Feminismus und Theologie

Weckt schon das Wort »Feminismus« die unterschiedlichsten Gefühle von der Anerkennung bis zum Widerstand, so ist »feministische Theologie« ein Begriff, der noch mehr Frage- und Ausrufezeichen verursacht. Im Rahmen dieses Büchleins, das eine knappe Einführung geben will, ist es natürlich unmöglich, die feministische Theologie vollständig zu skizzieren. Zudem stehen wir ja erst am Anfang einer Bewegung, die sich noch vollauf in Entwicklung befindet. Dennoch will ich probieren, einige konkrete Züge der feministischen Theologie nachzuzeichnen und zu sagen, was feministische Theologie nicht ist und was sie sein will oder doch zu sein beabsichtigt.[7]

1. Was ist feministische Theologie?

Feministische Theologie ist ein Beispiel für eine sogenannte Genitiv- oder Kontext-Theologie. Eine Genitiv-Theologie, weil sie eine Theologie der Feministinnen ist. Sie, aufständische Frauen, sind Thema und Subjekt dieser Theologie und machen ihre Beziehung zu Gott und zum Göttlichen zum zentralen Objekt ihrer Theologie. Aus dem ersten Kapitel dieses Büchleins ist sicher klar geworden, daß es sich bei der feministischen Theologie nicht um eine »weibliche« Theologie, was immer das sein möge, handeln kann. Wir können auch von einer Kontext-Theologie reden. Damit meinen wir, daß das Erlebnis von Unterdrückung und Einschränkung, die Erfahrung der Befreiung und des Kampfes, sich selber zu werden, die Freude über ein neues Lebensgefühl, aber auch die Solidarität mit allen andern Unterdrückten in der Gesellschaft sowie das leidenschaftliche Suchen nach neuen menschlichen Verhältnissen den Kontext dieser Theologie bilden. Die Fragen ergeben sich aus diesem Kontext heraus; von ihm gehen das Denken, Reden und Handeln aus.
Wenn wir Theologie als »das Reden des Menschen von seinem Gottesverlangen«[8] (und von ihrem Gottesverlangen, füge ich gleich hinzu) umschreiben können, dann läßt sich das auch von der feministischen Theologie sagen: auf ihrem Weg der Bewußtwerdung machen aufständisch gewordene Frauen Erfahrungen der Transzendenz, wenn sie ihre Ketten zerbrechen, mit denen sie sich gefesselt fühlten. Dadurch treten sie in einen neuen Raum ein, wo sie die Arme in die Luft werfen, den Kopf emporheben und ausrufen können: hier bin ich, ich darf so sein, wie ich bin ... (Bei der Eröffnung der zweiten »Women Ordination Conference« 1978 in Baltimore sind in der Tat die Ketten zerbrochen worden, die zuvor Hunderte von Teilnehmerinnen bei ihrem Zug durch die Stadt mit sich geschleppt hatten.)
Die Erfahrung der menschlichen Würde ist eine Urerfahrung, die mit den Wurzeln unseres Seins zu tun hat. Die Annahme und die Bejahung seiner selbst können die Bedingungen oder der fruchtbare Nährboden für eine erwachsenere Glaubenshaltung werden. »Wer sollte an Gott glauben können, ohne an sich selber zu glauben?«, fragt sich eine gläubige Feministin.[9] Die Menschwerdung von Frauen (und anderer Unterdrückter) schließt die Suche nach einer neuen Beziehung zu Gott mit ein; sie wird in einer Bestätigung des Seins erfahren und zum Durchgang zu einem Neubeginn in größerer Authentizität werden.
Es ist nicht die größte Sorge der Feministinnen, den Glauben aufrechtzuerhalten, daß Gottesliebe zuerst einmal Selbstverleugnung voraussetzt. Im Gegenteil. Was sie erfahren, ist ja gerade das Angenommenwerden: sie dürfen sein und Platz beanspruchen: sie sind der Mühe wert. Allzu lang ist den meisten Frauen -subtil oder unverhohlen - Selbstverleugnung als selbstverständliche Tugend gepredigt worden, ohne daß ihnen vorher das nötige Wachstum, um sie selber zu werden, gegönnt gewesen wäre. Wir können auch Bilder verwenden, die uns vertraut sind, jetzt aber eine neue Bedeutung bekommen: der Kontext der feministischen Theologie hat mit Aus-Zug, Durch-Zug und Ein-Zug zu tun. Aus-Zug aus allen uns von außen auferlegten Einschränkungen, die uns festgehalten haben; Exodus aber auch (und dem begegnen wir in der Literatur weniger) aus der Versklavung an den Komfort, der uns — wenigstens den middle-class-Frauen — im Tausch gegen die Unfreiheit und die Ruhe, in der wir nicht gestört zu werden wünsch(t)en, angeboten wurde: die Fleischtöpfe Ägyptens! Durch-Zug: ein Zug durch eine Wüste, die wir nicht kennen und wo wir am Rand einer Kultur leben, die wir ablehnen, in der wir aber gerade noch genug Spielraum haben, um an einer neuen zu bauen; ein Zug auch nach innen, um in uns selbst hineinzuschauen und uns zu bestärken, ohne die Selbstkritik dabei zu unterlassen; ein Zug durch eine Wüste, in der es manchmal zum Verzweifeln ist und wir den Weg verlieren, in der aber jedes gegenseitige Erkennen, Annehmen und Verstehen wie Wasser aus dem Felsen und Manna vom Himmel ist.
Ein Zug, wenigstens der Traum davon; die Hoffnung auf Schalom; der Glaube: »hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau« (Gal 3,28); der Traum daß niemand auf Kosten eines anderen leben will; die Hoffnung auf das Reich Gottes.
Es ist klar, daß diese Phasen nicht in einer systematischen und übersichtlichen Abfolge stehen; es gibt Rückfälle und Sprünge nach vorne, und die Linien können sogar zweideutig und verwirrend durcheinander laufen. Wir können diese Entwicklung noch mit einem anderen Bild zum Ausdruck bringen: mit der Erfahrung der Befreiung als einer »neuen Geburt« (auf diese Weise ist für die Dichterin Henriette Roland Holst der Sozialismus eine Wiedergeburt, eine »Neue Geburt« - so heißt ihr Gedichtband von 1902 - gewesen). Mit dieser Geburt vollziehen wir unseren Eintritt in die Schwesterlichkeit als einer lebendigen, nährenden und inklusiven Gemeinschaft.
So ungefähr sieht der Kontext aus, der die Matrix oder den Mutterboden bildet, aus dem die feministische Theologie hervorkommt, oder besser gesagt: von dem Feministinnen in ihrem theologischen Denken ausgehen. Dabei können wir verschiedene Ansätze feststellen, von denen ich nur die beiden wichtigsten nennen will:
1. Der erste ist der Ausgangspunkt jener Theologinnen, die in der jüdisch-christlichen Tradition drin bleiben wollen und weiterhin an die dauernde Gültigkeit der Gottesoffenbarung in dieser Tradition glauben. Den Inhalt dieser Offenbarung, wie er aufgeschrieben und uns überliefert worden ist, wollen sie jedoch von zeitgebundenen und vor allem von maskulinistischen Zutaten und Entstellungen entkleiden und um das bereichern, was im Leben von Frauen erst heute zur Entfaltung und zum Ausdruck kommt. Es geht somit um ein neues Verstehen, eine neue Hermeneutik und eine neue Interpretationsmethode aufgrund der Ahnung, daß Gottes Wort keine Unterdrückung und Minderwertigkeit der Frau beinhaltet, und daß sich dafür auch niemand auf göttliches Recht berufen kann. Es scheint mir, daß sich Letty Russell und Rosemary Ruether zu diesem ersten Ansatz bekennen. Das gilt wohl auch für Phyllis Trible, die sich schon seit Jahren mit einer feministischen Lektüre der Bibel beschäftigt und in ihrem letzten Buch dazu schreibt: Der patriarchalische Stempel, der der Bibel aufgedrückt worden ist, läßt sich nicht mehr entfernen; aber Kontexte können Texte verändern und sie aus eingefrorenen Bedeutungszusammenhängen befreien.
2. Die zweite Möglichkeit besteht darin, daß sich Frauen lieber außerhalb ihres kulturellen, theologischen und kognitiven Milieus stellen, es der Kritik unterziehen, neue Fragen im Bezug auf die Gotteserfahrung stellen und versuchen, darauf auch neue Antworten zu finden. Diese Antworten entnehmen sie weniger der gängigen Theologie und Philosophie als den Mythen, Symbolen und Bildern. Diese Feministinnen erleben ihren Weg »pregnant with possibility«, schwanger mit Möglichkeiten. Alles ist offen, und die Zukunft wird neue Wege weisen. In der feministischen Theologie wird diesen Möglichkeiten eine eigene Autorität zugesprochen. Diesen Aspekt hat Peggy Ann Way'm einem Artikel über die Frau im Amt mit dem Titel »An authority of possibility for women in the church« (»Eine Autorität der Möglichkeit für Frauen in der Kirche«) herausgearbeitet. Dort schreibt sie: »Ich bin froh, daß ich keinerlei Sicherheit aus der Bibel, der Geschichte, den Mythen oder den Strukturen ableite. Ich bin froh über mein heutiges Verständnis, daß die Autorität meines Amtes in den Möglichkeiten der Zukunft und in einem Glauben wurzelt, in dem ich so tief erfahren habe, daß nichts in der ganzen Schöpfung mich »scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn< (Röm 9 39), nicht einmal die Bibel oder die Geschichte oder der Mythos oder die Strukturen oder das männliche Bewußtsein ... Ein Teil der Autorität meines Amtes liegt in der Möglichkeit, Gott aus all dem Mißbrauch zu befreien, der ihn an eine männliche Hermeneutik, an die Geschichte oder an die grammatikalische Struktur bindet«.[10] Ich glaube, daß ihr das jede feministische Theologin nachsprechen wird - auch jene, die sich mehr durch den ersten Ansatz leiten lassen. Zu dieser zweiten Gruppierung gehört in erster Linie Mary Daly, die ihr erstes Buch mit einem »post-christian« (nachchristlichen) Vorwort neu herausgegeben hat. Es scheint mir, daß sich auch Sheila Collins mehr mit dieser Richtung verwandt fühlt.
Andererseits dürfen wir dieser Einteilung nicht zuviel Bedeutung beimessen, denn soviel ich sehe, schlägt eine ganze Anzahl Theologinnen wieder andere Wege ein und bewegt sich irgendwo zwischen dem ersten und dem zweiten Ansatz hin und her. Es ist nämlich ein Kennzeichen der ganzen feministischen Theologie, daß wir viel offenlassen, weil wir vor frühzeitiger Festlegung Angst bekommen haben. Dahinter liegt auch der Widerstand gegen Antworten, die wir von der alten Theologie auf Fragen bekommen haben, die wir nie gestellt haben. Darum werden wir uns vorläufig mit nur teilweisen Antworten zufriedengeben und auch manche Frage als Frage im Raum stehen lassen, solange wir uns noch auf der Suche nach der Antwort befinden.
Auch läßt sich feministische Theologie nicht als eine übersichtliche, systematische, abgeschlossene Theologie beschreiben. Sie kann das angesichts ihrer Jugend gar nicht sein, aber sie will es auch nicht sein, weil sie viel eher ein Prozeß des Theologisierens ist, ein dialektischer Prozeß von Aktion und Reflexion, der immer wieder neue Fragen aufwerfen wird. Diesen Aspekt teilt die feministische Theologie mit den Befreiungstheologien der Dritten Welt. Hier wie dort ist Leben, Erfahren und Handeln ein »locus theologicus« (ein Ort des theologischen Nachdenkens).

2. Gott und die Bilder von Gott

Ich glaube, daß Dalys »Beyond God the Father« (»Jenseits von Gottvater«) in seiner ganzen Radikalität wohl der Klassiker aus den Anfangsjahren der feministischen Theologie bleiben wird. Auf jeden Fall ist die Sehnsucht, über den »Gottvater« hinauszukommen und alle patriarchalischen Projektionen zu entlarven, auf unvergeßliche Weise in diesen drei Worten zum Ausdruck gebracht worden. Aber gerade weil die älteste Gotteserfahrung innerhalb dessen, was die jüdisch-christliche Tradition werden sollte, in so einfache Worte gefaßt worden ist, und dank dem Verbot, Bilder vom sich offenbarenden Gott zu machen, bestehen für Feministinnen keine Bedenken, sich dieser Gottesoffenbarung anzuvertrauen: Ich bin, der ich bin: der Seiende, die Fülle des Seins, die Quelle des Seins; ich bin da für euch, ich werde für euch da sein und ich bringe euch zum Sein.
Dank der befreienden Seinserfahrung, die Frauen heute machen, haben wir eher die Möglichkeit, uns als Teil dieses allumfassenden Seins zu erleben; und zwar sowohl in der schöpferischen Seinskraft in mir selbst wie im Lockruf des ewig Seienden, der mich aus meiner Umzäunung herausholt, mir Richtung gibt und das zur Entfaltung aufruft, was in uns Menschen als vorhandene, aber noch verborgene Möglichkeit schlummert. »Gott ist als Quelle aller noch nicht verwirklichten Möglichkeiten der Welt (und dem Menschen) gegenüber transzendent, aber gerade indem er transzendiert, ist Gott immanent im richtunggebenden Prinzip, das in allen und durch alle Dinge strömt. Als Schöpfer ist Gott nicht nur transzendent, sondern auch völlig und radikal inkarniert«.[11] Für Frauen in einem Befreiungsprozeß heißt das: wenn sie dieser befreienden Stimme in sich und außerhalb von sich Gehör geben, arbeiten sie an der Verwirklichung dessen mit, was in der Schöpfung - in diesem Fall in ihnen selbst - noch beschlossen ist. Gott ist als Quelle des Seins ein Befreier auf die Zukunft hin - nicht, um das Vergangene bloß zu wiederholen, sondern um es zu verwandeln.
Die feministische Theologie legt den Nachdruck auf Gott als eine dynamische Wirklichkeit. Das ist einer der Gründe, warum Mary Daly den Vorschlag macht, Gott nicht mehr mit einem selbständigen Dingwort, sondern mit einem Tätigkeitswort zu bezeichnen: Sein, Seiendes, Being, Sein-Werden. Sheila Collins[12] erzählt von einer Grailville-Konferenz von 1972, wo die Teilnehmer Gott als Knotenpunkt statt als autoritäre Spitze aller Wirklichkeit dargestellt haben. Ein zweites Bild verglich Gott mit einem Elektrizitätswerk, »the grid of being«, der Energiequelle alles Seins; die Gemeinschaft wirkt dann als erdender Grund. Die Vorstellung wurde in einem Diagramm dargestellt, in dem viele Kreise vorkommen: jeder Kreis bringt Vollkommenheit und die schöpferische Spannung von Gegensätzen zum Ausdruck. Der Kreis repräsentiert sowohl individuelle menschliche Wesen wie Gott:

Das sind vitale Gotteserfahrungen, zu denen man mit jenen Gottesbegriffen nicht gelangen kann, die nur die Transzendenz Gottes ausdrücken, geschweige denn mit der Vorstellung eines fernen Gottes, der sich selber genug ist. Frauen haben eine gewisse Vertrautheit mit der Immanenz Gottes und erfahren Gottes »energeia« auch in sich selbst. Sie haben deshalb Angst, Gott allzu schnell als eine Person zu bezeichnen, weil das unter anderem ein Anlaß für so viele übermäßig männliche und überlegene Gottesbilder geworden ist: Krieger, Richter, Rächer, Feldherr. Gegen diese Projektionen auf Gott, die im patriarchalischen »Gottvater« zusammengeballt sind, lehnen wir uns auf. Das drücken wir auf zwei Arten aus:

  1. In der Abneigung gegen alle Bilder: Gott als Sein, Gott als Geist (Daly);
  2. im Suchen nach neuen Bildern, die auch der weiblichen Gotteserfahrung gerecht werden.

Maria de Groot in Holland und Phyllis Trible in den Vereinigten Staaten sind zwei unter vielen, die in der Bibel geduldig jene andere Dimension aufspüren, die in unserem Glaubensleben verloren gegangen ist: weibliche Bilder und Motive. Trible machte sich auf die Suche nach den Elementen einer Bildsprache, die auf dem hebräischen Stamm r h m beruht: der Schoß der Frauen als Andeutung auf das Erbarmen Gottes. Sie weist darauf hin, daß JHWH dichterisch als ein Gott dargestellt wird, der schwanger ist, in Geburtswehen liegt, ein Kind gebärt und stillt.[13] Natürlich kann man auf unsere Bedenken gegenüber den projektierten Vaterbildern, die uns Gott verdüstern, einwenden, daß wir die Sache verdrehen: es sei gerade Gottes Väterlichkeit für uns Menschen, an der sich die irdische Väterlichkeit messen müsse. Aber solange wir in Holland einem modernen Dichter (Huub Oosterhuis) in der Kirche Sonntag um Sonntag zu Tausenden nachsingen: »Menschen sind Vater und Sohn und so geht es hin ...«,[14] ohne daß jemand dagegen rebelliert, bleiben unsere emotionalen Einwände bestehen und behalten auch ihre Gültigkeit; die Gefahr einer Legitimation der bestehenden Ordnung läßt sich nicht von der Hand weisen.

3. Der Mensch als Abbild Gottes

Es gibt nur ein Abbild Gottes, den Menschen; und es gibt nur einen, der es vollkommen dargestellt hat: Jesus Christus. Lieber als mich auf die plastische Geschichte von der Erschaffung Evas zu konzentrieren und zu erzählen, was eine feministische Lektüre und Interpretation dieser Geschichte alles ans Tageslicht bringt, beschränke ich mich hier auf den ersten Schöpfungsbericht:
»Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib.« (Gen 1,26-27). Diese einfache Mitteilung bietet Frauen einen viel besseren Ansatz zu einer christlichen Lehre vom Menschen. Alle allzu menschlichen Bilder sind verschwunden; es ist keine Rede von vorher oder nachher, von oben oder unten; der Mensch ist Mann und Frau und als solche(r) Abbild Gottes, beide und jede(r) für sich. Das kann nichts anderes heißen, als daß auch in Gott etwas von der Pluralität, die in den geschlechtlichen Unterschieden des Menschen zum Ausdruck kommt, vorhanden ist. Es wäre noch näher zu untersuchen, ob Elohim - der Gottesname, der hier gebraucht wird - in der Tat einen Plural mit weiblichen und männlichen Zügen wiedergibt und ob darin eine Reminiszenz an frühere Mutterreligionen anklingt. Zudem würde es sich lohnen, der Bedeutung der Sophia (Weisheit) in den Sprüchen nachzugehen: »Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her, im Anfang, ehe die Erde war... da war ich als sein Liebling bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit (Sprüche 8,22-24,20).
Noch wichtiger finde ich, daß der Begriff »Abbild Gottes« auch beinhaltet, daß der Mensch bezogen ist und durch Beziehungen Mensch wird: einerseits trägt der Mensch als Geschöpf Gottes, die Frau so gut wie der Mann, ihr/sein Zentrum in sich selbst; sie brauchen es nicht außerhalb von sich selbst in den anderen zu verlegen. Andererseits kommt der Mensch als Abbild Gottes erst in der Beziehung zu Mitmenschen zur vollen Entfaltung. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Beziehung Mann-Frau unerläßlich wäre; es geht um menschliche Beziehungen ganz allgemein. Es setzt jedoch ein Fragezeichen hinter die Behauptung »Feminismus ist Lesbianismus«. Dazu ist dasselbe zu sagen wie zur früheren Forderung »Eine Frau muß einfach verheiratet sein«. In beiden Fällen verbarrikadieren wir uns die Möglichkeit, unser Leben in Beziehungen zu wem auch immer zu gestalten. Als Reaktion auf den älteren Dogmatismus kann ich diese »feministische« Parole schon verstehen; sie kommt aus dem Verlangen nach Gleichwertigkeit, gegenseitiger Zärtlichkeit und dem Bedürfnis, dem auch körperlich Ausdruck zu geben. Aber die feministische Bewegung würde sich auf den Holzweg begeben, wenn sie das als allgemeine Regel durchhalten wollte.
Daß wir Abbild Gottes sind, hat auch zur Folge, daß wir capax Dei sind, das heißt dem Ruf Gottes zur Transzendenz, zur Selbstübersteigung Gehör geben können. Geschaffen nach dem Bilde Gottes, leben wir in einer auf- und niedersteigenden Bewegung von Transzendenz und Immanenz. Gerade das ist nun der Frau aufgrund ihres Geschlechtes vorenthalten worden und zwar, indem man ihr die Etikette aufgeklebt hat, daß sie dem Irdischen und Materiellen verhaftet sei. Dadurch wurde sie in einem kindlichen Stand der Unmündigkeit gehalten, in einem Zustand also, in dem die Möglichkeit, daß sich das eigene Ich über das körperliche und gefühlsmäßige Leben erheben kann, bis zum äußersten eingeschränkt war. Sie wurde immanent gehalten und dazu von einer maskulinen Kultur verurteilt, die sie zum Ding erstarren ließ (Simone de Beauvoir). Es ist ihre tiefe Freude, daß sie - jetzt, wo sie Subjekt geworden ist - zum Übersteigen ihrer Grenzen eingeladen wird.

4. Jesus der Mann

In ihrem Buch «Jesus der Mann« hat die Psychotherapeutin und frühere Pfarrerin Hanna Wolff das patriarchalische Mißverständnis von Jesus aufgezeigt. Sie behauptet, daß sich das Denken der Kirchenväter in allen existentiellen Lebensfragen in absoluten Projektionen vollzogen hat. Denn sie lebten im »Bewußtseinspatriarchat« (Erich Neumann), einer unintegrierten Phase des männlichen Bewußtseins. Wer sich dem Unbewußten verschließt, kann nicht zu einem klaren und umfassenden Selbstverständnis kommen und fängt an zu projizieren. Und projiziert hat man nicht nur auf Gott, sondern auch auf Jesus: er ist »zur größten Projektionswand aller Jahrhunderte geworden.« Sie will nun zeigen, wie sehr Jesus von Nazareth ein ganzheitlicher, androgyner Mann gewesen ist.[15] Die Frage nach der Bedeutung der Männlichkeit Jesu für die Heilsgeschichte der Frauen ist natürlich für die Kirchengeschichte als ganzes wichtig, aber für Feministinnen ist sie besonders akut und aktuell geworden, weil die Römische Erklärung »Inter isigniores« die Männlichkeit von Christus als wichtiges Argument gegen die Zulassung von Frauen zu den Ämtern verwendet.[16] Im Kapitel über »die Gewalt der Bilder« komme ich darauf zurück.
Wir Menschen werden das Mysterium von Gottes Menschwerdung nie einholen. Aber meines Erachtens dürfen wir schon feststellen, daß im zeitlichen, örtlichen und kulturellen Kontext ein weiblicher Erlöser unvorstellbar war. Das heißt, daß der Gestalt des Messias - jedenfalls für Frauen, die nach ihrer Identität und einem neuen religiösen Selbstverständnis suchen - etwas fehlt, das Jesus nicht zum Ausdruck bringen konnte. Karl Rahner warnt im Gespräch mit Anita Röper davor, das männliche Geschlecht Jesu zu verschleiern. Jesus war ein Mann, und dieser männliche Mensch ist die Offenbarung Gottes in dieser Welt, aber er ist das nicht, weil er Mann war. Darum kann Rahner sagen: Warum sollten wir glauben müssen, daß Gott in seiner Vereinigung mit dem Mann Jesus eine besondere »Selbstaussage« oder Selbstoffenbarung macht? Und er ist der Auffassung, daß die Frauen dazu berufen sind, dem Christus, der mit der ganzen erlösten Menschheit identisch ist, das zuzufügen und das einzubringen, was Jesus in der Beschränktheit seiner menschlichen Existenz nicht verwirklichen konnte.[17] Somit dürfen wir sagen, daß die Befreiung von Frauen zu ganzheitlichen, leiblich/seelischen Menschen ein Ausdruck für die fortlaufende Menschwerdung Gottes ist. Sie sind die Hälfte der kirchlichen Gemeinschaft, die ja die Aufgabe hat, das Werk Christi fortzusetzen. Darum geht es nicht an, Frauen im Dienst an der Kirche unter Berufung auf den männlichen Jesus die Flügel zu stutzen. Denn letztlich geht es um die Berufung auf den auferstandenen Herrn, den Christus, der eine Glaubenswirklichkeit ist und sich nicht auf seine Sexualität beschränken läßt. Diesen Gedankengang will ich noch um die Vorstellung von »Jesus Sophia« ergänzen. Unter diesem Titel hat Felix Christ eine wichtige Dissertation geschrieben.[18] Darin behandelt er die Sophia-Christologie bei den Synoptikern (den ersten drei Evangelisten) und legt dar, daß die Darstellung der Weisheit als Person in der Weisheitsliteratur des Alten Testaments die Art, wie die Evangelien von Jesus reden, wesentlich beeinflußt hat. Bei den Synoptikern tritt Jesus als Sprecher und Träger der Weisheit auf, aber zugleich auch als die Weisheit selbst. Der Autor vermutet, daß die Sophia-Christologie zu den allerältesten Christologien gehört. Erst als die Sophia-Figur von den Gnostikern übernommen und bei ihnen gebräuchlich wurde, ist sie - vielleicht gerade darum - in der Urchristenheit vermieden worden. Interessant ist auch die Frage von Christ, wieweit mit der Weisheit als christologischem Titel Vorstellungen verbunden blieben, die zur Zeit Jesu mit der Sophia assoziiert wurden, nämlich Bezüge zur ägyptischen Göttin Isis (für Interessenten: diese Sophia-Christologie ist hauptsächlich über Q vermittelt und bei Matthäus und Lukas gefunden worden). War Jesus also wirklich ein androgyner Mensch? Im selben Maß, wie feministische Theologinnen die Bedeutung der Weisheit, des Geistes und die Figur der Maria ergründen, wozu sie sicher auch die Religionswissenschaft zu Rate ziehen müssen, wird vermutlich auf vieles, was noch unbekannt oder nicht zu enträtseln ist, ein helleres Licht fallen. Es dürfte sich dabei herausstellen, daß auch dieses Stück Geschichte viel stärker eine »herstory« ist, als es die offizielle Kirchengeschichte bis heute hat vermuten lassen. Ein weiteres Studium der Ketzerbewegungen und der apokryphen (nicht in das Neue Testament aufgenommenen) Evangelien wird uns auch vor die Frage stellen: wenn in ihnen die Rolle und die Bedeutung von Frauen größer und wichtiger ist als in der offiziellen Kirche und in den kanonischen Schriften, ist darin dann nicht gerade der oder wenigstens ein Grund zu sehen, warum sie eine Abfuhr erlitten haben?

5. Der Heilige Geist

Eher als zum Vater und zum Sohn haben feministische Theologinnen Zugang zu Gott dem Geist, der das Relationale (Bezogene) und Dynamische verkörpert und den Funken anzündet in dem, was sich zwischen Menschen ereignet. Sowenig ich in der pastoralen Theologie einen Nachdruck auf der Pneumatologie (Lehre vom Heiligen Geist) gefunden habe, sowenig kommt der Heilige Geist thematisch im Werk feministischer Theologinnen vor. Und doch meine ich, daß es in diese Richtung gehen muß. Der Geist von Christus, der sein Werk unter uns fortsetzt, ist erschienen, als Maria, die Apostel und die Frauen beieinander waren und warteten. Das war die Ekklesia (Kirche) in ihrer authentischsten Gestalt: betend und empfänglich für den Geist, der sie in Feuer und Flamme setzen und in ihr Leben anfachen wird, wie er es zuvor in Maria getan hat. Da erinnert sich Petrus an die alte Prophezeiung von Joel, daß alle Söhne und Töchter weissagen werden. Es ist erstaunlich, wie oft in den alten Religionen gerade Frauen von Geist erfüllt wurden und als Prophetinnen auftraten.
Ich betrachte die feministische Bewegung in ihrem besten Sinn als eine Herausforderung an die Kirche; sie ist eine »Fremdprophetie«, die als geistige Bewegung auf die Kirchen einwirken kann, um sie in all ihren Ausdrucksformen zu einer Gemeinschaft von Männern und Frauen zu machen. Es sind an diesem historischen Wendepunkt gerade die Unterdrückten und Eingeschränkten, die den Kirchen zurufen: »Blast den Geist nicht aus.« Daß der Feminismus so viel am Christentum auszusetzen hat, rührt unter anderem daher, daß sich die Kirchen zu wenig »anblasen« ließen, nicht genug dynamisch blieben und das Neue Testament zu sehr als Gesetz mißbraucht haben. Wo der Geist Zugang hat, darf experimentiert werden, da hebt ein Sturm an und werden Menschen über sich selbst emporgehoben. Der Kirche sind das Charisma und die Konsequenzen von Pfingsten immer unheimlich gewesen. »In der Frauenbefreiung gehört Pfingsten uns, auch darum, weil hier die, die zuvor verstreut und abgetrennt waren, im Dunkel lebten und nicht gehört wurden, in die Macht eingesetzt werden. Wann immer Frauen zusammenkommen und sich Zeit füreinander nehmen, machen sie die Erfahrung, daß in ihnen etwas frei wird: wie von einem kräftigen Windstoß angefacht und wie durch Flammen und Feuer, die jede von ihnen ergreifen, äußern sie sich, warmgeworden, in einer neuen Sprache und mit unbekannten Worten, weil jede den Mut gefunden hat, ihre Gedanken zum Ausdruck zu bringen in ihrer eigenen authentischen Sprache. Über die Barrieren von Alter, sozialer Klasse, Kultur und Rasse hinweg sprechen sie und wird ihnen zugehört. Die üblichen Hierarchien stürzen ein, wenn die Stimmlosen ihre Stimme und die Machtlosen Macht finden«[19]. In der Tat: Feuer und Sturm, die Taube und der Tröster wecken in uns eher Gotteserfahrungen als die Bilder vom Vater und vom Logos. Ihnen verdanken wir Vitalität und neues Leben.

6. Der Traum von der Ganzheit

Wenn ich hier über Ganzheit schreibe, will ich zuerst darlegen, um welche Art Ganzheit es sich handelt... Das Wort »Ganzheit« ist in diesem Büchlein schon früher gefallen: »wholeness« ist ein Lieblingsbegriff der feministischen Literatur, dem wir häufiger begegnen als dem der Totalität. Obwohl damit meiner Meinung nach dasselbe gemeint ist, wähle auch ich die Ganzheit, weil Totalität die Gefahr der Ideologie mit sich bringt und uns an totalitäre Systeme erinnert. Ganzheit: die spannungsvolle Einheit einer Vielzahl von Eigenschaften und Werten, die bis heute getrennt über die beiden Geschlechter und auch über die östliche und westliche Kultur verteilt waren. Mit anderen Worten: das Streben nach Ganzheit besteht darin, daß ein Mensch zu einer möglichst großen Integration von all dem kommt, was sie/er in sich als Potential zur Verwirklichung antrifft. Es geht also um eine spannungsvolle Einheit und nicht um eine bequeme, nur für mich allein zu realisierende Harmonie der Gesundheit, der Erlösung von allen Widerwärtigkeiten und der ausschließlichen Selbstentfaltung. Denn da gibt es noch das Problem des Bösen, des Leidens im körperlichen und geistigen Sinn. Ganzheit beinhaltet deshalb auch das Annehmen der eigenen Grenzen, das Lebenkönnen in der Ambivalenz und - in sozialen Dimensionen gedacht - das Bejahen der endlosen Unterschiede zwischen Menschen und Kulturen, damit jede(r) sie/er selber sein darf, ohne daß die eine Person, die eine Rasse, das eine Geschlecht, die eine Kultur die oder das andere beherrscht. Der Traum von der Ganzheit - theologisch gesprochen: vom Ganz- und Heilsein des Reiches Gottes - will keine Rückkehr ins Paradies der ursprünglichen Unkompliziertheit. Nein, wir mußten aus dem Paradies heraus; Eva mußte den Unterschied zwischen Gut und Böse kennen und mit ihrer menschlichen Ambivalenz leben lernen. Nur so können wir auf eine Ganzheit zuwachsen, die reicher ist als die, die uns der Garten Eden geben konnte. Das Ganzsein, das wir suchen, ist die erfüllte Ganzheit, die auf die Kompliziertheit folgt, durch die wir hindurch müssen. Ganzheit also erst nach dem Durch-Zug und nicht für mich allein, sondern für jede Person und die ganze Gemeinschaft. Diese Ganzheit von und zwischen Menschen wird erst möglich, wenn zwischen Menschen Versöhnung stattfindet, in unserem Zusammenhang: Versöhnung zwischen den Geschlechtern, nachdem jedes von ihnen zu seiner eigenen Reise von Auszug und Einkehr, Durch-Zug und Traum, bereit war. Erst dann, wenn jedes Geschlecht sich seines eigenen Versagens gegenüber dem anderen bewußt geworden ist, kann uns ein Schalom geschenkt werden.

7. Kirche als Schwesterlichkeit

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist der Idee der Kirche als Brüderlichkeit wieder viel Aufmerksamkeit zugekommen. Aber selbst männliche Theologen begreifen, daß wir damit erst auf halbem Wege sind. So schreibt Yves Congar. »Es geht nicht bloß darum, den Frauen in einer Kirche, die weiterhin von Männern dominiert bleibt, ein bißchen mehr Platz zu machen; es geht darum, in der Kirche auf angemessene Weise der menschlichen Wirklichkeit Gestalt zu geben, daß er >sie als Mann und Weib< schuf«.[20] Ich denke hier an die Idee der »sisterhood«, der Schwesterlichkeit, wie sie Daly entwickelt hat, und die in einer Ekklesiologie (Lehre von der Kirche), die auch für Frauen annehmbar sein soll, eine wichtige Kategorie werden muß. Für Daly ist es nicht so, daß die Kirche der Ort par excellence wäre, an dem Schwesterlichkeit zu verwirklichen ist; sie kehrt die Rollen um; Schwesterlichkeit ist Kirche, nämlich ein »Raum, ein heiliger Raum«, separat und dersexi-stischen Kirche abgerungen, in dem Frauen sie selber werden und sich übersteigen können. Sie betrachtet Schwesterlichkeit auch als eine charismatische Gemeinschaft, in der Frauen ganz werden und sich prophetisch gegen alle enthumanisierenden Strukturen erheben. Schwesterlichkeit ist zudem eine Exodus-Gemeinschaft, die 1971 mit dem Exodus aus der Memorial Church symbolisch ihren Anfang genommen hat (mit dieser Handlung sind Frauen aus dem Land der Väter ausgezogen, um die unerfüllten Möglichkeiten ihrer Vormütter zu verwirklichen). Schließlich ist Schwesterlichkeit eine Gemeinschaft mit einer Sendung, nämlich der Aufgabe, die Frohe Botschaft der Befreiung zu verkünden. Durch all das wirkt Schwesterlichkeit als kritische Instanz gegenüber der institutionalisierten Kirche und weist diese auf ihre eschatologische (endzeitliche) Dimension hin.[21]
Von hier aus läßt sich begreifen, daß radikale Feministinnen kaum den Wunsch verspüren, sich besonders mit der Frage nach der Frau in den Ämtern zu beschäftigen. Denn sie möchten die bestehenden Ämter, wie sie heute in den kirchlichen Strukturen aussehen, ja gar nicht bekleiden. Kirche ist für sie eine andere Wirklichkeit geworden, und sie halten nichts von einer rigiden kirchlichen Ordnung. Dem steht eine andere Sicht gegenüber; hier geht man davon aus, daß sich von innen her Terrain gewinnen läßt, wenn man nur kritisch und wachsam genug innerhalb der bestehenden Kirche ans Werk geht. Untereinander verstehen sich diese verschiedenen Betrachtungsweisen gut. Darum geht der Kampf um die »Zulassung« zu den Ämtern weiter, vor allem über die amerikanische »Women Ordination Conference«, die zu ihrer zweiten Konferenz in Baltimore vom November 1978 (nach der ersten Konferenz 1975 in Detroit) auch Frauen aus Südamerika und Europa eingeladen hat. Für ihre dritte W. 0. C. vom Herbst 1980 in Rom will sie einen Aufruf an Frauen in der ganzen Welt richten. Auch im Hinblick auf die Formen des Amtes und seine Ausübung sollten wir sorgfältig auf das lauschen, was uns der Geist an Beweglichkeit, Phantasie und Improvisation einflößt. Das bringt unter anderem ein neues Verständnis der Tradition mit sich, die noch heute gegen Frauen ausgespielt wird, auf jeden Fall in jenen Kirchen, in denen ihnen die Ämter noch nicht offen stehen. Die verschiedenen Studien des Weltkirchenrats zu diesem Problem können dafür ein wertvolles Hilfsmittel sein.[22]

8. Ethische Fragen

a) Rund um die menschliche Sexualität

Rosemary Ruether und Eugene Bianchi haben für ihr fesselndes Buch »From Machismo to Mutuality« (»Vom männlichen Überlegenheitsdünkel zur Gegenseitigkeit«; der Titel gibt eigentlich die Zielsetzung der Frauenbefreiungsbewegung wieder!) zwei Beiträge über die Humanisierung der menschlichen Sexualität verfaßt, die ich allen von Herzen zur Lektüre empfehlen möchte.[23] Schon die Titel geben die Richtung ihrer Darlegungen an: »The personali-zation of sexuality« (»Die Personalisierung der Sexualität«) und »Psychic celibacy and the quest for mutuality« (»Seelischer Zölibat und die Suche nach Gegenseitigkeit«). Beide gehen von der gleichen Wahrnehmung der Unfähigkeit zu oder der Angst vor persönlichen Beziehungen bei sexuellen Erlebnissen aus, die ich bereits im Kapitel über den Feminismus beschrieben habe. Natürlich weisen nicht alle Männer diese Unfähigkeit auf, aber sie scheint doch ein Merkmal einer maskulinistischen Gesellschaft zu sein, in der die menschliche Sexualität auf den Konsum von Sex reduziert wird.
Die Sexualität ist das Opfer der Angst vor Liebe, Beziehungen und Hingabe geworden. Deshalb ist die Sexualität, gemäß Ruether, abgewertet worden mit dem Zweck, sich gegen die Herausforderung zur Liebe abzuschirmen. Ihre Erniedrigung hat zunächst dadurch stattgefunden, daß der Körper und seine Lust im Namen der Askese bezwungen werden mußten. Heute vollzieht sie sich in der sogenannten sexuellen Befreiung, wo für den Geist kein Platz übrig bleibt. »One makes love with genitals not with selves« (»Man macht Liebe mit den Genitalien und nicht mit dem ganzen Selbst«); der Orgasmus (je mehr und je vollkommener desto besser) wird eine Leistung und ein Produkt von größter Wichtigkeit, auf das auch die Porno-Industrie abzielt.
Erst auf der Einsicht, daß wirkliche, auf die Person bezogene Beziehungen zwischen den Menschen notwendig sind, kann eine Sexualethik aufgebaut werden, die nicht nur im Hinblick auf die Authentizität jeder(s) einzelnen, sondern auch im Hinblick auf die gegenseitige Verantwortung richtungsgebend ist. Und erst von daher rücken Fragen über die Institution der Ehe, Treue für das ganze Leben, Ehescheidung und Homosexualität/Lesbianismus ins rechte Licht.
In diesem Zusammenhang will ich noch auf das Büchlein von Gollwitzer über das Hohelied zu sprechen kommen. Er zeigt darin, daß eine ausschließlich übertragene Interpretation, die im Hohelied nur den Ausdruck der Liebe Gottes zu seinem Volk sehen will, das zu-kurz-kommen läßt, was es ursprünglich ist und bleibt: ein Liebeslied, ein Lied über eine verrückte Verliebtheit und die Sehnsucht, sie auch körperlich auszuleben statt die Leidenschaften zu mäßigen oder auszulöschen. Zum Glück hat dieses Lied seinen Platz in der Bibel gefunden, denn gerade hier kommt auch die Gleichwertigkeit von Mann und Frau zum Ausdruck: unbefangen werden das Liebesverlangen und die Liebesäußerungen sowohl des Jungen wie des Mädchens besungen. Hier ist in der Tat vom Geschenk der menschlichen Sexualität die Rede.[24]

b) Sozialethik

In der feministischen Theologie werden zwei Punkte mit Nachdruck betont:
»Vergewaltigung« als Grundhaltung führt zur Unterdrückung und Ausbeutung von allem und jedem und beraubt es seiner Kräfte;
»Androgynie« gibt die Richtung an, in der wir eine Ethik der Gleichwertigkeit suchen.
Es fällt auf, daß sich die feministische Theologie von Anfang an nie auf die Frauenbefreiung beschränkt, sondern sie immer in einem größeren Kontext gesehen hat. In der »Unheiligen Dreieinigkeit« von Vergewaltigung, Krieg und Völkermord (Mary Daly) gibt die Vergewaltigung das Muster für die Art und Weise ab, wie Menschen miteinander umzugehen drohen: jemanden unten halten; Menschen keinen Raum geben, um zu leben oder sich als Mensch zu entfalten; eigene Interessen auf Kosten anderer durchsetzen; gewalttätig in das Leben von Menschen, Stämmen und Völkern eindringen und sie verstümmeln, beschädigen und ausrotten. Das gilt auch für die Art, wie wir mit Mutter Erde umspringen; die maskuline Kultur kennt nur einen Gott: den technischen Fortschritt. Um seinetwillen dringt diese Kultur gewaltsam in den Schoß der Erde ein und vergewaltigt sie. Damit mißachten wir das Geschenk der Schöpfung, die uns nicht mit dem Gebot anvertraut worden ist, sie zu beherrschen und zu ihrem eigenen Schaden zu unterwerfen, sondern mit dem Auftrag, sie zu verwalten und zu bewahren.[25]
Es ist sicher nicht erstaunlich, daß die feministische Theologie eine Ethik sucht, die auf eine androgyne Erfüllung der Schöpfung abzielt. Androgyn ist hier sowohl wörtlich wie übertragen gemeint. In diesem Begriff ist auch die Vorstellung der Gegenseitigkeit in all unseren Beziehungen und in unserem Umgang mit der Natur und der Materie enthalten, sowie das Suchen nach Offenheit und Empfänglichkeit für alles »andere« und für eine andere Kultur. Harvey Cox schreibt irgendwo: »Indem das Christentum Frauen ausgeschlossen und Heiden verfolgt hat, war es mit dem Kampf gegen unterdrückte Dimensionen in der westlichen Seele selbst beschäftigt. Und das ohne Erfolg, darf man wohl sagen. Ein Denken und Handeln in Richtung auf Ganzheit und Androgynie könnte dazu führen, daß der religiöse Geist des Westens, der so nach außen gekehrt ist, so zum Räsonnieren, zur Transzendenz und zum Aktivismus neigt, sich etwas vom östlichen Gefühl für Innerlichkeit, Empfänglichkeit, Immanenz und Dulden zu eigen macht«.[26]
Auch June Singer weist in ihrem wichtigen Buch über Androgynie auf den Reichtum der östlichen Kultur hin, die danach strebt, das dualistische Konzept von Geist und Körper aufzuheben und dafür auch entsprechende Riten kennt. Zurecht warnt sie jedoch davor, daß wir in unserer westlichen Kultur in die Falle hineinlaufen, die Praktiken des Ostens nachzuahmen; denn diese sind ja aus dem Mutterboden einer anderen Kultur gewachsen. Wir müssen in unserer Kultur die Ingredienzien suchen, die wir »für unsere eigene Alchemisten-Arbeit« brauchen.[27] Es bleibt uns nicht erspart, unsere eigenen Wege zu finden, um unsere Dualismen zu übersteigen, uns des Einen, des Großen Ungeteilten, bewußtzuwerden und zu versuchen, zu einer Vereinigung der Gegensätze in uns selbst zu kommen. Bei diesen Worten von Singer geht mir auf, daß die Bezeichnung »coincidentia oppositorum« (»das Zusammenfallen der Gegensätze«), die Nikolaus von Cues für Gott verwendet, hier auf eine überraschende Weise zurückkehrt.

9. Zum Abschluß:

a) Kritische Fragen

Die Figur von June Singer ist ein guter Übergang, wenn wir uns als Feministinnen selber ein paar kritische Fragen stellen wollen. Auch sie betrachtet die Frauenbefreiungsbewegung als eine notwendige Erscheinung, nicht zuletzt weil sie weitere Kreise zieht und ein Stimulans zum Freiwerden all jener Werte und Kräfte werden kann, die in der westlichen Kultur »weiblich« wurden, obwohl sie natürlich allgemein menschlich sind. Singer macht sich jedoch Sorgen darüber, daß sich der Feminismus im Moment stark polarisierend auswirken kann, weil wir das Gegenüber von Frauen und Männern so sehr betonen. Zudem ist der Feminismus aus der Entdeckung heraus, daß das Persönliche auch eine politische Bedeutung hat, eine kämpferische und manchmal aggressive Bewegung geworden. Oft scheint er in seinem Auftreten das Lügen zu strafen, was er selber verteidigt: eine Aufwertung all jener Werte, die bis heute dem einen Geschlecht als Verpflichtung auferlegt wurden, während sich das andere davon entbunden fühlte. Der Feminismus will eine Lebens- und Seinsqualität erreichen und muß dafür kämpfen; er will am Weiblichen und Männlichen vorbei zum ganzheitlich Menschlichen vorstoßen, und ausgerechnet er polarisiert zwischen Männern und Frauen...
Meiner Meinung nach stehen wir hier vor einem Paradox, das wir aushalten müssen. Solange Frauen - hier oder in der Dritten Welt - der Raum zur Menschwerdung bestritten wird, wird es Kampf geben müssen. Solange viele Männer noch immer nichts von der Frauenbefreiungsbewegung begreifen (wollen) oder auf jeden Fall die Fäden fest in ihrer Hand behalten, wird die Polarisierung andauern. Wollen wir weiter kommen, so müssen die maskuline Kultur, Politik, Wirtschaft und die Kirchenstrukturen einsehen, daß sie mangelhaft sind und wo sie ein Defizit haben, und aufgrund der so gewonnenen Einsicht Frauen zum gemeinsamen Tragen der Verantwortung einladen. Aber statt nur die Männer zu kritisieren, können wir inzwischen auch etwas Selbstkritik üben. Wer kämpft, und sei es für eine noch so gute Sache, läuft Gefahr, sich darauf zu fixieren und solche Scheuklappen zu entwickeln, daß sie die Entwicklungen zum Guten, die ja auch vorhanden sind, nicht einmal mehr wahrnimmt. Oder die Sache, um die es geht, kann so absolut werden, daß sie die Schiächtung der Juden im Zweiten Weltkrieg und die »Apartheid« gegenüber der schwarzen Bevölkerung Südafrikas auf eine Linie mit der Unterdrückung der Frauen in Westeuropa stellt. Auch wenn der Unterdrückungsmechanismus immer dieselbe psychologische Struktur hat - den anderen, das andere unten halten -spielen doch so viele andere Faktoren mit hinein, daß die Wirklichkeit sehr viel komplizierter und nuancierter aussieht. Ein scharfes Auge für alle Nuancen bewahrt uns auf diese Weise vor einer einseitigen Selbstgenügsamkeit, ohne daß es unserer Entschlossenheit Abbruch tut. Ich hoffe, daß der Feminismus eine dynamische Bewegung bleibt und weiterhin durch die kritischen Fragen, die er an andere richtet, zur Last fällt; ich wünsche mir aber auch, daß er einer Phase der Verinnerlichung und Vergeistigung entgegengeht und kritische Fragen an sich selber stellt. Oder, um es mit Phyllis Trible zu sagen, daß es uns gelingt, »to hold together and in tension a variety of agenda's« (»eine Vielzahl von Anliegen sowohl zusammen, wie in gegenseitiger Spannung zu halten«).

b) Ausblick

Ohne die anderen wichtigen Aspekte dieser reichhaltigen »agenda's« (»Anliegen«) herabmindern zu wollen, glaube ich, daß feministische Theologinnen die Aufgabe haben, sich - ohne den Kontext als ganzen aus den Augen zu verlieren - auf die theologische Reflexion zu konzentrieren. Ich hoffe, daß aus dieser Einführung und den Fingerübungen, die nun folgen, ein paar Dinge klarwerden:

  1. In erster Linie möchte ich, daß die feministische Theologie Sinn und Bedeutung bekommt für all jene Frauen, die von der ambivalenten Rolle, die das Christentum den Frauen gegenüber gespielt hat, tief enttäuscht sind. Es sind schon viele aus den Kirchen ausgetreten, aber ich weiß, daß weder sie noch die vielen anderen, die vor diesem Schritt noch zögern, damit ihre Sehnsucht nach der religiösen Dimension in ihrem Leben unterdrücken wollen. Wenn die feministische Theologie ein Element des Erkennens, der Faszination und der Hoffnung in ihr und unser Herz zu bringen vermag, dann ist sie schon deswegen nicht vergebens.
  2. Aber es geht noch um etwas anderes: die feministische Theologie kann auch für die Theologie als solche wichtig werden. Dafür sehe ich zwei Ansatzpunkte:
    - indem sie explizit entfaltet und zur Sprache bringt, was in der christlichen Tradition implizit vorhanden, aber verborgen geblieben ist. Das meinen wir, wenn wir sagen: wir brauchen neue Augen, um zu lesen, neue Ohren, um zu hören und zu verstehen, und eine neue Erfindungsgabe, um die Perlen, die jetzt noch in ihren Muscheln verschlossen sind, aus der Tiefe zu heben. Allein schon die Kirchengeschichte könnte sich als Goldmine herausstellen ...
    - indem sie neue Erfahrungen einbringt und selber darüber reflektiert. Es lagert noch viel in unserem kollektiven Unbewußten, das weiblichere Religionen, wie sie früher bestanden haben, wohl eher ins Leben rufen würden, als es die stark polarisierende, jüdischchristliche Tradition verstanden hat. In ihrem Widerstand gegen die Nachbarreligionen ist auch das verlorengegangen, was wert gewesen wäre, behalten und verarbeitet zu werden.

Soweit sind wir noch nicht; aber es ist wichtig sich klarzumachen, daß die feministische Theologie auch eine Möglichkeit ist, die Theologie selbst zu bereichern und aus ihrer Einseitigkeit zu befreien.
Zusammengefaßt: Feministische Theologie muß feministisch bleiben und gleichzeitig immer mehr Theologie werden.