sehr stark die Male der Herrschaft tragen, unter der sie erstritten wurden. Jedes Stück Privatheit ist eine Flucht vor kapitalistischen Produktionsverhältnissen und von ihnen strukturierten Öffentlichkeiten und in eben dieser Privatheit auch die Einmauerung der Frauen. Die Verteidigung der Frauenunterdrückung wäre damit ein Element der spezifischen Form, in der die Arbeiterklasse gegen das Kapital antritt. Unter solchen Bedingungen leuchtet ein, daß die Arbeiterbewegung eine kulturell männliche Bewegung ist. Zugleich finden wir einen Zusammenhang von Kapitalherrschaft und Frauenunterdrückung. Es ist ein Trennungszusammenhang, der folgenschwer für eine wirksame Frauenpolitik sein wird. Wenn im Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital die den Unternehmern und dem Staat abgerungenen Vorteile für die Arbeiterklasse nicht etwa nur die Frauenfrage nicht berücksichtigen oder dies zuwenig tun, sondern die Siege sogar eingespannt sind in Formen, die Frauenunterdrückung festigen und ausbauen, so folgt daraus, daß die Kämpfe von Arbeiterbewegung und Frauenbewegung in einigen Punkten zeitweise sich antagonistisch zueinander verhalten müssen. Der Schutz der privaten Familie und ihre Entprivatisierung sind gegensätzliche Strebungen. Frauenpolitik verlangt nach dieser Seite den getrennten autonomen Frauenkampf. Die gemeinsame sozialistische Perspektive der Befreiung wird die Konstruktion von Bündnissen nötig machen, die die Artikulationen/Verknüpfungen von entgegengesetzten Interessen erlauben.

Bewegungsformen
International ist die Frauenbewegung in Projekten und Forschungsgruppen organisiert,

  • »so gehören regionale Organisationsstrukturen, Frauenzentren, Konferenzen, Verlags- und Theatergruppen, Folk- und Rockgruppen, Filmkollektive, Gewerkschaftsausschüsse und Lebensmittelkooperativen zur Frauenbewegung.« (Rowbotham 1981, 14)

Diese Vielzahl an Aktivitäten bedeutet zugleich Massenhaftigkeit:

  • »Der Feminismus wünscht die realen Unterwerfungsverhältnisse, die Art der Unterordnung in den Mittelpunkt revolutionärer Strategie zu stellen ... Das führt zu einer Struktur, der es um Massenengagement, um einen Prozeß der Bereitschaft geht.« (Campbell o.J., 28)

und führt — so ergänzen wir — zu der Frage, wie der Kampf gegen Unterwerfung politisch eingreifend geführt werden kann. Einerseits ist die Projektstruktur der Versuch, sich eine alternative Form zu geben, die nicht durch Hierarchie und Konkurrenz vermittelt ist; ist also praktische Kritik an traditionellen Organisationen, deren »innere Struktur« der Grund ist,   

  • »weshalb die Frauen, die sich heute politisch engagieren,eine hartnäckige, tiefe und oft unausgesprochene Ablehnung jener Politik-Form in sich tragen, in denen sie die Abstraktheit und Funktionalität des Tauschprinzips erkennen« (Rossandra 1979, 235).

Andererseits können wir im Nachhinein das Sich-Einrichten in der Kulturgesellschaft ohne unmittelbare Machtstrategien als Reaktion auf die Orts- und Bereichszuweisungen von Frauen begreifen. Die Grenzen einer Strategie, die davon lebt, die Kultur (und die Wissenschaften) »feministisch« umzubauen, werden jetzt — und verschärft durch die ökonomische Krise und die Rechtspolitik — praktisch wirksam. Es gibt wenig Möglichkeiten für Frauen, die mit Kultur, aber ohne Macht und Gesetz ausgestattet sind, einzugreifen, wenn Reprivatisierungstendenzen durchgesetzt, die Frauen aus der Produktion geworfen werden. Die Mittel der Machterlangung sind theoretisch und praktisch nicht vorbereitet. In welcher Form könnten die Frauen in der Bewegung die Frauenfrage öffentlich vertreten? Das Mißtrauen gegen männliche Politik im Parlament genügt offenbar nicht. Die Auseinandersetzung zwingt die Frauen auch auf den Boden und damit in die Verhältnisse, die sie verändern möchten. Für die Vertretung im Parlament muß also wohl der übliche Weg gegangen werden: entweder der Versuch, massenhaft in die dort vertretenen Parteien einzuziehen mit der Hoffnung, irgendwann auf diese Weise sich bis in die Zentren der Entscheidung hochzuarbeiten, oder der direkte Weg: eine Frauenpartei zu gründen. Diese Lösung ist in der Bundesrepublik besetzt durch eine sektiererische Initiative (Der Feminist), bei deren Aktivitäten man den Eindruck gewinnt, sie wollte eher alle Überlegungen in die Richtung einer Frauenvertretung im Parlament lächerlich machen als wirkliche Wege aufzeigen. Das Auftreten dieser Gruppe hat auch innerhalb der Frauenbewegung, auf den Kongressen und Sommeruniversitäten mehr den Charakter einer Volksbelustigung; ein Umstand, der uns des Nachdenkens über eine Lösung der Interessenartikulation von Frauen im Parlament bisher enthob. Inzwischen kommen aus dem Ausland neue Nachrichten. Kanada, Belgien, Israel, Spanien, Island, Frankreich haben »frauenspezifische Einheiten«, zumeist Parteien, gegründet — zum Teil mit erheblichem Erfolg (in Island errangen die Frauen bei der ersten Kandidatur sogleich 17% der Stimmen). Trotz solcher Erfolge ist uns die Vorstellung einer Frauenpartei unheimlich. Ein Problem ist das Verhältnis einer Partei zur Bewegung und darin die Frage »Einheit der Bewegung oder strikte Pluralität« (vgl. dazu die Diskussion um die Parteigründung in Frankreich, u.a. Thevenin 1981, 9). Beinhaltet eine solche Formierung und Organisierung der Frauenbewegung, wie es eine Partei ist, nicht den Verzicht auf die dezentrale Pluralität der Kräfte? Spontan schlagen wir
uns mit dem unmöglichen Gedanken herum, daß die Bewegung für eine öffentliche Artikulation als Ganze zur Partei werden müßte. Aber selbst wenn wir uns eine Partei nur in einem noch näher zu bestimmenden Verhältnis zur Bewegung denken würden, brauchten wir doch eine »Einheit« in der Bewegung, die solch eine Formierung erlaubt. Welche Einheit aber könnte einer Frauenpartei zugrundegelegt werden, wenn nicht einmal »die Frauenfrage« als einheitliches Phänomen ausgemacht werden kann?
Für unsere weiteren Überlegungen können wir versuchen, aus anderen Zusammenhängen zu lernen, schon Gedachtes und Praktiziertes zu Rate zu ziehen. Schließlich ist die Frauenbewegung nicht die erste und einzige Bewegung, deren Interesse im öffentlich-staatlichen Raum artikuliert werden soll. Auch das Projekt der Arbeiterbewegung — als Opposition und fortschrittlicher Maßstab, wenn auch nicht für alle Fragen, so doch für die allgemeine Frage nach dem Weg der Befreiung — vereinigt sich als Bewegung und Parteien. Wir sprechen diese heterogene Einheit häufig harmonisch aus als »Die Arbeiterbewegung und ihre Organisationen«. Der Satz besagt immerhin, es gäbe außer den Organisationen heute noch eine Bewegung. Tatsächlich ist es so, daß die verschiedenen Organisationen die Bewegung dominieren — rechte und linke Flügel der Parteien, Gewerkschaftskämpfe untereinander usw. Wenn die verschiedenen Organisationen zusammentreffen, bewegen sie sich und andere — die Bewegung ist das Forum, der Raum, in dem sich die Organisationen handlungsfähig halten. In den Organisationen wiederum werden Massen vertreten; die Vertretenen sind politisch passiv. Im politischen Raum der Arbeiterbewegung (hauptsächlich von der Sozialdemokratie artikuliert) findet Stellvertreterpolitik statt, etatistisch eingebunden, ohne daß die Bewegung als solche sich artikuliert. Es gibt eine Abgetrenntheit der Organisationen von der Bewegung immer dann, wenn es um allgemeine Machtfragen geht. Die SPD, die in Regierungsposition saß, mußte ein »Allgemeininteresse« durchsetzen, das den Interessen der Arbeiterbewegung wahrscheinlich zuwiderlief, und zugleich den Unmut der sogenannten »Basis« befrieden z.B. durch soziale Versorgungsleistungen.
Vom feministischen Standpunkt aus wollen wir dies als ein (auch) negatives Spannungsverhältnis bezeichnen, weil die Einbindung der Bewegung in einen bürgerlichen Staat, ohne daß dieser in grundlegender Weise transformiert wird, geradezu vorprogrammiert ist (daß dies in der BRD auch wesentlich historische Bedingungen hat, muß hier außer acht bleiben). — Das zweite Problem bildet die fehlende Breite der Politik-.... Die Frauen wollen sich nicht vertreten lassen, so scheint es folgerichtig, daß die Form der Partei ihnen nicht angemessen ist.
Was ist überhaupt eine Partei? Was sind ihre Grundlagen? Welche Probleme soll »die Partei« lösen? Elfferding (1983) ist der Auffassung, daß es keine marxistische Auseinandersetzung um eine Theorie der Partei gebe.
Der Gegenstand werde als fertiger diskutiert; die Aufgaben und Inhalte der Partei würden den »historischen Notwendigkeiten« entsprechend formuliert, eine Diskussion über die Form jedoch stehe noch aus.
Im Kommunistischen Manifest benennt Marx das Problem, auf das die Partei eine Antwort geben soll: die Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz und die strukturelle Zersplitterung der Arbeiterkämpfe (vgl. MEW 4, 473). Bei ihm fällt das Zur-Klasse-Werden der Arbeiter zusammen mit ihrer Konstituierung im Politischen: »Diese Organisation der Proletarier zur Klasse und damit zur politischen Partei...« (MEW 4, 471) So ist die Partei die logische und praktische Fortführung einer »Homogenität« — sie fügt das Homogene, das Klassenmäßige, die Klasse selbst zusammen und homogenisiert im Vollzug der Kämpfe das Allgemeininteresse. »Politische Partei« bedeutet hier Artikulationsform im Doppelsinne der Verbindung und der Verständigung unter einer strukturell gespaltenen Klasse« (Elfferding 1983, 10). Neben dem Aspekt der politischen Identitätsfindung gibt es nicht entwickelt, eher implizit — die Vorstellung bei Marx, daß die Partei eine Art Entwicklungsrahmen für die sich in revolutionärer Weise entfaltenden Individuen darstellt. »Wo ist ... die positive Möglichkeit der Emanzipation? Antwort: In der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten ...« (MEW 1, 390) Dieser Aspekt der Individualentwicklung in einem politischen Rahmen wird auch unter frauenspezifischen Gesichtspunkten eine große Wichtigkeit für noch zu begründende frauenpolitische Formen bekommen.
In der ideologischen, politischen und kulturellen Artikulation stehen sich nicht nur zwei Klassen gegenüber, deren Interessen eindeutig gegeneinander gerichtet sind. Dem trägt das »Volksparteien«-Konzept Rechnung (vgl. Raschke 1983), das versucht, Fragen um Gesellschaft und Staat nicht nur klassenmäßig zu bündeln. So kann die Artikulation von »Arbeiter« wieder aufgegliedert werden als eine »spezifische Anordnung von kulturellen, sozialen und politischen Elementen unter der Dominanz der Klassenzugehörigkeit« (Elfferding 1983, 15). Für unsere Frage übersetzt heißt das: Unsere vorherige Annahme, daß es eine praktische Einheit in der Arbeiterbewegung gäbe, erweist sich als zu einfach. Es gibt Einheit durch die Stellung in der Produktion. Es gibt Vielheit und Widersprüche durch unterschiedliche kulturelle Einbindungen. Es können dies bei angestrebten Befreiungsversuchen sich blockierende Lebensweisen sein (z.B die Ausbeutung von Männern in der Produktion und ihre Machtposition gegenüber Frauen in der Kulturgesellschaft). Der Arbeiter (als empirischer) hat sehr wohl zu verlieren; er ist gefesselt in einem Netz kultureller, warenästhetischer Ideologisierungen, die ihn in die herrschende — kapitalistisch-männliche — Anordnung einbinden.
Wir können an dieser Stelle das Problem mit der Form der Partei nicht ausdiskutieren. Hier ist eine Forschungslücke. Die »Vielstimmigkeit der Subjekte« (s. oben) braucht eine Anordnung, eine Form, die es ermöglicht, die Kräfte zu bündeln. Dispersion der Kräfte und Beliebigkeit der Aktivitäten sind eine große Gefahr der nicht-zentrierten Widerstände.
Das Problem der Parteien) zeigt unseres Erachtens eindringlich die Kluft zwischen wissenschaftlicher Ausarbeitung einer praktischen Theorie und ihrer empirischen Wirklichkeit. Beim Durcharbeiten der Materialien zur Partei, dessen Ziel es war, eine fundierte Absage an diese Form für die Frauenbewegung zu formulieren, kamen wir mehr und mehr ins Zweifeln. »An sich« ist der Vorschlag, eine Partei zu gründen, nicht unsinnig. Im Gegenteil bietet er, historisch bedingt, große Möglichkeiten, Parteikonzepte umzudenken, neue Bewegungsweisen zu finden usw. Trotz aller Ausdifferenzierung der Probleme und Widersprüche gäbe es auch in einer Frauenpartei ein einheitsstiftendes Element: die Überwindung der Privatheit für die Fragen der Reproduktion des Lebens. Daß alle gesellschaftlichen Bereiche auch privatförmig organisiert sind, selbst das Denken und Handeln »privat« bestimmt sind, macht, daß ein Versuch der Überführung in gesellschaftliche Formen ebenso in allen Feldern gleichzeitig stattfinden kann. Insofern gibt es keinen spezifischen Frauenbereich, in dem Frauenpolitik gemacht werden müßte.
Was wird mit den Frauen, die schon in Parteien arbeiten, und mit jenen, die sich zu »semi«-politischen Subjekten bildeten (Sozialistische Frauenbünde, Demokratische Frauen-Initiativen usw.), die mit ihren Organisationsformen auch Alternativen zu bestehenden Parteien bilden? Was wird mit dem Engagement in »gemischtgeschlechtlichen« Organisationen? Wir halten es nach wie vor für notwendig — ungünstig wäre es, Alternativen zu bauen, durch die zwar die (Frauen-)Kräfte gebündelt würden, jedoch zu Lasten einer Schwächung an anderen Punkten. Der Begriff der »doppelten Militanz« oder »Mehrfachartikulation« (vgl. W.F. Haug 1981, 643) wird hier politisch richtungsweisend; er steht auf der Seite der (politischen) Subjekte und erlaubt die Aktivitäten etwa einer Frau in der Gewerkschaft und in der Frauenbewegung zu fassen unter dem Aspekt von Problembündelungen. Zu Ende gedacht, bedeutet es für unsere Überlegungen, daß die zu erfindende politische Alternative keine Ausschließlichkeit haben kann. Wir müssen die schon vorhandenen »politischen Frauen« so stärken, daß sie die Organisationen, in denen sie arbeiten, von innen verändern, und zugleich müssen wir wohl mit dem Druck von »außen« in Form einer reinen Frauenorganisation strategisch arbeiten.

Allgemeine politische Bedingungen
Gehen wir noch einmal einen Schritt zurück: Die Frage nach der politischen Artikulation riskiert neue Spaltungen und schafft neue Einheiten. Der Satz »das Persönliche ist politisch« formuliert die Suche nach Inhalten in der Privatsphäre, in der Kultur, die politische Brisanz hatten, eine politische Auswirkung, eine politische Reproduktionsfunktion. Dies hatte nicht nur einen politisierenden, sondern zugleich auch einen entpolitisierenden Effekt: Indem die Alltagsveränderungen nicht in ein Verhältnis zu allen gesellschaftlichen Strukturen gesetzt wurden, d.h. die eigenen Eingriffe nicht auf Wirksamkeiten geprüft wurden, wurde das Politische entnannt, indem es zur einfachen Bezeichnung für alles stand (politisch wurde das Kinderkriegen, etwas später, es zu verweigern, usw.). Beliebigkeit und umfassende Richtungslosigkeit waren die Folge. Aus diesen Erfahrungen ist die jetzt anstehende Frage nach der politischen Macht, eine nach der Form, in der auch bisherige Inhalte transportiert und wirksamer) gemacht werden können. So kann es Spaltungen und neue Einheiten geben bei der Suche nach der Form, die als Streite um Inhalte ausgetragen werden. Zwei Fronten zeichnen sich jetzt schon ab: Es gibt Stimmen, die sich von einer unmittelbaren politischen Frauenbewegung die Überwindung der Alltagsfragen und die Behandlung großer Themen (Frieden, Sozialstaatskürzungen usw.) erhoffen. Andere beharren auf der Erfindung von Formen, die es ermöglichen, die alten Fragen neu zu stellen, die Fragen zu politisieren: Wie hängt die Organisation des Alltags mit Herrschaft zusammen, wie Sexismus mit Staat? usw.
Wir denken, daß die Aktivitäten der Frauenbewegung auch die praktische Lehre brachten, daß Veränderungen in der Kulturgesellschaft, im Alltag in ihrer Verallgemeinerung dort an Grenzen stoßen, wo sie unmittelbar Machtsphären berühren. Die Veränderung der Darstellung von Geschlechterverhältnissen in Schulbüchern, der Widerstand gegen die Familiarisierung gesellschaftlicher Aufgaben (Streichung der Gesamtschulen, Schulaufgabenkontrolle durch die Mütter) und anderes mehr bedürfen machtvoller Kräfte. Die Frauen müssen auch in den (ideologischen) Staatsapparaten vertreten sein, um in diese Kämpfe eingreifen zu können. Offensichtlich haben wir es mit unterschiedlichen — nicht einheitlichen — Mächten und Machtstrategien zu tun, die jede für sich eigene Gegenstrategien brauchen. Wir wollen probehalber zwei Begriffe, die quer zu dem Oben-unten-Schema: Staat und Gesellschaft gehen, einführen: explizite und implizite Machtsphären. Das »explizit« bezieht sich auf die unmittelbare politische Artikulation von Interessen. Implizit soll bedeuten, daß sich in dem, was sich nicht unmittelbar politisch knüpft, Politisches, In-dienstnehmbares befindet: das Implizite ist geradezu die Basis für die Möglichkeit von Explikation. Dazu zählen Haltungen, Einstellungen, Gefühle, Traditionen, kulturelle Handlungsmuster der Menschen.
Antiideologische Alltagspolitik zu betreiben, gehört notwendig in ein Konzept umfassender Umwälzungen. Die »Abkettung« des Alltags vom Staat jedoch ist selber ein Teil Obrigkeit. In dieser Verfügung zu verbleiben heißt, sich verfügen zu lassen im Ganzen, Gesamtgesellschaftlichen.
Die Aktivitäten der Friedensbewegung in der BRD belegen eindrücklich, daß Menschen sich massenhaft organisieren können — über Alters-, Klassen- und politische Standortfragen hinweg —, in einen Aufklärungsprozeß von unten eintreten und an den Toren des Staates »geschlagen« werden. Massenhaftigkeit allein ist also, wie auch massenhaft gewußtes Wissen, nicht der einzige Maßstab und bewirkt noch keine Änderungen im expliziten Machtbereich. — Statt als Alltag und Staat können wir das Problem auch formulieren als ein Verhältnis alternativer Vergesellschaftungsformen — und -weisen und deren politischer Artikulation. Wie im Kapitel über Ideologie und Staat vorgeführt, ist die Vergesellschaftungsfrage die historisch zentrale. Das Spannungsverhältnis von Fremd- und Selbstvergesellschaftung ist auch politisch konstituiert, wird politisch ausgetragen und untermauert. Im Staat als der ersten ideologischen Macht verdichten sich die unterschiedlichen Machtstrategien, erhalten ihre juridische, kodifizierte Form. Das Politische stellt in den westlichen Demokratien eine Vermittlung zwischen Staat und Gesellschaft her in der Form von Parteien und anderen Interessengruppen.
Die Zergliederung der Gesellschaft in vielfältige »Bereiche« und die Zergliederung der Individuen in verschieden anrufbare »Träger von Bedeutungen« (Soziologen entwickelten für eben dieses Auseinanderfallen die Rollentheorie[n], in der die Identität nicht vorausgesetzt, sondern das Individuum sich erst identifizieren muß, ein Identisches erfinden) erlaubt ein breites Agieren bei der Lancierung und Materialisierung politischer Entscheidungen. Es geht um die Konstituierung von Dominanz- und Unterordnungsverhältnissen der gesellschaftlichen Bereiche — in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren (und in den Achtzigern sehr verschärft) um die Begründung neuer Freiheits- und Zwangsbereiche: etwa das Private als Reich der Freiheit und das Gesellschaftliche als Zwang.
In solche »Konstituierungsprozesse« eingreifen zu können, muß ein Ziel der Frauenbewegung sein. Anders als andere soziale Bewegungen hat die Frauenbewegung einige gesellschaftliche Arbeitsteilungen schon (ansatzweise) überschritten: Wissenschaft und Politik z.B. sind für sie nicht gegeneinander abgeschottete Bereiche, sie brauchen einander praktisch. So haben die Frauen eine besondere Chance, Arbeitsteilungen zu überwinden, wie sie sich ergeben aus der verfügten Trennung in Politik-Macher und solche, die die Resultate der Politik dann leben müssen. Die Frauen, die in der expliziten Machtsphäre Politik machen, und die, die gegen die einfache Bedienung der Strukturen arbeiten und Transformierungen der Vergesellschaftungsformen suchen, könnten die gleichen sein. Den impliziten Machtbereich Alltag in den expliziten Politikbereich zu bringen, ist eine historische Aufgabe. Fünfzehn Jahre Frauenbewegung erbrachten als eine Voraussetzung dafür eine Art feministischer »struktureller Außerparlamentarischer Opposition«.

Verschiebungen im Politikfeld
Die sozialen Bewegungen, darunter besonders die Grünen als Partei, brachten — alle Parteien berührende — Verschiebungen in die politische Landschaft. Begriffe wie Konservatismus versus Fortschrittlichkeit, die Links-Rechts-Achse erklären nicht genug. Die Rechten sind nicht konservativ, und die Linken führen einen Anti-Technik-Diskurs. Die Rechten haben »sich von Grund auf erneuert und 'reformiert'« (Hall 1982, 107), die Konservativen stürzen nach vorn in »ihren« Fortschritt (Umbrüche der Wirtschaft und des sozialen Netzes), die Fortschrittlichen suchen zu bewahren und Besitzstände zu erhalten (Ökologiebewegung, Gewerkschaften). Die Kämpfe drehen sich um das, was Fortschritt ist, wohin fortgeschritten werden soll. Im Nouvel Observateur vom 30.3.1981 — also nach dem Wahlsieg der Linken unter Mitterand — war zu lesen:

  • »Der Fortschritt wird ... mehr mit der Rechten als mit der Linken identifiziert. Ein Fortschritt, der das Lager gewechselt hat, ist nicht mehr der richtige Fortschritt, Le Progres, das letzte und untrügliche Unterscheidungsmerkmal zwischen links und rechts ... An der Differenz von Singular und Plural schieden sich schon einmal die Geister. La Liberte, die Freiheit, klang aufrührerisch in den Ohren der Konservativen von 1800. Gegen die Freiheiten, im Plural, hatten sie nichts. Denn Freiheiten war ein anderer Name für die Privilegien, derer sich die Stände und Adelsparlamente erfreuten.« (Baier 1983, 28)

In der BRD wird das Links-rechts-Schema durch die zwei größten Parteien »erfüllt«, andere kleinere Gruppierungen ordnen sich ihnen rechts oder links (oder in der »Mitte«) zu. Die Grünen brachten, nach langem Hin und Her, das Schema durch zwei Eingriffe in Unordnung: Zum einen thematisierten sie Überlebensfragen wie Umweltzerstörung (Öko-Krise) und Nachrüstung von Atomraketen als von oben verordneter Tod eines ganzen Landes. Fortschritt hieß in beiden Fragen Überleben. Durch diese vor-und übergeordneten Probleme erschien die SPD (als traditionelle Linke) gegen Fortschritt zu sein, indem sie fortschreitende Zerstörung betrieb (nicht genug für die Umwelt tat und für die Nachrüstung eintrat). Dies ist insofern ein historischer Augenblick, als die SPD nach Weimar parlamentarisch nie von links überholt wurde. Legitimationsdruck gab es nach rechts. Nun gab es immer Linke in der BRD, sie waren organisiert in sehr kleinen Parteien, die keinen parlamentarischen Einfluß hatten, oder »freischwebend«. Aber sie mußten sich eher in Abgrenzung oder Zuordnung zur SPD verhalten, als daß sie umgekehrt Maßstab für die SPD waren. Die parlamentarische Erweiterung durch die Grünen erst zwang die Sozialdemokraten, sich als links auszuweisen. Die Umorientierung wird durch die Oppositionsstellung begünstigt — da Grüne und SPD quasi den gleichen Gegner haben. Nach langen Versuchen, die Grünen auszugrenzen, ihnen Unernst vorzuwerfen, sie als Idealisten (bei fehlendem Mut für das Machbare) und Reduktionisten (nur Umwelt ist noch kein Parteiprogramm) zu betiteln, gibt es jetzt zunehmende Versuche, sie als Partner zu gewinnen.
Eine zweite Bewegung brachten die Grünen ins Parlament, als sie die Basisdemokratie zu ihrem Prinzip erklärten. Dieses »Prinzip« ist eine Teilantwort auf einen allgemeinen Kompetenzzweifel an der Profession des Politikers, auf die Tendenz, Politik »stärker als Prozeß zu begreifen, an dem viele beteiligt sind. Politiker können in Zukunft immer weniger und selbst Entscheidungen fällen« (Enquete-Kommission des Bundestages, Jugendprotest im demokratischen Staat«, zit. n. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 3.2.1982). Basisdemokratie wird erprobt als Rotationsprinzip der Parlamentarier und soll »explizit eine Frage der Verbindung von Form und Inhalt« (Lommer und Barg 1983, 28) sein. Die SPD — mobilisiert durch die sozialen Bewegungen — überlegt an Neukonzeptionen ihrer Partei.

  • »Dezentralisierung erhält ihre spezifische Bedeutung erst in Verbindung mit dem zweiten tragenden Organisationsprinzip, dem der Basisdemokratie. Auch hier besteht zwischen inner- und außerparlamentarischen Strukturen ein enger Zusammenhang. Die gesellschaftliche Selbstorganisation bliebe eine Spielwiese, würde ihre innerparteiliche Transmission zwar nicht abgesichert (das gibt es nicht bei Organisationen), so doch erleichtert durch institutionelle Mittel wie imperatives Mandat und Ämterrotation. Innerparteiliche Radikaldemokratie hat also den Zweck besserer Anbindung der Partei an die gesellschaftliche Basis« (Raschke 1983, 62).

Raschke spricht hier für ein neues »Volksparteikonzept«, das dem Prinzip der Grünen: pluralistisch, dezentral, basisdemokratisch ähnelt.
Selbst diese grobe Betrachtung des vorfindlichen Politikfeldes gibt uns wichtige Hinweise auf die dort stattfindenden Bewegungen: zum einen haben wir es mit einer Verschiebung des traditionellen Politik-Modells im Rechts-links-Schema zu tun zugunsten von Inhalten, Themen, um die der Streit um »rechte« oder »Unke« Lösungen entflammt, ohne daß die jeweiligen streitenden Subjekte zwangsläufig mit »rechten« oder »linken« Argumenten kämen. Zum anderen braucht diese Art der Lösungsfindung neue Formen, die wir mit dem Hinweis auf erste Versuche von Basisdemokratie in einem ansonsten vom »Stellvertreterprinzip« konstituierten Parlament (explizit politischen Raum) fanden (als »repräsentative Demokratie«). Für die Frauen sind dies zwei Bewegungen, die ihrer eigenen Tradition entgegenkommen und an denen sie mitwirken könnten. Die Frauenfragen passen auch nicht in das alte Links-rechts-Schema, ihr Spektrum reicht von bürgerlichen Gleichheitsansprüchen bis zur revolutionären Umgestaltung der Gesamtgeseilschaft in sozialistischer Perspektive. Diese Fragen müßten sich im Parlament als Quereinsteigerinnen erweisen. Eine solche Uneinheitlichkeit der Fragen braucht eine Form, die sie zuläßt und produktiv ins Verhältnis setzt.

Exkurs: Weiber

Brauchen wir für eine frauenspezifische Politik nicht einen Namen, der Gemeinsames benennt und weniger neutral ist als der der »Frau»? Alle bisherigen Kategorien, wie Frauen seien eine Klasse oder Kaste, stammen aus männlich dominierten Verhältnissen. Selbst eine aneignende Übernahme, eine Umkehrung, ein Raub würde die Lage der Frauen nicht fassen können. Es ist dies das gleiche Dilemma, als wenn man die Hausarbeit der Frauen einfach Arbeit nennt und gleichermaßen die Lohnarbeit und damit die Spezifik beider und die je spezifische Unterdrückung entnennt.
Also müssen wir für die Praxen der Frauen, die spezifische Weise ihrer sie zusammenschließenden Unterdrückung, doch einen neutralen Begriff    wählen bzw. einen, der Frauenverhältnisse ausdrückt — wie Frauen oder Schwestern? An dem Begriff der Schwester meldeten wir Zweifel an (s. oben), vielleicht ist es möglich, den Gattungsnamen »Frauen« begrifflich zu wenden, zunächst aber wird mehr verdeckt denn begriffen. Es bleibt    uns, einen Begriff zu erfinden. Sind Frauen keine Klasse, keine Kaste und keine Schwester-Bruderschaft, kein Heer, kein Proletariat, nicht vornehmlich Mütter, Sklavinnen, Hausfrauen, so könnten wir ihre Gemeinsamkeit vielleicht mit einem Begriff wie »private Famsexen« zu fassen versuchen. Ein solcher Begriff setzt sich zusammen aus der Abschiebung der Frauen in die Privatheit, benennt die Familienform als eine, in der Arbeit verrichtet wird und die unterdrückend ist, und zugleich das Sexuelle der Unterdrückung. Sicher ließen sich wohlklingendere Begriffe finden. Das Problematische solcher Begriffsbildung ist ihr Mangel an Kultur. Sie haben keine Geschichte, springen aus der Sprache und sind somit sektiererisch und zudem nicht übersetzbar ins internationale Feld.
Uns bleibt ein Versuch, der historische Vorläufer hat, auf die wir uns gerne beziehen: Wir suchen einen Namen, der die Frauen als Unterdrückte bezeichnet, der verächtlich ist und ambivalent. Wir könnten — wie dies im Namen Prolet geschah und dem des Vietkong — einen solchen Namen wenden und selbstbewußt als kämpferischen tragen. Im Deutschen wäre dies z.B. das Wort Weib. Es ist vieldeutig verehrend, aber zumeist erniedrigend, vor allem die Nichtigkeit betonend und immer sexuell gefärbt. Seine Verwendung als Kampfbegriff hat zudem in der neuen Frauenbewegung Tradition; sie begann in der Bundesrepublik mit den Weiberräten. Freilich wird ein solcher Versuch, ein weitgehend verächtliches Wort positiv aufzunehmen, in vielen Kreisen die Abneigung gegen die Frauenbewegung und ihre Vorhaben verstärken; andere werden die Empörung in der Umkehrung unmittelbar zornig empfinden. Ob ein solcher begrifflicher Eigenname tragfähig ist, entscheiden letztlich die, die ihn aufnehmen. Prüfen wir, welche Geschichte der Name Weib hat und ob seine kämpferische Verwendung historische Unterstützung erfährt.

  • »Es geht wol hin, das einer etwa einem guten Frawenrath volget in Haussachen, aber zu grossen wichtigen Sachen sol man keines Weibes Rath leichtlich brauchen« (Beuthers, Reinike, 1544)

Jede Jungfrau, Magd, Dame, Schwester, jede Frau ist ein Weib — nicht jedes Weib jedoch bezeichnet alle vorgestellten Bedeutungen. Ein Blick ins Grimmsche Wörterbuch (19. Jahrhundert) belehrt uns: Mit Sicherheit sei nicht auszumachen, was die Grundbedeutung von Weib sei. Eine Annäherung biete das althochdeutsche »Wib« (weben = bewegen der Hände = hantieren, geschäftig sein), das mit »die Geschäftige« übersetzt wird. Walther von der Vogelweide hing dem Wort »Weib« leidenschaftlich an als »natürliche Benennung« des Nicht-Mannes. Ledige, Verheiratete, Junge und Alte, selbst die reiche und vornehme Frau darf noch Weib heißen (»Was hast du für ein Weib zur Frau?«). »Vom Weib ist die Rede, wo sich der Gedanke an die soziale Schichtung verbietet.« Grimm beflügelt unser Vorhaben: Im Weib ist das Gemeinsame über die Klassenfrage hinweg in spezifischer Weise enthalten. Bleibt die Frage, welche Spezifik es ist. Durch die Jahrhunderte hindurch meint Weib das Geschlechtliche des Körpers, selbst als Versprechen, »daß körperlich ausgedrückt noch manches [wird], was schon geistig und seelisch gemeint ist« (Grimm). Das Weib bezeichnet — ganz anders als bei Männern — einen Stoff, aus dem noch etwas wird, eine Frau, d.h. ein Wesen »mit sittlichem Anspruch«. Frau und Weib fliehen gemeinsame Bezugspunkte: Eine »gebildete Frau« hat Geist, ein »schön gebildetes Weib« einen Leib. In der Hierarchie der Bewertungen — so Grimm — hat das »Natürliche« Vorrang. Die Benennung »'Ein schönes Weib', weil es die Reize des Geschlechts ausdrückt, lobt stärker als eine 'schöne Frau'.« Für den Mann gilt das alles nicht, seine Wurzel ist »bewuszt sein«, »sich besinnen«. »'Mann' mit der Betonung der ihn vor dem Weibe auszeichnenden Eigenschaften, der Thatkraft, des Mutes, der Stärke, der Kampfeslust« (Grimm). Mann und Herr bezeichnen — ganz anders als bei den Frauen — nicht die Überwindung der Natur zugunsten des Geistes, sondern geben soziale, ökonomische Stellungen/Stände an. Der Mensch Mann wird unwesentlich biologisch gefaßt. Historisch läßt sich eine Epoche der »Weiberbeschimpfungen« ausmachen. Sie reicht vom 12. Jahrhundert, in dem die Kirche den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe durchsetzte, bis in die Zeit der Aufklärung. Zeugnis davon geben literarische Klagen »unglücklicher Ehemänner« (vgl. Spiegel der regiersichtigen bösen Weiberen, 1982 [1733]) wie z.B. die mittelhochdeutsche Erzählung »Von dem übelen Weibe«. Gemeinsam ist den Geschichten, Gedichten, Spottsprüchen, daß sie Verhaltensregeln für die Männer darstellen. Ein in Liedern verbreiteter Spruch des 15. Jahrhunderts empfiehlt z.B.:

  • »Wer ein übel Weib hab',
    er kauf ihr einen guten Bast
    der tu' sie beizeiten ab,
    und henke sie an einen Ast.«

In Wittenberg wurden 1959 »sogar 51 Thesen verbreitet, in denen untersucht wurde, 'ob Weiber Menschen sind'« (Spiegel 33/1983, 135). Und 1487 konstatierte der Ketzerrichter Jacob Sprengler »Also schlecht ist das Weib von Natur, da es schneller am Glauben zweifelt, auch schneller den Glauben ableugnet, was die Grundlage für die Hexerei ist« (zit. nach ebd.). Als klassische Weiberuntugenden galten: Geschwätzigkeit, Eitelkeit, Herrschsüchtigkeit und Zanksüchtigkeit. Diese vereigenschafteten Bedeutungen schillern noch heute in dem Gebrauch des Wortes mit: Ein Waschweib gilt auch als geschwätzig, ein Flintenweib wird wohl auch herrschsüchtig sein.
Der Begriff »Weib« lebt kontextabhängig von entgegengesetzten Konnotationen. Borneman z.B. versucht, frauenfreundlich-kritisch zu vermitteln. Unter dem Stichwort »Weibsbilder, Weibsstück« heißt es: »Frau. Diese herablassenden Synonyme für Frau entstammen der extrem patriarchalischen Gesellschaftsordnung des 16. Jhd.« (Borneman 1974). Prüfen wir, ob Herablassung wirklich trifft, was das »Weib« in verschiedenen Zusammenfügungen in uns erzeugt: »sie ist ein Teufelsweib«, ein »Pracht-oder Klasseweib«, ein »tolles Weibsstück« — auch unsere kritischen Ohren vermerken, daß in dieser Weise von Männern bewundernd über Frauen gesprochen wird. Der Mann tritt auf den Fleischmarkt und begutachtet, was in ihm ein Feuer entfachen könnte. Herablassung trifft diesen Vorgang sicher nicht, herablassen kann man sich auf einen niedrigeren Stand, das setzt aber immer noch Mensch-Mensch-Beziehungen voraus und nicht wie hier solche zwischen Mensch und Trieb (als dessen dargebotene Inkarnation wir das Weib in diesem Kontext auffassen können). Besonders offenkundig und lehrreich wird das Verhältnis Weib-Leib im Zusammenhang mit Moral (vgl. F. Haug 1983). Die großen, unmittelbar auf das weibliche Geschlecht ausgesprochenen Moralanstrengungen richten sich auf ihren Körper als ihre Natur, die es zu veredeln gilt.
»Wenn ein Weib einmal vom rechten Wege ab ist, dann geht es auch blindlings und rücksichtslos auf dem bösen fort ... bei ihr wirkt dann die blosse Natur.« (Goethe, Tasso)
Das originär Weibliche ist das noch nicht Entwickelte, das noch zu Formende, eigentlich noch das Unsoziale. Es ist als das ausdrückliche Gegenstück zum Mann als Formendem ausgesprochen, Rohmaterial für den männlichen Produzenten und nur im Verhältnis zu ihm so aussprechbar. Ein »Teufelsweib« hat die Natur also nicht überschritten, sondern ist sie, dem Mann wird sie Eigentum und Ergötzen als Weib, der sie eben diesem Naturzustande gesellschaftlich entreißt.
Tritt das Weib ohne diese männliche Veredelungstat in einen sozialen Zusammenhang, verkehrt sich der unbearbeitete Rohstoff ins negative: Waschweiber, Klatschweiber, Weibergeschwätz. Auch bei Marx im Kommunistischen Manifest heißt Weibergemeinschaft nicht Frauenkollektiv in revolutionärer Absicht, sondern die Gemeinschaft ist gestiftet durch die offizielle und nicht-offizielle Prostitution, deren »Gegenstände« die Frauen sind. Und »Weiberkram« endlich ist das, was unwichtig und von geringem allgemeinem Interesse ist. »Weiberfreunde« (so der Titel einer Glosse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 1.11.1983, der die Überzahl der Frauen in der EG beklagt), bezeichnet Männer, die nicht etwa die Frauen zu sich emporheben, sondern zum Weib herabsteigen. »Die Ergebnisse ausdrücklicher Frauenfreundlichkeit sind leider nicht einmal so amüsant wie Montherlants feindseliges Erbarmen mit den Frauen« (ebd.; Montherlant schrieb eine Romantrilogie mit eben diesem Titel Anfang der 30er Jahre dieses Jahrhunderts).
Wir denken, daß eine Titulierung, die so »schändlich erhöht« und »sinnenfroh erniedrigt« verwendet werden kann, geeignet ist, die Frauenfragen in schillernder Weise zum Sprechen zu bringen. Wir wollen alle zusammenkommen: Waschweiber und schöne Weibsbilder, Klatsch- und Flintenweiber und »Weibergemeinschaften« in Form von Räten bilden.

Weiberräte und Frauenlisten
Die Idee, daß Frauen separat in das Parlament einziehen sollten, wurde in Deutschland bereits 1919 in der Frauenbewegung diskutiert. Anita Augspurg und Lida Heymann warben für eine Frauenliste, auf der sich alle weiblichen Kandidaten aller Parteien wie parteilose Frauen sammeln sollten. Hauptziel war, die Zahl der weiblichen Abgeordneten zu erhöhen. Diese Liste wurde nie realisiert. Daß die Frauen versuchen sollten, auch in die männlich beherrschte explizite Machtsphäre einzudringen, halten wir nicht nur für unabdingbar, sondern auch in diesem Augenblick für machbar. Frauen auch in alternativen Parteien (Grüne), in denen Listenplätze und Ämter quotiert werden, enthalten sich der Kandidatur. So wichtig Quotierungen sind, sie lösen keineswegs automatisch strukturelle Probleme. Die im Politikraum zu findenden männlichen Riten und Selbststilisierungen sind unnachahmlich für Frauen (z.B. die tiefen, lauten Stimmen, mit denen verglichen die der Frauen sich immer etwas fiepsig und leise ausmachen; das erhöhte Podium, die langen Gänge zum Mikrophon, die für Frauen zum »Laufsteg« werden: Man(n) sieht sie an, wie sie aussieht). Die Frauen außerhalb der Parteien und Gewerkschaften, zuvor darauf bedacht, ihre Autonomie durch »Nicht-Organisation« zu begründen (vgl. etwa die Vorlesungsverzeichnisse der Sommerunis Berlin), suchen seit etwa zwei Jahren ausdrücklich die Verbindung mit den Frauen in Organisationen.

  • »Ich plädiere also für die Öffnung der autonomen Frauenbewegung nach außen — allerdings ohne unsere Autonomie in den eigenen Gruppen aufzugeben ... Wenn wir als autonome Frauenbewegung es in dieser Zeit versäumen, Kontakte zu den Frauen zu knüpfen, die um ihre eigene materielle Sicherheit kämpfen, wird es mit der autonomen Frauenbewegung bald am Ende sein. Und den Frauen in den Betrieben und Gewerkschaften werden die Erfahrungen fehlen, die wir schon machen mußten.« (Plogstedt 1983, 60)

Um die »Sichtbarkeit der Frauenbewegung«, die Einnahme des Raumes, »den wir bisher nur symbolisch besetzt hatten« (ebd.), geht es allen. Unterschiedliche Probleme und Triebfedern bringen sie einander näher: Während die organisierten Frauen an die Grenzen von Frauenpolitik in den gemischten Organisationen stießen, die Frauenfragen dabei verloren und mühsam bemüht waren, sich »wenigstens« als Personen durchzusetzen (vgl. Jelpcke 1981), stoßen die sogenannten autonomen Frauen an die Grenzen der fehlenden Organisation. Die erstgenannten brauchen eine stärkere Anbindung an die Bewegung, die letzteren machtvolle Formierung.
Mit »der Bewegung« ist hier die Radikalität Vieler im Alltag gemeint, die Möglichkeit, persönlich-private Fragen zu veröffentlichen, nicht-institutionalisiert Veränderungen zu probieren.
Bisherige Bestrebungen, die verschiedenen Fraktionen der Frauenbewegung zusammenzubringen, sind mit dem »Makel« des Unpolitischen behaftet. Frauennetzwerke (regional, überregional) gründeten sich, z.B. um Projekten bei der Finanzierung zu helfen; da, wo es Frauen gelingt, sich über die von ihnen als Frauenfrage behandelten Problemstellungen zu vernetzen, geschieht dies für ein anderes Drittes, das Reibungspunkte vermeidet.
Unsere vorherige Bestandsaufnahme ergab, daß »die gemeinsame dritte Sache«, wenn wir sie konkret-politisch fassen wollen, sich nicht unmittelbar ergibt. Was könnte viele Frauengruppen, lokale Zusammenschlüsse, punktuell arbeitende Kollektive, Gewerkschafts- und Parteifrauen dazu bringen, sich auszutauschen und ihre Kräfte zusammenzubinden? Vielleicht ist es nützlich, zunächst über das Trennende sich zu verständigen. Die organisierten Frauen trennt von den autonomen, daß sie deren Unver-bindlichkeit, ihre fehlende Kontinuität, die Arbeit in einer separierten Frauensphäre »unpolitisch«, »chaotisch« und »spontaneistisch« finden, insofern also nicht eingreifend genug. Zunehmend jedoch werden feministische Foren (Sommeruni, Frauenwochen) auch für Gewerkschaftsprobleme genutzt. Die autonomen Frauen wollen sich nicht in den »gemischtgeschlechtlichen« Strukturen »aufreiben«, ihre Energien nicht an Männer »verlieren«, insofern nichts an den hierarchischen Strukturen in den Organisationen ändern, die Hierarchie auch nicht akzeptieren. Zunehmend gehen autonome Frauen in andere soziale Bewegungen (vornehmlich die Friedensbewegung), weil ihnen, angesichts der ökonomischen und sozialen Lage, die Frauenbewegung zu uneinig und unentschlossen ist, um politische Änderungen herbeizuführen. Würden wir alle Splitterungen unter diese zwei »Blöcke« fassen, würde sich in einem Disput ergeben, daß Partei- und Gewerkschaftsfrauen keineswegs gegen eine Vergewaltigungskampagne wären, die autonomen Frauen auch nicht gegen das Streiten für Kinderkrippen oder Lohngleichheit — beide Blöcke hingegen würden ein großes »aber« anhängen und eine Erklärung, warum ihnen das jeweils Vorgeschlagene zu diesem historischen Augenblick »zweitrangig« sei.
Eine Notwendigkeit, sich zusammenzuschließen, bestünde in der Diskussion und im Kampf eben um vorrangige Wichtigkeiten. Dieser Zusammenschluß bleibt solange ein »akademischer Vorschlag«, wie er sich nicht auf etwas Drittes bezieht: auf die Übersetzung in Machtfragen, in die Versuche, Einfluß zu gewinnen in Sphären, wo Entscheidungen fallen.
Abstrakt verbindet Frauen die Suche nach Einflußmöglichkeiten, konkret verbinden sie unterschiedliche Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen, mit unterschiedlichen Mitteln — das sie spontan Trennende ist zugleich das sie Verbindende, weil, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, alle diese Erfahrungen und ihre Verarbeitungen, alle Strategien und alle Mittel gebraucht werden. Um den Kampfplatz der expliziten Politiksphäre zu betreten, müssen wir einen separaten Frauenkampfplatz einrichten.
Es gilt bei unserer Suche nach Politikformen um die Verbindung zwischen den verschiedenen Sphären, das Persönliche politischer, die Politik persönlicher zu machen.
Versuchen wir einen Vorschlag an dieser Stelle:
Frauen schließen sich in der impliziten Machtsphäre in Weiberräten zusammen, regional; überregional vielleicht mit einem Bundes-Weiberrat. Diese Räte diskutieren, beschließen, beraten. Wen? Zum Beispiel eine Frauenliste, die aus ihren Reihen zusammengestellt (gewählt) wurde. Die Frauenliste ist der Versuch, ins Parlament zu kommen, sie spiegelt die Fraktionierungen, Kämpfe, die Auseinandersetzungen um Themen wider und parlamentarisiert zugleich die Probleme, Fragen.
Die Liste bildet quasi eine Klammer um die Räte, sie ist die Aufforderung, die Notwendigkeit, daß viele Frauen sich in den Räten zusammenfinden, denn sie vertritt Frauen. Die Räte sind unbedingt notwendig für die Liste, sie bilden die Basis, das Diskussions- und auch Kontrollforum für sie. In den Räten steckt die Möglichkeit, die Politik zu verwissenschaftlichen und politische Wissenschaft zu entwickeln, steckt so die Projektform. Wie sind all diese Alltagsfragen und -Veränderungen in politische Forderungen, Formen zu bringen? Was genau ist Frauenpolitik?
Wie anders würde eine Sexismus-Diskussion im Parlament aussehen, wenn eine große Anzahl Frauen darin säßen und insofern die bürgerliche — alle Parteien verbindende — »Aber-es-war-doch-nur-Spaß«-Atmosphäre erst gar nicht aufkommen würde. Weil die Anzahl der Frauen zum einen diese männliche Kultur schon durch Masse und pure Anwesenheit brechen würde und zum zweiten vielleicht deutlich würde, daß es genau gegen diesen Spaß geht und daß Spaß, Lust usw. keine natürlichen, unveränderlichen Gegebenheiten sind. Vorstellbar auch das Wagnis einer von Frauen mitgeführten, an Bedürfnissen, orientierten Diskussion um Militär- und Rüstungspolitik, Argumente, die während der Stationierungsdebatte ebensowenig fielen wie das Reden vom Geschäft bei der Rüstung. — Eine wichtige Aufgabe der Räte — die durch die parlamentarische Arbeit bestenfalls unterstützt, nicht aber übernommen werden könnte — wäre die organisierte Zurückweisung der sich im allgemeinen verschärfenden Reprivatisierungsmaßnahmen. Welche Auswirkungen es für Frauen hat, wenn Ganztags-(Gesamt-)Schulen geschlossen werden, Erziehungsgeld vom Staat gegeben werden soll, wenn in Betrieben sich ein Einstellungsmodus durchsetzt, der besagt, daß nur ein Teil eines Ehepaares berufstätig sein soll (und dies überwiegend der Mann sein wird), muß zu öffentlichen Debatten führen. Da diese Kämpfe im Privaten stattfinden, die Folgen vereinzelt ausgetragen werden, braucht es ein starkes Netz, das für Veröffentlichung, Skandalisierung, Veränderung sorgt.
Die dezentrale und an bestimmten Punkten ansetzende Kampfweise der Frauenbewegung bleibt in diesem Modell unangetastet — ist sogar Voraussetzung. Das Ziel ist die Intensivierung der Kräfte durch Zusammenschluß und geplantes Vorgehen.
Räte in Verbindung mit Listen könnten die widersprüchliche Politik besorgen, die uns derzeit notwendig erscheint: starke Alternativen hier und heute schon zu organisieren versuchen und zugleich in der herkömmlichen Politik gegen Reprivatisierung für andere Verteilungen (bessere soziale Dienste) zu streiten, kurz, reformerisch vorzugehen.
Die bisherigen Diskussionen um Weiber-(Frauen-)Räte (vgl. Plogstedt 1983) und die Kombination von Räten und Listen (vgl. Hauser 1983, Ulla Naumann auf der Berliner Sommeruni 1983) erbrachte, daß die Frauen der Idee, Räte zu gründen, sympathisierend bis begeistert, der Notwendigkeit hingegen, auch das Parlament zu »besetzen«, sehr zögernd gegenüberstehen. Es gibt eine merkwürdige Erhöhung und Mißachtung des Parlaments, dieselben Frauen können behaupten, daß es »unmöglich« sei, dort hineinzukommen oder dort etwas zu bewirken, und zugleich, daß es völlig »unnötig« sei, da dies sowieso kein Organ »wirklicher« Beschlüsse sei. Solche Fragen brauchen sicherlich weitere Klärung, vor allem aber eine Praxis.
Das Zögern von SPD- und Grünen Frauen äußert sich spontan in einem Zerrissensein: Wie sollen sie in ihrer Partei sich engagieren, wenn es eine Frauenliste daneben gibt? Und umgekehrt?
Entscheidungen hängen auch hier von der Entwicklung der Liste ab und werden wohl individuell Entscheidungen für eine Seite des Widerspruchs sein: daß es notwendig ist, in vorhandenen politischen, gewerkschaftlichen Organisationen zu kämpfen und sich als Frauen zu autonomen Organisationen zusammenzuschließen.

»Beim Planen zerstreitet man sich leichter als beim Ausführen und beim Ausführen fällt einem mehr ein als beim Planen.«
(B. Brecht, Me-ti, GW 12,507)

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