Man muß nur an sich glauben

Xenia Hausner, 39, Bühnenbildnerin, Berlin

  • Xenia Hausner ist eine der erfolgreichsten Bühnenbildnerinnen im deutschsprachigen Raum. Sie hat in Wien, Berlin, Brüssel, London, in Hamburg, Frankfurt und Düsseldorf an den wichtigsten Theatern und Opernhäusern gearbeitet. Zur Zeit unseres Gespräches arbeitete sie gerade mit Claus Peymann am Wiener Burgtheater, wo sie lbsens Volksfeind ausstattet. Ihre Arbeiten sind in dem prächtigen Buch Xenia Hausner - Rätselraum - Fremde Frau dokumentiert.

Ihr Vater ist Rudolf Hausner, Mitbegründer der Wiener Schule des phantastischen Realismus.
Xenia ist 39, blond, überzeugend und scharfsinnig in ihrer Argumentation. Sie ist eine attraktive Frau, zierlich und energiegeladen. Ihre Ausstrahlung ist zunächst eher kühl, dann aber bemerkt man einen Humor, der bis zur beißenden Satire gehen kann. Sie tritt bevorzugt in einer Kombination von Armanisakkos und Clowndollyhosen auf. »Beruflich war bestimmt der Vater mein Vorbild». Die Idee, erfolgreich sein zu müssen, hat er mir von Anfang an stark vermittelt. Das hat schon mit der Schule begonnen. Ich habe eigentlich immer das Gefühl gehabt, daß Zuneigung erst durch Leistung verdient werden muß und nicht ein Naturrecht ist. Meinem Vater war das vielleicht nie wirklich so bewußt. Er hat mich auch oft beruhigt, daß es nichts macht, wenn ich versage. Er hat seine Worte bestimmt ehrlich gemeint, ich konnte sie aber nie wirklich glauben. Ich hatte immer das Gefühl, daß eine bestimmte Leistung von mir erwartet wird. Leistungszwang hat aber eine positive und eine negative Seite. Die positive ist, daß man es im allgemeinen zu etwas bringt im Leben und nicht nur stumpfsinnig herumhängt. Die negative ist, daß man einer spielerischen und leichten Seite, eines gewissen Frohsinns entbehrt. Man ist von mehr Zwängen bestimmt und deshalb auch gehemmter. Mein Vater machte sich die Arbeit nicht leicht. Er quälte sich bis zum äußersten - das tut er noch heute -, und alle anderen quälten sich auch dementsprechend. Meine Mutter war nicht so berufsorientiert. Sie war auf den Vater konzentriert. Sie war zu neunzig Prozent davon absorbiert, ihr Schicksal mit ihm im Visier zu haben. Als Kind habe ich das als Verrat meiner Mutter mir gegenüber empfunden.
Sie hat den Haushalt geführt und auch manchmal bei der Arbeit geholfen. In den fünfziger Jahren mußte der Vater noch so manche Brotarbeit annehmen. Meine Mutter hat dann zum Beispiel beim Mosaiklegen geholfen. Existenzängste und Katastrophenstimmungen bestimmten unseren Alltag. Meine Mutter war dem Vater gegenüber von Verlustangst bestimmt. Es herrschte ein emotional unstabiles Klima zwischen den Eltern. Meine Mutter war mir kein Leitbild. Ich wollte nicht so werden wie sie. Ich bin auch wirklich mehr nach meinem Vater geraten, glaube ich. Zumindest äußerlich. Denn manchmal frage ich mich in letzter Zeit, ob mich nicht doch das Schicksal meiner Mutter wieder einholt und ob sich nicht das Beziehungsmuster meiner Eltern in meiner Biographie wiederholt. Als junges Mädchen habe ich über das alles nicht nachgedacht. Das Leben lag in klarem Schwarz-Weiß vor mir. Und als die Ehe meiner Eltern auseinanderging, war ich ganz auf Vaters Seite. Ich dachte, meine Mutter hätte einfach alles falsch gemacht, und wenn man so viel falsch macht, dann muß man ja verlassen werden. Ich habe zunächst Jus studiert. Im Laufe der Semester ist eine gewisse Unzufriedenheit, ein diffuser, unausgegorener Wunsch nach etwas Künstlerischem aufgetreten. Ich habe immer viel gezeichnet, aber die Idee, direkt einen künstlerischen Beruf anzusteuern, kam mir zunächst gar nicht in den Sinn. Mein Vater wünschte sich für mich als Mädchen einen leichteren Lebensweg.
Denn er selbst hatte einen schweren Existenzkampf gehabt und ist erst sehr spät zu Erfolg gekommen. Ich war wohlbehütet und sollte es einmal besser haben. Ich bin in die französische Schule geschickt worden, habe einen Kamelhaarmantel von Aschenbrenner getragen, den ich gehaßt habe. Und überhaupt ging die Anstrengung in den fünfziger Jahren dahin, mich gesellschaftlich gleichzustellen mit den wohlhabenderen Bürgerkindern in meiner Klasse, die mit einer gewissen Geringschätzung auf eine Malerfamilie geschaut haben. Vor einem Kinderfest ist meine Mutter noch rasch bessere Kaffeetassen kaufen gegangen. Ich weiß es wie heute: Sie waren von Arzberg. Jede Tasse in verschiedenen Farben. Grau, rosa und so weiter. Damit ich mithalten konnte. Ich habe also persönlich gar keine Entbehrungen zu spüren gehabt. Im Gegenteil. Aber der Kraftakt, der unternommen werden mußte, um das zu gewährleisten, war mir von Jugend an bewußt. Diese Anstrengung hat unsere Kleinfamilie sehr zusammengeschweißt. jeder Tag in der Schule bedeutete, alle möglichen Anfechtungen zu überstehen, und in diesem Minimundus habe ich parallel zum Vater sein Lebensmuster wiederholt. So waren wir quasi Seite an Seite in denselben Kampf verstrickt, und ich war als Kind irgendwie stolz darauf. Da war dann die stehende Wendung zu Hause: Fang dir bloß nichts mit der Kunst an. Du sollst es einmal besser haben. Der größte Scheißberuf; und so ein Dreck, so ein Dreck. Dieses Wort Dreck in bezug auf Kunst, das hat mich meine ganze Kindheit hindurch begleitet. Dann in den sechziger Jahren ging es auch bei uns bergauf. Nach einer großen Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft kam der künstlerische Durchbruch. Wir waren immer Sozialisten. Nachdem der wirtschaftliche Aufschwung auch uns erfaßt hatte, hat die ganze Familie unmerklich einen sanften Rechtsrutsch gemacht. Mein Vater ist auch heute noch Sozialist.
Aber wohl eher aus Sentimentalität und in Erinnerung an die abenteuerlichen kommunistischen Jugendzeiten. Ich habe dann den ganzen Blödsinn von Hermes-Tuch bis Bälle eröffnen mitgemacht, bin auf ein humanistisches Gymnasium übergewechselt, habe die gesellschaftliche Integration dort sehr genossen und folgerichtig Jus studiert. Nach sechs Semestern Jus fehlten mir nur noch zwei Semester bis zum Abschluß. Da hätte ich mir ja sagen können, es sind nur noch zwei Semester. Ich bau mir schnell mein Doktorat. Sicherlich hätte man das so machen können, und es wäre auch das einzig Vernünftige gewesen. Ich war aber nur in der Lage, mit einem unvernünftigen Verhalten das nebulos gährende Vorhaben, doch Kunst zu machen, durchzusetzen. Ich bin einfach nicht mehr zur Uni gegangen. Ich habe schon vorher angefangen, herumzuquängeln und zu sagen, ich möchte gern was anderes machen. Man hat das zu Hause auch ein bißchen überhört, einfach, weil man es nicht hören wollte. Eines Tages habe ich mich dann sozusagen verweigert. Beim Frühstück fragte die Familie, wann ist denn die Prüfung, hast du nicht irgendwann bald Prüfung? Und ich habe gesagt, ja, die Prüfung ist gerade jetzt.
Da waren alle ganz schön fertig. Ja, und dann ist die Frage aufgetaucht, was willst du denn statt dessen machen? Ich hatte mich immer für Architektur interessiert, für Fotografie, für Mode und habe eben besonders gern gezeichnet. Außerdem habe ich viel gelesen. Aus all diesen diffusen Interessen hat sich dann eben Bühnenbild ergeben. Für Theater hatte ich mich bis dahin überhaupt nicht interessiert. Erst einmal war es der rationale Kompromiß zwischen verschiedenen Anlagen und gleichzeitig Ausdruck einer irrationalen Verhaltensweise. Kunst ja, aber nicht ganz, denn natürlich ist Bühnenbild immer, trotz aller Selbständigkeit, angewandte Kunst. Dieser Neubeginn stand dann unter der Devise, ich probier es halt, zu Jus kann ich immer noch zurückkehren und habe schlimmstenfalls ein Jahr verloren. Bühnenbild hat mir dann aber auf Anhieb gefallen. Ich hab mich natürlich sehr hineingekniet. Ich war unter Druck und hatte ein schlechtes Gewissen. Schließlich hatte ich gerade das Studienfach gewechselt und drei Jahre vertan. Sowas war in unserem Familienprogramm nicht vorgesehen. Außerdem erschien mir das Bühnenbildstudium wie Urlaub, wenn man von einem Lernfach wie Jus kommt. Ich bin bald aufgefallen durch relativ aufwendige Projekte. Ich habe mir damals zur Diplomarbeit den Hamlet ausgesucht und so eine Art drehbaren Turmbau zu Babel erfunden, der in einer erdbedeckten Bühne stand. Die einzelnen Segmente des Turms waren ausfahrbar und konnten sich verwandeln. Helsingör war eine Art Renaissance-Kriegsmaschine.
Das alles war für die Burgtheaterbühne im Maßstab 1:25 gebaut, war also sehr groß und aufwendig mit vielen Details, außerdem liebevoll ausgeleuchtet. Mein sogenanntes dramaturgisches Konzept basierte auf einer psychoanalytischen Hamlet-Deutung von Ernest Jones Hamlet and Ödipus. Unlängst sind mir meine ersten Gehversuche auf diesem Gebiet wieder in die Hände gefallen, und es hat mich förmlich geschüttelt, so viel naiven Enthusiasmus zu lesen. Ich habe damit den 1. Preis bekommen, und mein Professor hat mich daraufhin dem Burgtheater als Ausstattungsassistentin empfohlen. Und so kam ich ans Burgtheater und war dort drei Jahre. In dieser Zeit bin ich fleißig herumgewuselt und habe dabei sehr viel gelernt. Später konnte ich dann auch die eine oder andere kleine Ausstattung machen. Märchen natürlich zu Weihnachten und Kostüme, weil das im herkömmlichen Sinn frauengemäße Arbeiten sind. Ich wollte aber immer Räume bauen, und genau das war die Schwierigkeit. Herauszukommen aus der mir immer wieder freundlich angebotenen Modistinnenverstrickung. Meine Erfahrung sowohl im Studium als auch später im Beruf ist es immer gewesen, daß der Anfang erstaunlich leicht geht. Aus dem ersten groben Durchschnitt herauszuragen, ist nicht schwer, wenn man sich ein bißchen anstrengt. Später wird es dann zunehmend schwieriger. Als ich Mitte der siebziger Jahre ans Theater kam, war Bühnenbild kein Frauenberuf. Heute sind fast die Hälfte der Bühnenbildstudenten Frauen. Man hat in diesem Beruf viel mit Handwerk, Technik und Werkstätten zu tun. Das sind halt traditionell alles Männerberufe. Damals gab es in den Werkstätten viele alte Haudegen, die die Sache sehr direkt und in archaischer Primitivität ausgetragen haben.
Sie haben eine junge Anfängerin liebend gern auf die Seife steigen lassen. Das waren schon manchmal Horrorpartien, wenn ich da in irgendeiner Schlosserei stand, und die haben erst einmal die Doofen markiert und sich von mir erklären lassen, wieso eins und eins zwei ist. In diesem Stadium waren meine Hauptansprechpartner vorwiegend unintellektuelle Männer. Dadurch sind diese Initiationsriten so primitiv ausgefallen. Und da ich keine Gina Lollobrigida war, die man gerne in seinen Spind gehängt hatte, ergab sich auch vom Erotischen her so gar kein Bonus. Heute schicke ich meine Assistentin in diese Schlacht. Als Frau in dem Beruf eher eine Ausnahmeerscheinung zu sein, hat mir, glaube ich, keine Vorteile gebracht. Da hätte ich auch viel prononcierter auf mein Frausein pochen müssen. Vielleicht hat der eine oder andere Regisseur gefunden, daß es interessanter wäre, ein Stück von einer Frau ausstatten zu lassen. Kann sein. Aber solche Motive waren mir immer suspekt. Mir geht es um die Sache. Stücke von Friederike Roth und Elfriede Jelinek, haben mich begeistert, und ich habe sie mit großer Lust ausgestattet, aber nicht weil sie von Frauen geschrieben wurden, sondern weil sie gut waren. Viele Jahre habe ich gar nicht wahrhaben wollen, daß die Geschlechterfrage immer wieder in die Sachfrage hineingetragen wird. Männer können sachliche Kritik von Frauen nur schlecht vertragen. Sie fühlen sich sofort in ihrem männlichen Ego angegriffen. Es muß da eine geheime Alarmanlage vom Kopf in den Schwanz geben. Umgekehrt fühlen, sich Frauen in ihrem weiblichen Selbstwertgefühl noch nicht gleich Frage gestellt, wenn sie von Männern kritisiert werden. Das weibliche Ego ist vielleicht robuster oder sowieso Kummer gewöhnt mit Männern, die alles besser wissen. Männer verkörpern in der ganzen Geistesgeschichte bekanntlich das rationale Prinzip. Frauen stehen angeblich für die Irrationalität. Ich glaube, es ist alles genau umgekehrt.
Männer machen so einen Wind um ihre Führungspositionen. Das ist so lächerlich und rührend wie in der Tierwelt. Wenn Frauen inzwischen dieselben Unarten in Führungspositionen annehmen, heulen die Männer auf. Sie messen eben mit zweierlei Maß. Das Cliché, daß es mit Vögelei leichter vorangeht im Leben, ist sicher kein leerer Wahn. Ich hab das nie können. Nicht aus Moral, sondern aus Unfähigkeit, die Sinnlichkeit zu instrumentalisieren. Meine Familie stand immer hinter mir und hat sehr Anteil genommen. Obwohl sie mir aus Sorge um mich auch manchmal zu kleinmütigen Lösungen geraten hat. Ich bin Steinbock und schwanke zwischen anarchistischen Kraftschüben und Sicherheitsdenken hin und her. Meine erste Anstellung am Burgtheater hat alle sehr gefreut, nicht nur, weil es das Institut der nationalen Identifikation ist, sondern weil auch die Hoffnung bestand, eine gesicherte und geordnete Laufbahn würde vor mir liegen. Es war schon fast so gut wie Jus. Ich machte mich aber dennoch nach drei Jahren selbständig und ging vom Burgtheater weg.
Vom Märchen hatte ich mich freigeschaufelt. Ich hatte einige Ausstattungen am Akademietheater gemacht und dachte, jetzt steht mir die Welt offen. Das war ganz schön blauäugig. Ich hatte zwar schon einige Kontakte geknüpft, aber das Terrain war absolut nicht so gut vorbereitet, als daß ich jetzt einen glatten Sprung in die freie Bühnenbildnerei leicht hätte machen können. In bezug auf meine Erwartungen war das naiv. Aber für mich war es trotzdem der richtige Zeitpunkt. Das ist ja eine Entwicklung, die unausweichlich ist. Man kommt von der Schule, und es ist erst ein Mal jeder, für den man arbeitet, interessant, weil er etwas macht, was man noch nicht kennt. Ich habe das alles aufgesogen wie ein Schwamm, auch blöde Ideen, weil sie für mich neu waren. Am Anfang geht es um Wissensakkumulierung. Aber an einem gewissen Punkt, wenn dieses Bedürfnis gesättigt ist, kommt die rastlose Ungeduld, Eigenes zu erfinden. Wenn die da ist, hat man keinen Nerv mehr, für jemand anderen zum Beispiel ein Modell zu bauen. Wenn man an so einem Punkt ist, muß man gehen, weil man als Assistent dann unbrauchbar wird. Ein ewig skeptischer, im Geiste ständig kritisierender Mitarbeiter ohne Loyalität; der nur auf den Absprung, wartet. Das wollte ich nicht werden und bin nach meinen ersten eigenen Arbeiten gegangen. Anfangs gab es längere Pausen zwischen den Theaterarbeiten. Da habe ich dann in der Zwischenzeit Filmausstattungen gemacht: Ich habe zum Beispiel an der vielfach, ausgezeichneten Alpensaga von Turrini und Berner und mit Axel Corti gearbeitet. Das fand ich auch sehr spannend.
Mit der Zeit hat aber meine Lust an Raumerfindungen überwogen. In der Folge dieser Filmarbeiten bin ich in eine interessante Arbeitskonstellation gekommen, die mich nach Berlin geführt hat. Die Stadt und die Menschen haben mir dort von Anfang an gefallen. Es gibt ja trotz aller Verschiedenheit zwischen Österreichern und Berlinern eine große Affinität, ganz anders als zu den Norddeutschen, bei denen ich mich immer fremd gefühlt habe. In Berlin hatte ich Glück. Das Renaissance-Theater wurde von einer neuen, dynamischen Mannschaft übernommen. Ich wurde nach einigen Stücken Ausstattungsleiterin und habe dann ein Stück nach dem andern dort gemacht. Heribert Sasse hat inszeniert, Knut Boeser hat gedacht - und ich hatte alle Freiheiten. Es war ein Ensuite-Theater. Das hatte für mich als Bühnenbildnerin viele Vorteile. Ich konnte bei jedem Stück das Theater komplett umkrempeln, wenn es sein mußte, und so zu überraschenden Lösungen für mich und das Publikum kommen. Die Bühnenbildeinfälle wurden von den hausspezifischen Gegebenheiten stark beeinflußt, und so kamen Lösungen zustande, die eigenartig reizvoll und unverwechselbar mit der Geographie der Bühne verwoben waren. Mit der Zeit sind die Leute schon hingegangen, um die Ausstattung zu sehen, weil jedesmal für eine neue Überraschung gesorgt war. Diese Kontinuität war für das Theater gut und für mich auch. Daraufhin kamen in der Folge Angebote von anderen Häusern. Zuerst aus Berlin vom großen Bruder nebenan, dem Schillertheater. Dort habe ich mich mit Boy Gobert gleich überworfen, weil ihm eine Hutkrempe für Antje Weißgerber zu viel Schatten warf. Dafür hätte er »ihre berühmten blauen Augen zu teuer eingekauft«, sagte er. Ich beharrte aber mit meinem ganzen Künstlerethos auf der Hutkrempe, weil ich damals die wesentlichen von den unwesentlichen Schlachtfeldern noch nicht unterscheiden konnte.
Die Folge war ein beleidigter Fünfseitenbrief von Boy Gobert - und Arbeitsverbot. Trotzdem glaube ich auch heute noch an künstlerischen Starrsinn. Das ist das einzige, was einen weiterbringt. Die Prädikate »anstrengend«, »teuer«, »Hände weg«, »größenwahnsinnig«, begleiten einen - und helfen einem. ich bin heute richtig froh, wenn es heißt: Um Gottes Willen, die Hausner kommt. Es werden von vornherein weniger Versuche unternommen, eine Idee zurechtzustutzen. Die üble Fama bewirkt doch immerhin, daß man weniger künstlerische Abstriche machen muß. Meine Unangepaßtheit hat mich nicht populär gemacht, mich. aber künstlerisch weitergebracht, Man muß nicht populär sein wollen, wenn man gut sein will. Die künstlerische Anerkennung stelIt sich als notwendige Folge von Qualität mit der Zeit sowieso ein. Man muß nur an sich glauben. Von Jus bis dahin ist ein weiter Weg. Mit Unangepaßtheit allein wird man allerdings Künstler und Geldgeber noch nicht von einem bestimmten Vorhaben überzeugen können. Talent bleibt einem nicht erspart. Da entgegen einer allgemeinen romantischen Auffassung Umwerfendes auch nur mit umwerfend viel Geld erzeugt werden kann, geht es bei der Verwirklichung, von künstlerischen Vorhaben iuch immer darum, irgendeiner Institution genügend Mittel (sprich: Geld und Arbeitskräfte) zu entlocken. Das erfordert mit der Zeit achtzig Prozent der Kraft. Zwanzig Prozent bleiben für den eigentlichen Inhalt. An diesen heiß begehrten Futterkrippen tobt der Ellenbogenkampf unter den Intellektuellen und Künstlern. Es gibt auch dort dasselbe Vorurteil gegen Frauen wie unter Arbeitern, nur wird es subtiler, aber nicht minder wirkungsvoll gehandhabt. Das Vorurteil verlagert sich damit in die Geschäftsebene und wird als willkommener Vorwand im Kampf um die Großprojekte benutzt. Wenn die Männer weibliche Konkurrenz mit so was fadenscheinig Technischem wegschubsen können, dann haben sie von vornherein schon einmal ein paar Konkurrentinnen weniger. Nicht daß die Männer untereinander gütiger wären.
Das sind sie bestimmt nicht. Aber sie denken so: Erst einmal schaffen wir die weg. Und dann können wir uns untereinander weiter die Köpfe einschlagen. Niemand würde mehr offiziell das Argument bringen, eine Frau soll dieses oder jenes nicht machen. Da sind nach außen hin aIle ganz aufgeklärt. Natürlich, warum soll sie nicht den Ring ausstatten in Dschibuti? Niemand würde die Begründung liefern: Weil sie eine Frau ist, kann sie das nicht. So präpariert sind die Männer inzwischen schon. Was man höchstens noch hören kann , ist: »Na ja, das ist etwas seeeehr Technisches, ob sie das auch schafft?« Man kriegt den Eindruck, als wären alle Männer von der Wiege an technische Genies, und als hätte Bühnenbild mit Geist, Erfindung und Phantasie gar nichts mehr zu tun. Die Probleme werden ausschließlich in Gebieten angesiedelt, wo man klischeehaft den schwachen Punkt einer Frau annimmt. Ich kann gar nicht sagen, wieviel technisch unbeholfene und gleichzeitig optisch langweilige Bühnenbilder ich von Männern gesehen habe, die aber im Zuge männlich solidarischer Beurteilung immer noch glimpflich davonkamen. Mir hätten die allerdings nicht besser gefallen, wenn eine Frau sie gemacht hätte. Ich messe mit einerlei Maß. Der Geschlechterkampf am Arbeitsplatz langweilt mich. Mich interessiert im Theater die Erfindung.
Das Unmögliche bekommt da sinnliche Realität. Ein Berg, der durch eine Zimmerwand bricht, ein Meer, das senkrecht steht, eine Leopardenwiese. Dort liegt die aufregendste Stelle in der Arbeit - die Entstehung des Einfalls, das Finden einer Metapher. Mein Blick richtet sich auf das Inwendige. Ich bin zum zweiten Mal verheiratet. Mit sehr unterschiedlichen Männern. Der Erste war Unfallchirurg, Porschefahrer und Pfeifenraucher. Ich habe ihn bei einem Abendessen kennengelernt. Wir haben sehr schnell geheiratet, und ich bin mit ihm nach Hamburg gezogen. Damals habe ich mir von einem Mann in erster Linie Sicherheit und Schutz erwartet. Was heißt damals', Noch heute kann ich mich von derlei Vorstellungen nicht befreien. Der erste Mann hat das scheinbar geboten. Er entsprach auf den ersten Blick einer klassischen Vorstellung vom Mann. So hat er sich auch selbst gern gesehen. Demzufolge wollte er auch eine klassische Frau, wie sie in Schöner Wohnen vorkommt. Die war ich nicht. Das hat er aber zu spät bemerkt. Er wollte jemand, der Klavier spielt, wenn er abends nach Hause kommt, ausgeruht und frisiert dasitzt und ihm einen Cocktail mixt. Wer will das nicht? Eine verständliche Erwartung aus meiner heutigen Perspektive. Bei uns war das nur nie der Fall, weil ich den ganzen Tag herumgehetzt bin und versucht habe, in Hamburg Fuß zu fassen.
Es hat also überhaupt nicht geklappt mit uns. Mir war bald fad mit ihm, und er war enttäuscht von mir. Aus Rache hat er dann meine ganze Mitgift im Landhaus Dill und im Landhaus Scherrer alleine aufgefressen. Das war eine Ernüchterung für mich, weil dieses ganze Kartenhaus von männlicher Klassik zusammenfiel. Mit dem zweiten Mann, Knut, gibt es von Anfang an viel instinktiv Gemeinsames. Er ist das komplette Gegenteil zum ersten. Er ist nicht von männlichen Über-Ich-Vorstellungen gepeinigt, hat großen Charme und einen eigenartig frechen Berliner Witz. Er schreibt Theaterstücke und Drehbücher und war Chefdramaturg am Schiller-Theater. Wir haben verwobene Berufe, wenn auch selten Einigkeit herrscht in künstlerischen Fragen. Die erste Eheschließung stand unter dem Zeichen, daß es Zeit war, von zu Hause fortzukommen. Die zweite ist schwer errungen. Wir waren beide noch verheiratet, als wir uns kennenlernten.
Was da in der Folge bewältigt werden mußte, war schauerlich. Inzwischen allerdings hat sich ein freundlich dissonantes Familienklima eingestellt. Unser Privatleben hat das Problem, daß wir beide sehr viel unterwegs sind. Ich habe mich immer klar für ein interessantes Angebot entschieden und nicht gezaudert, weil jede Arbeit einen Schritt weiter führt. Ich hätte sie wahrscheinlich auch angenommen, wenn der Knut dagegen gewesen wäre. Aber ich habe Glück gehabt. Er ist nie dagegen gewesen. Er hat immer gesagt: Is doch juut. Man ist ja so pervers, daß man irgendwann direkt erwartet, daß er sagt: Fahr nich. Bleib hier. Aber ich kann sagen: Ich fahre nach Timbuktu. Er sagt dann: Ah, prima. Dazu kommt, daß er gut allein sein kann. Er hat auch nie Einsamkeitsgefühle. Ich sag immer, er kommt aus Silicon-Valley. Er geistert gern in der Welt herum. Allerdings schon gern in der Gewißheit, daß zu Hause jemand auf ihn wartet.
Ich müßte ja froh sein, daß meine Aktivitäten so neugierig und interessiert aufgenommen werden. Mit meinen vielen Aktivitäten gehe ich ihm, glaube ich, auch ganz schön auf die Nerven. Er ist dann nur froh, wenn ich verschwinde. Wir sind temperamentsmäßig komplementär. Wahrscheinlich ist das ein Glück. Auf der anderen Seite ist das auch ein steter Quell für Reibereien. Ich sage, er ist gleichgültig und legt auf Gemeinschaftserlebnis wenig Wert. Er sagt, ich bin eine anstrengende Hysterikerin. Meine Taktiken? Immer druff, weiter nischt. Ich glaube, daß sie gar nicht gut sind, daß ich geschickter hätte verfahren können. Ich habe zum Beispiel nie meine eigene Stärke verschleiern können. Die ist immer schon ein Dorn in jedermanns Auge gewesen. Wenn ich im Stande gewesen wäre, sie zu tarnen, wäre ich allerdings noch stärker gewesen. Eine leichte Verstellung, das wäre viel klüger. Was würde es mir schaden? Mein Programm lag immer stark in der Überwindung von Widerständen, und ich war dabei immer sehr direkt, sozusagen sehr »männlich« und polemisch. Das klassisch weibliche Sichhelfenlassen, ein bißchen schwach sein, wäre besser gewesen. Das hätte Kraft gespart. Und ich hätte das ohne weiteres tun können und mich nicht schlecht fühlen müssen dabei. Aber diese Konzession hätte mit Sicherheit auch Konzessionen in künstlerischer Hinsicht nach sich gezogen. Aber ich kann es nicht, und irgendwie wollte es mir auch. nie richtig eingehen, daß ich zur Erreichung meiner Ziele Verstellung nötig haben sollte. Ein überhebliche Haltung. Mir geht es um die Sache. Ich verkläre umgekehrt Frauen auch nicht aus weiblicher Solidarität. Die »Bewegung« ist mir wurscht. Oh Geister, die ihr gerufen! Mein Vater hat ein ambivalentes Verhältnis zu sogenannten Erfolgsfrauen. Er hat meinen beruflichen Werdegang tatkräftig unterstützt. Gleichzeitig kann ich mir ausrechnen, daß er, wenn er mich im täglichen Leben treffen würde und ich nicht seine Tochter wäre, regelrecht allergisch auf mich reagieren würde. Ich wäre für ihn eine klassische Emanze, und die sind für ihn ein rotes Tuch. Über solche Frauen, wie ich eine bin, beklagt er sich sonst bei mir. Das finde ich immer besonders absurd. Wenn es zum Beispiel um Interviews geht, dann sagt er: »Xenia, red' bloß nichts von der Emanzipation. Das ist doch längst vorbei.«